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Antrag 50/III/2016 Kosten und Leistungen der VBB-„Monatskarte für Auszubildende/Schüler“ an das Semesterticket anpassen

22.11.2016

Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder des Abgeordnetenhaus und des Senats dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass die VBB-„Monatskarte für Auszubildende/Schüler*innen“ an den jeweilig jährlich festgelegten Preis des Semestertickets angepasst werden und darüber hinaus sämtliche Monatskarten für Auszubildende und Schüler*innen auf die Tarifbereiche ABC ausgeweitet werden.

 

Wir wollen, dass sich vor allem auch Auszubildende und Schüler*innen im gesamten VBB-Bereich Berlin ABC bewegen können und finanziell entlastet werden.

 

Mit der VBB-„Monatskarte für Auszubildende/Schüler“ haben Auszubildende und Schüler*innen im Verhältnis wesentlich höhere Kosten für den öffentlichen Nahverkehr zu tragen als Studierende. Dabei sind diese beiden Gruppen ebenso abhängig vom öffentlichen Nahverkehr.

 

Für das Sommersemester 2015 und das Wintersemester 2015/16 hatten Berliner Studierende für das Semesterticket 184,10 € zu zahlen. Im Vergleich kostet die VBB-„Monatskarte für Auszubildende/Schüler“ im Abo für sechs Monate und begrenzt auf den Geltungsbereich Berlin AB 267 € und für den Geltungsbereich ABC sogar 376,98 €.

 

Diese Situation ist sozialungerecht und behindert Auszubildende sowie Schüler*innen in ihrer Bewegungsfreiheit in unserer Stadt, schließt sie von Kultur- und Gesellschaftsangeboten aus und wirkt daher weder kinder-, jugend- noch familienfreundlich.

Antrag 44/III/2016 Ein Recht auf Kultur - Kultur für Alle!

22.11.2016

Berlin hat eine pulsierende und international geschätzte Kulturlandschaft, welche die vielen jährlich hierher kommenden Besucher*innen sowie die hier lebenden Menschen begeistert und die Stadt lebenswerter macht. Mehr als 160.000 Beschäftigte wirken in der Kultur-und Kreativwirtschaft, 20.000 professionelle Künstler*innen arbeiten hier in diversen Kunstprojekten, großen staatlichen Museen, Theatern oder aber in kleinen, unabhängigen Projekten. Das Angebot in Berlin ist groß, die Berliner Kulturlandschaft unkonventionell. Berlin bietet künstlerische Freiräume, die wichtige Aufgaben für ein solidarisches Miteinander übernehmen. Wir wollen diese Kulturlandschaft erhalten und uns dafür einsetzen, dass weiterhin eine Entwicklung möglich ist, die ein kiezspezifisches Angebot schafft und dabei auf ein ausgewogenes Verhältnis von Kultur mit kommerziellem wie nicht-kommerziellem Charakter achtet.

 

Die kulturelle Landschaft ist ein wichtiger Bestandteil unserer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Nicht nur, weil Kulturschaffende tagespolitische Themen schwerpunktmäßig in den Mittelpunkt ihrer künstlerischen Arbeit stellen; kulturelle Angebote sind auch Bildungsangebote, die vielerorts einen bedeutenden Bezugspunkt für gelebte Integration und Austausch zwischenverschiedenen Lebensmodellen und kulturellen Settings darstellen. Kultur als von Menschen für Menschen geschaffene Ausdrucksform ist dabei ein kommunikatives Medium verschiedener Diskussionen, Erzählungen und/oderpolitischer Ansichten. In einer pluralistischen Gesellschaft thematisieren emanzipierte kulturelle Erzeugnisse (kritisch) aktuelle Entwicklungen und machen auf Missstände aufmerksam. Beispielsweise sind Theaterhäuser für viele Menschen nicht nur Unterhaltungsmedien, sondern beinhalten darüber hinaus eine Kontaktebene, die den (inter-)kulturellen Austausch ermöglicht.

 

Unser Kulturverständnis muss inklusiv sein. An vielen Stellen jedoch versperren Hürden den Zugang zu kultureller Partizipation, das wiederum eine Ungleichheit nach sich zieht, die es zu überwinden gilt. Der in der Berliner Verfassung verankerte Grundsatz, ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten bzw. dieses zu fördern (Art 20, 21 VvB) stellt zwar keine politische Verpflichtung zur Erhaltung oder Errichtung bestimmter kultureller Einrichtungen dar. Dennoch erwächst daraus ein kulturpolitischer Gestaltungsauftrag. Dieser sollte in erster Linie einem partizipatorischen Kulturverständnis folgen und allen Menschen einen Zugang zu den zahlreichen kulturellen Angeboten ermöglichen. Dabei ist darauf zu achten, dass profitorientierte Einrichtungen keine Monopolstellung innerhalb der Kulturlandschaft einnehmen. Die Förderung der „großen“ Theater, Konzerthäuser etc. darf nicht zu Ungunsten unabhängiger, kleiner Kulturprojekte erfolgen. Diese müssen nachhaltig gefördert und zugleich Teil der Strukturen im Kiez werden, so dass wiederum Menschen solidarisch miteinander umgehen und  der (inter-)kulturelle Austausch über die kulturellen Angebote ermöglicht wird. Kulturprojekte in der Nachbarschaft sollen stärker gefördert werden. Die Politik muss die Potenziale der Stadt Berlin sowohl auf Landesebene als auch in den Bezirken besser erkennen und ausschöpfen. Dafür muss ein besserer Dialog zwischen den Bezirksverordnetenversammlungen und der Senatskanzlei, aber auch den Kulturschaffenden sowie -rezipierenden entstehen.

 

Kultur ist ein Teil der (Heraus-)Bildung eines reflektierten, kritischen und emanzipierten  Umgangs mit der eigenen Lebenswelt. Gerade junge Menschen sollten frühzeitig von den vielfältigen Angeboten profitieren können. Aber auch Menschen, die aufgrund von finanziellen Hürden nicht auf das Angebot Zugriff haben müssen in einer progressiven Kulturlandschaft mitgenommen werden. Um Empfänger*innen von Transferleistungen den Zugang zum kulturellen Angebot zu erleichtern gibt es bislang das 3-Euro-Kulturticket. Dieses Instrument geht in die richtige Richtung und muss weiter Fördermitteln des Landesunterstützt sowie öffentlichkeitswirksam beworben werden. Wir plädieren in dieser Hinsicht für eine Öffnung der Museen, Ausstellungen und Theaterhäuser und fordern die Abschaffung des Eintrittsgeldes für Studierende, Schüler*innen, Transferleistungempfänger*innen, Auszubildende, FSJ-ler*innen, Bufdis und weitere. Wir fordern, dass alle staatlichen Museen und Theaterhäuser an einem festen Tag in der Woche für alle Besucher*innen kostenfrei zugänglich sind.

 

Gerade in Bildungsinstitutionen wie Hochschulen und Schulen muss der Zugang zu kulturellen Einrichtungen gefördert werden. Theater ist gewissermaßen immer ein Spiegel der Gesellschaft. Es gibt viele Theaterprojekte an Schulen, die Themen wie Rassismus und Ausgrenzung thematisieren.  So kann angesichts von rechtspopulistischen Tendenzen in unserer Gesellschaft das Demokratieverständnis von jungen Menschen geformt und gefördert werden. Allerdings fehlt vielfach staatliche finanzielle Unterstützung, um vorhandene Projekte auszubauen und an die Schulen tragen zu können.

 

Durch den Ausbau eines kostenfreien Zugangs können Bevölkerungsgruppen, die sonst im Zugang zu kulturellen Gütern diskriminiert werden, gesellschaftlich eingegliedert statt ausgegrenzt werden. Der Geldbeutelentscheidet leider immer noch über die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Gerade für Empfänger*innen von Transferleistungen bleiben die Türen zu kulturellen Einrichtungen und Veranstaltungen meist verschlossen. Wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft, die sollte sich auch in Museen und Theaterhäusern widerspiegeln. Der Geldbeutel steht momentan für gesellschaftliche Separierung. Gerade der integrative Charakter von Kunst und Kultur eröffnet die Möglichkeit, Geflüchtete in der Mitte der Gesellschaft ankommen zu lassen. Diesen bereits begonnen Prozess muss die Politik weiter voranbringen und Initiativen, die Geflüchtete (besonders im Kiez) in die Arbeit mit einbeziehen, unterstützen.

 

Menschen mit Behinderungen werden auf dem Arbeitsmarkt stark diskriminiert. Nicht nur der Zugang zu Jobs wird ihnen kaum bis fast gar nicht möglich gemacht. In den gegenwärtigen  Ausstellungen und Theaterinszenierungen sind Menschen mit Behinderungen kaum zu sehen. Deshalb ist es vor allen Dingen wichtig, dass Projekte, wie z.B. das Theater „RambaZamba“, das selbst von Menschen mit Behinderungen geschaffen worden sind und bei denen sie selbst in ihrer Entwicklung und Kreativität gefördert werden, auch finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite erfahren. Doch die Ausgrenzung zeigt sich nicht nur beim Zugang zu Jobs im kulturellen Sektor, sondern auch bei der Bezahlung. Arbeit, die von Künstler*innen mit Behinderungen geschaffen worden ist, wird sehr schlecht bezahlt. Deshalb ist es wichtig, dass eine Angleichung des Arbeitsentgelts stattfindet. Wir sind gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse von freischaffenden Künstler*innen und fordern deshalb den Mindestlohn in Kulturbetrieben sowie bei freischaffenden Künstler*innen. Ferner fordern wir Tarifverträge für alle nicht-künstlerisch Beschäftigten an staatlichen Theatern und Museen.

 

Deshalb fordern wir:

  • einen kostenfreien Zugang zu staatlichen Museen, Ausstellungen und öffentlichen Theaterhäusern für Studierende, Schüler*innen und Transferleistungsempfänger*innen, Auszubildende, FSJ-ler*innen, Bufdis und weitere.
  • die Förderung kultureller Projekte an Bildungseinrichtungen.
  • eine stärkere Einbindung und Förderung von Kulturschaffenden mit Migrationsbiographie in die Kunst- und Theaterszene Berlins.
  • die finanzielle Stärkung inklusiver Projekte und die Anpassung des Arbeitsentgelts auf ein gleiches Niveau.
  • Gender Mainstreaming und interkulturelle Aspekte berücksichtigen sowie Gender Budgeting anwenden
  • Bei subventionierten kulturellen Einrichtungen muss es einen Haustarif für die dort auftretenden Künstler*innen geben. – der Mindestlohn muss flächendeckend für die Kreativ-und Kulturwirtschaft und v.a. für die Arbeit in Behindertenwerkstätten gelten.

 

Antrag 43/III/2016 Gegen jeden Antisemitismus! – Keine Zusammenarbeit mit der antisemitischen BDS -Bewegung ("Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen für Palästina")!

22.11.2016

 

Forderungen

  • Für Israel muss gelten, was für alle Staaten gilt: Wir stehen solidarisch zu Israel, die Anerkennung von Israels Recht auf Existenz und Selbstverteidigung ist für uns nicht verhandelbar.
  • Wir verurteilen den weitverbreiteten antizionistischen Antisemitismus aufs Schärfste und werden alles daransetzen, ihn zu enttarnen und mit allen Mitteln zu bekämpfen.
  • Wir stellen uns gegen die antisemitische BDS-Kampagne und jedes ihrer vermeintlichen Ziele.
  • Wir kämpfen gegen jeden Antisemitismus, egal, wo und wie er sich äußert. Deswegen setzen wir uns in Deutschland gegen die BDS-Kampagne ein.
  • Demzufolge wird sich keine Gliederung der Jusos an der BDS-Kampagne beteiligen oder Formate (Veranstaltungen, Ausstellungen, Demonstrationen, usw.), an der die BDS-Bewegung beteiligt ist, unterstützen.
  • Wo wir Jusos in Bündnissen vertreten sind, setzen wir uns gegen jegliche Form der Kooperation mit Vereinigungen die Unterstützer*innen der BDS-Kampagne sind, ein. Unserem Verständnis nach, brauchen wir keine Querfront um unsere gesellschaftlichen Forderungen zu erreichen.
  • Die Resolution in der International Union for Socialist Youth (kurz IUSY) u.a. die einzelnen Gliederungen unter dem Dach der IUSY auffordert die nationalen BDS-Kampagnen zu unterstützen, weisen wir mit dem Beschluss dieses Antrags entschieden zurück.
  • Weiterhin werden wir uns in Zukunft mit der BDS-Kampagne in ihrer Ausprägung in verschiedenen Ländern und Regionen beschäftigen.

 

Antrag 40/III/2016 Flexibles Ruhestandseintrittsalter für Berliner Polizisten

22.11.2016

Die SPD-Mitglieder des Senats und des Abgeordnetenhauses von Berlin werden aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass für Berliner Polizeibeamte eine flexible Ruhestandseingangsregelung geschaffen wird.

Antrag 37/III/2016 Das Extremismusdogma abschaffen – für die antifaschistische Alternative

22.11.2016

Die Zeit, in der wir gegen Extremismusdogmen kämpfen

Während die so bezeichnete „politisch motivierte Gewalt rechts” in Berlin 2015 mit rund 1.655 der polizeilich erfassten Straftaten weiterhin auf alarmierend hohem Niveau geblieben ist (Anstieg um 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr), wird häufig und gerne über die polizeilich erfassten Straftaten der „politisch motivierten Gewalt links”, in Berlin 2015 waren es 1.059 Fälle (Rückgang um 23 Prozent), diskutiert. Der ehemalige Innensenator Frank Henkel (CDU) diskutierte im Wahlkampf jedoch vor allem über „linksextreme Straftaten“. Er versuchte das Hausprojekt Rigaer94 und die Kadterschmiede räumen zu lassen und eskalierte den Friedrichshainer Nordkiez.

 

Die Politik des Landes Berlin hat, dank des Integrationssenats, eine einmalige Förderlandschaft bei Projekten gegen Sog. Rechtsextremismus, Berliner Register, Rassismus und Antisemitismus. Die Landesantiskriminierungsstelle fördert zahlreiche Projekte wie die Mobile Beratung gegen Sog. Rechtsextremismus, das antifaschistische pressearchiv und bildungszentrum oder die Opferberatung ReachOut. Als die Bundesjugendministerin Kristina Schröder (CDU) allen geförderten Projekten eine Erklärung abverlangte, nicht mit „linksextremen“ Partner*innen zu kooperieren („Extremismusklausel“), übernahm das Land Berlin kurzerhand die Förderung dieser Projekte. Im laufenden Doppelhaushalt 2016-2017 wurden das Landesförderprogramm aufgestockt. Die neue Bundesjugendministerin Manuela Schwesig knüpfte mit dem Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ an die rotgrünen Bundesprogramme Civitas und Endimon der 2000er Jahre an. „Demokratie Leben“ enthält keine scharfe Extremismusklausel mehr und fördert Kommunen und zivilgesellschaftliche Programme im Kampf gegen Rechtsradikalismus. Zwar gibt es auch einen Fördertopf zur Arbeit mit sogenannten „linksaffinen Jugendlichen“, jedoch ist dieser gering und wird faktisch nicht abgerufen. Die Förderpolitik hat sich zum Guten gewendet. Jedoch ist das ihr häufig zu Grunde liegende Extremismusdogma nicht gebannt.

 

Dies erlebten wir häufig in Diskussionen um die Alternative für Deutschland. Die Alternative für Deutschland holte bei den Berlinwahlen etwa 12 Prozent der Stimmen. Mitnichten steht sie damit am „extremen Rand“ der Gesellschaft. Im Gegenteil, sie wurde in allen Gesellschaftsschichten und in allen Teilen der Stadt gewählt. Auch in acht andere Landesparlamente ist sie schon eingezogen. Die Beurteilung der Alternative für Deutschland folgt häufig entlang der Frage „wie extrem“ sie denn nun sei. Dies birgt in der politischen Auseinandersetzung enorme Risiken und wird zur subjektiven Betrachtung. Besser wäre eine Beurteilung der tatsächlichen Positionen in einzelnen Politikfeldern: Die Alternative für Deutschland ist eine zutiefst rassistische, sexistische, sozialchauvinistische, homophobe und nicht zuletzt antisemitische Partei.

 

Das Extremismusdogma

Der Kalte Krieg ist seit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ vorbei – seine ideologischen Bausteine haben sich aber in die deutsche Politik eingebrannt. Bis heute pflegen konservative Kräfte ein Dogma. Es hat einen neuen Namen bekommen, aber beruht auf den gleichen Grundannahmen. Es geht um die Extremismustheorie, die konservative Vordenker*innen aus der Totalitarismustheorie geformt haben.

 

Die Extremismustheorie ist jedoch eigentlich keine Theorie, sondern ein Dogma. Wer es kritisiert, wird nämlich ganz schnell, selbst in dasselbige integriert – ähnlich wie bei Verschwörungs-“theorien“. Im Extremismusdogma gibt es nämlich eine ganz klare Trennung zwischen Gut und Böse. Gut sei die „Mitte der Gesellschaft“ – böse seien die „Extreme“, also vermeintliche Ränder. Sie sind zudem auf einer überholten Links-Rechts-Achse angeordnet. Ergänzt wird sie noch um einen angeblichen „Ausländerextremismus“.

 

Die Ränder haben für die Extremismusdogmatiker*innen einen riesigen Vorteil: Dort können sie alles hineinstecken, was in ihrer „Mitte“ nichts zu suchen haben soll. Folglich könne es in der „Mitte“ beispielsweise keinen Rassismus, Antisemitismus oder keine Homophobie in ihr geben, weil das den gesellschaftlichen „Rändern“ vorbehalten sei.

 

Der nächste große Vorteil für die Extremismusdogmatiker*innen ist es, dass sie sich die Mühe sparen zu differenzieren. Neonazis seien im Grunde wie Politiker*innen der Partei „Die Linke“ und Salafist*innen. So lassen sich linke Politikansätze zusätzlich diffamieren. Sie schrecken dabei auch nicht davor zurück, dass bis auf die Spitze zu treiben: Ein beschädigtes Wahlplakat samt Graffiti plus Sitzblockade werden schon einmal als „linke Gewalt“ mit rassistischen Morden in einen Topf geworfen. Solche obskuren Vergleiche werden leider nicht nur im Hinterzimmer der CSU, sondern ganz offiziell von der Bundesregierung angestellt. Jahr für Jahr wird „extremistische“ Gewalt Statistiken erfasst, die alles zusammenwerfen. Genauso wird die Idee einer herrschaftsfreien Gesellschaft mit dem Konzept des völkischen „Führerstaates“ zusammengeworfen.

 

Dieser Mix, der dann als „Extremismus“ erklärt wird, folgt einem Schema: Neonazistische Einstellungen und Gewalt wird verharmlost, indem sie mit linken Ideen und Gruppen gleichgesetzt werden. Diese werden im Gegenzug dämonisiert. Gerne benutzen die Agitator*innen des Extremismusdogmas des Hufeisens, bei dem sich bei Belieben die Ränder auch berühren könnten. Es erschreckt, dass selbst konservative Sozialdemokrat*innen diesen kalkulierten Unsinn in den Mund nehmen und beispielsweise von „rotlackierten Faschisten“ schwadronieren.

 

Die von der „Totalitarismustheorie“ schon eingeübte Praxis alle möglichen sich als links verstehenden Strömungen erst zusammen in einen Topf zu werfen und dann noch mit dem Nationalsozialismus gründlich zu vermengen. Das ist angesichts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit des Nationalsozialismus einfach nicht hinnehmbar.

 

Der Weg raus aus dem von extremismusdogmatischen Mainstream ist allerdings kein leichter. Ein Großteil der Menschen, die sich politisch verorten wollen, sieht sich in einer ominösen „Mitte“. Um diese „Mitte“ ist ein großes Illusionsgebäude aufgebaut worden: Sie sei gut, immer ausgeglichen, ehrlich und hart arbeitend. Schlussendlich ist dieses Konzept der „Mitte“ ein zutiefst konservatives, auf welches viele Sozialdemokrat*innen hereingefallen sind.

 

Das Extremismusdogma soll alle progressiven linken Ideen, die auf radikale Veränderungen angelegt sind, per se als gefährlich abstempeln. Wenn Gruppen Eigentum infrage stellen, wird dies vielfach schon als „extremistische“ Bestrebung ausgelegt. Die Forderung nach offenen Grenzen löst beim deutschen Gralshüter des Extremismusdogmas, dem sogenannten Verfassungsschutz, den „Extremismus“-Alarm aus. Selbst die sozialdemokratischen Positionen der Partei „Die Linke“ reichten ihr, um „Linken“-Politiker*innen zu beobachten.

 

Ein gefährliches Demokratieverständnis

Das Extremismusdogma ist außerdem ein Ausdruck eines autoritären Staatsverständnisses: Meinungen außerhalb der von staatlichen Akteur*innen definiert werden für nicht zulässig erklärt. Gesellschaftskritik wird deshalb unabhängig von ihrem inhaltlichen Kern direkt der Stempel des Bedrohlichen aufgedrückt. Das widerspricht jedoch eklatant einem demokratischen Grundverständnis: Das demokratische Ordnungssystem muss ständig weiterentwickelt werden. Es gibt keine vollendete Schablone, die nur noch umgesetzt werden muss. Vielmehr muss täglich eine kritische Reflexion stattfinden. Die Formen wie Parlamentarismus und ein Wirtschaftssystem erst recht nicht müssen dabei selbstverständlich immer wieder auf den Prüfstand. Nur so kann eine demokratische Gesellschaft verwirklicht werden – nicht nur eine Simulation dessen.

 

Vertreter*innen des Extremismusdogmas ignorieren im Gegenzug gesamtgesellschaftlich verbreitete Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit konsequent. Dies tun sie, obwohl mehrere Studien Jahr für Jahr belegen, wie stark diese Einstellungen in der deutschen Gesellschaft verankert sind.

 

Die „Mitte“-Studien widerlegen das Esxtremismusdogma

Die Forschung zu rechten Einstellungen hat sich in den vergangenen Jahren häufig am Modell der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit orientiert. Bedeutend sind daneben die „Mitte-Studien“, die früher von der Friedrich-Ebert-Stiftung und jetzt von Universität Leipzig umgesetzt werden. Ihnen liegt das Verständnis zugrunde, dass der „Rechtsextremismus (…) ein Einstelungsmuster (ist), dessen verbindendes Kennzeichen Ungerechtigkeitsvorstellungen darstellen“. Insbesondere Rassismus, Chauvinismus (ein nationalistisches und die deutsche Weltmacht befürwortendes Einstellungsmuster) und Antisemitismus sind dabei besonders verbreitete Einstellungsmuster.

 

In der repräsentativen Studie „Die enthemmte Mitte“ des Jahres 2016 stimmen bundesweit 20 Prozent rassistischen Positionen zu. Sogar 34 Prozent befanden, dass Deutschland „in einem gefährlichem Maße überfremdet“ wäre. Besonders hoch ist die Abwertung von Muslim*as sowie Sinti*zze und Rom*nja. Jede fünfte Person war bereit, sich mit Gewalt gegen „Fremde“ durchzustezen. Chauvinistische Positionen vertreten 17 Prozent. 5 Prozent befürworten eine rechtsautoritäre Diktatur und ebenso viele vertreten antisemitische Positionen. 11 Prozent halten den Einfluss der Jüdinnen*Juden für zu hochen. 3 Prozent haben eine eindeutige sozialdarwinistische Einstellung und 2 Prozent verharmlosen den Nationalsozialismus völlig. 25 Prozent finden Homosexualität unmoralisch, 36 Prozent lehnen Ehen zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Personen ab.

 

Das Dogma des Extremismus funktioniert also nicht. Im Gegenteil: wenn die Gesellschaft in Mitte und Ränder einteilten, bliebe nur die Feststellung, dass die Mitte selbst extreme Einstellungen vertritt.

 

Die Alternative: Theorie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit

Der Kernproblem, das ein solidarisches zusammenleben gefährdet, ist das Ungleichwertigkeitsdenken. Dabei werden ganze Personengruppen abgewertet. Der Grundsatz „Jeder Mensch ist gleich viel wert“ wird negiert. Das geschieht in ganz unterschiedlichen Formen. Als Sammelbegriff für alle hat Wilhelm Heitmeyer den Begriff „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF)“ vorgeschlagen. Er lassen sich damit Antisemitismus und Rassismus genauso fassen wie Sexismus, Obdachlosenfeindlichkeit, Abwertung von Menschen mit Behinderung, Etabliertenvorrechte. Die Liste der Formen ist veränderbar und ist nicht statisch. Allerdings sind Geschichtsrevisionismus, autoritäre Herrschaftsvorstellungen und Demokratiedistanz nicht einfach in diese Theorie zu integrieren. Die Leugung der Shoah beispielsweise gehört dazu. Jedoch sind sie mit dem Ungleichwertigekeitsdenken eng verbunden. Deshalb erfasst diese Theorie mehr als die „Extremismustheorie“ – außerdem interessiert sie sich für die gesamte Gesellschaft.

 

Der „Verfassungsschutz“ – Die Agentur des Extremismusdogma

Der fünfte Skandal nach der Anschlags- und Mordserie des NSU, der Unterstützung des NSU-Netzwerks durch den „Verfassungsschutz“, der Nicht-Aufklärung und des Schredderns von Akten besteht darin, dass der „Verfassungsschutz“ nun wieder Aufwind hat. Das geschieht, obwohl er sich von dem Extremismusdogma, das den institutionellen Rassismus in der Behörde Tor und Tür geöffnet hat, nicht gelöst hat. Vielmehr wirkt der „Verfassungsschutz“ mit ihren kruden Verfassungsschutzverständnis in die Öffentlichkeit und – was besonders gefährlich ist – in Schulen hinein.

 

Die AfD und das Extremismusdogma

Die „Alternative für Deutschland“ ist vielfältig in die „Neue Rechte“ und auch eine neonazistische Szene vernetzt. Sie ist jedoch keine neonazistische Partei. Aus Sicht der meisten Verfechter*innen des Extremismusdogmas ist sie damit keine „extremistische“ Partei. Schlussendlich macht sich der Rechtspopulismus in der deutschen Gesellschaft das Extremismusdogma geschickt zu nutze. Traditionell grenzten rechtspopulistische Parteigründungen wie ProDeutschland oder Die Freiheit sich symbolisch von „rechtsextremen“ Parteien ab. Es fand ein Art rechtspopulistischer Lernprozess statt, sodass es die AfD dies heute geschickter als ihre vorherigen Versuche tut. Durch die Dominanz des Extremismusdogmas in der deutschen Gesellschaft, herrscht bei vielen zivilgesellschaftlichen und politischen Akteur*innen Uneinigkeit darüber, wie mit der AfD umzugehen. Ihr systematisches Ungleichwertigkeitsdenken mit vielfältigen Formen des Rassismus, Antisemitismus und Sexismus trifft auf zu wenig Widerstand. Deshalb ist der Kampf gegen das Extremismusdogma zugleich ein Kampf gegen den Aufstieg des Rechtspopulismus.

 

Forderungen:

  • Keine Programm gegen „Extremismus“ mehr!
  • Die SPD muss sich klar vom „Extremismusdogma“ abgrenzen!
  • Keine „Extremismusklauseln“ mehr!
  • Polizeiliche Erfassung reformieren!
  • Verfassungsschutz abschaffen!

 

Stattdessen muss es eine breite Unterstützung antifaschistischer Initiativen geben, statt ihnen gegenüber den Generalverdacht auszusprechen. Darüber hinaus darf antifaschistisches Engagement nicht kriminalisiert werden. Wir als Landesverband unterstützen Aktionen des zivilen Ungehorsams im Kampf gegen Faschist*innen und Rassist*innen. Es ist eine Aufgabe der Politik, jedes Engagement, welches auf einen breiten Aktionskonsens trifft, zu fördern, um die leere Worthülse der wehrhaften Demokratie mit Leben zu füllen.

 

Die strategische Neuausrichtung der Bundesregierung, nun Ausländer-, Links- und Sog. Rechtsextremismus zu bekämpfen, könnte zudem von Rechtsradikalen als positives Signal wahrgenommen werden, zugleich aber Akteur*innen antifaschistischer Initiativen entmutigen.

 

Wir lehnen die Extremismusthese ab. Wir wenden uns gegen jede Form des Rassismus, Antisemitismus, Faschismus, Sexismus und Chauvinismus, egal von wem sie ausgeht! Wir fordern stattdessen:

  • die strukturelle Stärkung und finanzielle Förderung antifaschistischer Initiativen mit ihren zahlreichen, diversen Projekte in der außerschulischen Jugendarbeit und Bildung, Ausstiegshilfen, Beratung, in der Netzwerk- und Infrastrukturentwicklung und in der Opferhilfe!
  • mehr Programme der schulischen Bildung gegen Rassismus, Chauvinismus, Antisemitismus, Sexismus und andere nazistische Einstellungsmuster, auch durch Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Rechts. Politische Bildungsarbeit darf nicht von den ordnungspolitischen Vorstellungen des Verfassungsschutzes beeinflusst werden, sondern muss von der Zivilgesellschaft selbst getragen werden!
  • keine Kriminialisierung antifaschistischen Engagements wie in Dresden Anfang 2010. Antifaschistischer Widerstand ist keine Straftat, sondern unsere Pflicht!
  • die Unterstützung antifaschistischen Engagements!
  • die nachhaltige Verdrängung von Rechten aus den Parlamenten!