Ein gegenwärtiger Blick auf den öffentlichen Raum in der Stadt zeigt: Berliner*innen teilen den Gehweg nicht nur miteinander, sondern mit Cafétischen, Stromzapfsäulen und seit Neustem auch mit Sharing-Fahrrädern, E-Tretrollern sowie E-Motorrollern.
Wie viele Mietfahrräder, E-Tret- und -motorroller in der Hauptstadt auf Gehwegen, Plätzen, Parks und Straßen stehen, ist nicht bekannt. Allein bei den Mietfahrrädern wird von ca. 30.000 ausgegangen. Zum ohnehin maroden Zustand der Gehwege, kommt die stetig wachsende Zahl neuer Verkehrsmittel hinzu und führt vielerorts zu chaotischen und gefährlichen Zuständen: Neben hochstehenden Bodenplatten, nicht abgesenkten Bordsteinkanten und Cafétischen, stehen Mietfahrräder, Elektrotret- und -motorroller wild auf den Gehwegen und versperren zusätzlich Kinderwägen und Rollstühlen den Weg. Für Menschen mit beeinträchtigter Sicht oder Sehbehinderung sind sie gefährliche Hindernisse und Stolperfallen. Defekte Mietfahrräder und Elektrotretroller liegen achtlos umher. Ein neuer Nutzungskonflikt auf Berlins Gehwegen ist entstanden.
Diese Situation auf den Gehwegen steht sinnbildlich für den Wandel und Versuch neue Formen der Mobilität zu erschließen. Ausgangspunkt für die verschärfte Situation auf den Gehwegen ist die veränderte Situation auf den Straßen. Die Zunahme an Fahrzeugen bei gleichzeitig kaum erfolgter Anpassung der Infrastruktur erhöht den Druck auf die Gehwege. Es lässt sich festhalten, dass der Mobilitätswandel auf den Straßen auf Kosten des öffentlichen Raums und der Allgemeinheit vorangetrieben wird.
Wir verstehen den Gehweg als Teil des öffentlichen Raums und des Gemeinwohls. Wir verneinen die Kapitalisierung des öffentlichen Raums.
Ein Gehweg ist ein Straßenabschnitt, der einzig für den Fußverkehr vorgesehen ist. Er wird dem öffentlichen Raum zugeordnet, ist somit für alle öffentlich zugänglich und dient dem Gemeingebrauch. In Berlin umfasst der öffentliche Raum 892 Quadratkilometer. Dabei beträgt die Gehwegfläche 34,6 Quadratkilometer. Für uns ist klar: kein Profit mit dem öffentlichen Raum und zu Lasten der Allgemeinheit!
Sharing-Economy? Schlecht geteilt!
„Sharing-Economy“, zu Deutsch „die Wirtschaft des Teilens“, ist die gemeinschaftliche Nutzung von Gütern und Dienstleistungen, durch Teilen, Tauschen, Leihen, Mieten oder Schenken. Der Grundgedanke dieser Wirtschaftsform geht von der Prämisse aus, Güter nicht mehr selbst zu ihrem*seinem Eigentum zählen zu müssen und die meiste Zeit ungenutzt bleiben. Stattdessen sollen sie je nach Bedarf jederzeit zur Dauer der Nutzung ausgeliehen werden können. Zur Sharing-Economy gehören Konsumformen wie Online-Plattformen, Apps, Unterkünfte, Transportmittel wie zum Beispiel das Auto, Fahrrad, Tret- und Motorroller sowie finanzielle Dienstleistungen wie Crowdfunding.
Was auf den ersten Blick eine bessere Alternative zum vorherrschenden Kapitalismus zu sein scheint, ist jedoch aus sozialistischer und nachhaltiger Perspektive weitaus kritischer zu betrachten. Die Schattenseiten der Sharing-Economy haben mit unserer Utopie der Gesellschaft der Freien und Gleichen nur wenig zu tun:
Statt der öffentlichen Hand, wird das Eigentum der Sharing-Angebote wie beispielsweise Sharing-Fahrräder, E-Tretroller und E-Motorroller hauptsächlich von Privatpersonen und Interessensgruppen bereitgestellt. Diese betreiben ihr Geschäftsmodell ausschließlich mit einem hohen Gewinninteresse und Profitdruck im öffentlichen Raum. Darüber hinaus erhalten nicht alle Berliner*innen den gleichen Zugang zu den Sharing-Angeboten. In der Innenstadt ist die Dichte der Sharing-Angebote größer als in anderen Teilen Berlins. Zudem sind die Angebote ausschließlich per Smartphone und meist nur unter Verwendung einer Kreditkarte nutzbar.
Des Weiteren müssen die Beschäftigungsformen der Sharing-Economy kritisch betrachtet werden: Jeden Abend sammeln vermeintlich Selbstständige die E-Fahrzeuge von den Gehwegen ein, um sie Zuhause zu laden und anschließend wieder an vorgegebenen Plätzen abzustellen. Für Kleinstbeträge transportieren diese Menschen mit eigenen Fahrzeugen eine begrenzte Zahl von Tretrollern und hängen sie in der eigenen Wohnung an ihr privates Stromnetz an. Hier wird der Kapitalismus auf den Kopf gestellt: die Arbeiter*innen müssen ihr eigenes Kapital einsetzen, um die Aufträge des Sharing-Unternehmens auszuführen. Oftmals bleibt dabei nicht einmal der Mindestlohn übrig. Von Sozialversicherung und langfristigen Jobperspektiven ganz zu schweigen. Für uns ist klar – hier wird schlecht geteilt: Arbeit, Risiko, prekäre Beschäftigung und Ressourceneinsatz bei den Arbeiter*innen, Profite bei den Unternehmen.
Bei jeder Fahrt erheben zudem Sharing-Anbieter Daten ihrer Nutzer*innen. Die Benutzung der Mietfahrräder, E-Tretroller und E-Motorroller erfolgt hauptsächlich über Smartphone-Apps. Durch die Smartphone-App können die Sharing-Betreibenden auf den Standort der*des jeweiligen Konsumentin*Konsumenten zurückzugreifen. Mit den erlangten Informationen werden Bewegungsprofile erstellt, Werbebotschaften geschaltet und die Daten der Verbraucher*innen vermarktet. Für uns ist klar: kein Handel mit Verbraucher*innendaten! Das europäische Datenschutzrecht muss eingehalten werden – dies gilt auch für Sharing-Unternehmen mit Sitz außerhalb der Europäischen Union!
Daher fordern wir die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz auf:
– eine Bestandsaufnahme zur Ermittlung der aktuell im Land Berlin stehenden Sharing-Fahrräder, Elektrotret- und Elektromotorroller sowie die Anzahl der Sharing-Anbieter durchzuführen. Die Bestandsaufnahme soll zum Ende des I. Quartals 2020 veröffentlicht und gleichzeitig dem Abgeordnetenhaus von Berlin zur Beratung bereitgestellt werden.
– ein Konzept zu Stellplätzen für Sharing-Fahrräder, E-Tretroller sowie E-Motorroller zu erarbeiten und einzuführen. Hierzu sollen bereits bestehende Fahrradstellplätze deutlich ausgebaut und Autoparkplätze im öffentlichen Raum zu Stellplätzen für Fahrräder, E-Tretroller und E-Motorroller umgewandelt werden.
– die errichteten Stellplätze an Sharing-Unternehmen kostenpflichtig zu vermieten,
– in Berlin begrenzte Free-Floating Flotten zu erlauben. Die genaue Begrenzung der sogenannten Free-Floating Flotten soll aus der Bestandsaufnahme resultieren. Hierbei soll von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz eine empfohlene Anzahl an Sharing-Fahrrädern, E-Tretrollern und E-Motorrollern auf den öffentlichen Gehwegen für die spontane Nutzung zur Verfügung stehen. Nach ihrer Verwendung kann diese begrenzte Anzahl wieder auf den Gehwegen abgestellt werden. Alle darüber hinausgehenden Sharing-Angebote müssen bei den eigens errichteten Stellplätzen abgestellt werden.
– das Bußgeld für ungeordnetes Abstellen zu erhöhen.
– Unerlaubt abgestellte bzw. den Gehweg versperrende E-Tret- und –motorroller, Fahrräder dürfen vom Land Berlin eingesammelt und verwahrt werden. Für das Einsammeln und Verwahren der Sharing-Fahrzeuge müssen die Sharingunternehmen täglich ein von der Senatsverwaltung festgelegtes Bußgeld zahlen. Weitere Maßnahmen sollen von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz in Absprache mit der Senatsverwaltung für Finanzen und dem Rat der Bürgermeister*innen erarbeitet werden,
– weitere Parkverbotszonen in Berlin zu errichten. Wir begrüßen die Einführung von Parkverbotszonen am Brandenburger Tor und am Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte. Gleichwohl fordern wir die berlinweite Einführung von Parkverbotszonen an Mahnmalen und Sehenswürdigkeiten.
– die Sharing-Dienste zu verpflichten das Angebot in ganz Berlin gleichermaßen zu verteilen. Hier muss die Berliner Sozialdemokratie eingreifen: Allen Berliner*innen muss der gleiche Zugang zu gemeinschaftlichen Fortbewegungsmitteln gewährleistet werden!
– auch in der Sharing-Economy Gute Arbeit zu gewährleisten: kein Mindestlohndumping, keine Scheinselbständigkeit!
Langfristig streben wir an, den Verleih von Fortbewegungsmitteln in die öffentlichen Hand zu geben. So profitiert das Gemeinwohl von den Sharing-Angeboten – nicht rein profitorientierte Unternehmen.