Die S&D-Fraktion des Europaparlaments, die SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert, sich für die Umsetzung des nachfolgenden Sofortprogramms zur Geflüchteten-, Migrations- und Grenzsicherungspolitik der EU und Deutschlands einzusetzen:
Forderungen zur Seenotrettung
- Vereinbarung eines vorab feststehenden und gesicherten Verteilungsschüssels für aus Seenot gerettete Geflüchtete unter Einbeziehung des Städtenetzwerks Solidarity City. Deutschland und Berlin erklären sich bereit, bei Problemen im Falle von unerwartet hohen Zahlen von in Erstversorgung aufzunehmenden Menschen für Länder der „Koalition der Willigen“ einzutreten, die sich im Einzelfall überfordert fühlen. Die Vereinbarung sollte aber Regelungen enthalten, die einen angemessenen Ausgleich in der Verteilung von Geretteten auf mittlere Sicht vorsehen. Im Rahmen eines solchen Verteilungsmechanismus muss sowohl die Frage der Aufnahme derjenigen mit einer sicheren Bleibeperspektive in den jeweiligen Aufnahmestaaten wie auch derjenigen ohne eine solche sichere Perspektive geklärt sein.
- Wiedereinrichtung einer staatlichen, möglichst von der gesamten EU getragenen, im Notfall aber ebenfalls von einer „Koalition der Willigen“ getragenen Seenotrettungsmission
- EU-Länder, die sich nicht an einer solchen Mission beteiligen wollen, werden mit Anerkennung ihres berechtigten Unterstützungsbedarfs als Erstaufnahmeländer hinsichtlich der Aufnahme, Registrierung und Verteilung der bei ihnen ankommenden Geflüchteten, aber auch mit nachdrücklicher Erinnerung an ihre Verpflichtungen aus den EU-Verträgen und der EU-Grundrechtscharta in die Pflicht genommen, zumindest elementare Grundsätze der Menschlichkeit einzuhalten, ihre Häfen sowohl für private wie staatliche Seenotrettungsschiffe zu öffnen und aus Seenot gerettete Menschen an Land zu lassen und eine Registrierung und Erstversorgung zu gewährleisten.
- Gemeinsame Erklärungen der Regierungen in der „Koalition der Willigen“ zur Unterstützung der staatlichen und privaten Seenotrettung, zur Wahrung der Menschenrechte auch bei der Verteidigung der EU-Außengrenzen und gegen jede Kriminalisierung von privaten Seenotretter*innen
Forderungen zu Migrationspartnerschaften mit Ländern in Nordafrika:
- Situationsangemessene Maßnahmen zur Unterstützung der Menschen in den Auffanglagern in Tunesien, zur Wahrung ihrer Sicherheit und ihres Rechts auf Asyl und entsprechende Hilfen für die tunesische Regierung und in der Flüchtlingssituation in Tunesien engagierte Hilfsorganisationen.
- Deutschland und die EU müssen alle Einflussmöglichkeiten ausschöpfen, um eine schnellstmögliche Schließung aller Lager in Libyen durch den UNHCR zu erreichen, da der UNHCR die Sicherheit der Geflüchteten in Libyen nicht mehr gewährleisten kann. Das alleinige Mandat zum Schutz von Geflüchteten muss der UNHCR haben. Die Geflüchteten in Libyen müssen evakuiert werden.
- Strenge Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention, insbesondere des Refoulement-Verbots. Niemand darf in Länder wie Libyen zurückgebracht werden, in denen Leben, Gesundheit und Menschenwürde gefährdet sind und mit Gewalt an der Überschreitung der EU-Außengrenzen und an der Wahrnehmung seines Rechts auf Asyl gehindert werden. Gegen das Völkerrecht und EU-Recht verstoßende Pushbacks im Mittelmeer, an den Grenzen zu Bulgarien, Ungarn, Kroatien und anderswo müssen untersucht und beendet werden.
- Überprüfung der Lager für Geflüchtete in Nordafrika im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards.
- Stärkere Anstrengung im Bereich des Resettlement, um Geflüchtete in Konfliktregionen, sowohl jene in den Flüchtlingslagern des UNHCR als auch jene ohne Registrierung in den Lagern, direkt in Sicherheit nach Europa zu bringen.
- Einstellung der Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache für die Seenotrettung.
- Die EU Unterstützung für aktuellen „Migrationspartnerschaften“ mit Herkunfts- und Transitländern in Afrika, insbesondere mit Libyen, muss auf die Einhaltung der Menschenrechte untersucht werden. Diese Überprüfung der Wahrung der Grund- und Menschenrechte erfolgt nicht nur im Hinblick auf von Geflüchtete und aus anderen Gründen Migrierenden, sondern auch auf mögliche Verletzungen von Grund- und Menschenrechten sowie der wirtschaftlichen und sozialen Rechte der übrigen Bevölkerung (Recht auf Freizügigkeit gemäß regionaler Abkommen, Berufs- und Gewerbefreiheit, Recht auf Arbeitsaufnahme, Studienaufenthalte und Reisefreiheit in Nachbarländer)
- Keine Zusammenarbeit mit Blick auf die Einrichtung von Außenzentren mit Staaten (wie Libyen), die die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet haben.
- Unterstützung von Geflüchteten in der Bundesrepublik, deren Angehörige in den Lagern in Afrika durch Milizen und Menschenschmuggler festgehalten und misshandelt werden, um von ihrer Familie Löse- oder Schutzgeld zu erpressen. Es muss ein Konzept entwickelt werden, wie auch staatliche Stellen mit Beginn der Aufnahme der Geflüchteten Unterstützung in diesen Fällen leisten können.
Forderungen zu Migrationspartnerschaften mit Ländern des Sahels:
- Das militärische Engagement im Sahel muss eine klare Konditionierung zur Durchsetzung von Menschen- und Bürgerrechten erfüllen. Es ist anzustreben, dass externe Militäroperationen in der Region ausschließlich im Rahmen von Mandaten der VN oder in Form gemeinsamer Missionen der VN und der EU oder AU erfolgen und nicht im Rahmen einzelstaatlicher Initiativen. Militärische Einsätze müssen im Hinblick auf die Erreichung ihrer Zielsetzung evaluiert werden und das militärische Engagement durch zivile Maßnahmen ergänzt werden. Die Mittel für nichtmilitärische Versöhnungsprozesse und Konfliktlösungen innerhalb der Bevölkerung müssen erhöht werden.
- Eine militärische Zusammenarbeit mit autoritären und diktatorischen Regimen wie z.B. dem Tschad muss vermieden werden.
- Investitionen in Sicherheitskräfte müssen Hand in Hand mit Investitionen in Grundbedürfnisse der Bevölkerung (Ernährung, Bildung, Gesundheit, Infrastruktur) gehen. Es braucht einer Entwicklungsoffensive für den Sahel. Diese muss von den Bedürfnissen der Bevölkerung her konzipiert sein, in eine breitere entwicklungspolitische Agenda eingebettet werden und die Interessen der afrikanischen Zivilgesellschaft berücksichtigten.
Forderungen zur deutschen Migrationspolitik
- Beiträge zur Entspannung der Flüchtlingssituationen in Westafrika (Beispiel Niger) und in den Hotspots auf den griechischen Inseln durch vollständige Erfüllung der Zusagen zu den mit diesen Flüchtlingssituationen verbundenen Resettlementprogrammen und Maßnahmen zur Familienzusammenführung und Prüfung der Frage, ob Deutschland seine Quoten für diese Programme entsprechend der zunehmenden Notlagen erhöhen kann.
- Schaffung von legalen und ungefährlichen Migrationsmechanismen nach Europa. Diese beinhaltet eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Wegen der Migration und die Eröffnung von Einwanderungschancen auch für die große Zahl derjenigen, die bis dato ohne Aussicht auf Anerkennung als Flüchtlinge bzw. Asylberechtigte sich auf höchst riskante, sehr oft tödliche Reisen begeben.
- Einsetzung einer interministeriellen Arbeitsgruppe und/oder auch einer Enquètekommission zur Prüfung der Frage, welche Beiträge Deutschland kurz- und mittelfristig leisten kann, um gemäß den Handlungsvorschlägen der VN-Pakte zur Migration und zu Flüchtlingen die Menschenrechte von Geflüchteten und Migrant*innen sowohl in den Herkunfts- und Zielländern als auch auf allen Stationen der Flucht- und Migrationsrouten stärker zu schützen. Umsetzung der Ergebnisse dieser Prüfungen in Form einer Neuausrichtung der Förderrichtlinien und Förderinstrumente der Bundesregierung u n d der EU für die betroffenen Länder in Afrika an den Zielen und Handlungsempfehlungen der beiden globalen Pakte
- Eine Evaluation des BMZ-Programmen zur Rückkehrförderung zur Überprüfung in Hinblick auf dessen Impakt und Effektivität.
Anmerkung zur Beschlusslage:
Der vorliegende Antrag zielt nicht auf eine Revision der Beschlusslage der SPD Berlin zum Thema „Flucht und Migration“ ab, sondern soll konkrete und praxisbezogene Ansätze für eine Auflösung der Blockaden in zentralen Bereichen der EU-Geflüchtetenpolitik liefern. Grundlage bleiben die Beschlüsse 61/I/2017, 47/II/2017 und 48/II/2017.