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Antrag 250/I/2024 Berlin für den Klimaschutz zu einem Nachtzugdrehkreuz entwickeln

21.04.2024

Die SPD-Abgeordnetenhausfraktion wird aufgefordert, sich gegenüber dem Senat für die Förderung und Stärkung der Nachtzugangebote als klimafreundliche Alternative zum Fliegen durch folgende sieben Initiativen einzusetzen:

 

  1. Die Nutzung von Nachtzügen für Berliner Dienst- und Geschäftsreisen als Alterative zum Fliegen ist zu fördern. Die Anreisezeit von Verwaltungsmitarbeiter*innen ist als Dienstreisezeit anzuerkennen. Die Buchungen von Schlafwagenabteilen sind zu erstatten. Innerhalb des europäischen Angebotsradius der Nacht- und ICE-Züge sind Jugend- und Schulkassenreisen mit der Bahn einschließlich der Nutzung von Liegewagen zu fördern. Flüge werden nicht bezuschusst.
  2. Zur Erweiterung und Unterstützung des Angebots von Nachtzügen ist seitens des Senats an einem Runden Tisch mit interessierten Eisenbahnverkehrsunternehmen (u. a. ÖBB, SJ, TRENITALIA und PKP-Intercity sowie privater Unternehmen), den touristischen Akteur*innen der Hauptstadtregion, dem Verkehrsverbund Berlin Brandenburg und der IHK ein entsprechendes Netzwerk zu etablieren. In das Netzwerk sind (ggf. unterstützt durch ein EU-INTERREG–Projekt) interessierte europäische Quell- und Zielregionen des Flugverkehrs von und zum BER sowie die EU-Kommission einbeziehen.
  3. Das unübersichtliche Gesamtangebot an Nachtzügen – teilweise über die DB nicht buchbar – ist mit Hilfe des Runden Tisches in der Hauptstadtregion mit Hinweisen und Links zu den Buchungsmöglichkeiten zu kommunizieren. Umgekehrt soll die Tourismusagentur Berlin in ihrem Portal VisitBerlin über die Nachtzugverbindungen informieren, mit denen man klimafreundlich nach Berlin reisen kann.
  4. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Studie im Auftrag des Senats „Machbarkeitsuntersuchung: Berlin als Drehkreuz eines europäischen Nachtzugnetzes“ vom 20. Mai 2022 sind auch Relationen in die Netzwerkarbeit einzubeziehen die erst nach dem Ausbau des Transeuropäischen Netzes (Brennerbasis-Tunnel, Fehmarnbelt-Tunnel, Rail Baltica) 2030 oder 2040 mit Nachtzügen in attraktiven Zeiten erreicht werden können, und wo im Flugverkehr schon heute eine hohe Nachfrage zu beobachten ist (Oslo, Baltikum, Adriaraum, Lyon/Mittelmeerraum).
  5. Auf Grundlage der Potenzialanalyse der Studie sind im Berliner Flächennutzungsplan Flächen für die Wartung und das Abstellen von Nachtzügen eines zukünftigen Drehkreuzes zu sichern.
  6. Nach dem Vorbild von Prag ist eine Anschubfinanzierung für neue Angebote von Nachtzügen aus Mitteln für den Klimaschutz (z. B. aus dem Sondervermögen Klimaschutz, Resilienz und Transformation) zu prüfen.
  7. Der Senat setzt sich in den Bund-Länder-Gremien (z .B. der Verkehrsministerkonferenz) für eine Senkung der überhöhten deutschen Trassenpreise ein. Solange die Wettbewerbsverzerrungen zum Flugverkehr (Befreiung von der Kerosin- und Mehrwertsteuer) bestehen, sind als Klimaschutzmaßnahme Nachtzüge von Trassenpreisen zu befreien.

 

Antrag 272/I/2024 Soziale Wärmewende jetzt!

21.04.2024

Präambel:

Ohne soziale Wärmewende keine Energiewende. Denn einerseits ist private Wärmeversorgung ein zentrales Handlungsfeld für den Klimaschutz, andererseits ist sie politisch herausfordernd, weil alle Menschen betroffen sind. Auf Bundesebene wurde das zielführende Gebäudeenergiegesetz (GEG) von der Regierung sehr schlecht kommuniziert. Vorher war die Wärmewende jahrzehntelang verschleppt worden. Beides darf sich in Berlin nicht wiederholen. Berlin will und muss deshalb seine Wärmeversorgung jetzt noch nachhaltiger und krisensicher machen. Dies muss schnell passieren, damit das Klima geschützt, die gesetzlichen Vorgaben eingehalten und die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger erfüllt werden. Gleichzeitig muss die Wärmeversorgung insbesondere der Haushalte bezahlbar bleiben.

 

Die kommunale Wärmeplanung (KWP) ist eine zentrale Säule der Wärmewende: erprobt, solide, bedarfsgerecht, partizipativ. Seit 01.01.2024 ist sie im Wärmeplanungsgesetz auch verbindlich vorgeschrieben und muss in Berlin bis Juni 2026 umgesetzt werden. Erfahrungen anderer Kommunen und Bundesländer zeigen: Die Anforderungen der KWP ermöglichen eine differenzierte, bedarfsgerechte und verbindliche Planung.

 

Die Wärmeplanung beruht auf einem für die jeweilige Stadt und ihrer Potenziale optimalen Mix an Technologien für Wärmeerzeugung und -versorgung. Sie sucht nicht nach EINER Lösung für die Wärmeversorgung von allen Quartieren, sondern nach einer optimalen Kombination von verschiedenen Techniken und Betreiberansätzen. Weder die klassische Fernwärme, noch Wärmepumpen, noch Niedertemperatur-Nahwärme kann Berlins Heizbedarf allein erbringen. Dafür steht in der Perspektive nicht ausreichend bezahlbare erneuerbare Wärme sowie grüner Wasserstoff zur Verfügung. Auch für eine individuelle Versorgung aller Gebäude mit dezentralen Wärmepumpen gäbe es Herausforderungen bei der Versorgung mit grünem Strom. Auch muss berücksichtigt werden, wie unterschiedlich die Berliner Stadtgebiete bzgl. Gebäudebestand und Wohndichte sind. Manche eignen sich besser für zentrale, andere für dezentrale Wärmeversorgungslösungen.

 

In Bezug auf Wasserstoff sind die Nutzungskonkurrenzen für dieses knappe und sehr teure Gut bereits heute massiv. Industrie, Schwerlastverkehr, aber auch andere Sektoren und Akteure setzen auf diesen Energieträger, für den bisher bei weitem keine ausreichenden Kapazitäten für Erzeugung, Versorgung und Handel geschaffen sind. Grüner Wasserstoff im Wärmebereich ist deshalb eine Technologie für die sogenannte „letzte Meile“ der Dekarbonisierung, und kein Ersatz für heute noch relativ günstig verfügbares, fossiles Erdgas.

 

Berlin braucht eigene Gestaltungskraft für eine erfolgreiche Wärmewende. Wir begrüßen deshalb die (Re)kommunalisierung des Fernwärmenetzes durch das Land Berlin. Berlin muss auch aus den Fehlern anderer kommunaler Versorger lernen und besonders auf effiziente Strukturen, fachliche Kompetenz und eine Priorisierung der erneuerbaren Versorgung achten.

 

Mit der Ausschreibung eines Wärmekatasters hat Berlin den ersten Schritt in Richtung Wärmeplanung getan. Es muss aber sehr schnell noch mehr in Angriff genommen werden. Deshalb sind aktuell dringend nötige Entscheidungen zu treffen.

 

Deshalb fordern wir die sozialdemokratischen Senatsmitglieder auf, dafür einzusetzen:

 

1. Berlin muss die Wärmewende pro-aktiv gestalten.

  • Die Fernwärmeerzeugung und -versorgung muss zu 100% vom Land übernommen werden und in dessen Hand verbleiben. Zusätzliche privatwirtschaftliche Beteiligungen sind zu vermeiden, denn diese sind zwangsweise an Bedingungen geknüpft, die einer sozialen Preisgestaltung im Wege stehen könnten, wie uns das Beispiel Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe vor Augen geführt hat. Die bestehende Regulierungsbehörde in Berlin sowie weitere zuständige Behörden müssen gestärkt und befähigt werden, eine soziale Preisgestaltung zu gewährleisten. Der gesetzliche Rahmen für die Regulierung ist weiter auszubauen.
  • Wir fordern den Ausbau der Berliner Stadtwerke zu einem Energiedienstleister im Sinne eines integrierten Stadtwerks, wie es im Wahlprogramm 2021 dargestellt ist.
  • Die Senatsverwaltung muss bis Juni 2025 ein Konzept für die KWP entwickeln, und mit zentralen und dezentralen Akteuren (Bezirken, Versorgern, Verbrauchervertreterinnen, Umweltverbänden, Energieagenturen, anerkannten Beratungsfirmen, SchornsteinfegerInnen) gemeinsam schärfen. Dadurch kann die darauf aufbauende Wärmeplanung in 2026 partizipativ gestaltet und gesetzeskonform vorgelegt
  • Alle drei großen Berliner Fernwärmenetze sollen offen sein – gesetzlich muss das Recht auf Dritteinspeisung garantiert und entsprechend vergütet werden. Damit dies ohne Nachteile bei Ausbau erneuerbarer Energien oder gerechter Preisgestaltung möglich ist, muss die bestehende Regulierungsbehörde ausgebaut werden.
  • Die Wärmeeinspeisung durch Drittanbieter in das kommunale Fernwärmenetz sollte administrativ erleichtert und so vergütet werden, dass ein wirtschaftlicher Betrieb möglich ist. Entsprechend sollte der Anteil von Drittanbietern jährlich steigen. Hier ist die Mitarbeit aller Bezirke nötig.

 

2. Die Fernwärmeversorgung muss ökologischer, günstiger und bedarfsgerechter werden.

  • Die Fernwärme muss durch dezentrale Lösungen ergänzt werden, wo diese wirtschaftlich und technisch sinnvoller sind, oder erneuerbare Energien nicht hinreichend verfügbar sind. Daher muss die KWP nach Bezirken aufgeschlüsselt werden, um die lokalen Potentiale und Szenarien aufzuzeigen. Diese Potenziale sollten die Bereiche Einzelgebäudeversorgungen und leitungsgebundene Wärmeversorgung ebenso umfassen wie Gebäude- und Inselnetze im Quartier.
  • Im Berliner Wärmeplan muss u.a. ein Investitionsplan mit Zeitplanung für die Modernisierung / Absenkung der Vorlauftemperatur des Fernwärmenetzes bis 2026 vorgelegt werden. Dies ist entscheidend, damit Gebäudeeigentümerinnen die nötigen gebäudeseitigen Maßnahmen abschätzen können und somit die Fernwärme ihren Nutzen für die Klimaneutralität Berlins entfalten kann. Nur so können große Potenziale an erneuerbarer Wärme erschlossen und eingebunden werden. Es bedarf zudem einer Koordinierung, welche Liegenschaften an Vor- oder Rücklauf angeschlossen werden, um die Gesamteffizienz zu erhöhen. Dieser Fahrplan und Investitionsplan muss ebenfalls die Erschließung der großen Umweltwärmequellen beinhalten und auch thermische Speicher mitberücksichtigen.
  • Keine Versorgungslösung kann Effizienz ersetzen. Deshalb sind die im GEG vorgesehenen Energieeffizienz-Anforderungen für Neubauten unbedingt umzusetzen, damit die Fernwärme ihre Stärken für die Energiewende ausspielen kann. Auch der Gebäudebestand muss deutlich effizienter werden. Berlin muss hier Vorreiter werden.
  • Der Preis der Fernwärme-Versorgung sollte sich in Berlin an dem bundesdeutschen Heizspiegel orientieren. Der Heizspiegel für Deutschland bietet bundesweite Vergleichswerte für Heizkosten und den Heizenergieverbrauch. Wirtschaftliche und bezahlbare Preisgestaltung ist eine zentrale Säule der sozialen Wärmewende. Ein weitere ist der soziale Ausgleich. Mit der bestehenden berliner Regulierungsbehörde besteht bereits ein Instrument für eine faire Preisgestaltung. Die Behörde muss allerdings weiter gestärkt und ausgebaut werden.
  • Grundsätzlich müssen die Preise auch für Fernwärme transparent gestaltet Es muss unbedingt vermieden werden, dass alte, nicht mehr reparierbare Heizungen, die noch mit fossilen Energien (Öl und Gas) betreiben werden, durch neue, aber immer noch mit fossilen Kraftstoffen betriebenen Heizungsanlagen ersetzt werden. Deshalb wird der Berlin Senat bedarfsgerechte Angebote an die Verbraucherinnen machen (zu prüfen wäre z. B. eine analog zum Pop-Up-Heizungsprogramm in Hannover gestaltete Initiative). Die Berliner Stadtwerke entwickeln hierzu zeitnah bis spätestens Juni 2025 ein Umsetzungsprogramm, das sich aus Bundesmitteln für die Wärmewende finanzieren wird.
  • Die bestehende Bundesförderung für den Heizungstausch kommt Einfamilienhausbesitzerinnen zu Gute. Für eine Mieterstadt wie Berlin ist dies zu wenig. Berlin muss auf Bundesebene fordern, dass der Geschwindigkeitsbonus auch für Vermietende von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern gilt, damit diese ihren Wohnraum auch möglichst schnell mit erneuerbarer Wärme versorgen.
  • Die Berliner Senatsverwaltung sollte prüfen, inwiefern erneuerbare Wärmequellen aus dem Berliner Umland auch für die Fernwärme Berlin nutzbar wären (z. B. Tiefengeothermie außerhalb von Berlin):

 

Begründung:

  • Durch die Kommunalisierung des Fernwärme-Netzes kann Berlin die Wärmewende maßgeblich mit Außerdem wird so verhindert, dass privatwirtschaftliche Akteure natürliche Monopole auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger ausnutzen.
  • Die Fehler der Bundesregierung beim GEG dürfen nicht wiederholt werden. Die KWP muss „von unten“ ansetzen. Gemeinsam mit den Verbänden, Versorgern und Bürgerinnen müssen KWP-Konzepte erstellt werden. Unabhängig von der Technologie braucht es einen strategischen Mix aus Erzeugungs- und Verteiltechnologien.
  • Eine KWP ist nur so gut wie die Daten, auf denen sie fußt. Es braucht belastbare Daten auf Bezirksniveau zu Verbräuchen und Modellrechnungen. Nur wenn die Potenziale erneuerbarer Energien erkannt und gehoben werden, kann die Fernwärme in Berlin zu einer wirklichen Säule der Wärmewende werden.

 

3. Moderne Technologien für die Berliner Energiewende müssen nutzbar und bezahlbar werden .

  • Die Wärmeversorgung in Berlin muss ‚dekarbonisiert‘ werden. Die Potenziale der Geo-, Fluss- und Seethermie sowie Abwasserwärme müssen schneller und besser geprüft und erschlossen werden. Mögliche Varianten sind dahingehend zu prüfen, welche Kosten sie für die Wärmenutzer, insbesondere für die Mietenden nach sich ziehen. Es braucht neben Modellen und Szenarien in jedem Ortsteil mindestens ein Leuchtturmprojekt, das den Bürger*innen und Marktakteuren anschaulich vermittelt, wohin die Reise geht. Dazu bieten sich Mehrfamilienhäuser im Besitz einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften
  • Die Abfallvermeidung muss im Kontext der Wärmewende neu und ambitionierter gedacht werden, damit die Abfallmengen zügig sinken und die Umweltbelastungen verringert werden.
  • Wir wollen die nicht mehr reduzierbaren Müllmengen effizient für die Wärmeerzeugung nutzen, indem z.B. bei der MVA Ruhleben Abwärme aus den Schornsteinen für die Wärmeerzeugung nutzbar gemacht wird.
  • Die Absenkung des Energieverbrauchs ist zentral, denn ohne Energieeffizienz keine Energiewende. Deshalb müssen Bundes- und Landesmittel für die Endverbraucherinnen noch effektiver genutzt und ausgebaut werden; das Berliner Wärmekataster muss in 2024 finalisiert werden, die Sanierung in besonders ineffizienten Gebäuden ist zu priorisieren.
  • Der Bau von Nah- und Fernwärmenetzen soll beschleunigt umgesetzt werden und die Bürokratie und Genehmigungsverfahren möglichst abgekürzt und vereinheitlicht Die Kosten von Infrastrukturmaßnahmen müssen durch Synergien gesenkt werden. Ein wesentlicher Schritt hierzu ist, dass die Berliner Verwaltung die Abstimmung zwischen verschiedenen Infrastruktur-Unternehmen (z. B. bei Straßenerneuerung, Kanalisation) so koordiniert, dass ein Fernwärmeanschluss gleich geprüft und ggf. umgesetzt werden kann.
  • Die energetische Nutzung von Grundwasser für die Fernwärmeversorgung ist, auch unter Berücksichtigung steigender Grundwassertemperaturen, zu prüfen und mit den Berliner Wasserbetrieben abzustimmen.

Begründung

  • Das Berliner Hochtemperatur-Fernwärmenetz, wird bisher mit KWK-Anlagen auf fossiler Basis von Kohle (18%) und Gas (76%) betrieben. Spätestens bis 2030 soll die Kohle und bis 2045 Erdgas komplett ersetzt werden. Für den Ersatz der fossilen Energieträger stehen bereits für den heutigen Kundenbestand nicht ausreichend regenerative Energien gesichert zur Verfügung.
  • Die sicher verfügbaren alternativen Energiequellen, wie Abwasserwärme, Flusswärme, Abfallwärme (nur teilregenerativ), oberflächennahe Geothermie etc. haben überwiegend ein niedriges Temperaturniveau und können deshalb nur mit erheblichem zusätzlichem Energie- und Technikaufwand (z.B. Hochtemperatur-Wärmepumpen) in das bestehende Hochtemperatur-Fernwärmenetz eingebunden werden.
  • Die thermische Abfallverwertung nicht recycelbaren Abfalls in modernen Berliner KWK-Anlagen ist ebenfalls Teil der Wärmewende. Sie ist im Rahmen der Abfallverwertung nötig und dem Abfallexport in andere Länder vorzuziehen. Aber Müllverbrennung ist keine Wunschtechnologie für die nachhaltige Zukunft, sondern immer die zweitbeste Lösung. In jedem Fall sollte sie mit einer Abfallvermeidungsstrategie Hand in Hand gehen.

 

Antrag 186/I/2024 Für eine Analyse jenseits der 80er und wirkliche Unterstützung: Sexarbeit und Prostitution in Deutschland

21.04.2024

Es wird viel über die Themen Sexarbeit und Prostitution diskutiert. Die Diskussion ist häufig aufgeladen und hat gesellschaftliche und politische Implikationen. Gleichzeitig wissen wir relativ wenig über das Feld, über das gesprochen wird. Alleine zur Zusammensetzung von Sexarbeiter*innen und Menschen in der Prostitution ist sehr wenig bekannt. Noch heute werden in der Debatte Schätzungen zur Anzahl von Sexarbeiter*innen aus den 1980er Jahren verwendet, die nie wissenschaftlich belegt werden konnten. Neuere, seriöse Hochrechnungen existieren nicht. Das liegt auf der einen Seite am schwierigen Zugang zum Feld (sowohl auf Seiten der Forschenden, als auch auf Seiten der Akteur*innen in der Sexarbeit) und auf der anderen Seite an der fehlenden Finanzierung großangelegter Studien. Unterstützungsbedarfe Was wir allerdings aus den Beratungsstellen wissen ist, dass Sexarbeiter*innen und Menschen in der Prostitution eine Vielzahl von Hürden und komplexer Herausforderungen begegnen können. Das betrifft beispielsweise die Bereiche Gesundheitsversorgung, Steuern und Finanzen, Wohnen und Aufenthaltsrecht. Um echte Unterstützung in diesen und weiteren Fragen bieten zu können, ist der Aufbau von Vertrauen und eine zuverlässige Struktur unerlässlich. Es gibt einzelne (teils auf Zeit geförderte) Projekte, die diese wichtige Arbeit angehen. Aber nicht in jedem Bundesland gibt es etablierte Fachberatungsstellen, die als Anlaufpunkt bekannt sind und im Zweifelsfall an die passenden Projekte oder Stellen verweisen können. Ohne diese fest verankerten Anlaufpunkte, ist es schwierig, einen vertrauensvollen Kontakt herzustellen. Insbesondere der Umstieg in berufliche Alternativen, sollte dieser durch Sexarbeiter*innen gewünscht sein, braucht Zeit und kann viel Frustration mit sich bringen. Aber auch andere Unterstützungsprozesse bauen auf einer langfristigen Zusammenarbeit und einem funktionierenden Zugang der Beratungsstellen ins Feld auf. Weitere Gründe für die Schwierigkeiten für Sexarbeiter*innen und Menschen in der Prostitution liegen im Kontakt mit Behörden. Hier können ihnen Unwissen über Ausgangslagen und Bedarfe sowie Stigmatisierung begegnen. Ansprechpersonen, die Klient*innen ernst nehmen, auf ihre Bedarfe eingehen und ihnen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, sind aber unerlässlich für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

 

Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestages auf, sich für folgende Punkte einzusetzen:

 

  • Finanzierung einer umfassend ausgestatteten wissenschaftlichen Dunkefeldstudie. Diese ist notwendig für eine gesellschaftspolitische Debatte, die sich an Tatsachen und der Lebensrealität von Sexarbeiter*innen und Menschen in der Prostitution orientiert und die eine konstruktive Haltung zu dem Feld ermöglicht. Betrachtet werden sollen unter Anderem: die Größe und Zusammensetzung des Feldes „sexuelle Dienstleistungen“, die Lebensrealitäten von Sexarbeiter*innen und Menschen in der Prostitution, ○ Hürden im Umgang mit Behörden und beim Umstieg sowie das Nachfrageverhalten von Sexkäufer*innen.
  • den Aufbau von fest verankerten Fachberatungsstellen in den Bundesländern. Diese müssen gut mit den Behörden vernetzt sein und brauchen feste Ansprechpersonen beispielsweise in den JobCentern, sodass Fachwissen weitergegeben und Klient*innen zuverlässig vermittelt werden können, ohne Angst zu haben, auf Unverständnis oder weitere Stigmatisierung zu stoßen. Schulungsangebote durch die Fachberatungsstellen für Behördenmitarbeitende sollen zusätzlich Barrieren abbauen.

 

Zwang

Neben der selbstbestimmten Sexarbeit, gibt es auch Menschen die nicht freiwillig in der Prostitution sind. Zwangsprostitution beinhaltet sowohl Fälle in denen Menschen durch Abhängigkeitsbeziehungen und/oder Gewalt zur Prostitution gebracht werden, als auch solche Fälle in denen Betroffene zunächst mit dem Anbieten von sexuellen Dienstleistungen einverstanden waren, aber über die Umstände der Arbeit getäuscht wurden. Über die Hälfte der Ermittlungsverfahren im Bereich der Zwangsprostitution wird durch polizeiliche Kontrollen eingeleitet, die unabhängig von der Meldung durch Betroffene stattfinden. Täter nutzen die vulnerable Lage Betroffener aus, um sie in dem Zwangsverhältnis zu halten. Dabei spielen auch aufenthaltsrechtliche Illegalisierung und Sprachbarrieren eine Rolle. Betroffene, die sich in Abhängigkeitsbeziehungen zu den Tätern befinden und verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt sind, brauchen ein funktionierendes Auffangnetz und zuverlässige Hilfe. Neben den Unterstützungsstrukturen für Sexarbeiter*innen fordern wir im Bereich Zwangsprostitution

  • mehrsprachige Informationskampagnen zum Erkennen von Zwangsprostitution, zu Ausstiegswegen und zu konkreten Handlungsmöglichkeiten und Hilfsangeboten.
  • niedrigschwellige Beratungs- und Therapieangebote für Betroffene, um das Erlebte aufzuarbeiten und bei dem Ausstieg aus dem Zwangsverhältnis begleitet zu werden.
  • einen wirklichen Schutz der Betroffenen durch Polizei und Rechtspflege. Es muss bedarfsgerechte Zeugenschutzprogramme für Opfer geben, die gegen ihre Zuhälter und Menschenhändler aussagen. Darüber hinaus müssen illegalisierte Betroffene, wie im aktuellen Koalitionsvertrag vorgesehen, unabhängig von ihrer Aussagebereitschaft einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen

 

Antrag 87/I/2024 Bafög-Reform

21.04.2024

Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestages auf, sich für eine Bafög-Reform stark zu machen, die folgende Änderungen für alle Formen des Bafög beinhaltet:

  • Wiederholungsanträge auf Bafög müssen spätestens zwei Monate nach fristgerechtem Eingang entschieden und unmittelbar mit der Auszahlung begonnen werden. Ist dies aus besonderen Gründen nicht möglich, wird an die Antragsteller*innen bei offenkundiger Berechtigung (bspw. wenn sich an den Lebensumständen nichts geändert hat) eine Abschlagszahlung in Höhe von 80 Prozent der zu erwartenden Leistung ausgezahlt.
  • Der Bezug von Bafög darf während der Durchführung von unentgeltlichen Pflichtpraktika im Rahmen einer Ausbildung nicht ausgesetzt werden.
  • Der Bezug von Leistungen des Jobcenters, die im Rahmen einer Ausbildung als Ersatz für Bafög gezahlt werden, darf im Rahmen eines Einbürgerungsantrags nicht als staatliche Transferleistung berechnet werden und damit einem Einbürgerungsantrag entgegenstehen.
  • Die Leistungen aus dem Erasmus- bzw. Erasmus-plus-Programm der EU zur Förderung von Auslandsaufenthalten von Studierenden und Auszubildenden dürfen nicht mit dem Bezug von Bafög als Einkommen verrechnet werden.

 

Antrag 115/I/2024 Sofortiger Abschiebestopp aus Deutschland für Jesid*innen in den Irak

21.04.2024

Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für ein sofortiges Abschiebeverbot für Jesid*innen in den Irak einzusetzen.