Wir leben in einer Zeit der multiplen ökologischen Krisen. Während die Klimakrise endlich einen wichtigen Platz in der öffentlichen Debatte gefunden hat, wird über die zweite große ökologische Krise kaum diskutiert: das Artensterben. Jeden Tag sterben derzeit 150 Tier- und Pflanzenarten für immer aus. Einmal ausgestorben, wird eine Art nie wieder zurückkehren.
Es gab in der Erdgeschichte fünf große Massenaussterben, bei denen jeweils ein großer Teil der Tier- und Pflanzenarten auf der Erde ausgestorben ist. Das Leben insgesamt ging zwar weiter, hat aber jeweils Millionen von Jahren gebraucht, um sich davon zu erholen. Das letzte große Massenaussterben fand vor 65 Millionen Jahren statt, als durch einen Meteoriteneinschlag unter anderem die Dinosaurier vollständig ausstarben. Die aktuelle Rate des Artensterbens hat eine Geschwindigkeit erreicht, dass Wissenschaftler*innen mittlerweile vom sechsten großen Massenaussterben der Erdgeschichte sprechen. Auf jeden Fall ist die Rate des Aussterbens mittlerweile so hoch wie seit 65 Millionen Jahren nicht mehr. Der Hauptgrund dafür ist ähnlich wie bei der Klimakrise der Mensch. Durch menschliches Handeln und unsere Art zu Leben und zu Wirtschaften schränken wir viele Tiere und Pflanzen in ihren Lebensräumen immer weiter ein und bedrohen so ihre Existenz. Daher müssen die Menschen auch ihren Teil zur Lösung des Problems beitragen.
Die Ökosysteme auf der Erde sind sehr komplex und aufeinander abgestimmt. Ein Wegfallen von Arten aus diesen kann zum Kollaps ganzer Ökosysteme führen und wird so zwangsläufig am Ende auch den Menschen selbst betreffen.
Artenschutz ist ein absolutes Querschnittsthema, dass sich durch alle Bereiche menschlichen Handelns und durch unser Verhältnis und unseren Umgang mit der Umwelt insgesamt zieht.
Artenschutz für alle
Einzelne Artenschutzprogramme wie das indische Programm zum Tigerschutz zeigen, dass es möglich ist, dass sich durch entsprechendes Eingreifen die Bestände bedrohter Arten erholen können. Während der Tigerbestand dort zum Minimum nur noch bei 1400 freilebenden Tieren lag, sind es mittlerweile, gut 10 Jahre später, wieder über 3600. Auch weitere Projekte dieser Art zeigen Erfolge.
Es ist aber klar, dass es sich dabei nur um einzelne Leuchtturmprojekte handelt, die lediglich einzelne Arten schützen. Bei 150 aussterbenden Arten täglich ist dies nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Artenschutz muss weitergedacht werden. Durch Schutzprogramme für Einzelarten kann das Massenaussterben nicht verhindert werden. Außerdem ist es wichtig, dass alle Tier- und Pflanzenarten geschützt werden. Hierbei darf es keine Priorisierung geben, wie attraktiv eine Art für den Menschen erscheint. Danach hätte immer der Schutz großer Säugetierarten Priorität. Es ist aber insbesondere der Schutz von Insekten- und Pflanzenarten wichtig, da diese oftmals entscheidend für das Funktionieren von Ökosystemen sind.
Wir fordern:
- Artenschutz ganzheitlich zu denken, statt sich im Schutz einzelner Arten zu verlieren
- dass insbesondere der Schutz von Pflanzen sowie von Insekten mitgedacht wird
Artensterben und Klimakrise – Die großen ökologischen Krisen gemeinsam denken
Die beiden großen ökologischen Krisen unserer Zeit verstärken sich gegenseitig. Durch die rasante Erhitzung der Erde verändern sich Ökosysteme so schnell, dass sich viele Arten nicht in ausreichender Geschwindigkeit daran anpassen können. Polkappen und Gletscher schmelzen, Meere erwärmen sich, Savannen verwüsten und Regenwälder werden geschwächt. All das führt zum Wegbrechen von Lebensräumen für die dort lebenden Arten. Daher ist Klimaschutz der beste Artenschutz.
Aber auch die Natur ist eine große CO2-Senke und bremst die Klimaerhitzung. Das Aussterben von Arten und der Kollaps von Ökosystemen können also einen Kipppunkt im Klimasystem darstellen und die Klimakrise vorantreiben.
Diese beiden Krisen müssen also zusammen gedacht und gelöst werden. Artenschutz ohne ein Bremsen der Klimakrise wird nicht funktionieren und Klimaschutz ohne ein Bremsen des Artensterbens führt zu schlechten Ergebnissen.
Ein scheinbarer Konflikt zwischen Klima- und Artenschutz stellt sich bei der Betrachtung von Windkraftanlagen. Von Kritiker*innen wird immer wieder das Argument hervorgebracht, dass Vögel in die Rotorblätter fliegen und so sterben könnten. Dieses Argument ist für uns nichtig, da es erstens durch Studien belegt ist, dass die Anzahl der Vögel, die auf diese Art sterben, gering ist. Zweitens überwiegen der Klimaeffekt durch Windräder und damit auch die Vorteile für den Artenschutz deutlich.
Wir erneuern daher alle unsere klimapolitischen Forderungen und fordern:
- das Artensterben und die Klimakrise immer gemeinsam zu denken
- eine ambitionierte Klimapolitik entlang der Leitlinien des Pariser Abkommens
- eine bundesweite CO2-Neutralität bis spätestens 2040
Den menschlichen Fußabdruck in unserer Umwelt bedenken
Nicht nur die menschengemachte Klimaerhitzung setzt der Artenvielfalt zu, auch unser Umgang mit der Natur insgesamt hat viele negative Auswirkungen auf die Biodiversität. So sind es insbesondere menschliche Produkte, die wir in der Natur verteilen, wie Plastikmüll oder Düngemittel, die vielen Arten erheblich zusetzen. Hier muss stärker reguliert werden. Wir unterstützen daher Initiativen, die auf kommunaler, Landes-, Bundes- oder Europaebene versuchen, den Plastikmüll zu reduzieren. Wichtig ist, dass bei diesen Maßnahmen auch Mikroplastik berücksichtigt wird, da dieser vielen Tierarten besonders zusetzt.
Beim Einsatz von Düngemitteln oder Pestiziden muss genau darauf geachtet werden, wie weit diese Tier- und Pflanzenarten belasten und im Zweifel töten, gegen die das Mittel gar nicht wirken soll. Solche Kollateralschäden müssen vermieden werden. Bei der Zulassung dieser Stoffe muss das Vorsorgeprinzip gelten, d.h. dass Pestizide oder Dünger nur zugelassen werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass sie der Natur nicht übermäßig schaden, genauso wie auf die potentiellen Schäden für die menschliche Gesundheit geachtet werden muss. Eine Zulassung darf nicht auf Verdacht erfolgen, solange, bis die Schädlichkeit bewiesen ist.
Wir fordern also:
- konsequentere Maßnahmen zur Vermeidung von Plastikmüll, inklusive durch ambitioniertere Mehrweg- und Recyclingstrategien, einen Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, sowie weitestgehende Verbote des Einsatzes von Mikroplastik in Alltagsprodukten wie Kosmetik und Waschmitteln und von Einwegplastik
- Investitionen in Forschung und Technologien zum Rausfiltern von Mikroplastik durch Kläranlagen sowie direkt an den Verschmutzungsquellen
- dass Pestizide und Düngemittel nur zugelassen werden, wenn sie nachweislich keinen oder nur einen sehr geringen Effekt auf Tier- und Pflanzenarten haben. Hierbei muss das Vorsorgeprinzip gelten.
Artenschutz gegen Tierschutz
In vielen Fällen stehen sich leider der Artenschutz, also der Schutz ganzer Arten bzw. der Erhalt von Artenvielfalt und der Tierschutz, also der Schutz eines einzelnen Individuums, konträr gegenüber. Dies kann allen voran der Fall sein, wenn einzelne Tiere getötet werden müssen, um Ökosysteme zu erhalten und so den Bestand vieler Arten zu sichern. Für uns ist in diesen Fällen klar, dass der Artenschutz im Zweifel immer Vorrang vor dem Tierschutz haben muss. Dies kann auch Bestandskontrollen einzelner Arten in Ökosystemen beinhalten. Wie diese aussehen, ist im Einzelfall zu klären.
Ein weiteres Beispiel, bei dem Tier- und Artenschutz aufeinandertreffen, bilden Zoos. In diesen können Tiere nicht artgerecht gehalten werden, auch wenn Bemühungen, die Haltung so artgerecht wie möglich zu gestalten, unterstützenswert sind. Der Tierschutz und die Lebensqualität von Einzeltieren werden in Zoos zwangsläufig beeinträchtigt. Auf der anderen Seite führen Zoos immer wieder ihren Nutzen für den Artenschutz an, da in diesen Arten weiterleben, deren Bestand in freier Wildbahn zurückgeht. Dieser positive Effekt muss von Zoos aber nachgewiesen werden.
Wir fordern:
- dass der Schutz ganzer Arten gegenüber dem Schutz von Einzeltieren im Zweifel Vorrang hat
- dass Bestandskontrollen einzelner Arten zum Schutz anderer Arten hierfür grundsätzlich in Betracht gezogen werden
- dass bei Bestandskontrollen genau auf die Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit geachtet wird. Im Zweifel kann beispielsweise eine Kontrolle über gezielte Kastrationen sinnvoller und verhältnismäßiger sein als Tötungen.
- dass Zoos ihren positiven Effekt für den Artenschutz und wirklich artgerechte Tierhaltung klar nachweisen müssen. Ansonsten haben sie keine Existenzberechtigung.
Artenschutz lokal denken
Artenschutz fängt bereits auf der kleinsten Ebene, auf der Landes- oder kommunalen Ebene an. Die Wiederansiedlung einzelner Arten, wie beispielsweise des Wolfes in Deutschland heißen wir gut. Da es aber nur um wenige Arten und wieder vor allem um große Säugetierarten geht, wird hierdurch das Problem des Artensterbens nicht gelöst.
In Großstädten kann der Artenschutz durch einzelne ausgeschriebene Flächen wie die Berliner Wuhlheide geschehen, in denen die Biodiversität kontrolliert wird. Ansonsten sind auch kleine Projekte wie einzelne Wiesen oder Höfe begrüßenswert. Hierbei ist aber besonders auf die Zusammensetzung des Saatguts zu achten. Nicht jede bunte Blumenwiese verheißt zwangsläufig auch Biodiversität. Diese Aspekte und wissenschaftliche Erkenntnisse müssen bei der Auswahl berücksichtigt werden. Denn auch eine Wiese voller Insekten bedeutet nicht zwangsläufig eine hohe Biodiversität, da die Insektenarten auf dieser Wiese begrenzt sein können. Einige Bienenarten sind beispielsweise sehr beschränkt in der Wahl der Pflanzen, an denen sie anlanden. Um mehr von diesen kleinen Biotopen zu schaffen, ist es wichtig, gegenteilige Formen wie Schottergärten oder Rindenschrot zu verbieten und so Anreize zum biodiversen Bepflanzen zu schaffen.
Insbesondere in ländlichen Regionen ist es wichtig, dass ausreichend Naturschutzgebiete als wirklich wilder Raum existieren, in dem sich die Natur frei entfalten kann. Hier müssen in Deutschland deutlich mehr Flächen geschaffen werden.
Wir fordern daher:
- die Einrichtung ausgeschriebener, geschützter Wildflächen im städtischen wie im ländlichen Raum, in denen die Natur sich frei entfalten kann
- dass diese Flächen deutschlandweit bis 2030 mindestens 30% der Landfläche ausmachen
- dass dies auch in den Meeren geschieht
- im städtischen Raum mehr grüne Flächen mit Pflanzenartenvielfalt als Bestäubungsfläche für Insekten. Bei der Auswahl des Saatguts müssen Biodiversitätsaspekte und wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden.
- ein Verbot von Schottergärten und biodiversitätsarmen Alternativen wie Rindenschrot
Artenschutz global denken
Artenschutz ist wie alle ökologischen Krisen ein globales Problem. Alle Länder der Welt müssen zusammenarbeiten, um wirksamen Artenschutz zu erreichen. Der bisher beste internationale Vertrag auf dem Gebiet ist das Montreal-Abkommen, das auf der UN-Biodiversitätskonferenz 2022 in Montreal verabschiedet wurde. Dieses Abkommen ist als analog zum Pariser Abkommen für den Klimaschutz zu betrachten, geht aber noch nicht weit genug. Wir fordern weitergehende, völkerrechtlich verbindliche Verträge auf künftigen Konferenzen dieser Art. Eine der zentralen Forderungen in der globalen Politik zum Artenschutz ist das 30by30-Ziel, wonach bis 2030 in jedem Land 30% der Land- und Seefläche als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden soll. Dieses Vorhaben unterstützen wir ausdrücklich.
Wichtig bei der globalen Betrachtung des Problems ist die Erkenntnis, dass Artenvielfalt auf der Erde extrem ungleich verteilt ist. Die artenreichsten Gegenden liegen dabei in den Tropen. Hier liegen vor allem Länder des globalen Südens, mit denen ein Austausch von Expertise und Ressourcen stattfinden muss. Zudem muss eine gerechte finanzielle Subvention von ökonomisch starken zu schwachen Ländern stattfinden, damit das gemeinsame Ziel unter Berücksichtigung der jeweiligen Kapazität erreicht werden kann. Wichtig ist bei den multilateralen Beziehungen hierbei eine Begegnung auf Augenhöhe, um postkoloniales Denken im Umgang mit den Ländern des globalen Südens aufzubrechen. Gerade die indigene Bevölkerung in den entsprechenden Ländern muss in die Verhandlungen mit einbezogen werden. Insbesondere bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten muss die Komponente Artenschutz eine wichtige Rolle spielen.
Wir fordern daher:
- ein Agieren gemäß dem Montreal-Abkommen in Deutschland und auf internationaler Ebene
- eine Verbesserung des Abkommens mit strengeren Maßgaben bei künftigen UN-Biodiversitätskonferenzen
- eine Unterstützung des 30by30-Ziels
- eine weitreichende, auch finanzielle Unterstützung von Staaten des globalen Südens, insbesondere in besonders artenreichen Regionen in den Tropen durch die reichen Staaten des globalen Nordens
- eine Begegnung auf Augenhöhe mit Staaten des globalen Südens bei Verhandlungen zum Thema Artenschutz unter Einbeziehung der indigenen Bevölkerung
- ein starkes Augenmerk auf das Thema Artenschutz beim EU-Mercosur-Abkommen