Antrag 79/I/2020 Forschen statt Verkaufen: Stärkere Grundfinanzierung von (Grundlagen-) Forschung

Als eine der weltweit stärksten Forschungsnationen investierte Deutschland 2015 circa 3.1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (dies entspricht etwa 115 Milliarden Euro) in Forschung und Entwicklung. Etwa ein Drittel dieser Ausgaben entfällt laut Forschungsatlas der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen.

 

Trotz dieser auf den ersten Blick hoch scheinenden Investitionen klagen Universitäten und Forschungseinrichtungen immer wieder über massive Finanzierungsprobleme. Investitionen von Seiten des Bundes sind aufgrund des Kooperationsverbots oft schwierig. Weil der Großteil der ‚garantierten‘ Finanzmittel für Administration und Aufrechterhaltung von Lehrbetrieb und Infrastruktur bei steigenden Student*innenzahlen verwendet werden müssen, zwingen diese Finanzierungsmängel Professor*innen, Doktorand*innen und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit dem Einwerben von Drittmitteln zu verbringen um bestehende Stellen zu erhalten und neue – meist befristete – Anstellungsverhältnisse zu schaffen. Dies hat dazu geführt, dass die Drittmittelquote bei Universitäten knapp unter 30 Prozent, bei außeruniversitären Forschungseinrichtungen mittlerweile sogar über 30 Prozent liegt.

 

Bund, EU und staatlich finanzierte Förderorganisationen beteiligen sich neben Wirtschaftsunternehmen munter am Ausschreiben von befristeten Projekten mit Finanzierungssummen in Milliardenhöhe. Dies soll durch Wettbewerb unter den Forschenden die optimale Investition in die aussichtsreichsten Projekte garantieren, führt aber zu einer unproportionalen Verteilung der Forschungsgelder zu Gunsten von Professor*innen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen, die besonders gut darin sind, sich selbst zu vermarkten. Beispielhaft dafür sind die Ergebnisse der dritten Runde der sogenannten Exzellenzinitiative, bei der kleinere Universitäten quasi chancenlos waren. Die dringend benötigten Fördermittel wurden an die großen namhaften Universitäten vergeben, bei denen immense Ressourcen in die Antragsarbeit gesteckt wurden.

 

Des Weiteren fokussieren sich bei dieser wettbewerbsartigen Vergabe von Forschungsmitteln – meist in Kooperation mit Industriepartner*innen – die Investitionen auf vermarktbare und gewinnversprechende Ideen. Auch die Wissenschaft schafft es nicht sich der kapitalistischen Verwertungslogik zu entziehen. Oft werden nur Kombinationen bereits erfolgreicher Forschung als innovativ verkauft und wegen hoher Erfolgsaussichten finanziert. Ideen, Visionen und Träume, die einst der Ursprung von wissenschaftlichem Fortschritt in allen Bereichen waren, gehen bei solchen Vergabeverfahren tendenziell eher leer aus, da die Aussichten auf Erfolg oft nicht kalkulierbar sind. Professor*innen und Wissenschaftler*innen, die zwar als Visionär*innen in ihren jeweiligen Fachgebieten Außergewöhnliches erreichen können, allerdings keine Drittmittel anwerben, werden für ihre Universitäten und Forschungseinrichtungen wertlos, da Kennzahlen und Statistiken die Leistungsbewertung dominieren und Wissenschaftler*innen ohne Finanzmittel weniger forschen und publizieren können.

 

Da die hier kurz dargestellte gegenwärtige Praxis im Wissenschaftsbetrieb eine bürokratische Ressourcenverschwendung ist, die der Grundlagenforschung, dem wissenschaftlich präzisen Arbeiten und Innovation im Weg steht, fordern wir zunächst erneut, dem beschlossenen Antrag C14 – Umdenken bei der Hochschulfinanzierung vom BuKo 2013 folgend:

 

  • Eine vollständige Aufhebung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern um zielgerichtete Forschungsfinanzierung zu erleichtern.
  • Eine Reduzierung der Drittmittelfinanzierung – bei gleichzeitiger Erhöhung der Grundfinanzierung von Forschungseinrichtungen und Universitäten.
  • Eine Überwindung von privaten Drittmittelinvestitionen an öffentlichen Forschungseinrichtungen, um die Freiheit der Forschung zu erhalten.

 

Des Weiteren fordern wir:

  • Die Schaffung von Forschungseinrichtungen mit allen wissenschaftlichen Freiheiten und großzügigen finanziellen Mitteln, losgelöst von ständiger Kontrolle von Erfolgen und Profitabilität, zur Versammlung von führenden Wissenschaftler*innen welche auf ihren Fachgebieten und interdisziplinär zivile Forschung nach Grundregeln wissenschaftlicher Ethik für eine freiere und gerechtere Gesellschaft betreiben.
  • Eine Minimierung der Verwaltungstätigkeit für Forschende. Der Akademische Karriereweg mit einer fortschreitenden Entfernung von Forschung und Entwicklung hin in Administrative Positionen kann nicht der einzig finanziell logische sein. Dafür müssen Arbeitsverträge entfristet werden und eine gerechte Bezahlung für Wissenschaftler*innen in allen Stufen ihrer Karriere garantiert werden.
  • Studentische Hilfskräfte leisten einen wichtigen Beitrag für Lehre und Forschung an den Hochschulen. Um faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, müssen auch studentische Beschäftigte in die Personalvertretungsgesetze der Länder aufgenommen werden. Wissenschaftler*innen sowie studentische Beschäftigte haben außerdem einen Anspruch auf tarifvertraglichen Schutz. Wir fordern daher mit Bezugnahme auf das Templiner Manifest der GEW die Ausdehnung des Geltungsbereichs der Flächentarifverträge des öffentlichen Dienstes auf alle Beschäftigten in Lehre und Forschung.
  • Eine Abschaffung der Exzellenzinitiative zur Forschungsförderung. Die finanziellen Mittel sollen stattdessen für die bedingungslose Ausfinanzierung von Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen verwendet werden.
  • Eine Abkehr der Beurteilung von wissenschaftlichem Erfolg anhand von rein quantitativen Größen im Allgemeinen. Bei den immer weiter steigenden Zahlen an Veröffentlichungen, Konferenzen und Konferenzbeiträgen, ist eine Qualitätssicherung und -beurteilung meist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.

 

Eine Erhöhung der Investitionen und Zuschüsse für frei zugängliche Veröffentlichung von Forschungsergebnissen und Rohdaten, um wissenschaftlichen Austausch zu stärken und Forschung dadurch zu beschleunigen. Hierbei sollen kleine und sozial- und geisteswissenschaftliche Fachgebiete genauso berücksichtigt werden, wie große- und MINT-Fachgebiete. Wissenschaftler*innen sollten nicht im Wettbewerb gegeneinander antreten, sondern vereint die Forschung vorantreiben. Die Bereitschaft dafür wird aber durch den Wettbewerb um Fördergelder eingeschränkt.

Empfehlung der Antragskommission:
(Konsens)
Fassung der Antragskommission:
  • Stellungnahmen des FA Stadt des Wissens zu den an den FA verwiesenen Anträgen – Mai 2023: Der FA hat eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit den JUUSOS und der JUSO Hochschulgruppe (organisatorische Leitung) gebildet, die nach der aktualisierten Arbeitsplanung für die Beschlussfassung auf dem LPT I / 2024 entsprechende Neufassungen erarbeitet. Der Antrag wird im Einvernehmen mit den Antragstellenden daher auf den LPT I / 2024 vertagt.
  • LPT 26.05.2023: vertagt auf LPT I/2024

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Gemeinsamer Änderungsantrag der JUSO Hochschulgruppen Berlin und des Fachausschuss Stadt des Wissens zum Antrag 79/I/2020 der Jusos LDK

 

„Forschen statt Verkaufen: Stärkere Grundfinanzierung von (Grundlagen-) Forschung“

„Unabhängige und kritische Wissenschaft ist für eine freie und aufgeklärte Gesellschaft fundamental“

Der Landesparteitag der SPD Berlin möge beschließen:

Berlin ist mit über 40 Hochschulen und rund 70 außeruniversitären Forschungseinrichtungen ein starker und etablierter Wissenschaftsstandort. Nicht zuletzt die Aufnahme der Berlin
University Alliance in die Exzellenzstrategie verdeutlicht die vielfältige Kompetenz und Expertise Berliner Wissenschaftler*innen.

 

Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften nehmen dabei eine zentrale Stellung im deutschen Wissenschaftssystem ein, indem sie Forschung und Lehre unter einem Dach vereinen und damit sowohl dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt als auch der wissenschaftlich qualifizierenden Nachwuchsförderung dienen. Doch erfolgreiche Wissenschaft gelingt nur, wenn Hochschulen auskömmlich finanziert werden und Wissenschaftler*innen langfristige Perspektiven bieten können.

Hochschulfinanzierung

In den letzten Jahren gehen die politischen Erwartungen dabei immer stärker in Richtung einer unmittelbaren praktischen Verwertbarkeit. Die Finanzierung der Hochschulen wird
zudem immer mehr an quantitative Leistungsindikatoren geknüpft und von themengebundenen Drittmitteleinwerbungen abhängig. Dies zeigt sich in den aktuellen Haushalten der Länder: Momentan stammen rund 75 Prozent eines Hochschulhaushalts aus Geldern der Länder. Dazu kommen Projektmittel des Bundes und Drittmittel. Diese werden wettbewerbsorientiert und befristet für einzelne Forschungsvorhaben vergeben. Größte Drittmittelgeberin ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die ihre Gelder von Bund und Ländern bezieht, gefolgt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Auch Wirtschaft und Industrie beteiligen sich an Forschungs- und Entwicklungsprojekten von Hochschulen.

 

Die Bedeutung der Drittmittel für die Finanzierung von Hochschulen ist deutlich zu hoch und muss reduziert werden. Im Pakt für Forschung und Innovation wird den großen Wissenschaftsorganisationen für die Jahre 2021-2030 jährlich eine Budgetsteigerung zugesagt, die vom Bund getragen wird. Eine solche verlässliche Budgetsteigerung gibt es für die Hochschulen aus Bundesprogrammen selbst nicht.

 

Für uns ist klar: Hochschulen müssen sich durchaus an gesellschaftlichen Effektivitäts- und Effizienzerwartungen messen lassen, und (öffentliche wie private) Drittmittel können gewiss
einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Forschung an Hochschulen leisten. Dies darf den Eigenwert akademischer Bildung und wissenschaftlicher Erkenntnis jedoch nicht vernachlässigen und die grundgesetzlich geschützte Freiheit von Forschung und Lehre nicht beschränken.

 

Zur Wahrung der Freiheit von Forschung und Lehre gehört deshalb die staatliche Verpflichtung, durch ausreichende Ressourcenausstattung Wissenschaftsfreiheit an Hochschulen materiell zu gewährleisten. Dies setzt eine angemessene, und das heißt heute, eine stärkere Grundfinanzierung der Hochschulen voraus und ist auch eine Voraussetzung für Spitzenleistung.

 

Daher fordern wir:

  • Eine Erhöhung der Grundfinanzierung für Hochschulen, damit diese ihre Aufgaben in den Bereichen Lehre und Forschung erfüllen können. Dazu gehören insbesondere Personalkostensteigerungen. qualitätssichernde Lehrkräfteausstattung, Digitalisierung in Lehre und Forschung.
  • zusätzliche Mittel, damit Hochschulen Aufgaben erfüllen können, die darüber hinausgehen, dazu gehören zum Beispiel vermehrte Studienplätze,Wissenstransfer, Existenzgründungsförderung, Gleichstellung, Wissenschaftskommunikation, Internationalisierung, Inklusion, Integration u. a.
    • Anerkennung des Sanierungs- und zusätzlichen Raumbedarfs der Hochschulen und
      Aufnahme in die Finanz- und Investitionsplanung des Landes
    • Umsetzung der Selbstverpflichtung des Landes zum Ausbau der Forschungsmöglichkeiten der Fachhochschulen und ihrer Möglichkeiten zur Förderung eines wissenschaftlichen Nachwuchses

Zur Gestaltung von Drittmitteln

Private Drittmittel und befristete öffentliche Programmmittel müssen wieder auf eine ergänzende Funktion zurückgeführt werden, auch wenn sie themenoffen ausgelobt werden und damit für einzelne Forscher*innen oder Gruppen von Forscher*innen zusätzliche Spielräume eröffnen, um ihren selbstbestimmten Forschungsfragen nachzugehen.
Zweckgebundene Drittmittel dienen dagegen der Verfolgung spezifischer privater oder öffentlicher Forschungsinteressen, die ohne ihr Angebot von den Hochschulen nicht oder nicht im ausreichenden Maße bedient werden. So gesehen sind sie zweifellos ein wertvolles Pendant zum wissenschaftlichen Selbstbestimmungsrecht der Hochschulen. Um dem geforderten Ergänzungscharakter zu entsprechen, muss ihre Inanspruchnahme jedoch freiwillig, d.h. ohne ökonomischen Zwang erfolgen, und sie müssen die Kosten der von ihnen initiierten Forschungsprojekte vollumfänglich tragen.

 

Daher fordern wir:

  • Bei reinen Auftragsforschungsprojekten sind nicht nur die direkten Kosten sondern auch sämtliche durch das Projekt verursachten Nebenkosten zu erstatten (Vollkostenprinzip)
  • Mit Drittmitteln oder besonderen Programmmitteln darf keine einseitige Verstetigungserwartung zulasten der Hochschule verbunden sein, die in die autonome Entscheidung der Hochschule eingreift
  • Die Sicherstellung einer Übernahme der direkten Projektkosten durch die Drittmittelgeber und die Bereitstellung einer den Akquisitions-, Durchführungs-  und Managementaufwänden entsprechenden Programmpauschale bei sonstigen Drittmittelprojekten.

Zielindikatoren (Bewertung wissenschaftlicher Leistung)

Wissenschaft ist ein gesellschaftliches Teilsystem, das von sozialer und globaler Ungleichheit, Geschlecht und Herkunft geprägt ist. Die Bewertung wissenschaftlicher Leistungen erfolgt durch den Einsatz von Messgrößen, die Indikatoren genannt werden. Die bisher verwendeten Indikatoren bilden bislang großen Teil messbare Aktivitäten ab und blenden den gesellschaftlichen Kontext von Wissenschaft aus: Ob Forschung durch Drittmittel finanziert, in hoch gerankten Zeitschriften veröffentlicht oder zitiert wird, liegt nicht ausschließlich an guter Leistung (z.B. Matthäus-Effekt). Um gute und kritische Wissenschaft abzubilden, ist es essentiell, den gesellschaftspolitischen Kontext und innerhochschulische Machtgefälle in der Bewertung von Wissenschaft zu berücksichtigen.

 

Daher fordern wir:

  • Die Bewertung von Forschungsleistungen sollte vermehrt qualitative Kriterien einschließen, statt primär auf quantitativen Kriterien wie Publikationszahlen, Zitierhäufigkeit etc. zu basieren;
  • Es müssen daher verschiedene weitere Parameter bei der Bewertung der Forschungsqualität berücksichtigt werden, z.B. auch Kommunikationsleistungen, die wissenschaftlichen / gesellschaftlichen prognostizierten Auswirkungen.

 

Demokratie bedeutet Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken:

Die Krisen der vergangenen Jahre, zuletzt die Corona-Pandemie haben es gezeigt:

 

Wissenschaft und explizit Wissenschafts- und Forschungsfreiheit haben eine immense gesellschaftliche Bedeutung. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist in Deutschland im
Grundgesetz verankert. Wissenschaft und Forschung werden so vor politischer und staatlicher Einschränkung geschützt. Gleichzeitig geht damit aber auch eine Leistungspflicht des Staates ein. Nur durch ausfinanzierte Hochschulen kann gute Forschung gelingen. Nichtsdestotrotz kommt mit dem zunehmenden Rechtsruck eine Wissenschaftsfeindlichkeit
auf, der wir entschieden entgegentreten müssen. Im Jahr 2022 gaben zwar zwei Drittel der Befragten an, auf Wissenschaft zu vertrauen, ein Drittel jedoch gab an, unentschieden zu
sein oder nicht in die Wissenschaft zu vertrauen. Seit April 2020, also mit Beginn der Corona-Pandemie, nahm das Vertrauen in die Wissenschaft zunehmend ab.

 

In einer Demokratie braucht es verlässliche Wissenschaft und Forschung. Gerade wenn Rechtsnationale und Rechtspopulist*innen das schwindende Vertrauen in die Politik für ihre
Zwecke ausnutzen. Unsere Demokratie ist auf Vertrauen angewiesen und hier kann Wissenschaft fördernd wirken. Gerade in der Klimaforschung hat sich Wissenschaft als verlässliche Partnerin etabliert, die Informationen liefert, welche dann politisch verwertet werden. Es darf allerdings nicht zu einer Verwissenschaftlichung des politischen Diskurses kommen, die politische Teilhabe der Gesamtgesellschaft einschränkt oder schlimmstenfalls sogar ganz verhindert. Forschungsergebnisse müssen für alle zugänglich gemacht werden und einfach auffindbar sein.

Wir schlussfolgern und fordern also:

  • Unabhängige und kritische Wissenschaft ist für eine freie und aufgeklärte Gesellschaft fundamental.
  • Für eine wehrhafte Demokratie ist die Stärkung der Wissenschaftskommunikation und des Wissenschaftsjournalismus unerlässlich!
  • Um wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse schnell und online zugänglich zu machen, muss die open-acces Veröffentlichung von Forschung gestärkt werden.

 

Überweisungs-PDF: