Antrag 102/II/2021 Grüne Gentechnik aus progressiver Perspektive

Vorbemerkung: In diesem Papier geht es ausschließlich um grüne Gentechnik bei Nutzpflanzen. Einige Analysen und Lösungsvorschläge lassen sich jedoch auf die gesamte Saatgut- und Lebensmittelindustrie beziehen. Da es ein gewisses Vorwissen braucht, um die Forderungen verstehen zu können, widmen sich die Kapitel 1 und 2 der Begriffsklärung bzw. unserer Motivation. In Kapitel 3 befindet sich die Problemanalyse. In Kapitel 4 werden unsere Forderungen formuliert und in Kapitel 5 die Umsetzung dieser ausgeführt.

 

1.          Worüber reden wir?

Bei der grünen Gentechnik können wir grob zwischen drei Züchtungstechniken unterscheiden.

 

1.1.          Konventionelle Züchtung

Bei der konventionellen Züchtung werden diejenigen Pflanzen ausgewählt, die dem Züchtungsziel am nächsten kommen, weil sie z.B. besonders große oder viele Früchte tragen und werden gekreuzt, damit diese Merkmale bei der nächsten Pflanzengeneration noch ausgeprägter sind. Zur Auswahl der Pflanzen geht nicht der*die Landwirt*in übers Feld und sucht Pflanzen heraus, die durch zufällige Mutationen dem Züchtungsziel nahe kommen. Stattdessen werden die Pflanzen mit radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien so behandelt, dass Mutationen auftreten (Mutagenese). Die behandelten Pflanzen, deren Mutation zum Züchtungsziel passt, werden dann zur Weiterzüchtung ausgewählt.

 

Bei der konventionellen Züchtung wird also nicht das Genom selbst betrachtet, sondern die Ausprägungen, die es herbeiführt. Auch wenn bei dieser Züchtungsform nicht von Gentechnik gesprochen wird, ist das Genom der so neu gezüchteten Sorte im Vergleich zur ursprünglichen Sorte verändert.

 

2018 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die rechtliche Einstufung von Pflanzensorten, die durch konventionelle Züchtung entstehen. Der EuGH entschied, dass Pflanzensorten, die durch Bestrahlung oder Einsatz von Chemikalien entstanden sind, von der sonst üblichen Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht für genetisch veränderte Organismen (GVO) befreit sind. Der Grund hierfür sei die seit langem übliche Anwendung dieser Methode und die daraus resultierende Einstufung als ungefährlicher Organismus. Gentechnik ist also schon lange Bestandteil unserer Agrarwirtschaft – wird aber oft nicht als solche benannt.

 

1.2.          Konventionelle Gentechnik

Bei der konventionellen Gentechnik (“genetically modified organisms”, kurz GMO, oder “genetisch veränderte Organismen”, kurz GVO) werden Erbgutteile einer ähnlichen oder einer gänzlich anderen Art in das Erbgut einer Nutzpflanze eingebaut. Wenn Organismen mit dem Erbgut ihnen ähnlicher Arten behandelt werden, spricht man von “cisgenen” GVO. Wenn Organismen mit dem Erbgut gänzlich anderer Arten behandelt werden, spricht man von “transgenen” GVO .

 

Bei der konventionellen Gentechnik kann nicht genau bestimmt werden, wo der einzufügende Erbgutteil eingebaut wird. Wurde artfremdes Erbgut (transgen) eingefügt, ist das später im Erbgut der Pflanze erkennbar und man kann klar sagen, dass diese mit Gentechnik verändert wurde. Jedoch muss im Vornherein klar sein, nach welchen Veränderungen gesucht wird. Bei cisgenetischen Veränderungen (Erbgutteil einer ähnlichen Art) können diese genetischen Veränderungen gar nicht nachgewiesen werden.

 

Ein bekanntes Beispiel für eine transgenetisch veränderte Pflanze ist der Bt-Mais. Viele Maispflanzen werden durch einen bestimmten Schädling zerstört. Es gibt ein Bakterium, das ein Protein produziert, das für den Menschen unschädlich, für genau diesen Schädling aber giftig ist. Die Formel zur Herstellung dieses Proteins steckt im Erbgut des Bakteriums. Beim Bt-Mais wurde diese Formel in das Erbgut der Mais-Pflanze eingeschleust. Der so veränderte Bt-Mais kann nun selbst das Protein gegen den Schädling produzieren.

 

Risiken bestehen hauptsächlich für “Nicht-Zielorganismen”, also zum Beispiel andere Insekten als den Schädling selbst, die mit der gentechnisch veränderten Pflanze in Berührung kommen.

 

Der rechtliche Umgang mit und die Regulierung genetisch veränderter Organismen unterscheiden sich stark zwischen den Staaten. Die EU reguliert hier anhand der sogenannten Freisetzungsrichtlinie (Zulassung zum Anbau) und einer separat geregelten Zulassung als Futter- und Lebensmittel. Die EU reguliert prozessbezogen und stuft so die Sorten nach dem Verfahren, durch das sie entstanden sind, ein. Währenddessen handeln Staaten wie die USA und Kanada produktbezogen, wo die Eigenschaft „genetisch modifiziert“ an bestimmten Eigenschaften eines Organismus festgemacht wird. Zudem haben Staaten auch innerhalb der EU verschiedene Umgangsweisen mit genetisch veränderten Organismen. Dies führt unter anderem zu uneinheitlichen Regelungen innerhalb der EU und weltweit.

 

1.3.          Neue Gentechnik

Die neue Gentechnik wird auch moderne Gentechnik oder “genome editing” (GE) genannt. GE gibt es seit ca. 20 Jahren. Das Genom der Pflanze wird aufgeschlüsselt, damit eine Änderung an einer genau bestimmten Stelle vorgenommen werden kann. Darin liegt der große Unterschied zur konventionellen Gentechnik, in der diese Genauigkeit nicht möglich ist.

 

“Crispr/cas9”, auch bekannt als “Genschere”, ist eine besondere GE-Technik, die es seit ca. fünf Jahren gibt und den GE-Prozess um ein Vielfaches beschleunigt. Mit dieser Technik können einzelne Bereiche des Erbguts spezifisch verändert werden. Somit ist auch die Formulierung komplexerer Züchtungsziele möglich, die Veränderungen von mehreren Genen gleichzeitig (polygenetisch) beinhalten können.

 

Solche cisgenetischen Veränderungen von Pflanzen mit dem Erbgut waren auch mit der konventionellen Gentechnik möglich – allerdings waren sie so aufwendig, dass sie fast nie durchgeführt wurden. In der Praxis gibt es also erst durch “genome editing” und die effizientere GE-Technik “crispr/cas9” cisgenetisch verändertes Saatgut.

 

Es gibt durch GE nun also zum ersten Mal gentechnisch verändertes Saatgut, das man nicht von konventionell erzeugtem Saatgut unterscheiden kann.

 

1.4.          Biodiversität bei Nutzpflanzen

Alle diese drei Züchtungsarten erschaffen neue Pflanzensorten, die ein eigenes Genom haben. Das bedeutet zunächst einmal mehr Biodiversität. Alle Sorten von Nutzpflanzen, egal, wie sie entwickelt wurden, können sich im Feld mit anderen Sorten kreuzen. Mit Gentechnik entwickelte Sorten bedrohen andere Pflanzen und damit die Biodiversität nicht mehr als konventionell erzeugte Sorten.

 

2.          Warum reden wir darüber?

 

Als Sozialist*innen und Internationalist*innen können wir mit den aktuellen Regelungen rund um das Thema Gentechnik nicht zufrieden sein. Dafür haben wir mehrere Gründe.

 

2.1.          Wissenschaftliche Erkenntnisse leiten unsere politische Arbeit.

Wir sehen, dass die Debatten um Ernährung, Landwirtschaft und Gentechnik oft auf emotionaler Ebene geführt werden und neue wissenschaftliche Erkenntnisse dabei nur unzureichend berücksichtigt werden. Das ist nicht überraschend, denn die eigene Ernährung ist etwas sehr Persönliches und wir respektieren das in all unseren Überlegungen zu diesem Bereich und tragen gleichzeitig dem Vorsorgeprinzip Rechnung.

 

Wir beobachten, dass im Bereich der Landwirtschaft Veränderungen und Innovationen oft kritischer gesehen werden als in anderen Bereichen. Außerdem gibt es in der EU aber auch in anderen Industriestaaten eine starke Agrarlobby, was dazu führt, dass die Landwirtschaft stärker als andere Sektoren subventioniert wird, was auch bei vielen Wähler*innen Unterstützung findet.

 

Dass emotionale Argumente die gesellschaftliche Diskussion und damit die Politik leiten, sehen wir auch im Bereich Gentechnik. Konventionelle Züchtung setzte früher auf zufällige Mutation im Genom, heute auf Mutationen durch radioaktive Bestrahlung oder den Einsatz aggressiver Chemikalien. Bei diesen Techniken kann und konnte nie ausgeschlossen werden, dass auch unabsichtliche und gar unbemerkte Veränderungen an anderen Eigenschaften der Pflanzen auftreten. So gab es beispielsweise Fälle, in denen der Gehalt eines bestimmten Stoffes (Glycoalkaloid) in den Pflanzen erhöht wurde, um sie besser vor Insekten und Krankheiten zu schützen. Erst später wurde entdeckt, dass dieser Stoff in erhöhter Menge zu Krankheiten beim Menschen führt.

 

Dieses Risiko gibt es selbstverständlich auch bei Sorten, die durch GM oder GE entwickelt wurden. Es ist bei diesen Verfahren jedoch kleiner, weil die Veränderungen, die vorgenommen werden, zielgerichteter sind und die Forscher*innen wissen, welche Gene verändert werden. Weshalb ist also das Misstrauen aus Verbraucher*innenperspektive gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen so viel höher als gegenüber konventionell gezüchteten? Auf wissenschaftlichen Fakten beruht dieser Unterschied in der Bewertung zumindest nicht. Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn politische Entscheidungen, hier die Bevorzugung einer Züchtungsart, auf irrationalen Annahmen und gefühlten Wahrheiten beruhen und damit für viele Menschen das Ergebnis dieser Politik weniger gut ist als es sein könnte.

 

2.2.          Welternährung sichern und den Klimawandel bekämpfen

Der Klimawandel ist die große Bedrohung der Menschheit im 21. Jahrhundert. Die Weltbevölkerung wächst. Beides stellt uns vor große Herausforderungen. Unsere Entscheidungen betreffen nicht nur uns, sondern auch Menschen an anderen Orten der Welt und künftige Generationen. Auch diesen Menschen gegenüber haben wir eine Verantwortung. Daher dürfen wir nicht einfach eine Maßnahme, eine technologische Möglichkeit, um diese Herausforderungen anzugehen von vornherein ausschließen ohne das Für und Wider rational zu bewerten.

 

Gesunde Nahrungsmittel und eine ausgewogene Ernährung dürfen kein Luxus sein. Entsprechend können wir das Gefälle beim Zugang zu gesunder Ernährung, das es innerhalb Deutschlands, aber auch global gibt, nicht akzeptieren.

 

2.3.          Das Urteil des EuGH zeigt den dringenden Handlungsbedarf.

Gentechnik wird in Deutschland seit den 1970er Jahren genutzt. 1990 wurde das Gentechnikgesetz (GenTG) als Rahmen für die Nutzung und Entwicklung von Gentechnik verabschiedet. Es soll vor allem Verbraucher*innen vor potentiellen Gefahren schützen.

 

Das GenTG definiert einen genetisch veränderten Organismus als „ein[en] Organismus, mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material in einer Weise verändert  worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzungen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt“ (GenTG §3 Abs. 2a)). Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens fiel unter diese Definition die konventionelle Gentechnik. Jedoch werden im Begriff „gentechnische Arbeiten“ alle Methoden zur „Erzeugung gentechnische veränderter Organismen“ eingeschlossen (GenTG §3 Abs. 3). Das GenTG gilt in dieser Form auch heute noch, obwohl sich die Forschung stark weiterentwickelt hat und eine Differenzierung der Methoden nötig wäre.

 

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Jahr 2018 hat dem Thema neue Aktualität und Aufmerksamkeit verschafft. Es besagte, dass GE-Pflanzen in der EU genauso behandelt werden sollen wie mit konventioneller Gentechnik entwickelte Pflanzen (GVOs) und entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Eine Unterscheidung zwischen GE- und nicht-GE-Pflanzen ist im Nachhinein nicht möglich und eine Kennzeichnungspflicht daher auch nicht umsetzbar. Andere wichtige Agrarexportländer wie die USA, Kanada oder Brasilien haben hingegen produktorientierte Regelungen, bei denen GE-Sorten nicht als Gentechnik eingeordnet werden und entsprechend nicht als solche gekennzeichnet werden müssen.

 

3.          Was ist das Problem?

 

3.1.          Der Markt für Lebensmittel auf Seite der Produzierenden in Deutschland und der EU.

 

3.1.1.          Eine kapitalistische Marktwirtschaft verfolgt nie unsere gesellschaftlichen Ziele.

Im Kapitalismus ist stets die Erwirtschaftung von Profiten das Ziel. Ein Unternehmen kann nach dieser Logik Profite nur durch Verkauf seiner Entwicklung, also dem neuen Saatgut und den damit verbundenen Produkten, wie Pestiziden erwirtschaften. Entsprechend wird ausgewählt, woran geforscht und was entwickelt wird. Dabei leiten folgende Prinzipien:

 

  1.  Die Entwicklung soll so günstig wie möglich sein.
  2.  Es sollten viele Landwirt*innen/Verbraucher*innen diese so veränderte Sorte nachfragen.
  3.  Es sollten zahlungskräftige Landwirt*innen/Verbraucher*innen nachfragen.

 

Daraus ergibt sich, dass Landwirt*innen, die ja wiederum selbst im Kapitalismus wirtschaften, Sorten nachfragen von deren verbesserten Eigenschaften sie finanziell profitieren. Als Beispiel hierfür zählen z.B. höhere Erträge durch größere Früchte oder durch einen geringeren Bedarf an Inputs wie Pestiziden oder Dünger, für die die Landwirt*innen zahlen müssten. Eigenschaften, für die die Landwirt*innen nicht vergütet werden, sind ökonomisch uninteressant.

 

Selbst wenn es eine große Gruppe an Verbraucher*innen gibt, die eine veränderte Sorte nachfragen würde, aber keinen entsprechend hohen Preis zahlen kann, wird diese nicht entwickelt.

 

Einige Forschungsziele werden daher von privaten Unternehmen gar nicht verfolgt, wie beispielsweise ein erhöhter Gehalt von Vitaminen oder Nährstoffen. Diese Eigenschaften sind nämlich nicht nur in einem Gen veranlagt (monogenetisch), sondern in mehreren (polygenetisch). Eine zielgerichtete Veränderung an mehreren Genen durchzuführen ist aufwendiger und entsprechend kostspieliger. Ein solches Beispiel öffentlicher Forschung ist der golden rice, einer Reissorte, die einen gesteigerten Gehalt von Vitamin A aufweist und  somit Mangelerscheinungen bekämpfen kann und von der ETH Zürich und dem International Rice Research Institute (IRRI) entwickelt wird.

 

3.1.2.          Die Aufteilung des Marktes unter wenigen Großkonzernen, die die Patente halten, ist problematisch.

Aktuell sehen wir eine hohe Konzentration auf dem Markt für Saatgut. Einige wenige Konzerne haben den Markt unter sich aufgeteilt und üben eine entsprechende Macht aus. Dies betrifft nicht nur Preise oder Konditionen zu denen Saatgut an Landwirt*innen in Deutschland und weltweit verkauft wird, sondern auch die Frage an was überhaupt geforscht und bis zur Zulassung entwickelt wird. Ein entscheidender Grund hierfür ist, dass die Entwicklung bislang aufwendig und die Kosten entsprechend hoch waren. Eine neue Sorte zu entwickeln lohnt sich nur, wenn sie an einen Großteil des Markts verkauft werden kann, weil es keine oder nur wenige konkurrierende Unternehmen gibt.

 

Die Genschere crispr/cas9 lässt einen Paradigmenwechsel erwarten. Diese Technologie macht es deutlich schneller und günstiger, das Genom einer Pflanze zu verändern und ermöglicht es auch in einem kapitalistischen Markt kleineren Unternehmen, die die hohen Fixkosten nicht tragen könnten, neue Sorten zu entwickeln.

 

Eine weitere Eigenschaft dieses Marktes ist die Verbindung des Verkaufs von Saatgut mit dem von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Viele der großen Konzerne haben sowohl eine Sparte für Saatgut, als auch für Dünge- oder Pflanzenschutzmittel. Wenn eine Sorte also beispielsweise auf ihre Toleranz hinsichtlich eines bestimmten Herbizids (=Unkrautvernichtungsmittel) entwickelt wird, wird genau dieses Mittel auch durch das entsprechende Unternehmen verkauft. Dies erhöht die Marktmacht des einzelnen Konzerns abermals.

 

3.2.          Gentechnik ist eine Frage internationaler und intergenerationaler Solidarität.

Die Industriestaaten leisten sich mit bio und gentechnikfreien Lebensmitteln eine verhältnismäßig ineffiziente Produktion dieser. Damit beanspruchen sie mehr Flächen und Ressourcen als notwendig wäre.

 

3.3.          Der Markt für Lebensmittel auf Seite der Konsumierenden in Deutschland und der EU.

Aktuell gibt es nur die Kennzeichnung “ohne Gentechnik”. Für viele Verbraucher*innen ist diese Kennzeichnung gleichbedeutend mit “natürlich” und “sicher”. Die Kennzeichnung in dieser Form wertet Produkte “ohne Gentechnik” bei den Verbraucher*innen auf – allerdings zu Unrecht. Konventionelle Züchtung mit Chemikalien oder Radioaktivität, die das Erbgut der Pflanze verändern, ist nicht “natürlicher” oder “sicherer” als Gentechnik. Für konventionelle Züchtung gibt es jedoch kein gibt es kein entsprechendes Siegel.

 

Da hier jedoch die nötige Aufklärung der Verbraucher*innen fehlt, unterstützt das “Ohne Gentechnik”-Siegel eher ein Bauchgefühl und keine Unterscheidung, die nach wissenschaftlichen Kriterien sinnvoll ist. Gerade jetzt, da belegte wissenschaftliche Erkenntnisse von Verschwörungsgläubigen als falsch verunglimpft werden und breite Teile der Bevölkerung für “fake news” und “alternative Fakten” zugänglich sind, sollten die politischen Akteur*innen besonders aufmerksam und sorgfältig sein.

 

4.          Was wollen wir?

Wissenschaftlicher Fortschritt soll dem Wohle aller dienen. Daraus ergeben sich für uns im Bereich Gentechnik zwei Hauptforderungen:

 

Wir wollen die Demokratisierung aller Lebensbereiche und den Schutz von Umwelt, Klima und Tieren

 

Was wie, wo und von wem produziert wird, muss demokratisch bestimmt werden. Das gilt für die Landwirtschaft wie für andere Bereiche der Produktion. Für die Landwirtschaft schließt das u.a. die Fragen ein, welches Saatgut und welche Dünge- und Pflanzenschutzmittel entsprechend genutzt werden oder auch wie viel Wasser und welches Land genutzt werden soll.

 

Als Internationalist*innen denken wir global und verfolgen diese Ziele für alle Menschen, ob in Deutschland, der EU oder an anderen Teilen der Welt. Unsere gesamtgesellschaftlichen Ziele sind folgende:

 

  • Ernährungssicherheit: Ernährungssicherheit ist gegeben, wenn alle Menschen zu jeder Zeit physischen und ökonomischen Zugang zu genügend und sicherer Nahrung haben und die ernährungsbezogenen Bedürfnisse sowie die Präferenzen für ein gesundes und aktives Leben sichergestellt werden können.
  • gute Arbeitsbedingungen für diejenigen, die in der Landwirtschaft und verbundenen Wirtschaftszweigen arbeiten und gute Lebensbedingungen für diejenigen, die direkt oder indirekt von der Landwirtschaft betroffen sind, weil sie beispielsweise als Anwohner*innen mit ihr in Kontakt kommen.
  • effiziente Nutzung der Ressourcen. Wir wollen schonend mit den Ressourcen unseres Planeten umgehen und uns solidarisch mit Menschen an anderen Teilen der Welt und künftigen Generationen zeigen. Keine Ressource, sei es Wasser, Boden oder die natürlichen Senken des Ökosystems, soll übernutzt werden. Neben der Produktion von Lebensmitteln und anderen Agrargütern sehen wir die Sicherung von Biodiversität und Klimaschutz als eins der Ziele der Landwirtschaft.

 

5.          Wie wollen wir unsere Ziele erreichen?

 

5.1.          Forschung und Produktion von Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in die öffentliche Hand!

Wir sehen nicht, dass man den Markt so umgestalten kann, dass diese gesamtgesellschaftlichen Ziele allein durch Marktmechanismen verfolgt werden.

 

Die öffentliche Hand muss sich stärker der Forschung und Entwicklung in den Bereichen Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln annehmen. Dies muss zum einen über finanzielle Mittel geschehen. Zum anderen müssen die Regelungen, die aktuell Forschung an grüner Gentechnik unterbinden, gelockert werden. Die Forschung auf dem offenen Feld muss in Deutschland bzw. der EU erlaubt werden. Ohne diese ist keine anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung an Nutzpflanzen mithilfe von Gentechnik möglich.

 

Bei der Neustrukturierung des Marktes können wir uns vorstellen, dass die Forschung und die anwendungsorientierte Entwicklung bis hin zur Marktreife über Drittmittelprojekte finanziert wird, bei denen der Staat Ziele formuliert und ausschreibt und entsprechende Forschungsinstitute sich auf diese bewerben. Auch können wir uns vorstellen, dass staatliche Institute und öffentliche Unternehmen direkt mit der Forschung und Entwicklung betraut sind. Die Ziele der Forschung, die Methoden, die Sicherheit und gute Arbeitsbedingungen müssen selbstverständlich Teil der Vergabekriterien bzw. der Praxis in staatseigenen Unternehmen sein.

 

Wir sprechen uns klar gegen oligopole (die konzentrierte Marktmacht auf einige wenige Akteur*innen) Strukturen auf dem Markt aus. Die Entstehung von Oligopolen muss in jedem Fall kartellrechtlich verhindert werden. Bestehende Oligopole müssen aufgespalten werden. Unternehmenssektoren von besonderer gesellschaftlicher Bedeutung müssen mindestens gesellschaftlicher Beteiligung unterliegen und zur Not komplett vergesellschaftet werden können. Hierbei muss das Kartellrecht den Saatgutmarkt und den Markt für Pflanzenschutz-/Düngemittel zusammendenken und darf nicht wie bisher die Unternehmenskonzentration auf dem einen Markt getrennt von der auf dem anderen Markt bewerten.

 

Neben der Entwicklung neuer Sorten mithilfe von Gentechnik, möchten wir auch die Forschung an alten, indigenen Sorten fördern: zum Einen bieten diese einen neuen Ausgangspunkt für Weiterentwicklungen durch konventionelle Züchtung oder Gentechnik. Zum Anderen ist es möglich, dass diese alten Sorten durch veränderte Klimaverhältnisse an Orten abseits der traditionellen Anbaugebiete auch ohne großartige Weiterentwicklung sehr gute Ergebnisse liefern. Daher ist es wichtig, an diesen Stellen verstärkt zu forschen, Saatgutbanken zu unterhalten, sowie den Anbau dieser Sorten zu fördern. Wir müssen die genetische Vielfalt bei Nutzpflanzen erhalten, damit die Menschheit weiterhin auf diese zurückgreifen kann.

 

5.2.          Patente und Lizenzen am Gemeinwohl ausrichten!

Entwicklungen und Erkenntnisse, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, dürfen nicht unentgeltlich an Private weitergegeben und von diesen kommerziell genutzt werden. Aktuell passiert das oft durch Ausgründungen aus nicht-kommerziellen Forschungsinstituten. Wir finden: Finanzielle Gewinne durch Erkenntnisse, die die Öffentlichkeit finanziert hat, sollen auch der Öffentlichkeit zufließen. Der Staat soll also Eigentümer sein von öffentlich finanzierten Erkenntnissen.

 

Wir möchten Rechte an Sorten bzw. Grundlagenforschung analog zu nicht-kommerziellen Creative Commons- und Open Source-Lizenzen im digitalen Bereich organisieren: So könnten nicht-kommerzielle Einrichtungen weiterhin öffentlich finanzierte Erkenntnisse als Basis nehmen, diese weiterentwickeln und müssen dafür kein Geld bezahlen. Aber sobald die Erkenntnisse kommerziell genutzt werden, müssten die Unternehmen Gelder an den Staat zur Nutzung der öffentlich finanzierten Forschung zahlen. So wird sichergestellt, dass es nicht wie aktuell den Anreiz für Unternehmen gibt, “bugs” (also Probleme oder ungenutzte Potentiale) versteckt zu halten und dass stattdessen viele verschiedene Einrichtungen weiterforschen um möglichst gute Nutzpflanzen für die Allgemeinheit zu entwickeln.

 

Ein erster Schritt kann hier sein, die Möglichkeit einer Patentierung von gentechnisch erzeugten Sorten abzuschaffen und diese mit konventionell erzeugten Sorten gleichzustellen. Für letztere gilt nämlich nur der Sortenschutz.

 

Außerdem setzen wir uns für eine Standardisierung von Saatguteigenschaften, Dünger, Pestiziden durch die Forschenden selbst ein. Ziel davon ist, dass nicht wie bisher nur ein Unternehmen den zum eigenen Saatgut passenden Dünger und die passenden Pestizide verkauft und damit allein schon Marktmacht ausüben kann, sondern dass auch andere Akteur*innen ansetzen und die entsprechenden ergänzenden Produkte entwickeln können.

 

Wir brauchen außerdem Rechtssicherheit für alle Landwirt*innen. Wenn sich durch Lizenzen geschützte Pflanzen z.B. durch Bestäubung über Wind mit den Pflanzen einer Landwirtin ohne deren Zutun vermischen, darf diese Landwirtin nicht rechtlich belangt werden können.

5.3.          Zulassungsverfahren angleichen!

Neue Sorten müssen zugelassen werden, bevor sie zur Nahrungsmittelproduktion angebaut werden und auch bei Pflanzenschutz- und Düngemitteln muss nachgewiesen werden, dass  sie nicht schädlich für Umwelt und Mensch sind. Tests müssen so durchgeführt werden,  wie Mensch und Umwelt mit diesen Sorten bzw. Mitteln in Kontakt kommen. So werden beispielsweise bei Glyphosat nicht die Langzeitfolgen von kleinen Dosen untersucht.

 

Aktuell müssen gentechnisch erzeugte Sorten einen viel aufwendigeren Zulassungsprozess durchlaufen als konventionell erzeugte Sorten. Dabei gibt es
 Beispiele von konventionell erzeugten Pflanzen, die erst zugelassen wurden und bei denen dann festgestellt wurde, dass sie die Gesundheit gefährden, z.B. durch einen zu hohen Glycoalkaloid-Gehalt. Die Zulassungsregeln sind also weder für konventionell noch gentechnisch erzeugte Sorten angemessen.

 

Wir wollen, dass härtere Zulassungsprozesse mit aufwendigen Testreihen für Sorten gelten, bei denen die Inhaltsstoffe der Pflanzen verändert wurden und/oder bei denen fremdes Genmaterial eingefügt wurde. Ist dies bei einer neuen Sorte nicht der Fall, soll sie wie gehabt unkompliziert zugelassen werden können. Ob sie nun konventionell oder mit Gentechnik gezüchtet wurde, soll also nicht weiter über die Art des Zulassungsverfahren entscheiden.

 

5.4.          Verbraucher*innen aufklären!

Wir brauchen mehr Aufklärung. Zum Thema Gentechnik im Vergleich zur konventionellen Züchtung herrscht an vielen Stellen noch sehr viel Unwissen. Als rationaler, wissenschaftsorientierter Verband ist es für uns wichtig, dass Information und Fakten zu diesem wie zu anderen Themen einfach und verständlich erreichbar sind und möchten dieses Feld nicht einzelnen Lobby-Vereinigungen überlassen.

 

Wir wollen mehr Informationen für Verbraucher*innen: Eine einseitige Kennzeichnung von “gentechnikfreien” Produkten ist wertend und irreführend. Wenn Züchtungsmethoden auf Produkten ausgewiesen werden, sollten alle ausgewiesen werden. Entsprechend sollte diese Information auch auf Produkten stehen, deren Züchtung mithilfe von radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien geschehen ist. In diesem Zusammenhang könnte auch eine Differenzierung bei der Kategorie “bio” angedacht werden. Einige Sorten, die mithilfe von Gentechnik entwickelt wurden, kommen beispielsweise besser ohne Pestizide aus, brauchen weniger Wasser oder Fläche und schonen so die Umwelt. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen bedrohen die Biodiversität nicht mehr als konventionell gezüchtete Sorten. Wenn aber gentechnisch veränderte Sorten mehr Ertrag pro Hektar liefern und somit Fläche stillgelegt werden kann, könnten diese Sorten einen Beitrag zum Schutz von Biodiversität leisten. Das alles sind für viele Konsument*innen von Bio-Produkten, wichtige Aspekte. Aktuell sind Sorten, die mit Gentechnik entwickelt wurden, allerdings kategorisch vom Bio-Siegel ausgeschlossen.

 

Im Sinne der internationalen und intergenerationalen Solidarität müssen wir so wenig Ressourcen wie möglich verbrauchen und dabei immer noch alle Menschen angemessen ernähren. Diese Ressourceneinsparung können wir mit neuen Sorten, auch gentechnisch veränderten Sorten vorantreiben, aber natürlich auch mit einer Verringerung der Lebensmittelverschwendung, beginnend auf dem Feld bis zum Haushalt, mit einer Verringerung des Konsums von besonders ressourcenintensiven Lebensmitteln und anderen. Die Verantwortung ist groß und wir können es uns nicht erlauben, eins dieser Instrumente kategorisch auszuschließen.

 

5.5.          Hoch die internationale Solidarität!

Wissenschaftler*innen und Erzeuger*innen können Erkenntnisse darüber liefern, was gebraucht wird. Daher wollen wir, dass Forschungs- und Entwicklungsgelder bereitgestellt werden, um Forschung in anderen Ländern zu fördern und internationalen Austausch zwischen Forschungseinrichtungen zu ermöglichen. Hierfür braucht es auch Forschungsstipendien, die einen Austausch in beide Richtungen sicherstellen.

 

 

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in der Fassung der AK (Konsens)
Fassung der Antragskommission:

Geeinte Fassung mit dem FA X:

 

Wir wollen die Demokratisierung aller Lebensbereiche und den Schutz von Umwelt, Klima und Tieren. Nahrungsmittel sind Teil der Daseinsvorsorge. Welche wie, wo und von wem produziert wird, muss demokratisch mitbestimmt werden. Wissenschaftlicher Fortschritt soll dem Wohle aller dienen. Für die Landwirtschaft schließt das u.a. die Fragen ein, welches Saatgut und welche Dünge- und Pflanzenschutzmittel, wieviel Wasser und welches Land genutzt werden soll. Unsere gesamtgesellschaftlichen Ziele sind folgende:

 

  1. Ernährungssicherheit; sie ist gegeben, wenn alle Menschen zu jeder Zeit physischen und ökonomischen Zugang zu genügend und sicherer Nahrung haben und die ernährungsbezogenen Bedürfnisse und Präferenzen sichergestellt werden können.
  2. Gute Arbeits- und Lebensbedingungen für diejenigen, die in der Landwirtschaft und verbundenen Wirtschaftszweigen arbeiten und für diejenigen, die direkt oder indirekt von der Landwirtschaft betroffen sind, beispielsweise als Anwohner*innen.
  3. Effiziente Nutzung der Ressourcen. Wir wollen schonend mit den Ressourcen unseres Planeten umgehen und uns solidarisch mit Menschen an anderen Teilen der Welt und künftigen Generationen zeigen. Keine Ressource, sei es Wasser, Boden oder die natürlichen Senken des Ökosystems, soll übernutzt werden. Biodiversität und Klimaschutz sind ebenfalls Ziele der Landwirtschaft.

 

Verantwortlich und unter demokratischer Kontrolle eingesetzte Gentechnik, also gezielte Eingriffe in das Erbgut von Nahrungspflanzen, ist nicht per se abzulehnen, sondern kann einen wichtigen Beitrag leisten. Auch konventionell erzeugte Neuzüchtungen weisen ein modifiziertes Genom auf, und auch sie bergen Risiken.

 

Daraus leiten sich folgende Forderungen ab:

  1. Forschung und Produktion von Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln verstärkt in öffentliche Hand! Die öffentliche Hand muss sich stärker der Forschung und Entwicklung in den Bereichen Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln annehmen, zum Beispiel mit finanziellen Mitteln des Bundesforschungs- und des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Forschungs- und Entwicklungsgelder sind bereitzustellen, um internationalen Austausch zwischen Forschungseinrichtungen zu ermöglichen, sowie für Forschungsstipendien und die finanzielle Ausstattung der Forschungsprogramme der EU-Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP).
  2. Die Erlaubnis von Forschung auf dem offenen Feld durch staatliche wissenschaftliche Institutionen unter Einhaltung strikter Regelungen zur Vermeidung der unkontrollierten Ausbreitung gentechnisch modifizierter Pflanzen ohne Kenntnis der möglichen Auswirkungen. Ohne diese ist keine anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung an Nutzpflanzen mithilfe von Gentechnik möglich. Neben der Entwicklung neuer Sorten mithilfe von Gentechnik muss auch die Forschung an alten, indigenen Sorten gefördert werden, etwa auf ihre Resilienz gegen den Klimawandel hin.
  3. Verhinderung von Oligopolen durch das Kartellrecht sowie Aufspaltung bestehender Oligopole bzw. Einführung gesellschaftlicher Beteiligung oder Vergesellschaftung. Hierbei sind Saatgut- markt, Pflanzenschutz- und Düngemittel zusammenzudenken.
  4. Patente aus öffentlich finanzierter Forschung sind am Gemeinwohl ausrichten.Sie dürfen nicht unentgeltlich an Private weitergegeben und von diesen kommerziell genutzt werden, wie bislang durch Ausgründungen aus nicht-kommerziellen Forschungsinstituten. Finanzielle Gewinne durch öffentlich finanzierte Erkenntnisse sollen auch der Öffentlichkeit zufließen. Dazu sollen Rechte an Sorten bzw. Grundlagenforschung analog zu nicht-kommerziellen Creative Commons- und Open Source-Lizenzen im digitalen Bereich organisiert werden. So könnten nicht-kommerzielle Einrichtungen öffentlich finanzierte Erkenntnisse ohne Bezahlung weiterentwickeln, im Falle kommerzieller Verwertung aber Gelder an den Staat zur Nutzung der öffentlich finanzierten Forschung zahlen. Ein erster Schritt kann hier sein, die Möglichkeit einer Patentierung von gentechnisch erzeugten Sorten abzuschaffen und diese mit konventionell erzeugten Sorten gleichzustellen. Für letztere gilt nämlich nur der Sortenschutz.
  5. Standardisierung von Saatguteigenschaften, Dünger, und Pestizide. Ziel ist, dass nicht wie bisher ein Unternehmen allein die zum eigenen Saatgut passenden Dünger und Pestizide verkauft und damit Marktmacht ausübt, sondern dass auch andere Akteur*innen entsprechende ergänzende Produkte entwickeln können.
  6. Rechtssicherheit für Landwirt*innen. Wenn sich durch Lizenzen geschützte Pflanzen z.B. durch Bestäubung über Wind mit den Pflanzen einer Landwirtin ohne deren aktives Zutun vermischen, darf diese Landwirtin nicht rechtlich belangt werden können.
  7. Angleichung der Zulassungsverfahren für gentechnisch und konventionell erzeugte Sorten. Neue Sorten müssen zugelassen werden, bevor sie zur Nahrungsmittelproduktion genutzt werden. Doch gentechnisch erzeugte Sorten müssen einen viel aufwändigeren Zulassungsprozess durchlaufen. Dabei gibt es Beispiele konventionell erzeugter Pflanzen, bei denen nach der Zulassung festgestellt wurde, dass sie die Gesundheit gefährden, z.B. durch einen zu hohen Glycoalkaloid-Gehalt. Wir brauchen strengere Zulassungsprozesse mit systematischen Tests nur für Sorten, bei denen die Inhaltsstoffe der Pflanzen verändert wurden und/oder bei denen fremdes Genmaterial eingefügt wurde. Ist dies bei einer neuen Sorte nicht der Fall, soll sie wie gehabt unkompliziert zugelassen werden können, unabhängig davon, ob sie konventionell oder mit Gentechnik entwickelt wurde.
  8. Bessere Aufklärung von Verbraucher*innen. Zum Thema Gentechnik im Vergleich zur konventionellen Züchtung herrscht noch viel Unwissen. Information und Fakten zu diesem Thema müssen einfach und leicht erreichbar sein. Wir dürfen dieses Feld nicht den Lobby-Vereinigungen überlassen. Eine einseitige Kennzeichnung von “gentechnikfreien” Produkten ist wertend und irreführend. Stattdessen sind alle verwendeten Züchtungsmethoden auf Produkten auszuweisen, also auch konventionelle Züchtung mithilfe von z.B. radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen bedrohen die Biodiversität nicht automatisch mehr als konventionell gezüchtete Sorten. Wenn erstere mehr Ertrag pro Hektar liefern und somit Fläche stillgelegt werden kann, könnten diese Sorten sogar einen Beitrag zum Schutz von Biodiversität leisten. Aktuell sind Sorten, die mit Gentechnik entwickelt wurden, kategorisch vom Bio-Siegel ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang könnte auch eine Differenzierung bei der Kategorie “Bio” angedacht werden, denn einige mit Gentechnik entwickelte Sorten kommen beispielsweise besser ohne Pestizide aus, brauchen weniger Wasser oder Fläche und schonen so die Umwelt.
  9. Globaler wissenschaftlicher Austausch. Ernährungssicherheit und Umweltschutz sind globale Aufgaben. Wissenschaftler*innen und Erzeuger*innen vor Ort wissen am besten, was gebraucht wird. Daher wollen wir, dass Forschungs- und Entwicklungsgelder bereitgestellt werden, um Forschung und Sortenentwicklung in anderen Ländern zu fördern und internationalen Austausch zwischen Forschungseinrichtungen zu ermöglichen. Hierfür braucht es mehr und besser ausgestattete Forschungsstipendien, die einen Austausch in beide Richtungen sicherstellen. Dies kann u.a. durch eine bessere finanzielle Ausstattung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) passieren, sowie durch entsprechende Programme des Entwicklungs-, des Forschungs- und des Agrarministeriums.

 

 

Erläuterungen:

 

1. Worüber reden wir?

Bei der grünen Gentechnik können wir grob zwischen drei Züchtungstechniken unterscheiden.

1.1. Konventionelle Züchtung

Bei der konventionellen Züchtung werden diejenigen Pflanzen ausgewählt, die dem Züchtungsziel am nächsten kommen, weil sie z.B. besonders große oder viele Früchte tragen und werden gekreuzt, damit diese Merkmale bei der nächsten Pflanzengeneration noch ausgeprägter sind. Zur Auswahl der Pflanzen geht nicht der*die Landwirt*in übers Feld und sucht Pflanzen heraus, die durch zufällige Mutationen dem Züchtungsziel nahe kommen. Stattdessen werden die Pflanzen mit radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien so behandelt, dass Mutationen auftreten (Mutagenese). Die behandelten Pflanzen, deren Mutation zum Züchtungsziel passt, werden dann zur Weiterzüchtung ausgewählt.

Bei der konventionellen Züchtung wird also nicht das Genom selbst betrachtet, sondern die Ausprägungen, die es herbeiführt. Auch wenn bei dieser Züchtungsform nicht von Gentechnik gesprochen wird, ist das Genom der so neu gezüchteten Sorte im Vergleich zur ursprünglichen Sorte verändert.

 

2018 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die rechtliche Einstufung von Pflanzensorten, die durch konventionelle Züchtung entstehen. Der EuGH entschied, dass Pflanzensorten, die durch Bestrahlung oder Einsatz von Chemikalien entstanden sind, von der sonst üblichen Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht für genetisch veränderte Organismen (GVO) befreit sind. Der Grund hierfür sei die seit langem übliche Anwendung dieser Methode und die daraus resultierende Einstufung als ungefährlicher Organismus. Gentechnik ist also schon lange Bestandteil unserer Agrarwirtschaft – wird aber oft nicht als solche benannt.

Eine daraufhin von der Kommission in Auftrag gegebene Studie kam zu dem Schluss, dass die aktuelle europäische Regelung für die Behörden schwer umzusetzen sei und außerdem Verbesserungspotentiale hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Agrar- und Nahrungsmittelsystemen nicht realisiere.

 

1.2. Konventionelle Gentechnik

Bei der konventionellen Gentechnik (“genetically modified organisms”, kurz GMO, oder “genetisch veränderte Organismen”, kurz GVO) werden Erbgutteile einer ähnlichen oder einer gänzlich anderen Art in das Erbgut einer Nutzpflanze eingebaut. Wenn Organismen mit dem Erbgut ihnen ähnlicher Arten behandelt werden, spricht man von “cisgenen” GVO. Wenn Organismen mit dem Erbgut gänzlich anderer Arten behandelt werden, spricht man von “transgenen” GVO .

Bei der konventionellen Gentechnik kann nicht genau bestimmt werden, wo der einzufügende Erbgutteil eingebaut wird. Wurde artfremdes Erbgut (transgen) eingefügt, ist das später im Erbgut der Pflanze erkennbar und man kann klar sagen, dass diese mit Gentechnik verändert wurde. Jedoch muss im Vornherein klar sein, nach welchen Veränderungen gesucht wird. Bei cisgenetischen Veränderungen (Erbgutteil einer ähnlichen Art) können diese genetischen Veränderungen gar nicht nachgewiesen werden.

Ein bekanntes Beispiel für eine transgenetisch veränderte Pflanze ist der Bt-Mais. Viele Maispflanzen werden durch einen bestimmten Schädling zerstört. Es gibt ein Bakterium, das ein Protein produziert, das für den Menschen unschädlich, für genau diesen Schädling aber giftig ist. Die Formel zur Herstellung dieses Proteins steckt im Erbgut des Bakteriums. Beim Bt-Mais wurde diese Formel in das Erbgut der Mais-Pflanze eingeschleust. Der so veränderte Bt-Mais kann nun selbst das Protein gegen den Schädling produzieren.

Risiken bestehen hauptsächlich für “Nicht-Zielorganismen”, also zum Beispiel andere Insekten als den Schädling selbst, die mit der gentechnisch veränderten Pflanze in Berührung kommen.

Der rechtliche Umgang mit und die Regulierung genetisch veränderter Organismen unterscheiden sich stark zwischen den Staaten. Die EU reguliert hier anhand der sogenannten Freisetzungsrichtlinie (Zulassung zum Anbau) und einer separat geregelten Zulassung als Futter- und Lebensmittel. Die EU reguliert prozessbezogen und stuft so die Sorten nach dem Verfahren, durch das sie entstanden sind, ein. Währenddessen handeln Staaten wie die USA und Kanada produktbezogen, wo die Eigenschaft „genetisch modifiziert“ an bestimmten Eigenschaften eines Organismus festgemacht wird. Zudem haben Staaten auch innerhalb der EU verschiedene Umgangsweisen mit genetisch veränderten Organismen. Dies führt unter anderem zu uneinheitlichen Regelungen innerhalb der EU und weltweit.

 

1.3. Neue Gentechnik

Die neue Gentechnik wird auch moderne Gentechnik oder “genome editing” (GE) genannt. GE gibt es seit ca. 20 Jahren. Das Genom der Pflanze wird aufgeschlüsselt, damit eine Änderung an einer genau bestimmten Stelle vorgenommen werden kann. Darin liegt der große Unterschied zur konventionellen Gentechnik, in der diese Genauigkeit nicht möglich ist.

“Crispr/cas9”, auch bekannt als “Genschere”, ist eine besondere GE-Technik, die es seit ca. fünf Jahren gibt und den GE-Prozess um ein Vielfaches beschleunigt. Mit dieser Technik können einzelne Bereiche des Erbguts spezifisch verändert werden. Somit ist auch die Formulierung komplexerer Züchtungsziele möglich, die Veränderungen von mehreren Genen gleichzeitig (polygenetisch) beinhalten können.

Solche cisgenetischen Veränderungen von Pflanzen mit dem Erbgut waren auch mit der konventionellen Gentechnik möglich – allerdings waren sie so aufwendig, dass sie fast nie durchgeführt wurden. In der Praxis gibt es also erst durch “genome editing” und die effizientere GE-Technik “crispr/cas9” cisgenetisch verändertes Saatgut.

Es gibt durch GE nun also zum ersten Mal gentechnisch verändertes Saatgut, das man nicht von konventionell erzeugtem Saatgut unterscheiden kann.

 

1.4. Biodiversität bei Nutzpflanzen

Alle diese drei Züchtungsarten erschaffen neue Pflanzensorten, die ein eigenes Genom haben. Das bedeutet zunächst einmal mehr Biodiversität. Alle Sorten von Nutzpflanzen, egal, wie sie entwickelt wurden, können sich im Feld mit anderen Sorten kreuzen. Mit Gentechnik entwickelte Sorten bedrohen andere Pflanzen und damit die Biodiversität nicht mehr als konventionell erzeugte Sorten.

 

2. Warum reden wir darüber?

Als Sozialist*innen und Internationalist*innen können wir mit den aktuellen Regelungen rund um das Thema Gentechnik nicht zufrieden sein. Dafür haben wir mehrere Gründe.

 

2.1. Wissenschaftliche Erkenntnisse leiten unsere politische Arbeit.

Wir sehen, dass die Debatten um Ernährung, Landwirtschaft und Gentechnik oft auf emotionaler Ebene geführt werden und neue wissenschaftliche Erkenntnisse dabei nur unzureichend berücksichtigt werden. Das ist nicht überraschend, denn die eigene Ernährung ist etwas sehr Persönliches und wir respektieren das in all unseren Überlegungen zu diesem Bereich und tragen gleichzeitig dem Vorsorgeprinzip Rechnung.

Wir beobachten, dass im Bereich der Landwirtschaft Veränderungen und Innovationen oft kritischer gesehen werden als in anderen Bereichen. Außerdem gibt es in der EU aber auch in anderen Industriestaaten eine starke Agrarlobby, was dazu führt, dass die Landwirtschaft stärker als andere Sektoren subventioniert wird, was auch bei vielen Wähler*innen Unterstützung findet.

 

Dass emotionale Argumente die gesellschaftliche Diskussion und damit die Politik leiten, sehen wir auch im Bereich Gentechnik. Konventionelle Züchtung setzte früher auf zufällige Mutation im Genom, heute auf Mutationen durch radioaktive Bestrahlung oder den Einsatz aggressiver Chemikalien. Bei diesen Techniken kann und konnte nie ausgeschlossen werden, dass auch unabsichtliche und gar unbemerkte Veränderungen an anderen Eigenschaften der Pflanzen auftreten. So gab es beispielsweise Fälle, in denen der Gehalt eines bestimmten Stoffes (Glycoalkaloid) in den Pflanzen erhöht wurde, um sie besser vor Insekten und Krankheiten zu schützen. Erst später wurde entdeckt, dass dieser Stoff in erhöhter Menge zu Krankheiten beim Menschen führt.

 

Dieses Risiko gibt es selbstverständlich auch bei Sorten, die durch GM oder GE entwickelt wurden. Es ist bei diesen Verfahren jedoch kleiner, weil die Veränderungen, die vorgenommen werden, zielgerichteter sind und die Forscher*innen wissen, welche Gene verändert werden. Weshalb ist also das Misstrauen aus Verbraucher*innenperspektive gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen so viel höher als gegenüber konventionell gezüchteten? Auf wissenschaftlichen Fakten beruht dieser Unterschied in der Bewertung zumindest nicht. Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn politische Entscheidungen, hier die Bevorzugung einer Züchtungsart, auf irrationalen Annahmen und gefühlten Wahrheiten beruhen und damit für viele Menschen das Ergebnis dieser Politik weniger gut ist als es sein könnte.

 

2.2. Welternährung sichern und den Klimawandel bekämpfen

Der Klimawandel ist die große Bedrohung der Menschheit im 21. Jahrhundert. Die Weltbevölkerung wächst. Beides stellt uns vor große Herausforderungen. Unsere Entscheidungen betreffen nicht nur uns, sondern auch Menschen an anderen Orten der Welt und künftige Generationen. Auch diesen Menschen gegenüber haben wir eine Verantwortung. Daher dürfen wir nicht einfach eine Maßnahme, eine technologische Möglichkeit, um diese Herausforderungen anzugehen von vornherein ausschließen ohne das Für und Wider rational zu bewerten.

Gesunde Nahrungsmittel und eine ausgewogene Ernährung dürfen kein Luxus sein. Entsprechend können wir das Gefälle beim Zugang zu gesunder Ernährung, das es innerhalb Deutschlands, aber auch global gibt, nicht akzeptieren.

 

2.3. Das Urteil des EuGH zeigt den dringenden Handlungsbedarf.

Gentechnik wird in Deutschland seit den 1970er Jahren genutzt. 1990 wurde das Gentechnikgesetz (GenTG) als Rahmen für die Nutzung und Entwicklung von Gentechnik verabschiedet. Es soll vor allem Verbraucher*innen vor potentiellen Gefahren schützen.

 

Das GenTG definiert einen genetisch veränderten Organismus als „ein[en] Organismus, mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material in einer Weise verändert  worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzungen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt“ (GenTG §3 Abs. 2a)). Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens fiel unter diese Definition die konventionelle Gentechnik. Jedoch werden im Begriff „gentechnische Arbeiten“ alle Methoden zur „Erzeugung gentechnische veränderter Organismen“ eingeschlossen (GenTG §3 Abs. 3). Das GenTG gilt in dieser Form auch heute noch, obwohl sich die Forschung stark weiterentwickelt hat und eine Differenzierung der Methoden nötig wäre.

 

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Jahr 2018 hat dem Thema neue Aktualität und Aufmerksamkeit verschafft. Es besagte, dass GE-Pflanzen in der EU genauso behandelt werden sollen wie mit konventioneller Gentechnik entwickelte Pflanzen (GVOs) und entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Eine Unterscheidung zwischen GE- und nicht-GE-Pflanzen ist im Nachhinein nicht möglich und eine Kennzeichnungspflicht daher auch nicht umsetzbar. Andere wichtige Agrarexportländer wie die USA, Kanada oder Brasilien haben hingegen produktorientierte Regelungen, bei denen GE-Sorten nicht als Gentechnik eingeordnet werden und entsprechend nicht als solche gekennzeichnet werden müssen.

 

3. Was ist das Problem?

 

3.1. Der Markt für Lebensmittel auf Seite der Produzierenden in Deutschland und der EU.

 

3.1.1. Eine kapitalistische Marktwirtschaft verfolgt nie unsere gesellschaftlichen Ziele.

Im Kapitalismus ist stets die Erwirtschaftung von Profiten das Ziel. Ein Unternehmen kann nach dieser Logik Profite nur durch Verkauf seiner Entwicklung, also dem neuen Saatgut und den damit verbundenen Produkten, wie Pestiziden erwirtschaften. Entsprechend wird ausgewählt, woran geforscht und was entwickelt wird. Dabei leiten folgende Prinzipien:

  1.  Die Entwicklung soll so günstig wie möglich sein.
  2.  Es sollten viele Landwirt*innen/Verbraucher*innen diese so veränderte Sorte nachfragen.
  3.  Es sollten zahlungskräftige Landwirt*innen/Verbraucher*innen nachfragen.

 

Daraus ergibt sich, dass Landwirt*innen, die ja wiederum selbst im Kapitalismus wirtschaften, Sorten nachfragen von deren verbesserten Eigenschaften sie finanziell profitieren. Als Beispiel hierfür zählen z.B. höhere Erträge durch größere Früchte oder durch einen geringeren Bedarf an Inputs wie Pestiziden oder Dünger, für die die Landwirt*innen zahlen müssten. Eigenschaften, für die die Landwirt*innen nicht vergütet werden, sind ökonomisch uninteressant.

 

Selbst wenn es eine große Gruppe an Verbraucher*innen gibt, die eine veränderte Sorte nachfragen würde, aber keinen entsprechend hohen Preis zahlen kann, wird diese nicht entwickelt.

 

Einige Forschungsziele werden daher von privaten Unternehmen gar nicht verfolgt, wie beispielsweise ein erhöhter Gehalt von Vitaminen oder Nährstoffen. Diese Eigenschaften sind nämlich nicht nur in einem Gen veranlagt (monogenetisch), sondern in mehreren (polygenetisch). Eine zielgerichtete Veränderung an mehreren Genen durchzuführen ist aufwendiger und entsprechend kostspieliger. Ein solches Beispiel öffentlicher Forschung ist der golden rice, einer Reissorte, die einen gesteigerten Gehalt von Vitamin A aufweist und  somit Mangelerscheinungen bekämpfen kann und von der ETH Zürich und dem International Rice Research Institute (IRRI) entwickelt wird.

 

3.1.2. Die Aufteilung des Marktes unter wenigen Großkonzernen, die die Patente halten, ist problematisch.

Aktuell sehen wir eine hohe Konzentration auf dem Markt für Saatgut. Einige wenige Konzerne haben den Markt unter sich aufgeteilt und üben eine entsprechende Macht aus. Dies betrifft nicht nur Preise oder Konditionen zu denen Saatgut an Landwirt*innen in Deutschland und weltweit verkauft wird, sondern auch die Frage an was überhaupt geforscht und bis zur Zulassung entwickelt wird. Ein entscheidender Grund hierfür ist, dass die Entwicklung bislang aufwendig und die Kosten entsprechend hoch waren. Eine neue Sorte zu entwickeln lohnt sich nur, wenn sie an einen Großteil des Markts verkauft werden kann, weil es keine oder nur wenige konkurrierende Unternehmen gibt.

 

Die Genschere crispr/cas9 lässt einen Paradigmenwechsel erwarten. Diese Technologie macht es deutlich schneller und günstiger, das Genom einer Pflanze zu verändern und ermöglicht es auch in einem kapitalistischen Markt kleineren Unternehmen, die die hohen Fixkosten nicht tragen könnten, neue Sorten zu entwickeln.

 

Eine weitere Eigenschaft dieses Marktes ist die Verbindung des Verkaufs von Saatgut mit dem von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Viele der großen Konzerne haben sowohl eine Sparte für Saatgut, als auch für Dünge- oder Pflanzenschutzmittel. Wenn eine Sorte also beispielsweise auf ihre Toleranz hinsichtlich eines bestimmten Herbizids (=Unkrautvernichtungsmittel) entwickelt wird, wird genau dieses Mittel auch durch das entsprechende Unternehmen verkauft. Dies erhöht die Marktmacht des einzelnen Konzerns abermals.

 

3.2. Gentechnik ist eine Frage internationaler und intergenerationaler Solidarität.

Die Industriestaaten leisten sich mit bio und gentechnikfreien Lebensmitteln eine verhältnismäßig ineffiziente Produktion dieser. Damit beanspruchen sie mehr Flächen und Ressourcen als notwendig wäre.

 

3.3. Der Markt für Lebensmittel auf Seite der Konsumierenden in Deutschland und der EU.

Aktuell gibt es nur die Kennzeichnung “ohne Gentechnik”. Für viele Verbraucher*innen ist diese Kennzeichnung gleichbedeutend mit “natürlich” und “sicher”. Die Kennzeichnung in dieser Form wertet Produkte “ohne Gentechnik” bei den Verbraucher*innen auf – allerdings zu Unrecht. Konventionelle Züchtung mit Chemikalien oder Radioaktivität, die das Erbgut der Pflanze verändern, ist nicht “natürlicher” oder “sicherer” als Gentechnik. Für konventionelle Züchtung gibt es jedoch kein gibt es kein entsprechendes Siegel.

 

Da hier jedoch die nötige Aufklärung der Verbraucher*innen fehlt, unterstützt das “Ohne Gentechnik”-Siegel eher ein Bauchgefühl und keine Unterscheidung, die nach wissenschaftlichen Kriterien sinnvoll ist. Gerade jetzt, da belegte wissenschaftliche Erkenntnisse von Verschwörungsgläubigen als falsch verunglimpft werden und breite Teile der Bevölkerung für “fake news” und “alternative Fakten” zugänglich sind, sollten die politischen Akteur*innen besonders aufmerksam und sorgfältig sein.

Text des Beschlusses:

Wir wollen die Demokratisierung aller Lebensbereiche und den Schutz von Umwelt, Klima und Tieren. Nahrungsmittel sind Teil der Daseinsvorsorge. Welche wie, wo und von wem produziert wird, muss demokratisch mitbestimmt werden. Wissenschaftlicher Fortschritt soll dem Wohle aller dienen. Für die Landwirtschaft schließt das u.a. die Fragen ein, welches Saatgut und welche Dünge- und Pflanzenschutzmittel, wieviel Wasser und welches Land genutzt werden soll. Unsere gesamtgesellschaftlichen Ziele sind folgende:

 

  1. Ernährungssicherheit; sie ist gegeben, wenn alle Menschen zu jeder Zeit physischen und ökonomischen Zugang zu genügend und sicherer Nahrung haben und die ernährungsbezogenen Bedürfnisse und Präferenzen sichergestellt werden können.
  2. Gute Arbeits- und Lebensbedingungen für diejenigen, die in der Landwirtschaft und verbundenen Wirtschaftszweigen arbeiten und für diejenigen, die direkt oder indirekt von der Landwirtschaft betroffen sind, beispielsweise als Anwohner*innen.
  3. Effiziente Nutzung der Ressourcen. Wir wollen schonend mit den Ressourcen unseres Planeten umgehen und uns solidarisch mit Menschen an anderen Teilen der Welt und künftigen Generationen zeigen. Keine Ressource, sei es Wasser, Boden oder die natürlichen Senken des Ökosystems, soll übernutzt werden. Biodiversität und Klimaschutz sind ebenfalls Ziele der Landwirtschaft.

 

Verantwortlich und unter demokratischer Kontrolle eingesetzte Gentechnik, also gezielte Eingriffe in das Erbgut von Nahrungspflanzen, ist nicht per se abzulehnen, sondern kann einen wichtigen Beitrag leisten. Auch konventionell erzeugte Neuzüchtungen weisen ein modifiziertes Genom auf, und auch sie bergen Risiken.

 

Daraus leiten sich folgende Forderungen ab:

  1. Forschung und Produktion von Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln verstärkt in öffentliche Hand! Die öffentliche Hand muss sich stärker der Forschung und Entwicklung in den Bereichen Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln annehmen, zum Beispiel mit finanziellen Mitteln des Bundesforschungs- und des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Forschungs- und Entwicklungsgelder sind bereitzustellen, um internationalen Austausch zwischen Forschungseinrichtungen zu ermöglichen, sowie für Forschungsstipendien und die finanzielle Ausstattung der Forschungsprogramme der EU-Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP).
  2. Die Erlaubnis von Forschung auf dem offenen Feld durch staatliche wissenschaftliche Institutionen unter Einhaltung strikter Regelungen zur Vermeidung der unkontrollierten Ausbreitung gentechnisch modifizierter Pflanzen ohne Kenntnis der möglichen Auswirkungen. Ohne diese ist keine anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung an Nutzpflanzen mithilfe von Gentechnik möglich. Neben der Entwicklung neuer Sorten mithilfe von Gentechnik muss auch die Forschung an alten, indigenen Sorten gefördert werden, etwa auf ihre Resilienz gegen den Klimawandel hin.
  3. Verhinderung von Oligopolen durch das Kartellrecht sowie Aufspaltung bestehender Oligopole bzw. Einführung gesellschaftlicher Beteiligung oder Vergesellschaftung. Hierbei sind Saatgut- markt, Pflanzenschutz- und Düngemittel zusammenzudenken.
  4. Patente aus öffentlich finanzierter Forschung sind am Gemeinwohl ausrichten.Sie dürfen nicht unentgeltlich an Private weitergegeben und von diesen kommerziell genutzt werden, wie bislang durch Ausgründungen aus nicht-kommerziellen Forschungsinstituten. Finanzielle Gewinne durch öffentlich finanzierte Erkenntnisse sollen auch der Öffentlichkeit zufließen. Dazu sollen Rechte an Sorten bzw. Grundlagenforschung analog zu nicht-kommerziellen Creative Commons- und Open Source-Lizenzen im digitalen Bereich organisiert werden. So könnten nicht-kommerzielle Einrichtungen öffentlich finanzierte Erkenntnisse ohne Bezahlung weiterentwickeln, im Falle kommerzieller Verwertung aber Gelder an den Staat zur Nutzung der öffentlich finanzierten Forschung zahlen. Ein erster Schritt kann hier sein, die Möglichkeit einer Patentierung von gentechnisch erzeugten Sorten abzuschaffen und diese mit konventionell erzeugten Sorten gleichzustellen. Für letztere gilt nämlich nur der Sortenschutz.
  5. Standardisierung von Saatguteigenschaften, Dünger, und Pestizide. Ziel ist, dass nicht wie bisher ein Unternehmen allein die zum eigenen Saatgut passenden Dünger und Pestizide verkauft und damit Marktmacht ausübt, sondern dass auch andere Akteur*innen entsprechende ergänzende Produkte entwickeln können.
  6. Rechtssicherheit für Landwirt*innen. Wenn sich durch Lizenzen geschützte Pflanzen z.B. durch Bestäubung über Wind mit den Pflanzen einer Landwirtin ohne deren aktives Zutun vermischen, darf diese Landwirtin nicht rechtlich belangt werden können.
  7. Angleichung der Zulassungsverfahren für gentechnisch und konventionell erzeugte Sorten. Neue Sorten müssen zugelassen werden, bevor sie zur Nahrungsmittelproduktion genutzt werden. Doch gentechnisch erzeugte Sorten müssen einen viel aufwändigeren Zulassungsprozess durchlaufen. Dabei gibt es Beispiele konventionell erzeugter Pflanzen, bei denen nach der Zulassung festgestellt wurde, dass sie die Gesundheit gefährden, z.B. durch einen zu hohen Glycoalkaloid-Gehalt. Wir brauchen strengere Zulassungsprozesse mit systematischen Tests nur für Sorten, bei denen die Inhaltsstoffe der Pflanzen verändert wurden und/oder bei denen fremdes Genmaterial eingefügt wurde. Ist dies bei einer neuen Sorte nicht der Fall, soll sie wie gehabt unkompliziert zugelassen werden können, unabhängig davon, ob sie konventionell oder mit Gentechnik entwickelt wurde.
  8. Bessere Aufklärung von Verbraucher*innen. Zum Thema Gentechnik im Vergleich zur konventionellen Züchtung herrscht noch viel Unwissen. Information und Fakten zu diesem Thema müssen einfach und leicht erreichbar sein. Wir dürfen dieses Feld nicht den Lobby-Vereinigungen überlassen. Eine einseitige Kennzeichnung von “gentechnikfreien” Produkten ist wertend und irreführend. Stattdessen sind alle verwendeten Züchtungsmethoden auf Produkten auszuweisen, also auch konventionelle Züchtung mithilfe von z.B. radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen bedrohen die Biodiversität nicht automatisch mehr als konventionell gezüchtete Sorten. Wenn erstere mehr Ertrag pro Hektar liefern und somit Fläche stillgelegt werden kann, könnten diese Sorten sogar einen Beitrag zum Schutz von Biodiversität leisten. Aktuell sind Sorten, die mit Gentechnik entwickelt wurden, kategorisch vom Bio-Siegel ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang könnte auch eine Differenzierung bei der Kategorie “Bio” angedacht werden, denn einige mit Gentechnik entwickelte Sorten kommen beispielsweise besser ohne Pestizide aus, brauchen weniger Wasser oder Fläche und schonen so die Umwelt.
  9. Globaler wissenschaftlicher Austausch. Ernährungssicherheit und Umweltschutz sind globale Aufgaben. Wissenschaftler*innen und Erzeuger*innen vor Ort wissen am besten, was gebraucht wird. Daher wollen wir, dass Forschungs- und Entwicklungsgelder bereitgestellt werden, um Forschung und Sortenentwicklung in anderen Ländern zu fördern und internationalen Austausch zwischen Forschungseinrichtungen zu ermöglichen. Hierfür braucht es mehr und besser ausgestattete Forschungsstipendien, die einen Austausch in beide Richtungen sicherstellen. Dies kann u.a. durch eine bessere finanzielle Ausstattung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) passieren, sowie durch entsprechende Programme des Entwicklungs-, des Forschungs- und des Agrarministeriums.

 

 

Erläuterungen:

 

1. Worüber reden wir?

Bei der grünen Gentechnik können wir grob zwischen drei Züchtungstechniken unterscheiden.

1.1. Konventionelle Züchtung

Bei der konventionellen Züchtung werden diejenigen Pflanzen ausgewählt, die dem Züchtungsziel am nächsten kommen, weil sie z.B. besonders große oder viele Früchte tragen und werden gekreuzt, damit diese Merkmale bei der nächsten Pflanzengeneration noch ausgeprägter sind. Zur Auswahl der Pflanzen geht nicht der*die Landwirt*in übers Feld und sucht Pflanzen heraus, die durch zufällige Mutationen dem Züchtungsziel nahe kommen. Stattdessen werden die Pflanzen mit radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien so behandelt, dass Mutationen auftreten (Mutagenese). Die behandelten Pflanzen, deren Mutation zum Züchtungsziel passt, werden dann zur Weiterzüchtung ausgewählt.

Bei der konventionellen Züchtung wird also nicht das Genom selbst betrachtet, sondern die Ausprägungen, die es herbeiführt. Auch wenn bei dieser Züchtungsform nicht von Gentechnik gesprochen wird, ist das Genom der so neu gezüchteten Sorte im Vergleich zur ursprünglichen Sorte verändert.

 

2018 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die rechtliche Einstufung von Pflanzensorten, die durch konventionelle Züchtung entstehen. Der EuGH entschied, dass Pflanzensorten, die durch Bestrahlung oder Einsatz von Chemikalien entstanden sind, von der sonst üblichen Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht für genetisch veränderte Organismen (GVO) befreit sind. Der Grund hierfür sei die seit langem übliche Anwendung dieser Methode und die daraus resultierende Einstufung als ungefährlicher Organismus. Gentechnik ist also schon lange Bestandteil unserer Agrarwirtschaft – wird aber oft nicht als solche benannt.

Eine daraufhin von der Kommission in Auftrag gegebene Studie kam zu dem Schluss, dass die aktuelle europäische Regelung für die Behörden schwer umzusetzen sei und außerdem Verbesserungspotentiale hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Agrar- und Nahrungsmittelsystemen nicht realisiere.

 

1.2. Konventionelle Gentechnik

Bei der konventionellen Gentechnik (“genetically modified organisms”, kurz GMO, oder “genetisch veränderte Organismen”, kurz GVO) werden Erbgutteile einer ähnlichen oder einer gänzlich anderen Art in das Erbgut einer Nutzpflanze eingebaut. Wenn Organismen mit dem Erbgut ihnen ähnlicher Arten behandelt werden, spricht man von “cisgenen” GVO. Wenn Organismen mit dem Erbgut gänzlich anderer Arten behandelt werden, spricht man von “transgenen” GVO .

Bei der konventionellen Gentechnik kann nicht genau bestimmt werden, wo der einzufügende Erbgutteil eingebaut wird. Wurde artfremdes Erbgut (transgen) eingefügt, ist das später im Erbgut der Pflanze erkennbar und man kann klar sagen, dass diese mit Gentechnik verändert wurde. Jedoch muss im Vornherein klar sein, nach welchen Veränderungen gesucht wird. Bei cisgenetischen Veränderungen (Erbgutteil einer ähnlichen Art) können diese genetischen Veränderungen gar nicht nachgewiesen werden.

Ein bekanntes Beispiel für eine transgenetisch veränderte Pflanze ist der Bt-Mais. Viele Maispflanzen werden durch einen bestimmten Schädling zerstört. Es gibt ein Bakterium, das ein Protein produziert, das für den Menschen unschädlich, für genau diesen Schädling aber giftig ist. Die Formel zur Herstellung dieses Proteins steckt im Erbgut des Bakteriums. Beim Bt-Mais wurde diese Formel in das Erbgut der Mais-Pflanze eingeschleust. Der so veränderte Bt-Mais kann nun selbst das Protein gegen den Schädling produzieren.

Risiken bestehen hauptsächlich für “Nicht-Zielorganismen”, also zum Beispiel andere Insekten als den Schädling selbst, die mit der gentechnisch veränderten Pflanze in Berührung kommen.

Der rechtliche Umgang mit und die Regulierung genetisch veränderter Organismen unterscheiden sich stark zwischen den Staaten. Die EU reguliert hier anhand der sogenannten Freisetzungsrichtlinie (Zulassung zum Anbau) und einer separat geregelten Zulassung als Futter- und Lebensmittel. Die EU reguliert prozessbezogen und stuft so die Sorten nach dem Verfahren, durch das sie entstanden sind, ein. Währenddessen handeln Staaten wie die USA und Kanada produktbezogen, wo die Eigenschaft „genetisch modifiziert“ an bestimmten Eigenschaften eines Organismus festgemacht wird. Zudem haben Staaten auch innerhalb der EU verschiedene Umgangsweisen mit genetisch veränderten Organismen. Dies führt unter anderem zu uneinheitlichen Regelungen innerhalb der EU und weltweit.

 

1.3. Neue Gentechnik

Die neue Gentechnik wird auch moderne Gentechnik oder “genome editing” (GE) genannt. GE gibt es seit ca. 20 Jahren. Das Genom der Pflanze wird aufgeschlüsselt, damit eine Änderung an einer genau bestimmten Stelle vorgenommen werden kann. Darin liegt der große Unterschied zur konventionellen Gentechnik, in der diese Genauigkeit nicht möglich ist.

“Crispr/cas9”, auch bekannt als “Genschere”, ist eine besondere GE-Technik, die es seit ca. fünf Jahren gibt und den GE-Prozess um ein Vielfaches beschleunigt. Mit dieser Technik können einzelne Bereiche des Erbguts spezifisch verändert werden. Somit ist auch die Formulierung komplexerer Züchtungsziele möglich, die Veränderungen von mehreren Genen gleichzeitig (polygenetisch) beinhalten können.

Solche cisgenetischen Veränderungen von Pflanzen mit dem Erbgut waren auch mit der konventionellen Gentechnik möglich – allerdings waren sie so aufwendig, dass sie fast nie durchgeführt wurden. In der Praxis gibt es also erst durch “genome editing” und die effizientere GE-Technik “crispr/cas9” cisgenetisch verändertes Saatgut.

Es gibt durch GE nun also zum ersten Mal gentechnisch verändertes Saatgut, das man nicht von konventionell erzeugtem Saatgut unterscheiden kann.

 

1.4. Biodiversität bei Nutzpflanzen

Alle diese drei Züchtungsarten erschaffen neue Pflanzensorten, die ein eigenes Genom haben. Das bedeutet zunächst einmal mehr Biodiversität. Alle Sorten von Nutzpflanzen, egal, wie sie entwickelt wurden, können sich im Feld mit anderen Sorten kreuzen. Mit Gentechnik entwickelte Sorten bedrohen andere Pflanzen und damit die Biodiversität nicht mehr als konventionell erzeugte Sorten.

 

2. Warum reden wir darüber?

Als Sozialist*innen und Internationalist*innen können wir mit den aktuellen Regelungen rund um das Thema Gentechnik nicht zufrieden sein. Dafür haben wir mehrere Gründe.

 

2.1. Wissenschaftliche Erkenntnisse leiten unsere politische Arbeit.

Wir sehen, dass die Debatten um Ernährung, Landwirtschaft und Gentechnik oft auf emotionaler Ebene geführt werden und neue wissenschaftliche Erkenntnisse dabei nur unzureichend berücksichtigt werden. Das ist nicht überraschend, denn die eigene Ernährung ist etwas sehr Persönliches und wir respektieren das in all unseren Überlegungen zu diesem Bereich und tragen gleichzeitig dem Vorsorgeprinzip Rechnung.

Wir beobachten, dass im Bereich der Landwirtschaft Veränderungen und Innovationen oft kritischer gesehen werden als in anderen Bereichen. Außerdem gibt es in der EU aber auch in anderen Industriestaaten eine starke Agrarlobby, was dazu führt, dass die Landwirtschaft stärker als andere Sektoren subventioniert wird, was auch bei vielen Wähler*innen Unterstützung findet.

 

Dass emotionale Argumente die gesellschaftliche Diskussion und damit die Politik leiten, sehen wir auch im Bereich Gentechnik. Konventionelle Züchtung setzte früher auf zufällige Mutation im Genom, heute auf Mutationen durch radioaktive Bestrahlung oder den Einsatz aggressiver Chemikalien. Bei diesen Techniken kann und konnte nie ausgeschlossen werden, dass auch unabsichtliche und gar unbemerkte Veränderungen an anderen Eigenschaften der Pflanzen auftreten. So gab es beispielsweise Fälle, in denen der Gehalt eines bestimmten Stoffes (Glycoalkaloid) in den Pflanzen erhöht wurde, um sie besser vor Insekten und Krankheiten zu schützen. Erst später wurde entdeckt, dass dieser Stoff in erhöhter Menge zu Krankheiten beim Menschen führt.

 

Dieses Risiko gibt es selbstverständlich auch bei Sorten, die durch GM oder GE entwickelt wurden. Es ist bei diesen Verfahren jedoch kleiner, weil die Veränderungen, die vorgenommen werden, zielgerichteter sind und die Forscher*innen wissen, welche Gene verändert werden. Weshalb ist also das Misstrauen aus Verbraucher*innenperspektive gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen so viel höher als gegenüber konventionell gezüchteten? Auf wissenschaftlichen Fakten beruht dieser Unterschied in der Bewertung zumindest nicht. Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn politische Entscheidungen, hier die Bevorzugung einer Züchtungsart, auf irrationalen Annahmen und gefühlten Wahrheiten beruhen und damit für viele Menschen das Ergebnis dieser Politik weniger gut ist als es sein könnte.

 

2.2. Welternährung sichern und den Klimawandel bekämpfen

Der Klimawandel ist die große Bedrohung der Menschheit im 21. Jahrhundert. Die Weltbevölkerung wächst. Beides stellt uns vor große Herausforderungen. Unsere Entscheidungen betreffen nicht nur uns, sondern auch Menschen an anderen Orten der Welt und künftige Generationen. Auch diesen Menschen gegenüber haben wir eine Verantwortung. Daher dürfen wir nicht einfach eine Maßnahme, eine technologische Möglichkeit, um diese Herausforderungen anzugehen von vornherein ausschließen ohne das Für und Wider rational zu bewerten.

Gesunde Nahrungsmittel und eine ausgewogene Ernährung dürfen kein Luxus sein. Entsprechend können wir das Gefälle beim Zugang zu gesunder Ernährung, das es innerhalb Deutschlands, aber auch global gibt, nicht akzeptieren.

 

2.3. Das Urteil des EuGH zeigt den dringenden Handlungsbedarf.

Gentechnik wird in Deutschland seit den 1970er Jahren genutzt. 1990 wurde das Gentechnikgesetz (GenTG) als Rahmen für die Nutzung und Entwicklung von Gentechnik verabschiedet. Es soll vor allem Verbraucher*innen vor potentiellen Gefahren schützen.

 

Das GenTG definiert einen genetisch veränderten Organismus als „ein[en] Organismus, mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material in einer Weise verändert  worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzungen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt“ (GenTG §3 Abs. 2a)). Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens fiel unter diese Definition die konventionelle Gentechnik. Jedoch werden im Begriff „gentechnische Arbeiten“ alle Methoden zur „Erzeugung gentechnische veränderter Organismen“ eingeschlossen (GenTG §3 Abs. 3). Das GenTG gilt in dieser Form auch heute noch, obwohl sich die Forschung stark weiterentwickelt hat und eine Differenzierung der Methoden nötig wäre.

 

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Jahr 2018 hat dem Thema neue Aktualität und Aufmerksamkeit verschafft. Es besagte, dass GE-Pflanzen in der EU genauso behandelt werden sollen wie mit konventioneller Gentechnik entwickelte Pflanzen (GVOs) und entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Eine Unterscheidung zwischen GE- und nicht-GE-Pflanzen ist im Nachhinein nicht möglich und eine Kennzeichnungspflicht daher auch nicht umsetzbar. Andere wichtige Agrarexportländer wie die USA, Kanada oder Brasilien haben hingegen produktorientierte Regelungen, bei denen GE-Sorten nicht als Gentechnik eingeordnet werden und entsprechend nicht als solche gekennzeichnet werden müssen.

 

3. Was ist das Problem?

 

3.1. Der Markt für Lebensmittel auf Seite der Produzierenden in Deutschland und der EU.

 

3.1.1. Eine kapitalistische Marktwirtschaft verfolgt nie unsere gesellschaftlichen Ziele.

Im Kapitalismus ist stets die Erwirtschaftung von Profiten das Ziel. Ein Unternehmen kann nach dieser Logik Profite nur durch Verkauf seiner Entwicklung, also dem neuen Saatgut und den damit verbundenen Produkten, wie Pestiziden erwirtschaften. Entsprechend wird ausgewählt, woran geforscht und was entwickelt wird. Dabei leiten folgende Prinzipien:

  1.  Die Entwicklung soll so günstig wie möglich sein.
  2.  Es sollten viele Landwirt*innen/Verbraucher*innen diese so veränderte Sorte nachfragen.
  3.  Es sollten zahlungskräftige Landwirt*innen/Verbraucher*innen nachfragen.

 

Daraus ergibt sich, dass Landwirt*innen, die ja wiederum selbst im Kapitalismus wirtschaften, Sorten nachfragen von deren verbesserten Eigenschaften sie finanziell profitieren. Als Beispiel hierfür zählen z.B. höhere Erträge durch größere Früchte oder durch einen geringeren Bedarf an Inputs wie Pestiziden oder Dünger, für die die Landwirt*innen zahlen müssten. Eigenschaften, für die die Landwirt*innen nicht vergütet werden, sind ökonomisch uninteressant.

 

Selbst wenn es eine große Gruppe an Verbraucher*innen gibt, die eine veränderte Sorte nachfragen würde, aber keinen entsprechend hohen Preis zahlen kann, wird diese nicht entwickelt.

 

Einige Forschungsziele werden daher von privaten Unternehmen gar nicht verfolgt, wie beispielsweise ein erhöhter Gehalt von Vitaminen oder Nährstoffen. Diese Eigenschaften sind nämlich nicht nur in einem Gen veranlagt (monogenetisch), sondern in mehreren (polygenetisch). Eine zielgerichtete Veränderung an mehreren Genen durchzuführen ist aufwendiger und entsprechend kostspieliger. Ein solches Beispiel öffentlicher Forschung ist der golden rice, einer Reissorte, die einen gesteigerten Gehalt von Vitamin A aufweist und  somit Mangelerscheinungen bekämpfen kann und von der ETH Zürich und dem International Rice Research Institute (IRRI) entwickelt wird.

 

3.1.2. Die Aufteilung des Marktes unter wenigen Großkonzernen, die die Patente halten, ist problematisch.

Aktuell sehen wir eine hohe Konzentration auf dem Markt für Saatgut. Einige wenige Konzerne haben den Markt unter sich aufgeteilt und üben eine entsprechende Macht aus. Dies betrifft nicht nur Preise oder Konditionen zu denen Saatgut an Landwirt*innen in Deutschland und weltweit verkauft wird, sondern auch die Frage an was überhaupt geforscht und bis zur Zulassung entwickelt wird. Ein entscheidender Grund hierfür ist, dass die Entwicklung bislang aufwendig und die Kosten entsprechend hoch waren. Eine neue Sorte zu entwickeln lohnt sich nur, wenn sie an einen Großteil des Markts verkauft werden kann, weil es keine oder nur wenige konkurrierende Unternehmen gibt.

 

Die Genschere crispr/cas9 lässt einen Paradigmenwechsel erwarten. Diese Technologie macht es deutlich schneller und günstiger, das Genom einer Pflanze zu verändern und ermöglicht es auch in einem kapitalistischen Markt kleineren Unternehmen, die die hohen Fixkosten nicht tragen könnten, neue Sorten zu entwickeln.

 

Eine weitere Eigenschaft dieses Marktes ist die Verbindung des Verkaufs von Saatgut mit dem von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Viele der großen Konzerne haben sowohl eine Sparte für Saatgut, als auch für Dünge- oder Pflanzenschutzmittel. Wenn eine Sorte also beispielsweise auf ihre Toleranz hinsichtlich eines bestimmten Herbizids (=Unkrautvernichtungsmittel) entwickelt wird, wird genau dieses Mittel auch durch das entsprechende Unternehmen verkauft. Dies erhöht die Marktmacht des einzelnen Konzerns abermals.

 

3.2. Gentechnik ist eine Frage internationaler und intergenerationaler Solidarität.

Die Industriestaaten leisten sich mit bio und gentechnikfreien Lebensmitteln eine verhältnismäßig ineffiziente Produktion dieser. Damit beanspruchen sie mehr Flächen und Ressourcen als notwendig wäre.

 

3.3. Der Markt für Lebensmittel auf Seite der Konsumierenden in Deutschland und der EU.

Aktuell gibt es nur die Kennzeichnung “ohne Gentechnik”. Für viele Verbraucher*innen ist diese Kennzeichnung gleichbedeutend mit “natürlich” und “sicher”. Die Kennzeichnung in dieser Form wertet Produkte “ohne Gentechnik” bei den Verbraucher*innen auf – allerdings zu Unrecht. Konventionelle Züchtung mit Chemikalien oder Radioaktivität, die das Erbgut der Pflanze verändern, ist nicht “natürlicher” oder “sicherer” als Gentechnik. Für konventionelle Züchtung gibt es jedoch kein gibt es kein entsprechendes Siegel.

 

Da hier jedoch die nötige Aufklärung der Verbraucher*innen fehlt, unterstützt das “Ohne Gentechnik”-Siegel eher ein Bauchgefühl und keine Unterscheidung, die nach wissenschaftlichen Kriterien sinnvoll ist. Gerade jetzt, da belegte wissenschaftliche Erkenntnisse von Verschwörungsgläubigen als falsch verunglimpft werden und breite Teile der Bevölkerung für “fake news” und “alternative Fakten” zugänglich sind, sollten die politischen Akteur*innen besonders aufmerksam und sorgfältig sein.

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