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Antrag 68/I/2023 Die Verteidigung unserer östlichen Nachbarn nachhaltig unterstützen!

27.04.2023

Mit dem erneuten russischen Angriff auf die Ukraine wurde uns klar, dass Russland Angriffskriege auch in Europa als Mittel der Politik sieht. Deutschland hatte die Augen davor verschlossen, als es sich um Georgien, Syrien oder östliche Teile der Ukraine handelte. Wir haben die juristische und moralische Verpflichtung, unsere Partner in der EU und der NATO zu verteidigen, die der­zeit von Russland bedroht sind.

 

Auch haben wir zusammen mit unseren Partnern die Entschei­dung getroffen, die Ukraine dabei zu unterstützen, ihre territoriale Integrität wiederherzustellen. Art und Umfang unserer Unterstüt­zung für die Ukraine beruhen auch auf ihrer demokratischen Ent­wicklung und ihrem Verhalten in den befreiten Gebieten.

 

Humanitäre Hilfe für die Ukraine ist wichtig und richtig. Sie ist aber nicht nachhaltig, wenn Russland gleichzeitig weiter Tod und Verwüstung bringt. Ein „eingefrorener“ Konflikt ist keine Lösung. Die Waffenstillstandsvereinbarungen in Transnistrien, im Kauka­sus oder in Donezk haben russisch kontrollierte Besatzungsre­gimes fortgeschrieben. Nach Bucha und nach Isjum kann das keine Alternative sein. Wir haben alle die Berichte gesehen, was eine russische Besatzung bedeutet. (Wir hätten gerne „mit Er­schrecken und Unglauben“ geschrieben, nach Tschetschenien und Syrien wäre das jedoch Selbstbetrug.)

 

Es ist zu hoffen, dass die russische Führung ihren Fehler einsieht und die Invasion beendet. Wir unterstützen Verhandlungen mit diesem Ziel. Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass das ohne weitere schwere Kampfhandlungen geschieht.

 

Wirksame moderne Waffensysteme, Munition und Ausrüstung haben lange Lieferzeiten. Waffenbestellungen für die Bundes­wehr im Rahmen des 100-Mrd.-Programms, durch unsere Ver­bündeten und durch oder für die Ukraine müssen deshalb durch die Bundesregierung langfristig koordiniert werden.

 

Damit bleibt die Frage, ob doch bitte andere westliche Staaten liefern sollen, ob die Ukraine direkt bei der deutschen Industrie bestellt oder ob die Bundesregierung eine zentrale Rolle ein­nimmt. Wir sehen hier Deutschland und die Regierung in der Pflicht.

Antrag 67/I/2023 Sozialdemokratische Friedenspolitik: Außen- und Sicherheitspolitik gestalten

27.04.2023

1. Unsere Ausgangslage

Der brutale Überfall Russlands auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 markierte eine Zäsur für die deutsche, europäische und internationale Außen- und Sicherheitspolitik. Der Krieg und die Verübung grausamer Kriegsverbrechen durch die russischen Besatzer führen dazu, dass Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Laut den Vereinten Nationen sind insgesamt rund acht Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Es gibt rund sechs Millionen Binnenvertriebene (jew. Stand 14.1.2023). Die russische Kriegsführung trifft zielgerichtet die ukrainische Bevölkerung und zerstört die zivile Infrastruktur. Es gilt – gemeinsam und abgestimmt im Verbund der EU und NATO – die Ukraine bei der Selbstverteidigung zu unterstützen, der ukrainischen Bevölkerung zu helfen und Russland völkerrechtlich für seinen imperialistischen Angriffskrieg  zur Verantwortung zu ziehen.

 

Die durch den Angriffskrieg entstandenen Herausforderungen an Deutschland und seine Partner hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Begriff “Zeitenwende” betitelt. Zeitenwende wird hierbei als eine grundlegende Änderung der europäischen Sicherheitsordnung verstanden. Der Begriff Zeitenwende ist nicht unumstritten. Unstrittig dürfte jedoch sein, dass die Sozialdemokratie intensiver diskutieren muss, welchen außenpolitischen Weg sie in Zukunft einschlagen muss. Hierzu gehört unzweifelhaft nicht nur eine Aufarbeitung der Russlandpolitik, sondern auch eine kritische Überprüfung der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahrzehnte. Hinterfragt werden muss das Hinnehmen des Sterbens von geflüchteten Menschen an Europas Außengrenzen. Auch Auslandseinsätze wie zum Beispiel in Afghanistan oder Mali müssen im Hinblick auf Zielsetzung, Folgen und Konsequenzen sowie die Qualität der nationalen und europäischen Kapazitäten zur Landes- und Bündnisverteidigung analysiert werden.

 

Die SPD muss als Friedenspartei die Leitplanken und Möglichkeiten der aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik überprüfen und festlegen, wie sie sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufstellen möchte. Dieser Prozess muss durch einen umfassenden Diskussionsprozess in der Partei begleitet werden. Dieser Antrag ist ein Beitrag zur notwendigen breiten Debatte um die zukünftige Ausrichtung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik.

 

2. Unsere Säulen sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik

Die Friedens- und Sicherheitspolitik der Sozialdemokratie ruht auf einem festen Fundament, wie es in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit dem Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit aller Menschen festgeschrieben wurde. Willy Brandt hat das Ziel der weltweiten „Freiheit von Not und von Furcht“ abgeleitet. Dies bleibt unser Anspruch.

 

Diese Freiheit wird im Kern gefährdet durch weltweite Entwicklungen: durch wachsende soziale Ungleichheiten – national und global -, humanitäre Krisen, die Rückkehr von Autokratien und Diktaturen. Sie ist ebenso bedroht durch den systematischen Abbau bürgerlicher Freiheiten und die Untergrabung der Menschenrechte, durch existenzielle Bedrohungen für diejenigen, die unabhängig journalistisch arbeiten, und Einschränkungen in der Unabhängigkeit von Gerichten, Rechtsprechung und Wahlverfahren für Richterinnen und Richter. Grundlage einer gedeihlichen Entwicklung sind offene Gesellschaften, die ihren Mitgliedern den Kampf für ihre Rechte ermöglichen. Ohne die Gleichheit der Rechte aller Menschen bleibt Freiheit von Not und Furcht nur Stückwerk.

 

Die Freiheit von Not und Furcht wird auch bedroht durch die fortschreitende Klimakrise, die Menschen ihre Existenzgrundlage nimmt und vielen Millionen weiteren zu nehmen droht.

 

Unser Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik ist breit, weil wir nicht auf eine kurzfristige sektoral begrenzte, sondern eine langfristige und werteorientierte Perspektive setzen, die ein friedliches, respektvolles Miteinander ermöglichen: Es muss neben den u.U. lebensrettenden Erfordernissen von Schutz und Verteidigung stets die langfristige menschliche Sicherheit aller – insbesondere von Frauen, Kindern und marginalisierten Gruppen – mitdenken, die Folgen für Energieverbrauch und fortschreitenden Klimawandel, die Folgen für wirtschaftliche Beziehungen und den Ausbau von sozialen und politischen Menschenrechten gerade auch im globalen Süden.

 

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat Russland das internationale Völkerrecht gebrochen und die kollektive Sicherheitsordnung Europas nach der Schlussakte von Helsinki 1975 verlassen. Spätestens seit 2014 ist deutlich, dass die Verflechtung durch Wirtschaftsbeziehungen keinen Frieden in Europa und auch anderswo garantiert.

 

Eine sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik erfordert also eine stetig entlang transparenter Kriterien und Werte weiterzuentwickelnde und anpassungsfähige Strategie. Ihr zugrunde liegt eine ganzheitliche Herangehensweise, in die Sachstände, Bewertungen und strategische Vorausschau aus allen relevanten Ministerien kontinuierlich einfließen und auf allen Ebenen miteinander abgestimmt werden (sog. Vernetzter Ansatz). Für sein Gelingen muss die Bundesregierung die notwendigen institutionellen Strukturen schaffen.

 

Wir sehen folgende Prüfsteine als wesentlich für eine langfristig erfolgreiche sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik an:

  • Aus den historischen deutschen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gespeiste bewährte Zurückhaltung im Einsatz militärischer Mittel, eine Stärkung und Weiterentwicklung des Völkerrechts sowie eine langfristige und vorausschauende Friedenssicherung.
  • Enge und frühzeitige, kontinuierliche Abstimmung mit den Bündnispartnern in EU und NATO unter Einbeziehung der jeweiligen Interessen der Partner sowie eine in Absprache mit den Partnern komplementäre und arbeitsteilige Schwerpunktsetzung der deutschen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung.
  • Strategisch breit fundierte und jeden Einzelfall abwägende Entscheidungsfindung. Offene Kommunikation, gerade auch über das Lernen aus Fehlern und Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbstkorrektur.
  • Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen auch mit politischen Akteuren, die nicht entsprechend unserem Wertesystem oder sogar völkerrechtsverletzend handeln, um zu jedem wünschenswerten Zeitpunkt diplomatische Schritte gehen zu können, bei gleichzeitiger maximaler Klarheit über den eigenen politischen Standpunkt. Die Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen darf einer entschlossenen Politik nicht im Wege stehen.
  • Die zunehmende Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verlangt weiterhin eine konsequente Politik der effektiven Rüstungskontrolle mit dem langfristigen Ziel der Rüstungsbegrenzung und der Perspektive einer Abrüstung. Wir setzen uns weiterhin für eine internationale Ächtung des Einsatzes von Atomwaffen ein und bekräftigen unser Ziel einer atomwaffenfreien und entmilitarisierten Welt. Dies wird allerdings nur in einem internationalen Kontext stattfinden können.
  • Ein von der Bundesregierung umzusetzender Vernetzter Ansatz: Bei jedem Einsatz zur Friedenssicherung werden von Beginn an alle einschlägigen Ressorts beteiligt und auf Gegebenheiten und Perspektiven vor Ort wird eingegangen. Die Entwicklungszusammenarbeit darf dabei neben sicherheitspolitischer Planung keine untergeordnete Rolle einnehmen.
  • In der Entwicklungszusammenarbeit muss die qualitative Nachhaltigkeit der Erfolge zentral sein. Wir wirken darauf hin, dass die Entwicklungszusammenarbeit Wirtschaften stärkt und Arbeitsmärkte aufbaut, die insbesondere Frauen, jungen Menschen und marginalisierten Gruppen langfristige Perspektiven zum sozialen Aufstieg in ihren Heimatländern bieten. Die Verpflichtung, mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitzustellen, muss eingehalten werden.
  • Zielorientierte Einpassung in die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele, welche die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015 einmütig verabschiedet hat: z.B. Armut und Hunger beenden (1, 2), inklusive und gute Bildung für alle sichern (4), Geschlechtergerechtigkeit (5) sowie sauberes Wasser und saubere, bezahlbare Energieverfügbarkeit (5,6) sichern.
  • Verfolgung des Ziels des Pariser Klimaabkommens – das heißt, die Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, und möglichst auf 1,5 Grad.

 

3. Internationale Organisationen stärken

Die Zeitenwende global zu verstehen, bedeutet auch, dass wir seit Jahren bestehende Paradigmen der deutschen Positionierung im multilateralen Raum überdenken und gemäß unserem Anspruch einer gerechten und kooperativen Welt anpassen müssen. Hierfür benötigt es strategische Partnerschaften und Allianzen mit Ländern aller Regionen und Kontinente, die geprägt sein müssen von gegenseitigem Respekt und Glaubwürdigkeit.

 

  • Die EU soll wichtigster Orientierungs- und Handlungsrahmen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik werden. Um die rüstungs- und verteidigungspolitischen Ziele der Zeitenwende nachhaltig und politisch tragbar umzusetzen, braucht es eine engere Verzahnung der Beschaffungspolitik mit den EU-Partnern als bisher. Es gilt, eine gemeinsame Beschaffungsstrategie so anzugestalten, dass Interoperabilität der Rüstungssysteme und Lastenteilung in den Produktions- und Verteidigungskapazitäten der gesamten EU sichergestellt sind. Hierfür benötigt es kurz- und mittelfristig höhere politische und finanzielle Investitionen.
  • Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch die zentrale Rolle der NATO, zumal die USA, als Garanten für die europäische Sicherheit deutlich gemacht. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Anhebung der Verteidigungsausgaben durch die Mitgliedsstaaten. Mittelfristig muss an die Stelle des 2%-Ziels eine mehrjährige, an den wirtschaftlichen und beschaffungstechnischen Kapazitäten der Mitgliedstaaten orientierte arbeitsteilige Investitionsstrategie treten, welche die demokratische Wehrhaftigkeit und Einsatzfähigkeit des Bündnisses garantiert und bestehende Lücken schließt.
  • Eine Stärkung der Vereinten Nationen als wichtigstes Gremium der internationalen Verhandlungen und Konfliktlösung kann nur durch ein aktives und kooperatives Verhalten Deutschlands und der EU innerhalb der Vereinten Nationen erfolgen. Dazu gehört der strategische und am globalen Gemeinwohl orientierte Austausch mit den Staaten des Globalen Südens, die sich innerhalb der Vereinten Nationen zur G77 zusammengeschlossen haben. Vertrauensbildende Maßnahmen könnten u.a. die aktive Beteiligung der EU an den Verhandlungen eines verpflichtenden Abkommens über Wirtschaft und Menschenrechte, Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen, Schuldenerlasse sowie der Einsatz für eine Zinsabsenkung in der Kreditvergabe der internationalen Entwicklungsbanken an Staaten des globalen Südens sein.
  • Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Russland gegen die in der Schlussakte von Helsinki beschlossenen und durch die Charta von Paris (1990) bekräftigen Prinzipien der OSZE verstoßen. Das Gremium kann in Folge der russischen Aggression derzeit seiner Aufgabe als Dialogforum der paneuropäischen Sicherheit nicht ausreichend nachkommen. Mittelfristig – nach einem Rückzug russischer Truppen aus den ukrainischen Gebieten – könnte die OSZE in einer signifikant veränderten sicherheitspolitischen Landschaft abermals ihre Aktivitäten wieder aufnehmen, vor allem in Bereich des Vertrauensaufbaus und der Transparenz.
  • Nur wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine schloss der Europarat als Organisation für Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Demokratie Russland aus den eigenen Reihen aus. Nichtsdestotrotz soll der Europarat und die Parlamentarische Versammlung des Europarates weiterhin ein Ort für die russische Zivilgesellschaft sein, um die Möglichkeit zu bieten, sich international Gehör zu verschaffen und zu vernetzen.
  • Die G7 und G20 müssen als diplomatische Foren gestärkt werden. Hierzu gehören klare Strategien und gemeinsame Zielsetzungen mit den nicht-westlichen Mitgliedsstaaten in der G20, z.B. im Bereich des Klimawandels, des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen oder der globalen Bekämpfung von Steuerflucht. Sowohl der von Olaf Scholz im Rahmen der G7 angeregte Klimaclub als auch die Initiative der G20 einer globalen Mindestbesteuerung von Unternehmen sollten forciert werden.

 

4. Konfliktursachen bekämpfen, Stabilität fördern und Perspektiven schaffen

Internationale Solidarität, Verantwortung und Führung muß fußen auf dem skizzierten Kontext der demokratischen Wertebindung – Menschenwürde, Freiheit von Not und Furcht, Rechtssicherheit, Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Stabilen Fortschritt können sie nur bewirken, wenn die Folgen einer solidarischen und verantwortungsvollen Politik für Frauen und Kinder, für die Klimaentwicklung, für die Armen der Welt mitgedacht sind.

 

Unsere Forderungen sind:

  • Wir wollen die Selbstverteidigung der Ukraine wirksam unterstützen, um ihre Existenz zu sichern. Davon hängt ab, wie sich das Verhältnis zwischen dem demokratischen Europa und Russland entwickeln wird.
  • Wir wollen eine Feministische Außenpolitik zur Unterstützung von Sicherheit, Freiheit, Inklusion und Teilhabe.
  • Wir wollen offene Gesellschaften, Rechtssicherheit und Meinungsfreiheit global unterstützen. Hierzu gehört die internationale Förderung einer freien Pressearbeit sowie der Kampf gegen die zunehmende Verbreitung von Fake News, etwa durch den Ausbau staatlicher Medienprogramme und einer stärkeren schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit zum Thema internationale Beziehungen.
  • Wir wollen klare Regelungen für eine gute EU-Migrationspolitik. Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen, sollen finanziell unterstützt werden.
  • Ursachen und Folgen der Klimakrise stehen unmittelbar im Zusammenhang mit ökonomischen und sozialen Bedrohungen in Gesellschaften. Wir unterstützen es, dass westliche Staaten Schwellenländern mit einem hohen Kohleanteil bei der Stromerzeugung, wie Südafrika, Indonesien und Vietnam, durch “Energiewende-Partnerschaften” finanziell dabei helfen, auf erneuerbare Energien umzusteigen. Wir fordern, solche Partnerschaften mit weiteren Staaten einzugehen. Die eingesetzten öffentlichen Gelder dürfen nicht zu einer weiteren Verschuldung der Länder führen und müssen als Hebel für die Mobilisierung von privaten Investitionen genutzt werden. Wir wollen einen stärkeren finanziellen Einsatz für den Lastenausgleich bei den Klimaveränderungen und eine Stärkung der internationalen Katastrophenhilfe. Deutschland muss seinen gerechten Anteil an den versprochenen 100 Milliarden leisten, die jedes Jahr Ländern im globalen Süden zur Verfügung gestellt werden sollen, um Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren.
  • Eindeutige politische Unterstützung der Protestbewegung im Iran gegen die Regierung in ihrem mutigen Kampf um Frauen- und Freiheitsrechte; diese politische Unterstützung sollte auch konkrete Maßnahmen wie wirksame Sanktionen politisch Verantwortlicher einschließen.
  • Politische Unterstützung aller Maßnahmen der Staatengemeinschaft, die den unangefochtenen Fortbestand und die selbstbestimmte demokratische Weiterentwicklung Taiwans verfolgen.
  • Bei den Wirtschaftsbeziehungen mit China sind einseitige deutsche und europäische Abhängigkeiten bei wichtigen Rohstoffen, Vorprodukten etc. zu reduzieren. Solchen Abhängigkeiten, die unsere politischen Spielräume beispielsweise in Bezug auf Menschenrechte entscheidend einengen, ist durch Diversifizierung u.a. in der Rohstoff- und Industriepolitik zu begegnen, auch wenn dies zu Mehrkosten führt.
  • Auch und gerade angesichts der jüngsten Regierungsbildung in Israel gelten für uns weiterhin die Sätze aus unserem Grundsatzprogramm von 2007: “Deutschland hat eine besondere Verantwortung für das Existenzrecht Israels. Auch deswegen engagieren wir uns für einen umfassenden Frieden im Nahen Osten auf der Grundlage internationaler Verträge. Wir setzen uns für die Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates ein.”

 

5. Ausblick

Auch jenseits der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit muss die Zeitenwende sich in der deutschen EU-Politik in eine stärkere Integration und einer Beschleunigung des stockenden Erweiterungsprozesses übersetzen. Um das seit Jahren angestrebte Ziel qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik endlich zu erreichen, muss die Bundesregierung sich für eine Kompromissfindung öffnen. Das gilt auch in Hinblick auf Forderungen der Partner hinsichtlich der gemeinsamen Schuldenaufnahme und dauerhaft höherer Investitionen. Deutschland muss seine Rolle im Gefüge einer nationalen, europäischen und globalen Sicherheitsordnung finden. Das heißt Verantwortung zu übernehmen.

Antrag 66/I/2023 Sozialdemokratische Friedenspolitik: Außen- und Sicherheitspolitik gestalten

27.04.2023

1. Unsere Ausgangslage 

Der brutale Überfall Russlands auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 markierte eine Zäsur für die deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Der Krieg und die Verübung grausamer Kriegsverbrechen durch die russischen Besatzer führen dazu, dass Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Laut den Vereinten Nationen sind insgesamt rund acht Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Es gibt rund sechs Millionen Binnenvertriebene. Die russische Kriegsführung zerstört zielgerichtet die ukrainische Bevölkerung und die zivile Infrastruktur. Es gilt – gemeinsam und abgestimmt im Verbund der EU und NATO – die Ukraine bei der Selbstverteidigung zu unterstützen, der ukrainischen Bevölkerung zu helfen und Russland die Konsequenzen seines imperialistischen Angriffskrieges deutlich zu machen.

 

Die durch den Angriffskrieg entstandenen Herausforderungen an Deutschland und seine Partner hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Begriff “Zeitenwende” betitelt. Zeitenwende wird hierbei als eine grundlegende Änderung der europäischen Sicherheitsordnung verstanden. Der Begriff Zeitenwende ist nicht unumstritten. Unstrittig dürfte jedoch sein, dass die Sozialdemokratie intensiver diskutieren muss, welchen außenpolitischen Weg sie in Zukunft einschlagen muss. Hierzu gehört unzweifelhaft nicht nur eine Aufarbeitung der Russlandpolitik, sondern auch eine kritische Überprüfung der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahrzehnte. Hinterfragt werden muss das Hinnehmen des Sterbens von geflüchteten Menschen an Europas Außengrenzen. Auch Auslandseinsätze wie zum Beispiel in Afghanistan oder Mali müssen im Hinblick auf Zielsetzung, Folgen und Konsequenzen sowie die Qualität der nationalen und europäischen Kapazitäten zur Landes- und Bündnisverteidigung analysiert werden.

 

Die SPD muss als Friedenspartei die Leitplanken und Möglichkeiten der aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik überprüfen und festlegen, wie sie sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufstellen möchte. Dieser Prozess muss durch einen umfassenden Diskussionsprozess in der Partei begleitet werden. Dieser Antrag ist ein Beitrag zur Debatte um die zukünftige Ausrichtung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik.

 

2. Unsere Säulen sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik 

Die Friedens- und Sicherheitspolitik der Sozialdemokratie ruht auf einem festen Fundament, wie es in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit dem Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit aller Menschen festgeschrieben wurde. Willy Brandt hat das Ziel der weltweiten „Freiheit von Not und von Furcht“ abgeleitet. Dies bleibt unser Anspruch und deshalb sind wir dem Eine-Welt-Gedanken verpflichtet.

 

Diese Freiheit wird im Kern gefährdet durch weltweite Entwicklungen: durch wachsende soziale Ungleichheiten – national und global -, humanitäre Krisen, die Rückkehr des Rechts des Stärkeren in Form von Autokratien und Diktatoren. Sie ist ebenso bedroht durch den systematischen Abbau bürgerlicher Freiheiten und die Untergrabung der Menschenrechte, durch existenzielle Bedrohungen für diejenigen, die unabhängig journalistisch arbeiten, und Einschränkungen in der Unabhängigkeit von Gerichten, Rechtsprechung und Wahlverfahren für Richterinnen und Richter. Grundlage einer gedeihlichen Entwicklung sind offene Gesellschaften, die ihren Mitgliedern den Kampf für ihre Rechte ermöglichen. Ohne die Gleichheit der Rechte aller Menschen bleibt Freiheit von Not und Furcht nur Stückwerk.

Die Freiheit von Not und Furcht wird auch bedroht durch die fortschreitende Klimakrise, die Menschen ihre Existenzgrundlage nimmt und vielen Millionen weiteren zu nehmen droht.

 

Unser Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik ist breit, weil wir nicht auf eine kurzfristige sektoral begrenzte, sondern eine langfristige und werteorientierte Perspektive setzen, die ein friedliches, respektvolles Miteinander ermöglichen: Es muss neben den u.U. lebensrettenden Erfordernissen von Schutz und Verteidigung stets die langfristige menschliche Sicherheit aller – insbesondere von Frauen, Kindern und marginalisierten Gruppen – mitdenken, die Folgen für Energieverbrauch und fortschreitenden Klimawandel, die Folgen für wirtschaftliche Beziehungen und den Ausbau von sozialen und politischen Menschenrechten gerade auch im globalen Süden.

 

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat Russland die kollektive Sicherheitsordnung Europas nach der Schlussakte von Helsinki 1975 verlassen. Wir haben seit 2014 gelernt, dass Verflechtung durch Handel allein keinen Frieden in Europa und auch anderswo garantiert.

 

Eine sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik erfordert also eine stetig entlang transparenter Kriterien und Werte weiterzuentwickelnde und anpassungsfähige Strategie. Ihr zugrunde liegt eine ganzheitliche Herangehensweise, die Sachstände, Bewertungen und strategische Vorausschau aus allen relevanten Ministerien kontinuierlich einfließen und auf allen Ebenen miteinander abgestimmt werden (sog. Vernetzte Ansatz). Für sein Gelingen muss die Bundesregierung die notwendigen institutionellen Strukturen schaffen.

 

Wir sehen folgende Prüfsteine als wesentlich für eine langfristig erfolgreiche sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik an:

  • Aus den historischen deutschen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gespeiste bewährte Zurückhaltung im Einsatz militärischer Mittel, eine Stärkung und Weiterentwicklung des Völkerrechts sowie eine langfristige und vorausschauende Friedenssicherung.
  • Enge und frühzeitige, kontinuierliche Abstimmung mit den Bündnispartnern in EU und NATO unter Einbeziehung der jeweiligen Interessen der Partner sowie eine in Absprache mit den Partnern komplementäre und arbeitsteilige Schwerpunkt-setzung der deutschen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung.
  • Strategisch breit fundierte und jeden Einzelfall abwägende Entscheidungsfindung. Offene Kommunikation, gerade auch über das Lernen aus Fehlern und Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbstkorrektur.
  • Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen auch mit politischen Akteuren, die nicht entsprechend unserem Wertesystem oder sogar völkerrechtsverletzend handeln, um zu jedem wünschenswerten Zeitpunkt diplomatische Schritte gehen zu können, bei gleichzeitiger maximaler Klarheit über den eigenen politischen Standpunkt. Die Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen darf einer entschlossenen Politik nicht im Wege stehen.
  • Die zunehmende Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verlangt weiterhin eine konsequente Politik der effektiven Rüstungskontrolle mit dem langfristigen Ziel der Rüstungsbegrenzung und der Perspektive einer Abrüstung. Wir setzen uns weiterhin für eine internationale Ächtung des Einsatzes von Atomwaffen ein und bekräftigen unser Ziel einer atomwaffenfreien Welt- gleiches gilt für Bio- und Chemiewaffen. Dies wird allerdings nur in einem internationalen Kontext stattfinden können.
  • Ein von der Bundesregierung umzusetzender Vernetzter Ansatz: Bei jedem Einsatz zur Friedenssicherung werden von Beginn an alle einschlägigen Ressorts beteiligt und auf Gegebenheiten vor Ort wird eingegangen. Die Entwicklungszusammenarbeit darf dabei neben sicherheitspolitischer Planung keine untergeordnete Rolle einnehmen.
  • In der Entwicklungszusammenarbeit muss die qualitative Nachhaltigkeit der Erfolge zentral sein. Wir wirken darauf hin, dass die Entwicklungszusammenarbeit Wirtschaften stärkt und Arbeitsmärkte aufbaut, die insbesondere Frauen, jungen Menschen und marginalisierten Gruppen langfristige Perspektiven zum sozialen Aufstieg in ihren Heimatländern bietet.
  • Zielorientierte Einpassung in die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele, welche die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015 einmütig verabschiedet hat.
  • Verfolgung des Ziels des Pariser Klimaabkommens – das heißt, die Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, und möglichst auf 1,5 Grad.
  • Globale Ungleichheit in der Struktur unserer Wirtschafts- und Handelsbeziehungen schadet nachhaltig unserer gemeinsamen Sicherheitsinteressen. Die Dekolonialisierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ist ein wichtiges Element der Friedenspolitik. Deshalb unterstützen wir Systeme des Fairen Handels und setzen uns für ein wirkungsvolles EU-Lieferkettengesetz ein. Wir fördern die Verarbeitung von Rohstoffen zu Weltmarktprodukten vor Ort.

 

3. Internationale Organisationen stärken 

Die Zeitenwende global zu verstehen, bedeutet auch, dass wir seit Jahren bestehende Paradigmen der deutschen Positionierung im multilateralen Raum überdenken und gemäß unseres Anspruchs einer gerechten und kooperativen Welt anpassen müssen. Hierfür benötigt es strategische Partnerschaften und Allianzen mit Ländern aller Regionen und Kontinente, die geprägt sein müssen von gegenseitigem Respekt und Glaubwürdigkeit.

 

  • Die EU soll wichtigster Orientierungs- und Handlungsrahmen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik werden. Um die rüstungs- und verteidigungspolitischen Ziele der Zeitenwende nachhaltig und politisch tragbar umzusetzen, braucht es eine engere Verzahnung der Beschaffungspolitik mit den EU-Partnern als bisher. Es gilt, eine gemeinsame Beschaffungsstrategie so anzugestalten, dass Interoperabilität der Rüstungssysteme und Lastenteilung in den Produktions- und Verteidigungskapazitäten der gesamten EU sichergestellt sind. Hierfür benötigt es kurz- und mittelfristig höhere politische und finanzielle Investitionen.
  • Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch die zentrale Rolle der NATO sowie der USA als Garanten für die europäische Sicherheit deutlich gemacht. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Anhebung der Verteidigungsausgaben durch die Mitgliedsstaaten. Mittelfristig muss an die Stelle des 2%-Ziels eine mehrjährige, an den wirtschaftlichen und beschaffungstechnischen Kapazitäten der Mitgliedstaaten orientierte arbeitsteilige Investitionsstrategie treten, welche die Wehrhaftigkeit und Einsatzfähigkeit des Bündnisses garantiert und bestehende Lücken schließt.
  • Eine Stärkung der Vereinten Nationen als wichtigstes Gremium der internationalen Verhandlungen und Konfliktlösung kann nur durch ein aktives und kooperatives Verhalten Deutschlands und der EU innerhalb der Vereinten Nationen erfolgen. Dazu gehört der strategische und am globalen Gemeinwohl orientierte Austausch mit den Staaten des Globalen Südens, die sich innerhalb der Vereinten Nationen zur G77 zusammengeschlossen haben. Vertrauensbildende Maßnahmen könnten u.a. die aktive Beteiligung der EU an den Verhandlungen eines verpflichtenden Abkommens über Wirtschaft und Menschenrechte, Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen sowie der Einsatz für eine Zinsabsenkung in der Kreditvergabe der internationalen Entwicklungsbanken an Staaten des globalen Südens sein.
  • Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Russland gegen die in der Schlussakte von Helsinki beschlossenen und durch die Charta von Paris (1990) bekräftigen Prinzipien der OSZE verstoßen. Das Gremium kann in Folge der russischen Aggression derzeit seiner Aufgabe als Dialogforum der paneuropäischen Sicherheit nicht nachkommen. Mittelfristig – nach einem Rückzug russischer Truppen aus den ukrainischen Gebieten – könnte die OSZE in einer signifikant veränderten sicherheitspolitischen Landschaft abermals ihre Aktivitäten wieder aufnehmen, vor allem in Bereich des Vertrauensaufbaus und der Transparenz.
  • Die G7 und G20 müssen als diplomatische Foren gestärkt werden. Hierzu gehören klare Strategien und gemeinsame Zielsetzungen mit den nicht-westlichen Mitgliedsstaaten in der G20, z.B. im Bereich des Klimawandels, des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen oder der globalen Bekämpfung von Steuerflucht. Sowohl der von Olaf Scholz im Rahmen der G7 angeregte Klimaclub als auch die Initiative der G20 einer globalen Mindestbesteuerung von Unternehmen sollten forciert werden.

 

4. Konfliktursachen bekämpfen, Stabilität fördern und Perspektiven schaffen

Internationale Solidarität, Verantwortung und Führung muß fußen auf dem skizzierten Kontext der demokratischen Wertebindung – Menschenwürde, Freiheit vor Not und Furcht, Rechtssicherheit, Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Stabilen Fortschritt können sie nur bewirken, wenn  die Folgen einer solidarischen und verantwortungsvollen Politik für Frauen und Kinder, für die Klimaentwicklung, für die Armen der Welt mitgedacht sind. Unsere Forderungen sind:

 

  • Wir wollen die Selbstverteidigung der Ukraine wirksam unterstützen, um ihre Existenz zu sichern. Davon hängt ab, wie sich das Verhältnis zwischen dem demokratischen Europa und Russland entwickeln wird.
  • Wir wollen eine Feministische Außenpolitik zur Unterstützung von Sicherheit, Freiheit, Inklusion und Teilhabe.
  • Wir wollen offene Gesellschaften, Rechtssicherheit und Meinungsfreiheit global unterstützen. Hierzu gehört die internationale Förderung einer freien Pressearbeit sowie der Kampf gegen die zunehmende Verbreitung von Fake News, beispiels-weise durch den Ausbau staatlicher Medienprogramme und einer stärkeren schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit zum Thema internationale Beziehungen.
  • Wir wollen klare Regelungen für eine menschenrechtsbasierte EU-Migrationspolitik. Der Zugang zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem darf nicht eingeschränkt werden. Länder und Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen, sollen finanziell unterstützt werden.
  • Ursachen und Folgen der Klimakrise stehen unmittelbar im Zusammenhang mit ökonomischen und sozialen Bedrohungen in Gesellschaften. Wir unterstützen es, dass westliche Staaten Schwellenländern mit einem hohen Kohleanteil bei der Stromerzeugung, wie Südafrika, Indonesien und Vietnam, durch “Energiewende-Partnerschaften” finanziell dabei helfen, auf erneuerbare Energien umzusteigen. Wir fordern, solche Partnerschaften mit weiteren Staaten einzugehen. Dabei stehen für uns Zuwendungen an Staaten im Vordergrund, bei denen eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Energie und Wasser noch im Aufbau ist, damit ihnen der Umweg über fossile Energieträger erspart bleibt. Wir wollen einen stärkeren finanziellen Einsatz für den Lastenausgleich bei den Klimaveränderungen und eine Stärkung der internationalen Katastrophenhilfe.
  • Eindeutige politische Unterstützung der Protestbewegung im Iran gegen die Regierung in ihrem mutigen Kampf um Frauen- und Freiheitsrechte; diese politische Unterstützung sollte auch konkrete Maßnahmen wie wirksame Sanktionen politisch Verantwortlicher einschließen.
  • Politische Unterstützung aller Maßnahmen der Staatengemeinschaft, die den unangefochtenen Fortbestand und die selbstbestimmte demokratische Weiterentwicklung Taiwans verfolgen.
  • Bei den Wirtschaftsbeziehungen mit China sind einseitige deutsche Abhängigkeiten bei wichtigen Rohstoffen, Vorprodukten etc. zu reduzieren. Solchen Abhängigkeiten, die unsere politischen Spielräume beispielsweise in Bezug auf Menschenrechte entscheidend einengen, ist durch in der Rohstoff- und Industriepolitik zu begegnen, auch dann, wenn das kurzfristig mit Mehrkosten verbunden ist.
  • Auch angesichts der jüngsten Regierungsbildung in Israel gelten für uns weiterhin die Sätze aus unserem Grundsatzprogramm von 2007: “Deutschland hat eine besondere Verantwortung für das Existenzrecht Israels. Auch deswegen engagieren wir uns für einen umfassenden Frieden im Nahen Osten auf der Grundlage internationaler Verträge. Wir setzen uns für die Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates ein.”

 

5. Ausblick

Auch jenseits der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit muss die Zeitenwende sich in der deutschen EU-Politik in eine stärkere Integration und einer Beschleunigung des stockenden Erweiterungsprozesses übersetzen. Um das seit Jahren angestrebte Ziel qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik endlich zu erreichen, muss die Bundesregierung sich für eine Kompromissfindung öffnen. Das gilt auch in Hinblick auf Forderungen der Partner hinsichtlich der gemeinsamen Schuldenaufnahme und dauerhaft höherer Investitionen. Deutschland muss seine Rolle im Gefüge einer nationalen, europäischen und globalen Sicherheitsordnung finden. Das heißt Verantwortung zu übernehmen.

Antrag 84/II/2022 Zwischen „Solidaritätsmechanismus“ und systematischer Haft an den europäischen Außengrenzen

10.10.2022

Mit dem neuen Migrations- und Asylpaket („New Pact on Migration and Asylum“) der Europäischen Kommission vom September 2020 sollte eine Weichenstellung für die Reformbemühungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) gelegt werden. In der offiziellen Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 23. September 2020 hieß es damals, man würde mit dem Paket verbesserte und schnelle Verfahren festlegen und ein Gleichgewicht zwischen den Grundsätzen der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten und der Solidarität schaffen.

 

Heute, knapp zwei Jahre später, lässt sich kein „Meilenstein“ in der europäischen Asylpolitik verzeichnen, wir können weder von einem solchen Gleichgewicht sprechen, noch können wir der europäischen Asyl- und Migrationspolitik einen schlichten Fortschritt attestieren. Denn im Juni 2022 fand der Rat der Europäischen Union  eine Einigung zu einigen Legislativvorschlägen des Reformpakets: Die EU-Innenminister*innen einigten sich auf eine gemeinsame Position zur Screening-Verordnung und zur EURODAC-Verordnung, sowie auf die Etablierung eines freiwilligen Solidaritätsmechanismus und auf eine Reform des Schengener Grenzkodex. Die EURODAC- und SCREENING-Verordnung sind sogenannte Grenzmanagement-Instrumente. Dabei regelt die EURODAC-Verordnung den Fingerabdruckvergleich von Asylsuchenden, Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen. Ziel dieser Verordnung ist, durch einen Datenabgleich irreguläre Fluchtbewegungen in der EU besser überwachen und verhindern zu können. Mit dem Vorschlag zu einer Screening-Verordnung sollen Drittstaatsangehörige an den EU-Außengrenzen einem Screening unterzogen werden, mit dem ein Identifikationsverfahren sowie Gesundheits- und Sicherheitschecks durchgeführt werden. Im Anschluss soll dann geklärt werden, ob die Betroffenen dem gängigen Asylverfahren oder dem Asylgrenzverfahren auf Basis der Asylverfahrensverordnung zugeteilt werden. Der Schengener Grenzkodex wiederum umfasst Bestimmungen für Personenkontrollen an den Außengrenzen der EU-Staaten, der mit den Reformvorschlägen diese Außengrenzen besser stärken und schützen soll. Und letztlich wurde mit dem Solidaritätsmechanismus ein Instrument etabliert, mit dem Mitgliedstaaten entlastet werden sollen, die besonders von Migrationsbewegungen betroffen sind. Der Mechanismus sieht ein Umsiedlungsprogramm vor, mit dem Schutzsuchende innerhalb der EU umverteilt werden sollen oder aber auch die finanzielle Unterstützung der Mitgliedstaaten, die am stärksten von den Fluchtbewegungen betroffen sind und dessen Asylsystem damit am stärksten belastet wird Medial wird dabei zutreffend festgestellt, dass dieser “Schwung” und diese zügigen Entwicklungen maßgeblich auf dem Druck der französischen Ratspräsidentschaft beruhen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Reformvorschläge der Kommission voranzutreiben, um diese als eigenen Erfolg innerhalb ihrer Amtszeit zu proklamieren.

 

Dabei begrüßen wir zunächst die Etablierung eines Solidaritätsmechanismus, welcher nun eine erste neue Perspektive nach einer jahrelangen Blockade bezüglich der Bemühungen um einen proportionalen und gerechten Verteilungsschlüssel darstellt. Ein solcher Mechanismus ist vor allem vor dem Hintergrund des defizitären, bisher geltenden Dublin-Systems dringend erforderlich, der zu einer übermäßigen Belastung europäischer Grenzstaaten geführt hat und unsolidarische Effekte begünstigte, von denen vor allem die Staaten im inneren Kern der EU profitieren konnten und die südlichen Mitgliedstaaten belastet wurden. Denn nach dem Dublin-System muss sich der EU-Staat, über den ein*e Schutzsuchende*r in die EU eingereist ist, für diese Person verantworten und es ihm*ihr gewähren, einen Asylantrag zu stellen. Daher stehen Mitgliedsstaaten, die die Außengrenze der EU bilden, öfter in der Verantwortung. Entsprechend haben sie einen höheren Anreiz, das Betreten des eigenen Hoheitsgebiets durch Asylsuchende zu verhindern. Jetzt können Ersteinreisestaaten für die Dauer von einem Jahr durch verschiedene Solidaritätsbeiträge anderer Mitgliedstaaten entlastet werden.

 

Hingegen lassen die übrigen Reformvorschläge jegliche Vernunft vermissen: Denn anstatt aus den bisherigen Fehlern des europäischen Asylsystems zu lernen und Lehren aus den menschenunwürdigen Zuständen im Geflüchtetencamp Moria zu ziehen, lassen die Reformvorschläge der Kommission und die Entwicklungen im Rat erkennen, dass das bisherige Asyl- und Migrationssystem gescheitert ist. Die einstigen Grundwerte der europäischen Union, wie die Achtung der Menschenwürde, werden bereits von dem bisherigen Asylrechtssystem jeden Tag verletzt und werden es mit der anstehenden Reform auch in Zukunft.

 

Denn mit Blick auf die Screening-Verordnung sind Gesundheits- und Sicherheitschecks zwar wichtig, aber: Im Asylgrenzverfahren wird die Nicht-Einreise der Schutzsuchenden „fingiert“. Das bedeutet, obwohl sich der*die Schutzsuchende also möglicherweise bereits im Hoheitsgebiet der EU und eines Mitgliedstaats befindet, wird dies durch die Verordnung in rechtlicher Hinsicht verneint. Damit gelten zwar trotzdem europäisches und internationales Recht sowie das Recht des Mitgliedsstaats. Es ist jedoch zu befürchten, dass die Mitgliedstaaten die Weiterreise von Schutzsuchenden verhindern werden und damit in ihre Bewegungsfreiheit eingreifen.

 

Ziel hier ist zweifelsohne, die erneute Stellung eines Asylantrags in einem weiteren EU-Land innerhalb der EU zu vermeiden und Betroffene daran zu hindern, in die EU zu gelangen und andere Mitgliedstaaten aufzusuchen. Denn es steht bereits seit geraumer Zeit fest, dass Asylsuchende innerhalb der EU nicht gleich behandelt werden und die Erfolgsaussichten eines Asylantrags erheblich zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten schwanken.

 

Fest steht auch: Um diese Weiterreise in andere EU-Mitgliedstaaten zu verhindern, wird man nicht darum herumkommen, schutzsuchende Personen in Ihren Unterkünften festzuhalten. Damit würden ohnehin vulnerable und traumatisierte Personen Freiheitsbeschränkungen und -entziehungen ausgesetzt, die mehrere Monate andauern können und systematische Haftzustände begründen würden, denn das Asylgrenzverfahren kann bis zu zwölf Wochen andauern und im Falle eines ablehnenden Bescheids würde sich ein Rückführungsgrenzverfahren anschließen, das seinerseits wiederum zwölf Wochen umfassen kann.

 

Besonders fatal ist dabei, dass gegen die Zuteilung zum Asyl- oder Asylgrenzverfahren kein Rechtsweg vorgesehen ist und die Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen dazu verpflichtet werden, das Asylgrenzverfahren zu wählen. Zu diesen Fällen gehören beispielsweise Schutzsuchende aus einem Drittstaat, dessen Anerkennungsquote unter 20% liegt.

 

Erschwerend kommt hinzu, dass die Möglichkeit, rechtlich gegen einen Ablehnungsbescheid vorzugehen, nur auf eine Instanz begrenzt ist, also nur von einer „Prüfstelle“ kontrolliert wird. Normalerweise sind dafür jedoch mehrere Ebenen vorgesehen, wie beispielsweise ein erster Widerspruch und dann die stufenweise Weitergabe an das nächsthöhere Gericht. Daneben ist es auch nicht vertretbar, dass die Entscheidung keine aufschiebende Wirkung haben soll. Im deutschen Recht ist es in den meisten Fällen so, dass mit einem Widerspruch die Wirkung und angeordnete Folge durch eine Behörde „aufgeschoben“, also pausiert wird. Davon kann in bestimmten Fällen und Konstellationen abgewichen werden. Im konkreten Fall würde ein negativer Bescheid die Rechtsfolge mit sich bringen, dass der*die Asylsuchende zum Beispiel dem Rückführungsverfahren zugeteilt wird, weil kein Asyl gewährt wird. Legt der*die Asylsuchende dagegen Widerspruch ein, so würde er*sie trotzdem dem Rückführungsverfahren zugeordnet werden können, weil der Widerspruch die Wirkung des Bescheids nicht pausiert. Allein dies stellt bereits einen massiven Bruch mit jeglichem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit dar. Auch die Bereitstellung von Informationen während des Screening-Verfahrens als entscheidender erster Ansatzpunkt zur Ermittlung aller relevanten Umstände wird durch den bisherigen Vorschlag nicht ausreichend gewährleistet: So sieht die Screening-Verordnung vor, dass Schutzsuchende “kurz” über den Zweck des Screenings informiert werden. Es werden zudem nur “gegebenenfalls” wesentliche Informationen zu Einreisebestimmungen und Verfahren bereitgestellt und Mitgliedstaaten “können” nationalen, internationalen oder nichtstaatlichen Organisationen und Stellen gestatten, den Schutzsuchenden im Verfahren Informationen zu erteilen, was einen unangemessen und völlig deplatzierten Ermessensspielraum einräumt, die der Tragweite eines solchen Verfahrens und dessen Bedeutung für die Erfolgsaussichten eines Asylgesuches in keinster Weise gerecht werden!

 

Die ohnehin durch die Asylverfahrensverordnung und durch die Screening-Verordnung erwachsenden Aushöhlungen für das Recht auf Asyl werden dabei durch die Vorschläge für eine Krisenverordnung verschärft: Denn in bestimmten Fällen sollen Mitgliedstaaten von den Regelungen des Reformpaketes abweichen können. Während zum Beispiel vorher ein Asylgrenzverfahren für Geflüchtete verpflichtend werden sollte, die eine Anerkennungsquote unter 20 % haben, können diese Grenzverfahren auch auf Schutzsuchende ausgeweitet werden die aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von bis zu 75 % kommen. Voraussetzung dafür wäre, dass der Mitgliedstaat mit „höherer Gewalt“ oder eine hohe Zahl von Schutzsuchenden konfrontiert ist. Daneben soll es den Mitgliedstaaten auch möglich sein, Verfahrens-, Registrierungs- und Zuständigkeitsfristen massiv zu verlängern, was unweigerlich zu einer Verlängerung von massiven und vor allem unverhältnismäßigen Freiheitsentziehungen in Haftlagern an den EU-Außengrenzen führen wird. Die noch geltende Dublin-III-Verordnung, die das Prinzip der Ersteinreise für Asylsuchende festlegt, soll durch die Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung abgelöst werden. Es wird jedoch weiterhin am Prinzip der Ersteinreise festgehalten und der effektive Rechtsschutz von Asylsuchenden wird weiter ausgehöhlt, indem gerichtliche Überprüfungen von Menschenrechtsverstößen sich lediglich auf einen Verstoß gegen das Folterverbot und das Verbot unmenschlicher Behandlungen beschränken.  Zudem soll die Dublin-Haft, also die Inhaftierung einer Person in einem Dublin-Verfahren, zur Rücküberstellung der*des Schutzsuchenden künftig unter einfacheren Voraussetzungen angewandt werden können.

 

Mit dem Vorschlag für eine Reform des Schengener Grenzkodex werden weiterhin Regelungen im Falle einer Instrumentalisierung von Migration etabliert, mit denen der Schengenraum widerstandsfähiger gemacht werden soll. So soll es im Falle von Situationen, in denen ein Drittstaat oder nichtstaatlicher Akteur zur Destabilisierung der EU Fluchtbewegungen von Schutzsuchenden an die EU-Außengrenzen oder in einen Mitgliedstaat erleichtert oder vorantreibt, möglich sein, Grenzkontrollen von bis zu sechs Monaten einzuführen. Dies stellt nicht nur eine weitere Aushöhlung des Rechts auf Asyl dar, sondern ein eklatanter Bruch mit dem völkerrechtlichen Non-Refoulment-Prinzip: Nach diesem Prinzip ist es verboten, Schutzsuchende auszuweisen oder abzuschieben, wenn ihnen im Zielland Folter, schwere Menschenrechtsverletzungen oder unmenschliche Behandlungen drohen könnten.

 

Insgesamt ist dabei festzuhalten, dass durch die geplante Asylverfahrensverordnung in Verbindung mit der vom Rat gebilligten Screening-Verordnung Schutzsuchende bereits dann in die Gefahr einer systematischen Haft gelangen, weil sie internationalen Schutz beantragen. Dabei werden Freiheitsbeschränkungen und -entziehungen abstrakt geregelt, es wird weder eine Angemessenheits- oder Einzelfallprüfung vorgesehen, noch wurden alternative wirksame Möglichkeiten aufgenommen oder in Erwägung gezogen, um den Umgang mit Schutzsuchenden während eines Grenzverfahrens nach dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit zu regeln. Denn die nahtlose Verzahnung von Asyl- und Rückführungsverfahren kommt einzig und allein jenen Mitgliedstaaten zugute, die Migrationsbewegungen kriminalisieren und bereits in der Vergangenheit gezeigt haben, dass Menschen- und Grundrechte im Umgang mit Schutzsuchenden nicht von oberster Priorität sind. Freiheitsentziehungen sollten jedoch stets nur ultima ratio sein und auch nur, wenn dies erforderlich und angemessen ist, nicht jedoch das aktuelle Mittel zum Zweck, um ein gescheitertes Asylsystem zu retten! Bei alledem soll auch lediglich im Rahmen des Screening-Verfahrens ein Monitoring-Mechanismus durch die einzelnen Mitgliedstaaten etabliert werden, der Grundrechtsverstöße untersuchen soll und aufgrund seiner Begrenzung völlig ineffektiv bleiben würde. Die gute Nachricht ist, dass die Screening-Verordnung einen Monitoring-Mechanismus während des Screening-Verfahrens vorsieht, der durch die Mitgliedstaaten angewandt werden soll. Mit diesem Mechanismus sollen Grundrechtsverstöße untersucht werden. Dadurch, dass dieser Mechanismus allerdings nur für das Screening und eben nicht für das Asylgrenzverfahren oder Rückführungsverfahren vorgesehen ist, würde er völlig ineffektiv bleiben! Denn die Gefahr von Grundrechtsverstößen in Form von beispielsweise illegalen Push-Backs oder anderen menschenunwürdigen Behandlungen finden mit großer Wahrscheinlichkeit nicht im Rahmen eines Screening-Verfahrens sondern eher in den geplanten Asylgrenz- und Rückführungsverfahren statt.

 

Klar wird dabei also insbesondere vor dem Hintergrund der vorgeschlagenen Krisen-Verordnung und der Reform des Schengener Grenzkodex: Mit den Vorschlägen wird der Fokus auf Abschreckung und Grenzsicherung gesetzt, statt sich mit einer menschenrechtskonformen Ausgestaltung des Asyl- und Migrationssystems zu befassen! Das Ersuchen von internationalem Schutz und Asyl wird kriminalisiert und die Gründe dafür sind klar: Bisher konnten keine Regelungen zur Reform des GEAS getroffen werden, mit denen die Probleme des herrschenden Dublin-Systems und die ungerechten Lastenteilungen behoben werden konnten. Die Europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten nehmen am “race to the bottom” teil, bei dem ein Wettbewerb um die möglichst schlechtesten Bedingungen für Asylsuchende gefahren wird.

 

Wir sind empört über die geplanten Vorhaben zur Reform des GEAS und den damit einhergehenden, eklatanten Bruch sämtlicher rechtsstaatlicher und menschen- sowie grundrechtlicher Wertungen und stellen uns entschieden gegen die Reformvorschläge der Kommission! Es kann nicht sein, dass die Fehler und Versäumnisse in der bisherigen Asyl- und Migrationspolitik nun auf den Rücken unschuldiger, schutzsuchender Menschen ausgetragen und Rechtsgrundlagen etabliert werden, die nichts weiter tun, als eine Politik der Abschottung weiterzuführen und eine Festung Europa 2.0 zu schaffen. Die geplanten Verordnungen könnten außerdem in einem akuten Spannungsverhältnis mit der EU-Grundrechte-Charta stehen und sie gehen von einem einheitlichen Verständnis von Asyl und Rechtsstaatlichkeit in der EU aus, das schlichtweg nicht existiert.

 

So soll es nun weitergehen: Im März 2022 einigte sich der Rat Justiz und Inneres auf einen schrittweisen Ansatz, nach dem zunächst erst gewisse Fortschritte in einzelnen Bereichen des Reformpaketes erzielt werden sollen. Das Europäische Parlament wird sich mit den Vorschlägen erst im Herbst 2022 befassen und unter einigen Parlamentarier*innen wird ein Paketansatz nach dem Motto “Ganz oder gar nicht“ angestrebt, mit dem das gesamte Verfahren entschleunigt werden kann. Deshalb muss nun der politische Druck sowohl auf das Europäische Parlament, auf die deutsche Innenministerin als auch auf die nun folgende tschechische Ratspräsidentschaft erhöht werden, um die Reformvorhaben des GEAS zu stoppen. Denn aus einem Joint Roadmap der europäischen Mitgesetzgeber*innen geht hervor, dass die Umsetzung der GEAS-Reform oberste Priorität genießt und eine Einigung und der Abschluss vor Ende der Legislaturperiode 2019-2024 anvisiert wird. Das gilt es zu verhindern.

 

Wir fordern daher die sozialdemokratischen Regierungen in den Europäischen Mitgliedsstaaten, die sozialdemokratischen Fraktionen in den nationalen Parlamenten der Europäischen Mitgliedsstaaten sowie die sozialdemokratischen Abgeordneten im Europäischen Parlament auf:

 

  1. die Verabschiedung des Reformpakets entschieden zu verhindern
  2. vor diesem Hintergrund sich im Europäischen Parlament explizit gegen die Verabschiedung der Screening-Verordnung zu stellen, da diese durch die Fiktion der Nichteinreise und als Vorschaltung zu etwaigen Asylgrenz- und Rückführungsverfahren als Einfallstor für die weiteren Reformvorschläge fungiert
  3. sich im Rat gegen die Asylverfahrens-Verordnung, die Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung und die Krisen-Verordnung in ihrer aktuellen Form zu stellen, zu denen noch keine Verhandlungsmandate im Rat der Europäischen Union existieren
  4. sich an die umfassenden Menschen- und Grundrechte der EU-Grundrechte-Charta zu erinnern und ihren Auftrag im Rahmen ihrer Rolle bei der Erarbeitung einer Reform des GEAS entsprechend dieser Rechte und Wertungen zu überdenken
  5. sich im Rahmen weiterer Verhandlungen zur Reform des GEAS insgesamt entschlossen gegen Außengrenzverfahren und Verfahrensregeln einzusetzen, die zu de facto Haftlagern an den europäischen Außengrenzen führen würden
  6. sich im Rahmen weiterer Verhandlung primär für eine solidarische und wirksame Entlastung der Ersteinreisestaaten einzusetzen, die das Recht auf Asyl wahren und menschenwürdige Behandlungen sowie das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz gewährleisten
  7. sich im Rahmen weiterer Verhandlungen analog dazu gegen eine Auslagerung der EU-Migrationspolitik einzusetzen, die unweigerlich zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen führen würde
  8. den etablierten freiwilligen Solidaritätsmechanismus zeitlich weiter auszubauen und hinsichtlich der beteiligten Mitgliedstaaten und Solidaritätsbeiträge auszuweiten sowie zu intensivieren, sodass Ersteinreisestaaten entlastet werden können und der politische Druck von Hardliner-Staaten in der europäischen Asylpolitik nicht mehr richtungsweisend wirkt
  9. sich an Stelle einer Kriminalisierung von Schutzsuchenden und unter Strafe stellen von Flucht für die Etablierung und den Ausbau sicherer und legaler Einreisemöglichkeiten von Schutzsuchenden einzusetzen
  10. sich für eine menschenrechtsorientierte Reform des GEAS einzusetzen, mittels welcher migrationsbezogene Haftzustände in jedem Bereich abgeschafft werden können, wirksame Alternativen bereitgestellt werden und das Asylsystem funktional statt auf Abschottung und Abschreckung auf Solidarität und Verantwortung hinsichtlich der Schutzsuchenden setzen kann
  11. sich für einen, auf jeden Bereich des GEAS anzuwendenden, umfangreichen europäischen Monitoring-Mechanismus für die Beobachtung und Ahndung von Grundrechtsverletzungen einzusetzen, statt diese Verantwortung den Mitgliedstaaten zu überlassen, die in der Vergangenheit klar gezeigt haben, dass ihr Bekenntnis zu der Achtung von Grundrechten nicht vollumfänglich und ohne Vorbehalt gilt und zwangsläufig nur zu uneinheitlichen Schutzstandards und verwaschenen Rechenschaftspflichten führen würde.
  12. sich im Fall, dass die Pläne nicht auf politischem Wege verhinderbar sind, dafür einzusetzen, dass die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof Nichtigkeitsklage gegen die im Rahmen des Reformpakets erlassenen Regeln erhebt.

 

Es bleibt unser Ziel, dass alle geflüchteten Menschen, die nach Europa fliehen, in einem Land ihrer Wahl aufgenommen werden, ohne bürokratische oder weitere Drangsalierung. Statt einer „Festung Europa“ die bereits tausende Tode zur Folge hatte, und unvertretbare Zustände in Camps wie Moria hervorbringt, brauchen wir endlich sichere Fluchtrouten und ein wirkliches, europaweit geltendes Recht auf Asyl. Dies ist mit dem aktuellen Asylsystems sowie dem Handeln der europäischen Grenzpolizei Frontex und dem vorliegenden Reformvorschlag unvereinbar.