Archive

Antrag 30/II/2023 Für Barrierefreiheit in denkmalgeschützten Gebäuden sorgen – bei Umbauten von Anfang an!

21.08.2023

Die Umsetzung der in unseren Verfassungen, in Konventionen und Gesetzen – Grundgesetz, Berliner Verfassung, UN-Behindertenrechtskonvention, Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), Landesgleichberechtigungsgesetz (LGBG), Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), etc. – gewährleisteten Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen werden weder vom Staat noch von den Parlamenten zufriedenstellend als Querschnittsaufgabe beachtet und tatsächlich umgesetzt. Damit wird der Anschein erweckt, als seien die Rechte der Menschen mit sichtbaren und unsichtbaren Behinderungen auf Selbstbestimmung und uneingeschränkter Teilhabe weniger wert und ihre Nicht-Diskriminierung weniger schutzwürdig als andere Rechte.

 

Im aktuellen Koalitionsvertrag „Das Beste für Berlin“ ist vereinbart: „Die Koalition setzt ein klares Zeichen für ein ressortübergreifendes Disability Mainstreaming: Jede Senatsverwaltung stärkt die Rechte und Belange von Menschen mit Behinderungen bei Maßnahmen eigenverantwortlich und beteiligt sie und die sie vertretenden Organisationen“ und „Die „Landesfachstelle für Barrierefreiheit und angemessene Vorkehrungen“ soll gestärkt werden. Auf Landes- und Bezirksebene soll die fachliche Expertise für bauliche Barrierefreiheit einbezogen werden.“ Den Worten sind Taten zu folgen.

 

Das Sanieren von öffentlich zugänglichen, unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden erfordert viel Kompetenz und in der Regel auch sehr viel Steuergeld. Die Verpflichtungen zu barrierefreiem Planen und Bauen für öffentlich zugängliche Gebäude in Berlin, wie zum Beispiel für Einrichtungen der Kultur und des Bildungswesens, sind – unabhängig davon, ob sie unter Denkmalschutz stehen oder nicht – u.a. in der Bauordnung für Berlin, der Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen sowie der Allgemeinen Anweisung für die Durchführung von Bauaufgaben Berlin (ABau) geregelt. Hierbei ist das Ziel, umfassende Barrierefreiheit im Sinne des Landesgleichberechtigungsgesetztes (LGBG) her zu stellen. Die zuständige Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen soll nach § 17 LGBG frühzeitig an allen wichtigen Vorhaben, die Fragen von Menschen mit Behinderungen betreffen – wie zum Beispiel die Dringlichkeit einer zukünftig barrierefreien Nutzung eines umgebauten öffentlich zugänglichen Gebäudes – beteiligt werden. Laut Gesetz geben ihr die Senatsverwaltungen frühzeitig vor Beschlussfassung Gelegenheit zur Stellungnahme.

Das Denkmalschutzgesetz Berlin (DSchG Bln) stellt in § 11 Genehmigungspflichtige Maßnahmen klar, dass die Denkmalbehörden bei ihren Entscheidungen die Belange von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen haben.

 

In der tagtäglichen Realität führt jedoch oftmals allein der Umstand eines Denkmals dazu, dass Planer*innen Maßnahmen zur Barrierefreiheit überhaupt nicht in Betracht ziehen. Auch für die Entscheidungen der Zuwendungsgeber sind zumeist die Abstimmungen der Auftraggeber*innen mit der Denkmalbehörde relevant, nach den gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen zur Barrierefreiheit wird häufig erst gar nicht gefragt. Somit entscheidet die Denkmalschutzbehörde über die Belange der Barrierefreiheit – ohne nachweisen zu müssen, dass eine sachverständige Stelle für Barrierefreiheit am jeweiligen Entscheidungsprozess zuvor überhaupt beteiligt wurde. Das führt zu einem kaum bestreitbaren Interessenkonflikt, der in der Regel zu Gunsten des Denkmalschutzes und zu Lasten von Menschen mit Behinderungen entschieden wird. Mit dem vom Senat immer wieder postulierten Gleichrang der beiden Rechtsgüter Barrierefreiheit und Denkmalschutz ist das nicht zu vereinbaren.

 

Die SPD fordert von ihren politische und administrative Verantwortung für alle Berliner*innen tragenden Amts- und Mandatsträger*innen

  • die Einhaltung und Überprüfung aller in den oben genannten Regularien festgelegten Planungs- und Ausführungsschritte zwecks Sicherstellung einer umfassenden Barrierefreiheit,
  • neben der frühzeitigen Einbeziehung der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen den Ausbau der Kompetenz für barrierefreies Bauen in der zuständigen Senatsverwaltung und deren Bündelung entweder in der Koordinierungsstelle der Senatsverwaltung für Bauen, Stadtentwicklung und Wohnen oder der seit dem 1.1.2022 nur auf dem Papier existierenden Landesfachstelle für Barrierefreiheit und angemessene Vorkehrungen (LGBG, § 31). Die Sachverständigen sind auf Landes- und Bezirksebene in alle Planungs-, Genehmigungs- und Ausführungsschritte von Bauvorhaben in Berlin von Anfang an einzubeziehen sowie ihre Stellungnahmen bei Entscheidungen zu berücksichtigen,
  • die Einführung eines geregelten Verfahrens zum Aushandeln und zum Ausgleich der Belange von Menschen mit Behinderungen auf der einen Seite und den Belangen des Denkmalschutzes auf der anderen Seite. Es braucht Lösungen bei Interessenskonflikten zwischen Denkmalschutz und Barrierefreiheit, die allen Interessenslagen zugutekommen. Hier ist die sachverständige Koordinierungs- bzw. Landesfachstelle für Barrierefreiheit und angemessene Vorkehrungen zwingend aktiv einzubeziehen. Es ist ein Abwägungsprozess durchzuführen, in dem zuerst geeignete Maßnahmen zur Barrierefreiheit beschrieben werden und anschließend eine denkmalkonforme Umsetzung durch die Denkmalbehörde geprüft wird,
  • die Gewährleistung einer öffentlich einsehbaren Begründung eines Widerspruchs der Denkmalschutzbehörde gegen Maßnahmen der Barrierefreiheit. Hierbei sollte z.B. deutlich werden, worin die denkmalschutzkonstituierenden Eigenschaften bestehen und warum diese Eigenschaften durch Maßnahmen der Barrierefreiheit unzumutbar beeinträchtigt werden und warum nicht zumindest temporäre / wieder umkehrbare Maßnahmen zulässig sind,
  • die Schaffung einer neutralen Entscheidungsinstanz, die bei erfolglosem Abstimmungsprozess eine Lösung herbeiführt.

 

Die SPD fordert von ihren Mandatsträger*innen im Berliner Abgeordnetenhaus einen Auflagenbeschluss zum Disability Budgeting, damit das Disability Mainstreaming auch tatsächlich umfassend im Sinne aller Berliner*innen mit und ohne Beeinträchtigung umgesetzt wird.

 

Antrag 08/II/2023 Zukunft geht nur mit der Partei! Für eine ernstgemeinte Erneuerung der SPD Berlin

19.08.2023

Mit dem Antrag „Luft zum Atmen: Für eine starke Berliner Sozialdemokratie als Motor des gesellschaftlichen Fortschritts” hat die SPD Berlin im Mai 2023 den Grundstein für einen innerparteilichen Erneuerungsprozess gelegt, der unabdingbar  für die Zukunftsfähigkeit der Berliner Sozialdemokratie ist. Für uns steht fest: Ohne einen ernstgemeinten Neuanfang auf inhaltlicher und personeller Ebene wird die SPD Berlin zukünftig keine führende Rolle in der politischen Landschaft Berlins einnehmen und das Ziel eines SPD-Wahlsieges 2026 und unsere Vision eines sozialen und gerechten Berlins gefährden. 

Die deutliche Zustimmung auf dem letzten Landesparteitag zur Forderung dieser Erneuerung hat ausdrücklich gezeigt, dass die Mehrheit unseres höchsten beschlussfassenden Gremiums diesen Weg unterstützt. Nun müssen wir die Weichen stellen, um dem Beschluss konkrete politische Taten folgen zu lassen. Allerdings sind seit dem letzten Landesparteitag bisher keine Signale an die Partei getragen worden, wie dieser Prozess aussehen soll. Daher zeigt dieser Antrag weitere Leitlinien auf, die dazu beitragen sollen, unsere sozialdemokratische Idee (wieder-) zu finden und aus den gemachten Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlüsse für eine erfolgreiche Zukunft zu ziehen – so wie wir es auf dem letzten Parteitag beschlossen haben.

 

Gemeinsam Fehler aufarbeiten geht nicht im Hinterzimmer!

Nach der Wahlniederlage wurde die „Wahlen wieder gewinnen und Parteiorganisation Kommission” seitens des Landesvorstands eingesetzt. Diese Kommission, die größtenteils aus Mitgliedern des Landesvorstands besteht, soll Handlungsempfehlungen erarbeiten, wie die SPD Berlin wieder besser werden kann – sowohl innerparteilich als auch in Bezug auf Wahlergebnisse. Wir wollen der Arbeit der Kommission nicht vorgreifen. Gleichzeitig ist spätestens nach dem knappen Ausgang des Mitgliedervotums über die Regierungskoalition mit der CDU klar, dass die Aufarbeitung des Wahlergebnisses, des Umgangs miteinander besonders auch im Zuge des Mitgliedervotums und auch die inhaltliche Ausrichtung der Partei nicht im Hinterzimmer von einigen wenigen Funktionär*innen vorgenommen werden kann. 

Stattdessen braucht es ausgehend von den Handlungsempfehlungen der „Wahlen wieder gewinnen”-Kommission eine echte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen und den Willen zu notwendigen Reformen. Das muss in der Breite der Partei geschehen. Daher muss der Landesvorstand Angebote zur Vorstellung und einer vertieften Diskussion der Ergebnisse in den Gliederungen schaffen. 


Daher fordern wir:

  • eine regelmäßige parteiöffentliche Information über die Arbeit und die Handlungsempfehlungen der Kommission „Wahlen wieder gewinnen und Parteiorganisation”
  • Präsentations- und Diskussionsangebote seitens des (geschäftsführenden) Landesvorstands für die Gliederungen, um über den Bericht der Kommission ins Gespräch zu kommen und diesen (kritisch) zu diskutieren und die Ergebnisse der Diskussionen in die finalen Empfehlungen der Kommission einzuarbeiten.
  • Die zeitnahe Vorlage der Befragungsergebnisse der Umfrage zur Untersuchung des Mitgliedervotums. Die Erkenntnisse der Umfrage stellen eine wichtige Grundlage für den weiteren Debattenprozess dar. Es ist deshalb unabdingbar, dass den Mitgliedern der SPD eine vollständige Zusammenstellung der Antworten zu den einzelnen Fragen vorgelegt wird und keine komprimierte Auswertung der Ergebnisse, die möglicherweise schon Wertungen der Befragung vorwegnimmt. 

 

Partei-Erneuerung beginnt jetzt!

Fest steht, dass wir keine Zeit haben, die Erneuerung unserer Partei hinauszuzögern. Unsere Partei ist nach wie vor in der Öffentlichkeit nicht mit eigenständigen Impulsen sichtbar. Es fehlt an einer zusammenhängenden Idee für die politische Gestaltung unserer Stadt. Es fehlt an einer Vision, die die verschiedenen Politikfelder mit einer sozialdemokratischen Klammer zusammenbringt. Nicht nur viele Bürger*innen, sondern auch unsere Mitglieder wünschen sich aber genau das: ein klares Leitbild, was für uns Sozialdemokratie bedeutet und Instrumente, die diese Erzählung in konkretes politisches Handeln übersetzen. Die vielen Austritte in den letzten Monaten haben gezeigt, dass wir schnell handeln müssen. Solche inhaltlichen Diskussionsräume zu öffnen, ist Aufgabe des geschäftsführenden Landesvorstandes. Da bisher keine Ideen des geschäftsführenden Vorstands vorliegen, bekräftigen und konkretisieren wir hiermit unsere Forderung nach Debattencamps in Anlehnung an die Debattencamps der Bundes-SPD 2018. Diese sollen spätestens mit Beginn des kommenden  Jahres zu spezifischen Themen organisiert werden. Zusammen mit Bündnispartner*innen, Expert*innen, zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und unseren Mitgliedern sollen Diskussionsräume angeboten werden, damit die gesamte Breite der Partei an der inhaltlichen Neuausrichtung teilhaben und diese mit eigenen Impulsen gestalten kann. 

Diese thematische Fokussierung soll zur Schärfung unseres Profil einerseits nach außen (durch z.B. Forderungen) und andererseits nach innen (z.B. Einbindung unserer Mitgliedschaft, Stärkung der Zusammenarbeit mit Bündnispartner*innen) beitragen. Dieser Prozess ist Teil zur Ausarbeitung einer neuen Programmatik, welche vom Landesvorstand zu organisieren ist. Der Zeitpunkt zum Start dieser Debattencamps ist bewusst vor die Parteiwahlen gelegt worden. Nach den Parteiwahlen sind unmittelbar die Wahlen zum Europäischen Parlament, an die sich wiederum die Sommerpause anschließt. Die Erneuerung und inhaltliche Ausrichtung unserer Partei kann aber nicht länger warten!

 

Somit fordern wir:

  • die Ausrichtung von Debattencamps/Kongressen ab spätestens Januar 2024 zu jeweils spezifischen übergeordneten Themen unter Beteiligung von Bündnispartner*innen und der Zivilgesellschaft.
  • eine darauf basierende Erarbeitung einer neuen Programmatik für die Berliner SPD, die eine Vision für die Stadt 2030 zeichnet.

 

Im Mai 2023 haben wir uns auch dazu bekannt, die Begleitung der Arbeit in der schwarz-roten Koalition auf eine breite, Partei-öffentliche Grundlage zu stellen. Es gilt, gemeinsam zu bewerten, wo sozialdemokratische Projekte des Koalitionsvertrags voranschreiten, wo die Arbeit an in der Koalition möglichen Projekten intensiviert werden muss und wo Kernanliegen der Berliner SPD in der Koalition nicht umsetzbar sind. Diese Erkenntnisse sind auch eine wichtige Grundlage für die Debattencamps – denn ein gemeinsames Verständnis von der Umsetzbarkeit sozialdemokratischer Ziele unter den Bedingungen der bestehenden Koalition schärft den Blick für die noch zu klärenden mittel- und langfristigen Linien.

Somit fordern wir:

  • Durchführung von mindestens 4 thematischen Foren zur Begleitung der schwarz-roten Koalition unter Einbeziehung der jeweils involvierten Arbeitsgemeinschaften und Fachausschüsse
  • Aufbereitung der Ergebnisse für die weitere Arbeit in den Debattencamps

 

Update für den Landesvorstand 

Diese beschriebene inhaltliche Erneuerung ist zwingend notwendig, damit die Berliner*innen wissen, wofür die SPD Berlin steht und welche Ideen wir für die Stadt haben. Inhalte allein reichen aber nicht aus, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Neben einer mutmachenden und packenden Erzählung für das Berlin der Zukunft brauchen wir auch eine personelle Veränderung an der Spitze unserer Partei. Unsere Stärke liegt in der Vielschichtigkeit unserer Mitglieder. Wir sind so unterschiedlich wie Berlin und können die Stadt auch in unserer Führung abbilden. Repräsentanz der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere solche, die in der Politik bisher unterrepräsentiert sind, spielt dabei eine wichtige Rolle. Aber auch politische Vorhaben für die ehrenamtliche Arbeit in unserer Partei müssen wieder mehr in den Fokus rücken. 

Ein Vorstand, der überwiegend aus Mandatsträger*innen oder im politischen Betrieb Beschäftigen zusammengesetzt ist, verkennt die Lebensrealitäten Berlins. Gleichzeitig muss – wie oben beschrieben – unsere Partei wieder mehr Eigenständigkeit zur Entwicklung neuer politischer Antworten bekommen. Dass diese Antworten nicht immer die Senatslinie unterstützen, ist ein Vorteil, den wir brauchen, um als Partei auch abseits der Regierung und somit abseits unserer Koalitionspartner*innen mit politischen Ideen wahrgenommen zu werden. Nur wenn wir zulassen, dass die SPD Berlin eigenständig politische Ansätze zur Bewältigung gesellschaftlicher Krisen und eine Vision für Berlin entwirft und aktiv nach außen vertritt, können wir erfolgreich werden. Der inhaltliche und personelle Motor ist die Partei. Dass dieser wieder anspringt, ist unsere Aufgabe. Die Bundesebene hat uns gezeigt, wie eine eigenständige und wahrnehmbare Partei zu Wahlerfolgen führen kann.  Die Geschicke der Partei werden auf vielen Ebenen von Ehrenamtlichen geleistet – dass das auch im obersten Führungsgremium gelingt, ist uns wichtig. Deshalb bekräftigen wir den Beschluss, wonach im geschäftsführenden Landesvorstand der SPD künftig nicht mehrheitlich Genoss*innen vertreten sein sollen, die als Staatssekretär*innen, Senator*innen oder Fraktionsvorsitzende die Landesregierung maßgeblich tragen, und keine Doppelspitze aus zwei der genannten Amtsträger*innen gebildet werden soll. 

Die beschriebene notwendige inhaltliche und personelle Vielfalt gilt aber nicht nur für den geschäftsführenden Landesvorstand, sondern auch für die Beisitzer*innen im Landesvorstand. Die Aufgaben, vor denen wir als Partei stehen, sind gewaltig – die zu leistenden Arbeit wird nicht abnehmen. Der gesamte Landesvorstand braucht daher ein Update. Die Wahl des Landesvorstands insgesamt, aber besonders des geschäftsführenden Vorstands, muss wieder ein Wettbewerb der Ideen werden und nicht eine Bekanntmachung per Dienstagsbrief. Auch diese Debatten müssen wieder mehr in die Breite der Partei getragen werden. 

 

Wir fordern, daher 

  • dass die zu wählenden Beisitzer*innen des Landesvorstands mit konkreten Projekten/ Themen antreten sollen. So können Zuständigkeiten im Vorhinein festgelegt und die alltägliche Arbeit auf mehrere Schultern verteilt werden.
  • Mitgliederforen, bei denen sich alle Kandidat*innen für den Landesvorstand sich und ihre Ideen vorstellen und Fragen der Mitglieder beantworten können. Hierbei ist angedacht, dass es mindestens vier Regionalkonferenzen (Ost, West, Nord, Süd) gibt, welche extern moderiert werden.

 

Wir sind überzeugt, dass die Sozialdemokratie nicht nur eine politische Ideologie mit einer langen Tradition ist, sondern auch die entscheidende politische Idee der Zukunft sein kann. Als Sozialdemokrat*innen müssen wir diese Zukunft nicht scheuen, sondern sie gestalten. Mit dem hier skizzierten Beteiligungsprozess machen wir dafür einen weiteren Schritt.

Antrag 10/II/2023 Geschlechterneutrale Toiletten in allen Räumlichkeiten der SPD Berlin

19.08.2023

Der SPD-Landesverband Berlin sowie die SPD-Kreisverbände von Berlin werden aufgefordert, sicherzustellen, dass geschlechterneutrale Toiletten in allen SPD-Räumlichkeiten (Kurt-Schumacher-Haus, Kreisbüros etc.) vorhanden sind. Diese sollen überall dort verfügbar sein, wo es auch geschlechtergetrennte Toiletten gibt (sog. „Damen- und Herrentoiletten“). Eine Möglichkeit der Sicherstellung kann auch die Umwidmung von geschlechtsspezifischen in geschlechtsneutrale Toilettenräume sein. Dies ist ein wichtiger Schritt gegen die Ausgrenzung von Minderheiten und zur Schaffung von sicheren Räumen für non-binäre, Inter- und Trans*personen. Dies sollte nicht auf Kosten von Schutzräumen für FINTA*-Personen gehen.

Antrag 99/II/2023 Sicher und zu Hause fühlen: Sozialdemokratische Antworten für queere Sicherheit in unserer Regenbogenhauptstadt

19.08.2023

Queere Sicherheit: sozialdemokratisch gedacht

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben wir bedeutende Fortschritte auf dem Weg zu Akzeptanz und Respekt für queere Menschen gemacht. Dennoch sind queere Menschen im Alltag den verschiedensten Formen von Unsicherheit und Gefahren ausgesetzt. Das Spektrum reicht von Vorurteilen und Ablehnungen über Diskriminierung und Stimmungsmache bis hin zu queerfeindlicher Hasskriminalität. Hierzu zählen nicht nur physische und verbale Gewalt auf der Straße, sondern auch Beleidigungen, Bedrohungen und andere Straftaten, die mitunter zu Hause, am Arbeitsplatz und in den sozialen Medien geschehen.

 

Queerfeindliche Straftaten richten sich nicht nur gegen die Betroffenen selbst, sondern auch gegen die Existenz und Sichtbarkeit queerer Menschen an sich. Hasskriminalität schafft eine latente Drohkulisse, immer und überall angegriffen werden zu können. Diese Drohkulisse zielt darauf ab, queere Menschen unsicher und unsichtbar zu machen. Gerade in den letzten Monaten ist eine weitere Radikalisierung im Bereich der politisch motivierten Queerfeindlichkeit zu beobachten. Die Zunahme von Verschwörungserzählungen gegen queere Menschen und der immer sichtbarer werdende Kulturkampf zeigen, dass es rechtsradikalen Kräften längst nicht mehr nur um die Deutungshoheit geht, sondern um die Durchsetzung eines totalitären Gesellschaftsbilds. Hinzu kommt die immer häufiger zu beobachtende Gleichsetzung von queerem Aktivismus mit rechten Ideologien, die ebenfalls auf die Eliminierung der queeren Community abzielt. Darin liegt das demokratie- und gesellschaftsgefährdende Potential queerfeindlicher Hasskriminalität: Schutz vor Diskriminierung bleibt wirkungslos, solange queere Menschen Angst haben müssen, nachts U-Bahn zu fahren oder Hand in Hand durch ihren Kiez zu gehen.

 

Diskriminierungen und Stimmungsmache bereiten den Boden dafür, Gewalt, Beleidigungen und Bedrohungen alltäglich und Queerfeindlichkeit salonfähig zu machen. Insbesondere die Versuche aus rechten und rechtsradikalen Kreisen, die auf Kosten queerer Menschen einen Kulturkampf gegen eine imaginäre “Gender-Ideologie”, gegen “Gender-Sprache” und gegen die Vielfalt unserer Gesellschaft führen, lehnen wir ab. Als sozialdemokratische Partei stellen wir uns entschieden gegen jegliche Formen von Queerfeindlichkeit.

 

Zugleich wollen wir der queeren Community Antworten geben, wie die Sozialdemokratie den Herausforderungen von queerer Unsicherheit und queerfeindliche Hasskriminalität begegnen will.

 

Sozialdemokratische Politik ist immer darauf ausgerichtet, Unsicherheiten abzubauen, soziale Gerechtigkeit herzustellen und allen Menschen – unabhängig von ihren Lebensumständen – ein sicheres und gutes Leben zu ermöglichen. In Berlin ist wie unter einem Brennglas sichtbar, dass auch queere Sicherheit eine soziale Frage ist, welche sozialdemokratische Antworten erfordert. Mit unserer Politik für queere Sicherheit wollen wir dafür sorgen, dass sich alle Menschen in unserer Regenbogenhauptstadt sicher und zu Hause fühlen können – unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung.

 

Dabei ist uns bewusst, dass unterschiedliche Teile der queeren Community von verschiedenen Formen von Unsicherheiten betroffen sind. So richtet sich etwa sexualisierte Gewalt besonders häufig gegen Frauen und trans* Personen. Queere Menschen, die Rassismus ausgesetzt sind, erfahren queerfeindliche Hasskriminalität wiederum in anderen Formen als Weiße Menschen. Zum anderen muss in Berlin zwischen den Situationen und Lebenswelten queerer Menschen in den Innen- und Außenbezirken der Stadt unterschieden werden. Ausgangsbedingungen und Erfahrungen, insbesondere was den Zugang zu Beratung und Unterstützung oder zu queeren Orten angeht, variieren teilweise massiv zwischen Bezirken und einzelnen Ortsteilen.

 

Um möglichst alle Teile unserer diversen Community zu erreichen, braucht es gezielte Angebote und Formate, die die jeweiligen Bedürfnisse – einschließlich Barrierefreiheit – berücksichtigen. Deswegen setzen wir auf einen ständigen Dialog mit der queeren Community und dem Berliner Senat. Hierfür ist die von der SPDqueer geforderte und von der SPD durchgesetzten Benennung eines Queerbeauftragten ein wichtiger erster Erfolg.

 

Um queere Sicherheit zu fördern, reicht es nicht aus, wenn der Staat erst bei der Verfolgung von Straftaten aktiv wird. Unsere sozialdemokratische Politik für queere Sicherheit basiert deswegen auf fünf Säulen: einer umfassenden Präventionsarbeit (I.), der Beratung und Unterstützung für Betroffene von Queerfeindlichkeit (II.), einer konsequenten Ahndung von Straftaten durch Strafverfolgungsbehörden, die die Bedürfnisse queerer Menschen ernst nehmen (III.), der Weiterentwicklung eines geeigneten Rechtsrahmens (IV.) sowie Verbesserungen der Datengrundlage (V.)“;. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen wollen wir dazu beitragen, Solidarität, Vertrauen und Sicherheitsgefühl in der gesamten Gesellschaft zu schaffen und zu steigern.

 

I: Prävention vorantreiben, Aufklärung leisten, geschützte Räume schaffen

Das wichtigste Instrument für queere Sicherheit ist effektive Aufklärungs- und Präventionsarbeit, um die Wurzeln queerer Unsicherheit und Queerfeindlichkeit anzugehen. Der Jugend- und Sozialarbeit kommt deswegen eine zentrale Rolle zu. Auf der anderen Seite sind Gewalt und Diskriminierung queerer Menschen auch in Institutionen verbreitet, die Anker sozialer Teilhabe seien sollen – wie Schulen, Arbeitsstätten oder Freizeiteinrichtungen. Auch hier müssen wir ansetzen, um Vertrauen aufzubauen und die Sicherheit im Alltag zu stärken. Um diese Ziele zu erreichen, ist nicht nur die queere Community gefordert, sondern die gesamte Gesellschaft. Auch Vereine, Verbände und Religionsgemeinschaften tragen Verantwortung und müssen eingebunden werden, um in ihrem Tätigkeitsfeld Queerfeindlichkeit entgegenzutreten und Sicherheit für queere Menschen zu schaffen. Nicht zuletzt spielen auch die Bezirke eine zentrale Rolle.

 

Wir fordern die SPD-BVV-Fraktionen auf, queere Sicherheit zu einem Bestandteil ihres politischen Handelns zu machen. Wir wollen den Erfahrungsaustausch zwischen den Bezirken unterstützen und stärken, um erfolgreiche Maßnahmen adaptieren und in den jeweiligen Bezirken den lokalen Bedürfnissen entsprechend anpassen und umsetzen zu können.

 

Wir fordern die zügige Umsetzung des Landesparteitags-Beschlusses und der entsprechenden Vereinbarung im Koalitionsvertrag zur Einrichtung von Queer-Beauftragte in allen Bezirken, um Aufklärungs- und Supportprogramme verlässlich steuern und Anlaufstellen anbieten zu können – sowohl innerhalb der Verwaltung als auch gegenüber Bürger*innen. Die Queer-Beauftragte sollen einen engen Dialog mit der queeren Community in den jeweiligen Bezirken aufbauen, Projektfördermittel einwerben und die Vernetzung untereinander fördern.

 

Gerade an Schulen sind queere Jugendliche noch immer Unsicherheiten, Queerfeindlichkeit und Mobbing ausgesetzt. Wir wollen dazu beitragen, dass Schulen endlich zu geschützten Räumen für queere Jugendliche werden. Deshalb setzen wir uns dafür ein, in allen Bezirken Stellen für Schulqueerarbeit zu schaffen. Die Stelleninhaber*innen sollen entsprechend der Zielgruppe (Alter, Schulform) die bereits existierende Schulsozialarbeit und schulpsychologische Beratung unterstützen. Aufgabe soll neben regelmäßigen Schulungen und Aufklärungsarbeit für Lehrende und Lernende auch Beratung und Konfliktlösung sein.

 

Beschäftigte an den Schulen müssen darin geschult und unterstützt werden, wie sie Queerfeindlichkeit und andere Formen von Diskriminierung erkennen und diesen effektiv entgegenwirken können. Schüler*innen, die Diskriminierung und Mobbing erfahren, müssen niedrigschwellig Unterstützung erfahren. Des Weiteren müssen Schulen und Jugendhilfe für die Bedrohungen von queeren Menschen durch häusliche Gewalt sensibilisiert werden.

 

Um die Sensibilisierung von Schüler*innen und Lehrer*innen zu verbessern und die Prävention zu stärken, setzen wir uns auch dafür ein, die Themen “Queeres Leben” und Queerfeindlichkeit in ihren verschiedenen Facetten auch im Schulunterricht zu thematisieren. Eine Orientierung kann hierbei beispielsweise das bundesweite Netzwerk „Schule der Vielfalt“ (https://www.schule-der-vielfalt.org/) liefern.

 

Auch am Arbeitsplatz sind queere Menschen alltäglichen, offenen und versteckten Diskriminierungen und Unsicherheiten ausgesetzt. Hier sind Arbeitgeber*innen gefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit sich alle Beschäftigten bei der Arbeit sicher und wertgeschätzt fühlen. Um dies zu unterstützen, fordern wir den Ausbau von Beratungs- und Coachingprogrammen, etwa “qu:ib – queer im beruf” oder “Proud at Work”, sowohl für Arbeitnehmer*innen als auch für Arbeitgeber*innen. Auch die Berufsorientierungs- und Ausbildungsphase sollen dabei in den Blick genommen werden.

 

In Einrichtungen der Jugend- und der Senior*innenarbeit, der Wohnungslosenhilfe und in Wohnprojekten müssen Konzepte zur Sensibilisierung und zur Prävention von Diskriminierung und Queerfeindlichkeit entwickelt werden, die die besondere Abhängigkeit der betroffenen Personengruppen von Hilfe und Unterstützung mit einbeziehen. Zudem müssen das Programm für den Aufbau queerer Jugendzentren beschleunigt und Wohnbauprojekte für queere Senior*innen, wie etwa der Lebensort Vielfalt am Südkreuz, verstärkt in den Blick genommen werden, um in allen Bezirken Angebote und sicherere Räume für diese Gruppen zu schaffen. Der Fokus soll auf der breiten Streuung der Angebote in möglichst allen Einrichtungen der Jugend- und Senior*innenarbeit liegen, um eine größtmögliche Inanspruchnahme sicherzustellen.

 

In allen Aufnahmeeinrichtungen für geflüchtete Menschen sind LSBTQIA*-inklusive Schutzkonzepte umzusetzen. Bei einer Gefährdungslage oder Gewaltvorfällen müssen Schutzräume zur Verfügung stehen und eine zügige Verlegung in Einzelzimmer oder andere Unterkünfte ermöglicht werden. Zudem sollten weitere Aufnahmeeinrichtungen speziell für vulnerable Gruppen, darunter auch queere Geflüchtete, geschaffen werden.

 

Queere Freizeit- und Kulturräume sind für viele die einzigen Orte, in denen queere Menschen selbstbestimmt ihre Identität ausleben können. Sie sind aber durch hohe Mieten, schrumpfende Fördermittel oder städtebauliche Verdrängung in ihrer Existenz bedroht. Wir brauchen einen Bestandsschutz für diese Räume und verlässliche Finanzierung und Förderung. Gleichzeitig gibt es auch in diesen Räumen unter anderem Rassismus, Sexismus und Trans*feindlichkeit. Hier müssen Programme zur Sensibilisierung ausgebaut und verstetigt werden.

 

II: Beratungsangebote ausbauen, Betroffenen helfen

Menschen aus der Community zu beraten und zu unterstützen – gerade dann, wenn sie von Queerfeindlichkeit betroffen sind – ist ein wichtiger Aspekt queerer Sicherheit. Hierzu leisten Initiativen aus der Community teilweise schon seit Jahrzehnten wichtige und wertvolle Arbeit. Wir wollen diese Arbeit nicht nur weiter ausbauen und stärken, sondern auch mehr Verlässlichkeit und Planungssicherheit für queere Initiativen gewährleisten. Denn auch die Initiativen brauchen das Vertrauen und die Sicherheit, dass ihre Arbeit wertgeschätzt und gefördert wird. Vorhandene Lücken im Beratungs- und Unterstützungsangebot wollen wir schließen. Damit die bestehenden Initiativen den aktuell stark steigenden Beratungsbedarf erfüllen, sich zusätzlich mit ihrer Fachkompetenz bei der Prävention einbringen und den fachlichen Austausch mit Strafverfolgungsbehörden und anderen Stellen führen können, fordern wir die SPD-Mitglieder von Senat und Abgeordnetenhaus auf, sich für eine bedarfsgerechte Steigerung der verfügbaren Haushaltsmittel einzusetzen. Prävention darf nicht an der Ressourcenfrage scheitern. Der Ausbau des Beratungsangebots durch neue Beratungsstellen darf nicht zulasten der Arbeit bestehender Initiativen gehen.

 

Wir setzen uns dafür ein, die Initiative geschlechtliche und sexuelle Vielfalt (IGSV) des Senats zu aktualisieren und auszubauen. Dabei wollen wir insbesondere die Präventions- und Antigewaltarbeit (s. auch II.) weiter fördern und stärken.

 

Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und des Abgeordnetenhauses dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass die Beantragung und Bewilligung von Fördermitteln für queere Beratungs- und Unterstützungsangebote verlässlich, dauerhaft, unbürokratisch und zügig gestaltet wird. Bearbeitungszeiten müssen so gering wie möglich gehalten und dauerhaft bestehende Aufgaben auch dauerhaft finanziert werden.

 

Wir setzen uns dafür ein, die Beratungslandschaft in ganz Berlin bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Unabhängige Beratungsangebote müssen flächendeckend in allen Bezirken gewährleistet sein. Mit Blick auf die Verfügbarkeit von Angeboten und die Bedarfsstruktur ist die Schaffung von Beratungsstellen in unterversorgten Bezirken zu priorisieren.

 

Dabei setzen wir uns für einen intersektionalen Ansatz ein, der berücksichtigt, dass Queerness nur eine Facette der Lebenswelt queerer Menschen ist. Andere Facetten wie Geschlecht, Betroffenheit von Rassismus, Armut, Behinderung und Queerness müssen ebenso in den Anforderungen an Beratung und Unterstützung Berücksichtigung finden. Vielfältige Angebote können eine bedürfnisorientierte Beratung besser gewährleisten. Besonders wichtig für uns ist die Einrichtung eigener Beratungsstellen für trans* und nicht-binäre Menschen sowie die Beratung Betroffener von Gewalt in queeren Partner*innenschaften.

 

Wir setzen uns für einen engen und vertrauensvollen Austausch zwischen Polizei, Justiz, Beratungsstellen und der Community ein, um Wissen zu teilen und gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zu stärken.

 

In diesem Zusammenhang ist es inakzeptabel, dass der Austausch von Daten über queerfeindliche Straftaten wegen Datenschutzbedenken seit längerer Zeit nicht mehr stattfindet. Dies wollen wir schnellstmöglich ändern, erforderlichenfalls durch eine Gesetzesänderung.

 

Wir unterstützen insbesondere queere Menschen dabei, sich aktiv in die Lage zu versetzen, sich vor möglichen Angreifer*innen zu schützen und für andere Menschen Zivilcourage zu zeigen. Wir setzen uns deshalb dafür ein, Initiativen wie queerschutz now, welche spezielle Angebote für die queere  Community im Bereich von Selbstbehauptung und -verteidigung bei queerfeindlichen Angriffen anbieten, verstärkt zu fördern.

 

Weiterhin werden gezielte Mental Health-Angebote für Personen benötigt, die Übergriffe befürchten müssen oder erfahren haben – zum Beispiel regelmäßige Kurse und Gruppenangebote. Zusätzlich müssen Institutionen, die verbalen oder physischen queerfeindlichen Angriffen ausgesetzt sind, eine niedrigschwellige und kostenfreie Beratung, insbesondere zu Sicherheitsfragen, in Anspruch nehmen können.

 

Wir unterstützen die geplante Einrichtung einer zweiten Krisenwohnung mit dem Fokus auf Gewalt in Partner*innenschaften und häusliche Gewalt. Wir setzen uns für einen weiteren bedarfsgerechten Ausbau dieser Angebote ein. Darüber hinaus sollten in allen Bezirken niedrigschwellige, auch kurzfristig verfügbare Notwohnangebote für queere Menschen zur Verfügung stehen, insbesondere für junge Menschen und Betroffene von Mehrfachdiskriminierung.

 

III: Straftaten konsequent ahnden, Vertrauen und Sensibilität aufbauen

Betroffene von Vorurteils- und Hasskriminalität haben oft – teils aus eigener Erfahrung, teils vor dem Hintergrund der Geschichte – ein geringeres Vertrauen in staatliche Institutionen. Wir wollen, dass Polizei und Justiz stets überzeugt an der Seite queerer Menschen stehen und deren Rechte und Sicherheit verteidigen. Hierzu brauchen wir eine bürger*innennahe und konsequente Polizei und Justiz, die die Anliegen queerer Menschen ernst nimmt und mit ihnen auf Augenhöhe kommuniziert. Queerfeindlichkeit muss Konsequenzen haben – denn Täter*innen schlagen zu, wenn sie keine Konsequenzen fürchten müssen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, die Kompetenz von Polizei und Justiz, auf Queerfeindlichkeit effektiv zu reagieren, weiter auszubauen und zu stärken.

 

Die sozialdemokratischen Innenminister*innen und Innensenator*innen von Bund und Ländern werden aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die von der Innenminister*innenkonferenz auf Initiative Berlins erarbeiteten Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung von gegen queere * Personen gerichteten Straftaten effektiv umgesetzt werden. Hierzu sind mehrere Aspekte notwendig:

  • die Erstellung eines bundesweiten Lagebildes, um einen Überblick über das Ausmaß an queerfeindlicher Hasskriminalität zu erhalten;
  • die Erarbeitung von Fallbeispielen, um die statistische Erfassung zu verbessern und präzisieren;
  • die Überprüfung und ggf. Anpassung von Kompetenzen und Aufgaben der jeweiligen staatlichen Ansprechstellen und der Ausbildungsinhalte des Personals anhand der vorgelegten Mindeststandards;
  • eine aktive Netzwerkarbeit der unterschiedlichen Ansprechstellen untereinander und
  • die Erstellung einer Übersicht zu Präventionskonzepten.

 

Bei der Umsetzung dieser Punkte muss die queere Community eng mit eingebunden werden.

 

Kompetenz und Sensibilität der Strafverfolgungsbehörden und der Justiz sind zentrale Bausteine für den erfolgreichen Kampf gegen Hasskriminalität. Um adäquat auf Queerfeindlichkeit zu reagieren und das Vertrauen innerhalb der Community zu stärken, sind die hauptamtlichen Ansprechpersonen für LSBTQIA* beim Landeskriminalamt und die Zentralstelle Hasskriminalität bei der Staatsanwaltschaft Berlin – insbesondere deren Vernetzungsarbeit mit der Community – Erfolgsmodelle. Wir wollen diese Stellen weiter ausbauen und stärken, auch durch zusätzliches Personal.

 

Wir wollen die Anzeigebereitschaft bei Betroffenen queerfeindlicher Hasskriminalität erhöhen und der Dunkelfeldproblematik entgegenwirken. Erst diese Bereitschaft macht eine Strafverfolgung durch die Justiz möglich. Dazu wollen wir die Möglichkeiten möglichst niedrigschwellig und barrierearm gestalten, Strafanzeige zu erstatten und in diesem Rahmen auch (mögliche) queerfeindliche Motivationen anzugeben, beispielsweise durch Aufnahme der Frage in Anzeigeformularen. Dazu gehört auch, dass mögliche Instrumente des Opferschutzes (z.B. keine Weitergabe von (Privat-)Adressen, „kleiner Opferschutz”) konsequent genutzt und den Betroffenen besser bekannt gemacht werden.

 

Nicht zuletzt spielen qualifizierte Beratungsstellen bei der Steigerung der Anzeigebereitschaft eine wich-tige Rolle. Diese können im direkten Gespräch mögliche Sorgen und Ängste abbauen sowie durch ihre Beratung und Hilfestellung dazu beitragen, dass Betroffene sich zur Anzeige entschließen und trotz der damit einhergehenden Belastungen das gesamte Strafverfahren durchhalten.

 

Um qualitativ hochwertige Beratung zu sichern, sollen alle Mitarbeiter*innen in Polizeidirektionen zum Umgang mit Queerfeindlichkeit und queerfeindlicher Hasskriminalität geschult werden. Darüber hinaus sollte geprüft werden, in den Polizeidirektionen gesonderte Termine bei speziell zu queeren Themen geschulten Mitarbeiter*innen anzubieten, zum Beispiel in Form einer Online-Terminbuchung. So können queere Menschen sicher sein, dass sie ihre Strafanzeige bei einer Person aufgeben werden, die mit Queerfeindlichkeit und queerfeindlicher Hasskriminalität vertraut ist. Dabei sollte auch sichergestellt sein, dass Personen das Gespräch auf Wunsch mit einer weiblichen Mitarbeiterin führen können.. Hierfür sind die notwendigen Ausbildungskapazitäten zu schaffen.

 

Um Queerfeindlichkeit – besonders Gewalt und Hasskriminalität gegen queere Menschen – stärker in den gesellschaftlichen Fokus zu rücken, setzen wir uns dafür ein, dass der Senat eine öffentlichkeitswirksame Kampagne für queere Sicherheit ins Leben ruft.

 

Wir setzen uns für verpflichtende Maßnahmen zur Queersensibilisierung von Polizei, Ordnungsamt und Rettungskräften ein, damit diese deeskalierend und unterstützend eingreifen können. Gleichermaßen wollen wir die Fortbildung von Staatsanwält*innen, Richter*innen, Justizbeschäftigten und Rechtsanwält*innen stärken, damit diese Queerfeindlichkeit erkennen und adäquat reagieren können.

 

Gute Kommunikation mit Betroffenen ist zentral, damit sich diese von staatlichen Stellen ernstgenommen fühlen. Polizei und Staatsanwaltschaft sollten sich hier auch in einer Service-Rolle sehen, um Betroffenen konsequent zur Seite zu stehen.

 

Zum einen unterstützen wir den Ansatz der Staatsanwaltschaft Berlin, bei queerfeindlichen Straftaten proaktiv auf ggf. erforderliche Strafanträge hinzuweisen und Betroffene auch außerhalb der rechtlichen Benachrichtigungspflichten über den Ausgang von Verfahren (z.B. bei Erlass eines Strafbefehls) zu informieren. Es ist zu prüfen, ob die Regelungen zur Information der Verletzten und der Strafantragsteller*innen in der StPO erweitert werden sollten.

 

Zum anderen sollen die Informationsangebote von Polizei und Staatsanwaltschaft, welche Betroffene aktiv an externe Beratungsstellen verweisen, noch stärker beworben und hervorgehoben werden, damit sie dort weiter unterstützt werden können (s. auch II. und III.). Insofern unterstützen wir eine enge Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen und queeren Beratungsstellen, so dass diese sich in ihren Aktivitäten gegenseitig ergänzen.

 

Wir setzen uns für einen Ausbau der psychosozialen Prozessbegleitung ein. Auch Beratungsstellen sollen dabei unterstützt werden, Betroffene auch im Prozess zu begleiten und zu beraten.

 

Nicht alle Formen queerfeindlicher Hasskriminalität sind mit körperlicher Gewalt verbunden. Es braucht hier bessere und vermehrte Beratung über nichtgewalttätige Straftaten und Leitlinien zum Umgang hiermit, um auch in diesem Bereich eine effektive Strafverfolgung gegen Täter*innen sicherzustellen.

 

Es ist ein Runder Tisch einzurichten, im Rahmen dessen Vertreter*innen von Sicherheitsbehörden, Betroffenen, Politik und Community sowie von Vereinen und Verbänden der nicht-queeren Zivilgesellschaft sich regelmäßig über aktuelle Entwicklungen austauschen und Handlungsempfehlungen erarbeiten. Dabei soll ein hohes Maß an Erfahrungs- und Perspektivenvielfalt, insbesondere in Bezug auf geschlechtliche Vielfalt und Rassismusbetroffenheit, sichergestellt werden.

 

IV: Rechtsrahmen weiterentwickeln, queerfeindliche Straftaten besser erfassen

In der Regel sind Fälle von Hasskriminalität zwar jetzt schon von Straftatbeständen erfasst, sodass eine schuldangemessene Ahndung grundsätzlich möglich ist. Queerfeindliche Motive müssen aber auch in den Ermittlungen angemessen berücksichtigt werden, damit die demokratie- und gesellschaftsgefährdende Wirkung von Hasskriminalität im Strafverfahren abgebildet wird. Hierzu sind im Einklang mit den Empfehlungen des Arbeitskreises „Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt“ rechtliche Anpassungen und eine bessere Erfassung queerfeindlicher Straftaten erforderlich.

 

Wir unterstützen, dass auf Initiative der Ampel-Koalition auf Bundesebene beschlossen wurde, im Strafgesetzbuch ausdrücklich zu regeln, dass geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Beweggründe der*des Täter*in bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Damit diese Regelung praktisch wirksam wird, setzen wir uns dafür ein, im Strafprozessrecht klarzustellen, dass die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft sich auch auf diese Beweggründe erstrecken müssen. Hierfür ist eine Erweiterung der §§ 158, 163 StPO zu prüfen.

 

Bei Anhaltspunkten für queerfeindliche Beweggründe sind die Ermittlungen auch auf diese Tatumstände zu erstrecken. Liegen queerfeindliche Beweggründe der*des Täter*in vor, ist in der Regel das öffentliche Interesse bzw. das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen. Nr. 15 Absatz 5, Nummer 86 Absatz 2 und Nummer 234 Absatz 1 RiStBV sind entsprechend zu ergänzen.

 

Im Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) ist klarzustellen, dass sich diese Straftat auch gegen eine durch ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität bestimmte Gruppe richten kann. Der Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung (§ 192a StGB) ist zu erweitern, sodass auch die Beschimpfung wegen des Geschlechts oder der Identität umfasst ist. Es ist zu prüfen, ob ob der Tatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) erweitert werden sollte, um sicherzustellen, dass das beharrliche und absichtliche Misgendern und “Deadnaming” von trans* Personen umfasst ist.

 

Deutliche Verbesserungen sind bei der Bekämpfung von Hass im Netz und beim digitalen Gewaltschutz erforderlich. Queere Menschen, die online aktiv sind und dort ihre Meinung äußern, sind oft massiver Hetze, Beleidigungen und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Um dem wirksam entgegenzutreten, unterstützen wir die stärkere Heranziehung der Plattformbetreibenden zur Löschung rechtswidriger Beiträge, zur Sperrung Hassrede verbreitender Accounts und die Einführung richterlich angeordneter Accountsperren. Solche Sperren sollen nicht nur dann in Betracht kommen, wenn eine einzelne Person online beleidigt und verunglimpft wird, sondern auch, wenn sich die Angriffe gegen verschiedene Personen oder gegen Gruppen richten. Damit individuelle Betroffene den Aufwand der Rechtsverfolgung nicht selbst leisten müssen, setzen wir uns für ein Verbandsklagerecht ein.

 

V: Gezielte Ursachenforschung betreiben, Datengrundlagen verbessern

Um queerfeindlichen Einstellungen effektiv entgegenwirken und wirksame Präventionsarbeit leisten zu können, bedarf es einer verlässlichen Datengrundlage – sowohl in Bezug auf die Verbreitung queerfeindlicher Einstellungen in der Gesellschaft und die dahinterstehenden Motive als auch in Bezug auf Straftaten und Übergriffe, denen queere Menschen ausgesetzt sind. In beiden Bereichen fehlt es vielfach an belastbaren Erkenntnissen.

 

Wir setzen uns daher für die Förderung wissenschaftlicher Studien ein, die zu einer besseren Datenlage beitragen können. Dabei müssen insbesondere die Ursachen sowohl für politisch motivierte als auch für alltägliche Queerfeindlichkeit genauer untersucht werden.

 

Wir fordern darüber hinaus die Intensivierung von Dunkelfeld-Studien, um besser zu verstehen, aus welchen Gründen queerfeindliche Straftaten nicht angezeigt oder nicht (korrekt) erfasst werden. Dabei ist auch zu untersuchen, in welchen Phänomenbereichen das Dunkelfeld besonders groß ist und inwiefern Hellfeldanalysen ggf. ein verzerrtes Bild der tatsächlichen Situation zeichnen.”;

 

Wir setzen uns weiterhin dafür ein, die Erfassung queerfeindlich motivierter Straftaten zu verbessern, um ein aussagekräftiges Lagebild zu erhalten. Ein Schwerpunkt muss dabei darauf gelegt werden, queerfeindlich motivierte sexualisierte Gewalt – insbesondere gegen weiblich gelesene Personen – besser zu erfassen und sicherzustellen, dass Fälle, bei denen sowohl Misogynie als auch Queerfeindlichkeit eine Rolle spielen, in beiden Kategorien dokumentiert werden. Sexualisierte Gewalt muss genauso ernst genommen werden wie körperliche Gewalt. Wir fordern in Berlin eine regelmäßige Auswertung nach Kiezen, um auch lokale Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen.

 

Die Informationen und Daten, die queere Menschen über sich, ihr Sexualverhalten und ihre sexuelle Gesundheit bei Onlinediensten angeben, unterliegen einem besonderen Datenschutz. Wir setzen uns dafür ein, die Weitergabe dieser Daten, die bspw. zu einem Outing oder der Bekanntgabe des HIV-Status bei Arbeitgeber*innen führen könnte, besonders aktiv strafrechtlich zu verfolgen.

 

Queere Sicherheit als Ziel und Verpflichtung

Die eigene sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität frei und in Sicherheit zu leben, ist Teil der freien Entfaltung der Persönlichkeit, die von den Grund- und Menschenrechten geschützt ist. Queerfeindlichkeit bedeutet eine Missachtung dieses grundlegenden Rechts. Gewalt und Kriminalität gegen queere Menschen nagen deshalb an den Grundfesten unserer sozialen Demokratie.

 

Gerade die aktuellen Entwicklungen in vielen Ländern – z.B. Gesetze gegen “Homo-Propaganda” in Russland und Ungarn, das sog. “Don’t Say Gay”-Gesetz in Florida und nun sogar die drohende Todesstrafe für Homosexualität in Uganda – zeigen, dass queere Sicherheit keine Selbstverständlichkeit ist. Auch in Deutschland können wir nicht sicher sein, dass einmal errungene Erfolge von Dauer sein werden. Umso wichtiger ist es, den Schutz queerer Menschen aktiv voranzutreiben und auszubauen!

 

Für uns als sozialdemokratische Partei ergibt sich daraus die Verpflichtung, Queerfeindlichkeit in jeglicher Form entschieden entgegenzutreten und queere Sicherheit effektiv voranzutreiben. Mit diesem Antrag wollen wir ein Zeichen unserer Solidarität mit der gesamten queeren Community setzen und für unsere Partei ein Arbeitsprogramm vorlegen, wie wir zum Schutz und zur Sicherheit queerer Menschen beitragen.

 

Wir verstehen queere Sicherheit als soziale Frage und unsere queerpolitische Arbeit als Beitrag zu einer gerechten Gesellschaft, die Vielfalt wertschätzt und in der alle Menschen die Aussicht auf ein gutes Leben haben. Um dieses Ziel zu erreichen, hat unsere Regenbogenhauptstadt Berlin eine Vorreiterrolle, der wir uns verpflichtet fühlen und der wir gerecht werden wollen.

Antrag 61/II/2023 Keine Festung Europa - Das EU-Asylrecht darf nicht zum Nachteil der Schutzsuchenden abgeschwächt werden

19.08.2023

Die Innenminister*innen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich am 08.06.2023 auf eine Verhandlungsposition zur Asylverfahrensverordnung (AsylVerf-VO) und zur Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement (AMM-VO) geeinigt. Sie wird die Grundlage für die Verhandlungen des Ratsvorsitzes mit dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission (Trilog) bilden, um das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) zu reformieren.

 

Die Verhandlungen des Rats der Europäischen Union für die Verordnung im Fall von Krisen, höherer Gewalt und Instrumentalisierung („Krisenverordnung“) finden darüber hinaus derzeit noch statt und sollen in den kommenden Wochen abgeschlossen werden.

 

  1. Die Bundesregierung wird aufgefordert, der „Verordnung im Fall von Krisen, höherer Gewalt und Instrumentalisierung“ im Rat nicht zuzustimmen, sollten die im aktuellen Verordnungstext enthaltenen Abschwächungen der derzeitigen Standards für die Registrierung, Unterbringung und rechtliche Verfahren unter Berufung auf „Instrumentalisierung“, Krisen und „force majeure“ zum Zeitpunkt der Abstimmung nicht vollständig entfernt worden sein.
  2. Die SPD-Mitglieder der S&D- Fraktion im EU-Parlament werden aufgefordert, sich bei den Verhandlungen mit dem Rat für die Rechte schutzsuchender Menschen einzusetzen und jegliche Einigung abzulehnen, die diese Grundstandards missachtet. Dies muss insb. auch in Fällen von Krisen, höherer Gewalt („force majeure“) und Instrumentalisierung gelten.

 

Die Mitglieder der S&D-Fraktion im EU-Parlament sowie die Bundesregierung werden darüber hinaus aufgefordert, der GEAS-Reform nicht zuzustimmen, wenn die folgenden Bedingungen nicht gegeben sind:

  1. Einführung eines echten und effektiven Solidaritäts- und Verteilungsmechanismus für alle Asylsuchenden (nicht nur 30.000, wie aktuell vorgesehen) in der Europäischen Union als Nachfolge des Dublin-III-Verfahrens, welcher die Staaten an den EU-Außengrenzen, insb. die Mittelmeeranrainerstaaten, im Registrierungs- und Entscheidungsprozess nachhaltig finanziell und personell entlastet. Sollten einzelne Mitgliedsstaaten diesen Solidaritätsmechanismus nicht mittragen wollen, muss die Bundesregierung gemeinsam mit gewillten EU-Partnerstaaten vorangehen und ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ für die Registrierung, Aufnahme und Integration von Flüchtlingen anführen;
  2. Einführung eines echten Anreizsystems für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen in Form eines EU-Fonds aller Mitgliedsstaaten, welcher aufnahmewillige Staaten und Kommunen ausreichend finanziell unterstützt;
  3. Ein Ablassen von der derzeit geplanten Verwendung der Fiktion der Nicht-Einreise, welche die Rechtsposition der Betroffenen weiter verschlechtert und die Schaffung von Haftlagern und Abschiebungen ohne rechtsstaatlich angemessene Verfahren unterstützt;
  4. Eine Ablehnung von Grenzverfahren ohne rechtstaatliche Einzelfallprüfung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, welche durch die Anerkennungsquote bezüglich eines bestimmten Herkunftslandes oder die auf der Flucht durchquerten Drittstaaten ausgelöst würden. Diese Kriterien dürfen nicht zu einem Ma stab erhoben werden, der über die faktische Inhaftierung von Betroffenen in streng kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen entscheidet. Dieser willkürliche Maßstab verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und ist vor dem Hintergrund der Menschenrechtsbetroffenheit bei haftähnlicher Behandlung ohne verpflichtenden Rechtsbeistand völlig ungeeignet;
  5. Eine Ausnahme von Familien mit minderjährigen Kindern von jeglicher Form von Grenzverfahren, wobei die Definition „Kind“ entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention alle Minderjährigen unter 18 meint;
  6. Eine Garantie, dass Menschen mit besonderen Verfahrens- und Unterbringungsbedürfnissen (unter anderem Opfer von Folter, Betroffene von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie des Menschenhandels, LGBTIQ+ und Schwangere) ebenfalls aus den Grenzverfahren ausgenommen werden sowie, dass alle EU-Mitgliedsstaaten kollektiv in den Ausbau adäquater psychologischer, medizinischer und rechtlicher Betreuungskapazitäten dieser Personengruppen investieren;
  7. Eine Garantie, dass die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrages von unbegleiteten Minderjährigen bei fehlenden Familienangehörigen, die sich rechtmäßig in einem EU-Mitgliedstaat aufhalten, bei dem Mitgliedsstaat liegt, in welchem dieser sich aufhält und seinen Antrag gestellt hat;
  8. Eine Garantie, dass Zivilgesellschafts- und Menschenrechtsorganisationen, medizinisches, psychologisches und juristisches Personal vollumfänglichen Zugang zu Registrierungs- und Aufnahmezentren in allen EU-Mitgliedsstaaten haben. Auch Seenotrettungsorganisationen müssen ohne jegliche Behinderung in EU-Gewässern operieren können, ohne kriminalisiert zu werden. Darüber hinaus ist eine europäisch koordinierte und finanzierte Seenotrettung dringend erforderlich und geboten, um weiteres Sterben an den EU-Außengrenzen zu verhindern.
  9. Die tatsächliche verpflichtende Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission ohne jegliche „Übergangsphase“ nach Einführung der GEAS-Reform, um einen Rückstau an Verfahren zu verhindern;
  10. Ein Ablassen von den Versuchen, Rückführungsabkommen mit Drittstaaten zu schließen, welche die europäischen Abhängigkeiten von Autokratien befördern und somit dem Ziel der europäischen Souveränität entgegenlaufen; keine beliebige Ausweitung der ,,sicheren Drittstaaten‘‘ durch die Mitgliedstaaten;
  11. Eine völkerrechtskonforme und in Übereinstimmung mit dem Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP ausgestaltete GEAS-Reform.