Archive

Antrag 249/I/2024 Dem Nachtzug endlich wieder Bahn brechen - für ein neues Steuer-, Subventions- und Investitionskonzept Nachtreise

21.04.2024

Nachtzugreisen haben im Durchschnitt eine 28-mal geringere Klimabelastung als Flugreisen. Sie stellen also eine wichtige Lösung für die klimafreundliche Mobilität dar und erleben deswegen gerade langsam ein Comeback. Es bleibt allerdings noch viel zu tun, um Fahrgäste vom Flugzeug auf die Schiene zu verlagern und diesen Umstieg sozial zu gestalten.

 

Das Netz der Nachtzüge in Europa ist seit dem Jahr 2000 erheblich zurückgegangen. Auf nationaler und auf europäischer Ebene wurde das Angebot an Nachtzügen in ganz Europa erheblich reduziert und ist in einigen Ländern sogar ganz verschwunden. Jahrelange Unterinvestitionen haben die Zuverlässigkeit und den Komfort verringert, so dass sie bei den Reisenden unbeliebt sind. Mit dem Aufkommen von Billigfluglinien wurden Schlafwagenzüge nicht mehr wettbewerbsfähig und für viele unbezahlbar, und ihre Rentabilität ging weiter zurück.

 

Seit 2020 werden jedoch einige neue Nachtzugverbindungen eingerichtet, zum Teil als Reaktion auf die wachsende Dringlichkeit, auf kohlenstoffarme Verkehrsträger umzusteigen. So werden beispielsweise Brüssel und Berlin nun endlich wieder mit einem Nachtzug verbunden.

 

Dennoch erleidet dieses Comeback sowie das Geschäftsmodell der Nachtzüge im Vergleich zum Flugzeug strukturelle und rechtliche Nachteile. Auf langen Strecken müssen die Züge hohe Kosten für die Nutzung der Schieneninfrastruktur tragen. Infolgedessen ist es oft teurer für die Fahrgäste, wenn sie die gleiche Strecke mit der Bahn zurücklegen, trotz der deutlich besseren Kohlenstoffintensität dieses Verkehrsträgers.

 

Aus diesem Grund braucht es schnellstmöglich massive Kostensenkungen von Bahntickets im Nachtzugbereich sowie generell für alle Bahnfahrten. Wir bekräftigen daher erneut unsere Forderung, dass die Deutsche Bahn endlich wieder allgemeinwohlorientiert ausgestaltet wird und mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet wird. Die Deutsche Bahn muss endlich ihre Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge und der klimaverträglicheren Mobilität umfassend nachkommen. Der Bereich der Nachtzugreisen muss dabei entsprechend gefördert werden.

 

Daher fordern wir:

  • Die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Nachtzugtickets auf Bundesebene sowie gezielte europäische Zusammenarbeit, um Steuersenkungen in diesem Sektor zu erreichen.
  • Die Erstattung von Energiekosten und Trassenpreisen für internationale Bahnbetreiber*innen durch die Bundesregierung.
  • Die weitestgehende Senkung der Trassen- bzw. – Gleisnutzungspreise für den Nachtzugverkehr im deutschen Schienennetz . Staatliche Subventionen und Investitionen für den Erwerb von neuen, besser ausgestatteten Schlafwagen, um die Kapitalkosten für Bahnbetreiber*innen zu senken.
  • Mehr Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Bahn und weiteren europäischen Bahnbetreiber*innen, um die Erschließung neuer Nachtzugverbindungen.
  • einen massiven Ausbau von grenzübergreifenden Nachtzugstrecken.

 

Antrag 271/I/2024 Es klappert die Mühle am rauschenden Bach – doch wem gehört der Bach?

21.04.2024

Shocking Fact: Wasser ist wichtig und wird knapper

Der 3. Juli 2023 war der weltweit heißeste Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1880. Dass solche Negativrekorde immer häufiger auftreten, zeigte sich in diesem Sommer kurz darauf: Einen Tag später, am 4. Juli, wurde dieser Rekord wieder gebrochen. Unwahrscheinlich, dass die Durchschnittstemperatur von 17.18°C der letzte Negativrekord bleiben wird.

 

In Zeiten steigender Temperaturen sind Hitzeperioden kein seltenes Phänomen. Die Folgen der Klimakrise wirken sich unlängst auf sämtliche Lebensbereiche aus. So wurden in den letzten Jahren die Herausforderung auf die Wasserwirtschaft immer größer. Wasserknappheit wird dadurch immer öfter saisonal und regional zu einem Problem und einer großen Gefahr für viele Gruppen der Gesellschaft. Immer mehr Nutzer*innen werden zukünftig über die knapp werdende Ressource Wasser konkurrieren. Diese Konflikte können auf das internationale Parkett kommen, wie bei dem Beispiel von Äthiopiens Staudamms für den Oberlauf des Nils, wodurch Ägypten die Wasserversorgung bedroht sieht oder beim Staudamm der Türkei vom Euphrat und Tigris, wodurch ähnlicher Ärger in Syrien und Irak aufgekommen ist. Die Sorge vor den viel zitierten Kriegen um Wasser wächst durch die Klimakrise.

 

Doch auch ohne die Androhung von Gewalt steigt der Konflikt, wenn der Grundwasserspiegel weiter sinkt und sich große Unternehmen den Zugriff auf das immer knapp werdende Wasser werden wollen. Unlängst sind die Beispiele wie das von Nestlé bekannt, in denen der Konzern die Wasserrechte von staatlichen Wasserbehörden kauft. Das erlaubt dem Unternehmen, Wasser direkt aus dem Grundwasser (unterhalb der Erdoberfläche) abzupumpen. Die lokale Bevölkerung geht oft leer aus oder muss horrende Preise fürs abgepackte Wasser zahlen.

Die Vereinten Nationen haben das das Recht auf „einwandfreies und sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung“ als ein Menschenrecht eingestuft- zwar erst seit 2010. Doch dieser UN-Beschluss ist nicht bindend für die Mitgliedsstaaten. So haben laut UN-Weltwasserbericht immer noch rund 2,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu einer sicheren Trinkwasserversorgung.

 

Bei starker Hitze ist nicht nur genügend Trinkwasser besonders entscheidend. Auch der Zugang zum Wasser in Form von Seen und Flüssen ist wichtig, um dort die Möglichkeit einer Abkühlung und Erholung zu ermöglichen. Gerade in Zeiten steigender Preise und finanzieller Unsicherheiten ist für viele Menschen die örtlichen Naherholungsgebiete die einzige Möglichkeit zur Abkühlung.

 

Doch auch hier zeigt der Kapitalismus sich wieder von seiner hässlichsten Seite: Viel zu oft ist der Zugang zu Seen oder Flüssen stark eingeschränkt oder komplett unmöglich, weil angrenzende Grundstücke privatisiert oder verpachtet wurden. Es scheint, dass der öffentliche See nur für diejenigen zugänglich wird, die viel Geld haben. Während die Reichen ihre Privilegien genießen, wird die Klimakrise für arme Menschen immer mehr zu einer Bedrohung.

 

Rechtsprechung: It’s complicated

Der Druck, die Wasserversorgung innerhalb der EU zu privatisieren, nimmt zu. Lobbygruppen und Konzerne setzen sich seit Jahren dafür ein. Doch warum das eine schlechte Idee ist, haben unfreiwillige Reallabore längst gezeigt:

Die Euphorie der Privatisierungen in den 1990er Jahren hat auch Berlin erfasst, als unter Senatsführung der CDU die Berliner Wasserbetriebe teilprivatisiert wurden. Statt wie versprochen neue Arbeitsplätze zu schaffen, wurden viele Arbeitsplätze eingestampft. Gleichzeitig zogen die Wasserpreise an. In Berlin hat sich die Bevölkerung gewehrt – das Wasser ist jetzt wieder in öffentlicher Hand und die Preise für das Trinkwasser sind wieder zurückgegangen.

 

Auch in der portugiesischen Stadt Pacos de Ferreira steig der Trinkwasserpreis nach der Privatisierung in sechs Jahren um 400 % an.

Wie drastisch die Lage auf nationaler Ebene werden kann, zeigt Chile, wo die Wasserversorgung seit 1981 nahezu vollständig privatisiert wurde. Mittlerweile konzentrieren sich die Besitzverhältnisse auf wenige mächtige Großunternehmen, die Preise diktieren können und den Spekulationsmarkt boomen lassen. Die extremen Dürren, unter denen Chile oft leiden muss, werden dadurch immer schwieriger zu bewältigen – insbesondere für die ärmeren Gruppen der Bevölkerung auf dem Land, die sich das Wasser nicht mehr leisten können.

 

2014 ist die EU-Kommission mit einem Versuch gescheitert, die Privatisierung der Wasserversorgung über die so genannte Konzessionsrichtlinie voranzutreiben. Für Wasserversorgung und -entsorgung sollte jede Verfügungsbewilligung EU-weit ausgeschrieben werden. Schon damals wurde deutlich, dass dadurch Gemeinden unter Preisdruck von global agierenden Konzernen geraten würden, wodurch auf massiven öffentlichen Druck Wasser aus der Richtlinie ausgenommen wurde – vorerst. Eine EU-weite Regelung über die Verhinderung der Privatisierung von Wasser gibt es dementsprechend nach wie vor nicht.

 

Für die Bürger*innen der Bundesrepublik folgt aus dem Grundrecht auf Leben und Gesundheit und dem Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz ein Anspruch auf qualitativ angemessene Versorgung mit Trinkwasser als Bestandteil des zu sichernden Existenzminimums. Die der Allgemeinheit dienende Wasserversorgung ist Aufgabe der Bundesländer und Gemeinden. Dabei können die Kommunen sich von privaten Unternehmen unterstützen lassen, solange sie die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen. Was bleibt, ist eine Hintertür für zukünftige Privatisierungen. Auch können schon jetzt einzelne Wasserquellen wie Brunnen in Privatbesitz gelangen. Schon jetzt kommt es zu ersten örtlichen Verteilungskonflikte zwischen Mineralwasserunternehmen und der lokalen Wasserwirtschaft über die Frage, wer bei der Nutzung lokaler Wasserressourcen den Vorrang hat.

 

Verteilungskämpfe zwischen den Bundesländern und Kommunen um die Ressource Wasser zeichnen sich bereits ab: Die Tagebaugruben der Lausitz werden aktuell mit Pumpen von Grundwasser trocken gehalten. Das Wasser aus den Tagebauen speist momentan die Spree. Wenn diese Tagebaue nun stillgelegt werden, wird die Senkung des Flusspegels zusätzlich zum allgemein sinkenden Grundwasserspiegel verstärkt.

 

Um den Flusspegel der Spree und damit den Trinkwasserhaushalt Berlins zu sichern, ist ein „Überlaufkanal“ zwischen Elbe und Spree geplant, der bei Wasserknappheit der Spree überschüssiges Wasser aus der Elbe in die Spree einleiten soll. Diese Vorschläge stoßen nicht bei allen Menschen in Sachsen und Südbrandenburg auf große Begeisterung. Ein Konflikt um die wenigen Wasserressourcen zeichnet sich bereits jetzt ab.

 

Auch die Verwendung des Wassers in den dann gefluteten Tagebaugruben der Lausitz ist nicht abschließend geklärt. Im schlimmsten Fall beanspruchen die Betreiber*innen der ehemaligen Tagebaue das Wasser und Kommunen müssen zur Verwendung des Wassers zahlen.

 

Auch der Zugang zum fließenden Wasser ist nur eingeschränkt möglich. Während des Gewässerbett nicht eigentumsfähig sein können, dürfen die angrenzenden Landflächen das sehr wohl sein. Der Zugang zum öffentlichen Wasser kann dadurch erheblich eingeschränkt werden, auch wenn rechtlich die Nutzung von oberirdischen Gewässern klar erlaubt ist.

 

Do it like Slovenia – Grundrecht auf Trinkwasser

Slowenien hat 2016 als erstes Land in der Europäischen Union das Recht auf Trinkwasser zur Verfassung hinzugefügt. Damit wird der Zugang zum „flüssigen Gold des 21. Jahrhunderts“ rechtlich gesichert. Insbesondere von Armut betroffene Gruppen der Gesellschaft haben damit einen Rechtsanspruch. Ebenso wird auch für die Zukunft verhindert, dass Wasser zur Ware wird und Wasserquellen privatisiert werden.

 

Eine Festschreibung des Grundrechts auf Zugang zum Trinkwasser auch in das Grundgesetz ist nur der logische Schritt.

 

Weg mit den Villen und rein ins Wasser

Den See sehend, aber nicht erreichend, ist bei hochsommerlichen Temperaturen ein bekanntes Ärgernis. Oft verhindern private Badebereiche und Privatgrundstücke Zugang zum Wasser, wobei der See öffentliches Gut ist. Hier muss sichergestellt werden, dass für die Mehrheit der Gesellschaft der Zugang nicht abgeschnitten werden kann. Ähnliches fordern unsere Genoss*innen der SPÖ mit einem „Recht auf Natur“ auf Verfassungsebene, damit sich in Zukunft nicht immer mehr Menschen auf wenige Quadratmeter quetschen müssen, während Reiche ihre eigenen Privatkilometer Zugang haben.

 

Water we waiting for?

Daher fordern wir:

  • Die Aufnahme des Grundrechts auf Trinkwasser ins Grundgesetzt nach slowenischem Vorbild, um die Vorrangstellung der Trinkwasserversorgung in Konkurrenz zu anderen Wassernutzungen ist klarzustellen sowie um eine Privatisierung von Trinkwasser zu verhindern.
  • Die Aufnahme des Rechts auf freie Natur im Grundgesetz, damit öffentliches Wasser nicht nur den Reichen zugänglich sein darf
  • Ein Vorkaufsrecht für Länder und Kommunen, um neue Flächen an Seezugängen zu erwerben und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Dafür sollen ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Öffentliche Seegrundstücke gelten ab dann als unverkäuflich und dürfen nur im Rahmen der öffentlichen Zugänglichkeit verpachtet werden.
  • Bei Wasserflächen, wo aktuell kein bis kaum ein öffentlicher Zugang existiert, müssen Lösungen zugunsten der öffentlichen Zugänglichkeit gefunden werden. Auch vor Vergesellschaftungen darf nicht zurückgeschreckt werden.
  • Eine stärkere lokale, nationale und internationale Koordinierung zu faireren Wasserverteilung, um Engpässe zu vermeiden
  • Mehr Investitionen in die Infrastrukturen der Wasserwirtschaft und in den Naturschutz, um die Resilienz der Wasserwirtschaft zu stärken und damit der Grundwasserpegel nicht weiter sinkt.
  • Uns ist bewusst, dass es auf klimapolitische Herausforderungen nur globale Antworten geben kann. Daher bedarf es verbindliche Regelungen zur Privatisierung der Wasserversorgung. Als einen ersten Schritt fordern wir gesamteuropäische Lösungen für die Sicherstellung vom Grundrecht Wasser und den Zugang zum öffentlichen Gut.

 

Antrag 276/I/2024 Das sechste Massenaussterben verhindern – Wege gegen das Artensterben

21.04.2024

Wir leben in einer Zeit der multiplen ökologischen Krisen. Während die Klimakrise endlich einen wichtigen Platz in der öffentlichen Debatte gefunden hat, wird über die zweite große ökologische Krise kaum diskutiert: das Artensterben. Jeden Tag sterben derzeit 150 Tier- und Pflanzenarten für immer aus. Einmal ausgestorben, wird eine Art nie wieder zurückkehren.

 

Es gab in der Erdgeschichte fünf große Massenaussterben, bei denen jeweils ein großer Teil der Tier- und Pflanzenarten auf der Erde ausgestorben ist. Das Leben insgesamt ging zwar weiter, hat aber jeweils Millionen von Jahren gebraucht, um sich davon zu erholen. Das letzte große Massenaussterben fand vor 65 Millionen Jahren statt, als durch einen Meteoriteneinschlag unter anderem die Dinosaurier vollständig ausstarben. Die aktuelle Rate des Artensterbens hat eine Geschwindigkeit erreicht, dass Wissenschaftler*innen mittlerweile vom sechsten großen Massenaussterben der Erdgeschichte sprechen. Auf jeden Fall ist die Rate des Aussterbens mittlerweile so hoch wie seit 65 Millionen Jahren nicht mehr. Der Hauptgrund dafür ist ähnlich wie bei der Klimakrise der Mensch. Durch menschliches Handeln und unsere Art zu Leben und zu Wirtschaften schränken wir viele Tiere und Pflanzen in ihren Lebensräumen immer weiter ein und bedrohen so ihre Existenz. Daher müssen die Menschen auch ihren Teil zur Lösung des Problems beitragen.

 

Die Ökosysteme auf der Erde sind sehr komplex und aufeinander abgestimmt. Ein Wegfallen von Arten aus diesen kann zum Kollaps ganzer Ökosysteme führen und wird so zwangsläufig am Ende auch den Menschen selbst betreffen.

Artenschutz ist ein absolutes Querschnittsthema, dass sich durch alle Bereiche menschlichen Handelns und durch unser Verhältnis und unseren Umgang mit der Umwelt insgesamt zieht.

 

Artenschutz für alle

Einzelne Artenschutzprogramme wie das indische Programm zum Tigerschutz zeigen, dass es möglich ist, dass sich durch entsprechendes Eingreifen die Bestände bedrohter Arten erholen können. Während der Tigerbestand dort zum Minimum nur noch bei 1400 freilebenden Tieren lag, sind es mittlerweile, gut 10 Jahre später, wieder über 3600. Auch weitere Projekte dieser Art zeigen Erfolge.

 

Es ist aber klar, dass es sich dabei nur um einzelne Leuchtturmprojekte handelt, die lediglich einzelne Arten schützen. Bei 150 aussterbenden Arten täglich ist dies nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Artenschutz muss weitergedacht werden. Durch Schutzprogramme für Einzelarten kann das Massenaussterben nicht verhindert werden. Außerdem ist es wichtig, dass alle Tier- und Pflanzenarten geschützt werden. Hierbei darf es keine Priorisierung geben, wie attraktiv eine Art für den Menschen erscheint. Danach hätte immer der Schutz großer Säugetierarten Priorität. Es ist aber insbesondere der Schutz von Insekten- und Pflanzenarten wichtig, da diese oftmals entscheidend für das Funktionieren von Ökosystemen sind.

 

Wir fordern:

  • Artenschutz ganzheitlich zu denken, statt sich im Schutz einzelner Arten zu verlieren
  • dass insbesondere der Schutz von Pflanzen sowie von Insekten mitgedacht wird

 

Artensterben und Klimakrise – Die großen ökologischen Krisen gemeinsam denken

Die beiden großen ökologischen Krisen unserer Zeit verstärken sich gegenseitig. Durch die rasante Erhitzung der Erde verändern sich Ökosysteme so schnell, dass sich viele Arten nicht in ausreichender Geschwindigkeit daran anpassen können. Polkappen und Gletscher schmelzen, Meere erwärmen sich, Savannen verwüsten und Regenwälder werden geschwächt. All das führt zum Wegbrechen von Lebensräumen für die dort lebenden Arten. Daher ist Klimaschutz der beste Artenschutz.

 

Aber auch die Natur ist eine große CO2-Senke und bremst die Klimaerhitzung. Das Aussterben von Arten und der Kollaps von Ökosystemen können also einen Kipppunkt im Klimasystem darstellen und die Klimakrise vorantreiben.

 

Diese beiden Krisen müssen also zusammen gedacht und gelöst werden. Artenschutz ohne ein Bremsen der Klimakrise wird nicht funktionieren und Klimaschutz ohne ein Bremsen des Artensterbens führt zu schlechten Ergebnissen.

 

Ein scheinbarer Konflikt zwischen Klima- und Artenschutz stellt sich bei der Betrachtung von Windkraftanlagen. Von Kritiker*innen wird immer wieder das Argument hervorgebracht, dass Vögel in die Rotorblätter fliegen und so sterben könnten. Dieses Argument ist für uns nichtig, da es erstens durch Studien belegt ist, dass die Anzahl der Vögel, die auf diese Art sterben, gering ist. Zweitens überwiegen der Klimaeffekt durch Windräder und damit auch die Vorteile für den Artenschutz deutlich.

 

Wir erneuern daher alle unsere klimapolitischen Forderungen und fordern:

  • das Artensterben und die Klimakrise immer gemeinsam zu denken
  • eine ambitionierte Klimapolitik entlang der Leitlinien des Pariser Abkommens
  • eine bundesweite CO2-Neutralität bis spätestens 2040

 

Den menschlichen Fußabdruck in unserer Umwelt bedenken

Nicht nur die menschengemachte Klimaerhitzung setzt der Artenvielfalt zu, auch unser Umgang mit der Natur insgesamt hat viele negative Auswirkungen auf die Biodiversität. So sind es insbesondere menschliche Produkte, die wir in der Natur verteilen, wie Plastikmüll oder Düngemittel, die vielen Arten erheblich zusetzen. Hier muss stärker reguliert werden. Wir unterstützen daher Initiativen, die auf kommunaler, Landes-, Bundes- oder Europaebene versuchen, den Plastikmüll zu reduzieren. Wichtig ist, dass bei diesen Maßnahmen auch Mikroplastik berücksichtigt wird, da dieser vielen Tierarten besonders zusetzt.

 

Beim Einsatz von Düngemitteln oder Pestiziden muss genau darauf geachtet werden, wie weit diese Tier- und Pflanzenarten belasten und im Zweifel töten, gegen die das Mittel gar nicht wirken soll. Solche Kollateralschäden müssen vermieden werden. Bei der Zulassung dieser Stoffe muss das Vorsorgeprinzip gelten, d.h. dass Pestizide oder Dünger nur zugelassen werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass sie der Natur nicht übermäßig schaden, genauso wie auf die potentiellen Schäden für die menschliche Gesundheit geachtet werden muss. Eine Zulassung darf nicht auf Verdacht erfolgen, solange, bis die Schädlichkeit bewiesen ist.

 

Wir fordern also:

  • konsequentere Maßnahmen zur Vermeidung von Plastikmüll, inklusive durch ambitioniertere Mehrweg- und Recyclingstrategien, einen Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, sowie weitestgehende Verbote des Einsatzes von Mikroplastik in Alltagsprodukten wie Kosmetik und Waschmitteln und von Einwegplastik
  • Investitionen in Forschung und Technologien zum Rausfiltern von Mikroplastik durch Kläranlagen sowie direkt an den Verschmutzungsquellen
  • dass Pestizide und Düngemittel nur zugelassen werden, wenn sie nachweislich keinen oder nur einen sehr geringen Effekt auf Tier- und Pflanzenarten haben. Hierbei muss das Vorsorgeprinzip gelten.

 

Artenschutz gegen Tierschutz

In vielen Fällen stehen sich leider der Artenschutz, also der Schutz ganzer Arten bzw. der Erhalt von Artenvielfalt und der Tierschutz, also der Schutz eines einzelnen Individuums, konträr gegenüber. Dies kann allen voran der Fall sein, wenn einzelne Tiere getötet werden müssen, um Ökosysteme zu erhalten und so den Bestand vieler Arten zu sichern. Für uns ist in diesen Fällen klar, dass der Artenschutz im Zweifel immer Vorrang vor dem Tierschutz haben muss. Dies kann auch Bestandskontrollen einzelner Arten in Ökosystemen beinhalten. Wie diese aussehen, ist im Einzelfall zu klären.

 

Ein weiteres Beispiel, bei dem Tier- und Artenschutz aufeinandertreffen, bilden Zoos. In diesen können Tiere nicht artgerecht gehalten werden, auch wenn Bemühungen, die Haltung so artgerecht wie möglich zu gestalten, unterstützenswert sind. Der Tierschutz und die Lebensqualität von Einzeltieren werden in Zoos zwangsläufig beeinträchtigt. Auf der anderen Seite führen Zoos immer wieder ihren Nutzen für den Artenschutz an, da in diesen Arten weiterleben, deren Bestand in freier Wildbahn zurückgeht. Dieser positive Effekt muss von Zoos aber nachgewiesen werden.

 

Wir fordern:

  • dass der Schutz ganzer Arten gegenüber dem Schutz von Einzeltieren im Zweifel Vorrang hat
  • dass Bestandskontrollen einzelner Arten zum Schutz anderer Arten hierfür grundsätzlich in Betracht gezogen werden
  • dass bei Bestandskontrollen genau auf die Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit geachtet wird. Im Zweifel kann beispielsweise eine Kontrolle über gezielte Kastrationen sinnvoller und verhältnismäßiger sein als Tötungen.
  • dass Zoos ihren positiven Effekt für den Artenschutz und wirklich artgerechte Tierhaltung klar nachweisen müssen. Ansonsten haben sie keine Existenzberechtigung.

 

Artenschutz lokal denken

Artenschutz fängt bereits auf der kleinsten Ebene, auf der Landes- oder kommunalen Ebene an. Die Wiederansiedlung einzelner Arten, wie beispielsweise des Wolfes in Deutschland heißen wir gut. Da es aber nur um wenige Arten und wieder vor allem um große Säugetierarten geht, wird hierdurch das Problem des Artensterbens nicht gelöst.

 

In Großstädten kann der Artenschutz durch einzelne ausgeschriebene Flächen wie die Berliner Wuhlheide geschehen, in denen die Biodiversität kontrolliert wird. Ansonsten sind auch kleine Projekte wie einzelne Wiesen oder Höfe begrüßenswert. Hierbei ist aber besonders auf die Zusammensetzung des Saatguts zu achten. Nicht jede bunte Blumenwiese verheißt zwangsläufig auch Biodiversität. Diese Aspekte und wissenschaftliche Erkenntnisse müssen bei der Auswahl berücksichtigt werden. Denn auch eine Wiese voller Insekten bedeutet nicht zwangsläufig eine hohe Biodiversität, da die Insektenarten auf dieser Wiese begrenzt sein können. Einige Bienenarten sind beispielsweise sehr beschränkt in der Wahl der Pflanzen, an denen sie anlanden. Um mehr von diesen kleinen Biotopen zu schaffen, ist es wichtig, gegenteilige Formen wie Schottergärten oder Rindenschrot zu verbieten und so Anreize zum biodiversen Bepflanzen zu schaffen.

 

Insbesondere in ländlichen Regionen ist es wichtig, dass ausreichend Naturschutzgebiete als wirklich wilder Raum existieren, in dem sich die Natur frei entfalten kann. Hier müssen in Deutschland deutlich mehr Flächen geschaffen werden.

 

Wir fordern daher:

  • die Einrichtung ausgeschriebener, geschützter Wildflächen im städtischen wie im ländlichen Raum, in denen die Natur sich frei entfalten kann
  • dass diese Flächen deutschlandweit bis 2030 mindestens 30% der Landfläche ausmachen
  • dass dies auch in den Meeren geschieht
  • im städtischen Raum mehr grüne Flächen mit Pflanzenartenvielfalt als Bestäubungsfläche für Insekten. Bei der Auswahl des Saatguts müssen Biodiversitätsaspekte und wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden.
  • ein Verbot von Schottergärten und biodiversitätsarmen Alternativen wie Rindenschrot

 

Artenschutz global denken

Artenschutz ist wie alle ökologischen Krisen ein globales Problem. Alle Länder der Welt müssen zusammenarbeiten, um wirksamen Artenschutz zu erreichen. Der bisher beste internationale Vertrag auf dem Gebiet ist das Montreal-Abkommen, das auf der UN-Biodiversitätskonferenz 2022 in Montreal verabschiedet wurde. Dieses Abkommen ist als analog zum Pariser Abkommen für den Klimaschutz zu betrachten, geht aber noch nicht weit genug. Wir fordern weitergehende, völkerrechtlich verbindliche Verträge auf künftigen Konferenzen dieser Art. Eine der zentralen Forderungen in der globalen Politik zum Artenschutz ist das 30by30-Ziel, wonach bis 2030 in jedem Land 30% der Land- und Seefläche als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden soll. Dieses Vorhaben unterstützen wir ausdrücklich.

 

Wichtig bei der globalen Betrachtung des Problems ist die Erkenntnis, dass Artenvielfalt auf der Erde extrem ungleich verteilt ist. Die artenreichsten Gegenden liegen dabei in den Tropen. Hier liegen vor allem Länder des globalen Südens, mit denen ein Austausch von Expertise und Ressourcen stattfinden muss. Zudem muss eine gerechte finanzielle Subvention von ökonomisch starken zu schwachen Ländern stattfinden, damit das gemeinsame Ziel unter Berücksichtigung der jeweiligen Kapazität erreicht werden kann. Wichtig ist bei den multilateralen Beziehungen hierbei eine Begegnung auf Augenhöhe, um postkoloniales Denken im Umgang mit den Ländern des globalen Südens aufzubrechen. Gerade die indigene Bevölkerung in den entsprechenden Ländern muss in die Verhandlungen mit einbezogen werden. Insbesondere bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten muss die Komponente Artenschutz eine wichtige Rolle spielen.

 

Wir fordern daher:

  • ein Agieren gemäß dem Montreal-Abkommen in Deutschland und auf internationaler Ebene
  • eine Verbesserung des Abkommens mit strengeren Maßgaben bei künftigen UN-Biodiversitätskonferenzen
  • eine Unterstützung des 30by30-Ziels
  • eine weitreichende, auch finanzielle Unterstützung von Staaten des globalen Südens, insbesondere in besonders artenreichen Regionen in den Tropen durch die reichen Staaten des globalen Nordens
  • eine Begegnung auf Augenhöhe mit Staaten des globalen Südens bei Verhandlungen zum Thema Artenschutz unter Einbeziehung der indigenen Bevölkerung
  • ein starkes Augenmerk auf das Thema Artenschutz beim EU-Mercosur-Abkommen

 

Antrag 13/I/2024 Ein Awareness-Team für die SPD

21.04.2024

Die Statuten sind dahingehend anzupassen, dass jeder Kreisverband der Berliner SPD eine*n Awareness-Beauftragte*n oder ein Awareness-Team ab dem Jahr 2024 vorhalten muss. Die für Awareness beauftragten Personen sind vom Kreisvorstand unabhängig. Sie können vom Kreisvorstand zu einzelnen Punkten beratend hinzugezogen werden. Ihnen ist auf Verlangen die Möglichkeit zu geben, sich zu einem ihren Aufgabenbereich betreffenden Sachverhalt zu äußern.

 

Nicht nur gesellschaftlich, sondern auch parteiintern kann es zu Diskriminierung kommen. Im politischen Prozess kommt dabei eine vom Wettbewerb unabhängige Klärung, Aufarbeitung und Sensibilisierung häufig zu kurz. Doch als moderne Partei müssen wir den Anspruch haben nicht nur von Gleichheit, Gerechtigkeit und Toleranz zu reden, sondern diese auch selbst zu leben. Daher sehen wir die Einführung eines Awareness-Teams als einen dafür wichtigen Schritt.

 

Das Awareness-Team ist zuständig für Fälle psychischer, emotionaler und physischer Übergriffe sowie (auch intersektional) diskriminierender Verhaltensweisen, insbesondere aus Gründen von Sexismus, Rassimus, Antisemitismus, Gadjé-Rassismus, Ableismus, Altersdiskriminierung und Queer-Feindlichkeit. Seine Aufgabe ist dabei, in erster Linie sicherer und unvoreingenommener Ansprechpartner für Betroffene, die auch anonym bleiben können. Die Mitglieder sind dabei zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das Awareness-Team kann Betroffene über Möglichkeiten, Richtlinien und ggf. Gesetze und weitere rechtliche Schritte informieren und dabei unterstützen, in die Vermittlung und Klärung der Fälle zu gehen. Die Entscheidung über die Aufnahme solcher Schritte unterliegt dabei stets dem Willen der Betroffenen.

 

Zur Prävention zukünftiger oben beschriebener Diskriminierungen ist die weitere Funktion des Awareness-Teams Genoss*innen für diskriminierungsfreie Strukturen und Verhaltensmuster zu sensibilisieren. Denn letztendlich bleibt Antidiskriminierung Aufgabe aller Genoss*innen.

 

Dazu hat das Awareness-Team die Aufgabe, Angebote in den Kreisen zu schaffen, um die Mitglieder in sensibler Sprache und tolerantem Verhalten zu schulen. Verpflichtende Schulungen des Awareness-Teams sind für geschäftsführende Vorstandsmitglieder der Abteilungen und des Kreises durchzuführen. Bei größeren Veranstaltungen der Kreise ist ein Awareness-Konzept vorzuhalten.

 

Das Gremium setzt sich aus drei bis sieben Personen zusammen. Bei der Zusammensetzung des Awareness-Teams ist auf Diversität und Quotierung zu achten. Es sollen möglichst viele Personengruppen, die von Diskriminierung betroffen sind, in dem Awareness-Team vertreten sein. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), die AG Queer, die AG Migration, die Jusos und die AG60+ sollen bei der Benennung entsprechender Personen beteiligt werden. Es ist zu beachten, dass die Mitglieder des Awareness-Teams in der Vergangenheit kein diskriminierendes Verhalten an den Tag gelegt haben. Außerdem dürfen keine Vorstandsmitglieder in dem Awareness-Team vertreten sein.

 

Dem Awareness-Team sind Fortbildungsangebote bereitzustellen und zu finanzieren, damit auch die Mitglieder des Teams sich weiterbilden, um ihren Aufgaben nachkommen zu können. Eine Schulung des Awareness-Teams soll möglichst einmal im Jahr stattfinden, mindestens jedoch einmal zu Beginn der Amtsperiode des Teams.

 

Dem Awareness-Team ist eine eigene Mailadresse zur Verfügung zu stellen, damit Betroffene eine Möglichkeit haben, das Team (anonym) zu kontaktieren. Weiterhin soll das Awareness-Team auch eine Handynummer erhalten und über gängige Messenger-Dienste erreichbar sein. Bei der konkreten Ausgestaltung des Teams und seiner Befugnisse ist sich am Awareness-Team des Landesverbands der Jusos Berlin zu orientieren.

Antrag 187/I/2024 Für eine Analyse jenseits der 80er: Mehr Forschung zu Sexarbeit und Prostitution, Fachberatungsstellen und Schutz bei Zwangsprostitution

21.04.2024

Es wird viel über die Themen Sexarbeit und Prostitution diskutiert. Die Diskussion ist häufig aufgeladen und hat gesellschaftliche und politische Implikationen. Gleichzeitig wissen wir relativ wenig über das Feld, über das gesprochen wird. Alleine zur Zusammensetzung von Sexarbeiter*innen und Menschen in der Prostitution ist sehr wenig bekannt. Unterschieden werden muss zwischen Sexarbeit, die freiwillig und selbstbestimmt stattfindet, Prostitution, die sich durch bspw. ökonomische Zwänge ausgezeichnet und Zwangsprostitution, in der Betroffene durch Dritte zur Prostitution gezwungen oder genötigt werden. Noch heute werden in der Debatte Schätzungen zur Anzahl von Sexarbeiter*innen aus den 1980er Jahren verwendet, die nie wissenschaftlich belegt werden konnten. Neuere, seriöse Hochrechnungen existieren nicht. Das liegt auf der einen Seite am schwierigen Zugang zum Feld (sowohl auf Seiten der Forschenden, als auch auf Seiten der Akteur*innen in der Sexarbeit) und auf der anderen Seite an der fehlenden Finanzierung großangelegter Studien.

 

Unterstützungsbedarfe

Was wir allerdings aus den Beratungsstellen wissen ist, dass Sexarbeiter*innen und Menschen in der Prostitution eine Vielzahl von Hürden und komplexer Herausforderungen begegnen können. Das betrifft beispielsweise die Bereiche Gesundheitsversorgung, Steuern und Finanzen, Wohnen und Aufenthaltsrecht und in besonderem Maße die Stigmatisierung ihres Berufs. Um echte Unterstützung in diesen und weiteren Fragen bieten zu können, ist der Aufbau von Vertrauen und eine zuverlässige Struktur unerlässlich. Es gibt einzelne (teils auf Zeit geförderte) Projekte, die diese wichtige Arbeit angehen. Aber nicht in jedem Bundesland gibt es etablierte Fachberatungsstellen, die als Anlaufpunkt bekannt sind und im Zweifelsfall an die passenden Projekte oder Stellen verweisen können. Ohne diese fest verankerten Anlaufpunkte, ist es schwierig, einen vertrauensvollen Kontakt herzustellen. Insbesondere der Umstieg in berufliche Alternativen, sollte dieser durch Sexarbeiter*innen gewünscht sein, braucht Zeit und kann viel Frustration mit sich bringen. Aber auch andere Unterstützungsprozesse bauen auf einer langfristigen Zusammenarbeit und einem funktionierenden Zugang der Beratungsstellen ins Feld auf.

 

Weitere Gründe für die Schwierigkeiten für Sexarbeiter*innen und Menschen in der Prostitution liegen im Kontakt mit Behörden. Hier können ihnen Unwissen über Ausgangslagen und Bedarfe sowie Stigmatisierung begegnen. Ansprechpersonen, die Klient*innen ernst nehmen, auf ihre Bedarfe eingehen und ihnen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, sind aber unerlässlich für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

 

Wir fordern

  • eine finanziell umfassend ausgestattete wissenschaftliche Dunkelfeldanalyse. Diese ist notwendig für eine gesellschaftspolitische Debatte, die sich an Tatsachen und der Lebensrealität von Sexarbeiter*innen und Menschen in der Prostitution orientiert und die eine konstruktive Haltung zu dem Feld ermöglicht. Betrachtet werden sollen unter anderem
    • die Größe und Zusammensetzung des Feldes „sexuelle Dienstleistungen“,
    • die Lebensrealitäten von Sexarbeiter*innen und Menschen in der Prostitution,
    • Hürden im Umgang mit Behörden und beim Umstieg sowie
    • das Nachfrageverhalten
  • den Aufbau von fest verankerten Fachberatungsstellen in den Bundesländern. Diese müssen gut mit den Behörden vernetzt sein und brauchen feste Ansprechpersonen beispielsweise in den JobCentern, sodass Fachwissen weitergegeben und Klient*innen zuverlässig vermittelt werden können, ohne Angst zu haben, auf Unverständnis oder weitere Stigmatisierung zu stoßen. Schulungsangebote durch die Fachberatungsstellen für Behördenmitarbeitende sollen zusätzlich Barrieren abbauen.

 

Zwang

Neben der selbstbestimmten Sexarbeit, gibt es auch Menschen, die nicht freiwillig in der Prostitution sind. Zwangsprostitution beinhaltet sowohl Fälle in denen Menschen durch Abhängigkeitsbeziehungen und/oder Gewalt zur Prostitution gebracht werden, als auch solche Fälle in denen Betroffene zunächst mit dem Anbieten von sexuellen Dienstleistungen einverstanden waren, aber über die Umstände der Arbeit getäuscht wurden. Durch finanziellen Druck und Schulden durch Miete für Räumlichkeiten oder Drogen, oder aufenthaltsrechtliche Illegalisierung und Sprachbarrieren sehen Betroffene häufig keinen legalen Ausweg aus ihrer Situation. Über die Hälfte der Ermittlungsverfahren im Bereich der Zwangsprostitution wird durch polizeiliche Kontrollen eingeleitet, die unabhängig von der Meldung durch Betroffene stattfinden. Täter nutzen die vulnerable Lage Betroffener aus, um sie in dem Zwangsverhältnis zu halten. Dabei spielen auch aufenthaltsrechtliche Illegalisierung und Sprachbarrieren eine Rolle. Betroffene, die sich in Abhängigkeitsbeziehungen zu den Tätern befinden und verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt sind, brauchen ein funktionierendes Auffangnetz und zuverlässige Hilfe.

 

Neben den Unterstützungsstrukturen für Sexarbeiter*innen fordern wir im Bereich Zwangsprostitution

  • mehrsprachige Informationskampagnen zum Erkennen von Zwangsprostitution, zu Ausstiegswegen und zu konkreten Handlungsmöglichkeiten und Hilfsangeboten.
  • niedrigschwellige Beratungs- und Therapieangebote für Betroffene, um das Erlebte aufzuarbeiten und bei dem Ausstieg aus dem Zwangsverhältnis begleitet zu werden.
  • einen wirklichen Schutz der Betroffenen durch Polizei und Rechtspflege. Es muss bedarfsgerechte Zeugenschutzprogramme für Opfer geben, die gegen ihre Zuhälter*innen und Menschenhändler*innen aussagen. Darüber hinaus müssen illegalisierte Betroffene, wie im aktuellen Koalitionsvertrag vorgesehen, unabhängig von ihrer Aussagebreitschaft einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen.