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Antrag 79/I/2021 Willkürliche und neokoloniale Identitätsfeststellung und Abschiebepraxis nach Westafrika beenden - Rechtsstaatlichkeit muss auch für die schwächsten der Gesellschaft gelten

21.03.2021

Die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und des Abgeordnetenhauses werden aufgefordert, sich dafür einzusetzen, die Praxis der Identitätsfeststellung  durch Delegationen afrikanischer Staaten und die damit einher gehenden Abschiebepraxis auszusetzen, solange:

  • es keine feststehenden und tauglichen Kriterien für die Identitätsfeststellung gibt. Es müssten klare und unter deutschem Recht belastbare Belege für die vermutete Staatsbürgerschaft durch Dokumente erbracht werden können. Äußerliche Merkmale dürfen hier keine Kriterien sein.
  • unverhältnismäßige Zwangsvorführungen unter Gewaltanwendung, die das Verwaltungsgericht Berlin durch Urteile vom Februar 2021 mehrfach als rechtswidrig erklärt hat, nicht auszuschließen sind
  • Finanzielle Bereicherung der Mitglieder der Delegationen und der entsendenden Staaten nicht ausgeschlossen werden kann. Weder das Land Berlin, noch Bundesstellen wie die Bundespolizei dürfen Handgeld oder andere Gratifikationen für die Ausstellung von Papieren bezahlen. Korruption muss bekämpft und ausgeschlossen werden.
  • die Mitglieder dieser Delegationen ihre Legitimation und Qualifikation nicht nachweislich und glaubhaft darlegen können

 

Antrag 45/I/2021 Für eine gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik

21.03.2021

Der Landesparteitag/Bundesparteitag begrüßt und teilt die von der Bundestagsfraktion in ihrem Positionspapier vom 25.11. 2019 Schärfung der  Kontrolle und Genehmigung von Rüstungsexporten – europäische Abstimmung intensivieren  vorgenommene Bewertung, dass die vom Bundeskabinett am 26.6.2019 neu gefassten „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ nicht ausreichen, die Lücke zwischen den seit Jahrzehnten von der deutschen Politik vertretenen Grundsätzen einer restriktiven Rüstungsexportpolitik und der tatsächlichen Genehmigungspraxis für Rüstungsexporte und deren Kontrolle zu schließen.

 

Wir unterstützen die an diese Diagnose geknüpften Forderungen der Bundestagsfraktion, die praktische Umsetzung dieser Grundsätze  durch eine Rüstungsexportkontrollgesetz und weitere Maßnahmen zur Sicherung der rechtlichen Verbindlichkeit der Vorgaben für Rüstungsexporte und der Wirksamkeit der Kontrollen der tatsächlich getätigten Rüstungslieferungen zu gewährleisten.

 

Wir erkennen an, dass die von der Bundestagsfraktion in ihrem Papier aufgestellten Forderungen  geeignet sind, die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der deutschen und europäischen Rüstungsexportpolitik zu verringern und bei konsequenter Anwendung einen Rahmen für die Realisierung des in den „Politischen Grundsätzen…“ formulierten Leitziels „durch eine Begrenzung und Kontrolle der deutschen Rüstungsexporte einen Beitrag zur Sicherung  des Friedens und der Menschenrechte, zur Gewaltprävention sowie einer nachhaltigen Entwicklung der Welt zu leisten“ zu schaffen.

 

Die notwendige Weiterentwicklung der Rüstungsexportpolitik Deutschlands und der EU muss den grundsätzlichen Widerspruch zwischen normativen Grundsätzen und gängiger Praxis einer „restriktiven Rüstungsexportpolitik“ auflösen:

 

Bei Rüstungsexporten in sog. Drittländer ist das „grundsätzliche“  Verbot solcher Exporte in

Länder, die gegen die Kriterien sowohl der

 

  • Politische Grundsätze als auch des
  • Gemeinsamen Standpunkts der EU betreffend die Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern von 2008

 

verstoßen, längst zur Ausnahme, die mit besonderen sicherheitspolitischen Belangen Deutschlands zu begründende Ausnahme dagegen  in der Genehmigungspraxis zu Regel geworden.

 

Verschärfung bisheriger Maßnahmen und zusätzliche Maßnahmen zur Umsetzung und Durchsetzung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik

 

Ein Rüstungsexportkontrollgesetz sollte folgende in dem SPD-Positionspapier und darüber hinaus aus unserer Sicht erforderliche Verschärfungen und Präzisierungen enthalten:

 

  1. Eine verbindliche, mit zielgerichteten Sanktionierungen verbundene gesetzliche Normierung der in dem Abschnitt Allgemeine Prinzipien der aktuellen Fassung der Politischen Grundsätze aufgeführten Kriterien sowie der acht Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts der EU.
  2. Gesetzliche Fixierung der Berichtspflichten der Bundesregierung mit folgenden Elementen:

 

  • quartalsweise Berichterstattung
  •  Angaben zu konkreten Rüstungsgütern und nicht lediglich zu Waffenkategorien
  • Aufnahme von Herstellungsgenehmigungen, Lizenzerteilungen und Reexporten in die Berichterstattung
  • Angaben über die im Berichtszeitraum tatsächlich erfolgten Rüstungslieferungen und tatsächlich erfolgten Abschlüsse von Rüstungskooperationen und nicht nur zu den Genehmigungen
  • Statistik der im Bundessicherheitsrat  und im übrigen Geschäftsgang der sonstigen Genehmigungsbehörden erfolgten Genehmigungen und Ablehnungen
  • Angaben zu den auf Grund von Ausnahmetatbeständen entgegen den unter 1. genannten Kriterien erfolgten Genehmigungen im Verhältnis zu den auf Grund dieser Kriterien erfolgten Ablehnungen und ggf. Erklärungen für ein aus diesen Zahlen resultierendes, das Prinzip einer restriktiven Rüstungsexportpolitik in Frage stellendes Missverhältnis

 

  1. Gesetzliche Fixierung einer Regelung, welche eine Auslagerung von Rüstungsproduktionen ins Ausland zur Umgehung der strengen deutschen Exportrichtlinien verhindert
  2. Veröffentlichung alle abschließenden Entscheidungen des Bundessicherheitsrats in transparenter Form im Internet
  3. Regelmäßige Post-Shipment-Berichte der Bundesregierung zur Sicherung der Endverbleibskontrolle von gelieferten Rüstungsgütern
  4. Einführung einer Sonderberichtspflicht der Bundesregierung zu bereits erfolgten und noch nicht genehmigten, aber geplanten (z.B.  durch Voranfragen auf den Weg gebrachten) Rüstungslieferungen und Rüstungskooperationen bei Bekanntwerden besonders schwerer Verstöße gegen Menschenrechte und das Kriegsvölkerrecht unter Einsatz von Waffen deutscher Herkunft auf Verlangen eines Drittels der Mitglieder des Bundestags
  5. Regelhafte Begrenzung der Laufzeit von Genehmigungen von Rüstungslieferungen auf zwei Jahre, Möglichkeit einer früheren Rücknahme oder Aussetzung von Genehmigungen bei nachträglichem Bekanntwerden von  Verstößen gegen Genehmigungskriterien
  6. Verlagerung der Verantwortung für die Genehmigung von Rüstungsexporten vom Wirtschaftsministerium auf das Auswärtige Amt
  7. Verpflichtung der Bundesregierung zu einer konkreten sicherheitspolitischen Begründung jeder Genehmigung von Rüstungslieferungen und Rüstungskooperation, die unter Berufung auf Ausnahmetatbestände von den vorgegebenen Kriterien abweicht.

 

Zusätzliche mittelfristige Maßnahmen zur Sicherung der Einhaltung der Grundsätze und Kriterien für deutsche Rüstungsexporten und Ziels der Reduzierung der der Rüstungsexporte:

  1. Unterzeichnung des ATT-Vertrags (UN-Vertrag über den Waffenhandel) als verbindliches Kriterium für Verträge mit Drittstaaten
  2. Erhöhung von Zahl und Umfang der  Post-Shipment-Kontrollen, verbindlicher Ausschluss von Ländern, welche diese Kontrollen ver- oder behindern oder sonst gegen die Regeln der Transparenz des Endverbleibs gelieferter Rüstungsgüter verstoßen und kein Offenlassen von Schlupflöchern mit Hilfe des Terminus „grundsätzlich“ wie in der aktuellen Fassung der „Politischen Grundsätze“
  3. Senkung der „de Minimis“-Grenzen für Einsprüche Deutschlands gegen Regelverletzungen des Kooperationspartners bei übernationalen Rüstungsexportprojekten. Wahrnehmung des deutschen Mitsprache- und ggf. Vetorechts gegen eine regelwidrige Durchführung derartiger Projekte im Sinne der Grundsätze der postulierten wertegebundenen deutschen Rüstungsexportpolitik und nicht in der Form einer reinen „salvatorischen Klausel“.
  4. Start einer diplomatischen Initiative zu Verhandlungen mit den wichtigsten Rüstungsproduzenten und Rüstungsexportländern dieser Erde zu einer  numerischen Reduzierung der Waffenproduktion und der Rüstungsexporte auf  allen Seiten um 10%.

 

Stärkere Einbeziehung der europäischen Ebene:

 

Die in diesem Antrag geforderten nationalen Maßnahmen reichen nicht aus und können ihre Ziele nicht erreichen, wenn nicht zugleich politisch-institutionelle Grundlagen für eine in der Praxis wirksame gemeinsame Rüstungsexportpolitik der EU geschaffen werden. Der Gemeinsame Standpunkt vom 8.12.2008 ist zwar als Beschluss des Europäischen Rates für die EU- Mitglieder rechtsverbindlich, enthält aber keinerlei Überprüfungs- und Sanktionsmöglichkeiten für Verletzungen der in ihm festgelegten Regeln und Kriterien für Rüstungsexporte und auch keine ausreichenden Informationspflichten gegenüber den anderen Mitgliedstaaten und gegenüber EU-Organen. Zudem bilden die im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (Art. 346(b)A-EUV) festgeschriebenen Souveränitätsrechte der Mitgliedsstaaten ein Hindernis, diese im Hinblick auf eine einheitliche Anwendung des „Gemeinsamen Standpunkt“ stärker in der Pflicht zu nehmen. Daher treten wir für folgende Maßnahmen auf EU-Ebene ein:

 

  1. Verabschiedung einer gemeinsamen Rüstungsexportstrategie durch den Europäischen Rat und das Europäische Parlament
  2. Schaffung eines europäischen Rüstungsexportkontrollregimes mit einem Überprüfungsorgan auf der Ebene der Kommission oder des EADs
  3. Präzisierung zentraler Kriterien des „Gemeinsamen Standpunkts“ und Stärkung seiner Rechtsverbindlichkeit durch eine Neuformulierung als EU-Verordnung
  4. Stärkung der europäischen Rüstungskooperation mit dem Ziel, diese von Exporten in Drittländer unabhängig zu machen
  5. Abschluss bindender Verträge zwischen den Mitgliedsstaaten zu gemeinsamen Rüstungsexportstandards. Nutzung der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu einem bilateralen Modellvertrag als ersten Schritt auf dem Weg zu gesamteuropäischen Standards. Sollten die Verhandlungen für einen solchen Modellvertrag scheitern oder stocken sind europäische Vorhaben sowie gemeinsame Vorhaben mit anderen EU-Partnerstaaten prioritär zu behandeln, um die europäische Standardsetzung voranzutreiben.

 

Antrag 101/I/2021 Changing Climate - Changing Taxes: Für die sozial-ökologische Transformation die CO2-Steuer weiterentwickeln

18.03.2021

Mit dem Beginn der Covid-19 Pandemie im Frühjahr 2020 erlebten wir nicht nur eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit, die tausende Menschenleben kostete, für viele Personen schwere finanzielle Folgen hatte oder soziale Probleme verschärfte, sondern auch eine Dauerberichterstattung über die Pandemie. Eine andere globale Herausforderung, die dringendes Handeln in fast allen Lebensbereichen erfordert, geriet dabei fast schon in Vergessenheit. Die Folgen des Klimawandels und die damit einhergehenden Herausforderungen sind jedoch präsenter und dringender denn je. Die Temperaturen steigen weiter an, die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre jagt einen jährlichen Höchstwert nach dem anderen und die Auswirkungen für die Menschen, die vom Klimawandel am meisten betroffen sind, werden immer drastischer. Steigende Meeresspiegel, Müllberge, Ressourcenkonflikte oder Wetterextreme dürften für niemanden mehr etwas neues sein.

 

Wir Jusos sehen uns in der Verantwortung gegenüber der Umwelt als auch den Menschen, die aufgrund eines globalen kapitalistischen Wirtschaftssystems die Auswirkungen durch den Klimawandel zu spüren bekommen, tätig zu werden und so fortlaufend unsere Positionen zur Bekämpfung des Klimawandels auszuweiten und zu vertiefen. Eine Anpassung der Art, wie wir wirtschaften und mit begrenzten Ressourcen umgehen, muss daher hinterfragt und geändert werden. Eine Bepreisung des CO2 sowie der CO2 Äquivalenten, die wir tagtäglich produzieren, ist daher eine der zentralen Möglichkeiten, diesen Ausstoß zu senken. Ebenso sehen wir als Jusos die Pflicht, dass die Kosten einer solchen Umstellung nicht auf niedrige Einkommen abgelagert werden. Der Kampf gegen den Klimawandel ist im Kern ein sozialistischer Kampf, da wir die Folgen des menschengemachten Klimawandels nur durch eine gerechte Umverteilung und die Überwindung des Kapitalismus erreichen.

 

 Verbesserter Emissionshandel

Mit dem aktuell angewendeten Emissionshandel lassen sich in besonders stark emittierenden Sektoren CO2-Reduktionen erreichen. Die bisherigen Reduktionsziele der des EU-Emissionshandel (ETS) betrachten wir jedoch als zu wenig ambitioniert. Auch der Europäische Rechnungshof hat die Europäische Kommission bereits im September 2020 dazu aufgefordert, im Kampf für mehr Klimaschutz bei der Vergabe kostenloser Verschmutzungsrechte nachzuschärfen. Der europäische Emissionshandel umfasst derzeit nur 40% der gesamten europäischen Treibhausgasemissionen, da viele Industrien und Unternehmen keine Emissionszertifikate emittiert werden. Oft werden auch Gewinne durch das Handeln von kostenlosen Zertifikaten in klimaschädliche Projekte, wie die Sanierung bestehender Braun- oder Steinkohlekraftwerke verwendet. Durch kostenlose Zertifikate lassen sich eine zu niedrige Nachfrage an Zertifikaten nicht vermeiden. Dies hat zur Folge, dass mit einem Zertifikatüberschuss und zu niedrigen CO2-Preis, eine Reduzierung der Emission nur schwerer möglich ist. Wir fordern daher eine drastischere Reduzierung aller auf den Markt verfügbaren Zertifikate, um die CO2 Produktion herunterzufahren und die durch den Verkauf erbrachte Erlöse für soziale und nachhaltige Projekte zu nutzen. Ein gut funktionierender EU-Emissionshandel reicht jedoch nicht aus, um unsere klimapolitischen Ziele zu erreichen, da er nur knapp die Hälfte der in der EU verursachten Treibhausgasemissionen ausmacht. Wir fordern daher unsere Positionen zu einer CO2-Steuer für die übrigen Sektoren ambitionierter und sozial-verträglicher zu gestalten, um unsere klimapolitischen Verpflichtungen einhalten zu können

 

Dynamisches Steuerkonzept

Der Temperaturanstieg im Vergleich zur vorindustriellen Zeit betrug schon im Jahr 2016 ungefähr 1,1° C. Wenn wir nicht sofort handeln, sind die Chancen, die globale Erderwärmung bis 2100 selbst auf 2°C begrenzen, erschreckend gering. Die CO2-Steuer ist eine der wirkungsvollsten Instrumente, um die Einhaltung des 1,5° C Zieles des Pariser Klimaabkommens noch zu ermöglichen. Dazu muss die Steuer allerdings effektiv und hoch genug angesetzt werden, um einen spürbaren Unterschied auszumachen. Wir fordern daher ab sofort die Besteuerung von Kohlenstoffdioxid-Emissionen mit 80€ pro emittierter Tonne C02, welche bis zum Jahr 2025 kontinuierlich auf 180€ pro Tonne und bis zum Jahr 2030 stetig auf 205€ pro Tonne CO2 ansteigen soll. Dieser Bepreisungsfahrplan deckt sich zu Teilen mit den Forderungen des Umweltbundesamtes und mehreren Umweltorganisationen. Der im Vergleich mit anderen Konzeptpapieren hohe Einstiegspreis stellt den besten Kompromiss zwischen einer effektiven umweltpolitischen Forderung und der Vermeidung einer Kostenverteilung auf den Schultern von Leuten mit niedrigem sozio-ökonomischen Status dar.

 

Wenig politische Themen haben so viel Dynamik wie die Klimadebatte. Um den aktuellen Stand der Forschung, neue nationale und internationale Entwicklungen und auch den sich stetig verändernden Konsens in Fachkreisen zu berücksichtigen, muss eine effektive CO2-Steuer flexibel und anpassbar sein. Wir fordern deshalb ein unabhängiges Expert*innengremium, welches, ähnlich wie die Mindestlohnkommission, die aktuelle Lage regelmäßig evaluiert und gegebenenfalls Anpassungen der Bepreisungen der Steuer an die Bundesregierung weitergeben kann. Diesem Expert*innengremium sollen ausschließlich Wissenschaftler*innen (explizit keine Wirtschaftsvertreter*innen) angehören. Die Berechnung und Anpassung der Steuer muss rein im Interesse des Klimaschutzes stehen. Die Berechnung muss mathematisch nachvollziehbar und wissenschaftlich begründet sein. Zusätzlich würde dieses Gremium frühzeitig einen mittel- oder langfristigen Plan für die Zeit nach 2030 entwickeln und die folgende Bepreisung der Steuer der klimapolitischen Situation sowie die positiven Feedback- Loops der Erderwärmung entsprechend berücksichtigen.

 

 CO2-Kennzeichnung

Zusätzlich fordern wir eine konkret in Kilo angegebene Kennzeichnungspflicht des CO2 Fußabdrucks oder der CO2– Äquivalenz bei allen anderen Treibhausgasen auf allen in Deutschland vertriebenen Produkten, besonders aber bei Lebensmitteln und Alltagsprodukten. Diese Kennzeichnung kann auch noch durch ein farbiges Ampelsystem ergänzt werden. Damit werden nicht nur die Verbraucher*innen transparent in die Bemühungen einer CO2-Reduzierung involviert und die Kaufentscheidungen der Konsument*innen positiv zugunsten des Klimas beeinflusst, sondern wir erhoffen uns damit auch einen weiteren Ansporn für Hersteller*innen zu CO2-armen Produktionsmethoden. In Schweden wurde ein CO2-Kennzeichnungssystem mit konkreter Kilo-Angabe 2009 eingeführt, mit der Folge, dass sich klimafreundliche Produkte um 20 Prozent besser als vorher verkaufen.

 

Soziale und finanzielle Ausgleichsmaßnahmen

Dieses Konzept der CO2-Besteuerung mit einem Eingangssteuersatz von 80€ pro Tonne würde, bei einem durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 8,89 Tonnen pro Jahr und Einwohner*in Deutschlands und ohne die sukzessive Verhaltensanpassung zu berücksichtigen, bis 2025 jährlich ein zusätzliches Steueraufkommen von 59,1 Milliarden Euro ergeben. Die zusätzlichen Geldbeträge sollen allerdings nicht im Gesamthaushalt verbucht werden, sondern direkt und mehrgleisig der Umverteilung und dem Klimaschutz dienen, indem sie durch die konkreten Maßnahmen, die wir beschreiben, in den Sozial- und Umweltsektor fließen. Obwohl es vor allem Menschen mit höherem Einkommen sind, die CO2-intensivere Güter und Dienstleistungen in Anspruch nehmen, müssen Menschen mit geringerem Einkommen den größeren Prozentsatz ihres Einkommens steuerlich zusätzlich aufwenden. Um also diese Menschen zu entlasten und zunächst bestimmten besonders betroffenen Gruppen den Übergang zu erleichtern, schlagen wir eine Reihe von sozialen Ausgleichsmaßnahmen vor, die für eine höhere Bepreisung von CO2 und CO2-Äquivalenten zwingend erforderlich sind. Als primären Ausgleichsmechanismus fordern wir eine sogenannte Klimadividende in Kombination mit Senkungen von Steuern, die untere Einkommensschichten überproportional belasten, wie beispielsweise eine deutliche und dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer. Die Klimadividende soll automatisch einmal im Jahr direkt an alle Bürger*innen ausgezahlt- und nach dem Einkommen gestaffelt werden. Je niedriger das Einkommen, desto höher die Klimadividende. So wird der Umverteilungsmechanismus der CO2-Steuer am deutlichsten sichtbar und greifbar. Dies hätte das Ziel, die Kosten für Individuen abzufedern und auch die öffentliche Unterstützung einer CO2-Bepreisung zu generieren. Eine dieser obsolet werdenden Abgaben ist die EEG-Umlage, welche Haushalte mit geringeren Einkommen überproportional belastet. Als Härtefallregelung unterstreichen wir weiterhin unsere Forderung nach einem erhöhten Mindestlohn auf mindestens 13,50 Euro pro Stunde, um so eine finanzielle Entlastung für niedrige Einkommen, die besonders von einer CO2-Steuer betroffen wären, zu gewährleisten. Fahrten von Pendler*innen zu und von ihrer Arbeitsstätte sollen vorerst von der Steuer ausgeschlossen sein. Die Lasten der Bekämpfung der Klimakrise dürfen nicht zu großen Teilen von Arbeitnehmer*innen getragen werden. Außerdem sollen Menschen in ländlichen Gebieten nicht aufgrund großer Entfernungen und schlechter ÖPNV-Anbindung benachteiligt werden. Arbeitgeber*innen, welche sich jedoch für klimafreundliche Fahrtgemeinschaftsangebote einsetzen sollen staatlich gefördert werden, um den Umstieg des Pendelns von Individualverkehr auf kollektive Beförderungsmethoden einzuleiten. Anstelle der Umlagen auf den Strompreis wollen wir Energieinvestitionen steuerlich finanzieren, um Verteilungsgerechtigkeit zu ermöglichen. Zusätzlich zu einer direkten und indirekten Steuerumverteilung sollen Teile der zusätzlichen Gelder auch in Sozialprojekte für betroffenen Bevölkerungsgruppen, lokale und internationale Nachhaltigkeitsprojekte und den Ausbau eines kostenlosen ÖPNV in ganz Deutschland investiert werden. Um Unternehmen zu einer CO2-armen Produktionsweise anzureizen, sollen vor allem kleine regionale Unternehmen, die besonders CO2-arm produzieren, subventioniert werden. Mit dieser Investitionsoffensive sollen diese transformationsbereiten Unternehmen gerade in den Anfangsjahren gefördert werden, damit sie sich finanziell bewähren können. Mit dieser Investitionsoffensive sollen diese transformationsbereiten Unternehmen gerade in den Anfangsjahren gefördert werden, damit sie sich finanziell bewähren können.

 

Ausgleiche sollen jedoch nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, sondern nur da angewendet werden, wo Bemühungen gezeigt werden und eine Unterstützung notwendig ist. Um ein “Carbon Leakage”, sprich das Auslagern von Emissionen von CO2 und CO2-Äquivalenten in Drittstaaten, zu verhindern, sollen die Vorschriften für die Industrie verpflichtend werden sowie möglichst zeitnah im internationalen Kontext angewendet werden und eine gemeinschaftliche Antwort bieten. Die Ausweitung des EU- Emissionshandel auf mehr beteiligte Länder (aktuell 31 Länder), muss daher Priorität haben.

 

Um die Umgehung der CO2-Bepreisung, indem Güter von Drittstaaten importiert werden, in denen keine äquivalente CO2-Bepreisung herrscht, zu vermeiden, sollen Zölle bei Importen analog zu der von uns beschriebenen CO2-Steuer erhoben werden. Dies soll so lange geschehen, bis internationale Vereinbarungen greifen, die eine gemeinschaftliche CO2-Bepreisung vorsehen.

 

Der Klimawandel ist ein internationales Problem, welches internationale Anstrengungen erfordert. Eine Koordination, die mindestens auf europäischer Ebene angesiedelt ist, setzen wir als Ziel. Wir erkennen jedoch, dass dies innerhalb weniger Jahre schwierig umzusetzen ist. Wir fordern daher die sozialdemokratischen Kommissionsmitglieder, MEPs und die nationalen Regierungen auf, sich für die Einführung einer ähnlichen Steuer in den EU-Mitgliedstaaten einzusetzen, damit diese mittelfristig auf europäischer Ebene weiter international koordiniert wird.

Antrag 16/I/2021 Berliner Wohnraum-Sicherungsgesetz – Verdrängung und Spekulation eindämmen und einen sozialen Wohnungsmarkt erhalten

18.03.2021

Die Situation am Wohnungsmarkt ist auch ein Jahr nach der Einführung des Mietendeckels angespannt, obgleich dieser bereits viele Berliner*innen finanziell entlastet hat. Gleichwohl sind die landesrechtlichen Möglichkeiten zur Regulierung noch bei Weitem nicht ausgeschöpft. Insbesondere im Bereich der Länderkompetenzen im Wohnungs- und Ordnungswesen verbleiben weitreichende Spielräume. Die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat und Abgeordnetenhaus werden daher zur Umsetzung der folgenden Punkte aufgefordert diese Handlungsspielräume zu nutzen und wenn nötig im Wege einer Bundesratsinitiative abzusichern:

 

Landesrechtliche Wohnraumsicherung

 

Der Bestand an belegungsgebundenen Sozialwohnungen in Berlin sinkt kontinuierlich. Belegungsgebunden bedeutet, dass die Wohnungen nur an Mieter*innen mit einem Wohnungsberechtigungsschein (WBS) vermietet werden dürfen. Ein WBS wird auf Antrag vom zuständigen Wohnungsamt erteilt, wenn das Haushaltseinkommen eine bestimmte Grenze nicht übersteigt. Schätzungsweise haben inzwischen über die Hälfte der Berliner Haushalte Anspruch auf einen WBS. Im Gegenzug für die Belegungsbindung erhalten Immobilieneigentümer*innen meist Förderungen wie z. B. günstige Kredite. Die Belegungsbindung endet innerhalb einer gewissen Frist nach Ablauf der Förderung, sodass Sozialwohnungen in der Regel nach 30 Jahren in den “freien” Markt übergehen.

 

Als Ergänzung zu Mietpreisbegrenzung wie dem Mietendeckel und der Mietpreisbremse, fordern wir die Einführung eines Berliner Wohnraumsicherungsgesetz. Dieses Gesetz stützt sich auf die ausschließliche Landeskompetenz im Wohnungswesen. Es soll vorschreiben, dass ein signifikanter Teil des Wohnungsbestandes, auch ohne Gegenleistung der Wohnraumförderung der Belegungsbindung unterliegt, also nur an Mietinteressent*innen mit WBS vergeben werden darf. Die Miethöhe für solche Belegungsgebunden Wohnung soll sich an der Ortsüblichen Vergleichsmiete orientieren und diese um einen festzulegenden Prozentsatz unterschreiten.

 

Auf dem freien Mietmarkt werden zahlungskräftige Interessent*innen regelmäßig bevorzugt. Zusätzlich sehen sich Interessent*innen rassistischer Diskriminierung, sowie Benachteilugung aufgrund ihres sozialen Status ausgesetzt. Diese Phänomene sind, auch bei der Vermietung belegungsgebundener Wohnungen zu beobachten. Im Bundesrecht gibt es bereits die Möglichkeit Mieter*innen für belegungsgebundene Wohnungen staatlich zuzuweisen (Besetzungsrecht nach § 26 Abs. 2 WoFG). Berlin soll davon insbesondere zugunsten von Mieter*innen Gebrauch machen, die vergleichsweise geringe Chancen auf einen Mietvertrag hätten.

 

Belegungsbindung nach öffentlich geförderter Sanierung

 

Fast 50% der städtischen klimaschädlichen Emissionen kommen aus dem Bau- und Immobilienwesen. Um die Vision einer klimaneutralen Stadt zu verwirklichen, muss ein Großteil des Wohnungsbestandes in Berlin innerhalb der nächsten Jahre energetisch saniert werden.

 

Um eine schnelle Transformation zur Klimaneutralität zu fördern, soll das Land Berlin Förderprogramme zur energetischen Sanierung von Wohngebäuden auflegen. Hierbei sollen die bestehenden Möglichkeiten des Baugesetzbuches, wie zum Beispiel Sanierungssatzungen genutzt werden, sofern diese Möglich und zur Sicherstellung von bezahlbarem Wohnraum zweckmäßig sind.

 

Im Gegenzug für die Förderung, soll das Land nach §2 WoFG, Belegungsrechte an bestehende Wohneinheiten erwerben, die im Rahmen der vorgeschlagenen Wohnraumsicherung genutzt werden. So können Wohnung, die nach Ablauf der Belegungsbindung dem sozialen Wohnungsmarkt entzogen wurden, wieder einer sozialverträglichen Nutzung zugeführt werden.

 

Umlageverbot bei unangetasteter Gewinnsubstanz

 

Ein Großteil des Wohnungsbestandes in Berlin befindet sich in der Hand von Aktiengesellschaften. Diese sollen künftig Mieter*innen vor einer Umlage von Kosten für Modernisierungen und verkappten Entmietungen auf den Mietzins glaubhaft machen müssen, dass ein Sanierung nicht unter Rückgriff auf die bisherigen Unternehmensgewinne finanzierbar ist. Zum Unternehmensgewinn zählen auch die Auszahlungen an Aktionär*innen. Die Auszahlungen dürfen bis auf die Höhe des durchschnittlichen Zinssatzes gekürzt werden. Ist diese Tatsache den Mieter*innen nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, kann die Mieterhöhung einseitig bis auf den vorherigen Mietzins gemindert werden.

 

Sanierungs-TÜV und Zweckentfremdungsverbot

 

Berlin soll als ordnungsrechtliches Mittel einen Sanierungs-TÜV für Mietobjekte einführen. Wir fordern die sozialdemokratischen Senator*innen und Mitglieder des Abgeordnetenhauses auf, die zur Beauftragung dieser Einrichtung erforderliche gesetzliche Grundlage zu schaffen. Vermieter*innen müssen alle 10-Jahre den Zustand des Mietobjekts vor einer unabhängigen und mit der Aufsicht und Vergabe von Prüfsiegeln beauftragten Einrichtung nachweisen.  Entspricht dieser nicht der aktuellen Rechtslage, insbesondere der gebotenen Instandhaltungen und energetischen Sanierungen, ist der TÜV zu verweigern. Für diesen Fall soll ein Zweckentfremdungsverbot nach Hamburger Vorbild (Hamburgisches Wohnraumschutzgesetz) greifen. Die Aufsichtsbehörde kann demnach die Sanierung der Wohnung treuhänderisch auf Kosten der Eigentümer*innen vornehmen. Das Umlageverbot bei unangetasteter Gewinnsubstanz bleibt unberührt.

 

Wohnungs- und Mietenkataster und Transparenzregister

 

Die geringe öffentliche Kontrolle beim Erwerb und Verkauf von Immobilien, machen Berlin seit längerem zu einem attraktiven Ort für Geldwäsche.

 

Gleichzeitig basieren viele gesetzliche Regelungen auf der sog. ortsüblichen Vergleichsmiete. Der Streit um ihre Höhe prägt eine Vielzahl von Mieterhöhungs- und Mietpreisbremsenverfahren. Die ortsübliche Vergleichsmiete wird in der Regel über Mietspiegel abgebildet, die Erstellung methodisch ausbaufähig ist und häufig angegriffen werden.

 

Um den Mangel an Informationen über Wohnraum, sei es Eigentümer*in, wirtschaftliche Berechtigte, oder Miethöhen zu beseitigen, fordern wir die Einführung eines Wohnungs- und Mietenkataster. Dieses soll für jede Immobilie die Eigentums- und Berechtigungsverhältnisse, den Bestand an Mietwohnungen und die vereinbarten Miethöhen samt Nebenabreden erfassen.

 

Milieuschutzberatung und Finanzierungsagentur

 

Milieuschutzgebiete sind ein baurechtliches Instrument der Stadtentwicklung. Vorrangiges Ziel ist es die Sozialstruktur, also die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, in einem bestimmten Gebiet zu erhalten.

 

Wird eine Immobilien in einem Milieuschutzgebiet verkauft, so hat der Bezirk ein Vorkaufsrecht. Er kann innerhalb von zwei Monaten selbst oder zu Gunsten Dritter in den Kaufvertrag eintreten. Der*die Kaufende kann einen Vorkauf mittels einer Abwendungsvereinbarung verhindern. Im Gegenzug werden bestimmte Auflagen vereinbart. Beispielsweise dürfen für eine bestimmte Zeit lang keine Sanierungen oder Umwandlungen in Eigentumswohnungen durchgeführt werden.

 

In der Praxis herrscht ein enormes Kräfteungleichgewicht zwischen Mieter*innen und Bezirk gegenüber Käufer*innen und Verkäufer*innen. Einerseits liegen aufgrund des überhitzten Marktes die Kaufpreise deutlich über dem Verkehrswert der Objekte, andererseits muss das Vorkaufsrecht innerhalb einer vergleichsweise kurzen Frist gezogen werden, wobei die Finanzierung des Vorkaufs sichergestellt sein muss. Wir fordern daher weiterhin, dass sich die SPD auf allen Ebenen für eine Preislimitierung beim Vorkauf von Immobilien in Milieuschutzgebieten einsetzt.

 

Zusätzlich fordern wir die Einführung einer Milieuschutzberatung. Betroffene Mieter*innen sollen vom Bezirk aktiv über die Situation und die Möglichkeiten eines Vorkaufs informiert werden. Ziel ist es, dass nicht nur die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, welche oft nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten entscheiden, ob sie in den Kaufvertrag eintreten, miteinbezogen werden. Stattdessen soll auch auf die Möglichkeit durch den Erwerb durch andere, gemeinwohlorientierte Dritte hingewiesen werden.

 

Der Senat soll die Überführung von Objekten in Milieuschutzgebieten in die Hände der Mieter*innen oder gemeinwohlorientierte Akteur*innen durch Fördermaßnahmen unterstützen, beispielsweise indem günstige Darlehen gewährt werden.

 

Ein Vorkaufsrecht für einzelne Wohneinheiten

 

Zudem sollten Mieter*innen von Einzelwohnungen ein über § 577 Abs. 1 BGB hinausgehendes Vorkaufsrecht erhalten. Vermieter*innen werden in dem Rahmen verpflichtet Mieter*innen vor Verkauf der Wohnung das Mietobjekt zu einem angemessenen Preis anzubieten. Angemessen ist der Preis, wenn er den Verkehrswert der Wohnung nicht übersteigt. Als Einzelwohnungen gelten alle Mietwohnungen, die sich im Privateigentum des* der Vermieter*in befinden und keine zusammenhängenden Wohneinheiten darstellen bzw. als zusammenhängende Wohneinheiten an unterschiedliche Dritte zum Verkauf angeboten werden sollen. Das Vorkaufsrecht kann unbeschadet des Milieuschutzes auch an staatliche Stellen abgetreten werden, und von diesen zugunsten der Mietenden im Rahmen der Erbpacht ausgeübt werden. Entsprechende Mittel insbesondere für sozial bedürftige sollen in den Haushalt eingestellt werden. Diese Maßnahmen sollen insbesondere Verdrängungseffekten entgegenwirken.

Antrag 102/I/2021 Grüne Gentechnik aus progressiver Perspektive

18.03.2021

Vorbemerkung: In diesem Papier geht es ausschließlich um grüne Gentechnik bei Nutzpflanzen. Einige Analysen und Lösungsvorschläge lassen sich jedoch auf die gesamte Saatgut- und Lebensmittelindustrie beziehen. Da es ein gewisses Vorwissen braucht, um die Forderungen verstehen zu können, widmen sich die Kapitel 1 und 2 der Begriffsklärung bzw. unserer Motivation. In Kapitel 3 befindet sich die Problemanalyse. In Kapitel 4 werden unsere Forderungen formuliert und in Kapitel 5 die Umsetzung dieser ausgeführt.

 

1.          Worüber reden wir?

Bei der grünen Gentechnik können wir grob zwischen drei Züchtungstechniken unterscheiden.

 

1.1.          Konventionelle Züchtung

Bei der konventionellen Züchtung werden diejenigen Pflanzen ausgewählt, die dem Züchtungsziel am nächsten kommen, weil sie z.B. besonders große oder viele Früchte tragen und werden gekreuzt, damit diese Merkmale bei der nächsten Pflanzengeneration noch ausgeprägter sind. Zur Auswahl der Pflanzen geht nicht der*die Landwirt*in übers Feld und sucht Pflanzen heraus, die durch zufällige Mutationen dem Züchtungsziel nahe kommen. Stattdessen werden die Pflanzen mit radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien so behandelt, dass Mutationen auftreten (Mutagenese). Die behandelten Pflanzen, deren Mutation zum Züchtungsziel passt, werden dann zur Weiterzüchtung ausgewählt.

 

Bei der konventionellen Züchtung wird also nicht das Genom selbst betrachtet, sondern die Ausprägungen, die es herbeiführt. Auch wenn bei dieser Züchtungsform nicht von Gentechnik gesprochen wird, ist das Genom der so neu gezüchteten Sorte im Vergleich zur ursprünglichen Sorte verändert.

 

2018 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die rechtliche Einstufung von Pflanzensorten, die durch konventionelle Züchtung entstehen. Der EuGH entschied, dass Pflanzensorten, die durch Bestrahlung oder Einsatz von Chemikalien entstanden sind, von der sonst üblichen Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht für genetisch veränderte Organismen (GVO) befreit sind. Der Grund hierfür sei die seit langem übliche Anwendung dieser Methode und die daraus resultierende Einstufung als ungefährlicher Organismus. Gentechnik ist also schon lange Bestandteil unserer Agrarwirtschaft – wird aber oft nicht als solche benannt.

 

1.2.          Konventionelle Gentechnik

Bei der konventionellen Gentechnik (“genetically modified organisms”, kurz GMO, oder “genetisch veränderte Organismen”, kurz GVO) werden Erbgutteile einer ähnlichen oder einer gänzlich anderen Art in das Erbgut einer Nutzpflanze eingebaut. Wenn Organismen mit dem Erbgut ihnen ähnlicher Arten behandelt werden, spricht man von “cisgenen” GVO. Wenn Organismen mit dem Erbgut gänzlich anderer Arten behandelt werden, spricht man von “transgenen” GVO .

 

Bei der konventionellen Gentechnik kann nicht genau bestimmt werden, wo der einzufügende Erbgutteil eingebaut wird. Wurde artfremdes Erbgut (transgen) eingefügt, ist das später im Erbgut der Pflanze erkennbar und man kann klar sagen, dass diese mit Gentechnik verändert wurde. Jedoch muss im Vornherein klar sein, nach welchen Veränderungen gesucht wird. Bei cisgenetischen Veränderungen (Erbgutteil einer ähnlichen Art) können diese genetischen Veränderungen gar nicht nachgewiesen werden.

 

Ein bekanntes Beispiel für eine transgenetisch veränderte Pflanze ist der Bt-Mais. Viele Maispflanzen werden durch einen bestimmten Schädling zerstört. Es gibt ein Bakterium, das ein Protein produziert, das für den Menschen unschädlich, für genau diesen Schädling aber giftig ist. Die Formel zur Herstellung dieses Proteins steckt im Erbgut des Bakteriums. Beim Bt-Mais wurde diese Formel in das Erbgut der Mais-Pflanze eingeschleust. Der so veränderte Bt-Mais kann nun selbst das Protein gegen den Schädling produzieren.

 

Risiken bestehen hauptsächlich für “Nicht-Zielorganismen”, also zum Beispiel andere Insekten als den Schädling selbst, die mit der gentechnisch veränderten Pflanze in Berührung kommen.

 

Der rechtliche Umgang mit und die Regulierung genetisch veränderter Organismen unterscheiden sich stark zwischen den Staaten. Die EU reguliert hier anhand der sogenannten Freisetzungsrichtlinie (Zulassung zum Anbau) und einer separat geregelten Zulassung als Futter- und Lebensmittel. Die EU reguliert prozessbezogen und stuft so die Sorten nach dem Verfahren, durch das sie entstanden sind, ein. Währenddessen handeln Staaten wie die USA und Kanada produktbezogen, wo die Eigenschaft „genetisch modifiziert“ an bestimmten Eigenschaften eines Organismus festgemacht wird. Zudem haben Staaten auch innerhalb der EU verschiedene Umgangsweisen mit genetisch veränderten Organismen. Dies führt unter anderem zu uneinheitlichen Regelungen innerhalb der EU und weltweit.

 

1.3.          Neue Gentechnik

Die neue Gentechnik wird auch moderne Gentechnik oder “genome editing” (GE) genannt. GE gibt es seit ca. 20 Jahren. Das Genom der Pflanze wird aufgeschlüsselt, damit eine Änderung an einer genau bestimmten Stelle vorgenommen werden kann. Darin liegt der große Unterschied zur konventionellen Gentechnik, in der diese Genauigkeit nicht möglich ist.

 

“Crispr/cas9”, auch bekannt als “Genschere”, ist eine besondere GE-Technik, die es seit ca. fünf Jahren gibt und den GE-Prozess um ein Vielfaches beschleunigt. Mit dieser Technik können einzelne Bereiche des Erbguts spezifisch verändert werden. Somit ist auch die Formulierung komplexerer Züchtungsziele möglich, die Veränderungen von mehreren Genen gleichzeitig (polygenetisch) beinhalten können.

 

Solche cisgenetischen Veränderungen von Pflanzen mit dem Erbgut waren auch mit der konventionellen Gentechnik möglich – allerdings waren sie so aufwendig, dass sie fast nie durchgeführt wurden. In der Praxis gibt es also erst durch “genome editing” und die effizientere GE-Technik “crispr/cas9” cisgenetisch verändertes Saatgut.

 

Es gibt durch GE nun also zum ersten Mal gentechnisch verändertes Saatgut, das man nicht von konventionell erzeugtem Saatgut unterscheiden kann.

 

1.4.          Biodiversität bei Nutzpflanzen

Alle diese drei Züchtungsarten erschaffen neue Pflanzensorten, die ein eigenes Genom haben. Das bedeutet zunächst einmal mehr Biodiversität. Alle Sorten von Nutzpflanzen, egal, wie sie entwickelt wurden, können sich im Feld mit anderen Sorten kreuzen. Mit Gentechnik entwickelte Sorten bedrohen andere Pflanzen und damit die Biodiversität nicht mehr als konventionell erzeugte Sorten.

 

2.          Warum reden wir darüber?

 

Als Sozialist*innen und Internationalist*innen können wir mit den aktuellen Regelungen rund um das Thema Gentechnik nicht zufrieden sein. Dafür haben wir mehrere Gründe.

 

2.1.          Wissenschaftliche Erkenntnisse leiten unsere politische Arbeit.

Wir sehen, dass die Debatten um Ernährung, Landwirtschaft und Gentechnik oft auf emotionaler Ebene geführt werden und neue wissenschaftliche Erkenntnisse dabei nur unzureichend berücksichtigt werden. Das ist nicht überraschend, denn die eigene Ernährung ist etwas sehr Persönliches und wir respektieren das in all unseren Überlegungen zu diesem Bereich und tragen gleichzeitig dem Vorsorgeprinzip Rechnung.

 

Wir beobachten, dass im Bereich der Landwirtschaft Veränderungen und Innovationen oft kritischer gesehen werden als in anderen Bereichen. Außerdem gibt es in der EU aber auch in anderen Industriestaaten eine starke Agrarlobby, was dazu führt, dass die Landwirtschaft stärker als andere Sektoren subventioniert wird, was auch bei vielen Wähler*innen Unterstützung findet.

 

Dass emotionale Argumente die gesellschaftliche Diskussion und damit die Politik leiten, sehen wir auch im Bereich Gentechnik. Konventionelle Züchtung setzte früher auf zufällige Mutation im Genom, heute auf Mutationen durch radioaktive Bestrahlung oder den Einsatz aggressiver Chemikalien. Bei diesen Techniken kann und konnte nie ausgeschlossen werden, dass auch unabsichtliche und gar unbemerkte Veränderungen an anderen Eigenschaften der Pflanzen auftreten. So gab es beispielsweise Fälle, in denen der Gehalt eines bestimmten Stoffes (Glycoalkaloid) in den Pflanzen erhöht wurde, um sie besser vor Insekten und Krankheiten zu schützen. Erst später wurde entdeckt, dass dieser Stoff in erhöhter Menge zu Krankheiten beim Menschen führt.

 

Dieses Risiko gibt es selbstverständlich auch bei Sorten, die durch GM oder GE entwickelt wurden. Es ist bei diesen Verfahren jedoch kleiner, weil die Veränderungen, die vorgenommen werden, zielgerichteter sind und die Forscher*innen wissen, welche Gene verändert werden. Weshalb ist also das Misstrauen aus Verbraucher*innenperspektive gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen so viel höher als gegenüber konventionell gezüchteten? Auf wissenschaftlichen Fakten beruht dieser Unterschied in der Bewertung zumindest nicht. Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn politische Entscheidungen, hier die Bevorzugung einer Züchtungsart, auf irrationalen Annahmen und gefühlten Wahrheiten beruhen und damit für viele Menschen das Ergebnis dieser Politik weniger gut ist als es sein könnte.

 

2.2.          Welternährung sichern und den Klimawandel bekämpfen

Der Klimawandel ist die große Bedrohung der Menschheit im 21. Jahrhundert. Die Weltbevölkerung wächst. Beides stellt uns vor große Herausforderungen. Unsere Entscheidungen betreffen nicht nur uns, sondern auch Menschen an anderen Orten der Welt und künftige Generationen. Auch diesen Menschen gegenüber haben wir eine Verantwortung. Daher dürfen wir nicht einfach eine Maßnahme, eine technologische Möglichkeit, um diese Herausforderungen anzugehen von vornherein ausschließen ohne das Für und Wider rational zu bewerten.

 

Gesunde Nahrungsmittel und eine ausgewogene Ernährung dürfen kein Luxus sein. Entsprechend können wir das Gefälle beim Zugang zu gesunder Ernährung, das es innerhalb Deutschlands, aber auch global gibt, nicht akzeptieren.

 

2.3.          Das Urteil des EuGH zeigt den dringenden Handlungsbedarf.

Gentechnik wird in Deutschland seit den 1970er Jahren genutzt. 1990 wurde das Gentechnikgesetz (GenTG) als Rahmen für die Nutzung und Entwicklung von Gentechnik verabschiedet. Es soll vor allem Verbraucher*innen vor potentiellen Gefahren schützen.

 

Das GenTG definiert einen genetisch veränderten Organismus als „ein[en] Organismus, mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material in einer Weise verändert  worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzungen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt“ (GenTG §3 Abs. 2a)). Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens fiel unter diese Definition die konventionelle Gentechnik. Jedoch werden im Begriff „gentechnische Arbeiten“ alle Methoden zur „Erzeugung gentechnische veränderter Organismen“ eingeschlossen (GenTG §3 Abs. 3). Das GenTG gilt in dieser Form auch heute noch, obwohl sich die Forschung stark weiterentwickelt hat und eine Differenzierung der Methoden nötig wäre.

 

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Jahr 2018 hat dem Thema neue Aktualität und Aufmerksamkeit verschafft. Es besagte, dass GE-Pflanzen in der EU genauso behandelt werden sollen wie mit konventioneller Gentechnik entwickelte Pflanzen (GVOs) und entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Eine Unterscheidung zwischen GE- und nicht-GE-Pflanzen ist im Nachhinein nicht möglich und eine Kennzeichnungspflicht daher auch nicht umsetzbar. Andere wichtige Agrarexportländer wie die USA, Kanada oder Brasilien haben hingegen produktorientierte Regelungen, bei denen GE-Sorten nicht als Gentechnik eingeordnet werden und entsprechend nicht als solche gekennzeichnet werden müssen.

 

3.          Was ist das Problem?

 

3.1.          Der Markt für Lebensmittel auf Seite der Produzierenden in Deutschland und der EU.

 

3.1.1.          Eine kapitalistische Marktwirtschaft verfolgt nie unsere gesellschaftlichen Ziele.

Im Kapitalismus ist stets die Erwirtschaftung von Profiten das Ziel. Ein Unternehmen kann nach dieser Logik Profite nur durch Verkauf seiner Entwicklung, also dem neuen Saatgut und den damit verbundenen Produkten, wie Pestiziden erwirtschaften. Entsprechend wird ausgewählt, woran geforscht und was entwickelt wird. Dabei leiten folgende Prinzipien:

 

  1.  Die Entwicklung soll so günstig wie möglich sein.
  2.  Es sollten viele Landwirt*innen/Verbraucher*innen diese so veränderte Sorte nachfragen.
  3.  Es sollten zahlungskräftige Landwirt*innen/Verbraucher*innen nachfragen.

 

Daraus ergibt sich, dass Landwirt*innen, die ja wiederum selbst im Kapitalismus wirtschaften, Sorten nachfragen von deren verbesserten Eigenschaften sie finanziell profitieren. Als Beispiel hierfür zählen z.B. höhere Erträge durch größere Früchte oder durch einen geringeren Bedarf an Inputs wie Pestiziden oder Dünger, für die die Landwirt*innen zahlen müssten. Eigenschaften, für die die Landwirt*innen nicht vergütet werden, sind ökonomisch uninteressant.

 

Selbst wenn es eine große Gruppe an Verbraucher*innen gibt, die eine veränderte Sorte nachfragen würde, aber keinen entsprechend hohen Preis zahlen kann, wird diese nicht entwickelt.

 

Einige Forschungsziele werden daher von privaten Unternehmen gar nicht verfolgt, wie beispielsweise ein erhöhter Gehalt von Vitaminen oder Nährstoffen. Diese Eigenschaften sind nämlich nicht nur in einem Gen veranlagt (monogenetisch), sondern in mehreren (polygenetisch). Eine zielgerichtete Veränderung an mehreren Genen durchzuführen ist aufwendiger und entsprechend kostspieliger. Ein solches Beispiel öffentlicher Forschung ist der golden rice, einer Reissorte, die einen gesteigerten Gehalt von Vitamin A aufweist und  somit Mangelerscheinungen bekämpfen kann und von der ETH Zürich und dem International Rice Research Institute (IRRI) entwickelt wird.

 

3.1.2.          Die Aufteilung des Marktes unter wenigen Großkonzernen, die die Patente halten, ist problematisch.

Aktuell sehen wir eine hohe Konzentration auf dem Markt für Saatgut. Einige wenige Konzerne haben den Markt unter sich aufgeteilt und üben eine entsprechende Macht aus. Dies betrifft nicht nur Preise oder Konditionen zu denen Saatgut an Landwirt*innen in Deutschland und weltweit verkauft wird, sondern auch die Frage an was überhaupt geforscht und bis zur Zulassung entwickelt wird. Ein entscheidender Grund hierfür ist, dass die Entwicklung bislang aufwendig und die Kosten entsprechend hoch waren. Eine neue Sorte zu entwickeln lohnt sich nur, wenn sie an einen Großteil des Markts verkauft werden kann, weil es keine oder nur wenige konkurrierende Unternehmen gibt.

 

Die Genschere crispr/cas9 lässt einen Paradigmenwechsel erwarten. Diese Technologie macht es deutlich schneller und günstiger, das Genom einer Pflanze zu verändern und ermöglicht es auch in einem kapitalistischen Markt kleineren Unternehmen, die die hohen Fixkosten nicht tragen könnten, neue Sorten zu entwickeln.

 

Eine weitere Eigenschaft dieses Marktes ist die Verbindung des Verkaufs von Saatgut mit dem von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Viele der großen Konzerne haben sowohl eine Sparte für Saatgut, als auch für Dünge- oder Pflanzenschutzmittel. Wenn eine Sorte also beispielsweise auf ihre Toleranz hinsichtlich eines bestimmten Herbizids (=Unkrautvernichtungsmittel) entwickelt wird, wird genau dieses Mittel auch durch das entsprechende Unternehmen verkauft. Dies erhöht die Marktmacht des einzelnen Konzerns abermals.

 

3.2.          Gentechnik ist eine Frage internationaler und intergenerationaler Solidarität.

Die Industriestaaten leisten sich mit bio und gentechnikfreien Lebensmitteln eine verhältnismäßig ineffiziente Produktion dieser. Damit beanspruchen sie mehr Flächen und Ressourcen als notwendig wäre.

 

3.3.          Der Markt für Lebensmittel auf Seite der Konsumierenden in Deutschland und der EU.

Aktuell gibt es nur die Kennzeichnung “ohne Gentechnik”. Für viele Verbraucher*innen ist diese Kennzeichnung gleichbedeutend mit “natürlich” und “sicher”. Die Kennzeichnung in dieser Form wertet Produkte “ohne Gentechnik” bei den Verbraucher*innen auf – allerdings zu Unrecht. Konventionelle Züchtung mit Chemikalien oder Radioaktivität, die das Erbgut der Pflanze verändern, ist nicht “natürlicher” oder “sicherer” als Gentechnik. Für konventionelle Züchtung gibt es jedoch kein gibt es kein entsprechendes Siegel.

 

Da hier jedoch die nötige Aufklärung der Verbraucher*innen fehlt, unterstützt das “Ohne Gentechnik”-Siegel eher ein Bauchgefühl und keine Unterscheidung, die nach wissenschaftlichen Kriterien sinnvoll ist. Gerade jetzt, da belegte wissenschaftliche Erkenntnisse von Verschwörungsgläubigen als falsch verunglimpft werden und breite Teile der Bevölkerung für “fake news” und “alternative Fakten” zugänglich sind, sollten die politischen Akteur*innen besonders aufmerksam und sorgfältig sein.

 

4.          Was wollen wir?

Wissenschaftlicher Fortschritt soll dem Wohle aller dienen. Daraus ergeben sich für uns im Bereich Gentechnik zwei Hauptforderungen:

 

Wir wollen die Demokratisierung aller Lebensbereiche und den Schutz von Umwelt, Klima und Tieren

 

Was wie, wo und von wem produziert wird, muss demokratisch bestimmt werden. Das gilt für die Landwirtschaft wie für andere Bereiche der Produktion. Für die Landwirtschaft schließt das u.a. die Fragen ein, welches Saatgut und welche Dünge- und Pflanzenschutzmittel entsprechend genutzt werden oder auch wie viel Wasser und welches Land genutzt werden soll.

 

Als Internationalist*innen denken wir global und verfolgen diese Ziele für alle Menschen, ob in Deutschland, der EU oder an anderen Teilen der Welt. Unsere gesamtgesellschaftlichen Ziele sind folgende:

 

  • Ernährungssicherheit: Ernährungssicherheit ist gegeben, wenn alle Menschen zu jeder Zeit physischen und ökonomischen Zugang zu genügend und sicherer Nahrung haben und die ernährungsbezogenen Bedürfnisse sowie die Präferenzen für ein gesundes und aktives Leben sichergestellt werden können.
  • gute Arbeitsbedingungen für diejenigen, die in der Landwirtschaft und verbundenen Wirtschaftszweigen arbeiten und gute Lebensbedingungen für diejenigen, die direkt oder indirekt von der Landwirtschaft betroffen sind, weil sie beispielsweise als Anwohner*innen mit ihr in Kontakt kommen.
  • effiziente Nutzung der Ressourcen. Wir wollen schonend mit den Ressourcen unseres Planeten umgehen und uns solidarisch mit Menschen an anderen Teilen der Welt und künftigen Generationen zeigen. Keine Ressource, sei es Wasser, Boden oder die natürlichen Senken des Ökosystems, soll übernutzt werden. Neben der Produktion von Lebensmitteln und anderen Agrargütern sehen wir die Sicherung von Biodiversität und Klimaschutz als eins der Ziele der Landwirtschaft.

 

5.          Wie wollen wir unsere Ziele erreichen?

 

5.1.          Forschung und Produktion von Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in die öffentliche Hand!

Wir sehen nicht, dass man den Markt so umgestalten kann, dass diese gesamtgesellschaftlichen Ziele allein durch Marktmechanismen verfolgt werden.

 

Die öffentliche Hand muss sich stärker der Forschung und Entwicklung in den Bereichen Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln annehmen. Dies muss zum einen über finanzielle Mittel geschehen. Zum anderen müssen die Regelungen, die aktuell Forschung an grüner Gentechnik unterbinden, gelockert werden. Die Forschung auf dem offenen Feld muss in Deutschland bzw. der EU erlaubt werden. Ohne diese ist keine anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung an Nutzpflanzen mithilfe von Gentechnik möglich.

 

Bei der Neustrukturierung des Marktes können wir uns vorstellen, dass die Forschung und die anwendungsorientierte Entwicklung bis hin zur Marktreife über Drittmittelprojekte finanziert wird, bei denen der Staat Ziele formuliert und ausschreibt und entsprechende Forschungsinstitute sich auf diese bewerben. Auch können wir uns vorstellen, dass staatliche Institute und öffentliche Unternehmen direkt mit der Forschung und Entwicklung betraut sind. Die Ziele der Forschung, die Methoden, die Sicherheit und gute Arbeitsbedingungen müssen selbstverständlich Teil der Vergabekriterien bzw. der Praxis in staatseigenen Unternehmen sein.

 

Wir sprechen uns klar gegen oligopole (die konzentrierte Marktmacht auf einige wenige Akteur*innen) Strukturen auf dem Markt aus. Die Entstehung von Oligopolen muss in jedem Fall kartellrechtlich verhindert werden. Bestehende Oligopole müssen aufgespalten werden. Unternehmenssektoren von besonderer gesellschaftlicher Bedeutung müssen mindestens gesellschaftlicher Beteiligung unterliegen und zur Not komplett vergesellschaftet werden können. Hierbei muss das Kartellrecht den Saatgutmarkt und den Markt für Pflanzenschutz-/Düngemittel zusammendenken und darf nicht wie bisher die Unternehmenskonzentration auf dem einen Markt getrennt von der auf dem anderen Markt bewerten.

 

Neben der Entwicklung neuer Sorten mithilfe von Gentechnik, möchten wir auch die Forschung an alten, indigenen Sorten fördern: zum Einen bieten diese einen neuen Ausgangspunkt für Weiterentwicklungen durch konventionelle Züchtung oder Gentechnik. Zum Anderen ist es möglich, dass diese alten Sorten durch veränderte Klimaverhältnisse an Orten abseits der traditionellen Anbaugebiete auch ohne großartige Weiterentwicklung sehr gute Ergebnisse liefern. Daher ist es wichtig, an diesen Stellen verstärkt zu forschen, Saatgutbanken zu unterhalten, sowie den Anbau dieser Sorten zu fördern. Wir müssen die genetische Vielfalt bei Nutzpflanzen erhalten, damit die Menschheit weiterhin auf diese zurückgreifen kann.

 

5.2.          Patente und Lizenzen am Gemeinwohl ausrichten!

Entwicklungen und Erkenntnisse, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, dürfen nicht unentgeltlich an Private weitergegeben und von diesen kommerziell genutzt werden. Aktuell passiert das oft durch Ausgründungen aus nicht-kommerziellen Forschungsinstituten. Wir finden: Finanzielle Gewinne durch Erkenntnisse, die die Öffentlichkeit finanziert hat, sollen auch der Öffentlichkeit zufließen. Der Staat soll also Eigentümer sein von öffentlich finanzierten Erkenntnissen.

 

Wir möchten Rechte an Sorten bzw. Grundlagenforschung analog zu nicht-kommerziellen Creative Commons- und Open Source-Lizenzen im digitalen Bereich organisieren: So könnten nicht-kommerzielle Einrichtungen weiterhin öffentlich finanzierte Erkenntnisse als Basis nehmen, diese weiterentwickeln und müssen dafür kein Geld bezahlen. Aber sobald die Erkenntnisse kommerziell genutzt werden, müssten die Unternehmen Gelder an den Staat zur Nutzung der öffentlich finanzierten Forschung zahlen. So wird sichergestellt, dass es nicht wie aktuell den Anreiz für Unternehmen gibt, “bugs” (also Probleme oder ungenutzte Potentiale) versteckt zu halten und dass stattdessen viele verschiedene Einrichtungen weiterforschen um möglichst gute Nutzpflanzen für die Allgemeinheit zu entwickeln.

 

Ein erster Schritt kann hier sein, die Möglichkeit einer Patentierung von gentechnisch erzeugten Sorten abzuschaffen und diese mit konventionell erzeugten Sorten gleichzustellen. Für letztere gilt nämlich nur der Sortenschutz.

 

Außerdem setzen wir uns für eine Standardisierung von Saatguteigenschaften, Dünger, Pestiziden durch die Forschenden selbst ein. Ziel davon ist, dass nicht wie bisher nur ein Unternehmen den zum eigenen Saatgut passenden Dünger und die passenden Pestizide verkauft und damit allein schon Marktmacht ausüben kann, sondern dass auch andere Akteur*innen ansetzen und die entsprechenden ergänzenden Produkte entwickeln können.

 

Wir brauchen außerdem Rechtssicherheit für alle Landwirt*innen. Wenn sich durch Lizenzen geschützte Pflanzen z.B. durch Bestäubung über Wind mit den Pflanzen einer Landwirtin ohne deren Zutun vermischen, darf diese Landwirtin nicht rechtlich belangt werden können.

5.3.          Zulassungsverfahren angleichen!

Neue Sorten müssen zugelassen werden, bevor sie zur Nahrungsmittelproduktion angebaut werden und auch bei Pflanzenschutz- und Düngemitteln muss nachgewiesen werden, dass  sie nicht schädlich für Umwelt und Mensch sind. Tests müssen so durchgeführt werden,  wie Mensch und Umwelt mit diesen Sorten bzw. Mitteln in Kontakt kommen. So werden beispielsweise bei Glyphosat nicht die Langzeitfolgen von kleinen Dosen untersucht.

 

Aktuell müssen gentechnisch erzeugte Sorten einen viel aufwendigeren Zulassungsprozess durchlaufen als konventionell erzeugte Sorten. Dabei gibt es
 Beispiele von konventionell erzeugten Pflanzen, die erst zugelassen wurden und bei denen dann festgestellt wurde, dass sie die Gesundheit gefährden, z.B. durch einen zu hohen Glycoalkaloid-Gehalt. Die Zulassungsregeln sind also weder für konventionell noch gentechnisch erzeugte Sorten angemessen.

 

Wir wollen, dass härtere Zulassungsprozesse mit aufwendigen Testreihen für Sorten gelten, bei denen die Inhaltsstoffe der Pflanzen verändert wurden und/oder bei denen fremdes Genmaterial eingefügt wurde. Ist dies bei einer neuen Sorte nicht der Fall, soll sie wie gehabt unkompliziert zugelassen werden können. Ob sie nun konventionell oder mit Gentechnik gezüchtet wurde, soll also nicht weiter über die Art des Zulassungsverfahren entscheiden.

 

5.4.          Verbraucher*innen aufklären!

Wir brauchen mehr Aufklärung. Zum Thema Gentechnik im Vergleich zur konventionellen Züchtung herrscht an vielen Stellen noch sehr viel Unwissen. Als rationaler, wissenschaftsorientierter Verband ist es für uns wichtig, dass Information und Fakten zu diesem wie zu anderen Themen einfach und verständlich erreichbar sind und möchten dieses Feld nicht einzelnen Lobby-Vereinigungen überlassen.

 

Wir wollen mehr Informationen für Verbraucher*innen: Eine einseitige Kennzeichnung von “gentechnikfreien” Produkten ist wertend und irreführend. Wenn Züchtungsmethoden auf Produkten ausgewiesen werden, sollten alle ausgewiesen werden. Entsprechend sollte diese Information auch auf Produkten stehen, deren Züchtung mithilfe von radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien geschehen ist. In diesem Zusammenhang könnte auch eine Differenzierung bei der Kategorie “bio” angedacht werden. Einige Sorten, die mithilfe von Gentechnik entwickelt wurden, kommen beispielsweise besser ohne Pestizide aus, brauchen weniger Wasser oder Fläche und schonen so die Umwelt. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen bedrohen die Biodiversität nicht mehr als konventionell gezüchtete Sorten. Wenn aber gentechnisch veränderte Sorten mehr Ertrag pro Hektar liefern und somit Fläche stillgelegt werden kann, könnten diese Sorten einen Beitrag zum Schutz von Biodiversität leisten. Das alles sind für viele Konsument*innen von Bio-Produkten, wichtige Aspekte. Aktuell sind Sorten, die mit Gentechnik entwickelt wurden, allerdings kategorisch vom Bio-Siegel ausgeschlossen.

 

Im Sinne der internationalen und intergenerationalen Solidarität müssen wir so wenig Ressourcen wie möglich verbrauchen und dabei immer noch alle Menschen angemessen ernähren. Diese Ressourceneinsparung können wir mit neuen Sorten, auch gentechnisch veränderten Sorten vorantreiben, aber natürlich auch mit einer Verringerung der Lebensmittelverschwendung, beginnend auf dem Feld bis zum Haushalt, mit einer Verringerung des Konsums von besonders ressourcenintensiven Lebensmitteln und anderen. Die Verantwortung ist groß und wir können es uns nicht erlauben, eins dieser Instrumente kategorisch auszuschließen.

 

5.5.          Hoch die internationale Solidarität!

Wissenschaftler*innen und Erzeuger*innen können Erkenntnisse darüber liefern, was gebraucht wird. Daher wollen wir, dass Forschungs- und Entwicklungsgelder bereitgestellt werden, um Forschung in anderen Ländern zu fördern und internationalen Austausch zwischen Forschungseinrichtungen zu ermöglichen. Hierfür braucht es auch Forschungsstipendien, die einen Austausch in beide Richtungen sicherstellen.