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Antrag 197/I/2024 Berlin ist die Stadt der Religionsvielfalt

21.04.2024

4 Abs. 3 des Berliner Kirchensteuergesetzes wird wie folgt gefasst:

 

Im Falle einer glaubensverschiedenen Ehe ist die Erhebung eines besonderen Kirchgeldes im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 ausgeschlossen, wenn der Ehegatte des Steuerpflichtigen Mitglied einer Religionsgemeinschaft ist, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist.

Antrag 183/I/2024 Eine Reform des §129 StGB “Bildung einer kriminellen Vereinigung” die dem Rechtsstaat gerecht wird

21.04.2024

Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestages auf sich für eine Reform der § 129 ff. Strafgesetzbuch unter Berücksichtigung folgender Punkte einzusetzen:

  • § 129 ist als Grundtatbestand neuzufassen und auf die Begehung von Straftaten mittlerer Kriminalität zu beziehen. Bagatelldelikte der leichten Kriminalität sind dabei grundsätzlich auszuschließen. Die Mindeststrafe für strafbestandserfüllende Taten soll bei mindestens fünf Jahren liegen (ohne die erhöhung der Strafe, die durch das Begehen in einer Vereinigung miteinhergeht)
  • Es sind konkrete Vorgaben für die Organisation, Planung und Struktur einer Vereinigung zu entwickeln.
  • Die Strafandrohung (die mögliche Strafe) des § 129 neuer Fassung ist herabzusetzen.
  •  Schwere Eingriffe in Grundrechte durch intensive Ermittlungsmaßnahmen, wie das Abhören von Kommunikation, dürfen nicht länger auf einem bloßen Verdacht der Gründung oder Beteiligung einer kriminellen Vereinigung beruhen. Dafür darf der Paragraph nicht mehr als sogenannte Katalogtat geführt werden.
  •  Für schwerkriminelle Vereinigungen, die auf die Begehung schwerwiegender Taten organisierter Kriminalität wie Mord, Totschlag, Schutzgelderpressungen oder Geldwäsche gerichtet sind, soll ein eigener Straftatbestand (Qualifikation) geschaffen werden.
  •  Von kriminellen wie terroristischen Vereinigungen muss eine erhöhte Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen.

 

Antrag 284/I/2024 Die Sonderregelung zur Antragsfrist für Leistungen nach § 37 SGB II verlängern!

21.04.2024

Die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestages, die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses und der Senat sollen sich dafür einsetzen, dass die Sonderregelung zur Antragsfrist für Leistungen nach § 37 Absatz 2 Satz 3 SGB II verlängert wird.

Antrag 190/I/2024 Vor dem Gesetz sind (nicht) alle gleich!

21.04.2024

Eine gerechte Justiz bildet das Fundament eines jeden Rechtstaats und muss sich insbesondere daran messen lassen, wie sie mit den Schwächsten in der Gesellschaft umgeht. Der Rechtsstaat basiert auf dem Versprechen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Die Realität ist jedoch häufig eine andere. Von Armut betroffene Personen und reiche Menschen sind vor dem Strafrecht in vielerlei Hinsicht ungleich. Damit das Versprechen auch gehalten wird, braucht es daher weitgehende Anpassungen des bestehenden Systems!

 

Eine gut ausgestattete Justiz ist gerechter

Ein bedeutendes Problem liegt in der unzureichenden Ausstattung der Justiz, was vor allem finanziell schlechter gestellte Menschen trifft. Wenn aus Kostengründen die Justiz auf der Strecke bleibt, leiden insbesondere Menschen mit wenig Geld. Richter*innen sehen sich gezwungen, Prozesse zu beschleunigen, schriftliche Urteile zu verfassen und auf persönliche Gespräche mit den Beschuldigten zu verzichten. Während wohlhabendere Menschen sich für jede Kleinigkeit eine*n Anwält*in leisten können, der das Gericht zwingt sich ausführlich mit den Sachverhalten auseinanderzusetzen, haben Menschen mit weniger Geld diese Möglichkeit nicht.

 

Eine besondere Betrachtung gilt hierbei der Situation von FINTA und BIPoCs, die unter zusätzlichen Hürden leiden. Die Ungleichheiten im Justizsystem sind nicht nur auf finanzielle Aspekte beschränkt, sondern werden oft auch durch strukturellen Rassismus oder geschlechtsspezifische und diskriminierende Aspekte verstärkt. BIPoCs und FINTA, die bereits häufiger von ökonomischen Benachteiligungen betroffen sind, leiden unter einer schlecht ausgestatteten Justiz in besonderem Maße. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen verschärft die bestehenden Ungerechtigkeiten und verstärkt die Barrieren im Zugang zu einer gerechten Rechtsprechung. Eine besser ausgestattete Justiz ist daher nicht nur ein wichtiger Schritt im Allgemeinen, sondern auch ein Schritt, um strukturellen Rassismus im Rechtssystem zu bekämpfen und für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen. Wir fordern daher eine insgesamt bessere Ausstattung der Gerichte.

 

Das System der Pflichtverteidigung muss umfassend reformiert werden!

Pflichtverteidiger*innen sind Anwält*innen, die vom Gericht bestellt werden, um eine Person zu verteidigen, wenn diese keine*n eigene*n Anwältin*Anwalt hat oder sich leisten kann, und bestimmte Voraussetzungen vorliegen, die eine Pflichtverteidigung notwendig machen. Diese Voraussetzungen sind in der Strafprozessordnung aufgelistet und betreffen zum Beispiel die Schwere der Straftat oder die persönliche Situation der Beschuldigten. Die Pflichtverteidigung soll gewährleisten, dass die Beschuldigten ein faires Verfahren erleben und ihre Rechte durch anwaltliche Vertretung vollumfänglich wahrnehmen können.

 

In Deutschland liegen die Voraussetzungen für eine solche Pflichtverteidigung nur in etwa 10% der vor Gericht verhandelten Klagen vor. Insbesondere bei Delikten, die der sogenannten Armutskriminalität zugerechnet werden, gibt es oft keinen Anspruch auf Pflichtverteidigung.

 

Das ist deshalb alarmierend, weil statistisch gesehen Personen, die mit anwaltlicher Vertretung vor Gericht erscheinen, deutlich häufiger freigesprochen werden als diejenigen, die ohne rechtliche Vertretung auftreten. Dies führt zu einer Ungleichheit, da reichere Menschen sich für jedes Verfahren professionelle rechtliche Beratung leisten können, die mit den Schwierigkeiten des Systems vertraut ist und das Beste für den Betroffenen erreichen kann. Ärmere Menschen haben dieses Privileg nicht. Wir fordern deshalb eine grundlegende Veränderung in der Bereitstellung von Pflichtverteidiger*innen dahingehend, diese für alle straffälligen Personen verfügbar zu machen, unabhängig von der Schwere des Vorwurfs. Dieses Modell ist in vielen europäischen Ländern bereits gängige Praxis. Außerdem sollten Pflichtverteidiger*innen nicht erst zur Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt werden, sondern schon im Ermittlungsverfahren, damit auch dort frühzeitig eine rechtliche Vertretung sicherzustellen.

 

Darüber hinaus muss sich auch die Bezahlung von Pflichtverteidiger*innen dringend ändern. Diese ist aktuell derart mangelhaft, dass es sich Pflichtverteidiger*innen kaum leisten können, sich ausreichend mit einem Fall zu beschäftigen. Im Vergleich zu Anwält*innen, die reichen Mandant*innen gern mal 400€ pro Stunde in Rechnung stellen, erhalten Pflichtverteidiger*innen nur pauschale Gebühren unabhängig vom eigentlichen Umfang des Falles. Dies zeigt sich auch in den Zahlen. Privat bezahlte Rechtsberatung stellt in ca. 21% der Fälle einen Antrag darauf, den Fall erst gar nicht vor Gericht zu bringen, sondern schon vor Prozessbeginn einzustellen. Pflichtverteidiger*innen stellen einen solchen Antrag nur in 1,6% der Fälle, da sie aufgrund der schlechten Bezahlung und wegen dem damit einhergehenden Zeitmangel Schwierigkeiten haben, sich angemessen auf eine Verhandlung vorzubereiten. Private Anwält*innen stellen in ca. 31% der Fälle einen Antrag auf Freispruch, Pflichtverteidiger*innen nur in ca. 11% der Fälle. Wir fordern daher, dass Pflichtverteidiger*innen besser bezahlt werden, damit auch Menschen mit begrenzten oder fehlenden finanziellen Mitteln angemessen vor Gericht vertreten werden.

 

Auch bei der Auswahl der Pflichtverteidiger*innen gibt es erhebliche Probleme. Da die meisten Menschen, die eine Verteidigung benötigen, keine Anwält*innen kennen, liegt die Entscheidung darüber, welche Anwält*innen beauftragt werden, oft in den Händen der Richter*innen des Verfahrens. In der Praxis sieht es dann in der Regel so aus, dass die Richter*innen eine persönliche Auswahl an Anwält*innen hat, die er der beschuldigten Partei vorschlägt. Dies führt dazu, dass Anwält*innen, die in der Vergangenheit durch eine gute Verteidigung aufgefallen sind, und damit den Richter*innen das Leben schwer gemacht hat, weil das Verfahren sich verlängerte oder das Gericht eine umfassende Beweisaufnahme abhalten musste, schlechtere Chancen haben, von eben diesen Richter*innen nochmal vorgeschlagen zu werden. Die Richter*innen bestellen lieber ihre „Lieblingsanwält*innen“, die keinen Ärger machen. Dies zeigt sich dann auch in der Verteidigung. Normalerweise legen Anwält*innen in knapp 30% der Fälle Rechtsmittel bei der nächsthöheren Gerichtsinstanz ein, während Pflichtverteidiger*innen nur in 20% der Fälle diesen Schritt unternehmen. In Fällen in denen Pflichtverteidiger*innen wiederholt von denselben Richter*innen beauftragt wurden, verringert sich die Quote sogar auf nur 16%. Um eine gerechtere Auswahl und damit eine bessere Verteidigung zu gewährleisten, fordern wir daher, dass sich ein Vorbild an anderen europäischen Ländern genommen wird, in denen vom Gericht unabhängige Organisationen die Auswahl von Pflichtvertediger*innen übernehmen.

 

Einkommen vom Täter*innen dürfen nicht geschätzt werden

Reichere Menschen profitieren gegenwärtig vom bestehenden System der Geldstrafen, das auf Tagessätzen basiert. Tagesssätze dienen zur Berechnung von Geldstrafen im Strafrecht. Bei der Verurteilung zu einer Geldstrafe legt das Gericht die Anzahl der Tagessätze fest, die die verurteilte Person zahlen muss. Die Höhe eines Tagessatzes soll dabei unter Berücksichtigung des Einkommens der betroffenen Person festgelegt werden. Der Gedanke dahinter ist, dass die Strafe für alle Personen einen vergleichbaren Effekt hat. Ein*e Millionär*in spürt einen 90 Tagessätze in Höhe von 20€ deutlich weniger, als eine Person die Bürger*innengeld empfängt. Deswegen ist es wichtig, dass die Höhe des Tagessatzes sich auch wirklich nach dem Einkommen richtet. Dazu kommt, dass rund 80% aller Strafen vor deutschen Gerichten Geldstrafen sind. Das System der Tagessätze ist daher ein entscheidendes Instrument, um die Justiz fairer zu machen.

 

In der Praxis sieht es allerdings häufig so aus, dass die meisten Verfahren durch sogenannten Strafbefehl entschieden werden. Ein Strafbefehl wird von der Staatsanwaltschaft erlassen und kommt oft bei weniger schwerwiegenden Straftaten zum Einsatz, wo eine Hauptverhandlung als nicht notwendig gesehen wird. Das Verfahren wird also ohne vorherige mündliche Verhandlung abgeschlossen. Ohne mündliche Verhandlung liegt der Staatsanwaltschaft allerdings auch keine Information über das Einkommen der beschuldigten Person vor. Stattdessen wird das Einkommen geschätzt, wobei die Schätzungen bei Menschen mit geringem oder keinem Einkommen oft zu hoch und bei reicheren Menschen zu niedrig ausfallen. Üblicherweise wird dann der Standardregelsatz von 20-40€ pro Tagessatz genommen, der für Personen mit einem sehr hohen Einkommen deutlich zu niedrig ist und Personen mit geringem oder keinem Einkommen umso mehr belastet. Obwohl es die Möglichkeit gibt, Einspruch gegen die Höhe des Tagessatzes zu erheben, tun dies gerade Menschen mit geringem Einkommen oft nicht aufgrund fehlender Ressourcen, den Anwaltskosten und fehlendem Wissen über Tagessätze. Reichere Menschen legen natürlich keinen Widerspruch ein, sie sind „gut davongekommen“. Es ist wegen des Steuergeheimnisses für die Staatsanwaltschaft nicht möglich, die wahren Einkommensverhältnisse beim Finanzamt abzufragen.

 

Die gleiche Problematik tritt bei der Berechnung von Unterhaltspflichten auf, wenn das Elternteil sich weigert, die eignen Einkommensverhältnisse offenzulegen. Auch hier hat das Gericht keine Möglichkeit diese beim Finanzamt zu erfragen und ist dann häufig gezwungen das Einkommen zu schätzen. Um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, fordern wir, dass die Staatsanwaltschaft und die Gerichte in solchen Fällen die Möglichkeit haben eine Abfrage zu den Einkommensverhältnissen beim Finanzamt zu machen.

 

Keine Steuerprivilegien für Wirtschaftskriminelle 

Ein weiterer wesentlicher Faktor, der zu Ungerechtigkeit im Rechtssystem führt, sind die Steuerprivilegien, welche Manger*innen bei Wirtschaftskriminalität zustehen. Wirtschaftskriminalität bezieht sich auf Straftaten, die oft darauf abzielen finanziellen Gewinn zu erzielen oder Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Darunter fällt zum Beispiel Betrug, Korruption, Insiderhandel oder Bestechung. Wirtschaftskriminalität spielt eine entscheidende Rolle in der Gesamtkriminalität. Obwohl ihr Anteil an der Gesamtzahl der Delikte nur 0,9% beträgt, ist ihr Anteil am wirtschaftlichen Schaden aller Delikte bei knapp 45%. Diese Form von Kriminalität wird oft von Manager*innen während ihrer beruflichen Tätigkeiten begangen, wie im Fall des VW Dieselskandals.

 

Üblicherweise enthalten Verträge von Manager*innen sogenannte „Managerschutz“-Policen, die das Unternehmen dazu verpflichtet, alle Kosten im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorwürfen gegen ihre Manager*innen zu übernehmen, sei es für Strafverteidigung, Geldauflagen oder Geldstrafen. Die Voraussetzung ist lediglich, dass der strafrechtliche Vorwurf gegen die Manager*innen auf betriebliches bzw. berufliches Verhalten zurückzuführen ist, so wie es häufig der Fall ist. Ein prominentes Beispiel ist der Vorstandschef von VW, der wegen des Dieselskandals eine Geldauflage in Höhe von 4,5 Millionen Euro erhielt. Für eine einzelne Person mag das eine erhebliche Strafe sein, für VW jedoch, die die Strafe für ihren Manager bezahlt hat, allerdings nicht. Und ob das nicht schon ungerecht genug ist, kann das Unternehmen diese Zahlung auch noch als Betriebsausgabe steuerlich absetzen. Steuerlich absetzen bedeutet, dass der zu versteuernder Gewinn von VW um diese Höhe verringert wird und VW deshalb insgesamt weniger Steuern zahlen muss. Kurz gesagt: Die 4,5 Millionen Euro Strafe gegen den VW Manager wurde von der Gesellschaft mitbezahlt. Das kann und darf nicht sein. Wir fordern daher, dass Geldauflagen oder Geldstrafen, die gegen Manager*innen verhangen und von den Unternehmen übernommen werden nicht mehr steuerlich absetzbar sein dürfen.

 

Das System der Strafbefehle reformieren

Das Strafbefehlsverfahren ermöglicht der Staatsanwaltschaft, ein Verfahren, welches ein Vergehen zum Gegenstand hat, ohne mündliche Verhandlung zu beenden. Das Verfahren stellt eine Sondervorschrift und somit eine Abweichung der grundsätzlichen Konzeption eines Strafverfahrens nach den Vorschriften der Strafprozessordnung dar, welche die Durchführung einer Hauptverhandlung vorsieht. In der Realität erfolgen die meisten Verurteilungen durch den Erlass eines Strafbefehls. Es ist für die Staatsanwaltschaft und das Gericht deutlich einfacher, zeiteffizienter und kostengünstiger, das Verfahren ohne mündliche Verhandlung zu erledigen. Die Effizienz einer solchen Verurteilung geht jedoch zulasten der Rechte einer beschuldigten Person. Diese hat lediglich 2 Wochen Zeit, Einspruch gegen den erlassenen Strafbefehl einzulegen. Die kurze Einspruchsfrist benachteiligt vor allem jene, bei denen es aus verschiedenen Gründen Barrieren im Verständnis des Strafbefehls gibt und jene, die sich keine*n Strafverteidiger*in leisten können. Durch den Strafbefehl wird suggeriert, dass die Gerichte über den Strafbefehl entscheiden. In der Realität findet durch das Gericht lediglich eine oberflächliche Prüfung des Strafbefehlsantrags statt. Das Gericht erlässt in Folge der Prüfung in fast allen Fällen den Strafbefehl. Die hierdurch entstehende Macht der Staatsanwaltschaft ist aufgrund der fehlenden Unabhängigkeit dieser aus einer rechtsstaatlichen Perspektive nicht unproblematisch. Dies wird insbesondere durch den Umstand verschärft, dass das Strafbefehlsverfahren lediglich eine zweiwöchige Einspruchsfrist vorsieht. Wenn die beschuldigte Person innerhalb dieser Zeit keinen Einspruch einlegt, entspricht der Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil. Es kann nicht sein, dass bei einer Nichtäußerung in einer derart kurzen Frist, die beschuldigte Person auf viele Rechte, insbesondere das Recht auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Daher fordern wir, dass das Strafbefehlsverfahren reformiert wird und die Widerspruchslösung auf eine Zustimmungslösung umgestellt wird. Dies bedeutet, dass die beschuldigte Person dem Strafbefehl explizit zustimmen muss. Bei einer fehlenden Erklärung gilt der Strafbefehl anders als bisher nicht als rechtskräftiges Urteil und dementsprechend wird eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Hierdurch wird sichergestellt, dass sich die beschuldigte Person jedenfalls mit dem Vorwurf und der konkret drohenden Rechtsfolge befasst und anschließend dem Strafbefehl unter einem expliziten Hinweis auf den Verzicht auf die Hauptverhandlung in dokumentierter Form zustimmt.

 

Zusammenfassend fordern wir daher:

  • Eine bessere finanzielle Ausstattung der Justiz und insbesondere der Gerichte
  • Die Bereitstellung von Pflichtverteidiger*innen für alle straffälligen Personen verfügbar zu machen, unabhängig von der Schwere des Vorwurfes
  • Pflichtverteidiger*innen schon im Ermittlungsverfahren zur Verfügung zu stellen
  • Eine bessere Bezahlung der Pflichtverteidiger*innen damit auch Menschen mit begrenzten oder fehlenden finanziellen Mitteln angemessen vor Gericht vertreten werden
  • Eine von den Gerichten unabhängige Organisation die Auswahl von Pflichtverteidiger*innen zu überlassen
  • Die Staatsanwaltschaft und Gerichte dazu verpflichten, die Einkommensverhältnisse von Täter*innen und unterhaltspflichtigen Personen beim Finanzamt abzurufen, durch eine Änderung der Vorschriften zum Steuergeheimnis
  • Unternehmen es nicht weiter zu ermöglichen, Geldauflagen oder Geldstrafen gegen Manager*innen steuerlich abzusetzen
  • Das Strafbefehlsverfahren zu reformieren und durch die Umstellung auf eine Zustimmungslösung sicherzustellen, dass die beschuldigte Person, sich mit dem Vorwurf auseinandergesetzt hat und bewusst auf die Hauptverhandlung verzichtet.

 

Antrag 180/I/2024 Hände weg von meinen Chats! - Gegen Chatkontrolle und Überwachung im Internet

21.04.2024

Der Kongress der Party of European Socialists möge beschließen:

 

„Privacy is the right to a free mind“ – Was bisher geschah

Vor 10 Jahren, im Sommer 2013, versetzte der NSA-Mitarbeiter Edward Snowden die Welt in Aufruhr: Mit der Veröffentlichung geheimer Daten und Materialien konnte er beweisen, dass die Geheimdienste der USA ihre eigenen und auch fremde Staatsbürger*innen gezielt – auch das Handy der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde überwacht – aber auch großflächig und ungerichtet abhörten. Diese permanente Überwachung und Aufzeichnung von Bewegungsdaten, Kommunikation und Bildern erlaubte es den Geheimdiensten, auch Jahre nach der Aufzeichnung detaillierte Profile über Personen zu erstellen. Diese Form der unbegründeten und rechtswidrigen massenhaften Überwachung und Vorratsdatenspeicherung stieß damals zu Recht auf weltweite massive Empörung.

 

Seit den Leaks von Edward Snowden hat sich an der Praxis der Geheimdienste wahrscheinlich wenig geändert. Die Möglichkeiten, die eigene Kommunikation zu verschlüsseln und so vor dem Zugriff Dritter zu schützen, wurden aber ausgeweitet. Was vor 10 Jahren noch ein Hobby von wenigen Personen war, ist spätestens mit der Einführung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bei Messengerdiensten in der Breite der Gesellschaft angekommen. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung erlaubt es Nutzer*innen, private Kommunikation zu führen, ohne dass die Nachrichten von Messengerdiensten, Regierungen oder anderen unbefugten Personen gelesen werden kann – ein riesiger Fortschritt für Privatsphäre und sichere Kommunikation im Internet.

 

Im Mai 2022 stellte die schwedische EU-Kommissarin Ylva Johansson einen Gesetzvorschlag vor, der das Ende für verschlüsselte Kommunikation und Anonymität im Internet bedeuten könnte. „Child Sexual Abuse Reduction“ nennt sich dieses Vorhaben und das Ziel ist es, Kindesmissbrauch und die Verbreitung von diesen im Netz einzudämmen. Wir unterstützen das grundlegende, obligatorische Anliegen, der Unterbindung von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs, jedoch nicht diesen Weg dorthin. Denn dazu sollen neben der massenhaften Kontrolle von Chats auch Altersverifikation und Netzsperren eingesetzt werden.

 

Meine Chats gehören mir – und nicht einer KI oder den Behörden!

Ylva Johansson schlägt in ihrem Gesetzentwurf verschiedene Maßnahmen vor, die technische Umsetzung bleibt dabei unklar.

 

Zentral in der Debatte um diesen Entwurf ist die sogenannte Chatkontrolle: die Kommission hat das Ziel formuliert, alle Chats auf Kindesmissbrauch zu scannen.

 

Die Einführung einer Chatkontrolle würde dazu führen, dass die private Kommunikation jeder Person zu jeder Zeit gescannt würde. Dies würde einen massiven Einschnitt in die Bürger*innenrechte bedeuten.

 

Dass man verschlüsselte Kommunikation nicht einfach verbieten kann, ist zum Glück selbst Ylva Johansson klar. Die Alternative heißt „client-side scanning“: jede Nachricht würde, bevor sie verschickt wird, auf dem eigenen Gerät gescannt und mit einer zentralen Datenbank aus Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs verglichen. In der Logik der EU-Kommission wird dadurch die Verschlüsselung der Kommunikation nicht angegriffen, schließlich wird die Nachricht erst gescannt und erst danach verschlüsselt.

 

Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Einführung dieser Technologie einen massiven Einschnitt in die Privatsphäre darstellen und nach Einschätzung des legal councils der EU die Essenz der fundamentalen Rechte verletzen. Auch die Expert*innen, die der Digitalausschuss des Bundestages im März zu einer Anhörung eingeladen hat, haben sich einmündig gegen client-side-scanning ausgesprochen. Von Kinderschutzbund und Internet-Ermittler bis Chaos Computer Club – nicht einmal der Union ist es gelungen, eine*n Expert*in aufzutreiben, der*die sich für die vorgeschlagenen Maßnahmen ausspricht. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags sieht im aktuellen Verordnungsentwurf “unverhältnismäsige Eingriffe in die geprüften Grundrechte der GRCh (EU-Grundrechtecharta).

 

Auch technisch zeigen sich Problematiken: damit eine KI Missbrauchsabbildungen erkennen kann, muss sie vorher auf einer Sammlung von solchen Abbildungen trainiert werden. Dabei werden der KI Abbildungen gezeigt und die KI soll die Abbildungen als Missbrauch oder nicht deklarieren. Die Entscheidungen der KI im Trainingsprozess müssen von Menschen kontrolliert werden, die sich ebenfalls diese Abbildungen ansehen und die Entscheidung der KI bestätigen müssen. Eine solche unbekannte KI bietet massives Missbrauchspotential. Verbrecher*innen könnten Zugriff auf Trainingsdaten erlangen und diese Abbildungen weiter nutzen oder sich durch die KI selbst Bilder generieren lassen. Weiterhin kann von Bürger*innen nicht kontrolliert werden, ob die eigenen Nachrichten tatsächlich nur in diesem Rahmen kontrolliert oder ob auch andere Inhalte gesucht werden.

 

Jede*r Bürger*in wäre davon betroffen, dass sämtliche private Kommunikation ständig durchsucht würde. Von einer zentralen unbekannten Entität. Neben echten Missbrauchsabbildungen würde diese Kontrolle auch jede Menge falsche Meldungen produzieren, also Nachrichten, die fälschlich als Missbrauch gekennzeichnet werden und dann von den Behörden kontrolliert werden. Dies kann sowohl das Versenden von Kinderfotos in Familiengruppen als auch Nachrichten betreffen, die sich Jugendliche einvernehmlich schicken. Studien zeigen zudem, dass Inhalte, die die queere Community betreffen, deutlich häufiger fälschlich als Pornographie erkannt werden.

 

Zudem ist fragwürdig, ob die Einführung der Chatkontrolle tatsächlich einen Beitrag zu weniger Kindesmissbrauch leisten würde. Missbrauchsabbildungen werden in der Regel nicht per Messenger versendet. Stattdessen werden Links auf Seiten im „dark net“ geteilt, von denen das Material anonym abgerufen werden kann.

 

Die Einführung einer Chatkontrolle würde das zugrundeliegende Problem also nicht lösen, sondern unverhältnismäßig in die Privatsphäre aller eingreifen.

 

Keine Stoppschilder im Internet – Löschen, statt sperren!

Schon 2009 sagte Ursula von der Leyen, damals noch als Familienministerin, Abbildungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Internet den Kampf an. Ihr Vorschlag: Seiten, auf denen Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs zu finden sind, sollen gesperrt und mit einem großen Stoppschild versehen werden. Dieser Vorschlag wurde damals nach langen Protesten aufgegeben. Zu Recht! Netzsperren sind nicht nur schwer umzusetzen und lassen sich leicht umgehen. Wird eine Seite mit einem großen roten Stoppschild versehen, wird auch noch aktiver Täter*innenschutz betrieben. Alle Materialien existieren noch auf den Servern der gesperrten Seite und können von Betreiber*innen einfach auf eine andere Seite übertragen werden.

 

Stattdessen wird in Deutschland inzwischen das Prinzip „Löschen, statt Sperren“ verfolgt. Stoßen Ermittler*innen im Internet auf Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs, wird dies an die Serverbetreiber*innen gemeldet, die die Seite mit allen Inhalten löschen. Dieses Verfahren ist „einfach und wirksam“, so berichtet es das Justizministerium. Und doch werden viele Seiten nicht direkt gelöscht. Den Behörden fehlt häufig Personal, um alle Seiten zu löschen. Es ist nicht hinnehmbar, dass einfache Mittel, die ausschließlich Täter*innen betreffen, durch Ermittlungsbehörden nicht ausgeschöpft werden.

 

Netzsperren sind auch auf europäischer Ebene zu verhindern. Stattdessen müssen Missbrauchsabbildungen wo immer sie auftreten, gelöscht werden. Behörden müssen ausreichend Personal ausgestattet sein, um Seiten zu löschen.

 

Alter, geht‘s noch? – Ein Internet ohne Altersverifikation und Ausweispflicht

Die Kommission geht in ihrem Gesetzesvorhaben aber noch weiter, als bestehendes Material zu erkennen. Auch dem sogenannten „grooming“ – also versuchter Kontaktaufnahme von Erwachsenen bei Kindern mit dem Ziel des Missbrauchs soll Einhalt geboten werden. Dafür könnten Anbieter*innen künftig dazu gezwungen werden, Alterskontrollen einzuführen.

 

Heute schon verhindern manche Anbieter*innen, dass Kinder von Erwachsenen angeschrieben werden können. TikTok beispielsweise stellt Accounts von 13- bis 15-jährigen grundsätzlich privat. Solche Maßnahmen basieren meist auf Selbstauskünften der Nutzer*innen, dies wird der EU-Kommission sicher nicht ausreichen.

 

Möglichkeiten der Altersverifikation reichen von der Identifikation mit Ausweisen bis zur KI-gestützten Berechnung des Alters durch biometrische Daten. Nicht nur aus Datenschutzperspektive ist dabei eine Variante schlimmer als die nächste.

 

Die Verifikation des Alters durch Kontrolle des Personalausweises würde das Ende der Anonymität im Internet bedeuten. Nutzer*innen jeder Plattform, auf der Chats möglich sind, müssten den Anbieter*innen persönliche Daten übermitteln. Ein Datenleak oder ein Hackerangriff auf die Datenbanken der Anbieter*innen wäre fatal. Durch die AusweisApp ist es theoretisch möglich, nur die Daten zu übermitteln, die tatsächlich gebraucht werden. Es ist jedoch abzusehen, dass sich Plattformen mit dieser Einschränkung nicht zufriedengeben werden, sondern unter den Deckmantel gesetzlicher Legitimierung weitere Daten zu Werbezwecken sammeln werden und so weitere Daten von Nutzer*innen sammeln können, die sie eigentlich nicht haben sollten.

 

Der Angriff auf die Anonymität im Internet hat aber auch weitere Auswirkungen, die zu kritisieren sind. Die Pflicht, für jede Form der Online-Kommunikation den Personalausweis vorlegen zu müssen, wird massive Auswirkungen auf die Kommunikationsfreiheit im Internet haben. Wenn Nutzer*innen bei jeder Anmeldung und Nachricht im Internet befürchten müssen, dass Inhalte gelesen und zurückverfolgt werden können, hat dies messbare Folgen für das individuelle Verhalten und die Meinungsfreiheit. Es ist zudem unverhältnismäßig: Niemand würde auf die Idee kommen, vor jedem Gespräch, Telefonat oder Museumsbesuch einen Personalausweis anzufordern.

 

Personen, die keinen Ausweis besitzen, wären so komplett von digitaler Teilhabe ausgeschlossen. Auch Betreiber*innen von Open-Source-Programmen wären von einer solchen Regelung bedroht. Open-Source-Programme ermöglichen es Nutzer*innen, Programme kostenlos zu nutzen, weiterzuentwickeln und zu testen. Dabei gibt es keine zentrale Datenbank von Nutzer*innen, sondern Programme oder Quellcode können aus verschiedenen Quellen genutzt werden. Der Schutz der persönlichen Daten von Nutzer*innen muss auch im Internet gelten!