Antrag 67/I/2023 Sozialdemokratische Friedenspolitik: Außen- und Sicherheitspolitik gestalten

Status:
Annahme mit Änderungen

1. Unsere Ausgangslage

Der brutale Überfall Russlands auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 markierte eine Zäsur für die deutsche, europäische und internationale Außen- und Sicherheitspolitik. Der Krieg und die Verübung grausamer Kriegsverbrechen durch die russischen Besatzer führen dazu, dass Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Laut den Vereinten Nationen sind insgesamt rund acht Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Es gibt rund sechs Millionen Binnenvertriebene (jew. Stand 14.1.2023). Die russische Kriegsführung trifft zielgerichtet die ukrainische Bevölkerung und zerstört die zivile Infrastruktur. Es gilt – gemeinsam und abgestimmt im Verbund der EU und NATO – die Ukraine bei der Selbstverteidigung zu unterstützen, der ukrainischen Bevölkerung zu helfen und Russland völkerrechtlich für seinen imperialistischen Angriffskrieg  zur Verantwortung zu ziehen.

 

Die durch den Angriffskrieg entstandenen Herausforderungen an Deutschland und seine Partner hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Begriff “Zeitenwende” betitelt. Zeitenwende wird hierbei als eine grundlegende Änderung der europäischen Sicherheitsordnung verstanden. Der Begriff Zeitenwende ist nicht unumstritten. Unstrittig dürfte jedoch sein, dass die Sozialdemokratie intensiver diskutieren muss, welchen außenpolitischen Weg sie in Zukunft einschlagen muss. Hierzu gehört unzweifelhaft nicht nur eine Aufarbeitung der Russlandpolitik, sondern auch eine kritische Überprüfung der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahrzehnte. Hinterfragt werden muss das Hinnehmen des Sterbens von geflüchteten Menschen an Europas Außengrenzen. Auch Auslandseinsätze wie zum Beispiel in Afghanistan oder Mali müssen im Hinblick auf Zielsetzung, Folgen und Konsequenzen sowie die Qualität der nationalen und europäischen Kapazitäten zur Landes- und Bündnisverteidigung analysiert werden.

 

Die SPD muss als Friedenspartei die Leitplanken und Möglichkeiten der aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik überprüfen und festlegen, wie sie sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufstellen möchte. Dieser Prozess muss durch einen umfassenden Diskussionsprozess in der Partei begleitet werden. Dieser Antrag ist ein Beitrag zur notwendigen breiten Debatte um die zukünftige Ausrichtung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik.

 

2. Unsere Säulen sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik

Die Friedens- und Sicherheitspolitik der Sozialdemokratie ruht auf einem festen Fundament, wie es in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit dem Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit aller Menschen festgeschrieben wurde. Willy Brandt hat das Ziel der weltweiten „Freiheit von Not und von Furcht“ abgeleitet. Dies bleibt unser Anspruch.

 

Diese Freiheit wird im Kern gefährdet durch weltweite Entwicklungen: durch wachsende soziale Ungleichheiten – national und global -, humanitäre Krisen, die Rückkehr von Autokratien und Diktaturen. Sie ist ebenso bedroht durch den systematischen Abbau bürgerlicher Freiheiten und die Untergrabung der Menschenrechte, durch existenzielle Bedrohungen für diejenigen, die unabhängig journalistisch arbeiten, und Einschränkungen in der Unabhängigkeit von Gerichten, Rechtsprechung und Wahlverfahren für Richterinnen und Richter. Grundlage einer gedeihlichen Entwicklung sind offene Gesellschaften, die ihren Mitgliedern den Kampf für ihre Rechte ermöglichen. Ohne die Gleichheit der Rechte aller Menschen bleibt Freiheit von Not und Furcht nur Stückwerk.

 

Die Freiheit von Not und Furcht wird auch bedroht durch die fortschreitende Klimakrise, die Menschen ihre Existenzgrundlage nimmt und vielen Millionen weiteren zu nehmen droht.

 

Unser Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik ist breit, weil wir nicht auf eine kurzfristige sektoral begrenzte, sondern eine langfristige und werteorientierte Perspektive setzen, die ein friedliches, respektvolles Miteinander ermöglichen: Es muss neben den u.U. lebensrettenden Erfordernissen von Schutz und Verteidigung stets die langfristige menschliche Sicherheit aller – insbesondere von Frauen, Kindern und marginalisierten Gruppen – mitdenken, die Folgen für Energieverbrauch und fortschreitenden Klimawandel, die Folgen für wirtschaftliche Beziehungen und den Ausbau von sozialen und politischen Menschenrechten gerade auch im globalen Süden.

 

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat Russland das internationale Völkerrecht gebrochen und die kollektive Sicherheitsordnung Europas nach der Schlussakte von Helsinki 1975 verlassen. Spätestens seit 2014 ist deutlich, dass die Verflechtung durch Wirtschaftsbeziehungen keinen Frieden in Europa und auch anderswo garantiert.

 

Eine sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik erfordert also eine stetig entlang transparenter Kriterien und Werte weiterzuentwickelnde und anpassungsfähige Strategie. Ihr zugrunde liegt eine ganzheitliche Herangehensweise, in die Sachstände, Bewertungen und strategische Vorausschau aus allen relevanten Ministerien kontinuierlich einfließen und auf allen Ebenen miteinander abgestimmt werden (sog. Vernetzter Ansatz). Für sein Gelingen muss die Bundesregierung die notwendigen institutionellen Strukturen schaffen.

 

Wir sehen folgende Prüfsteine als wesentlich für eine langfristig erfolgreiche sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik an:

  • Aus den historischen deutschen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gespeiste bewährte Zurückhaltung im Einsatz militärischer Mittel, eine Stärkung und Weiterentwicklung des Völkerrechts sowie eine langfristige und vorausschauende Friedenssicherung.
  • Enge und frühzeitige, kontinuierliche Abstimmung mit den Bündnispartnern in EU und NATO unter Einbeziehung der jeweiligen Interessen der Partner sowie eine in Absprache mit den Partnern komplementäre und arbeitsteilige Schwerpunktsetzung der deutschen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung.
  • Strategisch breit fundierte und jeden Einzelfall abwägende Entscheidungsfindung. Offene Kommunikation, gerade auch über das Lernen aus Fehlern und Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbstkorrektur.
  • Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen auch mit politischen Akteuren, die nicht entsprechend unserem Wertesystem oder sogar völkerrechtsverletzend handeln, um zu jedem wünschenswerten Zeitpunkt diplomatische Schritte gehen zu können, bei gleichzeitiger maximaler Klarheit über den eigenen politischen Standpunkt. Die Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen darf einer entschlossenen Politik nicht im Wege stehen.
  • Die zunehmende Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verlangt weiterhin eine konsequente Politik der effektiven Rüstungskontrolle mit dem langfristigen Ziel der Rüstungsbegrenzung und der Perspektive einer Abrüstung. Wir setzen uns weiterhin für eine internationale Ächtung des Einsatzes von Atomwaffen ein und bekräftigen unser Ziel einer atomwaffenfreien und entmilitarisierten Welt. Dies wird allerdings nur in einem internationalen Kontext stattfinden können.
  • Ein von der Bundesregierung umzusetzender Vernetzter Ansatz: Bei jedem Einsatz zur Friedenssicherung werden von Beginn an alle einschlägigen Ressorts beteiligt und auf Gegebenheiten und Perspektiven vor Ort wird eingegangen. Die Entwicklungszusammenarbeit darf dabei neben sicherheitspolitischer Planung keine untergeordnete Rolle einnehmen.
  • In der Entwicklungszusammenarbeit muss die qualitative Nachhaltigkeit der Erfolge zentral sein. Wir wirken darauf hin, dass die Entwicklungszusammenarbeit Wirtschaften stärkt und Arbeitsmärkte aufbaut, die insbesondere Frauen, jungen Menschen und marginalisierten Gruppen langfristige Perspektiven zum sozialen Aufstieg in ihren Heimatländern bieten. Die Verpflichtung, mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitzustellen, muss eingehalten werden.
  • Zielorientierte Einpassung in die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele, welche die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015 einmütig verabschiedet hat: z.B. Armut und Hunger beenden (1, 2), inklusive und gute Bildung für alle sichern (4), Geschlechtergerechtigkeit (5) sowie sauberes Wasser und saubere, bezahlbare Energieverfügbarkeit (5,6) sichern.
  • Verfolgung des Ziels des Pariser Klimaabkommens – das heißt, die Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, und möglichst auf 1,5 Grad.

 

3. Internationale Organisationen stärken

Die Zeitenwende global zu verstehen, bedeutet auch, dass wir seit Jahren bestehende Paradigmen der deutschen Positionierung im multilateralen Raum überdenken und gemäß unserem Anspruch einer gerechten und kooperativen Welt anpassen müssen. Hierfür benötigt es strategische Partnerschaften und Allianzen mit Ländern aller Regionen und Kontinente, die geprägt sein müssen von gegenseitigem Respekt und Glaubwürdigkeit.

 

  • Die EU soll wichtigster Orientierungs- und Handlungsrahmen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik werden. Um die rüstungs- und verteidigungspolitischen Ziele der Zeitenwende nachhaltig und politisch tragbar umzusetzen, braucht es eine engere Verzahnung der Beschaffungspolitik mit den EU-Partnern als bisher. Es gilt, eine gemeinsame Beschaffungsstrategie so anzugestalten, dass Interoperabilität der Rüstungssysteme und Lastenteilung in den Produktions- und Verteidigungskapazitäten der gesamten EU sichergestellt sind. Hierfür benötigt es kurz- und mittelfristig höhere politische und finanzielle Investitionen.
  • Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch die zentrale Rolle der NATO, zumal die USA, als Garanten für die europäische Sicherheit deutlich gemacht. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Anhebung der Verteidigungsausgaben durch die Mitgliedsstaaten. Mittelfristig muss an die Stelle des 2%-Ziels eine mehrjährige, an den wirtschaftlichen und beschaffungstechnischen Kapazitäten der Mitgliedstaaten orientierte arbeitsteilige Investitionsstrategie treten, welche die demokratische Wehrhaftigkeit und Einsatzfähigkeit des Bündnisses garantiert und bestehende Lücken schließt.
  • Eine Stärkung der Vereinten Nationen als wichtigstes Gremium der internationalen Verhandlungen und Konfliktlösung kann nur durch ein aktives und kooperatives Verhalten Deutschlands und der EU innerhalb der Vereinten Nationen erfolgen. Dazu gehört der strategische und am globalen Gemeinwohl orientierte Austausch mit den Staaten des Globalen Südens, die sich innerhalb der Vereinten Nationen zur G77 zusammengeschlossen haben. Vertrauensbildende Maßnahmen könnten u.a. die aktive Beteiligung der EU an den Verhandlungen eines verpflichtenden Abkommens über Wirtschaft und Menschenrechte, Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen, Schuldenerlasse sowie der Einsatz für eine Zinsabsenkung in der Kreditvergabe der internationalen Entwicklungsbanken an Staaten des globalen Südens sein.
  • Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Russland gegen die in der Schlussakte von Helsinki beschlossenen und durch die Charta von Paris (1990) bekräftigen Prinzipien der OSZE verstoßen. Das Gremium kann in Folge der russischen Aggression derzeit seiner Aufgabe als Dialogforum der paneuropäischen Sicherheit nicht ausreichend nachkommen. Mittelfristig – nach einem Rückzug russischer Truppen aus den ukrainischen Gebieten – könnte die OSZE in einer signifikant veränderten sicherheitspolitischen Landschaft abermals ihre Aktivitäten wieder aufnehmen, vor allem in Bereich des Vertrauensaufbaus und der Transparenz.
  • Nur wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine schloss der Europarat als Organisation für Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Demokratie Russland aus den eigenen Reihen aus. Nichtsdestotrotz soll der Europarat und die Parlamentarische Versammlung des Europarates weiterhin ein Ort für die russische Zivilgesellschaft sein, um die Möglichkeit zu bieten, sich international Gehör zu verschaffen und zu vernetzen.
  • Die G7 und G20 müssen als diplomatische Foren gestärkt werden. Hierzu gehören klare Strategien und gemeinsame Zielsetzungen mit den nicht-westlichen Mitgliedsstaaten in der G20, z.B. im Bereich des Klimawandels, des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen oder der globalen Bekämpfung von Steuerflucht. Sowohl der von Olaf Scholz im Rahmen der G7 angeregte Klimaclub als auch die Initiative der G20 einer globalen Mindestbesteuerung von Unternehmen sollten forciert werden.

 

4. Konfliktursachen bekämpfen, Stabilität fördern und Perspektiven schaffen

Internationale Solidarität, Verantwortung und Führung muß fußen auf dem skizzierten Kontext der demokratischen Wertebindung – Menschenwürde, Freiheit von Not und Furcht, Rechtssicherheit, Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Stabilen Fortschritt können sie nur bewirken, wenn die Folgen einer solidarischen und verantwortungsvollen Politik für Frauen und Kinder, für die Klimaentwicklung, für die Armen der Welt mitgedacht sind.

 

Unsere Forderungen sind:

  • Wir wollen die Selbstverteidigung der Ukraine wirksam unterstützen, um ihre Existenz zu sichern. Davon hängt ab, wie sich das Verhältnis zwischen dem demokratischen Europa und Russland entwickeln wird.
  • Wir wollen eine Feministische Außenpolitik zur Unterstützung von Sicherheit, Freiheit, Inklusion und Teilhabe.
  • Wir wollen offene Gesellschaften, Rechtssicherheit und Meinungsfreiheit global unterstützen. Hierzu gehört die internationale Förderung einer freien Pressearbeit sowie der Kampf gegen die zunehmende Verbreitung von Fake News, etwa durch den Ausbau staatlicher Medienprogramme und einer stärkeren schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit zum Thema internationale Beziehungen.
  • Wir wollen klare Regelungen für eine gute EU-Migrationspolitik. Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen, sollen finanziell unterstützt werden.
  • Ursachen und Folgen der Klimakrise stehen unmittelbar im Zusammenhang mit ökonomischen und sozialen Bedrohungen in Gesellschaften. Wir unterstützen es, dass westliche Staaten Schwellenländern mit einem hohen Kohleanteil bei der Stromerzeugung, wie Südafrika, Indonesien und Vietnam, durch “Energiewende-Partnerschaften” finanziell dabei helfen, auf erneuerbare Energien umzusteigen. Wir fordern, solche Partnerschaften mit weiteren Staaten einzugehen. Die eingesetzten öffentlichen Gelder dürfen nicht zu einer weiteren Verschuldung der Länder führen und müssen als Hebel für die Mobilisierung von privaten Investitionen genutzt werden. Wir wollen einen stärkeren finanziellen Einsatz für den Lastenausgleich bei den Klimaveränderungen und eine Stärkung der internationalen Katastrophenhilfe. Deutschland muss seinen gerechten Anteil an den versprochenen 100 Milliarden leisten, die jedes Jahr Ländern im globalen Süden zur Verfügung gestellt werden sollen, um Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren.
  • Eindeutige politische Unterstützung der Protestbewegung im Iran gegen die Regierung in ihrem mutigen Kampf um Frauen- und Freiheitsrechte; diese politische Unterstützung sollte auch konkrete Maßnahmen wie wirksame Sanktionen politisch Verantwortlicher einschließen.
  • Politische Unterstützung aller Maßnahmen der Staatengemeinschaft, die den unangefochtenen Fortbestand und die selbstbestimmte demokratische Weiterentwicklung Taiwans verfolgen.
  • Bei den Wirtschaftsbeziehungen mit China sind einseitige deutsche und europäische Abhängigkeiten bei wichtigen Rohstoffen, Vorprodukten etc. zu reduzieren. Solchen Abhängigkeiten, die unsere politischen Spielräume beispielsweise in Bezug auf Menschenrechte entscheidend einengen, ist durch Diversifizierung u.a. in der Rohstoff- und Industriepolitik zu begegnen, auch wenn dies zu Mehrkosten führt.
  • Auch und gerade angesichts der jüngsten Regierungsbildung in Israel gelten für uns weiterhin die Sätze aus unserem Grundsatzprogramm von 2007: “Deutschland hat eine besondere Verantwortung für das Existenzrecht Israels. Auch deswegen engagieren wir uns für einen umfassenden Frieden im Nahen Osten auf der Grundlage internationaler Verträge. Wir setzen uns für die Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates ein.”

 

5. Ausblick

Auch jenseits der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit muss die Zeitenwende sich in der deutschen EU-Politik in eine stärkere Integration und einer Beschleunigung des stockenden Erweiterungsprozesses übersetzen. Um das seit Jahren angestrebte Ziel qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik endlich zu erreichen, muss die Bundesregierung sich für eine Kompromissfindung öffnen. Das gilt auch in Hinblick auf Forderungen der Partner hinsichtlich der gemeinsamen Schuldenaufnahme und dauerhaft höherer Investitionen. Deutschland muss seine Rolle im Gefüge einer nationalen, europäischen und globalen Sicherheitsordnung finden. Das heißt Verantwortung zu übernehmen.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in der Fassung der AK (Konsens)
Fassung der Antragskommission:

1. Unsere Ausgangslage

Der brutale Überfall Russlands auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 markierte eine Zäsur für die deutsche, europäische und internationale Außen- und Sicherheitspolitik. Der Krieg und die Verübung grausamer Kriegsverbrechen durch die russischen Besatzer führen dazu, dass Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Laut den Vereinten Nationen sind insgesamt rund acht Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Es gibt rund sechs Millionen Binnenvertriebene (jew. Stand 14.1.2023). Die russische Kriegsführung trifft zielgerichtet die ukrainische Bevölkerung und zerstört die zivile Infrastruktur. Es gilt – gemeinsam und abgestimmt im Verbund der EU und NATO – die Ukraine bei der Selbstverteidigung zu unterstützen, der ukrainischen Bevölkerung zu helfen und Russland völkerrechtlich für seinen imperialistischen Angriffskrieg  zur Verantwortung zu ziehen.

 

Die durch den Angriffskrieg entstandenen Herausforderungen an Deutschland und seine Partner hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Begriff “Zeitenwende” betitelt. Zeitenwende wird hierbei als eine grundlegende Änderung der europäischen Sicherheitsordnung verstanden. Der Begriff Zeitenwende ist nicht unumstritten. Unstrittig dürfte jedoch sein, dass die Sozialdemokratie intensiver diskutieren muss, welchen außenpolitischen Weg sie in Zukunft einschlagen muss. Hierzu gehört unzweifelhaft nicht nur eine Aufarbeitung der Russlandpolitik, sondern auch eine kritische Überprüfung der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahrzehnte. Hinterfragt werden muss das Hinnehmen des Sterbens von geflüchteten Menschen an Europas Außengrenzen. Auch Auslandseinsätze wie zum Beispiel in Afghanistan oder Mali müssen im Hinblick auf Zielsetzung, Folgen und Konsequenzen sowie die Qualität der nationalen und europäischen Kapazitäten zur Landes- und Bündnisverteidigung analysiert werden.

 

Die SPD muss als Friedenspartei die Leitplanken und Möglichkeiten der aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik überprüfen und festlegen, wie sie sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufstellen möchte. Dieser Prozess muss durch einen umfassenden Diskussionsprozess in der Partei begleitet werden. Dieser Antrag ist ein Beitrag zur notwendigen breiten Debatte um die zukünftige Ausrichtung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik.

 

2. Unsere Säulen sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik

Die Friedens- und Sicherheitspolitik der Sozialdemokratie ruht auf einem festen Fundament, wie es in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit dem Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit aller Menschen festgeschrieben wurde. Willy Brandt neben dem für seine gesamte Friedenspolitik maßgeblichen Leitbild einer Weltinnenpolitik, in der Nord und Süd, arme und reiche Länder gemeinsam und gleichberechtigt mit der Bewahrung des Weltfriedens und der natürlichen Lebensgrundlagen das Überleben der Menschheit sichern das Ziel der weltweiten Freiheit von Not und von Furcht“ abgeleitet. Dies bleibt unser Anspruch. Willy Brandt hat neben dem für seine gesamte Friedenspolitik maßgeblichen Leitbild einer Weltinnenpolitik, in der Nord und Süd, arme und reiche Länder gemeinsam und gleichberechtigt mit der Bewahrung des Weltfriedens und der natürlichen Lebensgrundlagen das Überleben der Menschheit sichern das Ziel der weltweiten „Freiheit von Not und von Furcht“ abgeleitet. Dies bleibt unser Anspruch.

 

Diese Freiheit wird im Kern gefährdet durch weltweite Entwicklungen: durch wachsende soziale Ungleichheiten – national und global -, humanitäre Krisen, die Rückkehr von Autokratien und Diktaturen. Sie ist ebenso bedroht durch den systematischen Abbau bürgerlicher Freiheiten und die Untergrabung der Menschenrechte, durch existenzielle Bedrohungen für diejenigen, die unabhängig journalistisch arbeiten, und Einschränkungen in der Unabhängigkeit von Gerichten, Rechtsprechung und Wahlverfahren für Richterinnen und Richter. Grundlage einer gedeihlichen Entwicklung sind offene Gesellschaften, die ihren Mitgliedern den Kampf für ihre Rechte ermöglichen. Ohne die Gleichheit der Rechte aller Menschen bleibt Freiheit von Not und Furcht nur Stückwerk.

 

Die Freiheit von Not und Furcht wird auch bedroht durch die fortschreitende Klimakrise, die Menschen ihre Existenzgrundlage nimmt und vielen Millionen weiteren zu nehmen droht.

 

Unser Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik ist breit, weil wir nicht auf eine kurzfristige sektoral begrenzte, sondern eine langfristige und werteorientierte Perspektive setzen, die ein friedliches, respektvolles Miteinander ermöglichen: Es muss neben den u.U. lebensrettenden Erfordernissen von Schutz und Verteidigung stets die langfristige menschliche Sicherheit aller – insbesondere von Frauen, Kindern und marginalisierten Gruppen – mitdenken, die Folgen für Energieverbrauch und fortschreitenden Klimawandel, die Folgen für wirtschaftliche Beziehungen und den Ausbau von sozialen und politischen Menschenrechten gerade auch im globalen Süden.

 

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat Russland das internationale Völkerrecht gebrochen und die kollektive Sicherheitsordnung Europas nach der Schlussakte von Helsinki 1975 verlassen. Spätestens seit 2014 ist deutlich, dass die Verflechtung durch Wirtschaftsbeziehungen keinen Frieden in Europa und auch anderswo garantiert.

 

Eine sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik erfordert also eine stetig entlang transparenter Kriterien und Werte weiterzuentwickelnde und anpassungsfähige Strategie. Ihr zugrunde liegt eine ganzheitliche Herangehensweise, in die Sachstände, Bewertungen und strategische Vorausschau aus allen relevanten Ministerien kontinuierlich einfließen und auf allen Ebenen miteinander abgestimmt werden (sog. Vernetzter Ansatz). Für sein Gelingen muss die Bundesregierung die notwendigen institutionellen Strukturen schaffen.

 

Wir sehen folgende Prüfsteine als wesentlich für eine langfristig erfolgreiche sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik an:

  • Aus den historischen deutschen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gespeiste bewährte Zurückhaltung im Einsatz militärischer Mittel, eine Stärkung und Weiterentwicklung des Völkerrechts sowie eine langfristige und vorausschauende Friedenssicherung.
  • Enge und frühzeitige, kontinuierliche Abstimmung mit den Bündnispartnern in EU und NATO unter Einbeziehung der jeweiligen Interessen der Partner sowie eine in Absprache mit den Partnern komplementäre und arbeitsteilige Schwerpunktsetzung der deutschen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung.
  • Strategisch breit fundierte und jeden Einzelfall abwägende Entscheidungsfindung. Offene Kommunikation, gerade auch über das Lernen aus Fehlern und Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbstkorrektur.
  • Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen auch mit politischen Akteuren, die nicht entsprechend unserem Wertesystem oder sogar völkerrechtsverletzend handeln, um zu jedem wünschenswerten Zeitpunkt diplomatische Schritte gehen zu können, bei gleichzeitiger maximaler Klarheit über den eigenen politischen Standpunkt. Die Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen darf einer entschlossenen Politik nicht im Wege stehen.
  • Die zunehmende Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verlangt weiterhin eine konsequente Politik der effektiven Rüstungskontrolle mit dem langfristigen Ziel der Rüstungsbegrenzung und der Perspektive einer Abrüstung. Wir setzen uns weiterhin für eine internationale Ächtung des Einsatzes von Atomwaffen ein und bekräftigen unser Ziel einer atomwaffenfreien und entmilitarisierten Welt. Dies wird allerdings nur in einem internationalen Kontext stattfinden können.
  • Ein von der Bundesregierung umzusetzender Vernetzter Ansatz: Bei jedem Einsatz zur Friedenssicherung werden von Beginn an alle einschlägigen Ressorts beteiligt und auf Gegebenheiten und Perspektiven vor Ort wird eingegangen.Ein solcher vernetzter Ansatz muss neben einer differenzierten Wahrnehmung der eigenen Bedrohungslagen gemäß dem Leitbild der gemeinsamen Sicherheit auch die Wahrnehmung des eigenen Handelns durch die jeweiligen Konfliktkontrahenten und die damit verbundenen Auswirkungen reflektieren. Im Hinblick auf die Russlandpolitik und den Umgang mit dem Ukraine-Konflikt gehören zu diesem vernetzten Ansatz neben der militärischen, finanziellen und politischen der Ukraine in ihrem Kampf um ihre Selbstbestimmung auch eine flexible Gestaltung des Sanktionsregimes gegen Russland, das dem Konfliktkontrahenten wirksame Anreize für Verhaltensänderungen bietet sowie eine deutliche Verstärkung der diplomatischen Anstrengungen zur Lösung des Konflikts. In diesem Sinne bedarf es einer Aktualisierung des Leitbilds des Harmel-Berichts von 1967 „Abschreckung und Entspannung“
  • Die Entwicklungszusammenarbeit darf dabei neben sicherheitspolitischer Planung keine untergeordnete Rolle einnehmen.
  • In der Entwicklungszusammenarbeit muss die qualitative Nachhaltigkeit der Erfolge zentral sein. Wir wirken darauf hin, dass die Entwicklungszusammenarbeit Wirtschaften stärkt und Arbeitsmärkte aufbaut, die insbesondere Frauen, jungen Menschen und marginalisierten Gruppen langfristige Perspektiven zum sozialen Aufstieg in ihren Heimatländern bieten. Die Verpflichtung, mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitzustellen, muss eingehalten werden.
  • Zielorientierte Einpassung in die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele, welche die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015 einmütig verabschiedet hat: z.B. Armut und Hunger beenden (1, 2), inklusive und gute Bildung für alle sichern (4), Geschlechtergerechtigkeit (5) sowie sauberes Wasser und saubere, bezahlbare Energieverfügbarkeit (5,6) sichern.
  • Verfolgung des Ziels des Pariser Klimaabkommens – das heißt, die Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, und möglichst auf 1,5 Grad.

 

3. Internationale Organisationen stärken

Die Zeitenwende global zu verstehen, bedeutet auch, dass wir seit Jahren bestehende Paradigmen der deutschen Positionierung im multilateralen Raum überdenken und gemäß unserem Anspruch einer gerechten und kooperativen Welt anpassen müssen. Hierfür benötigt es strategische Partnerschaften und Allianzen mit Ländern aller Regionen und Kontinente, die geprägt sein müssen von gegenseitigem Respekt und Glaubwürdigkeit.

 

  • Die EU soll wichtigster Orientierungs- und Handlungsrahmen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik werden. Um die rüstungs- und verteidigungspolitischen Ziele der Zeitenwende nachhaltig und politisch tragbar umzusetzen, braucht es eine engere Verzahnung der Beschaffungspolitik mit den EU-Partnern als bisher. Es gilt, eine gemeinsame Beschaffungsstrategie so anzugestalten, dass Interoperabilität der Rüstungssysteme und Lastenteilung in den Produktions- und Verteidigungskapazitäten der gesamten EU sichergestellt sind. Hierfür benötigt es kurz- und mittelfristig höhere politische und finanzielle Investitionen.
  • Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch die zentrale Rolle der NATO, zumal die USA, als Garanten für die europäische Sicherheit deutlich gemacht. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Anhebung der Verteidigungsausgaben durch die Mitgliedsstaaten. Mittelfristig muss an die Stelle des 2%-Ziels eine mehrjährige, an den wirtschaftlichen und beschaffungstechnischen Kapazitäten der Mitgliedstaaten orientierte arbeitsteilige Investitionsstrategie treten, welche die demokratische Wehrhaftigkeit und Einsatzfähigkeit des Bündnisses garantiert und bestehende Lücken schließt.
  • Eine Stärkung der Vereinten Nationen als wichtigstes Gremium der internationalen Verhandlungen und Konfliktlösung kann nur durch ein aktives und kooperatives Verhalten Deutschlands und der EU innerhalb der Vereinten Nationen erfolgen. Dazu gehört der strategische und am globalen Gemeinwohl orientierte Austausch mit den Staaten des Globalen Südens, die sich innerhalb der Vereinten Nationen zur G77 zusammengeschlossen haben. Vertrauensbildende Maßnahmen könnten u.a. die aktive Beteiligung der EU an den Verhandlungen eines verpflichtenden Abkommens über Wirtschaft und Menschenrechte, Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen, Schuldenerlasse sowie der Einsatz für eine Zinsabsenkung in der Kreditvergabe der internationalen Entwicklungsbanken an Staaten des globalen Südens sein. Des Weiteren sollte sich Deutschland führend und beispielgebend an Initiativen zur Sicherung der Ernährungssouveränität und zur Einrichtung von wirksamen und nachhaltigen Grundsicherungssystemen nach dem Modell des Social Protection Floor in den Ländern des globalen Südens, vor allem in Afrika beteiligen.
  • Geschlossene Unterstützung für VN-Friedenssicherung und Polizeimissionen: Auch nach den militärisch dominierten, weitgehend gescheiterten und deshalb zu Recht auf den Prüfstand zu stellenden Stabilisierungsmissionen mit hoher deutscher Beteiligung in Afghanistan und Mali bliebt Deutschland weiterhin gefordert, sich stärker als bisher mit eigenen Kräften und Mitteln in der Friedenssicherung der VN zu engagieren. Dabei müssen die zivile Komponente des Konzepts Responsibility to Protect gestärkt und gemäß dem Dreiklang Prevent, Protect, Rebuild die Aspekte der Prävention und der Nachkonfliktarbeit stärker berücksichtigt werden.Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die EU endlich geschlossen die VN-Friedenssicherung stärkt. Die Bundesregierung muss dabei auch die Bereitschaft zeigen, substanzielle personelle Beiträge zum VN-Peacekeeping zu leisten, im besten Fall als Teil einer VN-Peacekeeping-Strategie mit klar formulierten Interessen, Mitteln und Zielen. VN-Politik muss proaktiv gestaltet werden, globale und regionale Herausforderungen und Krisen sind nicht nur zu verwalten, es müssen Lösungsstrategien entwickelt werden. Die deutschen Beiträge zu VN-Polizeimissionen müssen mit verbindlichen Planzielen spürbar aufgestockt werden. Eine Bund-Länder-Vereinbarung ist notwendig und seit mehreren Legislaturperioden überfällig. Die Anerkennung aller zivilen, polizeilichen und militärischen deutschen VN-Mitarbeitenden in Feldmissionen muss in der öffentlichen Wahrnehmung gestärkt werden
  • Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Russland gegen die in der Schlussakte von Helsinki beschlossenen und durch die Charta von Paris (1990) bekräftigen Prinzipien der OSZE verstoßen. Das Gremium kann in Folge der russischen Aggression derzeit seiner Aufgabe als Dialogforum der paneuropäischen Sicherheit nicht ausreichend nachkommen. Mittelfristig – nach einem Rückzug russischer Truppen aus den ukrainischen Gebieten – könnte die OSZE in einer signifikant veränderten sicherheitspolitischen Landschaft abermals ihre Aktivitäten wieder aufnehmen, vor allem in Bereich des Vertrauensaufbaus und der Transparenz.
  • Nur wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine schloss der Europarat als Organisation für Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Demokratie Russland aus den eigenen Reihen aus. Nichtsdestotrotz soll der Europarat und die Parlamentarische Versammlung des Europarates weiterhin ein Ort für die russische Zivilgesellschaft sein, um die Möglichkeit zu bieten, sich international Gehör zu verschaffen und zu vernetzen.
  • Die G7 und G20 müssen als diplomatische Foren gestärkt werden. Hierzu gehören klare Strategien und gemeinsame Zielsetzungen mit den nicht-westlichen Mitgliedsstaaten in der G20, z.B. im Bereich des Klimawandels, des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen oder der globalen Bekämpfung von Steuerflucht. Sowohl der von Olaf Scholz im Rahmen der G7 angeregte Klimaclub als auch die Initiative der G20 einer globalen Mindestbesteuerung von Unternehmen sollten forciert werden.

 

4. Konfliktursachen bekämpfen, Stabilität fördern und Perspektiven schaffen

Internationale Solidarität, Verantwortung und Führung muß fußen auf dem skizzierten Kontext der demokratischen Wertebindung – Menschenwürde, Freiheit von Not und Furcht, Rechtssicherheit, Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Stabilen Fortschritt können sie nur bewirken, wenn die Folgen einer solidarischen und verantwortungsvollen Politik für Frauen und Kinder, für die Klimaentwicklung, für die Armen der Welt mitgedacht sind.

 

Unsere Forderungen sind:

  • Wir wollen die Selbstverteidigung der Ukraine wirksam unterstützen, um ihre Existenz zu sichern. Davon hängt ab, wie sich das Verhältnis zwischen dem demokratischen Europa und Russland entwickeln wird. Dazu gehört die Bereitstellung von benötigten Waffen, Ausrüstung und Munition, um den Abwehrkampf der Ukraine zu ermöglichen und von Russland besetztes Territorium zu befreien, um die territoriale Integrität der Ukraine in den Grenzen von 1991 wiederherzustellen. Dazu gehört auch die Aufrechterhaltung und, wo möglich, Verschärfung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland, auch durch ein verbessertes EU-Regelwerk.
  • Wir wollen eine Feministische Außenpolitik zur Unterstützung von Sicherheit, Freiheit, Inklusion und Teilhabe. Wir fordern die russischen Soldat*innen auf, die Waffen niederzulegen und garantieren allen Kriegsdienstverweigernden Asyl.
  • Wir wollen offene Gesellschaften, Rechtssicherheit und Meinungsfreiheit global unterstützen. Hierzu gehört die internationale Förderung einer freien Pressearbeit sowie der Kampf gegen die zunehmende Verbreitung von Fake News, etwa durch den Ausbau staatlicher Medienprogramme und einer stärkeren schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit zum Thema internationale Beziehungen.
  • Wir wollen klare Regelungen für eine gute EU-Migrationspolitik. Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen, sollen finanziell unterstützt werden.
  • Ursachen und Folgen der Klimakrise stehen unmittelbar im Zusammenhang mit ökonomischen und sozialen Bedrohungen in Gesellschaften. Wir unterstützen es, dass westliche Staaten Schwellenländern mit einem hohen Kohleanteil bei der Stromerzeugung, wie Südafrika, Indonesien und Vietnam, durch “Energiewende-Partnerschaften” finanziell dabei helfen, auf erneuerbare Energien umzusteigen. Wir fordern, solche Partnerschaften mit weiteren Staaten einzugehen. Die eingesetzten öffentlichen Gelder dürfen nicht zu einer weiteren Verschuldung der Länder führen und müssen als Hebel für die Mobilisierung von privaten Investitionen genutzt werden. Wir wollen einen stärkeren finanziellen Einsatz für den Lastenausgleich bei den Klimaveränderungen und eine Stärkung der internationalen Katastrophenhilfe. Deutschland muss seinen gerechten Anteil an den versprochenen 100 Milliarden leisten, die jedes Jahr Ländern im globalen Süden zur Verfügung gestellt werden sollen, um Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren.
  • Eindeutige politische Unterstützung der Protestbewegung im Iran gegen die Regierung in ihrem mutigen Kampf um Frauen- und Freiheitsrechte; diese politische Unterstützung sollte auch konkrete Maßnahmen wie wirksame Sanktionen politisch Verantwortlicher einschließen.
  • Politische Unterstützung aller Maßnahmen der Staatengemeinschaft, die den unangefochtenen Fortbestand und die selbstbestimmte demokratische Weiterentwicklung Taiwans verfolgen.
  • Bei den Wirtschaftsbeziehungen mit China sind einseitige deutsche und europäische Abhängigkeiten bei wichtigen Rohstoffen, Vorprodukten etc. zu reduzieren. Solchen Abhängigkeiten, die unsere politischen Spielräume beispielsweise in Bezug auf Menschenrechte entscheidend einengen, ist durch Diversifizierung u.a. in der Rohstoff- und Industriepolitik zu begegnen, auch wenn dies zu Mehrkosten führt. Die Energieunabhängigkeit von Russland muss in Europa weiter konsequent vorangetrieben werden.
  • Auch und gerade angesichts der jüngsten Regierungsbildung in Israel gelten für uns weiterhin die Sätze aus unserem Grundsatzprogramm von 2007: “Deutschland hat eine besondere Verantwortung für das Existenzrecht Israels. Auch deswegen engagieren wir uns für einen umfassenden Frieden im Nahen Osten auf der Grundlage internationaler Verträge. Wir setzen uns für die Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates ein.”

 

5. Ausblick

Auch jenseits der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit muss die Zeitenwende sich in der deutschen EU-Politik in eine stärkere Integration und einer Beschleunigung des stockenden Erweiterungsprozesses übersetzen. Um das seit Jahren angestrebte Ziel qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik endlich zu erreichen, muss die Bundesregierung sich für eine Kompromissfindung öffnen. Das gilt auch in Hinblick auf Forderungen der Partner hinsichtlich der gemeinsamen Schuldenaufnahme und dauerhaft höherer Investitionen. Deutschland muss seine Rolle im Gefüge einer nationalen, europäischen und globalen Sicherheitsordnung finden. Das heißt Verantwortung zu übernehmen.

Beschluss: Annahme in der Fassung des Parteitages
Text des Beschlusses:

1. Unsere Ausgangslage

Der brutale Überfall Russlands auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 markierte eine Zäsur für die deutsche, europäische und internationale Außen- und Sicherheitspolitik. Der Krieg und die Verübung grausamer Kriegsverbrechen durch die russischen Besatzer führen dazu, dass Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Laut den Vereinten Nationen sind insgesamt rund acht Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Es gibt rund sechs Millionen Binnenvertriebene (jew. Stand 14.1.2023). Die russische Kriegsführung trifft zielgerichtet die ukrainische Bevölkerung und zerstört die zivile Infrastruktur. Es gilt – gemeinsam und abgestimmt im Verbund der EU und NATO – die Ukraine bei der Selbstverteidigung zu unterstützen, der ukrainischen Bevölkerung zu helfen und Russland völkerrechtlich für seinen imperialistischen Angriffskrieg  zur Verantwortung zu ziehen.

 

Die durch den Angriffskrieg entstandenen Herausforderungen an Deutschland und seine Partner hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Begriff “Zeitenwende” betitelt. Zeitenwende wird hierbei als eine grundlegende Änderung der europäischen Sicherheitsordnung verstanden. Der Begriff Zeitenwende ist nicht unumstritten. Unstrittig dürfte jedoch sein, dass die Sozialdemokratie intensiver diskutieren muss, welchen außenpolitischen Weg sie in Zukunft einschlagen muss. Hierzu gehört unzweifelhaft nicht nur eine Aufarbeitung der Russlandpolitik, sondern auch eine kritische Überprüfung der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahrzehnte. Hinterfragt werden muss das Hinnehmen des Sterbens von geflüchteten Menschen an Europas Außengrenzen. Auch Auslandseinsätze wie zum Beispiel in Afghanistan oder Mali müssen im Hinblick auf Zielsetzung, Folgen und Konsequenzen sowie die Qualität der nationalen und europäischen Kapazitäten zur Landes- und Bündnisverteidigung analysiert werden.

 

Die SPD muss als Friedenspartei die Leitplanken und Möglichkeiten der aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik überprüfen und festlegen, wie sie sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufstellen möchte. Dieser Prozess muss durch einen umfassenden Diskussionsprozess in der Partei begleitet werden. Dieser Antrag ist ein Beitrag zur notwendigen breiten Debatte um die zukünftige Ausrichtung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik.

 

2. Unsere Säulen sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik

Die Friedens- und Sicherheitspolitik der Sozialdemokratie ruht auf einem festen Fundament, wie es in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit dem Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit aller Menschen festgeschrieben wurde. Willy Brandt neben dem für seine gesamte Friedenspolitik maßgeblichen Leitbild einer Weltinnenpolitik, in der Nord und Süd, arme und reiche Länder gemeinsam und gleichberechtigt mit der Bewahrung des Weltfriedens und der natürlichen Lebensgrundlagen das Überleben der Menschheit sichern das Ziel der weltweiten Freiheit von Not und von Furcht“ abgeleitet. Dies bleibt unser Anspruch. Willy Brandt hat neben dem für seine gesamte Friedenspolitik maßgeblichen Leitbild einer Weltinnenpolitik, in der Nord und Süd, arme und reiche Länder gemeinsam und gleichberechtigt mit der Bewahrung des Weltfriedens und der natürlichen Lebensgrundlagen das Überleben der Menschheit sichern das Ziel der weltweiten „Freiheit von Not und von Furcht“ abgeleitet. Dies bleibt unser Anspruch.

 

Diese Freiheit wird im Kern gefährdet durch weltweite Entwicklungen: durch wachsende soziale Ungleichheiten – national und global -, humanitäre Krisen, die Rückkehr von Autokratien und Diktaturen. Sie ist ebenso bedroht durch den systematischen Abbau bürgerlicher Freiheiten und die Untergrabung der Menschenrechte, durch existenzielle Bedrohungen für diejenigen, die unabhängig journalistisch arbeiten, und Einschränkungen in der Unabhängigkeit von Gerichten, Rechtsprechung und Wahlverfahren für Richterinnen und Richter. Grundlage einer gedeihlichen Entwicklung sind offene Gesellschaften, die ihren Mitgliedern den Kampf für ihre Rechte ermöglichen. Ohne die Gleichheit der Rechte aller Menschen bleibt Freiheit von Not und Furcht nur Stückwerk.

 

Die Freiheit von Not und Furcht wird auch bedroht durch die fortschreitende Klimakrise, die Menschen ihre Existenzgrundlage nimmt und vielen Millionen weiteren zu nehmen droht.

 

Unser Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik ist breit, weil wir nicht auf eine kurzfristige sektoral begrenzte, sondern eine langfristige und werteorientierte Perspektive setzen, die ein friedliches, respektvolles Miteinander ermöglichen: Es muss neben den u.U. lebensrettenden Erfordernissen von Schutz und Verteidigung stets die langfristige menschliche Sicherheit aller – insbesondere von Frauen, Kindern und marginalisierten Gruppen – mitdenken, die Folgen für Energieverbrauch und fortschreitenden Klimawandel, die Folgen für wirtschaftliche Beziehungen und den Ausbau von sozialen und politischen Menschenrechten gerade auch im globalen Süden.

 

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat Russland das internationale Völkerrecht gebrochen und die kollektive Sicherheitsordnung Europas nach der Schlussakte von Helsinki 1975 verlassen. Spätestens seit 2014 ist deutlich, dass die Verflechtung durch Wirtschaftsbeziehungen keinen Frieden in Europa und auch anderswo garantiert.

 

Eine sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik erfordert also eine stetig entlang transparenter Kriterien und Werte weiterzuentwickelnde und anpassungsfähige Strategie. Ihr zugrunde liegt eine ganzheitliche Herangehensweise, in die Sachstände, Bewertungen und strategische Vorausschau aus allen relevanten Ministerien kontinuierlich einfließen und auf allen Ebenen miteinander abgestimmt werden (sog. Vernetzter Ansatz). Für sein Gelingen muss die Bundesregierung die notwendigen institutionellen Strukturen schaffen.

 

Wir sehen folgende Prüfsteine als wesentlich für eine langfristig erfolgreiche sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik an:

  • Aus den historischen deutschen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gespeiste bewährte Zurückhaltung im Einsatz militärischer Mittel, eine Stärkung und Weiterentwicklung des Völkerrechts sowie eine langfristige und vorausschauende Friedenssicherung.
  • Enge und frühzeitige, kontinuierliche Abstimmung mit den Bündnispartnern in EU und NATO unter Einbeziehung der jeweiligen Interessen der Partner sowie eine in Absprache mit den Partnern komplementäre und arbeitsteilige Schwerpunktsetzung der deutschen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung.
  • Strategisch breit fundierte und jeden Einzelfall abwägende Entscheidungsfindung. Offene Kommunikation, gerade auch über das Lernen aus Fehlern und Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbstkorrektur.
  • Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen auch mit politischen Akteuren, die nicht entsprechend unserem Wertesystem oder sogar völkerrechtsverletzend handeln, um zu jedem wünschenswerten Zeitpunkt diplomatische Schritte gehen zu können, bei gleichzeitiger maximaler Klarheit über den eigenen politischen Standpunkt. Die Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen darf einer entschlossenen Politik nicht im Wege stehen.
  • Die zunehmende Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verlangt weiterhin eine konsequente Politik der effektiven Rüstungskontrolle mit dem langfristigen Ziel der Rüstungsbegrenzung und der Perspektive einer Abrüstung. Wir setzen uns weiterhin für eine internationale Ächtung des Einsatzes von Atomwaffen ein und bekräftigen unser Ziel einer atomwaffenfreien und entmilitarisierten Welt. Dies wird allerdings nur in einem internationalen Kontext stattfinden können.
  • Ein von der Bundesregierung umzusetzender Vernetzter Ansatz: Bei jedem Einsatz zur Friedenssicherung werden von Beginn an alle einschlägigen Ressorts beteiligt und auf Gegebenheiten und Perspektiven vor Ort wird eingegangen.Ein solcher vernetzter Ansatz muss neben einer differenzierten Wahrnehmung der eigenen Bedrohungslagen gemäß dem Leitbild der gemeinsamen Sicherheit auch die Wahrnehmung des eigenen Handelns durch die jeweiligen Konfliktkontrahenten und die damit verbundenen Auswirkungen reflektieren. Im Hinblick auf die Russlandpolitik und den Umgang mit dem Ukraine-Konflikt gehören zu diesem vernetzten Ansatz neben der militärischen, finanziellen und politischen der Ukraine in ihrem Kampf um ihre Selbstbestimmung auch eine flexible Gestaltung des Sanktionsregimes gegen Russland, das dem Konfliktkontrahenten wirksame Anreize für Verhaltensänderungen bietet sowie eine deutliche Verstärkung der diplomatischen Anstrengungen zur Lösung des Konflikts. In diesem Sinne bedarf es einer Aktualisierung des Leitbilds des Harmel-Berichts von 1967 „Abschreckung und Entspannung“
  • Die Entwicklungszusammenarbeit darf dabei neben sicherheitspolitischer Planung keine untergeordnete Rolle einnehmen.
  • In der Entwicklungszusammenarbeit muss die qualitative Nachhaltigkeit der Erfolge zentral sein. Wir wirken darauf hin, dass die Entwicklungszusammenarbeit Wirtschaften stärkt und Arbeitsmärkte aufbaut, die insbesondere Frauen, jungen Menschen und marginalisierten Gruppen langfristige Perspektiven zum sozialen Aufstieg in ihren Heimatländern bieten. Die Verpflichtung, mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitzustellen, muss eingehalten werden.
  • Zielorientierte Einpassung in die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele, welche die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015 einmütig verabschiedet hat: z.B. Armut und Hunger beenden (1, 2), inklusive und gute Bildung für alle sichern (4), Geschlechtergerechtigkeit (5) sowie sauberes Wasser und saubere, bezahlbare Energieverfügbarkeit (5,6) sichern.
  • Verfolgung des Ziels des Pariser Klimaabkommens – das heißt, die Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, und möglichst auf 1,5 Grad.

 

3. Internationale Organisationen stärken

Die Zeitenwende global zu verstehen, bedeutet auch, dass wir seit Jahren bestehende Paradigmen der deutschen Positionierung im multilateralen Raum überdenken und gemäß unserem Anspruch einer gerechten und kooperativen Welt anpassen müssen. Hierfür benötigt es strategische Partnerschaften und Allianzen mit Ländern aller Regionen und Kontinente, die geprägt sein müssen von gegenseitigem Respekt und Glaubwürdigkeit.

 

  • Die EU soll wichtigster Orientierungs- und Handlungsrahmen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik werden. Um die rüstungs- und verteidigungspolitischen Ziele der Zeitenwende nachhaltig und politisch tragbar umzusetzen, braucht es eine engere Verzahnung der Beschaffungspolitik mit den EU-Partnern als bisher. Es gilt, eine gemeinsame Beschaffungsstrategie so anzugestalten, dass Interoperabilität der Rüstungssysteme und Lastenteilung in den Produktions- und Verteidigungskapazitäten der gesamten EU sichergestellt sind. Hierfür benötigt es kurz- und mittelfristig höhere politische und finanzielle Investitionen.
  • Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch die zentrale Rolle der NATO, zumal die USA, als Garanten für die europäische Sicherheit deutlich gemacht. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Anhebung der Verteidigungsausgaben durch die Mitgliedsstaaten. Mittelfristig muss an die Stelle des 2%-Ziels eine mehrjährige, an den wirtschaftlichen und beschaffungstechnischen Kapazitäten der Mitgliedstaaten orientierte arbeitsteilige Investitionsstrategie treten, welche die demokratische Wehrhaftigkeit und Einsatzfähigkeit des Bündnisses garantiert und bestehende Lücken schließt.
  • Eine Stärkung der Vereinten Nationen als wichtigstes Gremium der internationalen Verhandlungen und Konfliktlösung kann nur durch ein aktives und kooperatives Verhalten Deutschlands und der EU innerhalb der Vereinten Nationen erfolgen. Dazu gehört der strategische und am globalen Gemeinwohl orientierte Austausch mit den Staaten des Globalen Südens, die sich innerhalb der Vereinten Nationen zur G77 zusammengeschlossen haben. Vertrauensbildende Maßnahmen könnten u.a. die aktive Beteiligung der EU an den Verhandlungen eines verpflichtenden Abkommens über Wirtschaft und Menschenrechte, Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen, Schuldenerlasse sowie der Einsatz für eine Zinsabsenkung in der Kreditvergabe der internationalen Entwicklungsbanken an Staaten des globalen Südens sein. Des Weiteren sollte sich Deutschland führend und beispielgebend an Initiativen zur Sicherung der Ernährungssouveränität und zur Einrichtung von wirksamen und nachhaltigen Grundsicherungssystemen nach dem Modell des Social Protection Floor in den Ländern des globalen Südens, vor allem in Afrika beteiligen.
  • Geschlossene Unterstützung für VN-Friedenssicherung und Polizeimissionen: Auch nach den militärisch dominierten, weitgehend gescheiterten und deshalb zu Recht auf den Prüfstand zu stellenden Stabilisierungsmissionen mit hoher deutscher Beteiligung in Afghanistan und Mali bliebt Deutschland weiterhin gefordert, sich stärker als bisher mit eigenen Kräften und Mitteln in der Friedenssicherung der VN zu engagieren. Dabei müssen die zivile Komponente des Konzepts Responsibility to Protect gestärkt und gemäß dem Dreiklang Prevent, Protect, Rebuild die Aspekte der Prävention und der Nachkonfliktarbeit stärker berücksichtigt werden.Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die EU endlich geschlossen die VN-Friedenssicherung stärkt. Die Bundesregierung muss dabei auch die Bereitschaft zeigen, substanzielle personelle Beiträge zum VN-Peacekeeping zu leisten, im besten Fall als Teil einer VN-Peacekeeping-Strategie mit klar formulierten Interessen, Mitteln und Zielen. VN-Politik muss proaktiv gestaltet werden, globale und regionale Herausforderungen und Krisen sind nicht nur zu verwalten, es müssen Lösungsstrategien entwickelt werden. Die deutschen Beiträge zu VN-Polizeimissionen müssen mit verbindlichen Planzielen spürbar aufgestockt werden. Eine Bund-Länder-Vereinbarung ist notwendig und seit mehreren Legislaturperioden überfällig. Die Anerkennung aller zivilen, polizeilichen und militärischen deutschen VN-Mitarbeitenden in Feldmissionen muss in der öffentlichen Wahrnehmung gestärkt werden
  • Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Russland gegen die in der Schlussakte von Helsinki beschlossenen und durch die Charta von Paris (1990) bekräftigen Prinzipien der OSZE verstoßen. Das Gremium kann in Folge der russischen Aggression derzeit seiner Aufgabe als Dialogforum der paneuropäischen Sicherheit nicht ausreichend nachkommen. Mittelfristig – nach einem Rückzug russischer Truppen aus den ukrainischen Gebieten – könnte die OSZE in einer signifikant veränderten sicherheitspolitischen Landschaft abermals ihre Aktivitäten wieder aufnehmen, vor allem in Bereich des Vertrauensaufbaus und der Transparenz.
  • Nur wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine schloss der Europarat als Organisation für Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Demokratie Russland aus den eigenen Reihen aus. Nichtsdestotrotz soll der Europarat und die Parlamentarische Versammlung des Europarates weiterhin ein Ort für die russische Zivilgesellschaft sein, um die Möglichkeit zu bieten, sich international Gehör zu verschaffen und zu vernetzen.
  • Die G7 und G20 müssen als diplomatische Foren gestärkt werden. Hierzu gehören klare Strategien und gemeinsame Zielsetzungen mit den nicht-westlichen Mitgliedsstaaten in der G20, z.B. im Bereich des Klimawandels, des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen oder der globalen Bekämpfung von Steuerflucht. Sowohl der von Olaf Scholz im Rahmen der G7 angeregte Klimaclub als auch die Initiative der G20 einer globalen Mindestbesteuerung von Unternehmen sollten forciert werden.

 

4. Konfliktursachen bekämpfen, Stabilität fördern und Perspektiven schaffen

Internationale Solidarität, Verantwortung und Führung muß fußen auf dem skizzierten Kontext der demokratischen Wertebindung – Menschenwürde, Freiheit von Not und Furcht, Rechtssicherheit, Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Stabilen Fortschritt können sie nur bewirken, wenn die Folgen einer solidarischen und verantwortungsvollen Politik für Frauen und Kinder, für die Klimaentwicklung, für die Armen der Welt mitgedacht sind.

 

Unsere Forderungen sind:

  • Wir wollen die Selbstverteidigung der Ukraine wirksam unterstützen, um ihre Existenz zu sichern. Davon hängt ab, wie sich das Verhältnis zwischen dem demokratischen Europa und Russland entwickeln wird. Dazu gehört die Bereitstellung von benötigten Waffen, Ausrüstung und Munition, um den Abwehrkampf der Ukraine zu ermöglichen und von Russland besetztes Territorium zu befreien, um die territoriale Integrität der Ukraine in den Grenzen von 1991 wiederherzustellen. Dazu gehört auch die Aufrechterhaltung und, wo möglich, Verschärfung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland, auch durch ein verbessertes EU-Regelwerk.
  • Wir wollen eine Feministische Außenpolitik zur Unterstützung von Sicherheit, Freiheit, Inklusion und Teilhabe. Wir fordern die russischen Soldat*innen auf, die Waffen niederzulegen und garantieren allen Kriegsdienstverweigernden Asyl.
  • Wir wollen offene Gesellschaften, Rechtssicherheit und Meinungsfreiheit global unterstützen. Hierzu gehört die internationale Förderung einer freien Pressearbeit sowie der Kampf gegen die zunehmende Verbreitung von Fake News, etwa durch den Ausbau staatlicher Medienprogramme und einer stärkeren schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit zum Thema internationale Beziehungen.
  • Wir wollen klare Regelungen für eine gute EU-Migrationspolitik. Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen, sollen finanziell unterstützt werden.
  • Ursachen und Folgen der Klimakrise stehen unmittelbar im Zusammenhang mit ökonomischen und sozialen Bedrohungen in Gesellschaften. Wir unterstützen es, dass westliche Staaten Schwellenländern mit einem hohen Kohleanteil bei der Stromerzeugung, wie Südafrika, Indonesien und Vietnam, durch “Energiewende-Partnerschaften” finanziell dabei helfen, auf erneuerbare Energien umzusteigen. Wir fordern, solche Partnerschaften mit weiteren Staaten einzugehen. Die eingesetzten öffentlichen Gelder dürfen nicht zu einer weiteren Verschuldung der Länder führen und müssen als Hebel für die Mobilisierung von privaten Investitionen genutzt werden. Wir wollen einen stärkeren finanziellen Einsatz für den Lastenausgleich bei den Klimaveränderungen und eine Stärkung der internationalen Katastrophenhilfe. Deutschland muss seinen gerechten Anteil an den versprochenen 100 Milliarden leisten, die jedes Jahr Ländern im globalen Süden zur Verfügung gestellt werden sollen, um Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren.
  • Eindeutige politische Unterstützung der Protestbewegung im Iran gegen die Regierung in ihrem mutigen Kampf um Frauen- und Freiheitsrechte; diese politische Unterstützung sollte auch konkrete Maßnahmen wie wirksame Sanktionen politisch Verantwortlicher einschließen.
  • Politische Unterstützung aller Maßnahmen der Staatengemeinschaft, die den unangefochtenen Fortbestand und die selbstbestimmte demokratische Weiterentwicklung Taiwans verfolgen.
  • Bei den Wirtschaftsbeziehungen mit China sind einseitige deutsche und europäische Abhängigkeiten bei wichtigen Rohstoffen, Vorprodukten etc. zu reduzieren. Solchen Abhängigkeiten, die unsere politischen Spielräume beispielsweise in Bezug auf Menschenrechte entscheidend einengen, ist durch Diversifizierung u.a. in der Rohstoff- und Industriepolitik zu begegnen, auch wenn dies zu Mehrkosten führt. Die Energieunabhängigkeit von Russland muss in Europa weiter konsequent vorangetrieben werden.
  • Auch und gerade angesichts der jüngsten Regierungsbildung in Israel gelten für uns weiterhin die Sätze aus unserem Grundsatzprogramm von 2007: “Deutschland hat eine besondere Verantwortung für das Existenzrecht Israels. Auch deswegen engagieren wir uns für einen umfassenden Frieden im Nahen Osten auf der Grundlage internationaler Verträge. Wir setzen uns für die Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates ein.”

 

5. Ausblick

Auch jenseits der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit muss die Zeitenwende sich in der deutschen EU-Politik in eine stärkere Integration und einer Beschleunigung des stockenden Erweiterungsprozesses übersetzen. Um das seit Jahren angestrebte Ziel qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik endlich zu erreichen, muss die Bundesregierung sich für eine Kompromissfindung öffnen. Das gilt auch in Hinblick auf Forderungen der Partner hinsichtlich der gemeinsamen Schuldenaufnahme und dauerhaft höherer Investitionen. Deutschland muss seine Rolle im Gefüge einer nationalen, europäischen und globalen Sicherheitsordnung finden. Das heißt Verantwortung zu übernehmen.

Beschluss-PDF: