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Antrag 32/I/2021 Auszubildende und Studierende nicht in der Krise sitzen lassen!

19.03.2021

Das Studium wird gerne als die schönste Zeit des Lebens romantisiert. Freiräume nutzen, sich ausprobieren, über sich hinauswachsen, Erfahrungen sammeln und viel lernen – gerade für das Leben. Was für einige so verlockend klingen mag, ist spätestens seit der Bologna-Reform, durch welche die Hochschulen Student*innen im Zulassungsverfahren selbst auswählen, obwohl dies im Grundgesetz verboten wird, keine Realität mehr. Leistungsdruck und die Ökonomisierung des Studiums nehmen viel Freude. Die Corona-Krise hat der Gesamtsituation noch eine Krone aufgesetzt. Unzählige Studierende haben durch die Kontaktbeschränkungen und Eindämmungsmaßnahmen ihre oftmals ohnehin schlecht bezahlten Studierenden- und Aushilfsjobs verloren. Vor der Pandemie haben circa zwei Drittel ihr Studium mit Nebenjobs finanziert. Da Branchen wie die Gastronomie, in denen häufig Studierende tätig sind, besonders hart getroffen sind, haben viele nun kaum eine Finanzierungsmöglichkeit. Die anfänglichen Geldtöpfe für Studierende wie z. B. durch das Studierendenwerk oder die Studienkredit- Überbrückungshilfe des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, waren viel zu gering und sind schon längst erschöpft. Mit dem Semesterwechsel im Frühjahr 2021 steht die Zahlung des Semesterbeitrages wieder an und noch immer sind viele Studierende in finanzieller Not.

 

Zwar sind im Vergleich zu Studierenden Auszubildende in deutlich mehr Branchen zu finden, welche unterschiedlich stark von der Pandemie betroffen sind, doch die finanzielle Not droht an vielen Stellen. Durch die Corona-Krise gehen zahlreiche Arbeitnehmer*innen in Kurzarbeit und davon bleiben Auszubildende nicht ausgenommen. In den ersten 30 Tagen der Kurzarbeit wird Auszubildenden die volle Ausbildungsvergütung gezahlt, doch im Anschluss kann der Betrieb auch hier Kurzarbeiter*innengeld beantragen und folglich reduziert sich das Einkommen der Auszubildenden. Eine Alternative ist in einigen Fällen, dass die Ausbildungsverträge geändert werden und eine Abmachung über eine verringerte Stundenanzahl getroffen wird. Die Folge auch hier: weniger Vergütung. Doch die Ausbildungsvergütung ist auch schon vor der Krise in vielen Fällen unzureichend gewesen. Die bestehenden finanziellen Probleme verschärfen sich durch die Corona-Krise zunehmend.

 

Wir fordern:

  • Für die Zeit der Pandemie sollen Bafög und Auzubildendenbeihilfe für alle Studierenden bzw. Auszubildenden geöffnet werden. Diese Zahlung soll als Vollzuschuss, also darlehensfrei, auch rückwirkend für die vergangenen Corona- Semester und -Halbjahre ausgezahlt werden.
  • ein Aufstocken der Corona-Hilfen des Landes Berlin um weitere fünf Mio. für Studierende in Not
  • Auszubildende vor Kurzarbeit und Kurzarbeiter*innengeld schützen.
  • Wir halten weiterhin an unserer Forderung fest, das Bafög und die Mindestausbildungsvergütung so anzuheben, dass Studierende und Auszubildende in Würde davon leben können.

 

Die finanzielle Not sorgt unter Auszubildenden und Studierenden für zunehmende Unsicherheit und damit verbundene Sorgen sowie psychischen Stress. Gepaart wird dieser Stress mit Zukunftssorgen. Es wurden nicht nur weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen, auch wissen fast 40 Prozent der Azubis selbst im letzten Jahr noch nicht, ob sie übernommen werden können. Selbst wenn es eine Übernahmezusage gibt, werden knapp 30 Prozent der Azubis nur befristet übernommen. Die Situation der Studierenden ist nicht besser. Einige Studierende haben und werden ihr Studium abbrechen bzw. pausieren müssen, um ihr Leben weiterhin finanzieren zu können. Andere versuchen, ihr Studium so gut es geht aufrecht zu erhalten und weiter zu verfolgen. Doch Vorlesungen, Unterricht und Seminare mussten über Nacht mehr schlecht als recht in digitale Formate umgewandelt werden.

 

Digitale Lehre ist an vielen Unis und berufsbildenden Schulen bisher ein Novum. Studierende bleiben hierbei auf der Strecke. Der Wegfall einiger Module bzw. die Unmöglichkeit, sie anzubieten, verzögert in vielen Fällen den Studienverlaufsplan und somit den Abschluss der Studierenden. Eine Studie in 25 Ländern zeigt, dass über die Hälfte der Studierenden besorgt ist, ihre Studienziele dadurch nicht zu erreichen. Auszubildende haben ähnliche Probleme, da berufsbildende Schulen und ebenso Betriebe häufig nur sehr unzureichend technisch ausgestattet sind, um den Distanzunterricht in gleicher Qualität fortführen zu können. In einigen Fällen entfällt er sogar ganz. Gleiches gilt für die betrieblichen Teile der Ausbildung: Durch Kurzarbeit und den Wegfall von Aufträgen etc. gibt es weniger zu tun und damit auch weniger zu lernen. Hierdurch entsteht die Gefahr, dass Ausbildungsinhalte nur unzureichend vermittelt werden können und damit der Abschluss gefährdet wird. Neben der fehlenden Vermittlung von Ausbildungsinhalten erhöhen die Kurzarbeit, ähnliche Regelungen oder der Unterrichtsausfall auch die Fehlzeiten. Diese Fehlzeiten wiederum werden für die Abschlussprüfung angerechnet. Übersteigen sie zehn Prozent der Arbeits- und Schulzeit, kann eine Zulassung zur Abschlussprüfung gefährdet sein.

 

Wir fordern:

  • Damit die Ausbildungskrise nicht zur Corona-Krise wird, sollen in den landeseigenen Unternehmen weitere Ausbildungsplätze geschaffen werden. Darüber hinaus sprechen wir uns für eine Ausbildungsgarantie aus
  • Die Universitäten bzw. jeweiligen Institute und berufsbildenden Schulen müssen gewährleisten, dass alle Studierenden und Auszubildenden die notwendige technische Ausstattung zur Teilhabe am Unterricht und Studium sowie an den Prüfungen zur Verfügung haben. Dies kann über das Bereitstellen von Endgeräten (Ausleihe von z. B. Laptops) oder die bevorzugte Vergabe von Computerarbeitsplätzen in (Hoch-)Schulgebäuden an bedürftige Azubis bzw. Studierende sichergestellt werden. Hierfür sollen den Hoch- und berufsbildenden Schulen die finanziellen Mittel gestellt werden.
  • schnellerer Abfluss der Mittel aus dem DigitalPakt für Berufsschulen und Aufstocken des Technikfonds für die Berliner Hochschulen
  • Die berufsbildenden Schulen und Universitäten müssen den Distanzunterricht sicherstellen. Hierzu müssen in der Bildungsstätte die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden, sodass Lehrende entweder aus der Bildungsstätte die Lehrinhalte vermitteln können oder ihnen muss die entsprechende Ausstattung gestellt werden, um dies aus dem Homeoffice tun zu können.
  • Betriebe, in denen Beschäftigte und Auszubildende mitbestimmen dürfen, investieren mehr in die betriebliche Ausbildung, die Ausstattung und die Übernahme von Auszubildenden. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, wo viele Betriebe sich umstrukturieren, bedarf es an betrieblicher Mitbestimmung. Deshalb fordern wir die Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung!
  • Fehlzeiten und Ausbildungsversäumnisse, die durch die Folgen der Pandemie wie Kurzarbeit entstehen, dürfen nicht die Zulassung zur Abschlussprüfung gefährden.

 

Die Unsicherheit und psychische Belastung, die auch durch Einsamkeit ausgelöst wird, werden gerade durch die Prüfungsphasen noch drastischer. Hier herrscht an Universitäten und Hochschulen, aber auch in Ausbildungsbetrieben keine Klarheit. Die Umsetzung der Durchführung der Prüfungsleistungen in den Corona-Semestern erscheint willkürlich: teils online, teils vor Ort, teils gar nicht. Dies birgt nicht nur Unsicherheiten und unnötige Kontaktrisiken bei Präsenzprüfungen, sondern auch diskriminierende Nachteile. Für Auszubildende, die aufgrund einer Vorerkrankung oder aus anderen Gründen in eine Risikogruppe eingestuft werden, gibt es keine klaren Regelungen. Ihre zeitweise Freistellung oder die Ermöglichung von Homeoffice obliegt der individuellen Regelung im Betrieb und erhöht so zunehmend die Unsicherheit und Angst, wie es weiter gehen kann. An manchen Fachbereichen gibt es Alternativen für Studierende aus Risikogruppen, an anderen können sie nur umständlich beantragt werden. Diese Studierenden werden so häufig in die Überlegung getrieben, ob sie eine Prüfung in Präsenz unter einem enormen gesundheitlichen Risiko schreiben oder eine oft benachteiligende alternative Prüfungsform beantragen. Doch nicht nur Studierende aus Risikogruppen müssen sich hier bislang entscheiden. Universitätsleitungen kalkulieren das Risiko einer Infektion und deren Folgen und wägen es gegen die gegebenenfalls fachlichen Vorteile einer Präsenzprüfung ab. Diese Abwägung über die Unversehrtheit des Lebens darf nicht sein.

 

Nur eine Planung der kommenden Semester und der Prüfungsformate in digitaler Form bietet die nötige Sicherheit, sich auch frühzeitig um eine gelungene Umsetzung zu bemühen und weitere psychische Belastungen einzudämmen.

 

Wir fordern:

  • Landesweit einheitliche Regelungen über Prüfungsanforderungen in Pandemiezeiten, die niemanden benachteiligen (weder durch ein Gesundheitsrisiko noch durch die technische Ausstattung) und berücksichtigen, ob Präsenz-Prüfungen im Verhältnis stehen zu dem Corona-Infektionsrisiko. Diese sollen langfristig planbar und daher, wann immer möglich, in digitaler Form durchgeführt werden. Auch soll es für Lehrkräfte möglich bleiben, auf individuelle Situationen der Studierenden einzugehen, wenn nötig, damit alle die digitalen Semester so gut wie möglich bestreiten können.
  • Einheitliche, übergreifende Regelungen, die gleichwertige Prüfungen für alle festlegen, für Studierende und Auszubildende aus Risikogruppen und solche, die mit Menschen aus Risikogruppen zusammenleben. Durch digitale Prüfungsformate kann eine Benachteiligung über das Gesundheitsrisiko ausgeschlossen werden. Sind diese Formate nicht für alle und in großem Umfang umsetzbar, muss eine in Bezug auf Zeit, Vorbereitung und Aufgabenstellung gleichwertige Prüfung gestellt werden.
  • Werden (Abschluss-)Prüfungen aufgrund der Coronapandemie verschoben, muss gewährleistet sein, dass das Ausbildungsverhältnis für diesen Zeitraum verlängert wird und so keine Nachteile entstehen. Ebenso darf sich durch den verschobenen Prüfungszeitraum nicht die Zahl der benötigten Fachsemester erhöhen. Ein Ausfall von Prüfungen oder eine langfristige Verschiebung um mehrere Monate oder gar ein Jahr ist unbedingt zu vermeiden und darf nur in Ausnahmefällen erfolgen.
  • Eine Verlängerung des Schutzschirms bezüglich der Freiversuchsregelungen für die nächsten Corona-Semester und für alle Wiederholungsprüfungen aus den vorherigen Semestern.
  • Die erneute Aussetzung der Regelstudienzeit für weitere Corona-Semester.

 

Studierende und Auszubildende werden in der Corona-Krise als stille Teilhaber*innen aus dem WG- oder Kinderzimmer nicht gesehen – es ist wichtig, dass wir auch diese in der Krise unterstützen und Sicherheiten geben. Finanzielle Unterstützungen und Sichern eines fairen und planbaren Studierens und der Ausbildung sind erforderlich – Maßnahmen müssen endlich festgezurrt werden.

Antrag 13/I/2021 Bauen für eine lebenswerte Zukunft

19.03.2021

Die gewählten Vertreter*innen auf allen Ebenen – Bezirk, Land und Bund – werden aufgefordert, sich für eine Wende in der Baupolitik einzusetzen. Jede Ebene soll einen Zeitplan erarbeiten und vorstellen, bis wann die vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt werden. Die Wende muss beinhalten:

 

  • Der Marktpreis von Baumaterialien soll alle Umweltfolgekosten, also u.a. CO2-Wert, Energie- und Wasserverbrauch, Rohstoffgewinnung, Produktion, Transport, Wiederverwertbarkeit bzw. Entsorgungsaufwand, berücksichtigen. Wo dies nicht der Fall ist, muss durch geeignete Mittel nachgesteuert werden. Denkbar ist etwa eine höhere Besteuerung von besonders umweltschädlichen, bisher jedoch günstigeren Baumaterialien bzw. die Subventionierung von besonders umweltfreundlichen, bisher aber teureren, Baumaterialien. Die eingesetzten Instrumente müssen so ausgewogen sein, dass insbesondere der Bau von Wohnungen und von dem Gemeinwohl dienenden Einrichtungen im Ergebnis nicht noch teurer wird.
  • Bei der Förderung wie der Kreditvergabe durch die KfW sollte die Graue Energie neben den bestehenden Gebäudezertifizierungen berücksichtigt werden, um die Klimafolgen über die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes zu berücksichtigen. Abriss soll möglichst vermieden werden, und ggf. auf Sozial- und Klimaverträglichkeit bewertet werden. Eine angemessene Bautätigkeit, besonders ein angemessener Wohnungsbau, darf nicht gegen den Nachhaltigkeitsgedanken Ausgespielt werden. Darum denken wir bei unseren Forderungen soziale und ökologische Nachhaltigkeit selbstverständlich zusammen.

 

Gebäude sind für die Zukunft gedacht. Wir schaffen mit ihnen die Fundamente für das Leben zukünftiger Generationen. Aber die Baubranche ist für einen erheblichen Anteil des Energieverbrauchs verantwortlich und trägt zur Klimaerwärmung bei. Es werden große Mengen an Rohstoffen der Natur entnommen und es entstehen Abfälle. Weltweit ist der Bausektor für fast 40% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. In Deutschland verursachen der Bau und der Betrieb von Gebäuden ca. 40% der CO2-Emissionen und verbrauchen 90% der mineralischen, nicht nachwachsenden Rohstoffe in der Baustoffproduktion. Das muss sich ändern.

 

Die Emissionen aus der Herstellung von Baumaterialien (graue Emissionen) und der zugehörige Energieverbrauch (graue Energie) sind beim Neubau entscheidende Stellschrauben für den Klimaschutz. Die graue Energie umfasst die Energie zum Gewinnen von Materialien, zum Herstellen und Verarbeiten von Bauteilen, zum Transport von Menschen, Maschinen, Bauteilen und Materialien zur Baustelle, zum Einbau von Bauteilen im Gebäude sowie zur Entsorgung. Bei einem energieeffizienten Neubau (KfW 55-Standard) macht die graue Energie ca. 50% des Energieverbrauchs im Lebenszyklus des Gebäudes aus. Bisher beziehen sich das Gebäude-Energie-Gesetz und die KfW- Förderung nur auf die Nutzungsphase eines Gebäudes, dadurch wird der wichtige Teil der grauen Energie und der grauen Emissionen ignoriert. Wird bspw. der Holzrahmenbau angewendet, können die grauen Emissionen um 45% gemindert werden und die Mehrkosten liegen im unteren einstelligen Prozentbereich.

Antrag 50/I/2021 Situation von Berliner Careleaver*innen verbessern!

19.03.2021

Careleaver*innen sind junge Volljährige, die während ihrer Kindheit und/oder Jugend in betreuten Wohngruppen und anderen stationären Hilfen zur Erziehung oder in Pflegefamilien aufgewachsen sind und im Übergang zum Erwachsenenleben die stationäre Jugendhilfe verlassen. Dieser Übergang stellt viele vor besondere Herausforderungen. Careleaver*innen müssen schneller und früher selbstständig werden als ihre Altersgenoss*innen. Laut Daten des Statistischen Bundesamts von 2019 ziehen junge Menschen in Deutschland erst mit knapp 24 Jahren bei ihren Eltern aus. Careleaver*innen hingegen verlassen die Jugendhilfe in der Regel bereits im Alter von 18 Jahren. Dieser Übergang in die Selbstständigkeit ist mit vielen Risiken verbunden und kann in der Regel nicht durch familiäre Unterstützung abgefedert werden. Wir sehen im Folgenden die Altersspanne nach dem Verlassen der Jugendhilfe bis zum Alter von 27 Jahren als zentralen Zeitraum für die Unterstützung von Careleaver*innenn an. Im Zweifel müssen die Ansprüche jedoch nach dem individuellen Bedarf geregelt werden.

 

Wohnungsmarkt

Während der stationären Jugendhilfe sind die Jugendlichen in Wohngruppen oder in Wohnungen des Trägers untergebracht. Mit dem Verlassen der Jugendhilfe müssen Careleaver*innen auch die Trägerwohnung verlassen und neuen Wohnraum finden. Der Wohnungsmarkt in Berlin ist bereits angespannt, aber gerade Careleaver*innen sind bei der Wohnungssuche benachteiligt. Aufgrund ihres Alters haben sie häufig noch kein festes und sicheres Gehalt. Eine Bürgschaft von Familienangehörigen einzuholen ist jedoch meist auch keine Option. Wir fordern daher, dass das Jugendamt als Bürgschaft für Careleaver*innen einspringt, solange sie selbst noch kein festes und ausreichendes Einkommen erzielen. Während andere junge Menschen im Notfall bei ihrer Familie wohnen können, besteht wegen des fehlenden familiären Netzes für Careleaver*innen das unmittelbare Risiko der Wohnungslosigkeit. Wir fordern daher, dass Careleaver*innen Zugang zum Geschützten Marktsegment des Landes Berlins erhalten.

 

Der Übergang ins Erwachsenenalter ist oftmals von Brüchen und Veränderungen geprägt, die nicht selten mit einem Ortswechsel einhergehen. Viele junge Menschen ziehen ganz selbstverständlich zwischen dem Abschluss oder dem freiwilligen Dienst im Ausland und dem Beginn der Ausbildung oder des Studiums zeitweise zu ihren Eltern. Careleaver*innen haben diese Möglichkeit nicht. Um sie in solchen Übergangsphasen zu unterstützen fordern wir die unkomplizierte und unbürokratische Bereitstellung von befristetem möbliertem Wohnraum in Form von Ein-Zimmer-Appartements oder die Übernahme von Kosten bei Übernachtungen in Hostels speziell für Careleaver*innen. So können Careleaver*innen in Wohnungen oder Hostels unterkommen, wenn sie aufgrund eines Umzugs, eines Job- oder Studienfachwechsels und anderen Veränderungen befristet eine Übergangswohnung benötigen.

 

 Arbeit, Ausbildung & Hochschule

Bildung ist ein Grundrecht und darf nicht vom familiären Hintergrund abhängen. Unsere Bildungsinstitutionen müssen insbesondere für Careleaver*innen Angebote der Beratung, des Mentorings und des Austausches bereitstellen. Die Möglichkeit, eine Hochschule zu besuchen oder eine Ausbildung zu beginnen, wird außerdem von der Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen beschränkt. So setzen viele Berufsausbildungen den Besitz einer Fahrerlaubnis oder gar eines eigenen Autos voraus. Zudem gehört zur Grundausstattung von Auszubildenden und Studierenden der Zugang zu Internet und einem Laptop oder PC. Weiterhin sollen auch Careleaver*innen die Möglichkeit erhalten, an Summer Schools, Auslandssemestern und anderen (aus-)bildungsrelevanten Angeboten teilzuhaben. Wir fordern die Einrichtung eines Fonds für die Finanzierung von Aus- und Bildungsvorhaben für Careleaver*innen. Careleaver*innen mit seelischen oder körperlichen Beeinträchtigungen werden oftmals nach dem Verlassen der Jugendhilfe an die Eingliederungshilfe weitergeleitet. Dadurch können jedoch nicht immer alle Potentiale ausreichend gefördert werden. Daher fordern wir eine genaue Prüfung bevor an die Eingliederungshilfe übersendet wird. Idealerweise sollen die Betroffenen die sogenannte Hilfe für junge Volljährige erhalten.

 

 Finanzielle Unterstützung

Careleaver*innen sind aufgrund des Bruchs zur oder das Fehlen von der Herkunftsfamilie finanziell auf sich allein gestellt. Bei Brüchen im Lebenslauf ist es wichtig, dass die finanzielle Unterstützung aufgrund von bürokratischen Hürden nicht abbricht, sodass keine Finanzierungslücken entstehen. Die nahtlose Finanzierung muss unbedingt sichergestellt werden. Daher müssen Jugendämter Careleaver*innen solange finanziell unterstützen bis die zuständige Stelle die konkreten Zahlungen vornimmt.

 

Bürokratische Hürden treten auch dann auf, wenn Mitarbeiter*innen in Ämtern und Behörden ungenügend für die Situation von Careleaver*innenn geschult werden. BAföG- Ämter dürfen Careleaver*innenn die finanzielle Unterstützung nicht verweigern, weil sie den Kontakt zur Familie verloren haben. Mitarbeiter*innen in Ämtern und Behörden sollen daher bezüglich der besonderen Bedarfe von Careleaver*innenn besser geschult werden.

 

Weiterhin muss ein Fonds geschaffen werden, der Careleaver*innen in Notsituationen unterstützt. Ein Wasserschaden oder der Verlust des Monatstickets für den ÖPNV dürfen nicht zum Abbruch der Ausbildung oder des Studiums und zur Existenzbedrohung führen. In Notfällen braucht es schnelle und unbürokratische Hilfe für Careleaver*innen.

 

 Persönliche Entwicklung und Netzwerke

Nachdem Careleaver*innen die Jugendhilfe verlassen, ist es von den Trägern und einzelnen Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen abhängig, inwiefern Kontakt gehalten wird bzw. gehalten werden kann. Damit dieser Kontakt nicht davon abhängt, ob Träger über finanzielle oder personelle Kapazitäten verfügen, fordern wir eine Pauschale für Träger, um die nachsorgende Betreuung zu ermöglichen, sofern die Careleaver*innen dies wünschen. Dafür sind weitgehende finanzielle Mittel notwendig. Da die Jugendämter bereits jetzt überlastet sind, fordern wir eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Jugendämter. Nur wenn Jugendämter ausreichend personelle Ressourcen haben, sind die Mitarbeiter*innen in der Lage, in regelmäßigen Abständen Hilfeplangespräche zu führen und den Übergang aus der Jugendhilfe gemeinsam mit den Careleaver*innenn vorzubereiten. Weiterhin müssen Maßnahmen umgesetzt werden, um die Arbeit in den Jugendämtern attraktiver zu gestalten. Neben einer angemessenen Bezahlung müssen Mitarbeiter*innen in den Jugendämtern Zugang zu regelmäßigen Weiterbildungen erhalten.

 

Kinder und Jugendliche, die in Pflegefamilien aufgewachsen sind, stellen bezüglich der Nachbetreuung eine eigene Gruppe dar. Während manche Pflegefamilien in Kontakt bleiben, bricht bei vielen der Kontakt mit dem Ende der Jugendhilfe ab. Sobald die Jugendhilfe endet, verlieren Pflegeeltern ihre Privilegien, wie z.B. ein monatliches Pflegegeld, verschiedene finanzielle Beihilfen, etwa zur Einschulung oder Erstausstattung, Beratungsmöglichkeiten durch das Jugendamt und Entscheidungsbefugnisse. Um den weiteren Kontakt zwischen Pflegeeltern und Pflegekindern zu fördern, fordern wir, dass Pflegeeltern auch nach Ende der Vollzeitpflege unterstützt werden und Zugang zu Beratungen des Jugendamts und finanziellen Mitteln erhalten. Pflegeeltern stellen für Careleaver*innen wichtige Bezugspersonen dar und sollten, wenn der Wunsch des Careleavers besteht, auch nach der Vollzeitpflege Teil ihres Lebens bleiben.

 

Careleaver*innen benötigen auch Anlaufstellen, welche unabhängig von Trägern und Jugendämtern arbeiten. Wir fordern daher die langfristige Schaffung einer zentralen und unabhängigen Anlaufstelle für Careleaver*innen nach dem Vorbild des Kompetenznetzes Careleaver*innen, das bereits in Berlin existierte. Hier sollen Careleaver*innen Zugang zu unabhängigen Informationen, Beratung und den Zugang zu einem Netzwerk von anderen Careleaver*innen erhalten. Die Anlaufstelle soll als physische Anlaufstelle mit einem großen Aufenthaltsraum sowie getrennten Büro- und Beratungsräumen ausgestattet sein. Über diese Anlaufstelle sollen nicht nur Beratungsgespräche stattfinden, sondern auch Workshops, Vernetzungstreffen und Wochenendfahrten angeboten werden. In den Beratungsgesprächen kann unabhängig von finanziellen Interessen der Übergang in die Selbstständigkeit, aber auch die Nachbetreuung nach dem Verlassen der Jugendhilfe thematisiert werden. Außerdem soll die Möglichkeit der Interessensorganisation bestehen, sodass Careleaver*innen ein Mitspracherecht erhalten.

 

 Forschung

Die Datenlage zu Careleaver*innen ist in Deutschland dünn. Wir fordern, dass das Verlassen der Jugendhilfe und die Nachsorge wissenschaftlich begleitet werden und im besten Fall in einer Längsschnittstudie münden.

 

 Corona

Die Coronapandemie trifft insbesondere Careleaver*innen hart. Daher fordern wir den Zugang zu Hilfen der Jugendhilfe für junge Volljährige zu erleichtern und die Altersgrenze bis zur Vollendung des 21. in Einzelfällen bis zum 25. Lebensjahres anzuheben. Der Hilfeplan soll individuell verhandelt werden.

Antrag 75/I/2021 Sachliche Information statt PR – für eine konsequente Social-Media-Kommunikation der Polizei Berlin

19.03.2021

Nicht nur für uns als junge Menschen ist das Internet kein Neuland – auch die Polizeibehörden haben mittlerweile entdeckt, dass sich über das Internet respektive die Sozialen Medien wesentlich schneller Meldungen verbreiten lassen und sich über sie öffentliche Debatten prägen lassen. Das gilt nicht zuletzt für die Berliner Polizei, die sich in den Sozialen Netzwerken Twitter, Facebook, Instagram und TikTok wohlfühlt.

 

Die Polizei Berlin hat bereits mehrere Falschmeldungen auf ihren sozialen Profilen veröffentlicht. Diese teils widerlegten Behauptungen führten nicht nur zu Desinformationen, sondern sollte die links autonome Szene diffamieren. Das muss sich ändern!

 

Polizeiaccounts genießen inzwischen hohe Reichweiten in Sozialen Medien. Auf Twitter, einem Microblogging-Portal, das gerade Journalist*innen überdurchschnittlich häufig nutzen, gehört der Berliner Polizei-Account @polizeiberlin mit knapp 500.000 Follower*innen (Stand Januar 2021) zu den reichweitenstärksten Accounts im deutschsprachigen Raum – er hat wesentlich mehr Follower*innen als andere Behördenaccounts wie dem Regierenden Bürgermeister (ca. 31.000), allerdings weniger als „Der Spiegel“ (2,7 Mio.) oder „Bild“ (1,7 Mio.), spielt aber also in derselben Größenordnung im Mediengeschehen mit.

 

Schon das bringt aber ein Problem mit sich: Zu Recht wird im Bezug auf die Medien von einer „vierten Gewalt“ gesprochen. Im Gegensatz zu den ersten drei Gewalten sind die Medien keine Staatsgewalt, sondern haben die Funktion, öffentlich das Handeln des Staates zu kontrollieren.

 

Daher fordern wir:

  • In den einschlägigen Polizei- und Ordnungsgesetzen werden klare gesetzliche Regelungen aufgenommen, unter welchen Umständen und in welchen Grenzen Öffentlichkeitsarbeit der Polizeibehörden stattfinden darf. Daran muss sich die Polizei halten.
  • Die Polizei darf Social-Media-Accounts benutzen
    1. zur Verbreitung von Informationen, bei denen ein großes öffentliches Interesse vorliegt und die unmittelbare zeitliche Nähe der Berichterstattung für die Bevölkerung notwendig ist sowie
    2. zur Öffentlichkeitsarbeit, soweit sie nicht das Ergebnis einer Ermittlung vorwegnimmt oder geeignet ist, die öffentliche Meinung bezüglich einer Ermittlung zu beeinflussen oder komplexe Abläufe so vereinfacht, dass der Gang des öffentlichen Diskurses negativ beeinträchtigt wird. Die Informationen mit großem öffentlichen Interesse und die Öffentlichkeitsarbeit sind durch getrennte, eigens dafür ausgezeichnete und bezeichnete Accounts zu verbreiten.
  • die Polizei kann auch weiterhin in den sozialen Netzwerken aktiv sein. Dies muss aber im Einklang mit den Regeln für eine angemessene Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einhergehen.

    Antrag 64/I/2021 Nichtraucher*innenschutz in Berliner Clubs endlich konsequent umsetzen - Für eine rücksichtsvolle und diverse Clubkultur

    19.03.2021

    Passivrauch besteht aus über 7000 chemischen Stoffen, von denen nachweislich hunderte giftig und mind. 70 krebserregend sind. Besonders gefährlich ist Passivrauch in Innenräumen, da er hier nicht oder nur teilweise abziehen kann und sich stattdessen in der Luft und den Einrichtungsgegenständen anreichert.

     

    Die Studienlage zu Passivrauchen zeigt im Allgemeinen auf, dass hierbei ein erhöhtes Krebsrisiko vorhanden ist. Meta-Analysen ergaben, dass im Verhältnis zu Nichtrauchern ohne Aussetzung mit Zigarettenrauch ein 9,25% höheres Risiko, an Diabetes Mellitus Typ 2 zu erkranken, vorhanden ist. Ebenfalls gilt dies für das Schlaganfall-Risiko, bei dem sich das Gesamtrisiko bei Passivrauch um 45 % erhöht. Dies verdeutlicht, dass auch die passive Aufnahme von Zigarettenrauch schädliche und schwerwiegende Folgen haben kann. Laut dem Deutschen Krebsforschungszentrum führt Passivrauchen zu über 3300 Toten pro Jahr.

     

    Diese und viele weitere wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Gefahren und Schäden des Passivrauchens sind seit Jahrzehnten bekannt und dennoch werden sie nach wie vor in erschreckendem Maße von der Politik vernachlässigt und ignoriert. Eine besondere Lage existiert in den Berliner Clubs, bei denen beispielsweise 2012 in Form einer Berliner Clubstudie massive Verstöße gegen das Berliner Nichtraucher*innenschutzgesetz festgestellt wurden. Im Jahr 2019 lag Deutschland in Bezug auf wirksame Tabakkontrollen auf der „Tobacco Control Scale“ noch immer auf dem letzten Rang der
     europäischen Länder.

     

    Seit 2012 hat sich an diesem Problem wenig geändert. Die meisten Clubs dulden/fördern weiterhin illegalerweise das Rauchen in ihren Innenräumen, während die Bezirksämter weitestgehend tatenlos zuschauen. Der mangelnde Nichtraucher*innenschutz in den Clubs hat wortwörtlich toxische Zustände zur Folge. Verrauchte Clubs und Bars sind die am stärksten luftverschmutzten öffentlichen Orte in ganz Berlin, da die Feinstaub- und weitere Schadstoffbelastung von Zigarettenrauch um ein Vielfaches höher als die von Autoabgasen liegt. Geltende Feinstaubgrenzwerte für den Außenbereich werden hier um ein Vielfaches überschritten. Jeder Atemzug in dieser giftigen Umgebung schadet dem Körper. Die erheblichen Gesundheitsgefahren des Passivrauchens betreffen dabei nicht nur nichtrauchende Menschen, sondern auch die Raucher*innen selbst, da sie dem toxischen Rauch doppelt (aktiv und passiv) ausgesetzt sind.

     

    Das Berliner Nichtraucher*innenschutzgesetz ist in seiner aktuellen Form seit 2009 in Kraft und sieht vor, dass die Tanzflächen generell rauchfrei sein müssen. Das Rauchen ist nur in ausgewiesenen und vollständig abgetrennten Nebenräumen (in denen nicht getanzt werden darf) gestattet. Ein Nichtraucherschutzgesetz, dass den erforderlichen Schutz abbildet gibt es in NRW schon seit 2013, es ist politisches Thema. Ziel des Gesetzes war es, den Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens im kulturell relevanten Bereich der Clubs zu gewährleisten. Dieses Ziel wurde auch nach über 10 Jahren nicht erreicht. Das Gesetz ist in seiner jetzigen Form im Bereich des Nachtlebens gescheitert. Eine Gesetzesvorlage der SPD-geführten Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung zur Verschärfung des Nichtraucher*innenschutzgesetzes, die dem Berliner Abgeordnetenhaus bereits 2018 vorlag, wurde bis heute nicht beschlossen. Der Entwurf erkennt zwar teilweise das Gesetzesversagen an, geht jedoch nicht annähernd weit genug, um das Problem für die Zukunft zufriedenstellend zu lösen.

     

    Der Grund, warum Nichtraucher*innenschutz von einigen noch immer nicht ernst genommen wird, hat viel mit Falschinformationen zur Gefährlichkeit von Passivrauchen zu tun (die Tabakindustrie verbreitete jahrzehntelang gezielt Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen). Außerdem besteht oft ein Missverständnis darüber, um was es beim Nichtraucher*innenschutz im Kern geht. Räumliche Rauchverbote haben nicht zum Ziel, Raucher*innen das Leben schwer zu machen, sondern die Gesundheit ALLER, insbesondere aber von Nichtkonsumierenden, zu schützen. Die Gewährleistung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit und gesellschaftliche Teilhabe hat weder etwas mit Spießigkeit, noch mit staatlichem Kontrollwahn oder gar Gesundheitsfanatismus zu tun. Es ist schlichtweg wissenschaftlich und ethisch geboten. Es geht nicht um Verbote, sondern um Schutz! Die Wichtigkeit dieses Anliegens zeigt sich in den folgenden Teilaspekten:

     

    Nichtraucher*innenschutz bedeutet Gesundheitsschutz

     

    Mit dem Wissen, dass Rauchen in geschlossenen Räumen in erheblichem Maße für alle Anwesenden gesundheitsschädlich ist und jeden Tag in Deutschland statistisch gesehen über 9 Menschen durch Passivrauchen sterben, darf die Politik nicht untätig bleiben. Die evidenzbasierte und menschenrechtsorientierte Lösung zur Minderung dieser Fremd- und Eigenschädigung wäre die konsequente Umsetzung von Rauchverboten in den Innenräumen der Clubs, so wie es sich mittlerweile überall auf der Welt und in weiten Teilen Deutschlands durchgesetzt hat. Berlin darf nicht länger ein weißer Fleck auf der Landkarte des Nichtraucher*innenschutzes bleiben und muss seine Pflicht zur Umsetzung des WHO-Tabakrahmenübereinkommens von 2004 (Art. 8) und den Empfehlungen des Rates der EU über rauchfreie Umgebungen (2009/C 296/02) endlich ernst nehmen.

     

    Ein Rauchverbot in den Club-Innenräumen bedeutet im Gegenzug auch, dass alternative (sicherere) Orte zum Rauchen geschaffen werden müssen, wie z.B. überdachte und ggf. beheizte Außenflächen. Es kann selbstverständlich weiterhin geraucht werden – nur eben nicht überall. Wenn die örtliche Verlegung des Rauchens (um wenige Meter nach draußen) die Gesundheit und Teilhabe anderer Menschen gewährleistet und schützt, dann ist das eine angemessene und verhältnismäßige Einschränkung der freien Entfaltung von Raucher*innen.

     

    Nichtraucher*innenschutz bedeutet Arbeitsschutz

     

    Ein besonderes Anliegen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbewegung war und ist es, die Arbeitsbedingungen von Arbeiter*innen und Angestellten zu verbessern und körperliche sowie psychische Schäden in diesem Zusammenhang zu verhindern. Vor diesem Hintergrund ist es inakzeptabel, dass Menschen bei der Arbeit permanent hochgradig schadstoffbelastete Luft einatmen müssen. Deshalb sollten Angestellte im Berliner Nachtleben in besonderer Weise vor unfreiwilligem Rauchen geschützt werden.

     

    Nichtraucher*innenschutz bedeutet Selbstbestimmung

     

    Aufgeklärter und mündiger Drogengebrauch bedeutet in erster Linie körperliche Selbstbestimmung. Der Konsum einer Substanz ist unter freiheitlichen Bedingungen genauso legitim wie der Nicht-Konsum. Im Moment ist die clubkulturelle Erfahrung in Berlin jedoch an einen gezwungenen (passiven) Tabakkonsum gekoppelt. Wer an Clubkultur teilhaben will, muss zwangsläufig Tabak mit-rauchen. Um die derzeitige Situation mit einem Gedankenexperiment greifbar zu machen: Das wäre, als ob man beim Einlass sagen würde, dass du den Club nur dann betreten darfst, wenn du bereit bist, 4 Shots hochprozentigen Alkohol zu trinken. Die Entscheidung für oder gegen den Konsum einer Substanz, einschließlich möglicher Nebenwirkungen und Schäden, muss jedoch eine höchstpersönliche und emanzipierte Entscheidung sein. Dies ist umso wichtiger, je größer das Fremd- und Eigenschädigungspotential einer Substanz ist, was im Fall von Tabak in besonderem Maße zutreffend ist. So gehört Tabak nicht nur zu den suchterzeugendsten Substanzen überhaupt, sondern ist auch eine der tödlichsten. Allein in Deutschland sterben pro Jahr 127.000 Menschen an den Folgen des Rauchens, was ca. 13 Prozent aller Tode entspricht. Gerade auch vor diesem ernsten Hintergrund muss die Entscheidung gegen das (passive) Rauchen akzeptiert und strukturell ermöglicht werden, indem Clubkultur rauchfrei erlebbar wird.

     

    Nichtraucher*innenschutz bedeutet Awareness

     

    Awareness-Konzepte sollen dazu führen, dass sich alle Menschen im Club wohl, frei und sicher fühlen können. Der derzeitige Mangel an Nichtraucher*innenschutz hat zur Folge, dass eben genau das nicht der Fall ist. Menschen fühlen sich berechtigterweise durch das unfreiwillige Passivrauchen unwohl und in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Legitime Gesundheits- und Selbstbestimmungsinteressen werden unter der bisherigen ‚Laissez-faire-Praxis‘ grob missachtet. Außerdem führt das Rauchen auf den Tanzflächen regelmäßig zu Verbrennungen an Haut und Kleidung. Auch diese Form der Belästigung/Schädigung wäre durch die Umsetzung eines Rauchverbots vermeidbar. Am Ende geht es um ein rücksichtsvolles, respektvolles und aufmerksames Miteinander im Club, was auch für den Tabakkonsum gelten muss.

     

    Nichtraucher*innenschutz bedeutet Gleichstellung, Inklusion und Diversität

     

    Die Berliner Clubs sind mehr als bloße Vergnügungsstätten. Sie sind Orte der sozialen Begegnung, des kulturellen Schaffens/Erlebens und nicht zuletzt auch ein Zufluchtsort/Safer Space für Personengruppen, die in der Mehrheitsgesellschaft mit Problemen zu kämpfen haben. Mangelnder Nichtraucher*innenschutz ist gesundheitsschädigend und ausgrenzend. Für manche Personengruppen (chronisch kranke Menschen wie Asthmatiker*innen, Allergiker*innen, Schwangere, Stillende, Menschen mit Krankheitsvorgeschichte, Ex-Raucher*innen oder einfach gesundheitsbewusste Menschen) stellt ein verrauchter Raum unter Umständen eine harte Barriere dar. Vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie, müssen wir davon ausgehen, dass viele Menschen Langzeitschäden (Long Covid), insbesondere auch die Lunge betreffend, davontragen werden. Für all diese Menschen besteht bisher kein oder nur eingeschränkter Zugang zur Clubkultur. Auch Menschen, die auf Safer Spaces angewiesen sind, werden auf diese Weise potenziell ausgegrenzt. Ziel sollte es sein, Barrieren wie diese zu erkennen und abzubauen. Davon auszugehen, dass jeder Mensch fähig ist, verraucht-toxische Luft zu atmen, ist ableistisch. Die Berliner Clubs dürfen keine exklusiven Orte für Raucher*innen sein, sondern sollten allen Menschen prinzipiell offen stehen, unabhängig von körperlichen Einschränkungen oder der bewussten Entscheidung gegen Tabakkonsum.

     

    Immer wieder werden Argumente vorgebracht, wonach ein konsequenter Nichtraucher*innenschutz angeblich zu einer hohen finanziellen Belastung der Clubs und so zu einer Schwächung der Clubkultur führen würde. Diese – vor allem von der Tabakindustrie produzierten Zweifel – wurden bereits in zahlreichen unabhängigen Studien widerlegt. Auch das Deutsche Krebsforschungszentrum hat diese Behauptung mit einer eigenen Studie widerlegt. Unabhängig davon dürfen Gesundheitsinteressen nicht durch ökonomische oder finanzielle Argumente ausgespielt werden.

     

    Fast überall auf der Welt sind Clubs mittlerweile rauchfrei. Nur in Berlin soll das nicht möglich sein? Nichtraucher*innenschutz war und ist ein zutiefst progressives Anliegen, bei dem Menschenrechte, insbesondere Selbstbestimmungs- und Gleichstellungsüberlegungen, im Vordergrund stehen.

     

    Berlin ist völlig zurecht für seine wertvolle und diverse Clubkultur bekannt und beliebt. Sie steht in einer wohl einmaligen Art und Weise für Freiheit und Hedonismus. Aber auch hier muss das Prinzip der Rücksichtnahme gelebt und die Grenzen anderer Menschen respektiert werden. Freiheit darf niemals zur Einbahnstraße werden. Deshalb sollte es uns ein dringliches und wichtiges Anliegen sein, die Berliner Clubkultur mithilfe eines konsequenten Nichtraucher*innenschutzes sicherer, rücksichtsvoller und gerechter zu gestalten!

     

     Unsere Forderungen lauten daher wie folgt:

    • Die wissenschaftlichen Evidenzen zum Passivrauchen müssen von der Berliner Politik endlich ernst genommen werden und effektive Schritte zum Schutz vor den erheblichen Gesundheitsgefahren unternommen werden. Leitlinien für den politischen Umgang mit der Passivrauchproblematik sollten die Forschungsergebnisse und Empfehlungen des Deutschen Krebsforschungszentrum sein. Tabakpolitik muss sich an der Wissenschaft und den Menschenrechten ausrichten ohne politische Einflussnahme der Tabakindustrie.
    • Die Berliner Senatsverwaltung muss sich explizit zu ihren Verpflichtungen im Rahmen der WHO-Tabakrahmenkonvention und den Empfehlungen des Rats der Europäischen Union über rauchfreie Umgebungen (2009/C 296/02) bekennen.
    • Die Berliner Clubs müssen vollständig als kulturelle Einrichtungen anerkannt werden und dementsprechend dann auch im Nichtraucher*innenschutzgesetz behandelt werden.
    • Das Berliner Nichtraucher*innenschutzgesetz muss dringend in folgenden Punkten novelliert werden:
    • Abschaffung der Ausnahmen für den Gastronomiesektor (Nebenraum- und Einraumregelung) in Bezug auf Clubs, denn diese sind ein Hauptgrund für das Vollzugschaos und die Wettbewerbsverzerrungen
    • Deutliche Anhebung des Strafmaßes, um das massive Vollzugsproblem in den Griff zu bekommen. Die in der derzeitigen Vorlage vorgesehenen Bußgelder von bis zu 10.000 Euro sind nach wie vor deutlich zu gering angesetzt, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Darüber hinaus müsste auch die gesetzliche Möglichkeit vorgesehen sein, einen Betrieb bei andauernder bzw. systematischer Missachtung des Nichtraucher*innenschutzgesetzes kurzweilig oder permanent zu schließen. Sinnvoll wäre hier eine Stufenregelung, die noch moderate Bußgelder beim ersten Verstoß vorsieht, jedoch bei allen weiteren Verstößen wesentlich empfindlichere Bußgelder/Strafen (bis zum Entzug der Betriebserlaubnis) festsetzt. Der Verstoß gegen das Nichtraucher*innenschutzgesetz ist kein Bagatelldelikt und muss dementsprechend auch behandelt werden.
    • Gut sichtbare und unmissverständliche gesetzliche Kennzeichnungspflicht zum Rauchverbot in allen Innenräumen und den Außeneingängen, sodass Besucher*innen aufgeklärt werden und die Clubbetreiber*innen sich ihrer Verantwortung nicht mehr entziehen können.
    • Verpflichtung jedes Clubs zur Vorlage eines effektiven Nichtraucher*innenschutz- Konzepts, das mit der Berliner Clubkommission gemeinsam erarbeitet wird.
    • Niedrigschwellige Präventionsprojekte wie die Nachtbürgermeister*innen, insbesondere für jene Bezirke mit besonders viel Nachtleben. Generell muss es für Betroffene viel einfacher sein, sich gegen Verstöße gegen das Nichtraucher*innenschutzgesetz zur Wehr zu setzen. Deshalb sollte für jeden Bezirk eine zuständige Person für Nichtraucher*innenschutz ausgewiesen und kontaktiertbar sein.
    • Es müssen nachdrückliche Gespräche zu diesem Thema mit den Clubbetreibenden (insbesondere mit der Clubcommission Berlin als zentraler Interessenvertretung) geführt werden, die auf eine eigenverantwortliche Umsetzung des Nichtraucher*innenschutzgesetzes abzielen (sodass im besten Fall gar nicht erst groß kontrolliert werden muss). Es geht darum Akzeptanz zu schaffen und einen Mentalitätswandel beim Nichtraucher*innenschutz anzustoßen.
    • Eine breitangelegte Aufklärungskampagne zu den Gefahren des Passivrauchens, die sich auch gezielt an die Berliner Party-Szene und die Clubkommission richtet. Von Berlin geförderte drogenbezogene Projekte wie ‚Sonar Berlin‘ könnten hier sinnvoll eingebunden werden.