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Antrag 66/I/2020 Resolution: Für Black Studies an Berliner Hochschulen

30.09.2020

An den europäischen Kolonialverbrechen war Deutschland maßgeblich mitbeteiligt und entzieht sich bis heute der Verantwortung. Im Jahr 1885 endete die berüchtigte „Kongo- Konferenz“. Auf ihr trieben die Kolonialmächte die Ausbeutung und Aufteilung Afrikas voran. An die Verbrechen der millionenfachen Zwangsarbeit, Kriegsverbrechen im „Maji-Maji-Krieg“ oder dem Genozid an den Herero, Nama, Damara und San wird in der Bundesrepublik Deutschland kaum bis gar nicht erinnert. Allzu leicht lässt sich diese Geschichte von Ausbeutung und Massenmord verdrängen, wie an allen Orten deutscher Kolonisation zu finden. Rassismus ist Ausdruck eines Machtungleichgewichtes und durch die kollektive Verdrängung der Kolonialzeit werden rassistische Strukturen bis heute gefestigt.

 

Besonders in den USA etablieren Black Power – Bewegungen Studiengänge an Hochschulen, welche sich gezielt mit Rassismus, Schwarzer Kultur, und Empowernment wissenschaftlich beschäftigen. Es geht darum sichtbar zu machen, was es gibt und Grundlage für einen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs gegen Rassismus einzuläuten. In Deutschland haben solche Bewegungen und Initiativen bisher kaum Gehör gefunden und sind deswegen noch nicht erfolgreich. Wer sich mit „Black Studies“ auseinandersetzen möchte, muss demnach meist in die USA. Schwerpunktmäßig findet dort jedoch nur eine Auseinandersetzung mit US- Amerikanischer Praxis des Rassismus statt. Gerade Deutschland mit seiner eigenen kolonialen Vergangenheit braucht einen Ort, an dem „Black Studies“ wissenschaftliche Disziplin ist. White Privilege, Rassismus und weitere Konzepte bedürfen einer tiefen Auseinandersetzung, im regionalen Kontext. Zivilgesellschaftliche Initiativen, beispielsweise Berlin Postkolonial, leisten einen immensen Beitrag dazu, koloniale Verbrechen in das Gesellschaftliche Bewusstsein zurückzuholen und Konsequenzen zu fordern. Denn: Unsere koloniale Vergangenheit hat bis heute immense Auswirkungen!

 

In Birmingham, im Vereinigten Königreich, wurde 2017 erfolgreich der erste Studiengang „Black Studies“ in Europa etabliert. Die dortige afrikanische Diaspora war in den Jahrzehnten zuvor nur außerhalb von Universitäten erforscht worden. Der eurozentrische Lehrplan hat Student*innenkampagnen wie Why is my Curriculum White? („Warum ist mein Lehrplan weiß?“) und Rhodes Must Fall („Weg mit Rhodes“) ausgelöst: Die Bewegung schwappte von Südafrika nach Oxford und zielte darauf, eine Statue des Kolonialisten Cecil Rhodes entfernen zu lassen. Der Studiengang Black Studies ist Teil eines allgemeinen Bestrebens, das Bildungswesen zu „entkolonialisieren“ und vernachlässigtes Wissen an die Hochschulen Europas zu bringen. Nicht nur das bisher produzierte Wissen ist weiß, auch die Dozent*innen sind es. In Großbritannien machen Schwarze Hochschullehrer*innen etwa ein Prozent der Vollbeschäftigten aus, sie stellen nicht einmal 100 der insgesamt 18.000 Professor*innen. Dass dieser Studiengang in Großbritannien angeboten werden kann, liegt vor allem daran, dass – anders als anderswo – Schwarzes Lehrpersonal eingestellt wurde.

 

Bei Black Studies geht es um eine „Wissenschaft der Befreiung“.

 

In den USA, wurde die Gründung eines solchen Studienganges Ende der 1960er Jahre auf amerikanischen Campussen erzwungen. Studierende, Lehrkörper und Bürger*inneninitiativen mussten demonstrieren und kämpfen, um den Wandel herbeizuführen. Erst nach einem fünfmonatigen Streik, der 1968 begonnen hatte, ließ das San Francisco State College das Fach Black Studies zu. Schwarze Student*innen der Cornell University, die für einen Black-Studies-Studiengang demonstriert hatten, sahen sich genötigt, sich zu bewaffnen, nachdem ihnen Gewalt angedroht worden war. In den USA hat das Fach Black Studies eine solide Grundlage, aber es wird immer noch verleumdet, ist unterfinanziert und ständig von Schließungen bedroht. Ohne die Unterstützung Schwarzer Gemeinden hätte es Black Studies überhaupt nicht gegeben, deshalb spielt bei diesem Fach auch die Aktivist*innenkomponente eine zentrale Rolle. Universitäten entstehen aus der Kluft zwischen der intellektuellen Elite und der Welt, die sie erforschen. Black Studies heben diese Trennung in dem Bereich auf, weil Schwarze Gemeinden und deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt rücken. Wir wollen, dass im Rahmen des Programms Studierende mit Organisationen arbeiten, die das Leben Schwarzer Menschen verbessern wollen. Das Fach soll Forschungsmethoden lehren, welche gesellschaftliche Veränderungen und Befreiung zum Studienobjekt machen.

 

Wir unterstützen die Initiative von u.a. Berlin Postkolonial einen Studiengang Black Studies zu gründen und fordern eine entsprechende Ausstattung mit Ressourcen. Bei der Ausgestaltung soll die Beteiligung von Betroffeneninitiativen und schwarzen Forscher*innen sichergestellt werden. Wir verurteilen den Versuch einer Hamburger Forschungsgruppe einen Studiengang „Black Knowledges“ an der Universität Bremen einzuführen, welcher von rein weißen Forscher*innen gestaltet und besetzt war! Nach heftiger Kritik aus der Zivilgesellschaft an der Aneignung Schwarzen Wissens, während gleichzeitig Schwarze Forscher*innen marginalisiert wurden, löste sich die Gruppe 2015 auf. Seither scheiterten alle Versuche Schwarzer Initiativen, einen eigenen Lehrstuhl in Deutschland zu gründen. Das muss ein Ende haben!

 

Wir sprechen uns also für die Einrichtung, Ausstattung und langfristig sichergestellte Finanzierung für Black Studies an Berliner Universitäten aus.

Antrag 64/I/2020 Bildungsgerechtigkeit in Coronazeiten? – Das geht! Das kann! Das muss!

30.09.2020

Die Corona bedingten Schulschließungen haben altbekannte Probleme unseres Bildungssystems wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht. Dies gilt gerade und insbesondere für unsere Bildungseinrichtungen. Gerade zu Beginn der Krise zeigten sich viele Schulen überfordert und planlos. Es ist deshalb zwingend nötig, kritisch zu analysieren was in der Corona-Zeit falsch gelaufen ist und sowohl kurzfristige wie langfristige Veränderungen zu erreichen. Somit bleibt auch klar, dass wir uns von dem Gedanken einer möglichst sparsamen Bildung endlich verabschieden müssen. Denn schon ohne Corona ist unser Bildungssystem weit entfernt davon gerecht zu sein, diese Situation verschärft sich in Krisensituationen zusehends. Weshalb wir noch einmal unsere Forderung wiederholen: Wollen wir eine gerechtere Zukunft, brauchen wir eine gerechte Bildung. Wollen wir eine gerechtere Bildung müssen wir mehr investieren. Ohne Investitionen in die Bildung also keine gerechte Zukunft!

 

Dabei steigt mit fortdauernder Schulschließung die Gefahr, dass sich Bildungsungerechtigkeiten sogar noch weiter verstärken. Die Funktion der Schule, häusliche Ungleichheiten auszugleichen wird nahezu ausgesetzt. Die so durch diese Krise entstandenen Ungleichheiten können auch durch den stattgefundenen Fernunterricht nicht ausgeglichen werden. Auch wenn zum neuen Schuljahr die Schulen wieder einen Regelbetrieb anbieten, muss damit gerechnet werden, dass es (an einzelnen Schulen) zur erneuten Schulschließungen kommen wird. Die Senatsbildungsverwaltung und die Schulen müssen auf diesen Fall vorbereitet sein. Bei einer nächsten Krisensituation muss der Staat gewährleisten können, innerhalb eines Tages die Umstellung von Präsenz zu Onlineunterricht zu vollziehen. Und bei andauernden Schulschließungen Ersatzangebote bereitstellen, die die sozial schwierige Lage einzelner Schüler*innen berücksichtigen.

 

Die sozialdemokratischen Mitglieder des Abgeordnetenhauses und des Senats sind daher aufgefordert nachfolgende Forderungen in der weiteren Planung zu berücksichtigen:

 

1: Transparenz und Planungssicherheit

Die Senatsverwaltung ist aufgefordert in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern Notfallpläne für die Situation einzelner Schulschließungen zu erarbeiten. Wen ein Corona-Fall an Schulen auftaucht, ist eine vom Gesundheitsamt angeordnete Schulschließung die Konsequenz. Es ist zwingend erforderlich, dass die Senatsverwaltung im Notfallbogen das genaue Verfahren zur Information der Erziehungsberechtigten und zum Wechsel zwischen Präsenz- und digitalen Fernbetrieb regelt, um ein gewisses Maß an Planungssicherheit für Erziehungsberechtigte zu schaffen. Ein transparenter Umgang mit Infektionsfällen und den daraus resultierenden Konsequenzen schafft Unsicherheiten aus dem Weg.

 

2: Raumsituation als Voraussetzung für Hygienekonzepte

Die Ausbreitung der Pandemie in Schulen kann nur ausgebremst, werden indem Abstandsregeln, Maskenpflicht und andere Schutzmaßnahmen konsequent realisiert werden können. Eine wichtigste Voraussetzung dafür sind die schulischen Räumlichkeiten. Wir fordern deshalb, dass jede Schule ein Raumkonzept für Krisenzeiten erstellt. Die Senatsbildungsverwaltung soll in Kooperation mit den Gesundheitsämtern Konzepte zur Orientierung vorgeben. Weiterhin soll für jede Schule geprüft werden, inwieweit Ersatzräume in nahegelegenen Einrichtungen (in Ämtern, Volkshochschulen, Jugendzentren, Musikschulen etc.) zur Verfügung stehen, auf die im Falle zurückgegriffen werden kann. (Schulischer) Bildung muss Vorrang gewährt werden vor wirtschaftlichen Tätigkeiten. Mit dem Ausweichen auf alternative Räumlichkeiten muss Unterricht solange wie möglich in Präsenzform sichergestellt werden und bedarf hoher Priorisierung bei der Erarbeitung gesamtgesellschaftlicher Konzepte zur Eindämmung des Infektionsrisikos

 

3: Soziale Verantwortung des Pädagogischen Personals

Wir stellen dabei fest, dass die Schließung der Schulen, das pädagogische Personal nicht von der Dienstpflicht befreit. Insbesondere Klassenlehrer*innen sollen in Zeiten von andauernden Schulschließungen zum wöchentlichen Kontakt mit ihrem Schüler*innen verpflichtet werden. Art und Umfang ist durch die Senatsbildungsverwaltung in einer Verwaltungsvorschrift festzulegen. Denkbar sind hier z.B. Modelle, in denen Schüler*innen an jedem zweiten Tag in der Schule Probleme und Fragestellungen mit den Lehrer*innen und Mitschüler*innen diskutieren und auch weitere Materialien erhalten, die sie an den anderen Tagen zu Hause bearbeiten können. Um die Kontaktmöglichkeiten zu reduzieren, kann hier z.B. im Klassen- oder Kursverband rotiert werden. Damit dieser wöchentliche Kontakt im Rahmen der Dienstpflicht gewährleistet werden kann, ist eine adäquate technische Ausstattung der Lehrkräfte erforderlich.

 

Deshalb fordern wir, dass – wo noch nicht geschehen – eine dienstliche Mailadresse an allen Schulen eingerichtet wird. Klassenlehrer*innen sind weiterhin Endgeräte für den dienstlichen Gebrauch zu Verfügung zu stellen. Da an vielen Schulen, ein Mailkontakt mit den Eltern sich als schwierig gestaltet. Bei der Ausarbeitung entsprechender Vorgaben, sind die Gewerkschaften einzubeziehen.

 

4: Digitale Endgeräte für bedürftige Schüler*innen bereitstellen

Auch in der Zeit der Schulschließungen besteht ein Recht auf Zugang zu staatlichen Bildungsangeboten unabhängig des sozioökonomischen Status einzelner Schüler*innen. Dort wo dieser Zugang vom Besitz digitaler Endgeräte (einschließlich eines Internet Zugangs) abhängt, sind diese vom Staat bereitzustellen.

 

Der Senat ist daher aufgefordert, sich für die Verankerung eines solchen Rechtsanspruchs einzusetzen. Er trägt insoweit die Verantwortung für die digitale Infrastruktur auch außerhalb des Schulgebäudes.

 

5: Alternative Lernräume anbieten und besondere Lernräume erhalten

Zudem fordern wir, dass im Falle einer Schulschließung, die länger als zwei Wochen andauert, bedürftige Schüler*innen alternative hygienische Lernräume in den Schulen und Bibliotheken zur Verfügung gestellt werden soll. Da gerade die Schließung von Schulen vor allem bedürftige Schüler*innen Lernraum entzieht. Hierüber kann auch der Zugang zu einem Drucker sichergestellt werden. Weiterhin soll nach Möglichkeit der Betrieb sonderpädagogischer Lerngruppen aufrechterhalten werden. Wenn die Bearbeitung der Aufgaben im häuslichen Umfeld nicht möglich ist, müssen diese Lernräume sicherstellen, dass Schüler*innen nicht abgehängt werden, eine angemessene Lernumgebung erhalten und hier pädagogisch betreut werden.

 

6: Schulpflicht gilt auch in Corona und ist durchzusetzen

Die Schul- und Unterrichtspflicht gilt auch in Corona und schützt gerade bedürftige Schüler*innen.

 

Deshalb wird die Senatsbildungsverwaltung dazu aufgefordert die AV-Schulbesuchspflicht, um klare Vorgaben zu ergänzen. Diese beinhaltet insbesondere eine Kontakt- und Rückmeldepflicht der Schüler*innen bzw. deren Erziehungsberechtigten. Ist dieser Kontakt nicht möglich, befindet sich das Kind in digitaler Schuldistanz, welche es zu erfassen gilt. Für diesen Fall sind aufsuchende Maßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und der Sozialarbeit zu entwickeln.

 

7: Stärkung der Schulsozialarbeit

Eine weitere Voraussetzung ist die Stärkung der Schulsozialarbeit in der Krise. Durch die Schulschließungen brechen viele Unterstützungssysteme – sei es die Durchführung von Krisengesprächen, Aufklärung häuslicher Gewalt oder Unterstützung in Amtsangelegenheiten – weg. Gerade für Schulschließungen braucht es daher Konzepte zur Begleitung von Schüler*innen und deren Erziehungsberechtigten.

 

Es sollen daher in Zusammenarbeit mit den Jugendämtern und den Trägern der freien Jugendhilfe, Konzepte für die Sozialarbeit in Krisenzeiten und insbesondere für Hausbesuche entwickelt werden. Weiterhin soll die Notfallbetreuung auch in Jugendclubs eingerichtet werden, in denen Kinder Probleme besprechen können. Zudem fordern wir, dass eine sichere Onlineplattform für Sozialarbeiter*innen aufgebaut werden, wodurch ein digitaler Kontakt möglich ist.

 

8: Beteiligung und Kommunikation

Um verschiedene Perspektiven innerhalb der Schulgemeinschaft einzubeziehen, sind mindestens die Schulkonferenz unter besonderer Berücksichtigung der Meinungen von Schülervertreter*innen und das Krisenteam bei der Ausarbeitung, Einführung und Umsetzung von Corona-bedingten Raum-, Hygiene- und (Fern)Unterrichtskonzepten einzubeziehen. Das gleiche gilt für die Landesgremien bei der Ausarbeitung der oben genannten zentralen Konzepte.

 

9: Hygienisch handeln in Schulen

In vielen Schulen sind nur ungenügende Sanitäreinrichtungen zur Umsetzung der Hygienekonzepte vorhanden. Auch gab es bis zuletzt an vielen Schulen zu wenig Desinfektionsmittel und selbst wenn vorhanden, fand vielerorts keine richtige Anwendung statt. Zwar wurde eine Maskenpflicht für das Lehrpersonal empfohlen, doch auch das wurde bzw. konnte kaum umgesetzt werden. Die Lüftung in den Klassenräumen war von den jeweiligen Lehrkräften abhängig und wurde zu restriktiv umgesetzt.

 

Alle Berliner Schulen müssen so mit Sanitäranlagen und Hygienematerial ausgestattet werden, dass sie auch langfristig und jederzeit auf Pandemien vorbereitet sind. Hierzu zählen nicht zuletzt eine ausreichende Anzahl an Waschbecken, Warmwasser, Toiletten und Seife. Zudem fordern wir, dass in den obligatorischen Erste-Hilfe-Kursen auch die richtige Anwendung von Hygienemitteln und Regeln thematisiert werden. Damit die Lehrkräfte vor Ort mit Desinfektionsmitteln und weiteren Maßnahmen vertraut und sicher umgehen können.

 

Antrag 90/I/2020 Leave no one behind – Europäisch, Solidarisch, Menschlich!

30.09.2020

Seit Jahren spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab: Die europäische Asylpolitik! Eine Polizei, die Menschen, die vor Flucht, Hunger und Vertreibung fliehen, zusammenschlägt. Europäische Länder, die ihre Grenzen schließen, um Menschen den Wunsch auf Frieden und Sicherheit zu verwehren. Regierungen, die um die Aufnahme jedes Fluchtsuchenden unsolidarisch feilschen.

 

Dann Oktober 2015 – Auf einer Insel vor der Küste Griechenlands entsteht das größte Flüchtlingslager in Europa seit dem Mauerfall. 19.000 Menschen leben hier unter unmenschlichen Bedingungen: Mangelnde Versorgung, desaströse hygienische Bedingungen und Gewalt. Moria war bereits vor der Corona- Zeit Ort tiefer Besorgnis.

 

Das sich mit Corona die ohnehin schon besorgniserregende Situation noch weiter verschlimmert hat, braucht nicht weiter ausgeführt werden.

 

So verwundert es auch nicht, dass neben Ärzte ohne Grenzen noch 16 weitere NGOs eine sofortige Evakuierung des Lagers fordern. Die Reaktion der griechischen Regierung ist eine andere: Gerade einmal 500 der 19.000 Menschen wurden seit Mai aus dem Lager evakuiert. Weiterhin sollen die minderjährigen Geflüchteten zwar Asyl erhalten und können so innerhalb von zwei bis vier Wochen die Lager verlassen, jedoch müssen sie sofort eine Unterkunft und Arbeit finden, um sich selbst finanzieren zu können. Unfassbar, wenn man bedenkt, dass es sich um Minderjährige handelt, die die geforderten Sprachen größtenteils nicht beherrschen, psychisch geschädigt sind und dringend medizinische Versorgung benötigen. Natürlich bedeutet dies für viele der Weg in die Obdachlosigkeit, illegaler Arbeit oder Prostitution.

 

Und die deutsche Bundesregierung?

Berlin hat angekündigt 300 Menschen aufnehmen zu wollen – Thüringen will weitere 500 unbegleitete Geflüchtete aufnehmen. Alles scheitert an einer Person: Horst Seehofer. Sein Vetorecht zu den Landesaufnahmeprogrammen begründet er dabei mit einem „bundeseinheitlichen Handeln“.  Er verweist damit auf Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes, wonach das „Einvernehmen“ des Ministeriums bei Landesaufnahmeprogrammen nötig ist, um die „Wahrung der Bundeseinheitlichkeit“ herzustellen. Zurecht bezeichnen viele Politiker*innen dieses Vorgehen als Skandal. Denn was soll hier gewahrt bleiben? Die Abschottungspolitik? Ein einheitliches inhumanes Vorgehen gegen Geflüchtete?

 

Der Fall Moria ist ein trauriger Höhepunkt einer seit Jahren andauernden rassistischen Asylpolitik. Diese muss durchbrochen werden.

 

Wir als Jusos bleiben dabei, dass Menschen die vor Krieg, Hunger oder Verfolgung fliehen, selbstverständlich geholfen werden muss. Menschen gehören nicht in eingezäunte Lager.

 

Wir fordern deshalb:

 

  • dass der Bundesparteitag, die SPD-Bundestagsfraktion sowie die SPD-Regierungsmitglieder das Vorgehen des Bundesinnenministers verurteilen und darauf hinwirken, dass es den deutschen Bundesländern erlaubt wird, Landesaufnahmeprogramme für die Geflüchteten auf Lesbos aufzustellen.
  • dass sich der Bundesparteitag, die SPD-Bundestagsfraktion, die SPD-Regierungsmitglieder, dafür einsetzen, auf eine gerechte und gleichmäßige Verteilung der Geflüchteten hinzuwirken. Gerade Deutschland muss mit seiner historischen Verantwortung, die humanitäre Hilfe als Selbstverständlichkeit begreifen und es als Pflicht ansehen, notleidenden Menschen zu helfen
  • die S&D-Fraktion im Europäischen Parlament, den Vorsitzenden des Rates für Allgemeine Angelegenheiten und deren sozialdemokratischen Mitgliedern sowie die sozialdemokratischen Regierungen Europas auf, sich für eine sofortige Schließung Morias und eine dezentrale Unterbringung der Geflüchteten einzusetzen. Dass ein solches Lager überhaupt in Europa existiert, kann wahrlich als Schande bezeichnet werden.
  • die S&D-Fraktion im Europäischen Parlament, den Vorsitzenden des Rates für Allgemeine Angelegenheiten und deren sozialdemokratischen Mitgliedern sowie die sozialdemokratischen Regierungen Europas auf, sich dafür einzusetzen, dass das europäische Asylrecht dahingehend umgestaltet wird, dass bereits unbegleitete minderjährige Geflüchtete, die sich im Asylprüfungsverfahren befinden, mit sofortiger Wirkung ein oder beide Elternteile nachholen dürfen. Zudem soll die Grundsatzentscheidung des EuGHs von 2018 im gesamten EU-Gebiet 1:1 umgesetzt werden. Demnach dürfen unbegleitete Geflüchtete ihre Eltern bei einem positiven Asylbescheid nachholen. Dies gilt auch dann, wenn Sie während ihres Asylverfahrens 18 Jahre alt werden. Dieses Urteil wird bei weitem (z.T. nicht mal in Deutschland) umgesetzt.
  • dass eine PG Flucht & Migration der Jusos Berlin eingesetzt wird. Die erwähnte rassistische Asylpolitik zu durchbrechen bedarf weiterhin intensiver Arbeit. Dabei müssen wir stetig die Themen rund um Flucht und Migration in der Gesellschaft thematisieren, kampagnenfähig bleiben sowie Veranstaltungen und Aktionen weiterhin durchführen. Damit der Landesvorstand sowie die Kreisverbände, gerade im Hinblick auf die anstehenden Wahlen entlastetet werden können und gleichzeitig Mitglieder in diese Arbeit noch stärker involviert werden können, fordern wir die Einsetzung dieser PG. Es kann nicht sein, dass wir dieses Gebiet den Rechten überlassen, die es ständig für ihre widerliche Politik instrumentalisieren. Wenn wir einen Wandel der Gesellschaft antreiben wollen, müssen wir weiterhin der Motor sein!

Antrag 43/I/2020 Solidarität mit dem Syndikat! Kiezstrukturen und Freiräume vor Verdrängung schützen – nicht die marktwirtschaftlichen Interessen der Immobilienkonzerne!

30.09.2020

Als Jusos Berlin erklären wir uns solidarisch mit der Kiezkneipe Syndikat und allen von Räumung bedrohten linken und emanzipatorischen Projekten.

 

Die Geschichte des Syndikats ist ein Paradebeispiel dafür, wie Kiezkultur und linke Freiräume der Immobilienspekulation zum Opfer fallen. Dabei hatte das Betreiber:innenkollektiv erst nach aufwendiger Suche herausgefunden, dass hinter der auf dem Papier angegebenen Eigentümerin des Hauses, einer Briefkastenfirma in Luxemburg, der Immobilienkonzern Pears Global steckt. Durch ein Konstrukt aus vielen Tochterfirmen, die zum Pears-Konzern gehören, müssen die drei Pears-Brüder, denen der Konzern gehört, keine oder fast keine Steuern zahlen. Auch das Haus, in dem das Syndikat beheimatet war, hatte der Pears-Konzern über eine Tochterfirma gekauft.

 

Umso absurder ist die Situation, dass der Berliner Senat nun mit Steuergeldern einen Großeinsatz der Polizei finanziert, die per Gerichtsbeschluss die Profitinteressen des Pears-Konzerns durchsetzt. Die Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes sehen wir nicht. Bereits das polizeiliche Vorgehen gegen die #RausAusDerDefensive-Demo am Abend des 1. August 2020 wirft Fragen auf: Die Demonstration wurde schon kurz nach Beginn brutal unter Anwendung von Einsatzmehrzweckstöcken und CS-Gas aufgelöst, während die Polizei am Mittag desselben Tages noch rund 20.000 Nazis und andere „besorgte Bürger:innen“ und Verschwörungsgläubige, die in jenen zahlreichen mitmachenden Nazis kein Problem sahen, unter bewusster Missachtung u. a. der Mund-Nasen-Schutz-Auflage durch Mitte marschieren ließ. Vor Ort zeigten sich die Einsatzkräfte überfordert, konnten keinen Schutz der Gegendemonstrant:innen garantieren und waren nicht in der Lage, offenbar auch nicht entschlossen dazu angewiesen, eine Auflösung wegen Verstößen gegen die Hygieneauflagen durchzuführen. Gerade diese Gegenüberstellung der Demonstrationen am 1. August zeigt, dass Polizeiressourcen nicht den Zahlen der Teilnehmenden und deren Anlässen entsprechend eingesetzt wurden.

 

Das Vorgehen am 6. und 7. August überstieg dies noch einmal. Für die Durchsetzung der rechtlich geschützten Interessen des Pears-Konzerns ließ der Senat für mehrere Tage einen ganzen Kiez sperren. Dabei war dem Senat offenbar das Eigentumsinteresse von Pears Global wichtiger als das Umsatzinteresse des lokalen Gewerbes im abgesperrten Schillerkiez, das Versammlungsfreiheitsrecht und Freizügigkeitsgrundrecht vieler Menschen, der uneingeschränkte Zugang zur eigenen Wohnung sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit derjenigen, die von der Polizei unter Anwendung von körperlicher Gewalt festgenommen wurden.

 

Einzelne Szenen verdeutlichen die Brutalität des Polizeieinsatzes: Ein Mensch wird an einem Hamburger Gitter unter Inkaufnahme schwerer Verletzungen gewürgt, während zugleich Umherstehende ohne Bestehen einer Bedrohungslage für die Polizei gepfeffert werden.[1] Bilder zeigen, wie Polizeibeamt:innen grundlos auf Festgenommenen knien.[2] Zahlreiche Menschen wurden bei den Polizeimaßnahmen verletzt. Der Senat und Innensenator Andreas Geisel im Besonderen tragen die volle Verantwortung für die Polizeieinsätze.

 

Der Tag der Räumung, der 7. August 2020, ist ein schwerer Schlag für das Projekt einer linken Regierung, das Berlin mit dem rot-rot-grünen Senat versucht. Nicht nur deshalb, weil die Exekutive für ein Firmenimperium, das nicht einmal Steuern zahlt, unter wohl größtmöglich denkbarem Aufwand und brutaler Durchführung dessen Interessen rücksichtslos durchsetzt, sondern auch, weil das Handeln der Polizei und damit des Senates ernsthaft unsere Zusammenarbeit mit den vielen linken zivilgesellschaftlichen Initiativen gefährdet. Wir brauchen die antifaschistischen, die mietenpolitischen und die vielen anderen linken Gruppen als Bündnispartner:innen für eine progressive Stadtpolitik und wir dürfen es nicht zulassen, dass der linke (!) Berliner Senat die Grundlagen für eine linke Bündnispolitik weiter beschädigt!

 

Wir müssen verhindern, dass so etwas wie das Polizeivorgehen am 7.8.2020 noch einmal passiert. Dazu ist es notwendig, dass wir den marktwirtschaftlich auf Profit ausgerichteten Immobilienmarkt zurückdrängen, genossenschaftliche Nutzung ermöglichen und für den langfristigen Erhalt von Kiezstrukturen eintreten. Immobilien müssen dafür so weit wie möglich in gemeinwohlorientierte Nutzungsformen überführt werden. Um Kiezstrukturen vor der Verdrängung zu schützen, fordern wir zusätzlich zu dem bestehenden Mietenspiegel und Mietendeckel für Wohnraumvermietung einen Gewerbemietenspiegel und einen Gewerbemietendeckel. Immobilien dürfen nicht zum Spekulationsobjekt werden, sondern müssen denen gehören, die sie nutzen, bewohnen und pflegen. Wir setzen uns für die Rekommunalisierung von Wohn- und Gewerbeflächen ein.

 

Was diejenigen Räumungen linker Projekte und von Gewerbe, das zur Kiezstruktur beiträgt betrifft, die aufgrund der Rechtslage unumgänglich sind, muss das Land Berlin oder der zuständige Bezirk sicherstellen, dass den Projekten geeignete und angemessene Alternativräumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Wir fordern von der SPD Neukölln, dass sie sich mehr mit Neuköllner Gewerbe solidarisieren und einsetzen! Es muss mehr Stellen geben. an denen eine Kommunikation stattfindet und Lösungen angeboten werden.

 

Was das Polizeihandeln angeht, ist es notwendig, dass SPD-Innensenator Andreas Geisel zukünftig seiner Aufsichtspflicht gegenüber der Berliner Polizei nachkommt sowie von seinem Weisungsrecht gegenüber der Polizei gebraucht macht, um unverhältnismäßige Einsätze wie den im Schillerkiez zu verhindern. Rote Zonen, also kiezgroße polizeilich abgeriegelte Gebiete, darf es in Berlin nicht mehr geben.

 

Antrag 145/I/2020 Den Begriff “Rasse” im Grundgesetz ersetzen

30.09.2020

Artikel 3 GG lautet seit seiner letzten Veränderung vom 15. November 1994 wie folgt:

 

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

 

Als SPD lehnen wir die Einteilung von Menschen in Rassen grundliegend ab. Die SPD und ihre Fraktionen setzen sich daher auf allen Ebenen und besonders als Fraktion des Deutschen Bundestages dafür ein, dass im Art. 3 Abs. 3 GG die Formulierung „wegen seiner Rasse“ durch die Formulierung „aufgrund einer rassistischen Zuschreibung“ oder eine mindestens gleich geeignete Formulierung ersetzt wird und regen nachdrücklich an, dazu „aufgrund einer antisemitischen Zuschreibung“ zu ergänzen. Ebenso fordern wir, dass sich die SPD Berlin und die sozialdemokratischen Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin dafür einsetzen, dass die Formulierung „wegen seiner Rasse“ im Art. 10 Abs. 2 Verfassung von Berlin ebenfalls „aufgrund einer rassistischen Zuschreibung“ ersetzt wird und in demselben Absatz „aufgrund einer antisemitischen Zuschreibung“ ergänzt wird.”.