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Antrag 101/I/2023 Kein catchiger Titel, aber dafür catchige Krankheiten: für Testmöglichkeiten von STIs

27.04.2023

Sexuell übertragbare Krankheiten (STIs) kommen immer häufiger vor: In Deutschland hat sich die Zahl der Syphilis-Fälle in den Jahren von 2009 bis 2019 verdoppelt und seit 2001 sogar vervierfacht. Dass einige STIs auch über Oralsex übertragbar sind, ist oft unbekannt. Aufgrund der leichten Übertragbarkeit wäre es wichtig, sich vor allem bei wechselnden Sexualpartner*innen regelmäßig auf STIs zu testen, auch wenn keine Symptome auftreten. Leider ist das aufgrund verschiedener Hindernisse nicht die Lebensrealität vieler Menschen:

Zum einen sind STIs weiterhin tabuisiert. Zudem sind STI-Tests nicht leicht zugänglich: Wenn man im Internet nach STI-Tests in Berlin sucht, erhält man viele kommerzielle Angebote wie private Testzentren oder Testkits für zu Hause, die über 100 Euro kosten.

Zwar gibt es bereits einige sehr gute Angebote, zum Beispiel von der Berliner Aidshilfe oder dem Checkpoint (einem Zentrum für sexuelle Gesundheit mit Test- und Behandlungsangebote für STIs sowie Beratungsangebote zu sexueller Gesundheit, Chemsex/Substanzkonsum und queeren Themen), bei dem die Kosten für HIV-Tests, die meist zwischen 5 und 25 Euro liegen, erstattet werden können.

Bislang gibt es außerdem die Möglichkeit von STI-Tests in den Gesundheitsämtern von vier Bezirken (Mitte, Marzahn-Hellersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf) mit telefonischer Voranmeldung. HIV-Tests dort kosten 10 Euro für Zahlungsunfähige.

Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen ist allerdings in der Regel an das Vorliegen von Anzeichen einer STI gebunden bzw. wenn bei dem*der Sexpartner*in bereits eine STI festgestellt wurde. Es ist allerdings nicht immer so, dass die Anzeichen einer STI bemerkt oder als solche wahrgenommen werden. So können diese unbemerkt an weitere Personen übertragen werden. Es ist daher wichtig präventiv die Möglichkeit zu haben, unabhängig vom Geldbeutel, einen STI-Test zu machen bevor es zur unbemerkten Verbreitung bzw. auch Schäden durch Nicht-Behandeln der Infektion kommt. Auch die vorhandenen Strukturen und Angeboten müssen gestärkt und ausgebaut werden, um Hürden wie lange Anfahrtswege und überlastete Testkapazitäten zu senken.

Ein anonymes Testangebot bereitzustellen ist heutzutage noch für viele Menschen wichtig. Offene, niedrigschwellige Testangebote bieten in der Regel anonyme Tests an. Sie auszubauen ist daher ein wichtiges Anliegen. Gerade auch, weil es ebenso Menschen gibt, die ohne gesetzliche Krankenversicherung ihr Leben bestreiten müssen und daher diese niedrigschwelligen Testangebote benötigen.

Epidemiologische Kennziffern verdeutlichen, dass FINTA*-Personen sowie queere Menschen am häufigsten an STIs leiden. Hinzu kommt auch, dass selbige oftmals sowieso schlechteren Zugang zu medizinischer Infrastruktur haben. Die Ausweitung der Testmöglichkeiten stellt auch eine Möglichkeit da, die bestehende Stigmatisierung durch sexuell-übertragbare Krankheiten weiter einzudämmen und mehr Aufmerksamkeit für STIs zu erzeugen.

Aus diesem Grund fordern wir, dass…

  • das Testangebot für sexuell-übertragbare Krankheit so ausgebaut wird, dass in jedem Bezirk mindestens eine Möglichkeit zur Testung besteht. Dies soll möglich sein, durch unabhängige, gemeinnützige und finanzierte Stellen, um die Kostenlosigkeit zu gewährleisten. Entsprechend soll § 1 Gesundheitsdienst-Zuständigkeitsverordnung (GDZustVO) angepasst werden.
  • Es soll ein gesetzlicher Anspruch geschaffen werden, sodass STI-Tests auch ohne Anlass, also ohne Symptome bzw. STI-Nachweis bei Sexpartner*in, von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.
  • Das Land Berlin wird aufgefordert die Förderung von Projekten, welche STI-Tests anonym und niedrigschwellig anbieten in dem Maße zu erhöhen, sodass diese zukünftig höhere Kapazitäten für Tests bereitstellen können und diese kostenfrei in Anspruch genommen werden können
  • die STI-Testung in ärztlichen Praxen mit infektiologischem Schwerpunkt für alle jederzeit zugänglich ist und die Kosten für die Tests vollständig von der Krankenkasse getragen werden.
  • der Zugang zur HIV-Prophylaxe PrEP (Präexpositionsprophylaxe) und die dauerhafte und vollständige Kostenübernahme durch Krankenkassen allen, unabhängig vom Sexualverhalten, ermöglicht wird.
  • Zielgruppenspezifische finanzielle Mittel für mehr Aufklärung und Informationen zu Testzentren.

zusätzlich in allen Bildungseinrichtungen nicht-stigmatisierende Bildungsangebote und Ansprechpersonen eingerichtet werden und auch außerhalb von Bildungseinrichtungen Aufklärungsangebote ausgebaut werden.

Antrag 98/I/2023 Maßnahmen im Wettrennen gegen Antibiotikaresistenzen

27.04.2023

Die SPD-Mitglieder insbesondere in den Ausschüssen für Gesundheit, Umwelt und Wirtschaft, werden aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um den weltweit bedrohlichen Anstieg der Antibiotika-Resistenzen durch eine strukturelle und finanzielle Förderung der versorgungsnahen Forschung und Produktion zur Vermeidung nosokomialer (= in Gesundheitseinrichtungen erworbener) Infektionen durchgreifend zu bekämpfen. Es sollten alle weiteren Maßnahmen ergriffen werden, um den drohenden Anstieg von Antibiotika-Resistenzen einzudämmen.

 

Die Anwendung von Antibiotika in der Human- und Tiermedizin sollte zukünftig ausschließlich auf einer indikationsbasierten Basis erfolgen. Im Hinblick auf den Einsatz in der Tierhaltung kann notfalls der Einsatz von Antibiotika jedoch in einem mit der Tierindustrie abgestimmten Stufenplan in den nächsten Jahren ganz eingestellt werden. Dahingehend bereits vorhandene EU-Gesetzgebung muss flächendeckend durchgesetzt, zuverlässig kontrolliert und, wo möglich, ausgeweitet werden.

Antrag 96/I/2023 Versorgung sichern – Zugang zu Misoprostol wiederherstellen!

27.04.2023

Wir fordern, die Versorgung mit Misoprostol in Deutschland in den jeweils benötigten Dosierungen dauerhaft zu gewährleisten und so den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen zu ermöglichen.

Antrag 68/I/2023 Die Verteidigung unserer östlichen Nachbarn nachhaltig unterstützen!

27.04.2023

Mit dem erneuten russischen Angriff auf die Ukraine wurde uns klar, dass Russland Angriffskriege auch in Europa als Mittel der Politik sieht. Deutschland hatte die Augen davor verschlossen, als es sich um Georgien, Syrien oder östliche Teile der Ukraine handelte. Wir haben die juristische und moralische Verpflichtung, unsere Partner in der EU und der NATO zu verteidigen, die der­zeit von Russland bedroht sind.

 

Auch haben wir zusammen mit unseren Partnern die Entschei­dung getroffen, die Ukraine dabei zu unterstützen, ihre territoriale Integrität wiederherzustellen. Art und Umfang unserer Unterstüt­zung für die Ukraine beruhen auch auf ihrer demokratischen Ent­wicklung und ihrem Verhalten in den befreiten Gebieten.

 

Humanitäre Hilfe für die Ukraine ist wichtig und richtig. Sie ist aber nicht nachhaltig, wenn Russland gleichzeitig weiter Tod und Verwüstung bringt. Ein „eingefrorener“ Konflikt ist keine Lösung. Die Waffenstillstandsvereinbarungen in Transnistrien, im Kauka­sus oder in Donezk haben russisch kontrollierte Besatzungsre­gimes fortgeschrieben. Nach Bucha und nach Isjum kann das keine Alternative sein. Wir haben alle die Berichte gesehen, was eine russische Besatzung bedeutet. (Wir hätten gerne „mit Er­schrecken und Unglauben“ geschrieben, nach Tschetschenien und Syrien wäre das jedoch Selbstbetrug.)

 

Es ist zu hoffen, dass die russische Führung ihren Fehler einsieht und die Invasion beendet. Wir unterstützen Verhandlungen mit diesem Ziel. Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass das ohne weitere schwere Kampfhandlungen geschieht.

 

Wirksame moderne Waffensysteme, Munition und Ausrüstung haben lange Lieferzeiten. Waffenbestellungen für die Bundes­wehr im Rahmen des 100-Mrd.-Programms, durch unsere Ver­bündeten und durch oder für die Ukraine müssen deshalb durch die Bundesregierung langfristig koordiniert werden.

 

Damit bleibt die Frage, ob doch bitte andere westliche Staaten liefern sollen, ob die Ukraine direkt bei der deutschen Industrie bestellt oder ob die Bundesregierung eine zentrale Rolle ein­nimmt. Wir sehen hier Deutschland und die Regierung in der Pflicht.

Antrag 67/I/2023 Sozialdemokratische Friedenspolitik: Außen- und Sicherheitspolitik gestalten

27.04.2023

1. Unsere Ausgangslage

Der brutale Überfall Russlands auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 markierte eine Zäsur für die deutsche, europäische und internationale Außen- und Sicherheitspolitik. Der Krieg und die Verübung grausamer Kriegsverbrechen durch die russischen Besatzer führen dazu, dass Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Laut den Vereinten Nationen sind insgesamt rund acht Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Es gibt rund sechs Millionen Binnenvertriebene (jew. Stand 14.1.2023). Die russische Kriegsführung trifft zielgerichtet die ukrainische Bevölkerung und zerstört die zivile Infrastruktur. Es gilt – gemeinsam und abgestimmt im Verbund der EU und NATO – die Ukraine bei der Selbstverteidigung zu unterstützen, der ukrainischen Bevölkerung zu helfen und Russland völkerrechtlich für seinen imperialistischen Angriffskrieg  zur Verantwortung zu ziehen.

 

Die durch den Angriffskrieg entstandenen Herausforderungen an Deutschland und seine Partner hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Begriff “Zeitenwende” betitelt. Zeitenwende wird hierbei als eine grundlegende Änderung der europäischen Sicherheitsordnung verstanden. Der Begriff Zeitenwende ist nicht unumstritten. Unstrittig dürfte jedoch sein, dass die Sozialdemokratie intensiver diskutieren muss, welchen außenpolitischen Weg sie in Zukunft einschlagen muss. Hierzu gehört unzweifelhaft nicht nur eine Aufarbeitung der Russlandpolitik, sondern auch eine kritische Überprüfung der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahrzehnte. Hinterfragt werden muss das Hinnehmen des Sterbens von geflüchteten Menschen an Europas Außengrenzen. Auch Auslandseinsätze wie zum Beispiel in Afghanistan oder Mali müssen im Hinblick auf Zielsetzung, Folgen und Konsequenzen sowie die Qualität der nationalen und europäischen Kapazitäten zur Landes- und Bündnisverteidigung analysiert werden.

 

Die SPD muss als Friedenspartei die Leitplanken und Möglichkeiten der aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik überprüfen und festlegen, wie sie sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufstellen möchte. Dieser Prozess muss durch einen umfassenden Diskussionsprozess in der Partei begleitet werden. Dieser Antrag ist ein Beitrag zur notwendigen breiten Debatte um die zukünftige Ausrichtung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik.

 

2. Unsere Säulen sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik

Die Friedens- und Sicherheitspolitik der Sozialdemokratie ruht auf einem festen Fundament, wie es in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit dem Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit aller Menschen festgeschrieben wurde. Willy Brandt hat das Ziel der weltweiten „Freiheit von Not und von Furcht“ abgeleitet. Dies bleibt unser Anspruch.

 

Diese Freiheit wird im Kern gefährdet durch weltweite Entwicklungen: durch wachsende soziale Ungleichheiten – national und global -, humanitäre Krisen, die Rückkehr von Autokratien und Diktaturen. Sie ist ebenso bedroht durch den systematischen Abbau bürgerlicher Freiheiten und die Untergrabung der Menschenrechte, durch existenzielle Bedrohungen für diejenigen, die unabhängig journalistisch arbeiten, und Einschränkungen in der Unabhängigkeit von Gerichten, Rechtsprechung und Wahlverfahren für Richterinnen und Richter. Grundlage einer gedeihlichen Entwicklung sind offene Gesellschaften, die ihren Mitgliedern den Kampf für ihre Rechte ermöglichen. Ohne die Gleichheit der Rechte aller Menschen bleibt Freiheit von Not und Furcht nur Stückwerk.

 

Die Freiheit von Not und Furcht wird auch bedroht durch die fortschreitende Klimakrise, die Menschen ihre Existenzgrundlage nimmt und vielen Millionen weiteren zu nehmen droht.

 

Unser Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik ist breit, weil wir nicht auf eine kurzfristige sektoral begrenzte, sondern eine langfristige und werteorientierte Perspektive setzen, die ein friedliches, respektvolles Miteinander ermöglichen: Es muss neben den u.U. lebensrettenden Erfordernissen von Schutz und Verteidigung stets die langfristige menschliche Sicherheit aller – insbesondere von Frauen, Kindern und marginalisierten Gruppen – mitdenken, die Folgen für Energieverbrauch und fortschreitenden Klimawandel, die Folgen für wirtschaftliche Beziehungen und den Ausbau von sozialen und politischen Menschenrechten gerade auch im globalen Süden.

 

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat Russland das internationale Völkerrecht gebrochen und die kollektive Sicherheitsordnung Europas nach der Schlussakte von Helsinki 1975 verlassen. Spätestens seit 2014 ist deutlich, dass die Verflechtung durch Wirtschaftsbeziehungen keinen Frieden in Europa und auch anderswo garantiert.

 

Eine sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik erfordert also eine stetig entlang transparenter Kriterien und Werte weiterzuentwickelnde und anpassungsfähige Strategie. Ihr zugrunde liegt eine ganzheitliche Herangehensweise, in die Sachstände, Bewertungen und strategische Vorausschau aus allen relevanten Ministerien kontinuierlich einfließen und auf allen Ebenen miteinander abgestimmt werden (sog. Vernetzter Ansatz). Für sein Gelingen muss die Bundesregierung die notwendigen institutionellen Strukturen schaffen.

 

Wir sehen folgende Prüfsteine als wesentlich für eine langfristig erfolgreiche sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik an:

  • Aus den historischen deutschen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gespeiste bewährte Zurückhaltung im Einsatz militärischer Mittel, eine Stärkung und Weiterentwicklung des Völkerrechts sowie eine langfristige und vorausschauende Friedenssicherung.
  • Enge und frühzeitige, kontinuierliche Abstimmung mit den Bündnispartnern in EU und NATO unter Einbeziehung der jeweiligen Interessen der Partner sowie eine in Absprache mit den Partnern komplementäre und arbeitsteilige Schwerpunktsetzung der deutschen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung.
  • Strategisch breit fundierte und jeden Einzelfall abwägende Entscheidungsfindung. Offene Kommunikation, gerade auch über das Lernen aus Fehlern und Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbstkorrektur.
  • Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen auch mit politischen Akteuren, die nicht entsprechend unserem Wertesystem oder sogar völkerrechtsverletzend handeln, um zu jedem wünschenswerten Zeitpunkt diplomatische Schritte gehen zu können, bei gleichzeitiger maximaler Klarheit über den eigenen politischen Standpunkt. Die Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen darf einer entschlossenen Politik nicht im Wege stehen.
  • Die zunehmende Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verlangt weiterhin eine konsequente Politik der effektiven Rüstungskontrolle mit dem langfristigen Ziel der Rüstungsbegrenzung und der Perspektive einer Abrüstung. Wir setzen uns weiterhin für eine internationale Ächtung des Einsatzes von Atomwaffen ein und bekräftigen unser Ziel einer atomwaffenfreien und entmilitarisierten Welt. Dies wird allerdings nur in einem internationalen Kontext stattfinden können.
  • Ein von der Bundesregierung umzusetzender Vernetzter Ansatz: Bei jedem Einsatz zur Friedenssicherung werden von Beginn an alle einschlägigen Ressorts beteiligt und auf Gegebenheiten und Perspektiven vor Ort wird eingegangen. Die Entwicklungszusammenarbeit darf dabei neben sicherheitspolitischer Planung keine untergeordnete Rolle einnehmen.
  • In der Entwicklungszusammenarbeit muss die qualitative Nachhaltigkeit der Erfolge zentral sein. Wir wirken darauf hin, dass die Entwicklungszusammenarbeit Wirtschaften stärkt und Arbeitsmärkte aufbaut, die insbesondere Frauen, jungen Menschen und marginalisierten Gruppen langfristige Perspektiven zum sozialen Aufstieg in ihren Heimatländern bieten. Die Verpflichtung, mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitzustellen, muss eingehalten werden.
  • Zielorientierte Einpassung in die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele, welche die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015 einmütig verabschiedet hat: z.B. Armut und Hunger beenden (1, 2), inklusive und gute Bildung für alle sichern (4), Geschlechtergerechtigkeit (5) sowie sauberes Wasser und saubere, bezahlbare Energieverfügbarkeit (5,6) sichern.
  • Verfolgung des Ziels des Pariser Klimaabkommens – das heißt, die Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, und möglichst auf 1,5 Grad.

 

3. Internationale Organisationen stärken

Die Zeitenwende global zu verstehen, bedeutet auch, dass wir seit Jahren bestehende Paradigmen der deutschen Positionierung im multilateralen Raum überdenken und gemäß unserem Anspruch einer gerechten und kooperativen Welt anpassen müssen. Hierfür benötigt es strategische Partnerschaften und Allianzen mit Ländern aller Regionen und Kontinente, die geprägt sein müssen von gegenseitigem Respekt und Glaubwürdigkeit.

 

  • Die EU soll wichtigster Orientierungs- und Handlungsrahmen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik werden. Um die rüstungs- und verteidigungspolitischen Ziele der Zeitenwende nachhaltig und politisch tragbar umzusetzen, braucht es eine engere Verzahnung der Beschaffungspolitik mit den EU-Partnern als bisher. Es gilt, eine gemeinsame Beschaffungsstrategie so anzugestalten, dass Interoperabilität der Rüstungssysteme und Lastenteilung in den Produktions- und Verteidigungskapazitäten der gesamten EU sichergestellt sind. Hierfür benötigt es kurz- und mittelfristig höhere politische und finanzielle Investitionen.
  • Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch die zentrale Rolle der NATO, zumal die USA, als Garanten für die europäische Sicherheit deutlich gemacht. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Anhebung der Verteidigungsausgaben durch die Mitgliedsstaaten. Mittelfristig muss an die Stelle des 2%-Ziels eine mehrjährige, an den wirtschaftlichen und beschaffungstechnischen Kapazitäten der Mitgliedstaaten orientierte arbeitsteilige Investitionsstrategie treten, welche die demokratische Wehrhaftigkeit und Einsatzfähigkeit des Bündnisses garantiert und bestehende Lücken schließt.
  • Eine Stärkung der Vereinten Nationen als wichtigstes Gremium der internationalen Verhandlungen und Konfliktlösung kann nur durch ein aktives und kooperatives Verhalten Deutschlands und der EU innerhalb der Vereinten Nationen erfolgen. Dazu gehört der strategische und am globalen Gemeinwohl orientierte Austausch mit den Staaten des Globalen Südens, die sich innerhalb der Vereinten Nationen zur G77 zusammengeschlossen haben. Vertrauensbildende Maßnahmen könnten u.a. die aktive Beteiligung der EU an den Verhandlungen eines verpflichtenden Abkommens über Wirtschaft und Menschenrechte, Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen, Schuldenerlasse sowie der Einsatz für eine Zinsabsenkung in der Kreditvergabe der internationalen Entwicklungsbanken an Staaten des globalen Südens sein.
  • Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Russland gegen die in der Schlussakte von Helsinki beschlossenen und durch die Charta von Paris (1990) bekräftigen Prinzipien der OSZE verstoßen. Das Gremium kann in Folge der russischen Aggression derzeit seiner Aufgabe als Dialogforum der paneuropäischen Sicherheit nicht ausreichend nachkommen. Mittelfristig – nach einem Rückzug russischer Truppen aus den ukrainischen Gebieten – könnte die OSZE in einer signifikant veränderten sicherheitspolitischen Landschaft abermals ihre Aktivitäten wieder aufnehmen, vor allem in Bereich des Vertrauensaufbaus und der Transparenz.
  • Nur wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine schloss der Europarat als Organisation für Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Demokratie Russland aus den eigenen Reihen aus. Nichtsdestotrotz soll der Europarat und die Parlamentarische Versammlung des Europarates weiterhin ein Ort für die russische Zivilgesellschaft sein, um die Möglichkeit zu bieten, sich international Gehör zu verschaffen und zu vernetzen.
  • Die G7 und G20 müssen als diplomatische Foren gestärkt werden. Hierzu gehören klare Strategien und gemeinsame Zielsetzungen mit den nicht-westlichen Mitgliedsstaaten in der G20, z.B. im Bereich des Klimawandels, des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen oder der globalen Bekämpfung von Steuerflucht. Sowohl der von Olaf Scholz im Rahmen der G7 angeregte Klimaclub als auch die Initiative der G20 einer globalen Mindestbesteuerung von Unternehmen sollten forciert werden.

 

4. Konfliktursachen bekämpfen, Stabilität fördern und Perspektiven schaffen

Internationale Solidarität, Verantwortung und Führung muß fußen auf dem skizzierten Kontext der demokratischen Wertebindung – Menschenwürde, Freiheit von Not und Furcht, Rechtssicherheit, Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Stabilen Fortschritt können sie nur bewirken, wenn die Folgen einer solidarischen und verantwortungsvollen Politik für Frauen und Kinder, für die Klimaentwicklung, für die Armen der Welt mitgedacht sind.

 

Unsere Forderungen sind:

  • Wir wollen die Selbstverteidigung der Ukraine wirksam unterstützen, um ihre Existenz zu sichern. Davon hängt ab, wie sich das Verhältnis zwischen dem demokratischen Europa und Russland entwickeln wird.
  • Wir wollen eine Feministische Außenpolitik zur Unterstützung von Sicherheit, Freiheit, Inklusion und Teilhabe.
  • Wir wollen offene Gesellschaften, Rechtssicherheit und Meinungsfreiheit global unterstützen. Hierzu gehört die internationale Förderung einer freien Pressearbeit sowie der Kampf gegen die zunehmende Verbreitung von Fake News, etwa durch den Ausbau staatlicher Medienprogramme und einer stärkeren schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit zum Thema internationale Beziehungen.
  • Wir wollen klare Regelungen für eine gute EU-Migrationspolitik. Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen, sollen finanziell unterstützt werden.
  • Ursachen und Folgen der Klimakrise stehen unmittelbar im Zusammenhang mit ökonomischen und sozialen Bedrohungen in Gesellschaften. Wir unterstützen es, dass westliche Staaten Schwellenländern mit einem hohen Kohleanteil bei der Stromerzeugung, wie Südafrika, Indonesien und Vietnam, durch “Energiewende-Partnerschaften” finanziell dabei helfen, auf erneuerbare Energien umzusteigen. Wir fordern, solche Partnerschaften mit weiteren Staaten einzugehen. Die eingesetzten öffentlichen Gelder dürfen nicht zu einer weiteren Verschuldung der Länder führen und müssen als Hebel für die Mobilisierung von privaten Investitionen genutzt werden. Wir wollen einen stärkeren finanziellen Einsatz für den Lastenausgleich bei den Klimaveränderungen und eine Stärkung der internationalen Katastrophenhilfe. Deutschland muss seinen gerechten Anteil an den versprochenen 100 Milliarden leisten, die jedes Jahr Ländern im globalen Süden zur Verfügung gestellt werden sollen, um Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren.
  • Eindeutige politische Unterstützung der Protestbewegung im Iran gegen die Regierung in ihrem mutigen Kampf um Frauen- und Freiheitsrechte; diese politische Unterstützung sollte auch konkrete Maßnahmen wie wirksame Sanktionen politisch Verantwortlicher einschließen.
  • Politische Unterstützung aller Maßnahmen der Staatengemeinschaft, die den unangefochtenen Fortbestand und die selbstbestimmte demokratische Weiterentwicklung Taiwans verfolgen.
  • Bei den Wirtschaftsbeziehungen mit China sind einseitige deutsche und europäische Abhängigkeiten bei wichtigen Rohstoffen, Vorprodukten etc. zu reduzieren. Solchen Abhängigkeiten, die unsere politischen Spielräume beispielsweise in Bezug auf Menschenrechte entscheidend einengen, ist durch Diversifizierung u.a. in der Rohstoff- und Industriepolitik zu begegnen, auch wenn dies zu Mehrkosten führt.
  • Auch und gerade angesichts der jüngsten Regierungsbildung in Israel gelten für uns weiterhin die Sätze aus unserem Grundsatzprogramm von 2007: “Deutschland hat eine besondere Verantwortung für das Existenzrecht Israels. Auch deswegen engagieren wir uns für einen umfassenden Frieden im Nahen Osten auf der Grundlage internationaler Verträge. Wir setzen uns für die Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates ein.”

 

5. Ausblick

Auch jenseits der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit muss die Zeitenwende sich in der deutschen EU-Politik in eine stärkere Integration und einer Beschleunigung des stockenden Erweiterungsprozesses übersetzen. Um das seit Jahren angestrebte Ziel qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik endlich zu erreichen, muss die Bundesregierung sich für eine Kompromissfindung öffnen. Das gilt auch in Hinblick auf Forderungen der Partner hinsichtlich der gemeinsamen Schuldenaufnahme und dauerhaft höherer Investitionen. Deutschland muss seine Rolle im Gefüge einer nationalen, europäischen und globalen Sicherheitsordnung finden. Das heißt Verantwortung zu übernehmen.