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Antrag 140/II/2022 Trans* liberation now: Für ein echtes Selbstbestimmungsgesetz!

10.10.2022

Das geplante Selbstbestimmungsgesetz ist ein großer Fortschritt für die Selbstbestimmung von trans* Menschen. Nach einem jahrelangen Kampf wird das entwürdigende TSG endlich abgeschafft. Bereits 1993, 2005, 2006, 2008 und 2011 wurden Teile des TSG für verfassungswidrig erklärt. Die Reform kommt also viel zu spät.

 

Auch das vorgestellte Eckpunktepapier geht an einigen Stellen nicht weit genug. Vor allem Minderjährigen hilft es nicht zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung. Sie sind in weiten Teilen auf die Gunst ihrer Sorgeberechtigten angewiesen. Dies mag in Familien mit einer liberalen Haltung funktionieren, aber wir wissen, dass dies bei weitem nicht in jedem Haushalt der Fall ist.

 

Sorgeberechtigte, die nicht akzeptieren, dass ihr Kind trans* ist, sollen laut Eckpunktepapier die Möglichkeit haben, ihren Kindern bis zum 14. Lebensjahr den Zugang zu echter Selbstbestimmung gänzlich zu verwehren. Von 14 bis 18 können sie zwar durch ein Familiengericht überstimmt werden, aber es fehlen klare Anhaltspunkte, unter welchen Voraussetzungen das geschehen kann.

 

Warum die Kompetenzen des Familiengericht in diesem Fall überhaupt durch eine Altersgrenze eingeschränkt werden, ist nicht nachvollziehbar – schließlich kann das Familiengericht im Regelfall des § 1666 Absatz 3 Nummer 5 Bürgerliches Gesetzbuch altersunabhängig Erklärungen der Sorgeberechtigten ersetzen, wenn das Kindeswohl es erfordert.

 

Außerdem bleibt in den Eckpunkten unklar, wie das familiengerichtliche Verfahren eingeleitet wird. Es ist gut denkbar, dass trans* Kinder und Jugendliche mit einem unübersichtlichen Verfahren alleingelassen und in die Zwangslage gebracht werden, ihre eigenen Sorgeberechtigten verklagen zu müssen.

 

Das können wir so nicht hinnehmen. Auch Minderjährige müssen ein Recht auf Selbstbestimmung erhalten. Niemand darf gezwungen werden, in einem Geschlecht zu leben, dem er*sie sich nicht zugehörig fühlt. Kinder und Jugendliche sollten die Möglichkeit bekommen, selbst ihre Erklärung beim Standesamt abzugeben. Falls ihre Sorgeberechtigten dem Wunsch nicht zustimmen, sollten Minderjährige keine Sorge haben müssen, die eigenen Sorgeberechtigten verklagen zu müssen. Daher wollen wir, dass das Standesamt selbst das Familiengericht einschaltet. Vorherige Schulungen von richterlichem Personal, eine mit der Situation und den Bedürfnissen von trans* Menschen vertraute Verfahrensbetreuung sowie ein umfassendes Beratungsangebot sollen den Schutz des Kindes sicherstellen.

 

Um das Verfahren möglichst niedrigschwellig zu gestalten, sollen trans* Menschen ihren Antrag bei jedem Standesamt einreichen können. Außerdem wollen wir sicherstellen, dass das Selbstbestimmungsgesetz von allen Menschen in Anspruch genommen werden kann, unabhängig vom Pass. Es muss verhindert werden, dass Personen für die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag in ein Land reisen müssen, in dem sie möglicherweise verfolgt oder inhaftiert werden, oder Nachweise über die Regelungen in einem Heimatland beibringen müssen, zu dem sie möglicherweise gar keinen Bezug mehr haben.

 

Das Selbstbestimmungsgesetz selbst betrifft lediglich die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag, es hat also nichts mit medizinischen Maßnahmen zu tun. Dennoch ist der Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung ein wichtiger Teil von geschlechtlicher Selbstbestimmung. Selbstbestimmung darf aber keine Frage des Geldbeutels sein, sondern die gesetzlichen Krankenkassen müssen auch für solche Behandlungen zahlen. Das ist bislang leider nicht immer der Fall. Die Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ gibt einen guten Überblick, welche Behandlungen erforderlich sein können und somit auf jeden Fall von der Krankenkasse getragen werden sollten.

 

Zuletzt darf der Sport nicht außer Acht gelassen werden. Die vorgestellten Eckpunkte sehen vor, dass der organisierte Sport in eigener Zuständigkeit Regelungen zur Teilnahme von trans* Menschen trifft. Das greift leider zu kurz. So sehen die kürzlich vorgestellten Regelungen des Schwimm-Weltverbands zum Beispiel vor, dass trans* Frauen nur dann an Frauen-Wettbewerben teilnehmen können, wenn sie sich schon bis zum zwölften Lebensjahr oder mit Eintreten der Pubertät einer Hormontherapie unterzogen haben. Eine derart frühe Altersgrenze setzt trans* Mädchen in unverhältnismäßiger Form unter Druck, eine möglicherweise übereilte Entscheidung für eine Transition zu treffen. Solche Regelungen dürfen kein Vorbild für andere Sportarten sein.

 

Wir wollen ein echtes Selbstbestimmungsgesetz, das alle Menschen mitdenkt. Daher muss das Eckpunktepapier nachgeschärft werden, um auch eine Selbstbestimmung für Minderjährige und Menschen ohne deutschen Pass sicherzustellen und das Verfahren nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz niedrigschwellig und unbürokratisch gestaltet. Die Namensänderung ist für trans* Menschen bezüglich des Wohlbefindens etwas essenzielles und mit der eigenen Würde verbunden. Es dürfen dabei keine, auch keine kleinen, Hürden finanzieller Art entstehen. Wir begrüßen, dass das Bundesjustiz- und das Bundesfamilienministerium Eckpunkte für das im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien vorgesehene Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt haben. Damit rückt die lange überfällige Abschaffung des sogenannten Transsexuellengesetzes endlich näher. Wir unterstützen ausdrücklich, dass die Anpassung von Vornamen und Geschlechtseintrag künftig in einem einfachen Verfahren vor dem Standesamt ohne vorherige Zwangsgutachten möglich sein soll.

 

Dennoch bleiben die Eckpunkte hinter einem echten Selbstbestimmungsgesetz zurück. Wir fordern deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende Verbesserungen und Klarstellungen einzusetzen:

 

  • Die Erklärungen zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag müssen an jedem Standesamt abgegeben werden können. Es wäre nicht zumutbar, wenn Menschen nur für die Abgabe dieser Erklärung das Standesamt ihres Geburtsortes aufsuchen müssten.
  • Auch Menschen, die ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland leben, müssen das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch nehmen können. Die derzeit übliche Prüfung, ob das Recht des Heimatstaats eine vergleichbare Regelung kennt, verursacht unnötigen und zeitraubenden Bürokratieaufwand. Zudem kommt hinzu, dass in vielen Ländern trans* Menschen nach wie vor verfolgt und diskriminiert werden. Dass diese Transfeindlichkeit sie bis nach Deutschland verfolgt, ist nicht hinnehmbar.
  • Auch die Anpassung geschlechtsspezifischer Nachnamen soll in das Selbstbestimmungsgesetz aufgenommen werden. Wenn ein trans* Mensch einen Namen mit geschlechtsspezifischer Endung führt, wie es z.B. in nord- und osteuropäischen Ländern verbreitet ist, würde es andernfalls zu einer sinnwidrigen Diskrepanz zwischen Vor- und Nachnamen kommen.
  • Auch bei Minderjährigen unter 14 Jahren soll das Familiengericht eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung treffen können, wenn die Sorgeberechtigten die Zustimmung zur Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag verweigern. Im familiengerichtlichen Verfahren ist sicherzustellen, dass ein*e Verfahrensbetreuer*in bestellt wird, die mit der Situation und den Bedürfnissen von trans* Menschen vertraut ist.
  • Bei Minderjährigen ist das Verfahren altersunabhängig so zu gestalten, dass diese die Erklärung zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag selbst abgeben können, wie es im Eckpunktepapier bereits für Minderjährige ab 14 Jahren vorgesehen ist.
  • Das Standesamt soll von Amts wegen das Familiengericht anrufen, wenn ein*e Minderjährige*r die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag verlangt und die Sorgeberechtigten auch nach Aufforderung durch das Standesamt keine Zustimmung erteilen.
  • Sowohl die Sorgeberechtigten als auch das Familiengericht müssen verpflichtet sein, die Wünsche eines minderjährigen Kindes bezüglich des eigenen Namens und Geschlechtseintrags vorrangig zu berücksichtigen. Bei entsprechender Reife muss die Entscheidung in das Selbstbestimmungsrecht des Kindes fallen. Daher muss auch die Altersgrenze für eine eigenständige Entscheidung ohne Beteiligung der Sorgeberechtigten abgesenkt oder abgeschafft werden.
  • Ergänzend zum Offenbarungsverbot, das mit § 5 TSG bereits Teil der geltenden Rechtslage ist, ist eine ausdrückliche Regelung aufzunehmen, wonach Menschen nach Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag einen gesetzlichen Anspruch gegen private und öffentliche Stellen auf Ausstellung von Dokumenten, Zeugnissen und anderen Bescheinigungen mit den neuen Personendaten haben.

 

Das Selbstbestimmungsgesetz soll darüber hinaus nur Erleichterungen für die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag enthalten. Um die Lebenssituation von trans* Menschen wirksam zu verbessern, braucht es aber weitere Maßnahmen. Wir fordern deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende zusätzliche Maßnahmen einzusetzen und diese zeitnah in die Wege zu leiten:

 

  • Um trans* Menschen zu unterstützen und in die Lage zu versetzen, ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch zu nehmen, ist die in den Eckpunkten vorgesehene Stärkung von Beratungsangeboten besonders wichtig. Insbesondere für Minderjährige sind niedrigschwellige spezialisierte Anlauf- und Beratungsstellen auszubauen, abzusichern oder neu zu schaffen, die diese bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen und während des Verfahrens, das das Selbstbestimmungsgesetz vorsieht, begleiten können. Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine qualifizierte Beratung ist zu prüfen. Weiterhin ist zu prüfen, ob Sorgeberechtigte von trans* Kindern zur Wahrnehmung einer Beratung verpflichtet werden können.
  • Eltern, die ihren Geschlechtseintrag haben ändern lassen, sind in der Geburtsurkunde des Kindes mit einer Bezeichnung einzutragen, die ihrem geänderten Geschlechtseintrag entspricht.
  • Wie vom Koalitionsvertrag gefordert müssen die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. Das gilt auch für eventuell angeforderte Gutachten. Das Bundesministerium für Gesundheit muss zeitnah ein Konzept vorlegen, mit dem sichergestellt wird, dass trans* Menschen bei entsprechender ärztlicher Empfehlung einen Anspruch auf Kostenübernahme hinsichtlich der Behandlungen haben, die in der einschlägigen S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ empfohlen werden, welche unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung erarbeitet wurde. Ergänzend zu den geschlechtsanpassenden Operationen muss auch die Namenänderung für trans* Menschen beim Standesamt gebührenfrei sein.
  • Bezüglich der Teilnahme an Sportveranstaltungen und Wettkämpfen ist sicherzustellen, dass keine Regelungen getroffen werden, die trans* Sportler*innen ausschließen oder benachteiligen.

Antrag 96/II/2022 Mehr Unterstützung für Taiwan und stärkerer Einsatz für Beobachterstatus bei WHA & WHO

10.10.2022

Der Inselstaat Taiwan wird seit seiner selbsternannten Unabhängigkeit, die von der Volksrepublik China (VR China) nie anerkannt und stets bestritten wurde, politisch, wirtschaftlich und militärisch stark unter Druck gesetzt. Insbesondere die militärischen Drohgebärden seitens China vor der Küste Taiwans haben sich in den letzten Wochen intensiviert und sich zu einer realen Bedrohung der taiwanischen Bevölkerung entwickelt. Gleichzeitig wird die beobachtende Teilnahme Taiwans in verschiedenen WHO-Gremien, wie im Mai der Weltgesundheitsversammlung, durch die VR China und seine Verbündeten weiter verhindert. Dabei stellt das pluralistisch-demokratische Taiwan ein politisches Gegenmodell zum autoritären System der Volksrepublik dar. Aufgrund seiner geostrategischen Lage in der Taiwanstraße und dem südchinesischen Meer sowie seiner wirtschaftlichen Rolle als einer der führenden Produzenten von Mikrochips, besitzt die Region für „den Westen“ eine hohe Relevanz.

 

Das Interesse von Deutschland und der Europäischen Union muss es sein, im Rahmen einer wertebasierten und feministischen Außenpolitik, Taiwan in seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu unterstützen, Frieden und Stabilität in der Region zu wahren sowie die wirtschaftliche Partnerschaft mit Taiwan weiter zu intensivieren.  Angesichts der bereits erfolgten Ankündigung der USA “immer an der Seite Taiwans” zu stehen, sowie militärische Unterstützung zu leisten, soll auch die Bundesregierung sowie insbesondere die SPD-Bundestagsfraktion angemessen und zielgerichtet auf die jüngsten Entwicklungen reagieren. Das heißt zunächst den freundschaftlichen, kommunikativen Austausch zwischen deutschen und taiwanesischen Vertreter*innen insbesondere der Parlamente zu intensivieren. Zum anderen muss auch Deutschland in Absprache und Koordination mit seinen europäischen  sowie amerikanischen Partner*innen Taiwan seine Unterstützung zu sagen, was bedeutet, im Falle eines militärischen Angriffs von Seiten der VR China, Waffenlieferungen und finanzielle Hilfen an Taiwan zu leisten sowie Wirtschaftssanktionen gegenüber der Volksrepublik zu erwägen. Wie bei dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine darf die militärische Unterstützung dabei nur als Ausnahme des Kriegswaffenlieferungsverbotes in Krisenregionen gesehen werden; wir stehen weiterhin hinter dem Exportverbot von Kriegswaffen.

 

Darüber hinaus müssen wir das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ziel, “die sachbezogene Teilnahme des demokratischen Taiwans in internationalen Organisationen” zu unterstützen, realisieren. Konkret sollte sich die Bundesregierung noch stärker dafür einsetzen, Taiwan den Beobachterstatus bei der Weltgesundheitsversammlung (WHA) sowie weiteren WHO-Gremien zu gewähren.

 

Daher fordern wir:

 

  1. Die Intensivierung des kommunikativen Austauschs von deutschen mit taiwanesischen Parlamentsvertreter*innen.
  2. Die Zusage für militärische und finanzielle Unterstützung an Taiwan in Absprache und Koordination mit unseren europäischen und amerikanischen Partner*innen im Falle eines militärischen Angriffs von Seiten der VR China.
  3. Die Stärkung wirtschaftlicher Beziehungen zu Taiwan und Vermehrung europäischer Handelsflottenaktivität in der Region, um präventiv einen chinesischen Angriffskrieg zu erschweren.
  4. Die Erhöhung des Einsatzes dafür, Vertreter*innen Taiwans den Beobachterstatus bei der Weltgesundheitsversammlung (WHA) sowie weiteren Gremien der WHO zu gewähren. Wir wollen die stärkere Einbindung Taiwans in die Vereinten Nationen und fordern deshalb die Prüfung, Taiwan den Status eines Beobachterstaates in der UN-Vollversammlung zuzusprechen.

Antrag 103/II/2022 Klimawandel als Fluchtursache anerkennen!

10.10.2022

Bereits 1990 wurde vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) festgestellt, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels im besonderen Maß auf die Migration von Menschen auswirken könnte. 30 Jahre später findet sich das Wort ‘Migration’ fast 2000-mal und das Wort ‘Verdrängung’ über 400-mal im sechsten IPCC-Report wieder. In diesem Zeitraum gab es in Bezug auf Lösungsstrategien zu klimabedingter Migration kaum Fortschritte, und das, obwohl die Wissenschaft uns eine nahende Krise vorhersagt. Laut Studien kann es bereits im Jahre 2050 bis 200 Millionen Migrant*innen geben, deren Grund für die Flucht der Klimawandel ist. Auch wenn große Teile dieser Migrant*Innen sich vorerst innerhalb ihres Herkunftslandes bewegen, können wir nicht unsere Augen vor der Tatsache verschließen, dass in den in den kommenden Jahrzehnten viele Menschen gezwungen sein werden, vor den Folgen des Klimawandels zu fliehen, auch nach Deutschland.

 

Wichtig ist es daher, bereits jetzt schon ein rechtliches Konstrukt zu schaffen, das diese durch den Klimawandel bedingte Migration so regelt, dass die Interessen der Migrant*innen und des Ziellandes angemessen berücksichtigt und ausgleicht. Nur so können Konflikte frühzeitig vermieden und eine gute Lösung für alle gefunden und durchgesetzt werden.

 

Denn auch wenn sich einige Folgen des Klimawandels, wie steigender Meeresspiegel, erodierende Landmassen, steigende Trockenperioden und ähnliches, zumindest vage abschätzen lassen, so sind beispielsweise extreme Wetterereignisse wie Stürme und Überflutungen unberechenbar und können in kürzester Zeit viele Menschen ihr Zuhause kosten.

 

Aus diesem Grund erachten wir es als unerlässlich, bereits jetzt an Lösungsstrategien zu arbeiten und nicht zu warten, bis wir mit diesen Problemen konfrontiert sind.

 

Wir fordern daher:

 

  • Die Erarbeitung eines Migrationskonzepts, das konkrete rechtliche Regelungen enthält für Menschen, die aufgrund des Klimawandels ihr Heimatland verlassen, insbesondere mit Blick auf einen möglichen Anspruch auf Aufnahme und die damit verbundenen Rechte.
  • Eine sichere und langfristige Bleibeperspektive für die betroffenen Personen.
  • Die Auswirkungen der Klimakatastrophe sind rechtlich generell als Fluchtgrund anzuerkennen.
  • Etablierung von sicheren Fluchtkorridoren, wenn es zu Fluchtbewegungen aufgrund des Klimawandels kommt.

Antrag 99/II/2022 Afghanistan im Anbruch des neuen Jahrzehnts – alte Fehler und Versäumnisse nicht wiederholen

10.10.2022

Die Lage in Afghanistan bleibt rund zwölf Monate nach dem gewaltsamen Putsch durch die Taliban unhaltbar. Nach wie vor häufen sich beinahe täglich Berichte über die Misshandlung und Marginalisierung von Minderheiten und insbesondere der stetigen Drangsalierung von Frauen und Mädchen. Auch die humanitäre Lage bleibt unverändert dramatisch.

 

Nach Einschätzungen der Vereinten Nationen soll knapp die Hälfte der afghanischen Bevölkerung akuten Hungersnöten ausgesetzt sein. Zwar konnte eine flächendeckende Hungersnot im Winter dank internationaler Anstrengungen noch abgewendet werden; das jüngste Erdbeben erfordert jedoch erneut internationale Aufmerksamkeit.

 

Am 22. Juni 2022 wurde der Südosten Afghanistans von einem schweren Erdbeben erschüttert, welches bislang mehr als 1000 Todesopfer forderte. Dieses Erdbeben hat die ohnehin offensichtliche Verwundbarkeit der afghanischen Bevölkerung einmal mehr schonungslos offengelegt. So ist der ohnehin nicht endende Bedarf an Hilfsgütern umso dringlicher geworden. Insbesondere die Versorgung gestaltet sich als äußerst schwierig, da der Südosten Afghanistans zu großen Teilen schwer begehbares Gebirge ist, welches häufig nur aus der Luft gut und vor allem schnell zu erreichen ist. Afghanistan kann die Folgen dieses schweren Erdbebens nicht allein stemmen.

 

Wir erkennen an, dass die mehr als prekäre Lage in Afghanistan gesonderter Aufmerksamkeit und Anstrengung bedarf.

 

Trotz bis heute andauernder bewaffneter Auseinandersetzungen, gilt es als sicher, dass die Taliban als Pseudo-Kollektiv am ehesten „Staatsgewalt“ ausüben – sie kontrollieren de facto überwiegende Teile des Landes.

 

Diese bittere Realität ist nicht zu leugnen.

 

Anerkennend dieses Status quos hat das Auswärtige Amt in Bezug auf ihre Afghanistan Politik die Doktrin einer „Gratwanderung“ angenommen. Diese Gratwanderung hat das Ziel, das humanitäre Leid der afghanischen Bevölkerung vor Ort zu lindern, Fluchtkorridore insbesondere, aber nicht ausschließlich für Ortskräfte auszubauen und zu erweitern und vor allem Rechte von Minderheiten, Frauen und Kindern zu schützen.

 

All dies ist kaum möglich, ohne die Taliban in irgendeiner Form zu involvieren. Gerade in den entlegenen Gebieten Afghanistans, wo das Leid oft am größten ist, ist der Einfluss der Taliban am ausgeprägtesten.

 

Für uns steht gleichzeitig jedoch fest, dass Verhandlungen mit den Taliban zum einen nicht mit der Anerkennung als legitime Regierung Afghanistans einhergehen und zum anderen ausschließlich zu humanitären Zwecken und nur unter Einhaltung von Bedingungen möglich sind. Diesem Anspruch sind durch die schwierige Lage vor Ort in Afghanistan viele Hürden gesetzt, insbesondere gestaltet sich eine unerlässliche Kontrolle der Einhaltung von Bedingungen als sehr schwierig.  Helfen können hier vor allem die Vereinten Nationen, die schon länger in Kontakt mit den Taliban stehen und als eine der wenigen überstaatlichen Organisationen seit August 2021 ununterbrochen in Afghanistan präsent sind.  Aus diesem Grund muss primär über die Vereinten Nationen Hilfe erfolgen, aber auch bei Hilfe auf bilateraler Ebene die Vereinten Nationen involviert werden. Letztlich ist es langfristig unausweichlich einen internationalen Hilfsmechanismus zu schaffen, der im Zusammenspiel von Vereinten Nationen und Taliban die internationale Hilfe für Afghanistan koordiniert. An solch einem Mechanismus sollte sich Deutschland beteiligen bzw. ihn anregen.

 

Die Kernbedingungen sind:

 

  • Der uneingeschränkte Zugang zu Bildung unabhängig vom Geschlecht ist nicht verhandelbar.
  • Die versprochene Amnestie für ehemalige Regierungstruppen der Afghanischen Republik ist zu wahren.
  • Ethnische und religiöse Minderheiten haben ihren jahrhundertealten Platz in Afghanistan, ihre Rechte gilt es zu schützen und zu wahren. Nichtsdestotrotz sehen wir als Kernbedingung die Wahrung und Einhaltung aller Menschenrechte.
  • Dass sichere Fluchtrouten und -bedingungen für alle Afghan*innen gewährleistet und geleistet werden können.
  • Politische Tötungen dürfen nicht stattfinden.

 

Diese Bedingungen sollten Grundlage jeglicher potentiellen Verhandlungen mit den Taliban bilden. Sie sind weder verhandel- oder komprimierbar und ihre Einhaltung muss in regelmäßigen Abständen systematisch überprüft werden. Im Lichte dieser Ergebnisse und der Lage der afghanischen Bevölkerung muss die Strategie der Vereinten Nationen und Deutschlands zeitnah neu evaluiert werden.

 

Der Komplex Afghanistan mit seiner geostrategisch wichtigen Lage in Zentralasien ist kaum zu begreifen, ohne regional- und geopolitische Realitäten und Erwägungen zu erfassen.

 

So gilt es als erwiesen, dass die Taliban zum Militär und Geheimdienst Pakistans, welches häufig als ein „Staat im Staate“ innerhalb Pakistans fungiert, ein ambivalentes Verhältnis pflegt. Noch zur Zeit der Anfänge der Afghanischen Republik in den 2000ern, fanden im Osten des Landes regelmäßig Gefechte zwischen Regierungstruppen und den zerstreuten Taliban statt, bis die Taliban sich sukzessiv konsolidieren konnten und von Osten aus ihre Einflusszone ausbauen konnten. Expert*innen und Experten sind sich einig, dass die Taliban ohne einen sicheren Hafen, sowie logistischer und taktischer Unterstützung durch einen Drittstaat kaum in der Lage gewesen wären, so kontinuierlich die Afghanische Republik zu erodieren. Diese Unterstützung erhielten sie erwiesenermaßen vom pakistanischen Militär bzw. Geheimdienst. Das strategische Kalkül, welches hinter der Unterstützung der Taliban durch pakistanische Militärs bzw. den Geheimdienst steht, ist die Rivalität zu Indien – das traditionell enge Beziehungen zu Afghanistan pflegt. Das komplexe Verhältnis zwischen den Taliban und den pakistanischen Militärs wird dadurch unterstrichen, dass kurz nach der Machtübernahme durch die Taliban, der damalige Direktor des pakistanischen Geheimdienstes sich in Afghanistan einfand.  Auch für China und Russland ist das bodenschatzreiche Afghanistan ein Fokus ihrer jeweiligen Regionalpolitik, sei es, um die kontroverse Seidenstraßeninitiative zu erweitern oder um Nadelstiche gegen den geopolitischen Westen zu setzen. Ihre Anerkennung der Taliban als legitime Regierung Afghanistans muss Deutschland bilateral infrage stellen und entgegenwirken.

 

In diesem vielschichtigen Geflecht bleibt das Opfer stets das Gleiche, die afghanische Bevölkerung.

 

Frauen und Mädchen, die rund die Hälfte der afghanischen Bevölkerung ausmachen, leiden bisher am meisten unter den drakonischen Repressionen der Taliban.  Entgegen den Versprechungen der Taliban in Doha, ist der Zugang zu Bildung für Frauen und Mädchen nicht gewährleistet – im Gegenteil – immer wieder wird berichtet, wie Mädchen und Frauen der Zugang zu Bildung verwehrt wird.  Der uneingeschränkte Zugang zu Bildung bleibt eine für uns unverhandelbare Kernforderung.

 

Trotz aller Defizite der gefallenen Afghanischen Republik, wuchs in ihrer Zeit eine junge und qualifizierte Generation heran, die wider dem Elend des Krieges, relative Freiheit und relative Liberalität erfuhr. In der jungen Afghanischen Republik gelang es Frauen und Mädchen eigenständig einen geachteten Platz in der Gesellschaft zu erringen.

 

Dieser einst hoffnungsvollen jungen Generation von Afghan*innen sind wir verpflichtet.

 

Afghanistan widerfuhr bereits einmal eine Schreckensherrschaft durch die Taliban. Die EU und die USA dürfen die Fehler der 90er Jahre nicht wiederholen und Afghanistan seinem eigenen Schicksal überlassen. Gleichzeitig ist es unabdingbar den Taliban deutlich zu machen, dass finanzielle Unterstützung nur durch Konzessionen ihrerseits möglich ist. Hierbei ist es auch wichtig nicht zu vergessen, welche zweifelhafte Rolle Pakistan beim Erstarken der Taliban gespielt hat.

 

Wir stellen folgende Forderungen an die Bundesregierung:

 

  • Weiterhin keine Anerkennung der Taliban als legitime Regierung Afghanistans.
  • Mit den Taliban verhandeln, um die Lage vor Ort zu verbessern und deutlich machen, dass finanzielle Hilfe an die kompromisslose Einhaltung der genannten Bedingungen geknüpft ist.
  • Fluchtkorridore aufbauen und erweitern.
  • Das im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angekündigte Aufnahmeprogramm für die sogenannten Ortskräfte muss zügig umgesetzt werden und mindestens allen Afghan*innen, die für deutsche Organisationen tätig waren und deren Familien die Aufnahme sowie weiteren Ausreisewilligen, die von Verfolgung der Taliban betroffen sind, ermöglichen. Die Bundesregierung muss diesbezüglich ihre Bemühungen intensivieren.
  • Die Einwanderung in die EU von Afghan*innen, die nicht in Verbindung zu den Taliban stehen, soll vereinfacht werden.
  • Gezielte Sanktionen gegen die pakistanische Armee und den Geheimdienst bzw. Individuen, die eine maßgebliche Rolle bei der Eroberung Afghanistans im August 2021 spielten. Sowie Festhalten an der Aussetzung der militärischen Kooperation auf bilateraler Ebene.
  • Internationale Nicht-Regierungsorganisationen und UN-Programme wie das World-Food-Programme oder das Hohe Flüchtlingskommissariat leisten essentielle Arbeit vor Ort und sind ein maßgeblicher Faktor dafür, dass die Zivilbevölkerung in Afghanistan grundlegend überlebensfähig ist. Die finanziellen Mittel für diese Organisationen müssen deshalb abgesichert und erhöht werden. Die UNICEF, das World Food Program der Vereinten Nationen und das Hohe Kommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge sollen in ihrer Arbeit in Afghanistan unterstützt werden.
  • Programme der Entwicklungszusammenarbeit langfristig fortzusetzen
  • Die Unterstützung demokratischer sowie insbesondere feministischer Bewegungen in Afghanistan.

Antrag 112/II/2022 Schnelle unbürokratische Hilfe gemeinsam von Land und Bezirken für Roma Communities!

10.10.2022

Die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats werden aufgefordert, sich für eine adäquate Unterbringung von „nicht-sesshaften“ EU-Bürger*innen aus der Roma Community einzusetzen – auch vor dem Hintergrund des nahenden Winters.  Dies soll insbesondere in einem Gesamtkonzept von „safe spaces“ (sichere Räume) für Obdachlose in Berlin gelöst werden.

 

Wir haben im Koalitionsvertrag die Überführung des Aktionsplans Roma in ein Landesprogramm zur Stärkung der Teilhabe von Romnja und Roma sowie gegen Antiziganismus, sowie eine Ansprechperson des Senats zur Bekämpfung von Antiziganismus festgeschrieben. Das ist gut und wichtig. Auch die Bereitstellung von Sprachmittler*innen bei EU-Drittstaatsangehörigen ist ein wichtiger Bestandteil einer Gesamtstrategie.