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Antrag 77/I/2021 Gegen Institutionellen Rassismus – Arbeitshilfe zurücknehmen

18.03.2021

Im April 2018 hat die Bundesagentur für Arbeit eine Arbeitshilfe zur „Bekämpfung von organisiertem Leistungsmissbrauch durch EU-Bürger“ herausgegeben. Seitdem sind drei weitere, rhetorisch entschärfte, Auflagen erschienen. Zuletzt kam im Februar 2021 die Arbeitshilfe „Bekämpfung von bandenmäßigem Leistungsmissbrauch im spezifischen Zusammenhang mit der EU-Freizügigkeit“ heraus. Das Papier soll Mitarbeiter*innen der JobCenter dabei unterstützen, Leistungsmissbrauch zu erkennen und zu bekämpfen. Keines der Papiere ist öffentlich einsehbar. Auch für Betroffene oder Beratungsstellen ist die Arbeitshilfe unzugänglich.

 

Gleichzeitig stellen Sozialverbände und Beratende eine verstärkt abweisende Praxis und Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit von Antragssteller*innen fest. Im November 2020 adressieren elf Verbände, darunter die GGUA Flüchtlingshilfe, Tacheles e.V., das Komitee für Grundrechte und Demokratie und die Landesarmutskonferenz Berlin einen Brief an das Bundesarbeitsministerium. Sie fordern unter anderem die Rücknahme der Arbeitshilfe und beschreiben die Praxis in den JobCentern.

 

So werden Leistungen unberechtigt abgelehnt, Antragsunterlagen zurückgehalten und Nachweise in unverhältnismäßigem Umfang gefordert. Ob Antragssteller*innen ihre Arbeitnehmer*inneneigenschaft glaubhaft machen können, liegt dabei oft auch bei ihren Arbeitgeber*innen. Vorzulegende Nachweise können außerdem Mietverhältnisse, Krankenversicherung und die Sicherung des Lebensunterhalts sein. Entsprechende Belege können über Jahre hinweg eingefordert werden. Bei Zweifeln kann die Entscheidung über Grundsicherung ausgesetzt werden.

 

Die Arbeitshilfe verkennt die Lebensrealität prekär Beschäftigter im Niedriglohnsektor in zweifacher Hinsicht: Für Betroffene bedeutet die Verweigerung von Leistungen eine verstärkte Abhängigkeit von ausbeuterischen Verhältnissen. Ihre Existenzängste bei fehlender Grundsicherung finden keine Berücksichtigung. Außerdem gelten Kündigungen nach kurzer Zeit, das Fehlen eines schriftlichen Arbeitsvertrages, eine fehlende Anmeldung bei der Unfallversicherung seitens des Betriebs, überhöhte Mieten und Wohnabhängigkeit als Kriterien um „bandenmäßigen Sozialleistungsmissbrauch“ zu erkennen. Diese Merkmale deuten aber gleichzeitig bzw. vielmehr auf ausbeuterische Arbeitsverhältnisse hin.

 

Die Situation wird dadurch verschärft, dass fehlende Kenntnisse der deutschen Sprache und des deutschen Arbeitsrechts die Verhandlungsmacht der Betroffenen gegenüber Arbeitgeber*innen und JobCentern weiter einschränken. Wer dringend auf Grundsicherung angewiesen ist, diese aber nur spät oder gar nicht erhält, erlebt Existenzängste, das Risiko von Wohnungsverlust und soziale Verdrängung. Außerdem werden mit der Leistungsverweigerung auch andere integrative Angebote versperrt. Dazu gehören Krankenversicherung, Intergrations- und Sprachkurse und weitere Bildungsangebote.

 

Insbesondere Menschen mit rumänischer oder bulgarischer Staatsangehörigkeit sind betroffen. So gibt die Arbeitshilfe in diesen Fällen spezifische Handlungsempfehlungen zur Überprüfung der Identität der Antragssteller*innen. Hier werden Menschen aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft stigmatisiert und Betroffene werden nicht mehr vorurteilsfrei behandelt. Prekär lebende rumänische und bulgarische Arbeiter*innen müssen bei einem Antrag auf Grundsicherung mit dem Vorwurf der „missbräuchlichen Inanspruchnahme von Sozialleistungen“ rechnen. Belastbare Daten zu „kriminellen Banden“, ein weiter stigmatisierender Begriff, kann die Bundesagentur für Arbeit aber nicht vorlegen.

 

Dass Menschen aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft oder zugeschriebenen sozialen Gruppenzugehörigkeit der Zugang zu dringend notwendigen Leistungen erschwert wird, widerspricht den grundlegenden Prinzipien eines sozialen Staates. Wer von Arbeitsausbeutung betroffen ist und nicht von seinem*ihrem Lohn leben kann, braucht Unterstützung, keine Kriminalisierung – auch um Abhängigkeitsverhältnisse zu durchbrechen.

 

Deshalb fordern wir:

  • Die Rücknahme der Arbeitshilfe „Bekämpfung von bandenmäßigem Leistungsmissbrauch im spezifischen Zusammenhang mit der EU-Freizügigkeit“
  • Dass sich künftige Arbeitshilfen der Bundesagentur für Arbeit an der Realität des prekären Arbeitsmarktes orientieren und öffentlich einsehbar sind
  • Sonderempfehlungen aufgrund von Staatsangehörigkeit oder zugeschriebener Herkunft ohne rechtliche Grundlage zu unterlassen
  • Statt aus Betroffenen Täter*innen zu machen: Verlässliche Hilfen und Informationen zur Unterstützung gegen ausbeuterische Arbeits- und Wohnverhältnisse in den JobCentern
  • Die Überprüfung und Bekämpfung von Mechanismen, die systematisch dazu führen, dass Menschen ihre Ansprüche auf Sozialleistungen vorenthalten werden
  • Regelmäßige Workshops und Schulungen für Mitarbeitende zum diskriminierungs- und rassismusfreien Umgang mit Klient*innen

Antrag 49/I/2021 Corona verlangt mehr von uns: Kindeswohlgefährdungen effektiv begegnen!

18.03.2021

Die Zahl der Missbrauchsfälle Kinder und Jugendlicher in Deutschland ist besorgniserregend hoch, das Kindeswohl Vieler ist gefährdet. Aktuell aufgedeckte Missbrauchsfälle wie aus Münster verdeutlichen, dass die Strukturen der Jugendämter so löchrig sind, dass fehlende Kommunikation und fehlende bundesländerübergreifende Kooperationen dazu geführt haben, dass auf Missbrauchsfälle bzw. Kindeswohlgefährdungen viel zu spät reagiert wurde, obschon diese bekannt waren. Hier zeigt sich einmal wieder, dass der Sparkurs der Landesregierungen und Kommunen bundesweit dafür gesorgt hat, dass auch in 2021 eine Vielzahl von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, deren Dunkelziffer dramatisch höher vermutet wird als in den Kriminalstatistiken erfasst, nicht behutsam aufwachsen.

 

Ob eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt, ist nicht immer offensichtlich erkennbar. Gewalt gegen Kinder umfasst vor allem auch die psychische Gewalt und Verwahrlosung, die nur bei genauem Hinschauen und Auseinandersetzen mit dem Kind erkannt werden kann. Viele Pädagog*innen, Erzieher*innen und Lehrer*innen, die stets um das Kindeswohl besorgt sind, berichten an die Jugendämter und stellen Anträge auf individuelle Unterstützung. Diese werden jedoch in einer Vielzahl abgelehnt oder ungenügend bearbeitet. Die Berichte und Anträge erfolgen auf Engagement des jeweiligen Mitarbeitenden und der Einrichtung. Dies sollte jedoch Teil des Aufgabenspektrums und eine verpflichtende, grundlegende Aufgabe sein, um eine engmaschige Betreuung und Sicherstellung des Kindeswohls wahren zu können.

 

Es ist untragbar, wenn diese Betreuung und Umsorge nur aufgrund persönlichen Engagements erfolgt. Auch wenn die Mitarbeiter*innen ohnehin genug Aufgaben haben, sollte dies keine Ursache dafür sein, Kindeswohlgefährdungen nicht nachzugehen. Daher ist auch die Aufstockung des Personals und der beauftragten Personen unerlässlich, um zu gewährleisten, dass ein*e Mitarbeiter*in sich angemessen um den einzelnen Sachverhalt kümmern und sich so Kindeswohlgefährdungen widmen kann, um einzelnen Kindern und Familien aus der Krise zu helfen.

 

In der Realität kommt dies leider zu kurz. Hierfür sind häufig Kapazitätsmangel und Finanzierungsschwierigkeiten die Begründung. Mitarbeiter*innen der Jugendämter sind mit der Masse der ihnen zugewiesenen Fälle überfordert und können so dem Einzelfall nicht gerecht werden. Die Corona-Situation hat diese Lage nochmals verschärft, sodass ein akuter Handlungsbedarf besteht. Die Strukturen der Jugendämter und beauftragten Organisationen bedürfen sowohl finanzielle als auch strukturelle Veränderungen, um ein sicheres Aufwachsen für jedes Kind und jeden Jugendlichen zu sichern, nicht nur in Coronazeiten.

 

Wir fordern daher:

  • die Jugendämter sowie städtischen und nicht städtischen Einrichtungen, die mit der Aufgabe der Überprüfung des Kindeswohl beauftragt sind, mit Personal soweit aufzustocken, dass die Anzahl der Kinder pro Sachbearbeiter*in nicht höher als 50 ist;
  • die Erhöhung des Budgets für die Finanzierung eines großen Teils der eingehenden Anträge für Hilfsmittel und Fördermaßnahmen;
  • Bildungseinrichtungen wie Kitas und Schulen für Kinder von bis zu 14 Jahren zu einer vierteljährlichen Beobachtungsprotokoll/ Feststellungsprotokoll anzuhalten, wenn ein Anfangsverdacht auf eine Kindeswohlgefährdung vorliegt: Die Erzieherinnen und Lehrerinnen sollen ihren Vorgesetzten gegenüber die Gründe für die Annahme der Kindeswohlgefährdung schriftlich darlegen. Für die schriftliche Beobachtung sollen inhaltliche Vorgaben vom Jugendamt zur Verfügung gestellt werden.
  • eine gezielte Sensibilisierung für alle öffentlichen Stellen, wie psychische und physische Gewalt gegenüber einem Kind erkannt und überprüft wird.
  • Bereitstellung von Dolmetschdiensten zur uneingeschränkten Kommunikation mir Kindern, die der deutschen Sprache nicht bzw. nicht ausreichend mächtig sind
  • den finanziellen und räumlichen Ausbau von bestehenden Kinderschutzambulanzen.

Antrag 102/I/2021 Grüne Gentechnik aus progressiver Perspektive

18.03.2021

Vorbemerkung: In diesem Papier geht es ausschließlich um grüne Gentechnik bei Nutzpflanzen. Einige Analysen und Lösungsvorschläge lassen sich jedoch auf die gesamte Saatgut- und Lebensmittelindustrie beziehen. Da es ein gewisses Vorwissen braucht, um die Forderungen verstehen zu können, widmen sich die Kapitel 1 und 2 der Begriffsklärung bzw. unserer Motivation. In Kapitel 3 befindet sich die Problemanalyse. In Kapitel 4 werden unsere Forderungen formuliert und in Kapitel 5 die Umsetzung dieser ausgeführt.

 

1.          Worüber reden wir?

Bei der grünen Gentechnik können wir grob zwischen drei Züchtungstechniken unterscheiden.

 

1.1.          Konventionelle Züchtung

Bei der konventionellen Züchtung werden diejenigen Pflanzen ausgewählt, die dem Züchtungsziel am nächsten kommen, weil sie z.B. besonders große oder viele Früchte tragen und werden gekreuzt, damit diese Merkmale bei der nächsten Pflanzengeneration noch ausgeprägter sind. Zur Auswahl der Pflanzen geht nicht der*die Landwirt*in übers Feld und sucht Pflanzen heraus, die durch zufällige Mutationen dem Züchtungsziel nahe kommen. Stattdessen werden die Pflanzen mit radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien so behandelt, dass Mutationen auftreten (Mutagenese). Die behandelten Pflanzen, deren Mutation zum Züchtungsziel passt, werden dann zur Weiterzüchtung ausgewählt.

 

Bei der konventionellen Züchtung wird also nicht das Genom selbst betrachtet, sondern die Ausprägungen, die es herbeiführt. Auch wenn bei dieser Züchtungsform nicht von Gentechnik gesprochen wird, ist das Genom der so neu gezüchteten Sorte im Vergleich zur ursprünglichen Sorte verändert.

 

2018 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die rechtliche Einstufung von Pflanzensorten, die durch konventionelle Züchtung entstehen. Der EuGH entschied, dass Pflanzensorten, die durch Bestrahlung oder Einsatz von Chemikalien entstanden sind, von der sonst üblichen Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht für genetisch veränderte Organismen (GVO) befreit sind. Der Grund hierfür sei die seit langem übliche Anwendung dieser Methode und die daraus resultierende Einstufung als ungefährlicher Organismus. Gentechnik ist also schon lange Bestandteil unserer Agrarwirtschaft – wird aber oft nicht als solche benannt.

 

1.2.          Konventionelle Gentechnik

Bei der konventionellen Gentechnik (“genetically modified organisms”, kurz GMO, oder “genetisch veränderte Organismen”, kurz GVO) werden Erbgutteile einer ähnlichen oder einer gänzlich anderen Art in das Erbgut einer Nutzpflanze eingebaut. Wenn Organismen mit dem Erbgut ihnen ähnlicher Arten behandelt werden, spricht man von “cisgenen” GVO. Wenn Organismen mit dem Erbgut gänzlich anderer Arten behandelt werden, spricht man von “transgenen” GVO .

 

Bei der konventionellen Gentechnik kann nicht genau bestimmt werden, wo der einzufügende Erbgutteil eingebaut wird. Wurde artfremdes Erbgut (transgen) eingefügt, ist das später im Erbgut der Pflanze erkennbar und man kann klar sagen, dass diese mit Gentechnik verändert wurde. Jedoch muss im Vornherein klar sein, nach welchen Veränderungen gesucht wird. Bei cisgenetischen Veränderungen (Erbgutteil einer ähnlichen Art) können diese genetischen Veränderungen gar nicht nachgewiesen werden.

 

Ein bekanntes Beispiel für eine transgenetisch veränderte Pflanze ist der Bt-Mais. Viele Maispflanzen werden durch einen bestimmten Schädling zerstört. Es gibt ein Bakterium, das ein Protein produziert, das für den Menschen unschädlich, für genau diesen Schädling aber giftig ist. Die Formel zur Herstellung dieses Proteins steckt im Erbgut des Bakteriums. Beim Bt-Mais wurde diese Formel in das Erbgut der Mais-Pflanze eingeschleust. Der so veränderte Bt-Mais kann nun selbst das Protein gegen den Schädling produzieren.

 

Risiken bestehen hauptsächlich für “Nicht-Zielorganismen”, also zum Beispiel andere Insekten als den Schädling selbst, die mit der gentechnisch veränderten Pflanze in Berührung kommen.

 

Der rechtliche Umgang mit und die Regulierung genetisch veränderter Organismen unterscheiden sich stark zwischen den Staaten. Die EU reguliert hier anhand der sogenannten Freisetzungsrichtlinie (Zulassung zum Anbau) und einer separat geregelten Zulassung als Futter- und Lebensmittel. Die EU reguliert prozessbezogen und stuft so die Sorten nach dem Verfahren, durch das sie entstanden sind, ein. Währenddessen handeln Staaten wie die USA und Kanada produktbezogen, wo die Eigenschaft „genetisch modifiziert“ an bestimmten Eigenschaften eines Organismus festgemacht wird. Zudem haben Staaten auch innerhalb der EU verschiedene Umgangsweisen mit genetisch veränderten Organismen. Dies führt unter anderem zu uneinheitlichen Regelungen innerhalb der EU und weltweit.

 

1.3.          Neue Gentechnik

Die neue Gentechnik wird auch moderne Gentechnik oder “genome editing” (GE) genannt. GE gibt es seit ca. 20 Jahren. Das Genom der Pflanze wird aufgeschlüsselt, damit eine Änderung an einer genau bestimmten Stelle vorgenommen werden kann. Darin liegt der große Unterschied zur konventionellen Gentechnik, in der diese Genauigkeit nicht möglich ist.

 

“Crispr/cas9”, auch bekannt als “Genschere”, ist eine besondere GE-Technik, die es seit ca. fünf Jahren gibt und den GE-Prozess um ein Vielfaches beschleunigt. Mit dieser Technik können einzelne Bereiche des Erbguts spezifisch verändert werden. Somit ist auch die Formulierung komplexerer Züchtungsziele möglich, die Veränderungen von mehreren Genen gleichzeitig (polygenetisch) beinhalten können.

 

Solche cisgenetischen Veränderungen von Pflanzen mit dem Erbgut waren auch mit der konventionellen Gentechnik möglich – allerdings waren sie so aufwendig, dass sie fast nie durchgeführt wurden. In der Praxis gibt es also erst durch “genome editing” und die effizientere GE-Technik “crispr/cas9” cisgenetisch verändertes Saatgut.

 

Es gibt durch GE nun also zum ersten Mal gentechnisch verändertes Saatgut, das man nicht von konventionell erzeugtem Saatgut unterscheiden kann.

 

1.4.          Biodiversität bei Nutzpflanzen

Alle diese drei Züchtungsarten erschaffen neue Pflanzensorten, die ein eigenes Genom haben. Das bedeutet zunächst einmal mehr Biodiversität. Alle Sorten von Nutzpflanzen, egal, wie sie entwickelt wurden, können sich im Feld mit anderen Sorten kreuzen. Mit Gentechnik entwickelte Sorten bedrohen andere Pflanzen und damit die Biodiversität nicht mehr als konventionell erzeugte Sorten.

 

2.          Warum reden wir darüber?

 

Als Sozialist*innen und Internationalist*innen können wir mit den aktuellen Regelungen rund um das Thema Gentechnik nicht zufrieden sein. Dafür haben wir mehrere Gründe.

 

2.1.          Wissenschaftliche Erkenntnisse leiten unsere politische Arbeit.

Wir sehen, dass die Debatten um Ernährung, Landwirtschaft und Gentechnik oft auf emotionaler Ebene geführt werden und neue wissenschaftliche Erkenntnisse dabei nur unzureichend berücksichtigt werden. Das ist nicht überraschend, denn die eigene Ernährung ist etwas sehr Persönliches und wir respektieren das in all unseren Überlegungen zu diesem Bereich und tragen gleichzeitig dem Vorsorgeprinzip Rechnung.

 

Wir beobachten, dass im Bereich der Landwirtschaft Veränderungen und Innovationen oft kritischer gesehen werden als in anderen Bereichen. Außerdem gibt es in der EU aber auch in anderen Industriestaaten eine starke Agrarlobby, was dazu führt, dass die Landwirtschaft stärker als andere Sektoren subventioniert wird, was auch bei vielen Wähler*innen Unterstützung findet.

 

Dass emotionale Argumente die gesellschaftliche Diskussion und damit die Politik leiten, sehen wir auch im Bereich Gentechnik. Konventionelle Züchtung setzte früher auf zufällige Mutation im Genom, heute auf Mutationen durch radioaktive Bestrahlung oder den Einsatz aggressiver Chemikalien. Bei diesen Techniken kann und konnte nie ausgeschlossen werden, dass auch unabsichtliche und gar unbemerkte Veränderungen an anderen Eigenschaften der Pflanzen auftreten. So gab es beispielsweise Fälle, in denen der Gehalt eines bestimmten Stoffes (Glycoalkaloid) in den Pflanzen erhöht wurde, um sie besser vor Insekten und Krankheiten zu schützen. Erst später wurde entdeckt, dass dieser Stoff in erhöhter Menge zu Krankheiten beim Menschen führt.

 

Dieses Risiko gibt es selbstverständlich auch bei Sorten, die durch GM oder GE entwickelt wurden. Es ist bei diesen Verfahren jedoch kleiner, weil die Veränderungen, die vorgenommen werden, zielgerichteter sind und die Forscher*innen wissen, welche Gene verändert werden. Weshalb ist also das Misstrauen aus Verbraucher*innenperspektive gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen so viel höher als gegenüber konventionell gezüchteten? Auf wissenschaftlichen Fakten beruht dieser Unterschied in der Bewertung zumindest nicht. Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn politische Entscheidungen, hier die Bevorzugung einer Züchtungsart, auf irrationalen Annahmen und gefühlten Wahrheiten beruhen und damit für viele Menschen das Ergebnis dieser Politik weniger gut ist als es sein könnte.

 

2.2.          Welternährung sichern und den Klimawandel bekämpfen

Der Klimawandel ist die große Bedrohung der Menschheit im 21. Jahrhundert. Die Weltbevölkerung wächst. Beides stellt uns vor große Herausforderungen. Unsere Entscheidungen betreffen nicht nur uns, sondern auch Menschen an anderen Orten der Welt und künftige Generationen. Auch diesen Menschen gegenüber haben wir eine Verantwortung. Daher dürfen wir nicht einfach eine Maßnahme, eine technologische Möglichkeit, um diese Herausforderungen anzugehen von vornherein ausschließen ohne das Für und Wider rational zu bewerten.

 

Gesunde Nahrungsmittel und eine ausgewogene Ernährung dürfen kein Luxus sein. Entsprechend können wir das Gefälle beim Zugang zu gesunder Ernährung, das es innerhalb Deutschlands, aber auch global gibt, nicht akzeptieren.

 

2.3.          Das Urteil des EuGH zeigt den dringenden Handlungsbedarf.

Gentechnik wird in Deutschland seit den 1970er Jahren genutzt. 1990 wurde das Gentechnikgesetz (GenTG) als Rahmen für die Nutzung und Entwicklung von Gentechnik verabschiedet. Es soll vor allem Verbraucher*innen vor potentiellen Gefahren schützen.

 

Das GenTG definiert einen genetisch veränderten Organismus als „ein[en] Organismus, mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material in einer Weise verändert  worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzungen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt“ (GenTG §3 Abs. 2a)). Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens fiel unter diese Definition die konventionelle Gentechnik. Jedoch werden im Begriff „gentechnische Arbeiten“ alle Methoden zur „Erzeugung gentechnische veränderter Organismen“ eingeschlossen (GenTG §3 Abs. 3). Das GenTG gilt in dieser Form auch heute noch, obwohl sich die Forschung stark weiterentwickelt hat und eine Differenzierung der Methoden nötig wäre.

 

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Jahr 2018 hat dem Thema neue Aktualität und Aufmerksamkeit verschafft. Es besagte, dass GE-Pflanzen in der EU genauso behandelt werden sollen wie mit konventioneller Gentechnik entwickelte Pflanzen (GVOs) und entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Eine Unterscheidung zwischen GE- und nicht-GE-Pflanzen ist im Nachhinein nicht möglich und eine Kennzeichnungspflicht daher auch nicht umsetzbar. Andere wichtige Agrarexportländer wie die USA, Kanada oder Brasilien haben hingegen produktorientierte Regelungen, bei denen GE-Sorten nicht als Gentechnik eingeordnet werden und entsprechend nicht als solche gekennzeichnet werden müssen.

 

3.          Was ist das Problem?

 

3.1.          Der Markt für Lebensmittel auf Seite der Produzierenden in Deutschland und der EU.

 

3.1.1.          Eine kapitalistische Marktwirtschaft verfolgt nie unsere gesellschaftlichen Ziele.

Im Kapitalismus ist stets die Erwirtschaftung von Profiten das Ziel. Ein Unternehmen kann nach dieser Logik Profite nur durch Verkauf seiner Entwicklung, also dem neuen Saatgut und den damit verbundenen Produkten, wie Pestiziden erwirtschaften. Entsprechend wird ausgewählt, woran geforscht und was entwickelt wird. Dabei leiten folgende Prinzipien:

 

  1.  Die Entwicklung soll so günstig wie möglich sein.
  2.  Es sollten viele Landwirt*innen/Verbraucher*innen diese so veränderte Sorte nachfragen.
  3.  Es sollten zahlungskräftige Landwirt*innen/Verbraucher*innen nachfragen.

 

Daraus ergibt sich, dass Landwirt*innen, die ja wiederum selbst im Kapitalismus wirtschaften, Sorten nachfragen von deren verbesserten Eigenschaften sie finanziell profitieren. Als Beispiel hierfür zählen z.B. höhere Erträge durch größere Früchte oder durch einen geringeren Bedarf an Inputs wie Pestiziden oder Dünger, für die die Landwirt*innen zahlen müssten. Eigenschaften, für die die Landwirt*innen nicht vergütet werden, sind ökonomisch uninteressant.

 

Selbst wenn es eine große Gruppe an Verbraucher*innen gibt, die eine veränderte Sorte nachfragen würde, aber keinen entsprechend hohen Preis zahlen kann, wird diese nicht entwickelt.

 

Einige Forschungsziele werden daher von privaten Unternehmen gar nicht verfolgt, wie beispielsweise ein erhöhter Gehalt von Vitaminen oder Nährstoffen. Diese Eigenschaften sind nämlich nicht nur in einem Gen veranlagt (monogenetisch), sondern in mehreren (polygenetisch). Eine zielgerichtete Veränderung an mehreren Genen durchzuführen ist aufwendiger und entsprechend kostspieliger. Ein solches Beispiel öffentlicher Forschung ist der golden rice, einer Reissorte, die einen gesteigerten Gehalt von Vitamin A aufweist und  somit Mangelerscheinungen bekämpfen kann und von der ETH Zürich und dem International Rice Research Institute (IRRI) entwickelt wird.

 

3.1.2.          Die Aufteilung des Marktes unter wenigen Großkonzernen, die die Patente halten, ist problematisch.

Aktuell sehen wir eine hohe Konzentration auf dem Markt für Saatgut. Einige wenige Konzerne haben den Markt unter sich aufgeteilt und üben eine entsprechende Macht aus. Dies betrifft nicht nur Preise oder Konditionen zu denen Saatgut an Landwirt*innen in Deutschland und weltweit verkauft wird, sondern auch die Frage an was überhaupt geforscht und bis zur Zulassung entwickelt wird. Ein entscheidender Grund hierfür ist, dass die Entwicklung bislang aufwendig und die Kosten entsprechend hoch waren. Eine neue Sorte zu entwickeln lohnt sich nur, wenn sie an einen Großteil des Markts verkauft werden kann, weil es keine oder nur wenige konkurrierende Unternehmen gibt.

 

Die Genschere crispr/cas9 lässt einen Paradigmenwechsel erwarten. Diese Technologie macht es deutlich schneller und günstiger, das Genom einer Pflanze zu verändern und ermöglicht es auch in einem kapitalistischen Markt kleineren Unternehmen, die die hohen Fixkosten nicht tragen könnten, neue Sorten zu entwickeln.

 

Eine weitere Eigenschaft dieses Marktes ist die Verbindung des Verkaufs von Saatgut mit dem von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Viele der großen Konzerne haben sowohl eine Sparte für Saatgut, als auch für Dünge- oder Pflanzenschutzmittel. Wenn eine Sorte also beispielsweise auf ihre Toleranz hinsichtlich eines bestimmten Herbizids (=Unkrautvernichtungsmittel) entwickelt wird, wird genau dieses Mittel auch durch das entsprechende Unternehmen verkauft. Dies erhöht die Marktmacht des einzelnen Konzerns abermals.

 

3.2.          Gentechnik ist eine Frage internationaler und intergenerationaler Solidarität.

Die Industriestaaten leisten sich mit bio und gentechnikfreien Lebensmitteln eine verhältnismäßig ineffiziente Produktion dieser. Damit beanspruchen sie mehr Flächen und Ressourcen als notwendig wäre.

 

3.3.          Der Markt für Lebensmittel auf Seite der Konsumierenden in Deutschland und der EU.

Aktuell gibt es nur die Kennzeichnung “ohne Gentechnik”. Für viele Verbraucher*innen ist diese Kennzeichnung gleichbedeutend mit “natürlich” und “sicher”. Die Kennzeichnung in dieser Form wertet Produkte “ohne Gentechnik” bei den Verbraucher*innen auf – allerdings zu Unrecht. Konventionelle Züchtung mit Chemikalien oder Radioaktivität, die das Erbgut der Pflanze verändern, ist nicht “natürlicher” oder “sicherer” als Gentechnik. Für konventionelle Züchtung gibt es jedoch kein gibt es kein entsprechendes Siegel.

 

Da hier jedoch die nötige Aufklärung der Verbraucher*innen fehlt, unterstützt das “Ohne Gentechnik”-Siegel eher ein Bauchgefühl und keine Unterscheidung, die nach wissenschaftlichen Kriterien sinnvoll ist. Gerade jetzt, da belegte wissenschaftliche Erkenntnisse von Verschwörungsgläubigen als falsch verunglimpft werden und breite Teile der Bevölkerung für “fake news” und “alternative Fakten” zugänglich sind, sollten die politischen Akteur*innen besonders aufmerksam und sorgfältig sein.

 

4.          Was wollen wir?

Wissenschaftlicher Fortschritt soll dem Wohle aller dienen. Daraus ergeben sich für uns im Bereich Gentechnik zwei Hauptforderungen:

 

Wir wollen die Demokratisierung aller Lebensbereiche und den Schutz von Umwelt, Klima und Tieren

 

Was wie, wo und von wem produziert wird, muss demokratisch bestimmt werden. Das gilt für die Landwirtschaft wie für andere Bereiche der Produktion. Für die Landwirtschaft schließt das u.a. die Fragen ein, welches Saatgut und welche Dünge- und Pflanzenschutzmittel entsprechend genutzt werden oder auch wie viel Wasser und welches Land genutzt werden soll.

 

Als Internationalist*innen denken wir global und verfolgen diese Ziele für alle Menschen, ob in Deutschland, der EU oder an anderen Teilen der Welt. Unsere gesamtgesellschaftlichen Ziele sind folgende:

 

  • Ernährungssicherheit: Ernährungssicherheit ist gegeben, wenn alle Menschen zu jeder Zeit physischen und ökonomischen Zugang zu genügend und sicherer Nahrung haben und die ernährungsbezogenen Bedürfnisse sowie die Präferenzen für ein gesundes und aktives Leben sichergestellt werden können.
  • gute Arbeitsbedingungen für diejenigen, die in der Landwirtschaft und verbundenen Wirtschaftszweigen arbeiten und gute Lebensbedingungen für diejenigen, die direkt oder indirekt von der Landwirtschaft betroffen sind, weil sie beispielsweise als Anwohner*innen mit ihr in Kontakt kommen.
  • effiziente Nutzung der Ressourcen. Wir wollen schonend mit den Ressourcen unseres Planeten umgehen und uns solidarisch mit Menschen an anderen Teilen der Welt und künftigen Generationen zeigen. Keine Ressource, sei es Wasser, Boden oder die natürlichen Senken des Ökosystems, soll übernutzt werden. Neben der Produktion von Lebensmitteln und anderen Agrargütern sehen wir die Sicherung von Biodiversität und Klimaschutz als eins der Ziele der Landwirtschaft.

 

5.          Wie wollen wir unsere Ziele erreichen?

 

5.1.          Forschung und Produktion von Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in die öffentliche Hand!

Wir sehen nicht, dass man den Markt so umgestalten kann, dass diese gesamtgesellschaftlichen Ziele allein durch Marktmechanismen verfolgt werden.

 

Die öffentliche Hand muss sich stärker der Forschung und Entwicklung in den Bereichen Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln annehmen. Dies muss zum einen über finanzielle Mittel geschehen. Zum anderen müssen die Regelungen, die aktuell Forschung an grüner Gentechnik unterbinden, gelockert werden. Die Forschung auf dem offenen Feld muss in Deutschland bzw. der EU erlaubt werden. Ohne diese ist keine anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung an Nutzpflanzen mithilfe von Gentechnik möglich.

 

Bei der Neustrukturierung des Marktes können wir uns vorstellen, dass die Forschung und die anwendungsorientierte Entwicklung bis hin zur Marktreife über Drittmittelprojekte finanziert wird, bei denen der Staat Ziele formuliert und ausschreibt und entsprechende Forschungsinstitute sich auf diese bewerben. Auch können wir uns vorstellen, dass staatliche Institute und öffentliche Unternehmen direkt mit der Forschung und Entwicklung betraut sind. Die Ziele der Forschung, die Methoden, die Sicherheit und gute Arbeitsbedingungen müssen selbstverständlich Teil der Vergabekriterien bzw. der Praxis in staatseigenen Unternehmen sein.

 

Wir sprechen uns klar gegen oligopole (die konzentrierte Marktmacht auf einige wenige Akteur*innen) Strukturen auf dem Markt aus. Die Entstehung von Oligopolen muss in jedem Fall kartellrechtlich verhindert werden. Bestehende Oligopole müssen aufgespalten werden. Unternehmenssektoren von besonderer gesellschaftlicher Bedeutung müssen mindestens gesellschaftlicher Beteiligung unterliegen und zur Not komplett vergesellschaftet werden können. Hierbei muss das Kartellrecht den Saatgutmarkt und den Markt für Pflanzenschutz-/Düngemittel zusammendenken und darf nicht wie bisher die Unternehmenskonzentration auf dem einen Markt getrennt von der auf dem anderen Markt bewerten.

 

Neben der Entwicklung neuer Sorten mithilfe von Gentechnik, möchten wir auch die Forschung an alten, indigenen Sorten fördern: zum Einen bieten diese einen neuen Ausgangspunkt für Weiterentwicklungen durch konventionelle Züchtung oder Gentechnik. Zum Anderen ist es möglich, dass diese alten Sorten durch veränderte Klimaverhältnisse an Orten abseits der traditionellen Anbaugebiete auch ohne großartige Weiterentwicklung sehr gute Ergebnisse liefern. Daher ist es wichtig, an diesen Stellen verstärkt zu forschen, Saatgutbanken zu unterhalten, sowie den Anbau dieser Sorten zu fördern. Wir müssen die genetische Vielfalt bei Nutzpflanzen erhalten, damit die Menschheit weiterhin auf diese zurückgreifen kann.

 

5.2.          Patente und Lizenzen am Gemeinwohl ausrichten!

Entwicklungen und Erkenntnisse, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, dürfen nicht unentgeltlich an Private weitergegeben und von diesen kommerziell genutzt werden. Aktuell passiert das oft durch Ausgründungen aus nicht-kommerziellen Forschungsinstituten. Wir finden: Finanzielle Gewinne durch Erkenntnisse, die die Öffentlichkeit finanziert hat, sollen auch der Öffentlichkeit zufließen. Der Staat soll also Eigentümer sein von öffentlich finanzierten Erkenntnissen.

 

Wir möchten Rechte an Sorten bzw. Grundlagenforschung analog zu nicht-kommerziellen Creative Commons- und Open Source-Lizenzen im digitalen Bereich organisieren: So könnten nicht-kommerzielle Einrichtungen weiterhin öffentlich finanzierte Erkenntnisse als Basis nehmen, diese weiterentwickeln und müssen dafür kein Geld bezahlen. Aber sobald die Erkenntnisse kommerziell genutzt werden, müssten die Unternehmen Gelder an den Staat zur Nutzung der öffentlich finanzierten Forschung zahlen. So wird sichergestellt, dass es nicht wie aktuell den Anreiz für Unternehmen gibt, “bugs” (also Probleme oder ungenutzte Potentiale) versteckt zu halten und dass stattdessen viele verschiedene Einrichtungen weiterforschen um möglichst gute Nutzpflanzen für die Allgemeinheit zu entwickeln.

 

Ein erster Schritt kann hier sein, die Möglichkeit einer Patentierung von gentechnisch erzeugten Sorten abzuschaffen und diese mit konventionell erzeugten Sorten gleichzustellen. Für letztere gilt nämlich nur der Sortenschutz.

 

Außerdem setzen wir uns für eine Standardisierung von Saatguteigenschaften, Dünger, Pestiziden durch die Forschenden selbst ein. Ziel davon ist, dass nicht wie bisher nur ein Unternehmen den zum eigenen Saatgut passenden Dünger und die passenden Pestizide verkauft und damit allein schon Marktmacht ausüben kann, sondern dass auch andere Akteur*innen ansetzen und die entsprechenden ergänzenden Produkte entwickeln können.

 

Wir brauchen außerdem Rechtssicherheit für alle Landwirt*innen. Wenn sich durch Lizenzen geschützte Pflanzen z.B. durch Bestäubung über Wind mit den Pflanzen einer Landwirtin ohne deren Zutun vermischen, darf diese Landwirtin nicht rechtlich belangt werden können.

5.3.          Zulassungsverfahren angleichen!

Neue Sorten müssen zugelassen werden, bevor sie zur Nahrungsmittelproduktion angebaut werden und auch bei Pflanzenschutz- und Düngemitteln muss nachgewiesen werden, dass  sie nicht schädlich für Umwelt und Mensch sind. Tests müssen so durchgeführt werden,  wie Mensch und Umwelt mit diesen Sorten bzw. Mitteln in Kontakt kommen. So werden beispielsweise bei Glyphosat nicht die Langzeitfolgen von kleinen Dosen untersucht.

 

Aktuell müssen gentechnisch erzeugte Sorten einen viel aufwendigeren Zulassungsprozess durchlaufen als konventionell erzeugte Sorten. Dabei gibt es
 Beispiele von konventionell erzeugten Pflanzen, die erst zugelassen wurden und bei denen dann festgestellt wurde, dass sie die Gesundheit gefährden, z.B. durch einen zu hohen Glycoalkaloid-Gehalt. Die Zulassungsregeln sind also weder für konventionell noch gentechnisch erzeugte Sorten angemessen.

 

Wir wollen, dass härtere Zulassungsprozesse mit aufwendigen Testreihen für Sorten gelten, bei denen die Inhaltsstoffe der Pflanzen verändert wurden und/oder bei denen fremdes Genmaterial eingefügt wurde. Ist dies bei einer neuen Sorte nicht der Fall, soll sie wie gehabt unkompliziert zugelassen werden können. Ob sie nun konventionell oder mit Gentechnik gezüchtet wurde, soll also nicht weiter über die Art des Zulassungsverfahren entscheiden.

 

5.4.          Verbraucher*innen aufklären!

Wir brauchen mehr Aufklärung. Zum Thema Gentechnik im Vergleich zur konventionellen Züchtung herrscht an vielen Stellen noch sehr viel Unwissen. Als rationaler, wissenschaftsorientierter Verband ist es für uns wichtig, dass Information und Fakten zu diesem wie zu anderen Themen einfach und verständlich erreichbar sind und möchten dieses Feld nicht einzelnen Lobby-Vereinigungen überlassen.

 

Wir wollen mehr Informationen für Verbraucher*innen: Eine einseitige Kennzeichnung von “gentechnikfreien” Produkten ist wertend und irreführend. Wenn Züchtungsmethoden auf Produkten ausgewiesen werden, sollten alle ausgewiesen werden. Entsprechend sollte diese Information auch auf Produkten stehen, deren Züchtung mithilfe von radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien geschehen ist. In diesem Zusammenhang könnte auch eine Differenzierung bei der Kategorie “bio” angedacht werden. Einige Sorten, die mithilfe von Gentechnik entwickelt wurden, kommen beispielsweise besser ohne Pestizide aus, brauchen weniger Wasser oder Fläche und schonen so die Umwelt. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen bedrohen die Biodiversität nicht mehr als konventionell gezüchtete Sorten. Wenn aber gentechnisch veränderte Sorten mehr Ertrag pro Hektar liefern und somit Fläche stillgelegt werden kann, könnten diese Sorten einen Beitrag zum Schutz von Biodiversität leisten. Das alles sind für viele Konsument*innen von Bio-Produkten, wichtige Aspekte. Aktuell sind Sorten, die mit Gentechnik entwickelt wurden, allerdings kategorisch vom Bio-Siegel ausgeschlossen.

 

Im Sinne der internationalen und intergenerationalen Solidarität müssen wir so wenig Ressourcen wie möglich verbrauchen und dabei immer noch alle Menschen angemessen ernähren. Diese Ressourceneinsparung können wir mit neuen Sorten, auch gentechnisch veränderten Sorten vorantreiben, aber natürlich auch mit einer Verringerung der Lebensmittelverschwendung, beginnend auf dem Feld bis zum Haushalt, mit einer Verringerung des Konsums von besonders ressourcenintensiven Lebensmitteln und anderen. Die Verantwortung ist groß und wir können es uns nicht erlauben, eins dieser Instrumente kategorisch auszuschließen.

 

5.5.          Hoch die internationale Solidarität!

Wissenschaftler*innen und Erzeuger*innen können Erkenntnisse darüber liefern, was gebraucht wird. Daher wollen wir, dass Forschungs- und Entwicklungsgelder bereitgestellt werden, um Forschung in anderen Ländern zu fördern und internationalen Austausch zwischen Forschungseinrichtungen zu ermöglichen. Hierfür braucht es auch Forschungsstipendien, die einen Austausch in beide Richtungen sicherstellen.

 

 

 

Antrag 59/I/2021 Es ist nicht nur in deinem Kopf! Psychischen und physischen Folgen von Corona entgegenwirken

18.03.2021

Die Corona-Pandemie bestimmt seit fast einem Jahr unseren Alltag. Wir bleiben zuhause, arbeiten wenn möglich von zuhause und schränken unsere direkten sozialen Kontakte soweit wie nur möglich ein. Die Pandemie betrifft vor allem diejenigen, die an Corona erkrankt sind oder Freund*innen oder Angehörige an die Krankheit verloren haben. Allerdings betreffen die notwendigen Maßnahmen auch Menschen, die psychisch krank sind oder es im Laufe der Pandemie geworden sind. In Folge der Corona-Pandemie haben psychische Krankheiten deutlich zugenommen. Der Mangel an Hilfsangeboten für psychische Gesundheit war bereits vor der Pandemie eklatant, wird nun aber noch deutlicher. Wir brauchen dringend Maßnahmen, um die psychische Gesundheit nach und während der Corona-Pandemie zu fördern. Dies betrifft auch insbesondere die Arbeitswelt.

 

Auch wenn die heutigen Arbeitsverhältnisse mehrheitlich nicht vergleichbar sind mit den Verhältnissen vor 50, 60 Jahren, so haben sie doch noch einen enormen Einfluss auf die Gesundheit. Vor allem psychische Erkrankungen nehmen in der Arbeitswelt eine größere Rolle ein. In den Jahren zwischen 2006 und 2016 stieg die Zahl der Krankschreibungen laut Angaben der AOK aufgrund von psychischen Erkrankungen um mehr als 50% an. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 gab es auch eine Zunahme von der Dauer der Krankschreibungstage aufgrund von psychischen Erkrankungen.

 

Der Wandel der Arbeitswelt hin zu Arbeit 4.0 hat ebenfalls einen Einfluss. So wirken sich die zunehmende Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen und die steigende Arbeitsplatzunsicherheit negativ auf die psychische Gesundheit von Arbeitnehmer*innen aus. In der Corona-Krise verloren 480.000 Menschen ihren Arbeitsplatz, fast 2 Millionen Arbeitnehmer*innen befanden und befinden sich teilweise immer noch in Kurzarbeit. Menschen, die in die Arbeitslosigkeit abrutschen, haben nicht nur finanzielle, sondern auch psychische Sorgen. So ist bei einer steigenden Arbeitslosigkeit auch mit einem erhöhten Bedarf an professionellen psychischen Unterstützungsangeboten zu rechnen.

 

Hinzu kommt, dass durch die Corona-Pandemie viele Menschen von heute auf morgen überwiegend von zuhause aus arbeiten mussten. Diese mangelnde räumliche Trennung von Arbeitsplatz und Privatleben und die damit einhergehende Entgrenzung der Arbeit führen ebenfalls zu einer steigenden psychischen Belastung. Der damit einhergehende Stress wird durch die mangelnde Digitalisierung verstärkt. Fehlende digitale
 internetfähige Endgeräte sowie digitale Strukturen am Arbeitsplatz, die durch eigene Geräte der Arbeitnehmer*innen ausgeglichen werden. Des weiteren führten die Pandemie-bedingten Schul- und Kitaschließungen zu einer extremen Doppelbelastung vieler Arbeitnehmer*innen. Insbesondere Frauen sind hiervon betroffen, da diese nach wie vor die überwiegende Mehrheit an Hausarbeits- und auch emotionaler Sorgearbeit verrichten. Umfragen zeigen, dass Arbeitnehmer*innen im Home Office durchschnittlich mehr arbeiten, als im Büro. Dies kombiniert mit den zuvor genannten Faktoren führt zu einer andauernden Überlastung, die zur psychischen Krankheiten, wie Burnout oder Depressionen, führen können.

 

Für Menschen, die an Corona erkrankt sind, sind die Auswirkungen auch auf ihre Arbeitsverhältnisse besonders drastisch. Jede*r dritte Erkrankte leidet unter den Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung. Dazu gehören nicht nur Kopfschmerzen oder Kurzatmigkeit, sondern mitunter auch chronische Erschöpfung oder der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns sowie neurologische Beschwerden. Ehemals erkrankte Arbeitnehmer*innen können dadurch oft ihrem Arbeitsverhältnis nicht mehr wie gewohnt nachkommen. Es ist zwingend notwendig, dass diese Arbeitnehmer*innen speziell auf sie zugeschnittene Unterstützungs- und Beratungsangebote erhalten, um weitere Funktions- oder finanzielle Verluste bestmöglich abzuwenden.

 

Wir fordern daher:

  • Die flächendeckende Einrichtung von Beratungszentren, um die psychologischen Folgen der Pandemie insbesondere am Arbeitsplatz entgegenzuwirken. Die Beratungen sollen insbesondere arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen die Arbeitgeber*innen aufzeigen und niedrigschwellige psychologische Beratung spezifisch für Arbeitnehmer*innen anbieten.
  • Die Einrichtung von auf die psychischen Folgen von Corona spezialisierten Beratungszentren. Es müssen niedrigschwellige Anlaufpunkte zur psychologischen
     Behandlung für alle Menschen geschaffen werden, auch abseits des Arbeitskontexts. Eine telefonische oder Online-Beratung soll möglich sein. Hierbei sind insbesondere auch spezifisch Angebote für Kinder und junge Menschen zu schaffen. Auch chronisch Kranke und Risikogruppen, die sich während der Pandemie oft noch über die gesetzlichen Vorgaben hinaus einschränken und in besonderer Sorge um ihre Gesundheit sind, sollen besonders in den Blick genommen werden. Schulen wollen wir hierbei besonders als erste Anlaufpunkte einbinden.
  • Die Einrichtung eines flächendeckenden Versorgungsnetzes in Berlin für die Behandlung von Coronaspätfolgen in Zusammenarbeit mit bestehenden Rehakliniken, um Patient*innen mit Langzeitfolgen bestmöglich zu versorgen und wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dabei sind neben körperlichen Aspekten besonders psychische Auswirkungen zu berücksichtigen.
  • Betriebe müssen dazu verpflichtet werden, psychische Aspekte des Arbeitsschutzes stärker in ihre Konzepte der betrieblichen Gesundheitsförderung einzugliedern. Außerdem müssen psychische Entlastungen bei Arbeitsschutzbegehungen strenger kontrolliert werden.
  • Die stärkere Einbindung der Krankenkassen in der Entwicklung, Schaffung und Bereitstellung von analogen und digitalen Mental Health Angeboten für ihre Versicherten, die einen niederschwelligen Zugang gewährleisten.

Antrag 65/I/2021 “Ich glaub’ meine Katze pfeift” - Stoppt Catcalling!

18.03.2021

Im August 2020 startete die Studentin Antonia Quell eine Petition mit dem Titel “Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein.” Die Petition wird mittlerweile von UN Women, Pinkstinks Germany e.V. und The Female Company GmbH unterstützt. Doch was ist Catcalling überhaupt?

 

Das Urban Dictionary definiert Catcalling als übergriffige, sexuell aufgeladene Kommentare von Männern gegenüber Frauen. Darin enthalten sind Hinterherrufen, Hinterherpfeifen, abfällige Kommentare und andere obszöne Geräusche. In einer Online Befragung an der George Washington University gaben 809 von 811 befragten Frauen an, schon einmal Opfer von sexueller Belästigung auf der Straße gewesen zu sein. In anderen Studien auf der ganzen Welt berichten 60-90% der Frauen, Catcalling mindestens einmal in ihrem Leben erlebt zu haben. Doch von Catcalling sind nicht nur Frauen im Sinne der Zweigeschlechtlichkeit betroffen. Oft beziehen sich die Äußerungen auch erniedrigend auf äußere Merkmale, sodass von Catcalling neben vor allem weiblich gelesene Personen auch allgemein FLINT* (Frauen*, Lesben, Inter, nicht binäre und Transpersonen) betroffen sind.

 

Genderforscher*innen bezeichnen Catcalling bereits im Jahr 1993 als eine Form männlicher Herrschaft, weiblicher Unterdrückung und einen Ausdruck patriarchaler Macht. Indem Catcalling nicht als Straftatbestand geahndet wird, wird suggeriert, dass die Körper von FLINT* jederzeit verfügbar und kommentierbar sind, ihr Recht auf Privatsphäre wird verletzt und physische und geografische Mobilität eingeschränkt, da sie ihr Verhalten ändern, um Belästigungen auf der Straße zu vermeiden. Catcalling führt somit nicht nur zu Einschränkung im Alltag vieler FLINT*, es hat auch weitere negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen. Catcalling ist sexuelle Belästigung und damit Gewalt an FLINT*. Die psychischen Folgen reichen von Angststörungen und Depressionen zu schlechter Schlafqualität. Während es für die Täter meist keinerlei Konsequenzen gibt, haben Betroffene mit den Folgen von Catcalling also weit länger zu kämpfen, als nur während der Vorfälle selbst.

 

Aktuell ist Catcalling nicht strafbar. Diese fehlende Strafbarkeit zeigt auch, dass sexualisierte Gewalt viel zu oft unbeachtet bleibt  – gesellschaftlich wie rechtlich. Dies verstärkt die Normalisierung von sexulalisierter Gewalt. Die einzige Möglichkeit Catcalling zur Anzeige zu bringen, ist aktuell über den Straftatbestand der  Beleidigung. Die wissenschaftlichen Dienste des Bundestags haben dazu am 2. November 2020 einen Bericht abgeschlossen. Sie kommen darin zu dem Schluss, dass nach aktueller Rechtsprechung Catcalling nur dann unter den Straftatbestand der
 Beleidigung fällt, wenn neben der sexuell motivierten Äußerung auch eine “Ehrverletzung” zu erkennen ist. Somit fallen sexualisierte Äußerungen nicht unter Beleidigungen, sofern der Person nicht beispielsweise auch Geld oder anders für ihre Sexualität geboten werden würden. Damit ist die Verfolgung von Catcalling als Straftat aktuell sehr schwer umsetzbar.

 

Catcalling ist aber generell nicht gleichzusetzen mit Beleidigungen, da schon allein die verbalen Äußerungen sexuell konnotiert sind und somit sexualisierte Gewalt darstellen. Für den Strafbestand der sexuelle Belästigung setzt die aktuelle Gesetzeslage allerdings eine körperliche Berührung voraus. Somit ist es für Betroffene fast unmöglich sich gegen Catcalling rechtlich zu wehren und Täter fühlen sich somit sicher in ihrem Handeln. Catcalling muss daher endlich aus der rechtlichen Grauzone gehoben werden und juristisch handfest gemacht werden. Betroffene müssen die rechtliche Sicherheit haben, gegen dieses Verhalten vorgehen zu können. Verschiedene europäische Länder haben Catcalling bereits explizit als Straftat definiert. In Frankreich ist Catcalling nur dann zu ahnden, wenn die Tat im Beisein von Polizist*innen geschieht. Dies ist unzureichend, da Catcalling nur in seltenen Fällen bemerkt und entsprechend geahndet werden kann. In Belgien, Portugal und den
 Niederlanden ist das Beisein von Polizist*innen keine Voraussetzung für die Strafbarkeit. Catcalling wird in diesen Gesetzen als ungewollte Äußerungen oder Gesten definiert, die sexuell konnotiert sind. Die vorgesehenen Strafen reichen von Geldstrafen bis einem Jahr Gefängnis.

 

Die Strafbarkeit von Catcalling wird diese weitverbreitete Form sexualisierter Gewalt allerdings nicht allein vermindern. Breite Aufklärungskampagnen sind notwendig, um das Thema und deren negative Konsequenzen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und insbesondere ins Bewusstsein von Männer zu bringen.

 

Deshalb fordern wir:

  •  Eine entsprechende Anpassung des Strafgesetzbuchs, sodass Catcalling explizit einen Straftatbestand nach belgischen, niederländischen oder portugiesischem Vorbild darstellt.
  •  Catcalling muss eine breitere Öffentlichkeit finden. Wir fordern eine Aufklärungskampagne zum Thema Catcalling
  •  Zusätzlich zu der öffentlichen Kampagne muss das Thema Catcalling bereits in der Schule thematisiert werden, damit Kinder schon früh lernen die körperliche Autonomie von FLINT* zu respektieren. Insbesondere Jungs sollen dabei bezüglich ihrer Männlichkeitsbilder sensibilisiert werden