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Antrag 217/II/2022 Coronafolgen bekämpfen – Perspektiven für junge Menschen schaffen

10.10.2022

Die Corona-Pandemie hat schonungslos aufgezeigt, wo die größten Schwachstellen in unserer Gesellschaft liegen. Besonders stark ausgeprägt schränkten die Auswirkungen das öffentliche Leben und zentrale Bereiche der Daseinsvorsorge ein. In der Folge mussten sich vor allem junge Menschen erheblich zurücknehmen: Schulschließungen, fehlende Ausweichmöglichkeiten wie Sport- oder Kulturangebote, Verlust von Ausbildungsplätzen, Isolation und Kontaktverbote. Das führte dazu, dass viele junge Menschen monatelang in beengten Verhältnissen leben mussten, ohne klare Orientierung, wie es in Zukunft weitergeht, sowie oftmals ohne psychologische Beratungs- und Unterstützungssysteme. Hinzu kam in manchen Fällen sogar häusliche Gewalt. Als Folge dieser krassen Belastungssituation stieg die Zahl derjenigen, die unter psychischen Erkrankungen wie Angst- und Essstörungen und Depressionen litten, erheblich an. Knapp ein Drittel aller 7- bis 17-Jährigen in Deutschland zeigten im Jahr 2020 psychische Auffälligkeiten. In nahezu allen Bereichen lässt sich eine Verschlechterung des Wohlbefindens von jungen Menschen im Vergleich zum Zeitraum vor der Pandemie wissenschaftlich nachweisen. All diese Befunde sind nicht neu. Es ist aber laut Expert*innen davon auszugehen, dass wir erneut auf eine Corona-Welle im Herbst 2022 zusteuern. Weitere Einschränkungen können Stand heute nicht ausgeschlossen werden.

 

Dennoch wurde viel zu wenig für Kinder und Jugendliche getan, um für eine Entlastung bzw. Unterstützung zu sorgen. Vor allem Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch schlechter gestellten Familien sind von den Folgen der Einschränkungen betroffen gewesen und haben immer noch mit ihren Auswirkungen zu kämpfen. Der Abbau der Lernrückstände und Stärkung der psychosozialen Arbeit sind Schritte in die richtige Richtung – diese reichen aber bei weitem nicht aus. Es sind weitere gezielte Vorschläge notwendig, um die Situation der Kinder und Jugendlichen in Berlin angesichts der weiterhin bestehenden Corona-Pandemie zu verbessern. Ebenso werden konkrete Maßnahmen gebraucht, um die Widerstandsfähigkeit der sozialen Infrastruktur zu stärken. Ziel ist es, dass junge Menschen merklich unterstützt werden und eine Perspektive für ihre persönliche Zukunft auch unter dem Einfluss einer möglichen weiteren Corona-Welle gewährleistet ist.

 

Mentale Gesundheit

Schon vor Ausbruch der Pandemie gab es eine Unterversorgung in der mentalen Gesundheitsversorgung für junge Menschen, die sich während der Pandemie durch die stark steigende Anzahl an Betroffenen deutlich verschärft haben. Laut einer Evaluation der Krankenkassen leiden in keinem anderen Bundesland so viele Kinder und Jugendliche unter psychischen Erkrankungen wie in Berlin.

 

Die Folge: Der Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung ist aktuell so hoch wie nie. Doch vor allem in Ballungsgebieten wie Berlin sind freie Therapieplätze rar und die Wartezeiten mehrere Monate lang. Während der Pandemie mussten sogar Kliniken ihre Türen schließen, weil es zu viele Patient*innen gab. Zeitweise konnten nur noch Menschen „mit akuter Suizid-Gefahr“ behandelt werden und viele andere saßen ohne Hilfe zu Hause. Dies ist für die Hilfesuchenden in höchstem Ausmaß frustrierend, belastend und krankheitsverschärfend. Es ist eine Illusion, davon auszugehen, dass sich diese Problematik mit den Lockerungsschritten von selbst erledigt. Wenn psychische Erkrankungen nicht rechtzeitig behandelt werden, ist mit massiven chronischen Langzeitfolgen zu rechnen. Die Gesundheit von jungen Menschen bestimmt die Gesellschaft von morgen, deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt in sie investieren.

 

Deshalb fordern wir mehr kostenfreie sowie niederschwellige Angebote für junge Menschen in Berlin zur Verbesserung ihrer mentalen Gesundheitsversorgung. Jeder junge Mensch, der Therapie benötigt, muss das Recht auf schnellen, unkomplizierten und kostenlosen Zugang zur klinisch-psychologischen und psychotherapeutischen Beratung und Behandlung haben. Dafür müssen die ambulanten und stationären psychotherapeutischen und psychiatrischen Behandlungskapazitäten für Kinder und Jugendliche erhöht werden. Für Notfälle müssen die kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanzen in den Krankenhäusern ausgebaut werden. Darüber hinaus müssen niedrigschwellige digitale und analoge Erstanlaufstellen für hilfesuchende Jugendliche und junge Erwachsene geschaffen werden, die Hilfs- und Therapieangebote vermitteln und die auch die jungen Menschen in der Übergangszeit bis ein Therapieplatz gefunden ist, unterstützen. Wir fordern außerdem den nachhaltigen Ausbau der schulpsychologischen und psychosozialen Betreuung an Schulen, Berufsschulen und Hochschulen. Auch müssen Impulse zur weitergehenden Vernetzung der Hilfesysteme, der Kinder- und Jugendhilfe, der Schulen, Berufsschulen, Hochschulen und der Kinder- und Jugendpsychiatrie geschaffen werden.

 

(Aus-)Bildung

Die Corona-Pandemie hatte zudem massive Auswirkungen auf das (Aus-)Bildungssystem. Kitas, Schulen und Hochschulen wurden zeitweise geschlossen, Prüfungsinhalte wurden angepasst oder gekürzt, der Unterricht und die Lehre fand monatelang digital über Videokonferenzen statt. Dadurch veränderte sich der Alltag schlagartig. Statt zur Kita oder in die Schule zu gehen, blieben junge Menschen zu Hause in ihren Zimmern. Während dieser Homeschooling-Zeiten verschärften sich bereits bestehende Ungleichheiten. Denn: Nicht alle Kinder und Jugendlichen hatten einen eigenen Schreibtisch, geschweige denn einen ruhigen und sicheren Ort zum Lernen oder die notwendige Ausstattung an digitalen Endgeräten mit entsprechender Software. Vielfach fehlte eine ausreichende Internetverbindung, um am Unterricht teilnehmen zu können. Die Ausstattung der Lehrkräfte mit digitalen Endgeräten begrüßen wir sehr. Allerdings zeigen viele Beispiele, dass das Land Berlin auch allen Schüler*innen ein Angebot zur Ausstattung mit digitalen, datenschutzkonformen Endgeräten machen muss. Hier braucht es ein barrierearmes und sozialverträgliches Verfahren, damit all jene Schüler*innen, die ein Gerät wollen, auch eins erhalten. Doch damit ist es nicht getan. Damit diese Geräte auch vollumfassend eingesetzt werden können, braucht es eine stabile und sichere Verbindung zum Internet. Deshalb fordern wir ein Recht auf Internet. In einer digitalen Schulwelt lässt sich das Recht auf Bildung nur mit eben diesem Recht auf Internet vollumfänglich wahrnehmen. Alle Schüler*innen müssen die technischen Möglichkeiten haben online arbeiten zu können – vor allem von zu Hause. Dies kann beispielsweise über mobile Router erfolgen. Familien mit Leistungsanspruch und Alleinerziehende sind bei der Ausgabe zu bevorzugen.

 

Die Zeit des Homeschooling hat auch gezeigt, dass der persönliche Austausch mit anderen extrem wichtig ist. Kitas, Schulen und Hochschulen sind Lebensorte. Diese durchgängig zu schließen hatte große psychische Folgen für junge Menschen. Einer weiteren flächendeckenden Schließung dieser Institutionen im Herbst/Winter muss entgegengewirkt werden. Zur Wahrheit gehört auch, dass es einige Menschen gibt, die immer noch vom Regelunterricht aufgrund (Vor-)Erkrankungen ausgeschlossen sind. Für diese Personen braucht es weiterhin passgenau Unterstützungsangebote wie das Homeschooling und digitale Prüfungsangebote. Dies gilt für Schulen, aber auch für Hoch- und Berufsschulen. Bezüglich der Hochschulen muss die Freiversuchsregelung im Berliner Hochschulgesetz für die Dauer der Pandemie und ihrer einschränkenden Nachwirkungen verlängert werden. Sie besagt, dass Prüfungen, die nicht bestanden wurden, lediglich als nicht angetreten gelten und Bearbeitungsfristen für Haus- und Abschlussarbeiten angemessen zu verlängern sind. Durch den Wegfall an bezahlten Nebentätigkeiten, der Schließung ruhiger Lernplätze in Bibliotheken und die soziale Isolation haben sich die Studienbedingungen für viele Studierende massiv verschlechtert, sodass es weiterhin dieser Entlastung bedarf. Änderungen im Berliner Hochschulgesetz wie die Freiversuchsregelung sind dabei frühzeitig zu kommunizieren, sodass für die Studierenden und Prüfenden Planungssicherheit besteht.

 

Viele Auszubildende mussten während der Pandemie aus dem Homeoffice arbeiten. Dabei wird ihnen oft keine technische Ausstattung zur Verfügung gestellt. Insgesamt kann dies für Auszubildende, die zu Beginn ihrer Ausbildung im Homeoffice sind oder waren, große Nachteile haben. Der Kontakt zu Ausbilder*innen, Kolleg*innen sowie zu anderen Auszubildenden wird durch das digitale Arbeiten erheblich erschwert. Ebenso besteht die Gefahr, dass Arbeitgeber*innen ihren Pflichten hinsichtlich des Arbeitsschutzes bei Auszubildenden im Homeoffice nur unzureichend nachkommen. Wir fordern daher eine verpflichtende, ausführliche Aufklärung aller Auszubildenden, insbesondere derjenigen, die im Homeoffice arbeiten, über ihre Rechte hinsichtlich ihrer Ausbildung und des Arbeitsschutzes. Bei Prüfungen muss es ebenfalls Sonderregelungen analog zu denen an Hochschulen geben, da auch Auszubildende nach wie vor von den Auswirkungen der Pandemie betroffen sind. Ausbildungsplätze müssen auch in Zeiten von Corona und Inflation sichergestellt werden. Dafür muss u.a. eine Ausbildungsplatzumlage geschaffen werden.

 

Öffentliche Räume

Nicht nur das Bildungssystem war massiv eingeschränkt. Auch die kulturellen Angebote und öffentlichen Räume wurden stark verringert. Die Pandemie hat viele der Aufenthaltsräume für junge Menschen – z.B. Jugendzentren, Vereine, Bars/Clubs – nicht mehr verfügbar gemacht. Viele von ihnen nutzen öffentliche Parks, um sich zu treffen und zu feiern. Lärmbelästigung oder vereinzelte Schlägereien wurden zum Anlass genommen, die Absperrung von und ein Alkoholverbot in Parks zu fordern. Wir lehnen Alkoholverbote und Parkumzäunungen bzw. -sperrungen entschieden ab! Auch das Auftreten des Ordnungsamts und der Polizei ist nicht hinzunehmen. Stattdessen braucht es die verstärkte Zusammenarbeit von Ordnungsämtern und Sozialarbeiter*innen. Das Ordnungsamt darf in Parks nicht vorrangig als bloße Autorität auftreten, sondern sollte vielmehr als Ansprechpartner*innen fungieren. Dazu sind spezielle Schulungen anzubieten.

 

Es ist wichtig, dass Jugendliche sowohl tagsüber als auch in den Abendstunden niedrigschwellige Angebote und kostenfreie Orte haben, an welchen sie sich treffen können. Anstelle von Repressionen braucht es mehr Angebote und eine flächendeckende Stärkung der aufsuchenden Jugendarbeit.

 

Parks und öffentliche Plätze sind auch deswegen so wichtig, weil kostenpflichtige Angebote wie Bars und Clubs im Zuge der Inflation für viele junge Menschen kaum noch bezahlbar sind. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, fordern wir einerseits die Prüfung und Erarbeitung eines Finanzierungskonzepts, um die Eintrittspreise für Berliner Clubs, welche besonders für junge Menschen relevant sind, sozialverträglich zu gestalten. Das Finanzierungskonzept und der Kreis der betreffenden Clubs soll gemeinsam mit der Clubkommission erarbeitet werden. Andererseits setzen wir uns für eine generelle Einstufung von Veranstaltungsstätten als kulturelle Einrichtungen ein, damit ein ermäßigter Steuersatz von 7% geltend gemacht werden kann. Ebenfalls sollten junge Menschen die Möglichkeit haben, das kulturelle Angebot in Berlin wahrnehmen zu können. Daher fordern wir kostenlosen Eintritt in die Landeseigenen Museen und alle Dauerausstellungen für Menschen unter 25 Jahren. Darüber hinaus müssen auch alternative kostenlose Angebote für junge Menschen gestärkt werden. Dazu gehören u.a. der Ausbau von Jugendclubs und Sportangebote.

 

Darüber hinaus wollen wir die Vereine in Berlin stärken. In vielen Bezirken überleben diese nur durch das unerschöpfliche Engagement von Ehrenamtlichen. Neben einer finanziellen Unterstützung durch vom Land zur Verfügung gestellte Mittel, über die die Bezirke verfügen sollen, braucht es eine Unterstützung der ehrenamtlichen Kräfte. Hier fordern wir eine neue Strategie, um das Ehrenamt zu stärken. Neben einer Anerkennungskultur braucht es vor allem finanzielle Entlastung für die geleistete Arbeit – beispielsweise mit ÖPNV-Abos oder einer Mindestvergütung.

 

Wirtschaft

Die Auswirkungen der Pandemie werden besonders für Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch schlechter gestellten Herkünften deutlich. Neben der Schule oder dem Studium nicht arbeiten zu müssen, ist immer ein Privileg. Besonders mit dem Wegfallen vieler Aushilfsjobs während der Pandemie aber sind für die einen existenzielle Sorgen entstanden, teils kann sich Bildung so nicht mehr geleistet werden, während andere weiterhin von ihren Familien finanziell unterstützt wurden können und so vergleichsweise weniger beschränkt werden. Deshalb fordern wir die Einrichtung eines durch Einnahmen der progressiven Erbschaftssteuer finanzierten Chancengleichheitsfonds, der zum einen in Höhe von je 20.000€ als Gesellschaftserbe an alle 18-Jährigen ausgezahlt wird und zum anderen zur Finanzierung von öffentlichen Gütern und Leistungen, die die allgemeine Chancengleichheit fördern, genutzt wird. Damit geht mehreres einher: Wir wollen das Vermögen einiger weniger auf die gesamte Gesellschaft umvererben, um jungen Erwachsenen auf der einen Seite einen finanziellen Boost zum Start ins Leben zu geben und andererseits Ungleichheit fördernde Strukturen zu bekämpfen.

 

Neben dem Chancengleichheitsfonds fordern wir die Verlängerung der Kindergeldzahlungen. Während die Fortzahlung des BAföGs an die Corona-bedingten Einschränkungen angepasst wurde, bleibt die Zahlungsdauer des Kindergeldes ungeändert und riskiert somit starke Geldeinbußen am Ende der Ausbildung.

 

Auch für junge Menschen im Berufsleben hat die Pandemie gravierende Auswirkungen. Viele mussten aus dem Homeoffice arbeiten, andere unter Gefährdung ihrer eigenen Gesundheit weiterhin in ihrer Arbeitsstelle arbeiten. Durch die Digitalisierung ergeben sich neue Möglichkeiten des Homeoffice, also des Arbeitens von zu Hause, die durch die Pandemie weiter vorangetrieben wurde. Anstelle von Präsenzmeetings traten Videomeetings, der Austausch mit Kolleg*innen fiel oftmals weg. Dennoch kann Homeoffice auch in Zeiten außerhalb der Pandemie Vorteile für Arbeitnehmer*innen bieten, wie flexible Arbeitszeiten oder der Wegfall von langen Arbeitswegen. Dies kann allerdings auch dazu führen, dass Menschen länger arbeiten und keinen richtigen Feierabend haben, da von einer ständigen Erreichbarkeit ausgegangen wird. Hinzu kommen außerdem Möglichkeiten der digitalen Überwachung der Arbeitnehmer*innen, durch Produktivitätschecks wie bspw. die Bewegungen der Computermaus. Diese digitale Überwachung lehnen wir kategorisch ab. Softwaren, die zur digitalen Überwachung von Arbeitnehmer*innen dienen, müssen verboten werden. Darüber hinaus müssen Arbeitnehmer*innen über ihre Rechte im Homeoffice aufgeklärt werden, dies umfasst explizit auch Datenschutz sowie den Schutz vor Überwachung durch den Arbeitgeber. Durch die Digitalisierung und Homeoffice vermischen sich Arbeits- und Privatleben zunehmend. Damit Arbeitnehmer*innen auch im Homeoffice Erholungszeiten haben, in denen die Arbeitgeber*innen sie nicht kontaktieren, fordern wir Sperrzeiten, in denen die Arbeitgeber*innen die Arbeitnehmer*innen im Regelfall nicht kontaktieren dürfen. Diese sind bei flexiblen Arbeitszeiten auch flexibel zu ermöglichen. Darüber hinaus fordern wir neben dem Recht auf Homeoffice auch ein Recht auf einen gestellten Arbeitsplatz, sofern dagegen keine Gründe des Gesundheitsschutzes sprechen. Insbesondere junge Menschen haben in Berlin aufgrund der enormen Mietpreise nur wenig Wohnraum zur Verfügung. Sofern sie im Homeoffice arbeiten, erschwert diese Platzteilung die Trennung von Arbeits- und Privatleben weiter und kann negative Auswirkungen auf die mentale Gesundheit haben. Wir lehnen darüber hinaus ab, dass Unternehmen Geld für Büroflächen sowie Heizkosten sparen können und dies im Gegenzug von den Arbeitnehmer*innen gestemmt werden muss, da sie im Homeoffice arbeiten. Wenn Leute sich dafür entscheidenden, auch oder ausschließlich aus dem Homeoffice zu arbeiten, ist die technische Ausstattung sowie die arbeitsschutzgemäße Ausstattung des Arbeitsplatzes (z.B. ein passender Schreibtischstuhl) von den Arbeitgeber*innen zu stellen bzw. zu zahlen. Damit Homeoffice flächendeckend möglich wird, fordern wir weiterhin den Ausbau von schnellem und stabilem Internet in der ganzen Stadt. Dabei halten wir an unserer Forderung nach der Verstaatlichung der Breitbandinfrastruktur in Gebieten, in denen es nur einen Anbieter gibt, sowie der letzten Meile, fest. Die letzte Meile beschreibt dabei das Stück der Verbindung, dass direkt zu den Verbraucher*innen führt.

 

Um junge Menschen zu entlasten und ihnen zugleich eine Zukunftsperspektive zu eröffnen, fordern wir:

 

  • mehr kostenfreie sowie niederschwellige Angebote für junge Menschen in Berlin zur Verbesserung ihrer mentalen Gesundheitsversorgung
  • ein Recht auf Internet für alle Menschen in Berlin
  • den flächendeckenden Ausbau von schnellem und stabilem Internet
  • die Einführung eines Gesellschaftserbes
  • den Schutz von Arbeitnehmer*innenrechten im Homeoffice
  • (Einführung von Kontaktsperren für Arbeitgeber*innen)
  • Prüfung und Erarbeitung eines Finanzierungskonzepts zusammen mit der Clubkommission, um die Eintrittspreise für Berliner Clubs sozialverträglich zu gestalten
  • keine Parksperrungen und Alkoholverbote, sondern die Ausweitung von Freiräumen sowie Angebote für junge Menschen im gesamten Stadtgebiet (vor allem in den Abendstunden). Wir sehen hier die BVV- Fraktionen in der Pflicht, die Nutzung der Grünflächenanlagen multigenerational zu verstehen
  • die Stärkung der Angebote der Jugendarbeit sowie Vereine
  • eine Offensive für die Stärkung der ehrenamtlichen Arbeit in Berlin
  • Freiversuchsregelungen für Prüfungen
  • kostenfreien Eintritt für Museen und Dauerausstellungen für Menschen unter 25 Jahren

 

Antrag 202/II/2022 Wasser schützen!

10.10.2022

Grundwasserknappheit bekämpfen

Die Klimakrise und damit einhergehende Erderwärmung haben verschiedene Facetten. Für den Ballungsraum Berlin ergibt sich eine jetzt schon spürbare Knappheit. Die Wasserknappheit.

 

Bereits in den letzten Sommern konnte man die Wasserknappheit in Berlin kaum übersehen. Der Boden trocknet aus, Grünanlagen verbrennen und werden braun, und der Pegelstand der Gewässer sinkt. Die Wärme unserer Sommer beträgt inzwischen circa zwei Grad mehr als in der Klimareferenzperiode 1961 bis 1990. Das birgt eine 15 Prozent höhere Verdunstung von Wasser, die spürbar ist.

 

In den letzten Jahren hat der Ballungsraum Berlin Trinkwasser hauptsächlich aus der Spree und Dahme bezogen. Wir reichern mit dem Wasser dieser Gewässer das Grundwasser künstlich an und nutzen es dann für unsere Grundwasserversorgung. Doch über die Jahre hinweg sinkt der Grundwasserspiegel, eine beunruhigende Entwicklung.

 

Die Trockenheit und der Mangel an Niederschlag der letzten Sommer führt dazu, dass wir unseren niedrigen Grundwasserspiegel nicht mehr ausgleichen können. Das war erstmals 2003 der Fall und ist seit 2018 jährlich zu beobachten. Unsere Wasservorräte erholen sich nicht mehr, in diesem Jahr beträgt beispielsweise das Wasseraufkommen im Spreewald nur ein Viertel des notwendigen Normalaufkommens. Das Wasseraufkommen der Spree wird sich in den kommenden Jahren aufgrund der geplanten Flutung der stillgelegten Brandenburger Braunkohletagebaue, wie dem geplanten Ostsee nördlich von Cottbus, drastisch verringern. Diese Wasserknappheit wird sich auch auf den Flusspegel der Berliner Spreeabschnitte auswirken. Und auch nach abgeschlossener Flutung wird die erweiterte Verdunstungsfläche der so entstandenen Tagebauseen zu einem geringeren Pegelstand der angeschlossenen Fließgewässer führen.

 

Und diese Lage wird sich in den kommenden Jahren nicht verbessern, denn nicht nur sinkt das Aufkommen von Grundwasser, auch unser Trinkwasserverbrauch steigt seit Jahren. Seit 2007 lassen sich steigende Gebrauchsmengen verzeichnen, so lag der Berliner Trinkwasserverbrauch 2016 bei 117,1 Litern pro Kopf/pro Tag. 2019 waren es schon 119,5 Liter pro Kopf/pro Tag. Dies liegt zwar unter dem Bundesdurchschnitt von 128 Litern pro Einwohner*in pro Tag, der Berliner Wasserverbrauch wird sich durch die vermehrte Ansiedelung von Industrie und Gewerbe sowie dem gesteigerten Wasserverbrauch aufgrund von mehr Hitzetagen jedoch perspektivisch erhöhen. Unsere einstige sehr Abwassergetriebene Debatte verändert sich in eine, die Wassersparen in den Fokus rückt.

 

Deshalb fordern wir:

 

  • Der Senat muss sich prioritär mit Wassersparen auseinandersetzen und Maßnahmen erarbeiten, die zu einem geringeren Grundwasserverbrauch führen. Dabei soll insbesondere eine mögliche Nutzung des sogenannten Grauwassers, auch in Kombination mit Regenwasser, eingehend geprüft werden. Langfristig soll eine Pflicht zum Einbau entsprechender Anlagen bei dafür technisch geeigneten Neubauten eingeführt werden. Die Umrüstung von Bestandsbauten soll angemessen gefördert werden, insbesondere auch durch Beratungsangebote
  • Ein Gesetz, dass die exzessive Bewässerung von Gärten, das Auffüllen von Pools und das Waschen von Autos einschränken kann, um den Wasserverbrauch zu mindern.
  • Die Übermäßige Nutzung von Wasser soll Privatpersonen ab einem bestimmten Verbrauch, der weit über dem landesweiten Durchschnitt liegt, ohne dabei Grünanlagen zu versorgen, mit gestaffelten Preisen erheblich mehr kosten.
  • Die Überschüsse, die die Berliner Wasserbetriebe erzielen, sollen dem Berliner Landeshaushalt nur zweckgebunden für die Wasserwirtschaft zur Verfügung stehen und beispielsweise für die Pflege, Säuberung und Renaturierung von Gewässern, für den Ausbau und die Sanierung des Trink- und Abwassersystems, für den Ausbau des Trinkwasserbrunnennetzes und den Bau von Rückhaltebecken eingesetzt werden. Die erzielten Überschüsse dürfen nicht weiterhin für den Schuldenabbau Berlins verwendet werden.
  • Der Berliner Senat soll verstärkt mit den zuständigen Brandenburger Behörden in den Austausch treten, um eine gemeinsame Wasserstrategie für den Wasserraum Berlin-Brandenburg erarbeiten. Hierbei sollen sowohl die kommunalen Bevölkerungsversorgungsbetriebe als auch zivilgesellschaftliche Initiativen wie der Berliner Wasserrat und die Wassertafel Berlin-Brandenburg beteiligt werden

 

Kleingewässer erhalten

Doch das Problem ist nicht nur unsere Grundwasserspiegel, der gesamte Umgang mit Wasser scheint in Berlin nicht prioritär zu sein. Wir haben über 400 Kleingewässer (natürliche Teiche, Sölle und Tümpel) in Berlin die gepflegt werden müssen. 6,7 Prozent der Landesfläche besteht aus Wasser. Und das ist ein großer Gewinn für unsere Lebensqualität. Gewässer sind der Schlüssel um eine Stadt herunterzukühlen, sie produzieren im Zusammenwirken mit der Ufervegetation Verdunstungskühle, was zu einer lokalen Temperaturabsenkung führt.

 

Natürliche Gewässer sorgen für Artenvielfalt und erhalten Lebensräume von Tieren. Sie erbringen immense Ökosystemleistungen, beispielsweise die Regulierung des Kohlenstoffzyklus und führen auch zur erhöhten Grundwasserneubildung.

 

Außerdem zeigt der große Sommerliche Andrang an die Berliner Seen, für welche Lebensfreude die Berliner Gewässer sorgen.

 

Doch unsere Gewässer müssen auch dementsprechend gepflegt und umsorgt werden, 48 Prozent unser Kleingewässer ist sind einem mangelhaften Zustand. 37,6 Prozent sind bereits trockengefallen. Der Berliner Senat hat vermutlich über 100 Kleingewässer nicht einmal registriert und kann somit nicht für den Erhalt dieser Naturoasen wirken.

 

Deshalb fordern wird:

 

  • Regenwasser darf nicht direkt in die Kanalisation abgeführt werden, sondern muss örtlich gesammelt und zuerst den Kleingewässern zur Verfügung gestellt werden. Übriges Regenwasser darf der Kanalisation oder anderen Bewässerungszwecken zugeführt werden.
  • Der Senat muss mehr Mittel und Personal für die Pflege und Renaturierung von Kleingewässern zur Verfügung stellen. Hierbei muss besonders den Bezirksämtern notwendige Mittel und notwendiges Personal zur Verfügung gestellt werden!
  • Umfassend müssen alle Kleingewässer in Berlin registriert und nach ihrem Zustand beurteilt werden. Nach dieser Datenerfassung muss der Senat schnellstmöglich Maßnahmen vorlegen, die zum Erhalt der Gewässer führen.
  • Bei der Entwicklung dieser Maßnahmen müssen der Erhalt der Ökosysteme an und im Gewässer in angemessener Weise mit den Naherholungsinteressen der Bevölkerung abgewogen werden

 

Gerechte Wasserverteilung

Die häufigen trockenen Sommer und die immer gravierende Knappheit an Wasser habe auch zu Folge, dass der Wasserbedarf zur Bewässerung in der Landwirtschaft steigen wird. Derzeit hat die Bewässerungslandwirtschaft in Deutschland mit einer Wasserentnahme von ca. 1,3 Prozent der gesamten Entnahmemenge nur eine geringe Bedeutung. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden 451.800 Hektar landwirtschaftliche Fläche in Deutschland bewässert (2015). Die Beregnungsbedürftigkeit wird deutschlandweit tendenziell zunehmen, allerdings ist dies regional sehr unterschiedlich. Die Bewässerungsmenge ist stark abhängig von der landwirtschaftlichen Produktion. So wird der Obst- und Gemüsebau bisher stärker bewässert, als dies für viele Ackerkulturen der Fall ist. Hingegen werden Wälder, die ebenfalls stark unter der anhaltenden Trockenheit leiden, bisher nicht bewässert. Zukünftig werden also mehr Gruppen als heute um eine knapper werdende Ressource konkurrieren. Deshalb müssen wir über eine gerechte Verteilung und dementsprechend über eine Priorisierung der Ressource Wasser nachdenken, die auch die Bedürfnisse der (Gewässer-) Ökosysteme berücksichtigt. Dabei muss mitgedacht werden, dass die Nutzung und der Konsum von Wasser ein Grundbedürfnis für alle Menschen sind, Trinkwasserversorgung hat immer die höchste Priorität.

 

Deshalb fordern wir:

 

  • Die Einsetzung einer Berlinweiten, sowie bundesweiten Planungsgruppe, die ein Maßnahmenpapier erarbeitet, um nachhaltiges Wassermanagement zu garantieren.
  • Die Entwicklung einer Informationskampagne für Bürger*innen, die zum Wassersparen ermutigt und die Bevölkerung hinsichtlich der knappen Ressource sensibilisiert.

 

Stadtflächen ökologisch nutzen

Die massive Bebauung der Stadt hat für die Artenvielfalt und Biodiversität fatale Folgen. Immer mehr Raum wird versiegelt und betoniert. Auch der Neubau von 100.000 notwendigen Wohnungen bis 2026 wird diese Lage verschärfen. Diese Versiegelung (Boden wird luft- und wasserdicht abgedeckt) führt zur Hemmung von Gasaustausch und dem erschwerten Versickern von Regenwasser. Außerdem kann massive Versiegelung zu örtlichen Überschwemmungen führen, da bei starken Regenfällen Regenwasser nur in die Kanalisation gelangen kann, die auf solche Starkwetterereignisse nicht ausgerichtet ist. Regenwasser wird aufgrund unser Mischkanalisation immer sofort zu Abwasser und kann gar nicht erst zur Grundwasserversorgung beitragen. Deshalb hat sich der Senat bereits das Ziel gesetzt die Einleitung von Regenwasser ins Abwasser jährlich um ein Prozent zu minimieren. Versiegelung führt außerdem zur Störung von Bodenfruchtbarkeit – die Bodenfauna hat keinen Austausch mit Luft und Wasser und wird so nachhaltig geschädigt, Lebensraum kann gar nicht erst entstehen. Die Stadt wird erhitzt, da der Boden kein Wasser aufnehmen und Abgeben kann und somit keine Verdunstungskühle entsteht.

 

Die Entsiegelung von Flächen kann zu kleinen Naturoasen führen: so könnten einzelne Regengärten geschaffen werden. Regengärten sind mit Bäumen, Stauden und Sträuchern bepflanzte Versickerungsflächen, die Berlin langfristig wieder in eine Schwammstadt verwandeln sollen. Die Schwammstadt soll Wasser aufsaugen wie ein Schwamm, und es bei Notwendigkeit auch wieder abgeben. Regenwasser soll also vor Ort bleiben und vor Ort bewirtschaftet werden. Dazu eignen sich die bereits in Pilotprojekten erprobten Regengärten. Einzelne kleine Flächen müssen prioritär mit verschiedensten Pflanzen begrünt werden. Der Regen versickert dort bis zu einem Drittel besser als auf rasenbestandeten Anlagen, außerdem wird das Schadstoffpotential durch erhöhte Filterleistung minimiert und Rückzugsräume für Insekten, Vögel und Kleinsäuger entstehen. Die Entsiegelung von Flächen kann direkt mit dem Schaffen von Naturoasen verbunden werden.

 

In Berlin beträgt diese versiegelte Fläche 34% Prozent der Stadt, damit gehört Berlin, noch vor Städten wie Bremen und Hamburg, zu den 10 am stärksten versiegelten Kommunen Deutschlands. Dieses Problem hat auch der Senat erkannt und erhebt in verschiedenen Datenbanken Entsiegelungspotentiale. Damit der Senat seinen eigenen Lösungsstrategien folgt fordern wir:

 

  • Parks und Grünflächen dürfen abseits der Gehwege und dafür vorgesehener Sportflächen wie Skateparks nicht asphaltiert werden. Für die Gehwege soll außerdem geprüft werden, ob luft- und wasserdurchlässige Baumaterialien verwendet werden können.
  • Jede Flächenversiegelung muss durch eine Entsiegelung, sowie Herstellung der natürlichen Bodenverhältnisse auf der entsiegelten Fläche, auf dem Stadtgebiet, gepaart sein
  • Die Überprüfung sämtlicher unbebauter Flächen auf Entsiegelungspotential darf nicht stagnieren
  • Entsiegelung von Parkraumflächen, wo möglich
  • alle, dauerhaft nicht mehr genutzten, versiegelten Flächen müssen entsiegelt werden
  • die umfassende Ausstattung und Koordinierung der Entsiegelungssanstrengungen der Bezirksämter
  • das Pilotprojekt Regengarten muss besonders gefördert und erweitert werden
  • Regenwassergewinnung muss bei Neubau und Sanierung Prioritär behandelt werden und darf nicht direkt ins Abwasser weitergeleitet werden

 

Naturraum Fluss erhalten

Flüsse sind in Deutschland häufig leider nicht mehr Lebensraum von Pflanzen und Tieren. Der natürliche Flusslauf wurde begradigt, der Bootsverkehr führt zu Schadstoffen und hohem Wellenausschlag. So auch in Berlin. Viele der Boote auf der Spree sind alte Dieselkähne mit enormen CO2 Ausstoß. Circa 100 Fahrgastschiffe verkehren täglich auf den Berliner Gewässern und nur wenige von Ihnen sind mit Schadstofffiltern ausgerüstet. Und es gibt keine Auflagen, um den Schiffsverkehr zu modernisieren. Nur wenige Reedereien machen ihre Schiffe Umweltverträglicher und nur einzelne Fahren nicht mit Diesel.

 

Außerdem erkennen wir seit Jahrzehnten einen Rückgang von Röhrichtbeflanzung in unseren Gewässern, also auch Flüssen Die Röhrichtbestände in den Berliner Gewässern sorgen für natürlichen Lebensraum verschiedenster Tiere, doch Schiffsinduzierter Wellenschlag, ankernde Boote und Munitionsbergung führen zum Rückgang von Schilf und Schwimmpflanzenbeständen. Palisaden sollen nun vielerorts für den Schutz von Röhrichtbeständen sorgen. Dies muss auch in der Spree besonders beachtet werden. Inzwischen werden alle drei in die Spree fließenden Flüsse (Panke, Erpe und Wuhle) in umfassenden Teilen renaturiert, diese Zielsetzung sollte auch für die Spree gelten.

 

Berlin hat sich selbst das Ziel gesteckt auf einem Drittel der Uferlinien Röhricht wachsen zu lassen, um eine Begrünung voranzutreiben.

 

Um die Spree als grüne Wasserstraße innerhalb Berlins zu erhalten, fordern wir:

 

  • Der Senat muss vor allem den Bezirksämtern mehr Personal und finanzielle Mittel bereitstellen, um die schützenden Palisaden der Spree und anderer Gewässer zu pflegen, damit Röhricht wachsen kann.
  • Die Abgeordneten der SPD Fraktion im AGH und die Berliner SPD Abgeordneten Bundestag setzten sich für ein Verbot von Dieselbetriebenen Schiffsverkehr auf der Spree ein, um die CO2 und Schadstoffbelastung zu verringern.
  • Die Effekte von Geschwindigkeitsbegrenzung von Bootsverkehr, sowie ein Nachtfahrverbot auf der Spree müssen untersucht und ausgewertet werden, um daraufhin Maßnahmen zu erarbeiten, die den Lärmschutz und die Verringerung von CO2 Ausstoß gewährleisten.
  • Dieselben Anstrengungen sollen für alle weiteren Bundeswasserstraßen auf Berliner Gebiet angestrebt werden.

 

Antrag 211/II/2022 Clubkultur auch für das Klima

10.10.2022

Der menschengemachte Klimawandel stellt für die Menschheit die größte Herausforderung und Bedrohung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dar. Trotz dieser Gewissheit reichen die bisherigen globalen Klimaschutzbemühungen nicht aus, um eine ausreichende Antwort auf diese Gefahr zu geben. 2015 wurde bei der UN-Klimakonferenz das Pariser Klimaschutzabkommen beschlossen, welches den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf maximal 2°C, aber möglichst auf 1,5°C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau halten möchte. Das Pariser Klimaschutzabkommen sowie die Einhaltung der beschriebenen Zielstellungen betrachten wir dabei als elementar für eine lebenswerte Zukunft auf der Erde.

 

Leider entfaltet das Pariser Klimaschutzabkommen nicht die notwendige Wirkung. So ist stetig von neuen Höchstständen in den globalen Treibhausgasemissionen zu hören, während die Weltgemeinschaft schon lange den 1,5°C-Pfad verlassen haben. Wir möchten deutlich machen, dass selbst dieser Anstieg in der globalen Durchschnittstemperatur für Millionen von Menschen weltweit erhebliche Einschnitte in ihrem Leben bedeuten wird. Dabei sprechen wir nicht vordergründig von Einschnitten in unserem, sehr hohen Lebensstandard, sondern explizit von Einschnitten in das Leben von Menschen aus Regionen mit geringen Lebensstandards. Wir sprechen dort von dem Verlust von Lebensgrundlagen oder auch von möglichen Verteilungskämpfen über für das Leben essenzielle Bestandteile wie Trinkwasser. Hieraus wird deutlich, wie wichtig zeitnahe und hinreichende Fortschritte in der globalen Klimaschutzpolitik sind.

 

Die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) schafft dies bisher nicht, da sich unter anderem für Beschlüsse alle Staaten einig sein müssen, aber auch bei der Nicht-Einhaltung von Verpflichtungen keine einschneidenden Folgen für die jeweiligen Staaten bestehen. Als Folge findet innerhalb der Staatengemeinschaft ein Katz-und-Maus-Spiel statt, bei welchem kein Akteur einen für das 1,5°C-Ziel ausreichenden Schritt gehen will.

 

Die Idee des Klimaclubs will genau diese Hindernisse überwinden. Der Klimaclub würde Staaten umfassen, welche sich zur vertieften, gemeinsamen Zusammenarbeit im Bereich der Bekämpfung des Klimawandels zusammenfinden. Durch dieses Voranschreiten soll aufgezeigt werden, dass effektive Klimaschutzpolitik mit guter, zukunftssichernder und arbeitsplatzsichernder Wirtschaftspolitik einhergehen kann. Natürlich besteht die langfristige Vision darin, dass zunehmend möglichst viele weitere Staaten dem Klimaclub beitreten und somit den Wirkungsrahmen des Clubs erweitern.

 

Die Ampel-Koalition hat sich bereits im Koalitionsvertrag dazu verschrieben, sich für einen Klimaclub mit einem einheitlichen CO2-Mindestpreis und einem gemeinsamen CO2-Grenzausgleich einzusetzen. Innerhalb der G7-Präsidentschaft wurde bereits von Seiten des Bundeskanzlers versucht, diesem Ziel nachzugehen. Im Abschlusskommuniqué des G7-Gipfels in Elmau wurde in der Folge festgehalten, dass eine Gründung bis zum Ende des Jahres 2022 angestrebt wird.

 

In diesem Zeitraum gilt es, effektive Instrumente in den Klimaclub zu etablieren, sodass dieser die größtmögliche, positive Wirkung auf den Klimaschutz entwickeln kann.

 

Ein wesentlicher Bestandteil sollen verbindliche, 1,5°C-konforme Verpflichtungen für die Reduzierung von Emissionen durch die einzelnen Staaten in Verbindung mit wirksamen Sanktionsmechanismen sein. Durch die Sanktionsmechanismen soll die Einhaltung der Verpflichtungen verstärkt gesichert werden, was im bisherigen Rahmen nicht der Fall ist. Die Mitgliedstaaten sollen mit negativen Konsequenzen rechnen müssen, sobald ihre Anstrengungen nicht für die Einhaltungen der notwendigen Verpflichtungen ausreichen. Hieraus ergibt sich auch eine höhere Sicherheit für Staaten, welche ihre Verpflichtungen einhalten, nicht allein die immensen Kosten für die entsprechenden Treibhausgaseinsparungen zu tragen.

 

Um die Verpflichtungen hinsichtlich der Treibhausgasreduktion auch mit wichtigen Preisanreizen zu untermauern, braucht es eine adäquate CO2-Bepreisung. Hierbei bevorzugen wir ebenfalls die CO2-Steuer. Uns ist bewusst, dass durch eine CO2-Bepreisung besonders Menschen mit geringen Einkommen belastet werden. Vor diesem Hintergrund soll es innerhalb des Klimaclubs eine Pflicht geben, einen kompensierenden Anteil der staatlichen Einnahmen für den sozialen Ausgleich bei der Bekämpfung des Klimawandels zu nutzen.

 

Für die Überbrückung der bisherigen Hindernisse für eine Kooperation braucht es neben dem Anreiz, Fortschritte in der Klimaschutzbekämpfung zu erreichen, weitere Anreize für die Staaten hinsichtlich eines Beitritts. Eine Grundbefürchtung der Staaten ist es, durch die Auflage von strikteren Klimaschutzmaßnahmen die eigene Volkswirtschaft aufgrund erhöhter Kosten in eine nachteilige Wettbewerbsposition zu bringen. Hierauf aufbauend besteht ebenfalls die Gefahr des Carbon-Leakages durch Unternehmen mit emissionsintensiven Wirtschaftsaktivitäten. Dabei beschreibt das Carbon-Leakage den Prozess, bei welchem Unternehmen ihre Wirtschaftstätigkeiten aus Staaten mit strikteren Emissionsreduzierungsverpflichtungen in Staaten ohne bzw. mit geringeren Verpflichtungen verlegen. Hierdurch können Unternehmen Kosten reduzieren. Für den Klimaschutz wäre dieser Prozess fatal, da die Emissionen weiterhin entstehen, jedoch nicht durch verschiedene Instrumente reguliert werden würden.

 

Um dieser Problematik entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung mit einem CO2-Grenzausgleich bereits einen Ansatz ausgewählt. Dieser CO2-Grenzausgleich würde Importe in den Wirtschaftsraum des Klimaclubs anhand ihrer CO2-Emissionen bepreisen und somit ähnlich wie ein CO2-Zoll wirken. Für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten des Klimaclubs müsste die Höhe des CO2-Grenzausgleichs mindestens auf dem Niveau der eigenen CO2-Bepreisung liegen. Die Wettbewerbsfähigkeit bedarf einen Fokus auch aufgrund sozialer Aspekte, da hierdurch Arbeitsplätze gesichert und somit soziale Härten vermieden werden können.

 

Der Klimaclub muss für alle weiteren Staaten offenstehen, sobald klar definierte Beitrittskriterien erfüllt sind. Hierbei bedarf es einer besonderen Berücksichtigung für nicht-industrialisierte Staaten. Diese sollen beispielsweise durch zunächst vereinfachte Emissionsreduktionsverpflichtungen sowie einer über den bestehenden gemeinsamen globalen Klimafonds hinausgehenden finanziellen Unterstützung zum Beitritt ermutigt werden.

 

Zwar sollten wir nicht allein auf eine Rettung durch zukünftige Technologien hoffen. Dennoch ist die Erforschung sowohl der Klimakrise und ihrer Folgen als auch möglicher Lösungsansätze sinnvoll. Daher braucht es auch eine vertiefte Zusammenarbeit und Bereitstellung von Mitteln für Forschung durch die Mitglieder eines Klimaclubs. Hierdurch können gemeinsame Reduktionspotenziale effizienter und zeitnah genutzt werden, um schnell, effektiv und nachhaltig Emissionsreduktionen herbeiführen zu können.

 

Für uns müssen diese Instrumente den Weg in den Klimaclub finden, sodass die dringend nötigen Fortschritte in der globalen Klimaschutzpolitik möglich werden. Denn eines ist klar: Der Klimawandel wird nicht auf uns warten und wir haben keine Zeit mehr zu verlieren!

 

Forderungen:

 

Wir fordern vom sozialdemokratischen Bundeskanzler, von der deutschen Bundesregierung, der Bundes-SPD sowie der SPD-Bundestagsfraktion, innerhalb der Ausgestaltung des Klimaclubs:

  • sich für die Vereinbarung von verpflichtenden Emissionsreduktionen verbunden mit adäquaten, vertraglich festgehaltenen Sanktionen im Fall der Nicht-Einhaltung sowie für einen entsprechenden Kontroll- und Umsetzungsmechanismus einzusetzen.
  • auf die Einführung einer CO2-Bepreisung in für den Welthandel relevanten Sektoren der Schwerindustrie zu pochen, wobei explizite und implizite Preismechanismen, wie etwa CO2-Steuer, gleichermaßen anzuerkennen sind. Die Einnahmen dieser CO2-Bepreisung sollen zu einem klar definierten Teil für den sozialen Ausgleich der Belastungen, entstehend aus der CO2-Bepreisung, genutzt werden. Darüber hinaus sollte ein klar definierter Teil der Einnahmen der Finanzierung Klimaanpassungsmaßnahmen in den von der Klimakrise meist betroffenen Ländern, unabhängig der Club-Mitgliedschaft, gewidmet werden. Diese Mittel sollen bereits im Rahmen
  • der Klimarahmenkonvention versprochene Gelder ergänzen und nicht ersetzen. Für die Wahrung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit in den Mitgliedstaaten, welche für den Erhalt von Arbeitsplätzen elementar ist, soll ein wirksamer, ein mit den Regularien der Welthandelsorganisation (WTO) konformer CO2-Grenzausgleichsmechanismus geschaffen werden. Die Höhe der CO2-Bepreisung im Rahmen dieses Grenzausgleichsmechanismus muss daher mindestens auf dem Niveau der eigenen CO2-Bepreisung liegen.
  • zusätzliche Anreize auch für den Beitritt von nicht-industrialisierten Staaten zu schaffen, welche bisher nicht die finanziellen Mittel besitzen, den Weg zur Klimaneutralität zu beschreiten. Hierfür braucht es neben dem bestehenden gemeinsamen Klimafonds weitere finanzielle Hilfen der Besonders nicht-industrialisierte Staaten sollen durch leichtere Emissionsreduktionsverpflichtungen oder auch leichtere Bedingungen innerhalb der CO2-Bepreisung zu einem Beitritt ermutigt werden. So sollen sie einerseits in ihren Bemühungen unterstützt werden sowie andererseits endlich eine federführende Rolle in der Abwendung einer Krise zugewiesen bekommen, für die sie meist vergleichsweise wenig verantwortlich sind, deren Folgen sie aber überproportional tragen werden müssen.
  • neben CO2-Bepreisung sollte die Investition und Entwicklung neuer Märkte für klimafreundliche Technologien eine zentrale Säule der Arbeit des Klima-Clubs sein. Hierfür sollten sich Mitgliedstaaten zu Mindeststandards für Kohlenstoffgehalt in der öffentlichen Beschaffung und Vergabe verpflichten und diese in den Handelsbeziehungen durchsetzen. Ein Fokus dieser Arbeit sollte die Erschließung dieser Märkte in Nicht-Mitgliedstaaten sein, um das Risiko zu vermindern, dass zwei Wirtschaftsräume mit und ohne CO2-Bepreisung sowie klimaungünstige Wettbewerbsvorteile entstehen. Investitionen und klare Nachfragesignale sind wirksame Maßnahmen, bis Partnerländer sich CO2-Bepreisungssysteme und -Steuer erarbeiten, was über mehrere Legislaturperioden dauern kann.
  • eine gemeinsame Initiative zur Erforschung der Klimakrise und ihrer Folgen sowie möglicher Lösungsansätze zu starten. Hierfür soll ein gemeinsamer Fonds in angemessenem Umfang eingerichtet werden, welcher von den Mitgliedstaaten je nach Wirtschaftskraft gefüllt werden soll.
  • die zielorientierte Zusammenarbeit mit künftigen Präsidentschaften der G7, G20 sowie der Klimarahmenkonvention anstreben, um das Projekt weiterhin zu fördern.

Antrag 207/II/2022 Jenseits von Wasserstoffträumen – Endverbraucher*innen aller Länder, elektrifiziert euch!

10.10.2022

Eine erfolgreiche soziale Klimaschutzstrategie bedarf nicht nur des beschleunigten Ausbaus der erneuerbaren und Abbau der fossilen Energie, sondern auch eines strategischen und wissenschaftlich fundierten Einsatzes neuer Technologien in den richtigen Wirtschaftsbranchen. Dazu gehört eine realistische Wasserstoffstrategie frei von technologischen Fantasien und unangebrachtem Optimismus.

 

Wasserstoff stellt ein massives Problem für die Dekarbonisierung dar, welches bisher im öffentlichen Diskurs kaum thematisiert wird oder falls doch, dann in Verbindung mit fantastischen Erzählungen und unrealistischen Zukunftsvisionen der mächtigen Gaslobby zum Erhalt ihrer Industrie.

 

99 % des aktuellen Bedarfs von Wasserstoff entsteht durch die Industrieprozesse, in welchen er unter anderem als Chemierohstoff und in der Herstellung von Düngemitteln angewendet wird. Aktuell deckt die sogenannte „graue“ Quelle durch Methan-Dampfreformierung von Erdgas den weltweiten Wasserstoffbedarf fast ausschließlich ab. Dieser Prozess ist äußerst energieintensiv, sodass die Verbrennung grauen Wasserstoffs vielfach klimaschädlicher ist als die einfache Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle. Grauer Wasserstoff macht in seiner industriellen Endnutzung aktuell ungefähr 3 % der weltweiten Treibhausgasemissionen aus, einen ähnlichen Anteil wie der Flugverkehr.

 

Bei der Herstellung von „blauem“ Wasserstoff aus fossilen Quellen mit Kohlenstoffsequestrierung entstehen durch den Austritt von Methan im Gastransit sowie unzureichende Sequestrierungstechnologie erhebliche Effizienzlücken. Die Verbrennung blauen Wasserstoffs kann also immer noch bis zu 20 % treibhausgasintensiver sein als die Verbrennung von Erdgas. Die Erfassung und Verringerung von den genauen Emissionen dieser Wasserstoffquelle sind äußerst komplex und könnten Jahre dauern.

 

Die einzig erneuerbare Quelle von Wasserstoff ist die Elektrolyse von Wasser anhand erneuerbaren Stroms, wobei die relevanten Technologien noch im Frühstadium sind und der Strombedarf für eine Dekarbonisierung des heutigen Wasserstoffbedarfs fast der dreifachen Menge an Wind- und Solarstrom bedürfte, die die Welt 2019 produziert hat.

 

Viele Regierungen setzen auf Wasserstoff als Zukunftstechnologie, ohne zwischen den unterschiedlichen technologischen und geographischen Quellen zu differenzieren und/oder die prioritären Wirtschaftsbranchen für dessen Endverbrauch zu definieren, wo günstigere, effizientere und sozial vertretbare Lösungen bereits bestehen.

 

Die Ampelregierung verlässt sich in ihrer Klimaschutzstrategie ebenfalls auf grünen Wasserstoff und setzt sich eine Elektrolysekapazität von rund 10 Gigawatt im Jahr 2030 zum Ziel. Im Koalitionsvertrag 2021 steht, dass grüner Wasserstoff vorrangig in den Wirtschaftssektoren genutzt werden sollte, in denen es nicht möglich ist, Verfahren und Prozesse durch eine direkte Elektrifizierung auf Treibhausgasneutralität umzustellen. Parallel sieht der Koalitionsvertrag jedoch die Errichtung moderner Gaskraftwerke mit Kapazität zur Umstellung auf klimaneutrale Gase, d.h. die Verbrennung grünen Wasserstoffs zur Stromerzeugung, vor.

 

Auch bei den modernsten Elektrolyseanlagen entsteht eine Effizienzlücke von ungefähr 20 % und bei der Verbrennung der Derivate geht weitere Energie verloren, sodass die Wiedergewinnung grünen Stroms aus grünem Wasserstoff mit entsprechenden Kosten verbunden ist. Die Verbrennung von grünem Wasserstoff außerhalb seiner bestehenden industriellen Einsätze und beschränkter sonstiger zukünftiger Nutzungen wie etwa im Luft- und Schiffsverkehr ist also aufgrund der daraus entstehenden Kosten weder klimapolitisch noch sozial vertretbar.

 

Wir fordern daher:

 

  • die weitreichende, schnelle und direkte Elektrifizierung als Grundsatz unserer Klimaschutz- und Energiepolitik. Das Versprechen vom grünen Wasserstoff soll nicht von mächtigen Lobbys dafür missbraucht werden, die Elektrifizierung von Wärme und Verkehr durch bereits bestehende Technologien zu verzögern und damit die Gewinne der Fossilindustrie noch bis 2050 zu maximieren.
  • wertvollen grünen Wasserstoff sollte man ausschließlich in schwer dekarbonisierbaren Sektoren zu nutzen, wo Wasserstoff gesellschaftlich und ökologisch nützlich sowie technologisch unverzichtbar ist.
  • die Verbrennung von grünem Wasserstoff zur Stromerzeugung nur in den Fällen zu erlauben, wo die Herstellung dessen Speicherkapazität zum Ausgleich saisonaler Schwankungen in der erneuerbaren Energie anbietet.
  • die Einspeisung von grünem Wasserstoff ins allgemeine Gasleitungsnetz abzulehnen. Stattdessen sollten in geeigneten Fällen die Hausheizung entkarbonisiert und Haushalte von Kosten entlastet werden, indem die Abwärme von der wasserstoffbetriebenen Produktion in Fern- und Nahwärmenetzwerke genutzt wird. Hierfür fordern wir die Investition in leistungsstarke Wärmespeicher, um eine stabile Energielieferung zu sichern.

 

 

Antrag 174/II/2022 Für Medien ohne Kapitalismus: Öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukunftssicher und gerecht finanzieren

10.10.2022

Nach dem zweiten Weltkrieg, in dem Propaganda über die neu aufkommenden Massenmedien eine zentrale Rolle bei der Verbreitung des menschenfeindlichen und antisemitischen Weltbildes der Nationalsozialist*innen hatte, wurde das Rundfunksystem in Deutschland neu aufgebaut. Nach dem Vorbild der britischen BBC entstand auch in der Bundesrepublik ein duales Rundfunksystem. Das bedeutet, dass es neben kapitalistisch finanzierten Medienunternehmen auch Rundfunkmedien gibt, die nicht primär den Logiken des Kapitalismus unterworfen sind, sondern größtenteils durch die Öffentlichkeit finanziert werden.

 

Die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird vertraglich zwischen den Bundesländern in einem Staatsvertrag geregelt. Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung auch in der Medienbranche wurde dieser 2020 als Medienstaatsvertrag neu abgeschlossen – früher hieß es nur Rundfunkstaatsvertrag. In diesem Medienstaatsvertrag wird die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks definiert als “Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen”. Damit wird an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk höhere gesellschaftliche und demokratische Ansprüche gestellt als an privatwirtschaftlich finanzierte Medienunternehmen.

 

Zu Beginn des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschränkte sich das Angebot vor allem auf Radiosender sowie das Fernsehprogramm der ARD (Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland). Zur Umsetzung des rechtlichen Auftrags wurde das Angebot stetig ausgeweitet. Mittlerweile umfasst es diverse Fernsehprogramme, Radiosender, sowie Angebote wie funk, die ausschließlich im Internet ausgestrahlt werden.

 

Mit dieser Ausweitung und der gestiegenen Konkurrenz durch private Rundfunkanbieter*innen sowie den zunehmenden feindlichen Bewegungen gegen freie Medien und deren Berichterstattung – insbesondere gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – entbrennen immer wieder Diskussionen über die Sinnhaftigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diese machen sich ebenfalls oft an der Finanzierung fest, sowie an der angeblich mangelnden Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Obwohl der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen klaren rechtlichen Auftrag durch die Bundesländer bekommt, ist er dennoch unabhängig von politischer Einflussnahme. Dies ergibt sich aus Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Staatsferne des Rundfunks sowie die Pressefreiheit schützt. Zwar gibt es immer wieder – berechtigte – Kritik an der Zusammensetzung der Aufsichtsgremien, wie dem ZDF-Fernsehrat, in dem auch Politiker*innen vertreten sind. Dennoch ist die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unabhängig von politischer – und auch weitestgehend auch kapitalistischer – Einflussnahme.

 

Diese Staatsferne zeigt sich auch in der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag geregelt wird. Die Höhe des finanziellen Bedarfs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird von der Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) festgelegt. Die Kommission, deren Mitglieder unabhängige Sachverständige sind und von den Regierungschef*innen der Länder berufen werden, gibt den Regierungen der Bundesländer alle zwei Jahre Auskunft über die finanzielle Situation der Bundesländer. Dabei gibt sie abwechselnd einen Zwischenbericht oder eine Empfehlung zur Beitragshöhe ab. Die Beitragshöhe wird nach der Empfehlung der KEF durch die Landesparlamente verabschiedet. Allerdings wird auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk teilweise (unter zehn Prozent) durch Werbung und Sponsoring mitfinanziert. Somit werden ca. 90 Prozent der Einnahmen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus den Gebühren der Allgemeinheit generiert.

 

Wer diese Gebühr entrichten muss, hat sich in der Vergangenheit ebenfalls geändert. Zunächst musste die Gebühr nur entrichtet werden, wenn es ein Rundfunkgerät in einem Haushalt gab. Durch die Digitalisierung und der Tatsache, dass die meisten Menschen mindestens ein Endgerät zur Verfügung haben, um Rundfunk zu empfangen, wurde dies 2010 in eine Haushaltspauschale – unabhängig von der Anzahl der Rundfunkgeräte – umgestellt. Seit 2013 muss jeder Haushalt in Deutschland den gleichen Rundfunkbeitrag errichten. Ausnahmen gibt es dabei u.a. für Sozialhilfeempfänger*innen, sowie Bafög-Empfänger*innen, Empfänger*innen der Grundsicherung. Menschen, die Wohngeld beziehen oder Arbeitslosengeld I sind allerdings zur Entrichtung der Gebühr verpflichtet. Zwar gibt es die Möglichkeit einen Härtefallantrag zu stellen. Das Problem, dass alle – unabhängig vom Einkommen – die gleiche Gebühr entrichten müssen, bleibt dennoch. Für Menschen mit geringem Einkommen können die monatliche Abgabe von 18,36€ durchaus eine massive finanzielle Belastung darstellen, während es für andere überhaupt kein Problem darstellt.

 

Trotz dieser Ungerechtigkeit in der Finanzierung ist für uns klar, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein zentraler Pfeiler der Demokratie ist. Ohne freie Medien ist ein demokratischer Diskurs und demokratische Entscheidungen nicht möglich. Anders als private Rundfunkanbieter muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht um ausbleibende Finanzierung fürchten, wenn kritisch über Wirtschaftsthemen berichtet wird oder bestimmte Einschaltquoten verfehlt werden. Durch die öffentliche Finanzierung wird darüber hinaus eine Themen- und Programmvielfalt sichergestellt, die im privat-finanzierten Rundfunk aufgrund des Drucks der Einschaltquoten keinen Bestand hätten. Durch die sichergestellte Finanzierung wird außerdem Journalist*innen die Möglichkeit gegeben, langfristig und investigativ zu recherchieren. So können seriöse Informationen generiert werden, die insbesondere in den heutigen Zeiten, in denen Fake News zur Tagesordnung gehören, von besonderer Relevanz sind. Wir sprechen uns entschieden gegen neoliberale Ideen aus, die die Privatisierung oder Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fordern. Diese Tendenzen sind allerdings durchaus ernst zu nehmen. So wird nach Willen der britischen Regierung die BBC ab 2027 nicht mehr über Gebühren finanziert, sondern durch Abonnements und Teilprivatisierung. Auch in Deutschland kam es 2020 zu einem Eklat, als sich der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Reiner Haseloff (CDU) gegen die von der KEF beschlossene Erhöhung der Rundfunkgebühr stellte und dies nicht im Landtag zur Abstimmung brachte. Erst nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde der Beitrag vorläufig erhöht.

 

Wir erkennen an, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch in Deutschland nicht frei von Fehlern ist. Anstatt ihn aber aufgrund seiner ungerechten Finanzierung abschaffen zu wollen, wollen wir die Finanzierung reformieren, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerechter und unabhängiger zu finanzieren. So wollen wir sicherstellen, dass der wichtige Beitrag, den der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Demokratie leistet, auch weiter geleistet werden kann.  

 

Die offensichtlichste Lösung wäre es, den Rundfunkbeitrag in eine Steuer umzuwandeln. Dies ist allerdings nicht möglich, da eine ‘normale’ Steuer, gegen die in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschriebene und enorm wichtige Staatsferne des Rundfunks verstoßen würde. Allerdings gibt es in Deutschland bisher eine ‘Steuer’, deren Höhe ebenfalls nicht von der Politik festgelegt wird – die Kirchensteuer. Die Höhe dieser wird seitens der jeweiligen Religionsgemeinschaft selbst festgelegt und von den Finanzämtern gegen eine Gebühr eingezogen. Diesen Weg wollen wir auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einschlagen. Die Einflussnahme des Staates ist dabei weiterhin so gering wie möglich zu halten. Besonders vor dem Hintergrund, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch die Allgemeinheit finanziert wird und eine tragende Säule unserer Demokratie ist, ist Vorwürfen von Missbrauch der Rundfunkgelder entschieden nachzugehen. Dies betrifft insbesondere die aktuelle Situation um die ehemalige Intendantin des rbb, Patricia Schlesinger. Die mutmaßliche Ausgabe von Rundfunkgeldern für private Luxusessen und teure Dienstwägen ist nicht hinzunehmen. Hier bedarf es einer nachhaltigen Aufklärung der Vorwürfe sowie einer Analyse und einer Reflexion der Prozesse, die die Nutzung und Verteilung von finanziellen Mitteln im rbb genehmigen und kontrollieren sollen. Es muss klar sein, dass die größtmögliche Transparenz in der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks notwendig ist. Die Gelder, die durch die Rundfunkbeiträge generiert werden, müssen zwingend transparent, verantwortungsbewusst und bedarfsgerecht verteilt werden.

 

Konkret fordern wir daher die sozialdemokratischen Mitglieder der Landesparlamente auf, darauf hinzuwirken, dass

 

  • die KEF den Rundfunkbeitrag zukünftig als Prozentzahl in Relation zum Einkommen festlegt wird. Der Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag ist entsprechend zu ändern.
  • die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks so zu gestalten, dass zukünftig eine Finanzierung ohne Werbe- und Sponsoringeinnahmen möglich ist.
  • die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch zukünftig sichergestellt wird.
  • ein transparenter, verantwortungsvoller und bedarfsgerechter Umgang mit den Beitragsgeldern gewährleistet wird.