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Antrag 101/I/2021 Changing Climate - Changing Taxes: Für die sozial-ökologische Transformation die CO2-Steuer weiterentwickeln

18.03.2021

Mit dem Beginn der Covid-19 Pandemie im Frühjahr 2020 erlebten wir nicht nur eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit, die tausende Menschenleben kostete, für viele Personen schwere finanzielle Folgen hatte oder soziale Probleme verschärfte, sondern auch eine Dauerberichterstattung über die Pandemie. Eine andere globale Herausforderung, die dringendes Handeln in fast allen Lebensbereichen erfordert, geriet dabei fast schon in Vergessenheit. Die Folgen des Klimawandels und die damit einhergehenden Herausforderungen sind jedoch präsenter und dringender denn je. Die Temperaturen steigen weiter an, die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre jagt einen jährlichen Höchstwert nach dem anderen und die Auswirkungen für die Menschen, die vom Klimawandel am meisten betroffen sind, werden immer drastischer. Steigende Meeresspiegel, Müllberge, Ressourcenkonflikte oder Wetterextreme dürften für niemanden mehr etwas neues sein.

 

Wir Jusos sehen uns in der Verantwortung gegenüber der Umwelt als auch den Menschen, die aufgrund eines globalen kapitalistischen Wirtschaftssystems die Auswirkungen durch den Klimawandel zu spüren bekommen, tätig zu werden und so fortlaufend unsere Positionen zur Bekämpfung des Klimawandels auszuweiten und zu vertiefen. Eine Anpassung der Art, wie wir wirtschaften und mit begrenzten Ressourcen umgehen, muss daher hinterfragt und geändert werden. Eine Bepreisung des CO2 sowie der CO2 Äquivalenten, die wir tagtäglich produzieren, ist daher eine der zentralen Möglichkeiten, diesen Ausstoß zu senken. Ebenso sehen wir als Jusos die Pflicht, dass die Kosten einer solchen Umstellung nicht auf niedrige Einkommen abgelagert werden. Der Kampf gegen den Klimawandel ist im Kern ein sozialistischer Kampf, da wir die Folgen des menschengemachten Klimawandels nur durch eine gerechte Umverteilung und die Überwindung des Kapitalismus erreichen.

 

 Verbesserter Emissionshandel

Mit dem aktuell angewendeten Emissionshandel lassen sich in besonders stark emittierenden Sektoren CO2-Reduktionen erreichen. Die bisherigen Reduktionsziele der des EU-Emissionshandel (ETS) betrachten wir jedoch als zu wenig ambitioniert. Auch der Europäische Rechnungshof hat die Europäische Kommission bereits im September 2020 dazu aufgefordert, im Kampf für mehr Klimaschutz bei der Vergabe kostenloser Verschmutzungsrechte nachzuschärfen. Der europäische Emissionshandel umfasst derzeit nur 40% der gesamten europäischen Treibhausgasemissionen, da viele Industrien und Unternehmen keine Emissionszertifikate emittiert werden. Oft werden auch Gewinne durch das Handeln von kostenlosen Zertifikaten in klimaschädliche Projekte, wie die Sanierung bestehender Braun- oder Steinkohlekraftwerke verwendet. Durch kostenlose Zertifikate lassen sich eine zu niedrige Nachfrage an Zertifikaten nicht vermeiden. Dies hat zur Folge, dass mit einem Zertifikatüberschuss und zu niedrigen CO2-Preis, eine Reduzierung der Emission nur schwerer möglich ist. Wir fordern daher eine drastischere Reduzierung aller auf den Markt verfügbaren Zertifikate, um die CO2 Produktion herunterzufahren und die durch den Verkauf erbrachte Erlöse für soziale und nachhaltige Projekte zu nutzen. Ein gut funktionierender EU-Emissionshandel reicht jedoch nicht aus, um unsere klimapolitischen Ziele zu erreichen, da er nur knapp die Hälfte der in der EU verursachten Treibhausgasemissionen ausmacht. Wir fordern daher unsere Positionen zu einer CO2-Steuer für die übrigen Sektoren ambitionierter und sozial-verträglicher zu gestalten, um unsere klimapolitischen Verpflichtungen einhalten zu können

 

Dynamisches Steuerkonzept

Der Temperaturanstieg im Vergleich zur vorindustriellen Zeit betrug schon im Jahr 2016 ungefähr 1,1° C. Wenn wir nicht sofort handeln, sind die Chancen, die globale Erderwärmung bis 2100 selbst auf 2°C begrenzen, erschreckend gering. Die CO2-Steuer ist eine der wirkungsvollsten Instrumente, um die Einhaltung des 1,5° C Zieles des Pariser Klimaabkommens noch zu ermöglichen. Dazu muss die Steuer allerdings effektiv und hoch genug angesetzt werden, um einen spürbaren Unterschied auszumachen. Wir fordern daher ab sofort die Besteuerung von Kohlenstoffdioxid-Emissionen mit 80€ pro emittierter Tonne C02, welche bis zum Jahr 2025 kontinuierlich auf 180€ pro Tonne und bis zum Jahr 2030 stetig auf 205€ pro Tonne CO2 ansteigen soll. Dieser Bepreisungsfahrplan deckt sich zu Teilen mit den Forderungen des Umweltbundesamtes und mehreren Umweltorganisationen. Der im Vergleich mit anderen Konzeptpapieren hohe Einstiegspreis stellt den besten Kompromiss zwischen einer effektiven umweltpolitischen Forderung und der Vermeidung einer Kostenverteilung auf den Schultern von Leuten mit niedrigem sozio-ökonomischen Status dar.

 

Wenig politische Themen haben so viel Dynamik wie die Klimadebatte. Um den aktuellen Stand der Forschung, neue nationale und internationale Entwicklungen und auch den sich stetig verändernden Konsens in Fachkreisen zu berücksichtigen, muss eine effektive CO2-Steuer flexibel und anpassbar sein. Wir fordern deshalb ein unabhängiges Expert*innengremium, welches, ähnlich wie die Mindestlohnkommission, die aktuelle Lage regelmäßig evaluiert und gegebenenfalls Anpassungen der Bepreisungen der Steuer an die Bundesregierung weitergeben kann. Diesem Expert*innengremium sollen ausschließlich Wissenschaftler*innen (explizit keine Wirtschaftsvertreter*innen) angehören. Die Berechnung und Anpassung der Steuer muss rein im Interesse des Klimaschutzes stehen. Die Berechnung muss mathematisch nachvollziehbar und wissenschaftlich begründet sein. Zusätzlich würde dieses Gremium frühzeitig einen mittel- oder langfristigen Plan für die Zeit nach 2030 entwickeln und die folgende Bepreisung der Steuer der klimapolitischen Situation sowie die positiven Feedback- Loops der Erderwärmung entsprechend berücksichtigen.

 

 CO2-Kennzeichnung

Zusätzlich fordern wir eine konkret in Kilo angegebene Kennzeichnungspflicht des CO2 Fußabdrucks oder der CO2– Äquivalenz bei allen anderen Treibhausgasen auf allen in Deutschland vertriebenen Produkten, besonders aber bei Lebensmitteln und Alltagsprodukten. Diese Kennzeichnung kann auch noch durch ein farbiges Ampelsystem ergänzt werden. Damit werden nicht nur die Verbraucher*innen transparent in die Bemühungen einer CO2-Reduzierung involviert und die Kaufentscheidungen der Konsument*innen positiv zugunsten des Klimas beeinflusst, sondern wir erhoffen uns damit auch einen weiteren Ansporn für Hersteller*innen zu CO2-armen Produktionsmethoden. In Schweden wurde ein CO2-Kennzeichnungssystem mit konkreter Kilo-Angabe 2009 eingeführt, mit der Folge, dass sich klimafreundliche Produkte um 20 Prozent besser als vorher verkaufen.

 

Soziale und finanzielle Ausgleichsmaßnahmen

Dieses Konzept der CO2-Besteuerung mit einem Eingangssteuersatz von 80€ pro Tonne würde, bei einem durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 8,89 Tonnen pro Jahr und Einwohner*in Deutschlands und ohne die sukzessive Verhaltensanpassung zu berücksichtigen, bis 2025 jährlich ein zusätzliches Steueraufkommen von 59,1 Milliarden Euro ergeben. Die zusätzlichen Geldbeträge sollen allerdings nicht im Gesamthaushalt verbucht werden, sondern direkt und mehrgleisig der Umverteilung und dem Klimaschutz dienen, indem sie durch die konkreten Maßnahmen, die wir beschreiben, in den Sozial- und Umweltsektor fließen. Obwohl es vor allem Menschen mit höherem Einkommen sind, die CO2-intensivere Güter und Dienstleistungen in Anspruch nehmen, müssen Menschen mit geringerem Einkommen den größeren Prozentsatz ihres Einkommens steuerlich zusätzlich aufwenden. Um also diese Menschen zu entlasten und zunächst bestimmten besonders betroffenen Gruppen den Übergang zu erleichtern, schlagen wir eine Reihe von sozialen Ausgleichsmaßnahmen vor, die für eine höhere Bepreisung von CO2 und CO2-Äquivalenten zwingend erforderlich sind. Als primären Ausgleichsmechanismus fordern wir eine sogenannte Klimadividende in Kombination mit Senkungen von Steuern, die untere Einkommensschichten überproportional belasten, wie beispielsweise eine deutliche und dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer. Die Klimadividende soll automatisch einmal im Jahr direkt an alle Bürger*innen ausgezahlt- und nach dem Einkommen gestaffelt werden. Je niedriger das Einkommen, desto höher die Klimadividende. So wird der Umverteilungsmechanismus der CO2-Steuer am deutlichsten sichtbar und greifbar. Dies hätte das Ziel, die Kosten für Individuen abzufedern und auch die öffentliche Unterstützung einer CO2-Bepreisung zu generieren. Eine dieser obsolet werdenden Abgaben ist die EEG-Umlage, welche Haushalte mit geringeren Einkommen überproportional belastet. Als Härtefallregelung unterstreichen wir weiterhin unsere Forderung nach einem erhöhten Mindestlohn auf mindestens 13,50 Euro pro Stunde, um so eine finanzielle Entlastung für niedrige Einkommen, die besonders von einer CO2-Steuer betroffen wären, zu gewährleisten. Fahrten von Pendler*innen zu und von ihrer Arbeitsstätte sollen vorerst von der Steuer ausgeschlossen sein. Die Lasten der Bekämpfung der Klimakrise dürfen nicht zu großen Teilen von Arbeitnehmer*innen getragen werden. Außerdem sollen Menschen in ländlichen Gebieten nicht aufgrund großer Entfernungen und schlechter ÖPNV-Anbindung benachteiligt werden. Arbeitgeber*innen, welche sich jedoch für klimafreundliche Fahrtgemeinschaftsangebote einsetzen sollen staatlich gefördert werden, um den Umstieg des Pendelns von Individualverkehr auf kollektive Beförderungsmethoden einzuleiten. Anstelle der Umlagen auf den Strompreis wollen wir Energieinvestitionen steuerlich finanzieren, um Verteilungsgerechtigkeit zu ermöglichen. Zusätzlich zu einer direkten und indirekten Steuerumverteilung sollen Teile der zusätzlichen Gelder auch in Sozialprojekte für betroffenen Bevölkerungsgruppen, lokale und internationale Nachhaltigkeitsprojekte und den Ausbau eines kostenlosen ÖPNV in ganz Deutschland investiert werden. Um Unternehmen zu einer CO2-armen Produktionsweise anzureizen, sollen vor allem kleine regionale Unternehmen, die besonders CO2-arm produzieren, subventioniert werden. Mit dieser Investitionsoffensive sollen diese transformationsbereiten Unternehmen gerade in den Anfangsjahren gefördert werden, damit sie sich finanziell bewähren können. Mit dieser Investitionsoffensive sollen diese transformationsbereiten Unternehmen gerade in den Anfangsjahren gefördert werden, damit sie sich finanziell bewähren können.

 

Ausgleiche sollen jedoch nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, sondern nur da angewendet werden, wo Bemühungen gezeigt werden und eine Unterstützung notwendig ist. Um ein “Carbon Leakage”, sprich das Auslagern von Emissionen von CO2 und CO2-Äquivalenten in Drittstaaten, zu verhindern, sollen die Vorschriften für die Industrie verpflichtend werden sowie möglichst zeitnah im internationalen Kontext angewendet werden und eine gemeinschaftliche Antwort bieten. Die Ausweitung des EU- Emissionshandel auf mehr beteiligte Länder (aktuell 31 Länder), muss daher Priorität haben.

 

Um die Umgehung der CO2-Bepreisung, indem Güter von Drittstaaten importiert werden, in denen keine äquivalente CO2-Bepreisung herrscht, zu vermeiden, sollen Zölle bei Importen analog zu der von uns beschriebenen CO2-Steuer erhoben werden. Dies soll so lange geschehen, bis internationale Vereinbarungen greifen, die eine gemeinschaftliche CO2-Bepreisung vorsehen.

 

Der Klimawandel ist ein internationales Problem, welches internationale Anstrengungen erfordert. Eine Koordination, die mindestens auf europäischer Ebene angesiedelt ist, setzen wir als Ziel. Wir erkennen jedoch, dass dies innerhalb weniger Jahre schwierig umzusetzen ist. Wir fordern daher die sozialdemokratischen Kommissionsmitglieder, MEPs und die nationalen Regierungen auf, sich für die Einführung einer ähnlichen Steuer in den EU-Mitgliedstaaten einzusetzen, damit diese mittelfristig auf europäischer Ebene weiter international koordiniert wird.

Antrag 104/I/2021 Obdachlosigkeit beenden!

18.03.2021

Obdachlosigkeit und obdachlose Menschen gehören wie selbstverständlich zum Berliner Stadtbild. Auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, zum Ausbildungsplatz und in den öffentlichen Verkehrsmitteln begegnen sie uns, ohne dass wir uns weiter mit ihnen beschäftigen. Auch der Staat hat die Situation und die Probleme obdachloser Menschen viel zu lange unterschätzt und sie vor allem als „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ begriffen, was dazu geführt hat, dass sich vor allem zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen um die Bedürfnisse und Sorgen obdachloser Menschen kümmern. Diese sind dabei chronisch unterbesetzt, haben finanzielle Probleme und könnten  ihre Angebote ohne das ehrenamtliche Engagement vieler Bürger*innen überhaupt nicht aufrechterhalten. Das muss sich ändern! Wir brauchen staatliche, auf die Bedürfnisse obdachloser Menschen zugeschnittene, barrierearme und garantierte Hilfsangebote!

 

Zuständigkeit der Behörden

 

Die Bekämpfung von Obdachlosigkeit und die politischen Maßnahmen, die dafür notwendig sind, liegen derzeit in der Zuständigkeit aller drei föderalen Ebenen: Bezirke, Land und Bund.

 

Die Bezirke übernehmen dabei die Hauptverantwortung. Sie nehmen Anzeigen der Obdachlosigkeit von den Betroffenen auf (die bürokratische Grundvoraussetzung für den Zugang zu Unterkünften und weiteren Verwaltungsmaßnahmen), finanzieren und betreuen die gewerblichen, ehrenamtlichen oder städtischen Träger, die Unterkünfte betreiben und obdachlosen Menschen Angebote der Grundversorgung wie Nahrungsmittel oder Hygienemöglichkeiten zur Verfügung stellen, stellen Personaldokumente aus, stellen Beratungsangebote zur Verfügung und stellen Sozialarbeiter*innen ein.

 

Das Land Berlin ist verantwortlich für die Finanzierung der Bezirke, die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf dessen Grundlage die Bezirke Obdachlosigkeit bekämpfen, und via seiner landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auch für den staatlichen Wohnungsbau und die Zweckbindung landeseigener Wohnungen.

 

Der Bund – genauer gesagt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales – ist gemeinsam mit den Bezirken zuständig für die Jobcenter. Das Sozialgesetzbuch II (SGB II) ist die bundesrechtliche Grundlage für die Grundsicherung und die Funktionsweise der  Jobcenter. Die Kosten für die Grundsicherung trägt der Bund, die Kosten für die Unterkunft von Grundsicherungsempfänger*innen teilen sich Bund und Bezirk.

 

Aus diesen verschränkten Strukturen entstehen massive bürokratische Hürden – sowohl für Betroffene als auch für wirksame politische Lösungsansätze.

 

Sucht eine obdachlose Person Unterstützung, ist dies der Start eines Marathons durch die Behörden. Für einen dauerhaften Zugang zu vielen Unterkünften bedarf es einer Anzeige der Obdachlosigkeit. Diese wird vom Bürger*innenamt aufgenommen. Um Zugang zur Grundsicherung zu erlangen, benötigen obdachlose Personen außerdem einen Personalausweis. Die Ausstellung eines vorläufigen Personalausweises kostet 10€ und erfolgt ebenfalls durch das Bürger*innenamt.

 

Obdachlose Menschen können jedoch nicht zu einem beliebigen Bürger*innenamt gehen. Die Zuständigkeit für obdachlose Menschen ist unter den zwölf Berliner Bezirken nach Geburtsmonat der betroffenen Personen aufgeteilt, um die Kosten und den Aufwand gleichmäßig über die Bezirke zu verteilen. So kann es passieren, dass eine obdachlose Person, deren täglicher Alltag in Wilmersdorf stattfindet, für einen solchen Termin irgendwie nach Marzahn-Hellersdorf kommen muss. Und selbst wenn sie es schafft, kann es sein, dass das Bürgeramt zu hat, da die Sprechzeiten in jedem Bezirk unterschiedlich sind, und darüber Auskunft zu erhalten für eine obdachlose Person sehr schwer ist.

 

Wenig überraschend funktioniert diese theoretisch-gleichmäßige Aufteilung der Betroffenen auf die zwölf Bezirke in der Realität kaum. Dazu kommt, dass viele Bezirke gar keine Obdachlosenunterkünfte betreiben und alle Bezirke im Bereich der Obdachlosenhilfe unterfinanziert sind. So konzentriert sich Obdachlosigkeit auf jene Hotspots, wo große soziale und gewerbliche Träger angesiedelt sind.

 

Falls eine obdachlose Person zur richtigen Zeit im richtigen Bürgeramt gelandet ist und sich die 10€ Verwaltungsgebühr leisten konnte, muss sie nun zum Jobcenter gehen, um Grundsicherung zu beantragen, inklusive der dazu genauestens auszufüllenden Anträge. War dies erfolgreich, muss die Person eine Wohnung finden – als obdachloser Mensch auf dem aktuellen Berliner Wohnungsmarkt quasi unmöglich. Hat die Person einen Mietvertrag unterschrieben, muss sie mit diesem erneut zum Jobcenter, um die Übernahme der Kosten zu beantragen.

 

Dieses hölzerne Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen entlarvt das eigentliche Kernproblem: Obdachlosigkeit wird nicht als ganzheitliches soziales Problem erfasst, dessen Lösung gezieltes Handeln erfordert. Keine politische Behörde ist dafür dezidiert verantwortlich. Stattdessen werden Teilbereiche des Problems auf verschiedene föderale Ebenen verteilt und in verschiedenen Gesetzestexten untergebracht, die mit Obdachlosigkeit eigentlich nichts zu tun haben.

 

In Berlin ist Obdachlosigkeit im Allgemeinen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (ASOG) geregelt. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung müssen aber nicht vor obdachlosen Personen geschützt werden, ihnen muss geholfen werden!

 

Auf Bundesebene wird Obdachlosigkeit in das Sozialgesetzbuch II und somit in die Grundsicherung und die Jobcenter eingegliedert. Instrumente, die sich um den Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit von Menschen mit Wohnraum drehen. Die Jobcenter und ihre Mitarbeiter*innen sind überhaupt nicht darauf ausgelegt oder dazu ausgebildet obdachlose Menschen zu unterstützen.

 

Und in der Lösung der ganz materiellen, alltäglichen und grundlegendsten Herausforderungen obdachloser Menschen, verlassen sich die staatlichen Institutionen ganz auf die Arbeit ehrenamtlicher, sozialer oder gewerblicher Träger, die sie dazu auch noch schlecht finanzieren und bezahlen.

 

Wir fordern daher eine ganzheitliche politische Herangehensweise, die Obdachlosigkeit als soziales Problem betrachtet, dessen betroffene gezielte Unterstützung benötigen, nicht als Gefahr für die öffentliche Ordnung oder ein bloßes Anhängsel anderer sozialpolitischer Themenfelder.

 

 Daher fordern wir:

  • Die Schaffung einheitlicher Rahmenbedingungen für obdachlose Menschen in allen Bürger*innenämtern. 
  • Die Zuständigkeit für die Betreuung, Versorgung und die Unterbringung nach dem ASOG soll auf Landesebene zentralisiert werden. Der Senat hat dabei sicherzustellen, dass Anlaufstellen über das gesamte Stadtgebiet verteilt und jeweils ortsnah zu erreichen sind. Die Zuordnung von obdachlosen Personen zu einem Bezirksamt nach Geburtsort ist im Gegenzug abzuschaffen. Hinsichtlich von Melde- und Ausweisangelegenheiten ist obdachlosen Personen – wie allen anderen Berliner*innen auch – freier Zugang zu den Bürger*innenämtern ihrer Wahl zu verschaffen.
  • Die Gebühr für die Ausstellung eines vorläufigen Personalausweises ist abzuschaffen.
  • Es soll ein Kooperationsabkommen zwischen dem Land Berlin und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales erzielt werden, um die Zuständigkeiten für die bezirkliche Dokumentenausstellung und die Beantragung und Verwaltung von Grundsicherungsleistungen für obdachlose Personen in einer Behörde zu bündeln und in einem Behördengang zu ermöglichen. Diese Behörde soll ebenfalls medizinische und psychologische Beratungsleistung und Betreuungsangebote durch Sozialarbeiter*innen vornehmen können.
  • Die Schaffung einer eigenen Landesbehörde für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit, welche bei der Senatsverwaltung für Soziales angesiedelt werden soll. Die gesetzliche Grundlage für diese Behörde soll in einem eigenen Obdachlosigkeitsgesetz geschaffen werden. Obdachlosigkeit soll nicht mehr im ASOG geregelt sein.
  • Massive Ausweitung der Finanzierung. Die Bezirke brauchen bedarfsgerechte und gesicherte Finanzierung für Sozialarbeiter*innen, Notunterkünfte und die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse von obdachlosen Menschen.

 

Langfristig fordern wir die Schaffung eines neuen Sozialgesetzbuches XV auf Bundesebene eigens für die zielgerichtete Bekämpfung von Obdachlosigkeit als soziales Problem. Letztendlich soll die Zuständigkeit gänzlich aus den Jobcentern entfernt werden und bei einer eigenen Bundesbehörde zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit angesiedelt werden. Die Maßnahmen sollen von Bundesebene finanziell verstetigt werden, damit die neue Behörde die Kommunen und die Betroffenen bestmöglich, bedarfsgerecht, zielgerichtet und effizient unterstützen kann.

 

 Unterbringung

 

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es verschiedenen Angebote der Unterbringung für obdachlose Menschen. Auf der einen Seite stehen zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Berliner Obdachlosenhilfe, die Kältehilfe Berlin und die Berliner Stadtmission, all diese stellen in begrenztem Umfang Unterkünfte und Schlafplätze für obdachlose Menschen, teilweise auch exklusiv für Frauen, zur Verfügung und erhalten dafür staatliche Fördergelder.

 

Für die Unterbringung von staatlicher Seite aus sind die jeweiligen Bezirksämter zuständig. In der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales sind sechs Mitarbeitende hauptamtlich für die Betreuung angestellt, Hamburg hat bei nur einem Fünftel der obdachlosen Menschen acht Hauptamtliche, also deutlich mehr. Von staatlicher Seite werden zum aktuellen Zeitpunkt etwa 1.100 Notübernachtungsplätze angeboten, von denen einige frei bleiben. Darüber hinaus werden die U-Bahnhöfe Moritzplatz und Lichtenberg als Übernachtungsmöglichkeit offen gehalten.

 

Unbeachtet von dieser Betrachtung bleiben hierbei Maßnahmen zur Unterbringung und Unterkünfte, die von den obdachlosen Menschen selbst organisiert werden, zum Beispiel in Parkanlagen, leerstehenden Häusern und Bahnhöfen.

 

Problematisch bei der aktuellen Form der Unterbringung sind die jeweiligen Umstände, was dazu führt, dass nicht alle Plätze wahrgenommen werden und einige frei bleiben. So werden keine Einzelzimmer angeboten, was mit Blick auf Aspekte der Sicherheit und des Sicherheitsgefühls oft zu schwierigen Situationen führt. Darüber hinaus gibt es selten Unterkünfte für Paare oder ganz speziell und exklusiv für Frauen, sowie Unterkünfte für Halter von Haustieren, zu denen ein großer Teil der obdachlosen Menschen zählt. Ein anderer Punkt ist, dass einzelne Angebote oftmals schließen müssen, da ihnen zu wenig haupt- und ehrenamtliches Personal zur Verfügung steht, welches die Unterbringung durchführt und begleitet. Formen der selbstorganisierten Unterbringung von obdachlosen Menschen finden nur selten Anklang und werden ab einer gewissen Größe durch die Polizei und die Bezirksämter, nicht selten unter Einsatz von Gewalt, aufgelöst, wobei meist vor allem die „Ordnung im öffentlichen Raum” im Fokus steht, als vielmehr die Art und Weise der Unterbringung obdachloser Menschen. Ziel muss es sein, allen obdachlosen Menschen langfristig die Möglichkeit zu geben, eine Wohnung zu beziehen, die sich an ihren Bedürfnissen orientiert.

 

Daher fordern wir:

  • So schnell wie möglich Notunterkünfte, zum Beispiel aus Containern oder in leerstehenden Hotels und Bürogebäuden,  die auf die grundlegenden Bedürfnisse (Privatsphäre, Barrierefreiheit, Haustiere, Partnerschaften, Sicherheit) obdachloser Menschen eingehen, zu bauen und zur Verfügung zu stellen.
  • In bereits bestehenden Unterkünften für obdachlose Menschen muss, wenn möglich, eine Unterbringung in Einzelzimmer gewährleistet werden. In neu zu bauenden Unterkünften muss eine Unterbringung in Einzelzimmer unter allen Umständen gewährleistet sein.
  • Modellprojekte – wie housing first – mehr in den Fokus zu rücken und diese auszuweiten.
  • Die bestehenden Unterkünfte durch geschultes und ausgebildetes Personal, sowie deutlich höhere Finanzmittel, zu unterstützen.

 

Langfristig soll die Unterbringung obdachloser Menschen zentrale Aufgabe der von uns geforderten neuen Behörde werden.

 

 housing first

 

Housing First Berlin ist ein an skandinavischen Modellen orientiertes Modellprojekt zur langfristigen Bekämpfung von Obdachlosigkeit in Berlin. Das Konzept basiert auf der unbefristeten Unterbringung Betroffener in Wohnraum mit einem eigenen Mietvertrag und professioneller Betreuung. Betroffene erhalten sofortigen, bedingungslosen Zugang zu Wohnraum. Die Unterbringung erfolgt vor einer potenziellen Behandlung – denn ein Zuhause ist eine wichtige Ressource für Genesung.  Das Projekt gewährleistet ein begleitetes Unterstützungsangebot und richtet sich an alleinstehende Erwachsene, die langjährig obdachlos sind. Die Teilnehmenden gehen eine niedrigschwellige Kooperationsvereinbarung ein und haben mindestens einen persönlichen Kontakt pro Woche mit dem Team. Derzeit sollen 25 Prozent der Teilnehmenden Frauen sein. Das Projekt kann bis zu 40 Wohnungen vermitteln – nach einem Jahr Projektlaufzeit konnten bereits 20 Wohnungen vermittelt werden: das Projekt ist erfolgreich. Jedoch sind 40 Wohnungen bei, nach letzten offiziellen (kritisierbaren) Zählungen 1976 Menschen ohne Obdach in Berlin, zu wenig!

 

Das Konzept Housing First wird bereits international angewendet und ist evidenzbasiert. 70 bis 90 Prozent der Teilnehmenden können ihren Wohnraum langfristig halten; die Gesundheit der Betroffenen wird verbessert und das Konzept reduziert kostspielige Kontakte mit öffentlichen Dienstleistungen.

 

Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht – jeder Mensch hat Anrecht auf angemessenen Wohnraum! Dennoch leben Menschen auf der Straße und es ist für viele schwer, Wohnraum zu finden. Der deregulierte Wohnungsmarkt wirkt sich am meisten auf psychisch kranke und arme Personen aus – sie finden keinen Wohnraum! Housing First kann nachweislich zu einer verbesserten Situation auf dem Wohnungsmarkt beitragen!

 

 Daher fordern wir: 

  • Das Projekt Housing First Berlin, welches nachweislich und nachhaltig wirksam ist, muss als Regelkonzept der Berliner Wohnungslosenhilfe über die ganze Stadt ausgeweitet werden.
  • Investitionen des Landes Berlin in das Unterbringungssystem müssen künftig in den Bau und die Bewirtschaftung bezahlbarer Wohnungen fließen.
  • Städtische Wohnungsbaugesellschaften (GEWOBAG, degewo etc.) müssen Soforthilfe leisten, mehr Wohnungen für das Projekt Housing First zur Verfügung stellen und neue Wohnungen hierfür bauen.
  • Von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften zur Verfügung gestellte Wohnungen müssen verkehrsgünstig liegen.

 

 Frauen in Obdachlosigkeit

 

Die Zahl der Obdachlosen Frauen in Deutschland wächst stetig. Waren in den 1990er- Jahren noch 15 Prozent der Obdachlosen in Deutschland weiblich, so sind es inzwischen 25 Prozent. Das bedeutet: über 70.000 Frauen. In Berlin leben Schätzungen zufolge 2.500 Frauen auf der Straße, doch wie viele es genau sind, weiß niemand.

 

Viele wohnungs- und obdachlose Frauen teilen ähnliche Probleme: neben der Schwierigkeit einen geregelten Alltag zu führen, erleben Sie häufig Gewalt. Man kann davon ausgehen, dass jede obdachlose Frau in Berlin bereits Opfer sexueller Gewalt geworden ist. In den Wintermonaten stehen Frauen in sieben Notunterkünften 77 Betten zur Verfügung. Danach nimmt diese Zahl drastisch ab: Nur drei Notunterkünfte für Frauen haben das ganze Jahr geöffnet. 31 Betten können obdachlose Frauen in Berlin von April bis Oktober nutzen. Die derzeitigen Unterkünfte sind nicht von allen Stadtteilen aus erreichbar, ohne auf den kostenpflichtigen ÖPNV angewiesen zu sein. So gibt es derzeit keine einzige, ganzjährig geöffnete, Notunterkunft (Größe?) für Frauen in der City West.

 

Selbst öffentliche Toiletten bieten obdachlosen Frauen keinen Schutz vor Gewalt, da diese nur kostenpflichtig betreten werden können. Neben diesen Punkten ist die Beschaffung von Hygieneprodukten ein großes Problem für obdachlose Frauen.

 

 Daher fordern wir: 

  • Die Durchführung einer geschlechtsspezifischen Datenerhebung.
  • Die Schaffung neuer staatlicher Unterkünfte für Frauen in allen Stadtteilen. Konkret: eine Notunterkunft für obdachlose Frauen in der City West.
  • Überwachung von Hotspots von sexuellen Übergriffen durch die verstärkte Präsenz von sensibilisiertem und geschultem Sicherheitspersonal.
  • Die Ermöglichung einer kostenfreien Nutzung aller Toiletten im öffentlichen Raum für Frauen.
  • Die Ausstattung von öffentlichen Toiletten mit kostenfreien Hygieneprodukten und Schwangerschaftstests.

 

 Migration und Obdachlosigkeit

 

Obdachlosigkeit ist international. In der Berliner Stadtmission wurden im Winter 2017/18 Obdachlose Menschen aus insgesamt 90 Ländern, v.a. Polen, Rumänien und Bulgarien beherbergt. Schätzungen zufolge sind knapp die Hälfte der in Berlin lebenden Obdachlose aus Osteuropa, da diese in ihren Heimatländern zunehmend stigmatisiert und  gewaltsam verfolgt werden. So gilt in Ungarn ein Gesetz, das Obdachlosen verbietet, auf der Straße zu leben. Einen Anspruch auf soziale Unterstützung haben viele weder in Deutschland noch in ihren Heimatländern. Doch selbst wenn Ansprüche bestehen, dann sind diese aufgrund der Sprachbarriere und der Unübersichtlichkeit des deutschen Rechtssystems nur schwer durchzusetzen. Die betroffenen Menschen benötigen bei der Durchsetzung ihrer Rechte Unterstützung in ihrer Sprache.

 

Daher fordern wir: 

  • Die Unterstützung der Berliner Obdachlosenhilfe durch die Anstellung von Menschen mit Sprachkenntnissen oder den Einsatz von Dolmetscher*innen.
  • Eine gesamteuropäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wohnungs- und Obdachlosenhilfe.
  • “Housing First” als Förderprojekt bei der Kommission anzusiedeln. 
  • Die sozialdemokratischen Bundesminister*innen und Mitglieder der SPD-Fraktion im Bundestag setzen sich für die internationale Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte von obdachlosen Menschen ein, indem ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und eine Staatenklage vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wegen regelmäßiger Verletzungen der Rechte von Obdachlosen eingeleitet wird

 

 Altersarmut und Obdachlosigkeit

 

Ein relevanter Teil der Menschen, die täglich die Angebote von Suppenküchen, Hilfseinrichtungen und Organisationen der Obdachlosenhilfe in Anspruch nehmen, sind Rentner*innen, die über eine Wohnung verfügen. Aufgrund einer sehr niedrigen Rente werden diese Rentner*innen oftmals vor die Aufgabe gestellt, sich zwischen Geld für anstehende Mietkosten und Geld für Heizkosten und Lebensmittel zu entscheiden, wobei oftmals die Wahl auf das Geld für anstehende Mietkosten fällt, da sie Wohnungen, die sie zum Teil schon Jahrzehnte bewohnen, nicht verlassen wollen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt im Monat sind daher immer mehr Rentner*innen auf die kostenlosen Angebote der Hilfsorganisationen angewiesen, um ihr eigenes Überleben sichern zu können.

 Daher fordern wir:

  • Die Einführung von Hilfsangeboten im Rahmen der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Obdachlosenhilfe, welche auf die Bedürfnisse von Rentner*innen eingehen können und die sie bei Behördengängen, Besorgungen und auf der Suche nach ggf. günstigeren Wohnungen unterstützen.

 

 medizinische Versorgung

 

Über 70 Prozent der obdachlosen Menschen leiden an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung – häufig Suchterkrankungen, Depressionen und Psychosen. Obdachlose Menschen sind jedoch selten krankenversichert, die Kostenübernahme in der medizinischen Regelversorgung  ist daher häufig schwierig.

 

Einrichtungen wie die Ambulanz der Stadtmission und der Caritas bieten kostenlose medizinische Versorgung für obdach- und wohnungslose Menschen an. Die Ambulanz der Stadtmission wird von der Deutsche Bahn Stiftung unterstützt, sie erlässt der Ambulanz die Miete. Zudem arbeiten fast zwei Drittel des Personals in medizinischen Ambulanzen für obdachlose Menschen ehrenamtlich. Nur durch dieses gesellschaftliche Engagement kann die medizinische Versorgung obdachloser Menschen gestemmt werden! Denn allein Ärzt*innen arbeiten in den Einrichtungen über 2000 Stunden unbezahlt pro Monat.

 

Der Senat unterstützt finanziell, jedoch können dadurch bei weitem nicht alle Kosten gedeckt werden. Die Einrichtungen sind auf Spenden angewiesen. Die Mitarbeiter*innen in den Hilfseinrichtungen fühlen sich von der Politik allein gelassen!

 

Zudem ist die Versorgung obdachloser Menschen nach einem Klinikaufenthalt nicht ausreichend gewährleistet. Lange Wartezeiten auf einen Platz in therapeutischen Wohngemeinschaften und mangelnder Wohnraum führen dazu, dass die Menschen teilweise wieder zurück auf die Straße entlassen werden. Der deregulierte Wohnungsmarkt in Berlin wirkt sich am meisten auf psychisch kranke und arme Personen aus – sie finden keinen Wohnraum. Jedoch ist ein Zuhause eine wichtige Ressource für die Genesung der Patient*innen!

 

 Daher fordern wir: 

  • Mehr öffentliche Gelder für die Bezahlung von medizinischem Personal in Ambulanzen für obdachlose Menschen bereitzustellen.
  • Die Schaffung kostenloser ambulanter psychiatrischer Betreuung unabhängig von einer stationären psychiatrischen Behandlung und gleichzeitiger Unterbringung der Menschen in einem eigenen und sicheren Wohnumfeld. Das bedeutet, den Sozialpsychiatrischen Dienst auszuweiten, mehr Personal einzustellen und eine verstärke Zusammenarbeit von Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen und Psychiater*innen.
  • Ein Angebot sozialpsychiatrischer Gespräche in allen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen für obdach- und wohnungslose Menschen soll eingeführt und durch das Land Berlin finanziert werden, wobei die Inanspruchnahme der Hilfe durch Dolmetscher*innen immer möglich sein muss.
  • Die Schaffung und Finanzierung von mehr (therapeutischem) Wohnraum für die Zeit nach einem Klinikaufenthalt für obdachlose Menschen.
  • Eine unbürokratische allgemeine Krankenversicherung für obdachlose Menschen.

 

 mobile Hilfsangebote

 

Im Rahmen der vielen verschiedenen Angebote der Hilfsorganisationen gibt es auch solche, die die Hilfsangebote zu Menschen bringen, die in Obdachlosigkeit leben und entweder durch Krankheit bedingt immobil oder in einem Maße den Kontakt zum gesellschaftlichen Leben verloren haben, dass dieser erst sehr langsam aufgebaut werden muss, bevor tradierte Hilfsmechanismen greifen können.

 

Ein weiterer Bestandteil dieser mobilen Hilfe sind aber auch die sogenannten “Kältebusse”, die in den Wintermonaten warme Nahrung, warme Getränke und Schlafsäcke an obdachlose Menschen ausliefern, die sich abends außerhalb von Unterkünften Schlafplätze suchen. Diese sogenannte “mobile Einzelfallhilfe” liegt dabei zum jetzigen Zeitpunkt vollkommen in der Verantwortung zivilgesellschaftlicher Organisationen.

 

Auch dieser Bereich der Hilfsangebote ist dabei nicht ausreichend mit hauptamtlichen Personal und Finanzmitteln, zur Finanzierung der Angebote aber auch zum Ausbau bestehender Angebote, ausgestattet, was dazu führt, dass die mobilen Hilfsangebote längst nicht alle Gäste und die ihnen bekannten auch nicht im notwendigen Maße unterstützen kann.

 Daher fordern wir:

  • Die finanzielle und personelle Ausstattung der mobilen Hilfsangebote deutlich auszubauen und staatliche Stellen, die die zivilgesellschaftlichen Angebote unterstützen, aufzubauen.
  • Die Aufnahme mobiler Hilfsangebote in das Portfolio bereits bestehender staatlicher Hilfsangebote.

 

 Sicherheit obdachloser Menschen

 

Die Sicherheit von obdachlosen Menschen ist zu jeder Zeit gefährdet. Sie werden dadurch schnell zum Ziel gewalttätiger Angriffe, wie Raubüberfälle, Körperverletzung, sexualisierter Gewalt, Vergewaltigung oder Totschlag. Vor allem Hunde bieten den obdachlosen Menschen Schutz und Gesellschaft, sind jedoch in den meisten Berliner Unterkünften verboten.

 

Dies führt dazu, dass einige Menschen nicht die Unterstützung bekommen können, die sie eigentlich benötigen. Solange wir nicht alle obdachlosen Menschen in Unterkünften unterbringen können, müssen Polizei und Hilfseinrichtungen enger zusammenarbeiten, wobei der Schutz der Privatsphäre immer Priorität haben muss. Obdachlose Menschen haben meist schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht und das Vertrauen in den Erhalt effektiver Hilfe im Notfall verloren.

 

Die Berliner Polizist*innen müssen für den Umgang mit obdachlosen Menschen sensibilisiert werden und Notunterkünfte durch, vom Land zur Verfügung gestelltes, geschultes Sicherheitspersonal unterstützt werden. Derzeit gibt es keine Anlaufstellen innerhalb der Polizei, an die sich obdachlose Menschen ohne Angst vor Repressionen, wenden können.

 

 Daher fordern wir:

  • Die allgemeine Öffnung der Notunterkünfte für Hunde oder separate Zimmer für Menschen mit Tieren.
  • Engere Zusammenarbeit der Berliner Polizei mit den Hilfseinrichtungen und deren geschultes Personal.
  • Sensibilisierung und Schulung der Berliner Polizist*innen im Umgang mit obdachlosen Menschen.
  • Eine anonyme Anlaufstelle innerhalb der Polizei, zu etablieren, damit obdachlose Menschen Unterstützung erhalten können.

 

 Drogenpolitik

 

Anfang 2020 sprach sich die SPD-Bundestagsfraktion gegen eine „Kriminalisierung der   Konsument*innen“ aus, allerdings nur hinsichtlich von Cannabis. Wir begrüßen diesen Schritt fordern aber auch, die Entkriminalisierung für alle Drogenkonsument*innen auszuweiten.

 

Drogenkonsum ist unter obdachlosen Menschen weit verbreitet, Schätzungen zufolge leiden 21% der Obdachlosen unter Suchterkrankungen. Diese Menschen werden noch zusätzlich von der Gesellschaft stigmatisiert. Hier muss geholfen werden, anstatt zu bestrafen. Wir fordern daher die Meldepflicht für Drogenbesitz in Einrichtungen aufzuheben. Derzeit befinden sich Mitarbeiter*innen dieser Einrichtungen stets in einem rechtlichen Graubereich, wenn diese Drogenfunde nicht zur Anzeige bringen. Dies muss aufhören!

 

Zusätzlich fordern wir einen Ausbau der Möglichkeiten für obdachlose Menschen, legal zu konsumieren. Spritzenautomaten (z.B. am Bahnhof Zoo) gehen hier in die richtige Richtung, reichen aber bei weitem nicht aus. Diese kosten oft 50 Cent pro Spritze, was deutlich zu teuer ist. Außerdem reichen Automaten an sich niemals aus. Wir fordern daher einen massiven Ausbau von Konsumräumen in allen Berliner Bezirken insbesondere auch außerhalb des S-Bahnrings. Diese müssen niederschwellig zugänglich sein und von geschultem Personal betreut werden.

 

Zusätzlich ist eine kompetente Drogenberatung durch speziell geschultes Personal in der Muttersprache, des hilfesuchenden Menschens unumgänglich. Hier darf sich das Land Berlin nicht allein auf ehrenamtliche Helfer*innen verlassen. Es müssen Stellen geschaffen werden, die aus dem Berliner Landeshaushalt finanziert werden.

 

 Daher fordern wir:

  • Die Aufhebung der Meldepflicht für Drogenbesitz in Einrichtungen der Obdachlosenhilfe.
  • Den massiven Ausbau von Konsumräumen in allen Berliner Bezirken.
  • Eine kompetente Drogenberatung durch speziell geschultes Personal bei gleichzeitiger Unterbringung der Menschen in einem sicheren Wohnumfeld.
  • Den Ausbau des Angebotes an sogenannten Spritzenautomaten.

 

 Nutzung des ÖPNV

 

Um einen vor Kälte und schlechtem Wetter geschützten Raum und Schlafplatz zu finden, nutzen viele obdachlose Menschen Bahnsteige, Haltestellen und Bahnhofshallen und halten sich in diesen auf. Den ÖPNV nutzen sie für Wege zu unterschiedlichen Behörden, Hilfseinrichtungen, Schlafplätzen und Unterkünften, sowie als Möglichkeit, um sich aufzuwärmen und Zeitungen zu verkaufen.

 

Oftmals haben sie dabei  keine – oder nicht mehr gültige – Tickets für den ÖPNV und werden in den Bereichen der Bahnhöfe als “Sicherheitsproblem” verstanden, weshalb sie von Kontrolleur*innen wegen des “Schwarzfahrens” aufgegriffen und von Sicherheitspersonal dem Ort verwiesen werden.  Da obdachlose Menschen nur selten die hohen Strafzahlungen für das “Schwarzfahren” leisten können, droht ihnen bei Wiederholung eine mehrwöchige Freiheitsstrafe. Darüber hinaus werden im Rahmen von Umbau- und Renovierungsarbeiten sogenannte “dunkle Ecken” in den Bahnhöfen, in denen obdachlose Menschen, vom Personenverkehr abgeschirmt, Zuflucht suchen, immer mehr abgebaut, stärker beleuchtet und durch Kameras überwacht, was dazu führen soll. dass die obdachlosen Menschen aus den Bahnhöfen vertrieben werden.

 

 Daher fordern wir:

  • In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn und der BVG Konzepte zu entwickeln, die es obdachlosen Menschen auch weiterhin ermöglichen sollen, Bahnhöfe und Bahnhofshallen als Schlafplatz oder Zufluchtsort vor schlechtem Wetter zu nutzen.

 

 An der Forderung einer komplett entgeltfreien Nutzung des ÖPNV für alle Menschen
 halten wir fest.

 

 

 Verbesserung der Datenlage

 

Statistiken zur Zahl und Charakteristika obdachloser Menschen sind wichtig, damit sich das Berliner Hilfesystem an ihre Bedürfnisse anpassen kann und beispielsweise ausreichend Schlafplätze sowie Hygieneartikel für Frauen* zur Verfügung stehen. Deshalb ist die Forderung nach einer zielführenden Obdachlosenstatistik bereits seit 2017 Beschlusslage der Jusos Berlin.

 

In der Zwischenzeit wurde eine Zählung obdachloser Menschen unter dem Motto „Nacht der Solidarität“ durchgeführt. Die Durchführung sowie die daraus entstandene Statistik wurden von Sozialarbeiter*innen und der Selbstvertretung obdachloser Menschen in Berlin kritisiert. Es wird davon ausgegangen, dass die erfasste Zahl der obdachlosen Menschen viel geringer ist, als die tatsächliche Zahl. Für die kommende Zählung stellen wir deshalb die folgenden Forderungen:

 

Aus methodischer Sicht wurde bemängelt, dass in einigen Parks und Grünanlagen, wie beispielsweise im Tiergarten oder im Grunewald, gar nicht oder nicht flächendeckend gezählt wurde. Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass die tatsächliche Zahl der obdachlosen Menschen in Berlin viel höher ist.

 

Außerdem waren an der „Nacht der Solidarität“ viele freiwillige Helfer*innen beteiligt, die vorher keine Erfahrungen in der Arbeit mit obdachlosen Menschen hatten. Expert*innen gehen deshalb davon aus, dass viele der sogenannten verdeckten Obdachlosen in der Statistik nicht berücksichtigt werden. Beispielsweise halten sich viele Obdachlose in Fast-Food-Ketten auf, die rund um die Uhr geöffnet sind. Auch an diesen Orten wurde nicht gezählt. Nicht alle obdachlosen Menschen sind mit viel Gepäck unterwegs oder auf den ersten Blick als solche erkennbar.

 

Auch auf die Kritik der Selbstvertretung obdachloser Menschen muss reagiert werden. Die Zählung ist würdelos, solange sie nicht mit konkreten Handlungsschritten verbunden ist.

 Daher fordern wir: 

  • Vor der nächsten Zählung muss klar zu kommunizieren, dass aus den erhobenen Zahlen ein entsprechender Ausbau der Unterbringungsmöglichkeiten folgt.
  • Bei der kommenden Zählung die Freiwilligen im Vorfeld intensiv von Expert*innen zu schulen. Gleichzeitig bessere Schätzmethoden zur Erfassung verdeckter Obdachlosigkeit zu entwickeln.
  • Das Zählen in unbeleuchteten Flächen und den Kontakt mit obdachlosen Menschen unter Berücksichtigung der Sicherheit der Zählenden zu gewährleisten, ohne hierfür Sicherheitskräfte einzusetzen.

Antrag 16/I/2021 Berliner Wohnraum-Sicherungsgesetz – Verdrängung und Spekulation eindämmen und einen sozialen Wohnungsmarkt erhalten

18.03.2021

Die Situation am Wohnungsmarkt ist auch ein Jahr nach der Einführung des Mietendeckels angespannt, obgleich dieser bereits viele Berliner*innen finanziell entlastet hat. Gleichwohl sind die landesrechtlichen Möglichkeiten zur Regulierung noch bei Weitem nicht ausgeschöpft. Insbesondere im Bereich der Länderkompetenzen im Wohnungs- und Ordnungswesen verbleiben weitreichende Spielräume. Die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat und Abgeordnetenhaus werden daher zur Umsetzung der folgenden Punkte aufgefordert diese Handlungsspielräume zu nutzen und wenn nötig im Wege einer Bundesratsinitiative abzusichern:

 

Landesrechtliche Wohnraumsicherung

 

Der Bestand an belegungsgebundenen Sozialwohnungen in Berlin sinkt kontinuierlich. Belegungsgebunden bedeutet, dass die Wohnungen nur an Mieter*innen mit einem Wohnungsberechtigungsschein (WBS) vermietet werden dürfen. Ein WBS wird auf Antrag vom zuständigen Wohnungsamt erteilt, wenn das Haushaltseinkommen eine bestimmte Grenze nicht übersteigt. Schätzungsweise haben inzwischen über die Hälfte der Berliner Haushalte Anspruch auf einen WBS. Im Gegenzug für die Belegungsbindung erhalten Immobilieneigentümer*innen meist Förderungen wie z. B. günstige Kredite. Die Belegungsbindung endet innerhalb einer gewissen Frist nach Ablauf der Förderung, sodass Sozialwohnungen in der Regel nach 30 Jahren in den “freien” Markt übergehen.

 

Als Ergänzung zu Mietpreisbegrenzung wie dem Mietendeckel und der Mietpreisbremse, fordern wir die Einführung eines Berliner Wohnraumsicherungsgesetz. Dieses Gesetz stützt sich auf die ausschließliche Landeskompetenz im Wohnungswesen. Es soll vorschreiben, dass ein signifikanter Teil des Wohnungsbestandes, auch ohne Gegenleistung der Wohnraumförderung der Belegungsbindung unterliegt, also nur an Mietinteressent*innen mit WBS vergeben werden darf. Die Miethöhe für solche Belegungsgebunden Wohnung soll sich an der Ortsüblichen Vergleichsmiete orientieren und diese um einen festzulegenden Prozentsatz unterschreiten.

 

Auf dem freien Mietmarkt werden zahlungskräftige Interessent*innen regelmäßig bevorzugt. Zusätzlich sehen sich Interessent*innen rassistischer Diskriminierung, sowie Benachteilugung aufgrund ihres sozialen Status ausgesetzt. Diese Phänomene sind, auch bei der Vermietung belegungsgebundener Wohnungen zu beobachten. Im Bundesrecht gibt es bereits die Möglichkeit Mieter*innen für belegungsgebundene Wohnungen staatlich zuzuweisen (Besetzungsrecht nach § 26 Abs. 2 WoFG). Berlin soll davon insbesondere zugunsten von Mieter*innen Gebrauch machen, die vergleichsweise geringe Chancen auf einen Mietvertrag hätten.

 

Belegungsbindung nach öffentlich geförderter Sanierung

 

Fast 50% der städtischen klimaschädlichen Emissionen kommen aus dem Bau- und Immobilienwesen. Um die Vision einer klimaneutralen Stadt zu verwirklichen, muss ein Großteil des Wohnungsbestandes in Berlin innerhalb der nächsten Jahre energetisch saniert werden.

 

Um eine schnelle Transformation zur Klimaneutralität zu fördern, soll das Land Berlin Förderprogramme zur energetischen Sanierung von Wohngebäuden auflegen. Hierbei sollen die bestehenden Möglichkeiten des Baugesetzbuches, wie zum Beispiel Sanierungssatzungen genutzt werden, sofern diese Möglich und zur Sicherstellung von bezahlbarem Wohnraum zweckmäßig sind.

 

Im Gegenzug für die Förderung, soll das Land nach §2 WoFG, Belegungsrechte an bestehende Wohneinheiten erwerben, die im Rahmen der vorgeschlagenen Wohnraumsicherung genutzt werden. So können Wohnung, die nach Ablauf der Belegungsbindung dem sozialen Wohnungsmarkt entzogen wurden, wieder einer sozialverträglichen Nutzung zugeführt werden.

 

Umlageverbot bei unangetasteter Gewinnsubstanz

 

Ein Großteil des Wohnungsbestandes in Berlin befindet sich in der Hand von Aktiengesellschaften. Diese sollen künftig Mieter*innen vor einer Umlage von Kosten für Modernisierungen und verkappten Entmietungen auf den Mietzins glaubhaft machen müssen, dass ein Sanierung nicht unter Rückgriff auf die bisherigen Unternehmensgewinne finanzierbar ist. Zum Unternehmensgewinn zählen auch die Auszahlungen an Aktionär*innen. Die Auszahlungen dürfen bis auf die Höhe des durchschnittlichen Zinssatzes gekürzt werden. Ist diese Tatsache den Mieter*innen nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, kann die Mieterhöhung einseitig bis auf den vorherigen Mietzins gemindert werden.

 

Sanierungs-TÜV und Zweckentfremdungsverbot

 

Berlin soll als ordnungsrechtliches Mittel einen Sanierungs-TÜV für Mietobjekte einführen. Wir fordern die sozialdemokratischen Senator*innen und Mitglieder des Abgeordnetenhauses auf, die zur Beauftragung dieser Einrichtung erforderliche gesetzliche Grundlage zu schaffen. Vermieter*innen müssen alle 10-Jahre den Zustand des Mietobjekts vor einer unabhängigen und mit der Aufsicht und Vergabe von Prüfsiegeln beauftragten Einrichtung nachweisen.  Entspricht dieser nicht der aktuellen Rechtslage, insbesondere der gebotenen Instandhaltungen und energetischen Sanierungen, ist der TÜV zu verweigern. Für diesen Fall soll ein Zweckentfremdungsverbot nach Hamburger Vorbild (Hamburgisches Wohnraumschutzgesetz) greifen. Die Aufsichtsbehörde kann demnach die Sanierung der Wohnung treuhänderisch auf Kosten der Eigentümer*innen vornehmen. Das Umlageverbot bei unangetasteter Gewinnsubstanz bleibt unberührt.

 

Wohnungs- und Mietenkataster und Transparenzregister

 

Die geringe öffentliche Kontrolle beim Erwerb und Verkauf von Immobilien, machen Berlin seit längerem zu einem attraktiven Ort für Geldwäsche.

 

Gleichzeitig basieren viele gesetzliche Regelungen auf der sog. ortsüblichen Vergleichsmiete. Der Streit um ihre Höhe prägt eine Vielzahl von Mieterhöhungs- und Mietpreisbremsenverfahren. Die ortsübliche Vergleichsmiete wird in der Regel über Mietspiegel abgebildet, die Erstellung methodisch ausbaufähig ist und häufig angegriffen werden.

 

Um den Mangel an Informationen über Wohnraum, sei es Eigentümer*in, wirtschaftliche Berechtigte, oder Miethöhen zu beseitigen, fordern wir die Einführung eines Wohnungs- und Mietenkataster. Dieses soll für jede Immobilie die Eigentums- und Berechtigungsverhältnisse, den Bestand an Mietwohnungen und die vereinbarten Miethöhen samt Nebenabreden erfassen.

 

Milieuschutzberatung und Finanzierungsagentur

 

Milieuschutzgebiete sind ein baurechtliches Instrument der Stadtentwicklung. Vorrangiges Ziel ist es die Sozialstruktur, also die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, in einem bestimmten Gebiet zu erhalten.

 

Wird eine Immobilien in einem Milieuschutzgebiet verkauft, so hat der Bezirk ein Vorkaufsrecht. Er kann innerhalb von zwei Monaten selbst oder zu Gunsten Dritter in den Kaufvertrag eintreten. Der*die Kaufende kann einen Vorkauf mittels einer Abwendungsvereinbarung verhindern. Im Gegenzug werden bestimmte Auflagen vereinbart. Beispielsweise dürfen für eine bestimmte Zeit lang keine Sanierungen oder Umwandlungen in Eigentumswohnungen durchgeführt werden.

 

In der Praxis herrscht ein enormes Kräfteungleichgewicht zwischen Mieter*innen und Bezirk gegenüber Käufer*innen und Verkäufer*innen. Einerseits liegen aufgrund des überhitzten Marktes die Kaufpreise deutlich über dem Verkehrswert der Objekte, andererseits muss das Vorkaufsrecht innerhalb einer vergleichsweise kurzen Frist gezogen werden, wobei die Finanzierung des Vorkaufs sichergestellt sein muss. Wir fordern daher weiterhin, dass sich die SPD auf allen Ebenen für eine Preislimitierung beim Vorkauf von Immobilien in Milieuschutzgebieten einsetzt.

 

Zusätzlich fordern wir die Einführung einer Milieuschutzberatung. Betroffene Mieter*innen sollen vom Bezirk aktiv über die Situation und die Möglichkeiten eines Vorkaufs informiert werden. Ziel ist es, dass nicht nur die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, welche oft nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten entscheiden, ob sie in den Kaufvertrag eintreten, miteinbezogen werden. Stattdessen soll auch auf die Möglichkeit durch den Erwerb durch andere, gemeinwohlorientierte Dritte hingewiesen werden.

 

Der Senat soll die Überführung von Objekten in Milieuschutzgebieten in die Hände der Mieter*innen oder gemeinwohlorientierte Akteur*innen durch Fördermaßnahmen unterstützen, beispielsweise indem günstige Darlehen gewährt werden.

 

Ein Vorkaufsrecht für einzelne Wohneinheiten

 

Zudem sollten Mieter*innen von Einzelwohnungen ein über § 577 Abs. 1 BGB hinausgehendes Vorkaufsrecht erhalten. Vermieter*innen werden in dem Rahmen verpflichtet Mieter*innen vor Verkauf der Wohnung das Mietobjekt zu einem angemessenen Preis anzubieten. Angemessen ist der Preis, wenn er den Verkehrswert der Wohnung nicht übersteigt. Als Einzelwohnungen gelten alle Mietwohnungen, die sich im Privateigentum des* der Vermieter*in befinden und keine zusammenhängenden Wohneinheiten darstellen bzw. als zusammenhängende Wohneinheiten an unterschiedliche Dritte zum Verkauf angeboten werden sollen. Das Vorkaufsrecht kann unbeschadet des Milieuschutzes auch an staatliche Stellen abgetreten werden, und von diesen zugunsten der Mietenden im Rahmen der Erbpacht ausgeübt werden. Entsprechende Mittel insbesondere für sozial bedürftige sollen in den Haushalt eingestellt werden. Diese Maßnahmen sollen insbesondere Verdrängungseffekten entgegenwirken.

Antrag 14/I/2021 Feministische Stadtplanung: Eine Stadt für Alle!

18.03.2021

Einige Menschen nutzen den Raum in unseren Städten mehr und andere weniger. Bei feministischer Stadtplanung (“Gender Planning”) geht es darum, den Lebensraum an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen, die in ihm leben. Stadtplanung wurde lange Zeit für Männer von Männern gemacht, wodurch die Bedürfnisse des Großteiles der Nutzer*innen kaum berücksichtigt wurden. Durch eine Stadtplanung, die sich stärker an den Bedürfnissen von FLINT* Personen (Frauen, Lesben, inter, nicht-binär, trans) orientiert, kann man dafür sorgen, dass sich alle Personen im öffentlichen Raum wohl fühlen. Die Kinderrechtsorganisation Plan International hat Anfang 2020 die “Safer City Maps” ins Leben gerufen. Hierbei konnten zwei Monate lang FLINT* Personen ihre Erlebnisse auf einer Online-Karte vermerken, mit dem Ziel, sichtbar zu machen wo und wie unsicher sich FLINT* Personen im städtischen Raum fühlen. Diese Übersicht zeigt, dass wir in Berlin einen weiten Weg vor uns haben, um den Stadtraum für alle Menschen fair und sicher zu gestalten.

 

Flächennutzung

 

Die Art und Weise der Nutzung von Boden oder auch Flächen auf dem Gebiet des Landes Berlin wird in Übereinstimmung mit dem Baugesetzbuch im Flächennutzungsplan des Landes Berlin beschrieben und vorgegeben. Der Flächennutzungsplan ist ein unter Beteiligung der Öffentlichkeit erstelltes und parlamentarisch legitimiertes Planungsinstrument und schafft die Voraussetzungen für die langfristige Daseinsvorsorge im gesamten Stadtgebiet Berlins.

 

Konkret gibt der Flächennutzungsplan die beabsichtigten städtebaulichen Entwicklungen vor, die sich aus den voraussehbaren Bedürfnissen ergeben. Gemeinden, Behörden und Bezirken dient er hierbei als bindende Vorgabe bei der Erstellung ihrer Bebauungspläne, da aus ihm direkt keine rechtlichen Konsequenzen folgen.  Die behördlichen Bebauungspläne entstehen immer unter Einbezug der Öffentlichkeit.

 

Grundlegend wird in den Plänen zwischen bebauten und unbebauten Flächen, gemischten, gewerblichen und Sonderbauflächen sowie Flächen für Einrichtungen des Gemeinbedarfs und der Ver- und Entsorgung sowie Verkehrswegen unterschieden.

 

Bei der Erstellung des Berliner Flächennutzungsplans werden darüber hinaus strategische Planungsziele verfolgt, die einer Nutzung der Standortvorteile der Metropole Berlin und einer nachhaltigen und klimagerechten Stadtentwicklung Rechnung tragen sollen. So ist es das Ziel, bestehenden Wohnraum im bebauten Stadtgebiet zu sichern und behutsam zu ergänzen, Arbeitsplätze in Bereichen guter öffentlicher Verkehrserschließung zu fördern, Freiräume und Grünflächen zu sichern, übergeordnete Gemeinbedarfs-Orte zu stärken und den öffentlichen Verkehr auszubauen sowie den Wirtschaftsverkehr in das Stadtgefüge zu integrieren.

 

Grundlegendes Problem einer jeden Betrachtung der Flächennutzungspläne bzw. einer Auswertung der Flächennutzungs- und Bebauungspläne ist, dass es zu diesen keine zugänglichen Daten gibt, die auf genderspezifische Aspekte eingehen und die die Nutzung der einzelnen Flächen durch verschiedene gesellschaftliche Gruppe darstellen.

 

Auffällig ist außerdem, dass die Sicherheit von FLINT* Personen, sowie Aspekte der Barrierefreiheit, keine besondere Beachtung im Rahmen der Erstellung der Flächennutzungspläne finden, da diese nur sehr undifferenziert von „Flächen für Einrichtungen des Gemeinbedarfs“ sprechen. Darüber hinaus werden diese Aspekte auch nicht in den strategischen Planungszielen mitgedacht, weshalb sie auch bei der weiteren Ausgestaltung der ausgeschriebenen Flächen keine Rolle spielen.

 

Wir fordern: 

 

  • Die Einführung eines Beteiligungsverfahrens zu der Erstellung der Bebauungspläne, durch welches sichergestellt werden muss, dass die bezirklichen Frauen-, Gleichstellungs- und Seniorenbeauftragten, sowie Frauenhäuser und Jugendämter eingebunden werden und Einfluss auf die Ausgestaltung der Bebauungspläne nehmen können.
  • Die Aufnahme der Aspekte der Barrierefreiheit, der Sicherheit von FLINT* Personen sowie der Repräsentation verschiedener Gruppen im städtischen Sozialgefüge in die Reihe der strategischen Planungsziele.
  • Die Entwicklung eines Konzeptes zur Stärkung der Anliegen und Bedürfnisse von FLINT*Personen im Rahmen der Bauleitplanung bei gleichzeitiger Beachtung der bezirklichen Autonomie.
  • Die paritätische Besetzung von Jurys in städtebaulichen Wettbewerben und architektonischen Wettbewerbsverfahren. Außerdem müssen weiblich geführte Architekturbüros oder Wettbewerbsvorschläge, an denen FLINT* Architekt*innen mitgewirkt haben, bei der Vorauswahl paritätisch berücksichtigt werden.

Öffentliche Nutzflächen

 

Die Gestaltung des öffentlichen Raums beeinflusst dessen Nutzbarkeit durch verschiedene Interessensgruppen und damit deren Alltag erheblich und hat daher so zu erfolgen, dass möglichst unterschiedliche Nutzungsansprüche erfüllt werden können. Im Folgenden wird besonders auf öffentliche Freiflächen eingegangen. Dies schließt öffentliche Straßenräume, öffentliche Plätze, öffentliche Parkanlagen und weitere Freiflächen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, ein.

 

Unabhängig von Mobilitätsansprüchen und der vorausgehenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung sollen hier besonders Detaillösungen betrachtet werden (Aufenthalts- und Nutzungsqualität), die spezifischen Zielgruppen den Alltag erleichtern können und somit Inklusion fördern. Obwohl Berlin bereits seit 2002 Gender Mainstreaming in der Stadtentwicklung auf der Agenda hat und der Fachfrauenbeirat schon in einige Projekte miteinbezogen wird, gilt es jetzt Gender Mainstreaming in der Stadtentwicklung von Einzelprojekten flächendeckend auf den öffentlichen Raum anzuwenden.

 

Der öffentliche Raum nimmt sowohl eine Kompensations- als auch Integrationsfunktion ein. Die Kompensationsfunktion soll soziales und sozioökonomisches Ungleichgewicht kompensieren. Dies erfolgt beispielsweise dadurch, dass Personen, denen kein Garten zur Verfügung steht, eine Freifläche für Sport, Spiel und Bewegung angeboten wird. Durch die Corona-Krise wird deutlich, wie wichtig diese Funktion des öffentlichen Raums ist, da viele private Einrichtungen nicht mehr zugänglich sind. Die Bedeutung öffentlicher Spielplätze für Kinder und Familien wächst mit der Schließung von Kitas und Schulen. Durch die Schließung von Konsumstätten, wie Restaurants und Bars oder Sportzentren, Fitnessstudios und Schwimmbädern ist der Druck auf das Angebot des öffentlichen Raums zusätzlich gewachsen. Häufig finden FLINT* Personen in solchen privaten Aufenthaltsstätten besonderen Schutz. So bietet die Berliner Bar und Clubszene für viele FLINT* Personen „safe spaces“, die der öffentliche Raum so nicht bietet. Ein weiteres durch die Corona-Krise verstärktes Problem, für das die Kompensationsfunktion des öffentlichen Raums ein Teil der Lösung darstellen könnte, ist häusliche Gewalt. Viele Menschen erfahren in Berlin und Deutschland häusliche Gewalt, davon sind vor allem Kinder und FLINT* Personen betroffen. Frauen stellen 81% der Opfer dieser Form von Gewalt dar. Wenn Schulen, Kitas und Freizeiteinrichtungen geschlossen sind und die Arbeit aus dem Homeoffice stattfindet, können Betroffene aus schwierigen oder bedrohlichen Situationen Zuhause schlechter entkommen. Wenn der öffentliche Raum jedoch so gestaltet ist, dass Menschen hier Zuflucht finden und Kontakt zu anderen Personen aufnehmen, können Risikosituationen teilweise reduziert werden.

 

Die Integrationsfunktion geht weiter als das bloße Angebot der Fläche und soll so gedacht werden, dass die Gestaltung möglichst viele Ziel- und Interessensgruppen im öffentlichen Raum integriert. Dafür müssen öffentliche Räume angstfrei (subjektiv als auch objektiv sicher), barrierefrei und möglichst divers nutzbar, gestaltet sein.

 

Um subjektive Sicherheit im öffentlichen Raum zu fördern, soll eine Verminderung von Angsträumen angestrebt werden. Durch die Adressierung physischer (bspw. Einsehbarkeit, Beleuchtung), sozialer (bspw. Anwesenheit unterschiedlicher Nutzer*innengruppen) und persönlicher Faktoren (bspw. Eigene Erfahrungen) kann gewünschte soziale Kontrolle, gute Orientierung und Einsehbarkeit gefördert werden und so das Sicherheitsgefühl gesteigert werden. Im Jahr 2019 wurden in Berlin 910 Fälle der Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexueller Übergriffe erfasst, wobei die Dunkelziffer deutlich höher ist. FLINT* Personen stellen den größten Anteil der Opfer dieser Formen von Gewalt dar. Daher muss nicht nur das subjektive Sicherheitsgefühl gesteigert werden, sondern muss faktisch dafür Sorge getragen werden, dass Berlins Straßenräume sicherer werden. Wir fordern eine strukturierte Analyse darüber, an welchen Orten besonders häufig sexualisierte Gewalttaten stattfinden, besonders gegenüber FLINT* Personen. Auf der Internetseite “Safer Cities Map” können FLINT* Personen eintragen, an welchen Orten ihnen übergriffiges Verhalten widerfährt. Bereits hier lassen sich Ballungsräume erkennen. Eine gezielte Erhebung von Daten in diese Richtung würde daher problematische Orte hervorheben, an denen dann gezielte Maßnahmen getroffen werden können, wie beispielsweise Sicherheitspersonal.

 

Barrierefreiheit als Kriterium für die Gestaltung von öffentlichen Räumen betrifft nicht nur mobilitätseingeschränkte Personen, sondern ebenso Personen mit Besorgungs- und Betreuungsaufgaben (bspw. Kinderwagen). Die Erschließung und Zugänglichkeit von Wegen und Aufenthaltsorten für hiervon betroffene Menschen muss daher im öffentlichen Raum gewährleistet sein. Daher fordern wir eine barrierefreie Zugänglichkeit zu allen Aufenthaltsorten an öffentlichen Plätzen und Parks sowie barrierefreie Straßenräume. Dies bedeutet nicht nur die Mobilität zu steigern, sondern die Erreichbarkeit und Aufenthaltsqualität von öffentlichem Raum zu garantieren. Ziel ist es, den Aufenthalts- und Mobilitätsradius aller Interessensgruppen zu erweitern.

 

Diversität in der Nutzungsmöglichkeit öffentlicher Flächen soll gewährleisten, dass die Interessen von FLINT* Personen und anderen diskriminierten Gruppen in der Gestaltung des öffentlichen Raums berücksichtigt werden. Der öffentliche Raum soll die Interessen aller Zielgruppen gleichermaßen abbilden. So haben Kinder und Jugendliche häufig ein ausgeprägteres Spiel-, Bewegungs- und Kommunikationsbedürfnis, welches häufig mit Lärm einhergeht, während andere Gruppen ein Rückzugs- und Ruhebedürfnis haben. Patriarchale Gesellschaftsstruktur und Erziehung führt dazu , dass sich Mädchen und FLINT* Personen im öffentlichen Raum häufig unwohler fühlen als andere Gruppen. Eine andere Strukturierung öffentlicher Räume, z.B. in Form von in kleinere Bereiche unterteilter Parkanlagen, hat gezeigt, dass sich dadurch nicht nur die Anzahl von Mädchen und FLINT* Personen im öffentlichen Raum (bspw. Parkanlagen, Sportplätze, Spielplätze), sondern auch die Zahl diverser „informeller Aktivitäten“ anderer Nutzer*innengruppen steigert. Dies zeigt, dass neben FLINT* Personen und Mädchen ebenso andere Interessensgruppen von Gender Mainstreaming in der Stadtplanung profitieren.

 

Öffentliche Straßenräume beinhalten Fußgängerzonen, Einkaufsstraßen, Haupt- und Nebenstraßen, wobei der Fokus bei der Betrachtung öffentlicher Räume nicht auf Mobilität, sondern Aufenthalts- und Nutzungsqualität liegt. Der Fokus bei der Betrachtung öffentlicher Plätze liegt hier besonders auf öffentlichen Plätzen im Straßenraum.

 

Typische Methoden, um subjektiv sichere Straßen und öffentliche Plätze zu gestalten sind die klare Abgrenzung von öffentlichen und privaten Räumen, Belebung der Straße
 durch Erdgeschossnutzung und Fenster von Wohn- und Geschäftsgebäuden ausgerichtet zum Straßenraum (social eyes). Außerdem verbessert eine breitere Gestaltung von Fuß- und Gehwegen nicht nur die Mobilität, sondern auch das Sicherheitsgefühl, da Abstand gehalten werden kann und man nicht der direkten Konfrontation mit entgegenkommenden Personen ausgesetzt ist. Öffentliche Plätze sollen eine Integrationswirkung ausstrahlen und sind flexibel und nutzungsoffen zu gestalten. Dazu tragen Sicherheitsgefühl, eine gute Orientierung und Übersichtlichkeit und Barrierefreiheit bei. Wir fordern, dass diese Kriterien standardmäßig bei Neubau- und Umbauprojekten verbindlich erfüllt werden müssen.

 

Öffentliche Parkanlagen schließen freie Flächen, Sportplätze sowie Spielplätze mit ein. Außerdem können einige hier vorgebrachte Probleme und Detaillösungen auch auf Naherholungsgebiete und Kleingartenkolonien angewandt werden. Es gibt eine Vielzahl an Faktoren, die bei der Planung dieser Flächen berücksichtigt werden sollten. Darunter fallen beispielsweise die räumliche Struktur, Sicherheitsgefühl, Aktivitätsspektrum unterschiedlicher Nutzer*innen und empfehlenswerte Rahmenbedingungen.

 

Die räumliche Struktur muss ein differenziertes Raumkonzept sein mit funktionalisierten Zonen, die nutzungsoffen und vielseitig nutzbar und durch ein klares Wegenetz verbunden sind. Durch die Gliederung in Teilräume nehmen sowohl mehr Mädchen und FLINT* Personen am Leben in öffentlichen Parkanlagen teil als auch andere diskriminierte Gruppen. Die Gliederung in Teilräume kann durch die Ausgestaltung von Grenzen und optischen Anlaufpunkten wie Sitzmöbeln, Sport- oder Spielgeräten erfolgen. Wir fordern, dass besonders Fitnessanlagen und Sportplätze gezielt für FLINT* Personen bereitgestellt werden und auch deutlich so markiert werden.

 

Für das Sicherheitsgefühl ist eine gute Orientierung und Einsehbarkeit, die mit sozialer Kontrolle einhergeht, obligatorisch. Damit dies auch in der Dämmerung oder bei Dunkelheit gewährleistet ist, muss genügend Beleuchtung garantiert sein. Besonders Frauen leiden unter der Angst vor Übergriffen und können so nicht das volle Aktivitätsspektrum ausschöpfen. Beispielsweise nutzen weniger Frauen die Abendstunden, um im Park joggen zu gehen, wenn dieser nur schlecht beleuchtet ist. Daher fordern wir die Erarbeitung einer Beleuchtungsstrategie für Parkanlangen und Naherholungsgebiete, die sowohl Angsträume beseitigt, als auch die Umwelt schützt. Außerdem verhindert eine ausreichende Ausstattung mit Sanitäranlagen und gute Zugänglichkeit von Toiletten, dass besonders Mädchen und FLINT* Personen, sich für den Toilettengang in dunkle und schlecht einsehbare Ecken zurückziehen müssen. Deshalb wird im gesamten öffentlichen Raum der barrierefreie Zugang zu Toiletten gefordert. Diese Forderung geht damit einher, dass bei der Planung öffentlicher Toiletten mehr Fläche für Toiletten für FLINT* Personen bereitgestellt wird, da diese mehr auf die Nutzung öffentlicher Toiletten angewiesen sind. Wir fordern, dass im Rahmen einer Kampagne der Stadt Berlin außerdem ein Modell ähnlich dem Konzept “Die Netten Toiletten” eingeführt wird. Hier können Gaststätten einheitliche Sticker an ihren Türen anbringen, die signalisieren, dass dort die Toilette genutzt werden kann. Des Weiteren fordern wir, dass FLINT* Personen nicht weiterhin durch kostenpflichtige Toiletten diskriminiert werden, wenn Männertoiletten kostenlos bereitgestellt werden. Männertoiletten müssen ebenso wie Toiletten für FLINT* Personen mit Wickeltischen ausgestattet werden. Auch ist zu gewährleisten, dass geschlechtsneutrale Toiletten bereitgestellt werden, um nicht-binären Personen einen sicheren Raum für den Toilettengang zur Verfügung zu stellen. Um der Umsetzung dieser Forderungen Sorge zu tragen, fordern wir abschließend, dass öffentliche Toiletten auch an hoch frequentierten Räumen staatlich gemanagt werden.

 

Öffentliche Parkanlagen sollen ein breites Spektrum an Aktivitäten bieten. Ein diverses Angebot von Spielmöglichkeiten, wie wegbegleitende und integrative Spielgeräte und Sportmöglichkeiten, wie offen und multifunktional angeordnete Ballspielflächen, soll zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, dass Spielgeräte zum einen den Nutzungsanspruch von Mädchen erfüllen und zum anderen gegendert sind, damit sich diese ebenso angesprochen fühlen wie Jungen (Beispiel: Pirat*innenschiff). Teilbereiche sind möglichst in Sichtbeziehung anzuordnen, besonders Hauptaufenthaltsorte von Mädchen sollen gut einsehbar sein. Neben einem breiten Aktivitätsspektrum sollen auch Rückzugsbereiche vorhanden sein. Wir fordern die Umsetzung dieser nutzer*innenspezifischen Gestaltungsrichtlinien bei einer Umgestaltung oder Neugestaltung von Parkanlagen zusätzlich zu der Partizipation von Bürger*innen auf Bezirksebene im Planungsprozess.

 

Berlin hat im Bereich Gender Mainstreaming schon viele Pilotprojekte erfolgreich umsetzen können, die beispielsweise in dem Handbuch „Gender Mainstreaming in der Stadtentwicklung“ von 2011 vorgestellt werden. Obwohl dieses Handbuch einige sehr relevante Aspekte von Gender Planning enthält, ist die Umsetzung dieser Leitlinie bisher nicht verbindlich. Wir fordern daher ein auf Grundlage dieses Handbuches ausgearbeitetes Leitbild zu Gender Mainstreaming in der Stadtentwicklung, das von den Bezirken bei Neubauprojekten verbindlich anzuwenden ist und tiefer geht als die seit 2005 anzuwendende „Gender-Checkliste“. Da auf Bezirksebene die Ausführung und Detaillösungen für neue Bauvorhaben beschlossen werden, muss zudem gewährleistet werden, dass hier Bürger*innen aktiv im Planungsprozess partizipieren und ihre Nutzungsansprüche einbringen können.

 

Wir fordern: 

  • Eine strukturierte Datenerhebung und -analyse darüber, an welchen Orten besonders häufig sexualisierte Gewalttaten stattfinden, besonders gegenüber FLINT* Personen
  • Barrierefreie Zugänglichkeit zu allen Aufenthaltsorten an öffentlichen Plätzen und Parks sowie barrierefreie Straßenräume
  • Klare Abgrenzung von öffentlichen und privaten Räumen, Belebung der Straße durch Erdgeschossnutzung und Fenster von Wohn- und Geschäftsgebäuden ausgerichtet zum Straßenraum (social eyes), um die subjektive Sicherheit zu erhöhen
  • Nutzungsoffene und flexibel gestaltete öffentliche Plätze, die eine Integrationswirkung ausstrahlen
  • Fitnessanlagen und Sportplätze, die gezielt für FLINT* Personen bereitgestellt werden und auch deutlich als solche markiert sind
  • Ausreichende Beleuchtung von öffentlichen Plätzen, Straßenräumen, Parkanlagen und Naherholungsgebieten
  • Toiletten im öffentlichen Raum
    • Im gesamten öffentlichen Raum barrierefreien Zugang zu Toiletten
    • Bei der Planung öffentlicher Toiletten mehr Fläche für Toiletten für FLINT* Personen, da diese mehr auf die Nutzung öffentlicher Toiletten angewiesen sind
    • Eine Kampagne der Stadt Berlin, die ein Modell ähnlich dem Konzept “Die netten Toiletten” einführt, bei dem Gaststätten einheitliche Sticker an ihren Türen anbringen können, die signalisieren, dass bei diesen die Toilette genutzt werden kann
    • und im Gegenzug eine geringfügige Aufwandsentschädigung erhalten
    • Die kostenlose Bereitstellung von öffentlichen Toiletten für FLINT* Personen, wenn Männertoiletten kostenlos bereitgestellt werden
    • Die Ausstattung von Männertoiletten mit Wickeltischen
    • Die Bereitstellung von geschlechtsneutralen Toiletten, um nicht-binären Personen einen sicheren Raum für den Toilettengang zur Verfügung zu stellen
    • Das staatliche Management von öffentlichen Toiletten, um die vorausgehenden Forderungen kontrolliert umsetzen zu können
  • Öffentliche Parkanlagen, die ein breites Aktivitätsspektrum bedienen bzgl. Spiel- und Sportmöglichkeiten abbilden und die Unterteilung von Parkanlagen in viele Teilbereiche, die in einer übersichtlichen Wegevernetzung und Sichtbeziehung angeordnet sind
  • Ein ausgearbeitetes Leitbild zu Gender Mainstreaming in der Stadtentwicklung auf Landesebene, das von den Bezirken bei Neubauprojekten verbindlich anzuwenden ist und tiefer geht als die seit 2005 anzuwendende „Gender-Checkliste“
  • Die aktive Partizipation und das Vortragen von Nutzungsansprüchen von
     Bürger*innen im Planungsprozess von Bauvorhaben auf Bezirksebene

 

Mobilität

 

Mobilität bedeutet die Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Schon aus einem demokratischen Anspruch heraus muss sie allen zugänglich sein und ist Teil einer sozialen Daseinsvorsorge.

 

In Berlin werden, sowie in nahezu allen Städten, Verkehrs- und Mobilitätsdaten nicht nach Geschlecht differenziert. Eine Bundesweite vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebene Studie aber zeigt, noch immer legen Männer weniger und dafür längere Strecken zurück, Frauen hingegen viele kurze Wege. Im Bundesverkehrsministerium kann man mit diesen Daten allerdings offenbar nur wenig anfangen. Diese Daten erfahren scheinen bisher keine Berücksichtigung vom Bundesverkehrsministerium. Deutschland hatte bisher noch nie eine Bundesverkehrsministerin. 2019 startete das Bundesverkehrsministerium eine Kampagne, in der sich Frauen in Fahrradhelm und Spitzenunterwäsche auf einem Bett räkeln. Das ist das Gegenteil von feministischer Verkehrspolitik.

 

Es müssen ausreichend geschlechtsspezifische Verkehrs- und Mobilitätsdaten erfasst werden, denn diese Informationen sind entscheidend um ein Verkehrssystem zu planen, dass allen gleichermaßen dient. Die Wege von FLINT* Personen sind deutlich komplizierter als die von Männern. Während sie in der Regel und häufig mit dem Auto ihren Arbeitsweg zurücklegen, also morgens in die Stadt und abends wieder hinausfahren, umfasst der Alltag von FLINT* Personen meist viele kurze Wegstrecken. Teilzeitbeschäftigung ist ein überwiegend weibliches Phänomen und FLINT* Personen erledigen 75% der weltweiten Care-Arbeit. Das beeinflusst ihre Bedürfnisse bei der Fortbewegung. FLINT* Personen gehen im Allgemeinen weiter und länger zu Fuß. Zum Teil wegen ihrer Care-Aufgaben, aber auch, weil sie im Durchschnitt ärmer sind und seltener ein eigenes Auto besitzen.

 

Zu Fuß Gehende sind die am wenigsten geschützten und langsamsten Verkehrsteilnehmer. FLINT* Personen haben durchschnittlich weniger Zeit und haben als zu Fuß gehende auch noch die längsten Wege. Eine Planung, die sich auf den Autoverkehr fokussiert und Fußgängerwege lediglich um diesen herumbaut, führt zu räumlicher Diskriminierung und Zeitenteignung. Zu Fuß gehende brauchen direkte und durchgehende Wege und mehr Querungsmöglichkeiten an von Autos dominierten Straßen. Die Wege von Zu Fuß Gehenden dürfen bei der Planung nicht hinter anderen Verkehrsteilnehmern anstehen, sondern müssen vorrangig beachtet werden. Um zu verhindern, dass die Wege der Fußgänger*innen durch Falschparker*innen gefährdet oder behindert werden, müssen diese verstärkt geschützt werden, weshalb wir eine erhöhte Kontrolle und Ahndung von Parksündern, vor allem rund um Wohngebiete, Kitas, Einkaufsläden, Schulen und Krankenhäusern fordern. Wo ohne Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer*innen möglich, sollen bauliche Maßnahmen zum Schutz vor Falschparker*innen getroffen werden. Andernfalls werden bestehende Ungleichheiten verstärkt. Ampelzeiten für Fußgänger*innen sind, wo dies notwendig ist, zu verlängern, um denjenigen Zeit zu geben, die dem Tempo der Stadt nicht schritthalten können. Die Bedürfnisse von zu Fuß Gehenden sind bei der Ampelschaltung vorrangig mit denen von Autofahrer*innen zu werten.

 

Flächengerechtigkeit bedeutet auch breitere Gehwege. Sie sind besonders wichtig für
 jene, die mit einem Kinderwagen oder weiteren Kindern unterwegs sind, einen Rollstuhl
 oder Rollator benutzen. Bei der Planung von neuen Wegen muss außerdem auf sichere
 Bodenbeläge geachtet werden. Pflastersteine mögen zwar schön aussehen, aber sie
 erschweren vielen, insbesondere älteren Menschen, die auf Gehhilfen angewiesen sind,
 den Alltag.

 

Barrierefreiheit kommt bei der Stadtplanung stets gleich mehreren Gruppen zugute. So sind abgeflachte Bordsteinkanten für Rollstuhlfahrer*innen, für Ältere und für Menschen, die mit Kinderwagen unterwegs sind, wichtig. Treppen dürfen keine Fortbewegungshindernisse darstellen und müssen um Rampen ergänzt werden. Auch bei Baustellenführungen muss auf barrierefreie Wege geachtet werden. Damit Wege von allen Menschen genutzt werden können, sind Orientierungshilfen, vorrangig an besonders gefährlichen Stellen, zu erbauen und bei zukünftigen Bauplanungen stets zu integrieren.

 

Zu Fuß Gehende brauchen einen besonderen Schutz, denn sie sind im Straßenverkehr die Verletzbarsten. Ausreichende Beleuchtung an allen Gehwegen verbessert nicht nur das Sicherheitsgefühl von FLINT* Personen und allen, die auf der Straße Opfer von Übergriffen werden, sondern beugen auch Unfälle vor. Bei der Planung von Gehwegen sollte zukünftig darauf geachtet werden, dass diese durch belebte Gegenden führen. Die „dunkle, abgelegene Gasse“ ist für viele, insbesondere FLINT* Personen, keine Alternative und somit kein angemessener Fußgängerweg. Zu Fuß Gehende brauchen auch einen besonderen Wetterschutz, in Form von funktionierender Entwässerung und Sonnenschutz. Mehr Bäume und weniger versiegelte Flächen in der Stadt haben dabei gleich mehrere Nutzen. Beim Schneeräumen sind Fußwege zu priorisieren.

 

Die wenigen verfügbaren Daten zur Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs zeigen, dass dieser überwiegend von FLINT* Personen genutzt wird. In Frankreich etwas sind zwei Drittel der Fahrgäste im ÖPNV FLINT* Personen. Politische Entscheidungen, die das Autofahren gegenüber dem ÖPNV attraktiver und günstiger machen, treffe somit vor allem FLINT* Personen. Obwohl die meisten Fahrgäste in Bussen FLINT* Personen sind, entsprechen ihre Fahrpläne dagegen meist den Bedürfnissen von Männern. Wie in vielen Städten ist auch das Berliner Verkehrsnetz eher strahlenförmig aufgebaut und entspricht somit nicht den Bedürfnissen von Frauen* mit ihren vielen, kurzen Wegen. Orthogonal verlaufende Buslinien, also wie ein „Spinnennetz“, werden diesen eher gerecht und sind daher anzustreben. Auch an weniger stark frequentierten Orten müssen Busse fahren, Dort sind vermehrt Kleinbusse einzusetzen.

 

Bei der Auswahl von Bushaltestellen ist besonders auf die Nähe zu Kindergärten, Schulen, Supermärkten, Apotheken und Krankenhäusern zu achten. Haltestellen sollten vorzugsweise an belebten Orten, Gebäuden und Eingängen liegen. Wichtige Kriterien für Haltestellen sind, dass sie hell, einsehbar, sicher und wettergeschützt sind.

 

Während der Nachtstunden fordern wir flexible Haltemöglichkeiten. So können längere Fußwege vermieden werden. Im öffentlichen Raum fühlen sich FLINT* Personen vor allem nachts unsicherer als Männer, was zur Einschränkung der Mobilität von FLINT* Personen führt. Fast jede zweite Frau fühlt sich nachts sowohl in Bussen und Bahnen unsicher, daher fordern wir zusätzlich den Einsatz von Nachttaxen für FLINT* Personen. FLINT* Personen sollen in Berlin zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr bei jeder Taxifahrt einen städtischen Zuschlag erhalten. Vorbildcharakter hat München, wo es dieses Angebot bereits gibt. Eine enge Zusammenarbeit der Stadt Berlin mit den Taxiunternehmen ist eine wichtige Voraussetzung zur erfolgreichen Umsetzung des Projekts. Die Anstellung weiblicher Taxifahrer*innen ist zu fördern, ein Konzept für sichere Taxifahrten für FLINT* Personen zu erarbeiten.

 

Berlins S- und U-Bahnstationen sind noch immer nicht alle barrierefrei.  Aktuell sind bei der U-Bahn rund 80 Prozent der Bahnhöfe mit Aufzügen ausgestattet. Bei der S-Bahn sind innerhalb Berlins mehr als 93 Prozent der Haltestellen barrierefrei. Wir fordern 100% bis 2025 und unterstützen das Pilotprojekt Mobilitätsgarantie, welches bei Ausfall von Fahrstühlen oder da, wo sie noch nicht vorhanden sind, mit einem Shuttle Service aushelfen soll.

 

Bei der zukünftigen Planung von weiteren U- und S-Bahnstationen und -linien sind geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Fortbewegung zu beachten. Bestehende Haltestellen sind sicherer und attraktiver zu gestalten. Wir fordern an allen Stationen eine ausreichende Beleuchtung und digitale Anzeigetafeln. Außerdem eine stärkere Präsenz von Personal, vor allem in den Nachtstunden.

 

Weiter fordern wir in Berlins Bahnen und Bussen die verstärkte Kontrolle und Durchsetzung des Alkoholverbots. Alkoholkonsum mindert die Impulskontrolle von Menschen und trägt somit erheblich zur Entstehung von Bedrohungssituationen bei. Der Konsum von Alkohol im ÖPNV macht diesen für jene unattraktiver, die auf ihn im Alltag angewiesen sind und trägt zu dessen Verschmutzung bei. Das Verbot muss konsequent kontrolliert werden.

 

Nicht zuletzt hat die Corona-Krise gezeigt, wie wichtig der Fahrradverkehr in Berlin ist, wenn die Nutzung des ÖPNV wegfällt. 40% der FLINT* Personen benutzen das Fahrrad täglich bzw. mehrmals die Woche. Die Zahl der Fahrradfahrer*innen weiter an und muss dementsprechend auch noch mehr in den Fokus der Berliner Verkehrspolitik rücken. Während die Anzahl der Pkw in Berlin weiter steigt, ist Studien zufolge lediglich ein Drittel der derzeit 1,2 Mio. Autos wirklich nötig, um die Bedürfnisse der Berliner*innen zu erfüllen. Mit dem Mobilitätsgesetz haben wir 2018 in Berlin bereits einen guten Schritt in die richtige Richtung getätigt, jedoch spielt die Gleichstellung der Geschlechter nur minimal eine Rolle.  Fahrradfahrer*innen sind mitunter die vulnerabelsten Verkehrsteilnehmer*innen und bedürfen besonderen Schutz.
Am häufigsten wird das Rad von FLINT* Personen für kurze Erledigungen bzw. zum Einkaufen genutzt. Um dies mit dem Fahrrad sicher erledigen zu können, benötigen wir eine bessere räumliche Trennung zwischen Radfahrer*innen, PKW-Fahrer*innen und Fußgänger*innen im vorhandenen Verkehrsraum. Vom Straßenverkehr abgegrenzte und farblich markierte Fahrradwege müssen konsequent und bezirksübergreifend umgesetzt werden.

 

Um die Nutzung des Fahrrads für die täglichen Erledigungen attraktiver zu gestalten, benötigen wir ausreichend sichere, gut beleuchtete und wettergeschützte Fahrradabstellanlagen vor allem bei Kitas, Kindergärten, Schulen, Einkaufsläden, Apotheken und Krankenhäuser. In besonders belebten Bereichen der Stadt fordern wir mehr finanzielle Mittel der Bezirke für die Planung von Fahrradparkhäusern. Um die Sicherheit der Nutzer*innen zu gewährleisten, müssen Fahrradparkhäuser mit ausreichend erreichbaren Alarmknöpfen ausgestattet werden.

 

Mit dem Ziel, die Parkplatzsituation an die wachsende Anzahl von – vor allem bei jungen Familien beliebten – Lastenrädern anzupassen, fordern wir die verpflichtende Installation von Lastenradparkplätzen überall dort, wo bereits Parkplätze vorhanden sind. Außerdem fordern wir bei der zukünftigen Planung von Radwegen und Fahrradparkplätzen die Berücksichtigung von E-Fahrrädern und Sonderbau-Fahrrädern. Sowohl Handfahrräder, Rollstuhlfahrräder und Dreirad-Fahrräder benötigen oft mehr Platz auf den Straßen und Parkplätzen. Vor allem rund um Einkaufsläden, Apotheken und Krankenhäuser, als auch Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen gilt dies verstärkt zu berücksichtigen.

Um die sichere Fortbewegung und Teilhabe aller am Straßenverkehr zu gewährleisten, fordern wir ein allgemeines Tempolimit von 30km/h in Berlins Innenstadt.

 

Zum motorisierten Individualverkehr gehören sowohl Pkw und Krafträder als auch Mietfahrzeuge, Carsharing und Taxis. Der MIV ist trotz aller mit ihm einhergehender Probleme aktuell vor allem in Bezirken von Bedeutung, in denen tägliche Besorgungen nicht oder nur sehr schwer zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigt werden können und viele Menschen leben, die auf den MIV als Fortbewegungsmittel angewiesen sind. Um jedoch zu ermitteln, wer wirklich auf den MIV angewiesen ist und wie er genutzt wird, fehlen Studien über die tatsächliche, nach Geschlechtern differenzierte Nutzung des MIV in Berlin. So ist der derzeit einzige Anhaltspunkt die Zahl der zugelassenen Pkw, welche stark nach Bezirken variiert.

 

Um die Mobilität aller zu verbessern und Menschen, die kein eigenes Auto besitzen, Zugang zu dieser Mobilitätsform zu gewähren, fordern wir die Förderung flächendeckender Car-Sharing Modelle in ganz Berlin. Insbesondere die Außenbezirke, die bisher nicht am Angebot teilnehmen können, werden dadurch besser angebunden. Parallel dazu fordern wir die Errichtung von Mobilitätsstationen. Car-Sharing- Angebote sollen nur noch zugelassen werden, wenn sie ebenfalls auch die Gebiete außerhalb des S-Bahn-Rings abdecken.

 

In Parkhäusern und auf Parkplätzen haben sich Frauen*parkplätze im Bereich der Stadtplanung als wirkungsvolles Instrument herausgestellt, um Sicherheit und Sicherheitsempfinden im öffentlichen Raum für beide Geschlechter zu verwirklichen. Wir fordern den verstärkten Ausbau, überall dort, wo es zu wenig Frauen*parkplätze gibt und die stärkere Kontrolle dieser. Ebenso muss die Präsenz von Sicherheitspersonal in Parkhäusern ausreichend gegeben sein.

 

Wir fordern: 

  • Eine ausgeweitete Erfassung von geschlechtsspezifischen Verkehrs- und Mobilitätsdaten
  • Mehr Querungsmöglichkeiten an von Autos dominierten Straßen. Außerdem müssen verkehrsberuhigte Straßen ausgebaut werden
  • Eine erhöhte Kontrolle und Ahndung von Parksünder*innen, vor allem rund um Wohngebiete, Kitas, Einkaufsläden, Schulen und Krankenhäusern
  • Eine Verlängerung der Ampelzeiten für Fußgänger*innen , wo dies notwendig ist
  • Breitere Gehwege und die Nutzung von sicheren Bodenbelägen
  • Den flächendeckenden Ausbau von Rampen an allen Treppen
  • Mehr Orientierungshilfen an Gehwegen und Radwegen
  • Den Einsatz von Wetterschutz, in Form von funktionierender Entwässerung und Sonnenschutz auf stark frequentierten Gehwegen
  • Die Priorisierung von Gehwegen und Radwegen beim Schneeräumen
  • Den Ausbau des Busnetzes um Orthogonal verlaufende Buslinien
  • Flexible Haltemöglichkeiten der Busse in den Nachtzeiten
  • Den Einsatz von vergünstigten Nachttaxen für FLINT* Personen. Dabei soll durch eine Kooperation zwischen der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und der Innung des Berliner Taxigewerbes e.V. sichergestellt werden, dass Fahrerinnen geschult und sensibilisiert sind auf die besondere Gefahr, die für FLINT*Personen besteht, wenn sie nachts alleine reisen.
  • 100% barrierefreie S- und U-Bahnstationen bis 2025
  • Flächendeckend ausreichend Beleuchtung und digitale Anzeigetafeln an den ÖPNV- Haltestellen
  • Verstärkte Präsenz von Sicherheitspersonal in den Nachtstunden
  • Ein Alkoholverbot im ÖPNV
  • Vom Straßenverkehr abgegrenzte und farblich markierte Fahrradwege müssen konsequent und bezirksübergreifend umgesetzt werden
  • Flächendeckend sichere, gut beleuchtete und wettergeschützte Fahrradabstellanlagen
  • Mehr finanzielle Mittel für den Bau von Fahrradparkhäusern mit Alarmknöpfen
  • Die Schaffung von Lastenradparkplätzen überall dort, wo bereits Parkplätze vorhanden sind.
  • Die Berücksichtigung von Sonderbaufahrrädern (z.B. Handfahrräder) in der weiteren Planung.
  • Ein Tempolimit von 30km/h für den gesamten Innenstadtverkehr
  • Die Förderung von stationären Carsharing-Angeboten in den Außenbezirken
  • Die weiter Schaffung von neuen Frauenparkplätzen, überall dort, wo es zu wenige gibt und die verstärkte Kontrolle

 

Sicherheit im öffentlichen Raum

 

Für FLINT* Personen stellt der öffentliche Raum aufgrund von alltäglicher sexualisierter Gewalt einen Hürdenlauf da. Ein subjektives Unsicherheitsgefühl auf dem Heimweg oder bei Dunkelheit gehört für viele Betroffene zum Alltag. Leider kommt es immer wieder zu Vorfällen, die dieses Gefühl bestätigen. In einer Stadt sollten sich Personen egal welchen Geschlechtes zu jeder Tageszeit sicher fühlen. Dafür lassen sich neben entsprechenden Beleuchtungskonzepten weitere Maßnahmen treffen.

 

Die Schaffung von Safe Spaces ist wichtig, da hierdurch Betroffene im Fall einer akut bedrohlichen Situation im öffentlichen Raum Ansprechpartner*innen und sichere Orte zur Verfügung haben. Dies kann beispielsweise durch Programme wie „Luisa ist hier“ (entwickelt in Münster) garantiert werden. Gastronomiebetrieben und Geschäften wird die Möglichkeit zu einer Personalschulung gegeben, welche darauf abzielt, Personal auf den Umgang mit Personen in einer bedrohlichen Lage vorzubereiten. Betroffene können sich beispielsweise mit der Frage „Ist Luisa hier?“ an Thekenpersonal wenden, welches die betroffene Person dann aus der Situation begleitet und bei Bedarf Hilfe organisiert. Wir fordern ein solches Programm zur Schaffung sicherer Orte im öffentlichen Raum auch für das Land Berlin zu entwickeln. Darüber hinaus fordern wir die Entwicklung und Umsetzung von Schutzkonzepten für FLINT* Personen in allen Einrichtungen der öffentlichen Hand.

 

Wir benötigen eine App für mehr Sicherheit auf dem Heimweg. Denn insbesondere der Heimweg bei Dunkelheit gehört für viele Menschen zu den gravierendsten Unsicherheitsfaktoren in ihrem Alltag. Heimweg-Apps können eine Möglichkeit darstellen das Unsicherheitsgefühl zu verringern und schnelle Hilfe in Notsituationen zu garantieren. Dort können Personen angeben, wenn sie sich auf dem Heimweg befinden und im Notfall einen Notruf auslösen, der dann an Privatkontakte oder Sicherheitsbehörden inklusive des Aufenthaltsortes verschickt wird. Wir fordern die Förderung der Entwicklung einer solchen Heimweg-App durch das Land Berlin. Allgemein sollte sich die Smart-City-Strategie der Stadt Berlin mit dem Einsatz digitaler Technologien zur Förderung der Sicherheit von FLINT* Personen im öffentlichen Raum befassen. Dabei muss absolut sichergestellt sein, dass der Zugriff auf diese Bewegungsdaten durch Dritte nicht möglich ist.

 

Wir fordern:  

  • Die Etablierung eines Programms zur Schaffung von Safe Spaces im öffentlichen Raum, in der Gastronomie sowie im Einzelhandel
  • Die Entwicklung von Schutzkonzepten für FLINT* Personen in allen Einrichtungen der öffentlichen Hand
  • Die Entwicklung einer Heimweg-App durch das Land Berlin
  • Die Einbindung der Sicherheitsbedürfnisse von FLINT* Personen in die Smart-City- Strategie der Stadt Berlin

 

 

Barrierefreiheit

 

Nur eine barrierefreie Stadt ist auch eine Stadt für alle. Barrierefreiheit ist nicht nur für Menschen mit Behinderungen wichtig, sondern auch für ältere und hochaltrige Menschen, Menschen mit Kindern oder Menschen, die ältere oder pflegebedürftige Personen versorgen. Intersektionale feministische Stadtplanung muss dafür sorgen, dass mehrfach diskriminierten Menschen ein gleichberechtigter Zugang ermöglicht wird.

 

Die Stadt Berlin hat mehrere Handbücher und Richtlinien für eine barrierefreie bzw. barrierearme Bauweise erstellt, die sehr detailliert auf die Bedürfnisse von behinderten oder bewegungseingeschränkten Menschen eingehen. Doch die Realität vor unserer Haustür sieht oft anders aus. Bei der Planung von neuen Quartieren, Kiezen und Neubauvorhaben können aktuelle Barrierefreiheitsrichtlinien gut eingehalten werden. Der barrierefreie Umbau von existierenden öffentlichen Räumen, Gebäuden oder der Transportinfrastruktur lässt zu wünschen übrig. Auch wenn die Betreiber*innen des Öffentlichen Personennahverkehrs bemüht sind, ihre Transportmittel barrierefrei zu machen, so ist der Abstand zwischen Bahn und Bahnsteigkante immer noch ein Hindernis, das Rollstuhlfahrer*innen oft nicht ohne Hilfe überwinden können. Öffentliche Gebäude und Plätze müssen gut ausgeschildert sein und sind oft nur an die Bedürfnisse von normal Gehenden angepasst. Auch Stadtpläne und Fahrinformationen sind für Menschen mit einer niedrigeren Augenhöhe oft nicht nutzbar. Vor allem in älteren Stadtteilen besteht oft ein Konflikt zwischen Barrierefreiem Umbau und Denkmalschutz. Es muss jedoch gewährleistet sein, dass mindestens die Hotspots barrierefrei erreichbar und miteinander vernetzt sind. Menschen mit körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen müssen Altstädte so zugänglich gemacht werden, dass eine Aufenthaltsqualität auch ohne Hilfe möglich ist. In Einkaufszonen häufen sich Werbeschilder und Fahrräder auf den Gehwegen und schränken den Bewegungsraum zusätzlich ein.

 

Sehbehinderte und Blinde Menschen sehen nicht das Gleiche, werden aber in einen Topf geworfen. Sie stellen unterschiedliche Anforderungen an den öffentlichen Raum. Vor allem sehbehinderte und blinde FLINT* Personen mit und ohne Kinder werden damit in eine Situation gebracht, in der sie sich zwingend Hilfe holen müssen und ggf. von sehenden Menschen diskriminiert werden. Damit sich Menschen mit Sehbehinderungen gefahrlos und ohne Hilfe im öffentlichen Raum bewegen können, muss Sichtbares besonders gut sichtbar sein.

 

Für Blinde muss Sichtbares hör- und/oder tastbar sein. Das lässt sich beispielsweise durch tastbare Orientierungselemente umsetzen, aber auch hörbare Ampelsignale, tastbare Beschriftungen und gut hörbare Durchsagen.

 

Es ist kein Geheimnis, dass die Bevölkerung immer älter wird. 2019 waren laut Angaben des Statistischen Bundesamts 72,9 % der über 90-Jährigen in Deutschland Frauen*. Hochaltrigkeit ist also vor allem weiblich*. Ältere und Hochaltrige Menschen haben besondere Bedürfnisse bezüglich Barrierefreiheit. Insbesondere ältere und hochaltrige Menschen mit Uterus und mit urologischen Einschränkungen benötigen eine gut ausgebaute, gepflegte, kostenlose und gut erreichbare Toiletteninfrastruktur. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat mit ihrer Checkliste zu „age friendly cities“ einen Leitfaden bereitgestellt, mit denen öffentliche Räume altersfreundlich umgestaltet werden können. Ein altersfreundlicher Umbau von Kommunen bedeutet eine längere Selbstständigkeit und Autonomie für ältere und hochaltrige Menschen, mit denen auch ein verringerter Bedarf an professioneller Unterstützung verbunden sein kann.

 

Wir fordern:  

  • Hinweisschilder und Notausgangkennzeichnungen müssen auf Augenhöhe für alle Menschen in dieser Stadt gebracht werden
  • Barrierefreier Umbau von denkmalgeschützten öffentlichen Räumen
  • Beim Neubau von Quartieren muss auf ausreichend breite Gehwege geachtet werden, während auf bestehenden Wegen ein Verbot für das Aufstellen von Werbeschildern gelten muss. Für Fahrräder sind gesonderte Abstellflächen bereitzustellen, beispielsweise durch die Umwidmung einzelner Parkplätze Im öffentlichen Raum müssen genügend Kontraste geschaffen, Informationen gut lesbar gemacht und für gute Beleuchtungsverhältnisse gesorgt werden
  • Hindernisse, z.B. Dekoelemente auf dem Boden oder Blumentöpfe, müssen gut sichtbar, hörbar oder fühlbar gekennzeichnet werden
  • Die Sicherstellung von gut tastbaren und hörbaren Orientierungselementen im Straßenverkehr
  • Einen Umbau Berlins zur altersfreundlichen Kommune nach WHO Standard durch das Land Berlin. Die Bezirke können das Land bei der Identifizierung von Orten mit besonderer Dringlichkeit unterstützen
  • Die Berücksichtigung der Bedürfnisse älterer und hochaltriger Menschen bei der Stadtentwicklung, z.B. Fußgängerüberwege für langsam Gehende, spezielle Angebote, gepflegte Toiletteninfrastrukturen und Sitzmöglichkeiten in Parks und Einkauf-Hotspots

Antrag 92/I/2021 Zentrales Mahnmal mit Dokumentationszentrum in Berlin zur Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen

18.03.2021

Die deutschen Kolonialverbrechen haben unzählige Opfer gefordert. Allein bei den Völkermorden an den Herero und Nama, Damara und San verloren schätzungsweise 80.000 Menschen ihr Leben. An sie erinnert bisher einzig eine Gedenktafel auf dem Neuen Garnisonsfriedhof in Berlin-Neukölln, neben einem großen Stein aus dem Jahr 1907, welcher den Soldaten der deutschen „Schutztruppen“ gedenkt, die „am Feldzuge in Südwestafrika freiwillig teilnahmen und den Heldentod starben“.

 

Diese Verbrechen wurden bisher nicht ausreichend aufgearbeitet, wie das Beispiel der Gedenktafel deutlich zeigt. In Berlin tragen Straßennamen zudem weiterhin die Namen deutscher Kolonialherren und in Museen befinden sich historische Objekte, deren genaue Herkunft ungeklärt ist und die vermutlich widerrechtlich in den deutschen Kolonien entwendet wurden. In deutschen Schulen kommt die deutsche Kolonialvergangenheit höchstens als Nebensatz vor. Veränderungen geschehen hingegen nur schleppend, was die vor kurzem beschlossene Umbenennung der M*- Straße zeigt. Bevor solche Veränderungen in Bewegung kommen, bedarf es meist erst eine Zivilgesellschaft die dies hart erkämpft. Doch wie gelingt es, ein stärkeres Bewusstsein für unsere Vergangenheit zu schaffen, wie schaffen wir es gegen das Vergessen anzuarbeiten und Verantwortung zu übernehmen?

 

Kurz gesagt: Durch Aufklärung und aktiver Erinnerungsarbeit. Wichtige Bausteine für Aufklärungsarbeit stellen neben Schulen und Universitäten auch Lern- und Gedenkstätten dar. Gedenkstätten, die zum einen durch Forschung eine stärkere thematische Sichtweise in die Lehre bringen und zum anderen innerhalb der Gesellschaft Aufklärungsarbeit leisten und einen Erinnerungsort für alle Nachfahren von Ermordeten oder Ausgebeuteten schaffen, die nun in Deutschland leben oder zu Besuch kommen. Natürlich reichen Gedenkstätten und Mahnmäler alleine nicht aus, es bedarf einer ganzen Reihe von Maßnahmen, damit sich unsere Gesellschaft der vergangenen Taten und der daraus resultierenden Verantwortung bewusst wird. Doch sind Gedenkstätten wie auch Mahnmäler dabei ein wichtiger Motor und Begleiter.

 

Dabei ist es unbegreiflich, dass es innerhalb Europas noch keine große Gedenkstätte zu den Kolonialverbrechen gibt. Gerade in Berlin, der ehemaligen Kolonialmetropole, prägen koloniale Orte das Stadtbild. Schon im 17. Jahrhundert spielte Berlin als Haupt- und Residenzstadt Brandenburgs, von seinem Stützpunkt Groß Friedrichsburg im heutigen Ghana aus, eine entscheidende Rolle im transatlantischen Versklavungshandel.
 

 

Als Hauptstadt des Deutschen Reiches und Veranstaltungsort der sogenannten „Kongo- Konferenz“ von 1884/85 stand die Stadt zudem im Zentrum europäischer Großmachtsträume, bei der die Aufteilung des afrikanischen Kontinents zwischen den Weltmächten ausgehandelt wurde und deren Auswirkungen noch heute den Alltag prägen. Weshalb es nicht nur richtig und wichtig wäre, sondern es zudem notwendig macht, eine Gedenkstätte sowie ein Mahnmal für die Kolonialverbrechen Deutschlands in Berlin zu errichten.

 

Wir erhoffen uns von eines solchen Mahnmals mit Dokumentationszentrum, dass es als Anstoß für eine (bisher verpasste) Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen dient und das Thema in die Gesellschaft trägt. Das koloniale Erbe Deutschlands muss ebenso Teil deutscher Erinnerungskultur werden, wie es beispielsweise die NS-Vergangenheit ist.

 

Die Art und Weise, wie wir mit der Vergangenheit umgehen, hat eine starke Auswirkung auf die Gegenwart und Zukunft. Das deutsche Afrika-Bild ist nach wie vor von kolonialistischen Klischees geprägt. Wie wenig Beachtung Afrika als zweitgrößter Kontinent mit über eine Milliarde Menschen in den deutschen Medien, Schulen und Öffentlichkeit spielt, ist auch darauf zurückzuführen.

 

Der gegenwärtige Rassismus in unserer Gesellschaft ermahnt uns, bisherige Ansätze zum Umgang mit unserer Geschichte, insbesondere der deutschen Kolonialzeit, zu überdenken.

 

Deshalb fordern wir, dass sich unsere Mitglieder des Abgeordnetenhauses, wie die Senatsverwaltung für Kultur und Europa sowie unsere Mitglieder des Deutschen Bundestages umgehend für die Errichtung einer zentralen Gedenkstätte bzw. eines zentralen Mahnmals, inkl. eines Lernortes und Dokumentationszentrums, der über die koloniale Verstrickungen Deutschlands informiert und an die Opfer deutscher Kolonialverbrechen erinnert, in Berlin einsetzen. Weiterhin fordern wir diese auf, Gelder sowie Aufträge dafür bereitstellen. Dabei soll mit Berliner 
Initiativen und Verbände wie bspw. Decolonize Berlin zusammengearbeitet werden und in die Prozesse miteingebunden werden.