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Antrag 256/II/2019 Mobilität für Senior*innen verbessern

23.09.2019

Die SPD Berlin setzt sich für Änderungen des BVG-Tarifs ein, um die Benutzung des Berliner ÖPNV für Fahrgäste auch über 60 Jahren weiter zu verbessern. Dazu zählt u.a. die Wochen- und Monatskarten „65plus“ auch außerhalb eines Abonnements anzubieten.

Antrag 78/II/2019 Rückbau der Breitenbachplatzbrücke

23.09.2019

Die SPD-Mitglieder im Bezirk und im Abgeordnetenhaus werden erneut aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass der Senat den Rückbau der Breitenbachplatzbrücke zügig in die Wege leitet und die Aufenthaltsqualität auf dem Platz verbessert. Dabei ist auf ein faires Miteinander von Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern zu achten. Das Vorhaben kann als Modellfall eines zu entwickelnden umfassenderen Programms zum Rückbau der ‚autogerechten Stadt‘ genutzt werden.

 

Entsprechende Anträge sind bereits in den betroffenen Bezirken einstimmig verabschiedet worden. Die gewonnene Fläche wäre auch gut zum Wohnungsbau geeignet.

Antrag 85/II/2019 Mit funktionierenden Instrumenten Mietpreise stabilisieren und Wohnungsangebot schaffen!

23.09.2019

I.

Der Berliner Wohnungsmarkt ist seit Jahren durch einen Nachfrageüberhang aufgrund der steigenden Bevölkerungszahlen gekennzeichnet. Der Bau neuer Wohnungen gelang mehrere Jahre nicht in notwendiger Zahl. Die Knappheit lockt renditeorientierte Investoren an, die ihre finanziellen Vorteile aus der Notlage der Mieterinnen und Mieter ziehen wollen. Preisstabilisierende Faktoren durch Neubau und genügend Marktanteile öffentlicher, genossenschaftlicher und gemeinwohlorientierter Anbieter oder anderer Maßnahmen waren nicht genügend vorhanden.

 

Die SPD positioniert sich aufgrund ihrer Verpflichtung für soziale Gerechtigkeit und aufgrund des Mieteranteils von rund 85% aller Haushalte klar an der Seite der Mieter*innen der wachsenden Stadt. Sie sind immer mehr von dem steigenden Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Einkommen betroffen, sie können aufgrund der hohen Neuvertragsmieten nicht mehr aus den Bestandswohnungen wechseln, wenn sich ihre Lebensumstände ändern.

 

Wir fühlen uns verpflichtet, ihnen mit tatsächlich funktionierenden Instrumenten zu helfen:

  • den Wohnungsbestand durch Neubau zu erweitern,
  • den Anteil der Wohnungen zu erhöhen, deren Vermieter preisstabilisierend wirken,
  • dirigistisch in die Preisbildung einzugreifen, da ein Wohnungsmarkt mit verknapptem Angebot ein Machtgefälle zulasten der Mieterinnen und Mieter aufweist und
  • konsequent den Einsatz aller anderen geeigneten Mittel, insbesondere gegen Wohnungsleerstand vorzugehen, zu prüfen.

 

Wir wollen vermeiden, Scheinlösungen zu vertreten, von denen wir annehmen müssen, dass sie mit Zeitverzögerung nur noch größere Enttäuschungen über die Problemlösungsfähigkeit der Politik provozieren werden.

 

1. Bauen

Bei einem Bevölkerungswachstum von 30 bis 40.000 Einwohner/innen pro Jahr wird sich die Marktlage verschärfen, wenn nicht mindestens 15 bis 20.000 zusätzliche Wohnungen pro Jahr gebaut werden. Der Neubau hat eine zentrale Bedeutung, denn auch die anderen notwendigen Maßnahmen werden den Nachfrageüberhang nicht beseitigen können. Verzerrungen wie überhöhte Abstandszahlungen und illegale Prämien sind dann trotz preisregulierender Eingriffe die Folge.

 

Neubau findet nicht immer Akzeptanz bei den Betroffenen, aber wir brauchen mehr Druck für die Schließung von Baulücken und den Ausbau von Dachgeschossen sowie die Aufstockung von Bestandsbauten mehr und schnellere Zurverfügungstellung von landeseigenen Grundstücken insbesondere über Erbbaurechte

 

2. Kaufen

Die Bildung der Marktmieten (Mietspiegel) und die Zahl der Wohnungen, für die das Land Berlin Belegungsrechte hat oder für die im geschützten Marktsegment Wohnungen zur Verfügung gestellt werden, hängt von der Zahl der landeseigenen Wohnungen ab. Der Anteil der Wohnungen in landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften war auf nur 16,4 % zurückgegangen. Um mehr Einfluss auf den Markt ausüben zu können, ist eine Erhöhung dieser Quote nötig und wurde in den vergangenen Jahren bereits vorangetrieben. Neben Wohnungsneubau kommt dabei dem Kauf von Wohnungen eine zentrale Bedeutung zu.

  • Vorkaufsrecht konsequenter anwenden, wenn es in der Abwägung sinnvoll erscheint
  • Kauf von Wohnungen und kleineren Portfolios nach gezielten Kriterien
  • Unterstützung der Mieterinnen und Mieter beim Erwerb ihrer eigenen Wohnung durch die IBB im Falle eines Verkaufs (wie in der Karl-Marx-Allee)

 

3. Deckeln

Die SPD hat den Mietendeckel als landespolitische gesetzliche Maßnahme initiiert. Selten wurde ein Beschluss eines Landesparteitages so schnell in konkrete Senatspolitik umgesetzt. Bei der Umsetzung des Mietendeckels sind noch viele schwierige Detailfragen zu klären. Aber wir halten daran fest, dass ein auf 5 Jahre befristeter Mietendeckel entscheidend dazu beiträgt, Zeit zu gewinnen, bis entweder genügend Neubau realisiert wird oder der Markt sich aus anderen Gründen wieder beruhigt. Der Mietendeckel wirkt unmittelbar und hat bessere Aussichten, konkrete Hilfe für Betroffene zu entfalten als eine juristisch ungewisse und teure Vergesellschaftung („Enteignung“) von Wohnraum.

 

4. Weitere Maßnahmen

Wir wollen neben dem Neubau, dem Kauf und der Mietendeckelung auch alle weiteren Maßnahmen angehen, die die Mieterinnen und Mieter in ihrer schwierigen Lage unterstützen und den Wohnungsmarkt entlasten können:

  • Leerstand entschieden bekämpfen – Die Verwaltung muss die mit dem geänderten Zweckentfremdungsverbotsgesetz geschaffenen Möglichkeiten konsequent anwenden.
  • Milieuschutzgebiete sollen konsequent ausgewiesen werden.
  • Auf der Bundesebene hatte sich die SPD wiederholt für Erhöhungen des Wohngeldes und die Einbeziehung von Betriebskosten in die Wohngeldförderung erfolgreich engagiert. Angesichts des Tempos der Mietsteigerungen in Ballungsgebieten sind hier weitere Schritte erforderlich, um Privathaushalte zu unterstützen, die aufgrund eigenen Einkommens keine Transferleistungen beziehen und jetzt verstärkt unter Druck geraten.
  • Die Rechte der Mieterinnen und Mieter im Kampf gegen zweifelhafte Nebenkostenabrechnungen müssen gestärkt werden.
  • Eigentümer/innen müssen verpflichtet werden, für baureife Grundstücke die Bauanträge zeitnah zu stellen bzw. im Falle von erteilten Baugenehmigungen zeitnah mit der Maßnahme zu beginnen.
  • Bauämter in den Bezirken müssen personell ausreichend und unbefristet ausgestattet sein, auch um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.
  • Baurecht soll immer wieder überprüft werden, um Komplexität zu reduzieren. Hier gibt es Zielkonflikte zwischen den Baukosten und dem energieeffizienten und barrierefreien Bauen, über die immer wieder neu verhandelt werden muss.

 

II.

Viele Menschen hoffen jetzt auf den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Angesichts der Lage am Wohnungsmarkt ist diese Hoffnung nachvollziehbar. Und ist die Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes nicht auch ein Instrument, auf das man zu Recht setzen darf, auch wenn es noch nie praktisch angewendet wurde?

 

Alle Artikel des Grundgesetzes können nach Auffassung der SPD angewendet werden. Die politische Frage ist hier nicht, ob man den rhetorischen Mut zur Vergesellschaftung von Immobilienvermögen findet. Die Frage ist, ob wir den Berliner Mieterinnen und Mieter damit helfen können.

 

1. Kosten?

Enteignung (Art. 14) und Vergesellschaftung (Art. 15) sind Instrumente, die unser Grundgesetz vorsieht. Ihr Einsatz steht unter dem Vorbehalt, dass ein Gesetz „Art und Ausmaß der Entschädigung regelt“. Für beide Artikel gilt die gleiche Formulierung über dieses zu schaffende Gesetz: „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“ Die von einer Initiatorin verbreitete Auffassung, anders als bei Einzelfällen von Enteignungen (z.B. für Fernverkehrsprojekte) sei bei einer Vergesellschaftung eine politische Setzung der Entschädigungshöhe beispielsweise auf einen symbolischen Preis von 1 EUR pro Wohnung möglich, ist definitiv falsch und würde von keinem Gericht für eine ‚gerechte Abwägung’ gehalten werden. Bisher genannte Kostenschätzungen von 7,3 bis 36 Milliarden Euro (Süddeutsche Zeitung vom 9. April 2019) zeigen, dass es um eine für ein Bundesland und letztlich für die Steuerzahler*innen extrem hohe und nicht zu verantwortende Kostenbelastung geht. Mit erheblich geringerem Aufwand ließe sich wohnungspolitisch mehr erreichen.

 

2. Zielerreichung?

Anstelle der pauschalen Vergesellschaftung aller Bestände einzelner Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen lässt sich der Zukauf von Wohnungen durch landeseigene, gemeinwohlorientierte oder genossenschaftliche Wohnungsunternehmen viel zielgerichteter auf die tatsächlich benötigten Wohnungsarten und sozialräumlich gefilterten Bestände ausrichten, die dann per Verhandlungsergebnis oder Ausübung des Vorkaufsrechts übergehen.

 

3. Kurzfristige Wirksamkeit?

Die gerichtliche Klärung, ob ein Landesgesetz zur Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen verhältnismäßig und verfassungsrechtlich zulässig ist, würde lange Jahre dauern. Die Vergesellschaftung ist daher in ihrer Wirksamkeit zunächst deutlich gegenüber dem Zukauf von Wohnungen und der Deckelung der Miethöhe unterlegen. Ob sie dann langfristig rechtlich trägt, ist außerdem ungewiss. Dies ist Anlass, die Maßnahmen im Rahmen der Politik „Bauen, Kaufen, Deckeln“ in diesem Zeitraum konsequent weiterzuverfolgen.

 

4. Taktische Anwendung des Instruments Volksentscheid?

Manche sprechen davon, dass die Realisierung des Volksentscheides tatsächlich unwahrscheinlich sei, man es aber anstreben sollte. Wird das Instrument Volksentscheid über eine Vergesellschaftung von Wohnungen nur taktisch verfolgt, um beispielsweise Verhandlungspositionen für Wohnungskäufe zu verbessern, spielt die Politik nur mit der Unterstützungsbereitschaft der Wählerinnen und Wähler für dieses Instrument. Das Ergebnis wäre eine enttäuschte Hoffnung und letztlich weiterer Frust der Wählerinnen und Wähler über die Politik.

 

Wir wollen, dass die SPD die Rolle übernimmt, zwischen Scheinlösungen und tatsächlich erfolgversprechenden Instrumenten zu unterscheiden. Nicht der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ wird das Problem bezahlbaren Wohnraums in Berlin lösen, sondern unsere bereits beschlossenen und weitere Instrumente, die zu mehr Neubauwohnungen, mehr der Renditelogik entzogenen angekauften Wohnungen und mehr Regulierung der Miethöhen führen.

Antrag 144/II/2019 Handelsabkommen EU-Mercosur: Kein Abkommen zu Lasten von Menschenrechten, Umwelt- und Klimaschutz sowie bäuerlicher Landwirtschaft!

23.09.2019

Die EU und der südamerikanische Staatenbund Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay) wollen gemeinsam die größte Freihandelszone der Welt aufbauen. Nach jahrelangen Verhandlungen verkündete EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker Ende Juni 2019, dass die Vertragspartner*innen eine politische Einigung erzielt haben.

 

Das Abkommen soll über den Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen den Warenaustausch stärken und Unternehmen Kosteneinsparungen in Milliardenhöhe bringen. Der Staatenbund Mercosur ist mit einer Bevölkerung von mehr als 260 Millionen Menschen einer der großen Wirtschaftsräume der Welt. Die EU kommt sogar auf mehr als 512 Millionen Einwohner. Die Exporte von EU-Unternehmen in die vier Mercosur-Staaten beliefen sich 2018 auf rund 45 Milliarden Euro, in die andere Richtung waren es Ausfuhren im Wert von 42,6 Milliarden Euro. Die Mercosur-Staaten exportieren vor allem Nahrungsmittel, Getränke und Tabak in die EU. Von dort gehen wiederum vor allem Maschinen, Transportausrüstungen sowie Chemikalien und pharmazeutische Produkte nach Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay.

 

Laut EU-Kommission werden die Vertragspartner*innen den Entwurf nun juristisch prüfen und das endgültige Abkommen ausformulieren. Dann soll der Vertrag dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten zur Ratifizierung vorgelegt werden.

 

Umwelt- und Verbraucherschützer*innen mahnen vor den sozialen und ökologischen Risiken bei Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens bei derzeitigem Stand des Verhandlungstextes. Sie befürchten, dass damit größere Hindernisse bei Durchsetzung von Standards zum Schutz der Umwelt, der Gesundheit und der Menschenrechte aufgebaut werden.

 

Schon heute führen der Soja-Anbau sowie das Wachstum der Rinderherden beispielsweise in Brasilien zu massiver Abholzung, Landkonflikten und einer Verschärfung der Klimakrise. Soja aus dem Mercosur landet massenhaft in den Futtertrögen der europäischen Megaställe und Mastanlagen. 94 Prozent des Sojaschrots und 52 Prozent der Sojabohnen, die die EU auf dem Weltmarkt einkauft, stammen aus dem Mercosur. Die europäische Überschussproduktion von Fleisch und Milch wäre ohne die riesige Einfuhr von Soja und anderen Futtermitteln überhaupt nicht aufrecht zu erhalten.

 

Weiterer Kritikpunkt ist die mangelnde rechtliche Verankerung des in der EU geltenden Vorsorgeprinzips. Im Entwurf des Vertragstextes findet das Vorsorgeprinzip einmalig Erwähnung im nicht-sanktionsbewährten Nachhaltigkeitskapitel. Diese ist weitgehend zahnlos, denn Verstöße gegen dessen Bestimmungen können nicht unter dem Staat-Staat-Streitschlichtungsmechanismus des Abkommens behandelt werden.

 

Das Assoziationsabkommen sieht außerdem die Einrichtung eines Unterausschusses für Lebensmittelsicherheit vor (sogenanntes SPS Subcommittee), unter dem wiederum mehrere Dialoggruppen eingerichtet werden sollen. Diese befassen sich unter anderem mit Biotechnologie, Pestizidrückständen, Tierwohl und Antibiotika-Resistenzen. Teilnehmen sollen „Repräsentant*innen der Vertragsparteien mit technischer Expertise“, was mithin auch Industrievertreter*innen oder Expert*innen mit Verbindungen zur Lebensmittelindustrie umfassen kann. Bislang sieht der Vertragsentwurf keinerlei Regelungen zur parlamentarischen Kontrolle des Unterschusses vor.

 

Die zahlreichen Landkonflikte, die der Vormarsch des Agrobusiness in den Mercosur-Staaten anheizt, machen handelspolitische Regeln zum Schutz der Menschenrechte notwendig. Im Abkommen muss ein effektiver Schutz vor Landnahme für Betroffene rechtlich verankert werden, etwa gemäß dem UN-Konzept zur freien, vorherigen und informierten Zustimmung.

 

Bislang sieht das Assoziationsabkommen keinerlei Stärkung der viel zu schwachen Menschenrechtsklausel vor, die die EU in ihre Handelsverträge integriert. Diese erlaubt zwar grundsätzlich die Aussetzung von Handelspräferenzen bei schwerwiegenden Verstößen, jedoch kam es aufgrund der hohen Hürden, die die EU für die Aktivierung der Menschenrechtsklausel errichtete, bisher nie zu Handelssanktionen. Die Wirksamkeit der Klausel wird auch durch das Fehlen effektiver Monitoring- und Beschwerdeinstanzen eingeschränkt.

 

Eine zukunftsweisende Handelspolitik entscheidet sich nicht in der Wahl zwischen radikalem Freihandel oder Protektionismus, sondern ist auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet, die die Zukunftsfragen der Menschheit wie den Klimaschutz, die Erhaltung der Biodiversität und den Schutz von Freiheits- und Grundrechten ins Zentrum rückt.

 

Die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-Mitglieder in der Bundesregierung sowie die S&D-Fraktion im Europäischen Parlament werden aufgefordert, sich für folgendes Ziel einzusetzen:

 

Im Handelsabkommen der Europäischen Union (EU) mit den Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay) sind Menschenrechte, geltende EU-Standards im Klima-, Umwelt-, und Verbraucherschutz rechtlich zu verankern. Deren Einhaltung und Durchsetzung hat der parlamentarischen Kontrolle des Europäischen Parlaments zu unterliegen. Zudem hat der Umgang mit den diesjährigen Bränden im südamerikanischen Regenwald, die teils durch menschengelegte Feuer entstanden, gezeigt, dass insbesondere die brasilianische Regierung nicht an dem Schutz dieses enorm wichtigen Ökosystems interessiert ist. Die Nutznießer der Brandrohdungen dürfen von einem Freihandelsabkommen nicht profitieren. Im Sinne der notwendigen Anstrengungen im Kampf gegen die Klimakrise darf dem Handelsabkommen EU-Mercosur nur bei Verankerung folgender Punkte zugestimmt werden.

 

Konkret bedeutet das im Einzelnen:

  • Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens (u.a. keine Ausweitung von Weide- und Anbauflächen durch Abholzung des Regenwaldes)
  • die Einhaltung der ILO-Normen
  • Stärkung und effektive Durchsetzung der Menschenrechtsklausel, u.a.  Einführung von  Monitoring- und Beschwerdeinstanzen für alle Stakeholder*innen sowie Sanktionsmaßnahmen
  • rechtliche Verankerung auf Schutz von Betroffenen vor Landnahme und Vertreibungen
  • Wahrung des EU-Vorsorgeprinzips
  • Festlegung von Standards für Tierhaltung und Umweltschutz für den transatlantischen Lebensmittelhandel (u.a. keine Absenkung von oder Verzicht auf Importkontrollen)
  • der Unterausschuss für Lebensmittelsicherheit (SPS Subcommittee) sowie die Dialoggruppen sind der Kontrolle des Europäischen Parlaments und der demokratischen Parlamente der Mercosur-Staaten zu unterstellen

 

Des Weiteren ist der Vertragstext des Assoziierungsabkommens mind. 1 Jahr vor Ratifizierung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, damit eine kritische Auseinandersetzung und Begleitung der Beratungen in den nationalen Parlamenten sowie dem Europäischem Parlament gewährleistet ist. Auf die Schaffung von parallelen Rechtsstrukturen und Rechtssprechungsinstitutionen, die Unternehmen und Investorinnen gegenüber Verbraucherinnen, Bürgerinnen und staatlichen Institutionen bevorteilen, ist gänzlich zu verzichten. Darunter fallen insbesondere private Schiedsgerichte, multilaterale Investorinnengerichthöfe und jegliche Instrumente des Invetorinnenschutzes und der Investorinnen-Staat-Streitbeilegung.

Antrag 220/II/2019 Solidarität mit Rojava

23.09.2019

Rojava bedeutet Westkurdistan und bezeichnet das Gebiet in Nordsyrien, das an die Türkei grenzt. Seit einigen Jahren steht der Begriff jedoch ebenso für das gesellschaftliche Projekt, dass sich in dieser Region, den autonomen kurdischen selbstverwalteten Gebieten, entwickelt hat.

 

Die autonomen kurdischen Gebiete erklärten am 17. März 2016 gemäß des Konzepts des demokratischen Konföderalismus ihre Autonomie innerhalb des syrischen Staates. Seitdem gilt auf dem Gebiet Rojavas, das eine Bevölkerung von 4,6 Millionen Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen umfasst, der sogenannte Gesellschaftsvertrag, ein Projekt das möglich gemacht wurde durch den Rückzug syrischer Regierungstruppen aus dem Gebiet und der Aufgabe der Kontrolle über das Gebiet durch Syrien 2013.

 

Der Gesellschaftsvertrag für Rojava bildet die Grundlage eines Projektes, dass derzeit einzigartig ist, weil es auf Selbstverwaltung basiert. Das Gebiet Rojava wird in drei Kantone – Efrîn, Kobanê und Cizîrê – unterteilt. In jedem der drei Kantone werden Kantonalräte gebildet, denen jeweils eine quotierte Doppelspitze vorsteht – ein Prinzip das überall dort greift, wo ein Vorstand benötigt wird, gleich auf welcher Ebene. Unterhalb dieser Ebene hat jede Kommune – Dörfer und Stadtteile – das Recht einen eigenen Rat zu bilden. Das Initiativrecht für Gesetze liegt bei den Kommunalräten, das Beschlussrecht bei den Kantonsräten. Der Gesellschaftsvertrag von Rojava macht kaum Vorschriften darüber wie das Leben in den Kommunen oder Kantonen zu regeln ist – das bleibt jeder Gliederung überlassen. Er bestimmt nur einige allgemeine Prinzipien: alle gesprochenen Sprachen sind Amtssprachen, absolute Gleichberechtigung von Männern und Frauen, absolute Religionsfreiheit, Abschaffung der Todesstrafe, Achtung der Menschenrechte. Ein Exekutivrat für alle drei Kantone wacht über die Einhaltung dieser Prinzipien und bei ihm können alle Menschen Beschwerde einlegen, wenn sie der Auffassung sind, dass ein beschlossenes Gesetz diesen Prinzipien widerspricht.

 

Rojava ist ein einzigartiges Projekt. Umso bemerkenswerter ist es durch die Tatsache, dass alle natürlich vorkommenden Ressourcen vergesellschaftet sind und Privateigentum nur solange existiert, wie die Eigentümer*innen es der Gemeinschaft zur Verfügung stellen. Die Revolution, die zu diesem Gesellschaftsvertrag führte ist vielleicht auch die erste, die überwiegend von Frauen* getragen wurde, und bei der der Großteil der Kämpfe – vor allem gegen den sogenannten IS – fast vollständig von reinen Frauen*milizen getragen wurde. Abgesehen davon, dass es also ein radikal-demokratisches und feministisches Projekt ist, ist es auch ein sozialistisches.

 

– Als Sozialist*innen erklären wir daher unsere Solidarität mit diesem Projekt.

Schon seit längerem plant die türkische Regierung einen Einmarsch in das Gebiet Rojavas, um eine „Pufferzone“ zu errichten. Diese Pläne stellen eine massive Bedrohung der erkämpften Autonomie der Menschen in Nordostsyrien dar.
Bereits im Januar 2018 wurde die Stadt Afrin und die umliegende Region von türkischen Truppen erobert und besetzt. Dies bedeute das Ende des emanzipatorischen und demokratischen Projekts Rojava in Afrin. Während des Einmarschs der türkischen Armee kamen auch Panzer aus deutscher Produktion zum Einsatz. Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2019 genehmigte die Bundesregierung den Export von Kriegswaffen in die Türkei im Wert von 23.3 Millionen Euro.

 

–  Wir fordern daher Außenminister Heiko Maas dazu auf, darauf hinzuwirken, dass Erdogan von seinen Plänen eines Einmarschs türkischer Truppen in das Gebiet Rojavas absieht.

– Wir fordern Verhandlungen mit den beteiligten Kriegsparteien, insbesondere Russland und den USA aufzunehmen, um die kurdischen Gebiete vor Angriffen durch die Türkei zu schützen und die kurdische Autonomie weiterhin zu gewährleisten

– Wir fordern ein Ende der Genehmigungen und Ausfuhren von Waffen aus Deutschland in die Türkei. Der aggressiven und menschenverachtenden Außenpolitik der türkischen Regierung muss jegliche Unterstützung entzogen werden.

 

In den Selbstverwalteten kurdischen Gebiete in Nordost Syrien sitzen 7000 IS-Kämpfer in Gefangenschaft. Sie sind in den letzten Monaten des sogennanten IS festgenommen worden und gehören demnach zum harten Kern. Ebenso sind dort circa 70000 Frauen und Kinder, die einst zum IS-Kalifat gehörten, untergebracht. Ungefähr 400 der dort untergebrachten Personen kommen aus Deutschland. Die Gefangenen üben durch ihre bloße Anwesenheit einen enormen Druck auf die junge Selbstverwaltung aus. Beobachter des größten Lagers al-Hol gehen davon aus, dass der sogenannte IS sich dort weiter organisiert.

 

– Wir unterstützen daher die Forderung der Verwaltung Rojavas, die Personen in ihre Herkunftsländer zurückzuholen.

 

Die Bundesregierung braucht ein grundsätzliches Konzept im Umgang mit ehemaligen IS-Kämpfern und Unterstützer*innen aus Deutschland. Ehemalige IS-Anhänger*innen müssen in Deutschland angeklagt, verurteilt und gegebenenfalls zusammen mit ihren Kindern deradikalisiert werden. Deutsche Staatsangehörige müssen nach Deutschland zurückgeholt werden. Frankreich hat bereits in Einzelfällen schon so gehandelt.

Für die Möglichkeit der Rückführung ist es zwingend erforderlich, dass die Situation jeder einzelnen Person vor Ort geprüft werden kann. Dazu muss die Bundesregierung Gespräche mit den Akteur*innen vor Ort aufnehmen und ein ständige Vertretung einrichten. Die bereits bestehende Vertretung Rojavas in Berlin ist dazu erster Anlaufpunkt.

Zur Stabilisierung der Lage vor Ort und Unterstützung der Kurdischen Bewegung gehört auch ein Beitrag zur Aufarbeitung der Verbrechen des IS. Wir fordern daher die Einrichtung eines internationalen Tribunals. Eine rechtliche Aufarbeitung vor Ort soll dabei einer Rückführung nicht im Wege stehen oder gar ein Feigenblatt für eine vermeintlich gescheiterte Rückführung werden.

 

– Wir fordern daher die Aufnahme von quasi diplomatischen Beziehungen zur kurdischen Selbstverwaltung in Rojava.

– Wir fordern zudem die Rückführung der in Rojava inhaftierten deutschen Staatsbürger*innen und deren Kinder.

Als Antwort auf die Frage der IS Rückkehrer*innen beschloss der Bundestag im Juli eine Änderung des Staatsbürger*innengesetzes, die unter anderem enthält, dass Menschen, die zwei Staatsbürger*innenschaften besitzen, die deutsche aberkannt werden kann, wenn sie sich einer ausländischen Terrororganisation anschließen.
Dies ist ein fatales Signal. Es teilt Menschen in Bürger*innen erster und zweiter Klasse. Straftaten die Menschen begehen – wie etwa die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation- werden unterschiedlich gewertet. Menschen die nur die deutsche Staatsbürger*innenschaft besitzen müssen sich dafür vor einem deutschen Gericht verantworten. Menschen die zwei Staatsbürger*innenschaften besitzen werden des Landes verwiesen in dem sie zum Teil groß geworden sind und sind teils härteren und auch der Todesstrafe ausgesetzt, obgleich sie die gleiche Tat begangen haben. Das läuft unserem Verständnis von Rechtsstaat klar entgegen.

 

– Wir fordern darum die SPD Bundestagsfraktion und die Justizministerin Christine Lambrecht auf, diese Änderung rückgängig zu machen.

 

Während die Kämpfer*innen der Volks-und Frauenverteidigungseinheiten (YPG und YPJ) medial für ihren entschiedenen Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat bejubelt werden, wurde in Deutschland das Zeigen ihrer Fahnen 2017 teilweise verboten. Wir bekräftigen unsere Forderung nach einem Ende der Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung in Deutschland und Europa. Hierzu müssen alle geltenden Verbote kurdischer Organisationen in der Bundesrepublik aufgehoben werden. Die Verfolgung von antifaschistischem und emanzipatorischem Engagement muss beendet werden.

 

– Wir bekräftigen unsere Forderungen aus dem vom Bundeskongress 2018 beschlossenen Antrag „Keine Zusammenarbeit mit dem Erdogan-Regime“ und dem von der ersten LDK der Jusos Berlin 2018 beschlossenen Initiativantrag „Bijî azadî! Es lebe die Freiheit!“.

 

–  Als Ausdruck der Solidarität und Anerkennung der Demokratisierung nach jahrzehntelanger autoritärer Herrschaft und Unterdrückung durch die syrischen Baath-Partei strebt die Stadt Berlin, die für sich mit dem Slogan „Hauptstadt der Freiheit“ wirbt, eine Städtepartner*innenschaft mit einer Stadt aus Rojava an.

 

Städtepartner*innenschaften bieten eine gute Möglichkeit zur Verstetigung internationalen Austauschs auf Gebieten wie Wissenschaft, Kultur oder Wirtschaft. Als Vorbild hierfür kann die Partner*innenschaft zwischen der italienischen Hauptstadt Rom und der in Rojava gelegenen Stadt Kobane dienen