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Antrag 199/I/2024 „Nie Wieder!“ ist jetzt - jüdisches Leben schützen!

21.04.2024

Gewalt gegen Jüdinnen*Juden in Deutschland ist alltäglich und allgegenwärtig. Ob auf der Straße, in der Schule, in der Universität, zuhause oder auf Arbeit – Jüdinnen*Juden werden immer wieder Opfer antisemitischer Übergriffe und Verbrechen.

 

Dabei steigt die Zahl der Übergriffe und Verbrechen seit 2015 mit jedem Jahr an. Verzeichnete das Bundeskriminalamt im Jahr 2021 noch knapp 3.000 antisemitische Delikte, waren es im Jahr 2022 schon 3.500 Delikte. Seit dem 07. Oktober 2023 erreicht die Bedrohungslage für Jüdinnen*Juden ein neues Maß und die Lage verschlimmert sich drastisch. Allein von Anfang Oktober bis Anfang November dokumentierte der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (kurz: RIAS) 994 antisemitische Delikte. Im gleichen Zeitraum erfasste der Bundesverband RIAS allein 177 antisemitische Versammlungen. Der Abschlussbericht des Bundesverbands RIAS zeichnet ein furchtbares Bild.

 

So berichten Jüdinnen*Juden vermehrt von antisemitischen Vorfällen an Orten ihres Alltags: in der Nachbarschaft, an ihrem Arbeitsplatz oder an Hochschulen – nirgends sind sie sicher.  Allein 59 Vorfälle im direkten Wohnumfeld musste der Bundesverband RIAS verzeichnen – so drangen zum Beispiel zwei Männer gewaltsam in die Wohnung eines Israelis ein, um eine aus dem Fenster gehängte Israelflagge zu entfernen.

 

Auch an Hochschulen – nicht zuletzt an der Freien Universität in Berlin – kommt es vermehrt zu antisemitischen Schmierereien und Versammlungen. So werden Jüdinnen*Juden für das Verhalten Israels verantwortlich gemacht, antisemitische Hetzschriften verteilt, der Krieg in Gaza auf antisemitische und verharmlosende Art und Weise mit der Shoah gleichgesetzt und jüdische Studierende öffentlich antisemitisch markiert.

 

Mit Blick auf die Zunahme der antisemitischen Vorfälle und Gewalttaten zeichnet der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung ein verheerendes Bild und spricht von geringer Solidarität mit jüdischen Gemeinschaften, mangelnder Empathie und drastischen Auswirkungen für Jüdinnen*Juden in Deutschland – ganz gleich ob es sich dabei um einen versuchten Brandanschlag auf eine Synagoge in Berlin, antisemitische Schmierereien an Hauswänden,  Drohungen gegenüber jüdischen Einrichtungen und Schulen oder Gewaltangriffe gegenüber Jüdinnen*Juden handelt.

 

Schutz von jüdischen Einrichtungen jetzt!

Und bei Betrachtung dieser alltäglichen und allgegenwärtigen Bedrohung, dieser immer wiederkehrenden Gewalt wird neben einem eklatanten gesellschaftlichen Versagen auch ein Versagen des Staates offenbar, der nicht in der Lage ist, jüdisches Leben zu schützen.

 

So muss man sich vor Augen führen, dass jüdische Gemeinden weitestgehend allein für den Schutz von Synagogen und Bildungseinrichtungen verantwortlich sind. Dessen bewusst ist sich kaum jemand – Friedrich Merz reagierte erstaunt beim Besuch des jüdischen Gymnasiums in Berlin, dass die Schule einen sehr großen Zaun um sich habe, für die Schüler*innen ist dieser “große Zaun” jedoch Alltag. In Gefährdungsanalysen werten Polizei und Landeskriminalamt Gegebenheiten und Gefahrenlagen aus und teilen den jüdischen Gemeinden dann mit, wo Sicherheitslücken liegen – für die Umsetzung und Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen sind dann aber die Gemeinden allein verantwortlich. Die Polizei zieht sich oft aus der Verantwortung, beschränkt sich auf die Annahme ,,abstrakter” Gefahren und lässt, wie sich beispielsweise zuletzt in Halle im Jahr 2019 an Yom Kippur gezeigt hat, Sicherheitslücken offen.

 

Klar muss aber sein, dass die Gefahrenabwehr hierbei eine Kernaufgabe des Staates ist! Ob Synagoge, jüdische Schule oder jüdische Bildungseinrichtung – der Staat muss alle Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Sicherung aufwenden, von Sicherheitsglas und Sicherheitstüren bis hin zu Schutzpersonal, um Orte jüdischen Lebens zu schützen!

 

Antisemit*innen raus aus unseren Sicherheitsbehörden!

Und nicht überraschend ist, dass die Probleme in unseren Sicherheitsbehörden noch über ein bloßes Wegsehen hinausgehen. Nicht zuletzt die Enthüllungen des Satirikers Jan Böhmermann, der Chatprotokolle von Polizist*innen eines Frankfurter Polizeireviers veröffentlichte, zeigen, dass Antisemit*innen in unseren Sicherheitsbehörden sitzen.

 

Nichtsdestotrotz müssen sich Menschen, die auf den Schutz des Staates und den Schutz der Polizei angewiesen sind, darauf verlassen können, dass diejenigen, vor deren Angriffen und Gewalt sie beschützt werden müssen, nicht auch noch in den Sicherheitsbehörden selbst sitzen. Die Behördenleitungen müssen hier konsequent durchgreifen und alle Maßnahmen ergreifen, um Antisemit*innen aus dem Dienst zu entfernen und um antisemitische Strukturen in den Behörden zu zerschlagen.

 

Das Strafrecht reformieren!

Auch das Strafrecht ist dahingehend reformbedürftig! Während beispielsweise Tatmotive wie die „Habgier“ zu einer enormen Strafschärfung führen können, sind Motive bezüglich gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit vergleichsweise vernachlässigt. Nach §46 II Strafgesetzbuch sind solche Motive bei der Strafzumessung lediglich „in Betracht“ zu ziehen. Deshalb verwundert es auch nicht, dass in der Vergangenheit beispielsweise ein Brandanschlag auf eine Synagoge nur minimal bestraft wurde, da der zuständige Richter ein antisemitisches Tatmotiv negierte.

 

Wenn Jüdinnen*Juden oder jüdische Einrichtungen aus blankem Hass attackiert werden, dann muss das vor Gericht klar benannt werden. Staatsanwaltschaften und Gerichte dürfen keinen Zweifel daran lassen, dass solche Angriffe immer antisemitisch sind. Wenn in solchen Fällen, wie schon geschehen, von ,,Israelkritik” gesprochen wird, bestätigen sie die Täter*innen noch zuletzt in ihrem Denken und verleihen den Taten zu gewissen Grad Legitimation.

 

Antisemitismusprävention unterstützen, fördern, ausbauen!

Der Beratungsbedarf der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung OFEK e.V. hat sich seit dem 07. Oktober 2023 verzehnfacht. Die hebräischsprachige Seelsorge „Matan“ verzeichnete im Oktober siebenmal so viele Anrufe wie im September. Der Bundesverband RIAS berichtet von einer enorm gestiegenen Anzahl an Meldungen antisemitischer Delikte.

 

Und so wichtig wie die Arbeit dieser Einrichtungen, die nicht nur ansprechbar sind und Menschen im Nachgang zu antisemitischen Übergriffen begleiten, sondern auch essentielle Arbeit im Bereich der Aufzeichnung und Sammlung von Vorfällen leisten, so sehr würde man doch hoffen, dass diese finanziell und personell abgesichert sind – mitnichten!

 

Erst im Oktober wandte sich zum Beispiel die Geschäftsführerin des OFEK e.V. mit einem Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden im Berliner Abgeordnetenhaus und forderte unter anderem mehr Geld, um die Angebote aufrechterhalten zu können – ein für uns alarmierender Zustand! Für uns ist klar: Jegliche Angebote und Stellen zur Antisemitismusprävention, aber auch im Bereich der Beratung, Begleitung und Berichterstattung müssen finanziell und personell so ausgestattet werden, dass ihre Arbeit langfristig abgesichert ist!

 

Und schaut man sich die antisemitischen Vorfälle an, die auch an Schulen verzeichnet werden, wird deutlich, dass Antisemitismusprävention noch viel früher greifen muss! Wir brauchen noch viel mehr pädagogische Angebote der Antisemitismusprävention an Schulen, die über antisemitische Parolen, Bewegungen und Gewalttaten aufklären und wir brauchen Rahmenlehrpläne, die ein ,,Nie wieder!” begreifbar und den damit einhergehenden Auftrag verständlich machen.

 

Jüdinnen*Juden auf dem Campus schützen!

Die Bilder, die uns von Hochschulen aus ganz Deutschland erreichen, sind erschreckend! Veranstaltungen, in denen die Shoah relativiert, zum Genozid aufgerufen oder der Staat Israel und jüdische Studierende zum Ziel antisemitischer Tiraden werden, jüdische Studierende, die davon berichten, dass ihr Campus für sie zu einem Ort des Schreckens geworden ist oder die Verbreitung antisemitischer Hetzschriften – wir haben ein ernsthaftes Problem an unseren Hochschulen!

 

Eben dieses Klima der Angst, welches beispielsweise die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion und Mitglied der Partei Bündnis 90 / Die Grünen Hanna Veiler immer wieder beschreibt, ist erschreckend und offenbart das Versagen der staatlichen Hochschulleitungen. Wir fordern: Kein Zögern bei antisemitischen Vorfällen, die konsequente Anzeige antisemitischer Vorfälle, das Schaffen von Schutz- und Vernetzungsräumen für jüdische Studierende, keine Verallgemeinerungen in der Bewertung und eine effektive, schnelle Durchsetzung des Hausrechts!

 

Wir alle sind gefordert!

„Nie Wieder“ ist jetzt! Hinsichtlich des grassierenden und erstarkenden Antisemitismus bedeutet das: Wir alle sind gefordert, uns schützend vor Jüdinnen*Juden zu stellen, Antisemitismus klar zu widersprechen und uns selbst hinsichtlich antisemitischer Denkmuster und Pauschalisierungen zu hinterfragen. Das ist der unverrückbare Schutzauftrag, den wir alle zu erfüllen haben. Denn aufgrund der aktuellen Ereignisse dürfen wir auch unsere historische Verantwortung zur Shoah nicht vergessen – „Nie wieder ist jetzt“ heißt auch Erinnerungskultur.

 

Daher fordern wir:

  • einen Ausbau der Sicherheitsmaßnahmen und Vorkehrungen für alle jüdischen Einrichtungen, ganz gleich ob technischer oder personeller Art und die komplette Finanzierung dieser durch den Staat
  • ein konsequentes Durchgreifen gegenüber Antisemit*innen in den Sicherheitsbehörden und hierfür notwendige Anpassungen des Disziplinarrechts, die eine Entfernung aus dem Staatsdienst und eine Zerschlagung antisemitischer Strukturen ermöglichen
  • ein Strafrecht, das antisemitische Gewalttaten und Verbrechen als solche klar erkennt und ahndet, sowie eine konsequente Verfolgung antisemitischer Straftaten, die keine Form der Diskriminierung, der Übergriffe und der Hassrede duldet
  • den massiven Ausbau der finanziellen Unterstützung für / Finanzierung von Angeboten und Initiativen der Antisemitismusprävention, der Beratung und der Aufnahme antisemitischer Vorfälle sowie zivilgesellschaftlicher Angebote jüdischer Akteur*innen, Angebote des interreligiösen Dialogs und des zivilgesellschaftlichen Austauschs
  • die Förderung und den Ausbau von Bildungsprogrammen zur Sensibilisierung für und Aufklärung über Antisemitismus in Schulen sowie Angeboten des Jugendamtes und der offenen Kinder- und Jugendarbeit.
  • die Schaffung von Vernetzungs- und Schutzräumen für jüdische Studierende an allen Hochschulen sowie eine konsequente Durchsetzung des Hausrechts im Falle antisemitischer Übergriffe an Hochschulen

 

Antrag 119/I/2024 Keine Entmündigung durch Bezahlkarten – Würde ist nicht verhandelbar!

21.04.2024

Auf der Ministerpräsident*innenkonferenz vom Februar 2024 wurde ein verheerender Beschluss gefasst: Bezahlkarten sollen bundesweit für Geflüchtete eingesetzt werden, um so ihre monetären Leistungen zu erhalten. Die bisher in bar ausgezahlten Beträge sollen nun komplett auf einer Debit-Karte hinterlegt werden, um dem rassistischen Vorwurf der gewinnbringenden Ausnutzung von Transferleistungen gerecht zu werden. Durch diesen Beschluss werden ganz eindeutig rassistische Ressentiments verstärkt, die üblicherweise von Rechten geteilt werden. Vor dem Hintergrund, dass eine alleinstehende Person nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einen Anspruch von 460€ im Monat hat, ergibt sich sowieso die Frage bei den aktuellen wirtschaftlichen Umständen, welcher Teil von dieser unwürdigen Summe „ins Ausland“ verschickt werden soll.

 

Die vorgeschobene Begründung des verringerten behördlichen Aufwands kann ziemlich simpel durch den medialen Auftritt diverser Politiker*innen entkräftet werden, denn es stellt sich die Frage, warum die Verantwortlichen nicht einfach die Transferleistungen auf normale Konten überweisen.

 

Es ist nicht hinnehmbar, dass eine sozialdemokratisch angeführte Bundesregierung rechte Forderungen übernimmt und sich so einem rassistischen Diskurs beugt, statt gegen ihn anzuarbeiten und die Situation von Geflüchteten nachhaltig zu verbessern.

 

Es lässt sich festhalten: Die vorgeschlagene Einführung von Bezahlkarten für Geflüchtete ist nichts weniger als ein offener Angriff auf die Würde und Selbstbestimmung der betroffenen Menschen. Diese paternalistische Maßnahme reduziert Geflüchtete auf bloße Empfänger*innen staatlicher Almosen und entzieht ihnen die Kontrolle über ihr eigenes Leben.

 

Diskriminierende Praxis

Die Bezahlkarten könnten als Instrument der sozialen Kontrolle und als Ausdruck einer diskriminierenden Haltung gegenüber Geflüchteten verstanden werden. Sie senden die Botschaft, dass Geflüchtete nicht vertrauenswürdig genug sind, um mit Bargeld umzugehen oder ihre finanziellen Angelegenheiten selbst zu regeln. Dies ist eindeutig eine Form der institutionellen Diskriminierung.

 

Wir dürfen uns nicht von den fadenscheinigen Argumenten der Befürworter*innen täuschen lassen. Es gibt keine Belege dafür, dass Bargeldzahlungen ein wesentlicher Anreiz für Migration sind. Die Unterstellung, Geflüchtete würden staatliche Leistungen missbrauchen, um Geld ins Ausland zu schicken, ist eine infame Unterstellung, die auf Vorurteilen und nicht auf Fakten basiert.

 

Wir fordern daher:

  • Die Ablehnung der Einführung von Bezahlkarten für Geflüchtete, aber auch für alle weiteren Bevölkerungsgruppen, wie z.B. Empfänger*innen von Sozialleistungen durch alle Mandatsträger*innen
  • Einen Stopp der Pläne zur Einführung von Bezahlkarten für Geflüchtete
  • Die Beibehaltung und signifikante Erhöhung von Bargeldleistungen, um die Würde, Selbstbestimmung und soziale Teilhabe der Geflüchteten zu gewährleisten.
  • Eine Asylpolitik, die auf Fakten basiert und die Grundrechte aller Menschen respektiert, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.

 

 

Antrag 158/I/2024 Guten Morgen, Mayıstero!

21.04.2024

Zwischen Hoffnung und Herausforderung: Das harte Leben der Gastarbeiter*innen in der Bundesrepublik

Mit dem ersten Anwerbeabkommen 1955, welches die BRD unter der Kanzlerschaft Adenauers abgeschlossen hat, kamen Menschen aus Italien in die Bundesrepublik zum Arbeiten. Die mit US-amerikanischen Hilfen boomende Wirtschaft kam an ihr Limit, das sich nur durch die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland versetzen konnte. Aus diesem Grund entschied sich die damalige Koalition aus konservativen Parteien dazu, Menschen aus dem Ausland für Arbeiten in der Bundesrepublik „anzuwerben“. Das deutsch-italienische Abkommen blieb nicht das einzige, es folgten zahlreiche weitere Abkommen mit Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien. Die meist, nicht ausgebildeten Menschen übernahmen allerlei Tätigkeiten in Branchen, bei denen die schlechten Arbeitsbedingungen im Vorhinein bekannt waren. Diese menschenunwürdigen Beschäftigungsverhältnisse manifestierten sich in geringem Lohn, illegaler Anstellung zur Umgehung von Sozialversicherungskosten, verweigertem Urlaubsanspruch und einer Unterbringung, die jeglichen Sanitär- und Hygienestandards widerspricht. Noch heute erfahren die Nachfahren der sogenannten „Gastarbeiter*innen“ von den grausamen Lebensumständen ihrer Eltern oder Großeltern, denn die Aufarbeitung seitens der Bundesregierung geschieht kaum bis gar nicht.

 

In Zeiten wirtschaftlicher Rezession wird oft außer Acht gelassen, wie entscheidend die schwere Arbeit der sogenannten „Gastarbeiter*innen“ für den aktuellen und vergangenen Wohlstand war und ist. Trotzdem wird ihr Beitrag häufig unterschätzt oder ignoriert, obwohl er einen wesentlichen Teil zur Stabilität und Prosperität unserer Gesellschaft beigetragen hat. Diese Arbeiter*innen haben oft unter schwierigen Bedingungen gearbeitet, und ihr Einsatz hat dazu beigetragen, viele Lücken in verschiedenen Branchen zu schließen, von der Landwirtschaft bis hin zur Industrie. Ihre Anstrengungen haben nicht nur dazu beigetragen, die Wirtschaft anzukurbeln, sondern auch die kulturelle Vielfalt bereichert und den sozialen Zusammenhalt gestärkt. Es ist wichtig, ihre Beiträge anzuerkennen und zu würdigen, um eine gerechtere und integrativere Gesellschaft zu schaffen, die auf den Prinzipien der Anerkennung und Wertschätzung aller Menschen basiert.

 

Bis heute fehlt die Anerkennung für die immense Leistung und den Beitrag der sogenannten Gastarbeiter*innen, was nicht nur eine Unterbewertung ihrer Arbeit darstellt, sondern auch den rassistischen Charakter des Kapitalismus manifestiert. Diese Arbeiter*innen wurden oft als bloße „Arbeitskräfte“ betrachtet, ohne ihre menschliche Würde und ihre Rechte angemessen anzuerkennen. Zusätzlich äußert sich der rassistische Charakter des Kapitalismus in der Tatsache, dass Gastarbeiter*innen oft aus Ländern rekrutiert wurden, die von europäischen Kolonialmächten unterdrückt wurden oder immer noch unter wirtschaftlicher Ausbeutung leiden. Diese Menschen wurden als „billige Arbeitskräfte“ angesehen und in vielen Fällen unter unzureichenden Bedingungen beschäftigt, ohne angemessenen Schutz oder faire Bezahlung.

 

Rassismus und Kapitalismus sind zwingend miteinander verbunden, da Armut und armutsbedingende Faktoren durch Diskriminierungsmechanismen verstärkt werden. Rassismus existiert jedoch auch über kapitalistische Ausbeutung hinaus. Prinzipiell bedurfte das System eines Narratives, um die Überausbeutung der Gastarbeiter*innen zu rechtfertigen. Indem sie als Fremde und “Geringwertige” bezeichnet und so von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, konnte man die menschenunwürdige Ausbeutung plausibel machen. Diese rassistischen Zuschreibungen waren Ausdruck eines Herrschaftsanspruchs der Gastarbeiter*innen in eine “Pufferfunktion” für das wirtschaftliche System zwingen sollte und prägten den Alltag der Gastarbeiter*innen auch außerhalb der Arbeitsstätte. Diese Formen des Rassismus und der Diskriminierung haben tiefe Spuren hinterlassen und sind bis heute in unserer Gesellschaft präsent.

 

Es ist wichtig anzuerkennen, dass der Erfolg vieler Industrien und Wirtschaftssektoren in Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Belgien eng mit der harten Arbeit und dem Engagement von Gastarbeiter*innen verbunden ist. Ohne ihren Beitrag wäre der wirtschaftliche Aufschwung vieler europäischer Länder nicht möglich gewesen. Daher ist es unerlässlich, die Anerkennung für ihre Leistung zu fordern und gleichzeitig aktiv gegen rassistische Strukturen und Vorurteile vorzugehen. Nur durch eine konsequente Ablehnung von Rassismus in allen seinen Formen können wir eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft schaffen, in der die Würde und die Rechte aller Menschen geachtet werden.

 

Vor allem unsere Stadt wird wie keine andere mit dem Wirken der Gastarbeitenden in Verbindung gebracht. Die Geschichte ganzer Bezirke basiert maßgeblich auf dem kulturellen und alltäglichen Leben dieser Menschen. Kreuzberg und Neukölln sind Beispiele dafür, wie sich die Präsenz von Gastarbeiter*innen im Stadtbild manifestiert. Die Entstehung von „Kiezen“ mit türkischen, arabischen oder italienischen Geschäften, Restaurants und Orte, religiöser Wichtigkeit spiegelt die Vielfalt und den Einfluss dieser Gemeinschaften wider. Doch ihr Einfluss erstreckt sich weit über diesen Bereich hinaus. Die Spuren ihrer Arbeit sind auch in der Architektur zu finden, sei es durch den Bau von Wohnhäusern, Fabriken oder öffentlichen Einrichtungen. Darüber hinaus prägen sie das kulturelle Leben der Stadt durch Festivals, Märkte und kulturelle Veranstaltungen, die ihre Traditionen und Bräuche zelebrieren. Die Gastarbeitenden haben nicht nur zur wirtschaftlichen Entwicklung Berlins, sondern auch zu einem Gefühl der Gemeinschaft und des Zusammenhalts beigetragen, indem sie Solidarität untereinander sowie mit den Einheimischen gefördert haben. Ihre Erfahrungen und Geschichten sind integraler Bestandteil der Berliner Identität und erinnern uns daran, dass unsere Stadt auf dem Einsatz und den Beiträgen von Menschen verschiedener Herkunft und Kulturen aufgebaut ist.

 

Ein Vertrag von dem nur eine Seite profitierte…

Auch in der damaligen DDR wurden Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben. Unter dem Vorwand der Ausbildung im sozialistischen Bruderstaat wurden Menschen, nach neoimperialistischer Ideologie, für den eigenen Zweck ausgebeutet. Insbesondere aus Ländern wie Vietnam, Mosambik und Kuba wurden Arbeiter*innen angeworben, um den Arbeitskräftemangel in verschiedenen Sektoren zu beheben, sei es in der Industrie, der Landwirtschaft oder im Baugewerbe. Diese Praxis der Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften war jedoch nicht frei von Problemen und Widersprüchen. Obwohl offiziell als solidarischer Akt dargestellt, diente sie auch dazu, die wirtschaftlichen Interessen der DDR zu fördern und die eigene Produktivität zu steigern. Die Arbeitsbedingungen für diese ausländischen Arbeitskräfte waren oft unzureichend, und sie wurden häufig schlechter bezahlt als ihre einheimischen Kolleg*innen. Darüber hinaus wurden sie oft von der Gesellschaft isoliert und hatten begrenzte Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe. Diese Praxis der Anwerbung von Vertragsarbeiter*innen in der DDR verdeutlicht, wie auch in sozialistischen Systemen die Ausbeutung von Arbeitskräften im Namen des Staates und seiner ideologischen Ziele stattfand. Sie zeigt auch, wie Ideologie und politische Interessen oft dazu verwendet wurden, um die Rechte und Würde der Arbeitenden zu unterdrücken und auszubeuten. Zudem wird dadurch auch deutlich, dass die Diskriminierung migrantisierter Menschen, und auch Rassismus, den BIPoCs erleben, auch in anderen Wirtschaftsformen stattfindet.

 

Deshalb fordern wir:

  • Die ernstzunehmende Auseinandersetzung und die Verstetigung der Auseinandersetzung mit dem Leben der sogenannten Gast- und Vertragsarbeiter*innen innerhalb unseres Verbandes, aber auch gesellschaftlich.
  • Ausweitung von Orten der Begegnung verschiedener Generationen von sog. Gastarbeitenden und ihren Nachkommen
  • Die Einführung eines wiederkehrenden Feiertags für die Verabschiedung zahlreicher Anwerbeabkommen. Ein mögliches Datum wäre der 30. Oktober 1961, der Tag, an dem das deutsch-türkische Anwerbeabkommen beschlossen wurde. Vor allem dieses Anwerbeabkommen prägt das Stadtbild noch bis heute.
  • Vorbereitung und Durchführung eines Staatsaktes zum 65.-jährigen Jubiläum des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens
  • Die historische Auseinandersetzung mit dem Unrecht, dass den Vertragsarbeiter*innen in der DDR widerfuhr

 

Antrag 157/I/2024 Intersektionale Aufarbeitung anlässlich 35 Jahre Mauerfall: Das Schicksal der sogenannten Vertragsarbeiter*innen in der DDR endlich anerkennen

21.04.2024

Durch die Abwanderung von Millionen von Menschen aus der DDR in die BRD, entstand in den 1960er Jahren ein großer Mangel an Arbeitskräften. Zwischen 1967 und 1986 wurden daraufhin Abkommen zur „Ausbildung und Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte“ zwischen der DDR und sogenannten „sozialistischen Bruderstaaten“, wie Algerien, Mosambik, Angola, China, Kuba, Vietnam, Ungarn und Polen abgeschlossen.

 

Die Situation der sogenannten Vertragsarbeiter*innen in der DDR war enorm prekär: Arbeiter*innen lebten auf sehr engem Raum, meist in gesonderten Wohnheimen, und waren sowohl im Betrieb als auch im Alltag vom Rest der Gesellschaft weitestgehend abgegrenzt und ausgeschlossen. Ihr Aufenthalt wurde strikt auf eine Zeitspanne von zwei bis fünf Jahren begrenzt, der Nachzug von Familienangehörigen war fast ausnahmslos verboten. Wurden Vertragsarbeitende schwanger, drohte ihnen bis 1988 eine direkte Abschiebung, andernfalls wurden sie zu Schwangerschaftsabbrüchen gedrängt.

 

Imperialistische Vorbehalte der damaligen Außenpolitik der DDR können am Beispiel der Vertragsarbeitenden aus Mosambik demonstriert werden, denn hier gab  es eine vertragliche Zusatzregel, nach der die DDR bis zu 60% des Lohns der Arbeiter*innen einbehielt, um angebliche Schulden des Staates Mosambik zu begleichen. Dieser Betrag sollte, so das Versprechen, den Mosambikaner*innen in ihrer Heimat zugutekommen, doch diese Auszahlung fand bis heute nicht statt.  Bis heute kämpfen die ehemaligen Vertragsarbeitenden um den fehlenden Lohn, Aktivist*innen gehen von einer Summe von umgerechnet über 600 Millionen Euro aus, die den Arbeiter*innen zusteht. Auch Rentenansprüche, die eigentlich in das mosambikanische Rentensystem überführt werden sollten, sind bis heute ungeklärt. Viele der zurückgekehrten Mosambikaner*innen leben bis heute in prekären Verhältnissen und werden in Mosambik als „Madgermanes“ diffamiert.

 

Die Wiedervereinigung 1990 war ein Wendepunkt für viele Vertragsarbeitende, die mit geringen Abfindungen zurückkehrten oder massenhaft abgeschoben wurden. Die gleichen Menschen, die sich in Deutschland ein Zuhause geschaffen hatten und den Mangel an DDR-Arbeitskräften ausgeglichen hatten, mussten nun weiter um ihre Existenzen und ihre Daseinsberechtigung kämpfen. Trotz der Herausforderungen entschieden sich 20.000 Vietnamesinnen und Vietnamesen, in Deutschland zu bleiben. Oftmals aufgrund fehlender Alternativen gründeten sie eigenständig kleine Unternehmen, darunter Gemüse- und Blumengeschäfte. Erst im Jahr 1997 wurde ihnen ein sicherer Aufenthaltsstatus gewährte. Der Fall der Familie Pham zeigt jedoch, dass trotz ihres Einsatzes ihr Leben in Deutschland nicht gleichwertig ist. Pham Phi Son kam 1987 als Vertragsarbeiter in die DDR und erhielt im Jahr 2011 eine unbefristete Niederlassungserlaubnis in Deutschland. Im Jahr 2015 heiratete er in Vietnam, und seit 2016 lebt seine Frau Hoa Nguyễn mit ihm in Deutschland, wo 2017 ihre Tochter Emilia geboren wurde. Im Jahr 2016 überschritt Pham jedoch die erlaubte Auslandsaufenthaltsdauer von sechs Monaten durch einen neunmonatigen Aufenthalt in Vietnam, wo er sich wegen einer Knieverletzung, die sich im vietnamesischen Klima verschlimmert hatte, stationär behandeln lassen musste. Diese Überschreitung führte dazu, dass ihm die Chemnitzer Ausländerbehörde sämtliche Aufenthaltsrechte entzog. Pham legte gegen diese Entscheidung Einspruch ein, unterlag jedoch vor Gericht. Trotz zweier Entscheidungen der Härtefallkommission gegen ihn in den Jahren 2018 und 2023, soll sich die Kommission nun ein drittes Mal mit seinem Fall befassen.

 

Auch im Hinblick auf rechte Gewalt war die Wiedervereinigung eine Zäsur. Schon in der DDR waren Vertragsarbeiter*innen mit gesellschaftlichem und strukturellem Rassismus konfrontiert, der sich auch in tätlichen Angriffen widerspiegelte, jedoch von der DDR-Führung vertuscht wurde. Nach der Wiedervereinigung in den 90er-Jahren, war rechte Gewalt Alltag für migrantisierte Menschen, die dem gesellschaftlichen Rassismus schutzlos ausgeliefert waren. Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, aber auch Thiendorf, Freital, und Tambach-Dietharz sind nur einige Beispiele für rechtsextreme Anschlagsorte.

 

Das strukturelle Unrecht gegenüber den Vertragsarbeiter*innen in der DDR ist bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet, deshalb fordern wir:

  • Den Vertragsarbeiter*innen, die nach der Wiedervereinigung in Deutschland geblieben sind, sollte eine dauerhafte und planungssichere Option zum Verbleib, wie die Staatsbürgerschaft, ermöglicht werden, um Fäll wie den der Familie Pham zu verhindern.
  • Die fehlenden Lohn- und Rentenansprüche müssen umgehend an die ehemaligen Vertragsarbeiter*innen oder ihre Angehörigen ausgezahlt werden
  • Anerkennung der Ausbeutung der Arbeiter*innen durch die DDR
  • Verbesserung der Studien- und Datenlage über die Anzahl der in Deutschland beschäftigten Vertragsarbeiter*innen und ihre Lebenssituationen, auch in Mosambik und anderen Herkunftsländern.
  • Ehemalige Wohnheime wie in Pankow sollten nach der Renovierung, ihre Vergangenheit nicht verlieren und als Bestandteil der DDR-Erfahrungen sollten Tafeln, Wandgestaltung an ihre ehemaligen Bewohner*innen erkennen.
  • intersektionales Gedenken an das Mauerfall-Jubiläum, welches auch die Perspektive der ehemaligen Vertragsarbeitenden beleuchtet und Zeitzeug*innen verschiedener Gruppen zu Wort kommen lässt

 

Antrag 287/I/2024 Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für alle Personen während der Dauer der Erstausbildung

21.04.2024

Wir fordern, dass alle Personen während der Dauer der Erstausbildung pauschal von der Rundfunkbeitragspflicht befreit werden.

 

In Deutschland gibt es circa 2,92 Millionen Studierende und 1,3 Millionen Auszubildende. Von den Studierenden beziehen rund 11 Prozent Bafög. Die restlichen Studierenden und die Auszubildenden finanzieren ihr Studium/ ihre Ausbildung durch Arbeit oder finanzielle Unterstützung ihrer Eltern.

 

Grundsätzlich muss jeder Haushalt in Deutschland monatlich 18,36€ Rundfunkgebühren bezahlen. Befreiungen sind im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) nur ausnahmsweise vorgesehen.

 

Gemäß § 4 RBStV werden insbesondere Studierende sowie Auszubildende und volljährige Schüler*innen auf Antrag von der Beitragspflicht ausgenommen, soweit sie Bafög oder eine andere der im RBStV genannten staatlichen Leistungen beziehen. Darüber hinaus ist eine Befreiung nur in gravierenden Härtefällen aus Gründen extremer finanzieller Not oder schwerwiegenden Gesundheitsproblemen vorgesehen. In der Praxis wird die Befreiung größtenteils verwehrt. Folglich stellt die Zahlung/ Nachzahlung der Rundfunkgebühren für Studierenden/Auszubildenden eine enorme finanzielle Belastung dar.

 

Studierende, in Erstausbildung, die nicht Bafög beziehen, haben analog zum Bafög-Höchstsatz einen Anspruch auf elterliche Unterhaltszahlung in Höhe von 930 €. Sie können aufgrund eines zu hohen Einkommens ihrer Eltern regelmäßig kein Bafög beziehen und dürfen nebenbei rein rechtlich gesehen auch nicht arbeiten gehen, ohne ihren Anspruch auf Unterhalt zu verlieren. Viele Studierende und aber auch Schüler*innen und Auszubildende haben in der Realität weniger Geld zur Verfügung. Sie sind somit insbesondere durch die Rundfunkgebühren belastet. Grundsätzlich stehen wir für ein elternunabhängiges Bafög.

 

Es ist nicht einleuchtend, warum Bafög beziehende Studierende von den Rundfunkgebühren befreit sind, alle anderen Studierenden, Auszubildende und Schüler*innen aber nicht. Der Rundfunkbeitrag stellt nämlich vor allem für Menschen in der ersten Ausbildung eine monatliche Belastung dar. Eine generelle Beitragsbefreiung