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Antrag 121/I/2019 Verbeamtung von Lehrkräften ist kein Allheilmittel

22.02.2019

Die SPD Berlin möchte die Situation für die Lehrkräfte an den Schulen im Land verbessern und wird dem Lehrkräftemangel mit nachhaltigen Maßnahmen begegnen, um den Lehrer*innen-Beruf attraktiver zu gestalten.

 

Hierfür bedarf es vielschichtiger Lösungsansätze, die die Lebenswirklichkeit von Ausbildung über Berufseinstieg bis zum Übergang ins Rentenalter stärker in den Blick nehmen. Wir sehen die aktuelle Debatte um die Wiedereinführung einer Verbeamtung von Lehrkräften kritisch, da diese Maßnahme das Lehrkräftedefizit nicht lösen wird und darüber hinaus zu zusätzlichen Problemen führt.

 

Grundsätzlich ist für uns Bildung der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben; deshalb messen wir der schulischen Bildung im Land Berlin einen hohen Stellenwert bei und arbeiten daran, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für gelingende Lehr- und Lernprozesse zu ermöglichen.

 

Auch um die Komplexität der aktuellen Situation anzuerkennen, wollen wir einen ganzheitlichen Blick vornehmen, der die aktuellen Strukturen verbessert. Die von uns gewählten Maßnahmen werden mitunter erst mittel- bis langfristig Wirkung entfalten. Jedoch treibt uns eine grundlegende Verbesserung der Situationen vieler engagierter Lehrkräfte und Pädagog*innen an, sodass wir jetzt handeln und einer nachhaltigen Bildungspolitik ohne politische Schnellschüsse Ausdruck verleihen. Im Nachfolgenden skizzieren wir Möglichkeiten, die angespannte Situation der Lehrkräfteentwicklung im Land Berlin zu verbessern, welche zugleich Ausdruck unseres Strebens nach einer sozial gerechteren Gesellschaft sind.

 

Daher fordern wir die sozialdemokratischen Mitglieder des Abgeordnetenhauses sowie des Senats in Berlin auf,

  • sich für Gehaltssteigerungen der angestellten Lehrkräfte unter Prüfung einer im Rahmen des geltenden Tarifvertrags möglichen Zulage von bis zu 20% einzusetzen. Perspektivisch muss der durchschnittliche Nettolohn für neueingestellte Berliner Lehrkräfte deutlich über dem Nettolohn im Bundesvergleich liegen
  • die Anwärter*innenbezüge für die Zeit des Vorbereitungsdienstes finanziell spürbar zu erhöhen, mindestens jedoch an die Bezüge im Land Brandenburg anzugleichen
  • sich dafür einzusetzen, dass das unbefristete Beschäftigungsverhältnis bei vollausgebildeten Lehrkräften Regelfall wird
  • eine aussagekräftige Untersuchung anzustoßen, aus der hervorgeht, wie viele Lehramtsabsolvent*innen nicht in den Berliner Schuldienst gehen und ggf. welche Beweggründe hinter diesem Entschluss stehen
  • sich für eine Entlastung der derzeitigen Pflichtstunden einzusetzen und im Austausch mit der GEW und pädagogischen Mitarbeiter*innen Maßnahmen zu entwickeln
  • eine landesweite Untersuchung zu Motiven für einen Wechsel in andere Bundesländer vor und nach dem Referendariat durchzuführen
  • die Lohnzahlungen des Vorbereitungsdienstes in Teilzeit auf das Niveau der Vollzeit anzuheben sowie vollständige Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge durch das Land Berlin zu gewährleisten
  • sich für eine deutliche Reduzierung der Wochenarbeitsstunden für Lehrer*innen – insbesondere in korrekturlastigen Fächern einzusetzen

 

Weiterhin blicken wir kritisch auf die Verbeamtung als Mittel zur Lösung des Lehrkräftemangels und fordern die sozialdemokratischen Mitglieder des Abgeordnetenhauses sowie des Senats in Berlin auf, alternative Maßnahmen zu ergreifen, um das Solidarprinzip weiter zu stärken und nicht zu schwächen!

 

Ziel unseres politischen Handelns muss es sein, die beste Bildungsinfrastruktur zu ermöglichen, in der sich Lernende und Lehrende gleichermaßen wohlfühlen und frei entfalten können. Das setzt voraus, dass wir Widrigkeiten angehen und diese mit mutigen Ideen lösen. Dabei lassen wir aber die Zukunft nicht aus dem Blick und gestalten aktiv die Schule von morgen. Dazu gehört jedoch auch, sich mit den gegenwärtigen Herausforderungen tiefer auseinanderzusetzen, um nicht die bequemste Antwort zu geben, sondern die der Komplexität des Themas entsprechende Lösung zu finden. Das kostet Kraft, Geduld und politischen Willen. Wir Sozialdemokrat*innen wollen das für eine moderne Bildung in Berlin aufbringen.   Dazu gehört auch die grundsätzliche Diskussion darüber, welches Bild wir vom Lehrer*innen-Beruf haben. Denn um eine moderne Bildung zu ermöglichen bedarf es einem modernen Verständnis des Lehrer*innen-Berufs. Dem sozialdemokratischen Grundverständnis nach ist es unser Anspruch, dass Arbeitnehmer*innen für ihre Interesse einstehen und so die Arbeitsbedingungen entscheidend mitgestalten können – dabei darf die Schule keine Ausnahme darstellen.

 

Ein besonderer Schritt, um das zu erreichen, stellt die Abschaffung der vom Land Berlin vorgenommenen Verbeamtung von Lehrkräften im Jahr 2004 dar. Durch diese Entscheidung konnte darüber hinaus dazu beigetragen werden, die durch die Pensionierung entstandenen hohen finanziellen Kosten für beamtete Lehrkräfte einzusparen bzw. die Kosten für Pensionsansprüche nicht mehr in die Zukunft zu verschieben. Neben diesen haushaltsfinanziellen Einsparungen schuf der Verbeamtungsstopp zunehmende Erfolge im sozialpolitischen Bereich, die mit den grundsätzlich reaktionären Dienstrecht einhergehenden Pflichten einer Verbeamtung brachen. Seither können mehr Lehrkräfte für ihre Rechte streiken. Zudem führte diese Entscheidung zu mehr Gleichheit im Lehrer*innenzimmer: die ungerechte Besserstellung von verbeamteten Lehrkräften gegenüber ihren angestellten Kolleg*innen sowie weiteren an den schulischen Einrichtungen arbeitenden Pädagog*innen konnte seitdem kontinuierlich abgebaut werden.

 

Von den derzeit knapp 35.000 Lehrkräften in Berlin ist die Hälfte angestellt. Darunter befinden sich seit einigen Jahren nicht nur vollausgebildete bzw. mit der Lehrbefähigung ausgewiesene Pädagog*innen, sondern Quereinsteiger*innen oder Lehrkräfte ohne Lehrbefähigung. Für die Einstellung zum aktuellen Schuljahr bedeutete das, dass unter den 2700 neuen Lehrkräften 1000 voll ausgebildete Lehrkräfte waren. Bei den übrigen handelte es sich um sehr unterschiedliche Arten von Quereinsteiger*innen, die derzeit noch fortgebildet oder länger eingearbeitet werden müssen. Diese Zahlen verdeutlichen, dass es im Falle einer Wiedereinführung der Verbeamtung zu zwei grundsätzlichen Problemen kommen wird. Erstens können tausende Berliner Lehrkräfte aufgrund ihrer körperlichen Verfasstheit, ihres Alters oder mangels Erfüllung anderer berufsqualifizierender Voraussetzungen nicht verbeamtet werden – ungeachtet ihrer seit Jahren geleisteten Arbeit. Eine Verbeamtungswelle würde ihnen das Gefühl einer Zwei-Klassen-Hierarchie am Arbeitsplatz geben, aus der sie wegen äußerer Faktoren nicht herauskommen können. Dieses Ohnmachtsgefühl darf eine sozialdemokratische Bildungs- und Arbeitspolitik nicht zulassen!

 

Zweitens gefährdet die Wiedereinführung der Verbeamtung von Lehrkräften das Solidarprinzip. Der Grund dafür liegt vor allem in der finanziellen Sonderstellung im Bereich der Sozialleistungen von verbeamteten Lehrkräften. Diese erhalten im Krankheitsfall ihr volles Gehalt über die gesamte Dauer, was auch die Zahlung über mehrere Jahre bedeuten kann. Für die angestellten Lehrkräfte gelten dagegen die in anderen Berufen greifenden Regelungen, wonach im Krankheitsfall der*die Arbeitgeber*in sechs Wochen lang das Gehalt weiterzahlen muss. Danach gibt es Krankengeld von der gesetzlichen Krankenkasse, das mit Einbußen in der Lohnhöhe in einem Zeitraum für dieselbe Erkrankung bis zu 78 Wochen ausgezahlt wird. Diese Benachteiligung bei gesundheitlichen Problemen dürfen wir genauso wenig hinnehmen. Die Angleichung der Nettobezüge für angestellte Lehrkräfte wollen wir umsetzen und dazu den im Tarifvertrag möglichen Rahmen für eine Zulage nutzen. Doch die finanzielle Komponente reicht uns allein nicht aus. Daher streben wir unbefristete Arbeitsverträge an, wodurch der gesicherte Arbeitsplatz auch für angestellte Lehrkräfte ausnahmslos umgesetzt wird. Mit diesen Maßnahmen stärken wir gleichzeitig tarifliche Arbeitsverhältnisse unter Wahrung weitreichender Arbeitnehmer*innen-Rechte (z.B. Streikrecht). Die Verbeamtung stellt für uns aus diesem Grund einen Rückschritt dar. Für uns sind Mitbestimmung und Meinungsäußerung wesentliche Grundvoraussetzungen einer gelingenden freien Gesellschaft. Die Verbeamtung jedoch verfolgt ein antiquiertes und hierarchisches Verständnis vom Arbeitsverhältnis. Dem zugrunde liegt eine Treuepflicht zwischen Dienstherr*in und Beamt*in, wodurch die konkrete Tätigkeit in den Hintergrund rückt und im wesentlichen nur die Amtsverleihung zählt. Dem daraus erwachsenen Prinzip der Nichtbeteiligung an gemeinschaftlichen Aufgaben gilt es entgegenzuwirken, denn das Alimentationsprinzip (Versorgung von Beamten) bezieht sich eben pauschal auf das verliehene Amt und nimmt diese Lehrkräfte aus der Verpflichtung, ihren Anteil für das Gemeinwohl beizusteuern.

 

Ganz konkret würde die Herauslösung und Bevorzugung von bestimmten Teilen innerhalb einer Berufsgruppe zu Unmut, Frust und Unverständnis bei denjenigen führen, die nicht davon profitieren. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit darf nie nur ein Mantra bleiben, sondern braucht praktische Umsetzung. Nicht zuletzt bedeutet die ursozialdemokratische Forderung nach gleicher Entlohnung für gleiche Arbeit auch gleiche Verpflichtungen für das soziale Gefüge – besonders am Arbeitsplatz.

 

Doch nicht nur die aktuelle Beschäftigungssituation gilt es mit hinreichenden Maßnahmen für angestellte Lehrkräfte zu verbessern, sondern auch Berlin als Ausbildungsstandort attraktiver zu gestalten. Denn die Praxiserfahrung zählt zu den wichtigsten Momenten in der Lehramtsausbildung. Gerade hier müssen Voraussetzungen geschaffen werden, die die Lebenssituation von Einsteiger*innen berücksichtigt und ihnen einen angemessenen Einstieg ins Berufsfeld ermöglicht. Das bedeutet: Lebensentwürfe individuell zu berücksichtigen. Die Möglichkeit eines Referendariats in Teilzeit stellt dabei einen wichtigen, wenn auch nicht konsequent zu Ende gedachten Schritt dar. Obwohl es die Möglichkeit seitens des Landes Berlin gibt, den Vorbereitungsdienst in Teilzeit zu absolvieren, bestehen noch immer Ungleichheiten. Zwar ist ein Teilzeit-Referendariat möglich, jedoch nur im öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis. D.h. dass eine Teilzeitbeschäftigung für “Beamte auf Widerruf” nicht gestattet wird, da beamtenrechtliche Vorschriften dem entgegenstehen. So können Bewerber*innen in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis beschäftigt werden, sind dann aber voll sozialversicherungspflichtig und letztlich finanziell schlechter gestellt. Darüber hinaus erhalten sie eine reduzierte Unterhaltsbeihilfe von 75% des regulären Betrags. Gerade hier sollte eine Veränderung geschaffen werden, um Betroffenen eine maßgebliche Unterstützung zu ermöglichen. Das bedeutet einerseits die Anhebung der Beiträge des Vorbereitungsdienst in Teilzeit auf das Niveau der Vollzeit und andererseits die vollständige Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge durch das Land Berlin.

 

Insgesamt werden wir den Übergang von Studienabschluss zu Referendariat bis hin zum Jobeinstieg stärker begleiten und geeignete Maßnahmen einführen, um lange Wartezeiten zwischen den einzelnen Stationen zu verhindern sowie intensive Beratungsmöglichkeiten zu schaffen. Da bislang keine aussagekräftigen Zahlen darüber vorliegen, wie viele Absolvent*innen vor oder nach dem Referendariat einen Wechsel an eine andere Schule in einem anderen Bundesland vornehmen, werden wir eine landesweite Befragung durchführen. Diese soll genauere Erkenntnisse liefern, welche Intentionen dem Wechsel jeweils zugrunde gelegen haben. Mithilfe dieser Befragung soll evaluiert werden, welche Intentionen einem Wechsel zugrunde liegen und inwiefern dieser durch die Möglichkeiten auf Verbeamtung in anderen Bundesländern beeinflusst wird. Unabhängig davon streben wir eine strategische Zusammenarbeit mit Brandenburg an, um über Wege zur erfolgreichen sowie nachhaltigen Lösung des Lehrkräftemangels zu beraten und konkrete Schritte zeitnah festzulegen.

 

Die Verbeamtung ist kein probates Mittel zur Lösung des Lehrkräftemangels. Selbst in Bundesländern wie Bayern oder Baden-Württemberg fehlt es an ausgebildeten Lehrer*innen. Ein Aktionismus, der die Verbeamtung in Berlin aufgrund des Wettbewerbs zwischen den einzelnen Bundesländern heranzieht, verliert jedoch langfristig. Denn anstatt das Thema Verbeamtung weiter als Allheilmittel zu postulieren, sollten wir andere Hebel betätigten, um die Situation nachhaltig zu verbessern. Diese liegen jedoch weniger in der finanziellen Ausgestaltung, als an einer bundesweiten Strategie zur Verbesserung des Arbeitsplatzes Schule unter Berücksichtigung von Guter Arbeit für die gesamte Bandbreite des pädagogischen Personals.

 

Antrag 133/I/2019 Passzwang für subsidiär Schutzberechtigte aufheben

22.02.2019

Geflüchtete, die subsidiären Schutz erhalten haben, sind verpflichtet, sich in der Botschaft ihres Herkunftslandes neue Ausweisdokumente ausstellen zu lassen, wenn diese ungültig geworden oder verloren gegangen sind. Berliner Behörden fordern von Geflüchteten regelmäßig das Vorzeigen von Pässen, zum Beispiel bei der Geburtsanzeige oder Beantragung von Leistungen zum Lebensunterhalt sowie rechtswidrigerweise bei der Beantragung eines Aufenthaltstitels. Zudem brauchen sie ihren Reisepass, um außerhalb von Deutschland zu reisen.

 

§ 5 der Aufenthaltsverordnung sieht vor, dass subsidiär Schutzberechtigten von deutschen Behörden ein sogenannter Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden kann, wenn es ihnen nicht zumutbar ist, bei den Behörden ihres Herkunftslandes einen neuen Pass zu beantragen. Bis Mai 2018 waren Berliner Behörden davon ausgegangen, dass dies bei syrischen Geflüchteten der Fall ist. Auf Wunsch von Innenminister Seehofer wurde mit dem Argument der bundesweiten Vereinheitlichung des Verfahrens diese Praxis allerdings abgeschafft. Syrische Flüchtlinge sind nun gezwungen, sich einen neuen Pass in der syrischen Botschaft ausstellen zu lassen. Schon jetzt leben viele subsidiär Schutzberechtigte in Berlin ohne Reiseausweis, weil die Behörden die Ausstellung von Reiseausweisen seit drei Jahren verzögerten.

 

Dieser Zwang zur Interaktion mit Behörden des Herkunftsstaates ist zutiefst unmenschlich. Viele Geflüchtete aus Ländern wie Syrien oder Eritrea, die subsidiären Schutz erhalten haben, sind Opfer von Folter, Repression und Kriegsverbrechen der dort herrschenden Diktaturen geworden. Wenn sie nun durch diese Regelung dazu gezwungen werden, bei der Botschaft des Regimes ihres Herkunftslandes einen neuen Pass zu beantragen, so werden ihre Daten oftmals (wie bspw. im Fall Syriens) an die Sicherheitsorgane des Regimes weitergegeben. Ihre noch dort verbliebenen Angehörigen geraten so in Gefahr, Opfer von teilweise tödlicher Repression zu werden.

 

Der Zwang führt zudem dazu, dass wir die Gewaltherrschaft in den Herkunftsländern der Geflüchteten mitfinanzieren. Die horrenden Gebühren, die Geflüchtete für neue Dokumente zahlen müssen, stellen nämlich nicht nur eine schwere finanzielle Belastung dar, sondern dienen auch der Finanzierung dieser Regime. Der Prozess zur Erlangung der Reisedokumente ist intransparent (oft werden keine Quittungen ausgestellt oder Schmiergeldzahlungen erwartet) und kostet beispielsweise bei einem syrischen Reisepass, der nur zwei bis drei Jahre gültig ist, zwischen 255-680 Euro. Das Regime in Eritrea nötigt zudem seine im Ausland lebenden Staatsangehörigen, 2% ihres Einkommens an ihre Botschaften zu überweisen.

 

Es ist zynisch und unzumutbar, dass wir subsidiär Schutzberechtigte dazu zu zwingen, die Botschaft des Staates aufzusuchen, aus dem sie geflohen sind, und so die Regime zu finanzieren, die erst der Grund ihrer Flucht waren und für ihre Angehörigen immer noch eine Gefahr darstellen. Der Zwang ist nicht nur moralisch verwerflich und macht Geflüchteten den Alltag schwer, sondern auch ein Hindernis für ein würdevolles und gutes Leben in Berlin. Die bundesweite Vereinheitlichung des Verfahrens kann kein ausreichender Grund sein, Schutzsuchende dieser Praxis auszusetzen.

 

Deshalb fordern wir die sozialdemokratischen Mitglieder des Abgeordnetenhauses und die Senatsverwaltung für Inneres und Sport dazu auf, die Verwaltung anzuweisen,

  • Subsidiär Schutzberechtigten einen „Reiseausweises für Ausländer“  auszustellen und das Erlangen eines Passes oder Passersatzes in den Herkunftsländern Syrien und Eritrea, sowie weiteren, zu prüfenden Herkunftsländern stets als unzumutbar einzustufen.
  • Außerdem fordern wir die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung und der Bundestagsfraktion auf, sich dafür einzusetzen, dass eine Änderung der Aufenthaltsverordnung und die Anweisung der bundesbehördlichen sowie eine Vereinheitlichung der landesbehördlichen Praxis dahingehend erfolgt, dass subsidär Schutzberechtigte einen „Reiseausweis für Ausländer*innen“ ausgestellt bekommen und nicht weiter gezwungen werden, bei Botschaften und Behörden ihrer Herkunftsländer einen Pass oder Passersatz zu beantragen.

 

Antrag 148/I/2019 Notfallversorgung unserer Stadt endlich zukunftfähig gestalten

21.02.2019

Überfüllte Notaufnahmen, lange Wartezeiten, zu wenig Personal. So sieht aktuell die Notfallversorgung in Berlin aus. 38 Rettungsstellen in den Berliner Kliniken versorgen die akuten Notfälle der Berliner*innen. Im Berliner Krankenhausplan von 2016 heißt es, dass die Inanspruchnahme der Notfallversorgung kontinuierlich zunehme. So stiegen die Alarmierungszahlen von Rettungsmitteln der Berliner Feuerwehr von 2008 bis 2013 um 16 Prozent. Auch die Notaufnahmen verzeichnen steigende Patient*innenkontakte (Zunahme von 2008 bis 2012 um 19 Prozent).

 

Allerdings werden nicht nur die Notaufnahmen stärker besucht, auch Praxisärzt*innen haben mehr denn je zu tun: Im Jahr 2016 habe man 31 Millionen Behandlungsfälle abgerechnet, 2006 waren es noch 23 Millionen – eine Steigerung um 35 Prozent. Die Hauptstadt wächst immer weiter, die Versorgung kommt nicht hinterher. Die Notfallversorgung ist in Deutschland in drei Bereiche gegliedert, die jeweils eigenständig organisiert sind: der ärztliche Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), der Rettungsdienst und die Notaufnahmen der Krankenhäuser. Die bestehenden Strukturen orientieren sich nur unzureichend an den Bedürfnissen der Patient*innen. Die vermehrte Nutzung von medizinischer Versorgung in Kombination mit den demografischen Entwicklungen verlangen jedoch nach Reformen in Struktur und Organisation der Notfallversorgung, an vielen Stellen sind die Prozesse nicht optimal, wodurch alles noch länger dauert.

 

Falsche Patient*innen am falschen Ort?

 Viele Patient*innen, die in Notaufnahmen behandelt werden, müssen dort gar nicht behandelt werden. Oft reicht eine hausärztliche Konsultation bei Alltagsbeschwerden, sie binden aber oft Ressourcen am Krankenhaus, die für eingelieferte Akut-Kranke und Schwerverletzte benötigt werden.

 

Die Lösung kann aber nicht sein, dass eine sogenannte „Rettungsstellen-Gebühr“ erhoben wird. Sanktionen jeder Art sind nicht angebracht, wenn es um den Zugang zu medizinischer Notfallversorgung geht. Wir brauchen neue Ansätze. Oberstes Ziel muss es sein, die Patient*innenkompetenzen zu stärken und ihnen aufzuzeigen, welche Alternativen wir bereits zu dem Besuch der Notaufnahme haben. Der ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung beispielsweise soll die Notaufnahmen in der Stadt entlasten – wird allerdings wenig genutzt und ist nicht ausreichend bekannt. Er hilft Menschen bei Erkrankungen, mit denen diese normalerweise eine*n Ärzt*in in einer Praxis aufsuchen würden, deren Behandlung aber aus medizinischen Gründen nicht bis zum nächsten Werktag warten kann. Eine Studie der Charité aus dem Jahr 2016 zeigte auf, dass Patient*innen „mehrheitlich (59 %) Notfallstrukturen der KV nutzen [würden], wenn sie vorhanden und bekannt wären. Allerdings kannten 55 % der Befragten den KV-Notdienst nicht.“

 

Ein weiterer Ansatz sind die sogenannten Portalpraxen. Außerhalb der Sprechstundenzeiten an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen versorgen Vertragsärzt*innen der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin Patient*innen, bei denen keine akute Behandlungsdringlichkeit besteht – angebunden an die Räumlichkeiten der Notaufnahmen. Eine Überweisung zur weiteren Diagnostik in das Krankenhaus, wenn nötig, ist wie in ambulanten Praxen möglich. Akute Notfälle werden selbstverständlich weiterhin durch das Klinikpersonal versorgt. Die erste Portalpraxis wurde 2016 am Unfallkrankenhaus Berlin (UKB) in Marzahn in Betrieb genommen. Aktuell existieren 11 Portalpraxen, darunter auch spezialisierte Portalpraxen für Kinder und Jugendmedizin. Weitere Praxen sind aufgrund des Erfolges geplant.

 

Chronisch überlastete Notaufnahmen

 Wie in so ziemlich jedem Bereich in der Gesundheitsversorgung herrscht natürlich auch in Notaufnahmen ein Personalmangel, der Patient*innen, Ärzt*innen und Pflegende gefährdet und an die Grenzen ihrer Belastungsgrenzen bringt. Um dieses Problem zu lösen, muss die Erhöhung der Versorgungsqualität sowie der Effizienz im Vordergrund stehen. Wie aus einem Positionspapier des GKV (Gesetzliche Krankenkassen Vereinigung) Spitzenverbands zu entnehmen, sollen durch die Konzentration der Notfallversorgung von schwerwiegenden Erkrankungen und Verletzungen in hochspezialisierten Krankenhäusern Ressourcen und Expertise gebündelt werden, sodass die Patientinnen und Patienten von erfahrenem Personal behandelt werden und die Überlebenschancen steigen. Die spezialisierten Krankenhäuser zeichnen sich dadurch aus, dass sie bestimmte Notfälle regelmäßig versorgen, erfahrenes Fachpersonal vorhalten und zeitnah eine geeignete Diagnostik und Therapie einleiten können. Die Einbindung der Rettungsdienste spielt dabei eine wichtige Rolle, eine engere Verzahnung ist dringend notwendig.

 

Gleichzeitig müssen die Notaufnahmen in Berlin an die Bedürfnisse der Berliner*innen angepasst werden. So ist eine bessere Ausstattung mit qualifiziertem Fachpersonal und eine räumliche und technische Modernisierung dringend notwendig. Patient*innen benötigen einfach zu findende Notaufnahmen, die barrierefrei bei jeder Wetterlage zugänglich sind. Das Personal der Notaufnahmen benötigt die Ausstattung mit modernsten Geräten und ausreichend Material, um die Menschen zu versorgen. Räumlichkeiten zur Erholung sind ebenfalls bei der Modernisierung zu bedenken. Zusätzlich dazu muss das Personal regelmäßig fortgebildet werden, um die Versorgung auf wissenschaftlich hohem Niveau zu gewährleisten.

 

Das Mitte 2018 vom gemeinsamen Bundesausschuss beschlossene Stufenkonzept zur Neuordnung der Notaufnahmen verstärkt die Bündelung der Fachexpertise in Kompetenzzentren. Durch dieses Konzept werden drei Stufen der Notfallversorgung geschaffen. Je größer oder schwerwiegender der Notfall, werden Notaufnahmen der entsprechenden Notfallstufen von den Rettungsdiensten angefahren. Ein ähnliches Konzept ist in der Versorgung von schwersten Brandverletzungen bereits etabliert und findet sich in den Fachabteilungen des Unfallkrankenhauses Berlin wieder. Die Bereitstellung von maximal versorgenden Notaufnahmen ist aus regionaler Sicht und auch medizinisch-pflegerischer Sicht nicht sinnvoll. Daher bietet das Stufenkonzept die Möglichkeit, dass die breite Versorgung der Bevölkerung sichergestellt werden kann und gleichzeitig keine Zeit verloren geht, wenn die Rettungsdienste die falsche Notaufnahme anfahren.

 

Die weitere Digitalisierung der Rettungsdienste ist dringend erforderlich. Berlin geht mit dem System IVENA einen ersten Schritt, aber das reicht noch nicht. Bereits im Krankenwagen kann mit der Diagnostik begonnen werden, jedoch müssen diese Daten auch ins Krankenhaus gelangen. Eine über die Zuständigkeitsgrenzen hinweg vernetzte Notfallinfrastruktur ist dringend geboten und rettet Leben.

 

Neuordnung des Finanzierungskonzepts

Dazu bedarf es auch neuer Ansätze zur Finanzierung der Notaufnahmen. Bisher zahlen die Krankenkassen ein Pauschalbetrag für die Diagnose – egal ob die*der Behandelte diese in einer Praxis erhält oder in der Notaufnahme. Im Gegenzug muss die Klinik jedoch ein ungleich höheres dieses Betrages ausgeben, um die Abläufe der Notaufnahme sicherzustellen. Nicht dringliche Behandlungen belasten daher die Kliniken finanziell. Ein neues Finanzierungsmodell zur Notfallversorgung ist daher parallel zum Ausbau der Portalpraxen dringend notwendig. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass niedergelassene Ärzt*innen weniger Geld für ihre Behandlungen erhalten. Im Gegenteil sollten Anreize geschaffen werden, Bereitschaftszeiten einzurichten und die Praxen für Patient*innen mit geringfügigen Beschwerden auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten zur Verfügung zu stellen. Außerdem sollte es für niedergelassene Ärzt*innen attraktiver werden, sich zur*m Notfall- und Akutmediziner*in weiterbilden zu lassen.

 

Es ist nicht hinnehmbar, dass Einrichtungen zur Rettung von Leben, den Grundgedanken der Krankenhausfinanzierung folgen müssen. Jeder Mensch hat es verdient, dass es durch die beste Einrichtung und dem nötigen Personal gerettet wird. Daher wäre, im Sinne der dualistischen Finanzierung, dringend geboten, dass das Land Berlin seine Investitionen in die Ausstattung der Notaufnahmen und angeschlossenen diagnostischen Einrichtungen erhöht und auf die zukünftigen Aufgaben vorbereitet. Weiterhin muss das Personal kostenneutral durch die Krankenversicherungen finanziert werden. Pauschalbeträge können die Aufwendungen für einen individuellen Notfall nicht adäquat abbilden. Daher ist es geboten, dass sämtliche Maßnahmen, die medizinisch-pflegerisch indiziert sind, von der Krankenversicherung getragen werden.

 

Wir fordern daher:

  • Die Reformierung der Finanzierung von Notaufnahmen
  • Regelmäßig verpflichtende Weiterbildungen für das an der Notfallversorgung beteiligte  Personal
  • Ausbau von Portalpraxen mit kostendeckender Finanzierung durch die kassenärztliche Vereinigung und mit verlässlichen Öffnungszeiten, zu denen keine praxisärztliche Versorgung mehr gewährleistet ist
  • eine Imagekampagne für den Bereitschaftsdienst der KV (116 117) mit dem Ziel, die Patient*innenkompetenzen zu stärken und die Rettungsdienste zu entlasten
  • eine bessere Ausstattung der Notaufnahmen und Zentralisierung der Notfallversorgung
  • Die kassenärztliche Vereinigung muss Anreize schaffen, um die Sprechzeiten niedergelassener Hausärzt*innen im allgemeinen auszuweiten und ggf. Bereitschaftszeiten einzurichten und neue Praxen zu eröffnen
  • Die Erhöhung der Krankenhausinvestitionen durch das Land Berlin, um den Investitionsstau innerhalb von 10 Jahren zu beseitigen, und ein Sonderinvestitionsprogramm zur Modernisierung der Notaufnahmen
  • Die Modernisierung der Einsatzfahrzeuge der Berliner Feuerwehr und anderer Dienstleister

 

Antrag 147/I/2019 Medizinische Notfallversorgung unserer Stadt endlich zukunftsfähig gestalten

21.02.2019

Wir fordern

  • Ein neues Finanzierungskonzept für Notaufnahmen
  • Ausbau von Notdienstpraxen mit verlässlichen Öffnungszeiten
  • eine Imagekampagne für den Bereitschaftsdienst der KV (116 117) mit dem Ziel, die Patient*innenkompetenzen zu stärken und die Rettungsdienste zu entlasten
  • eine bessere Ausstattung der Notaufnahmen und Zentralisierung der Notfallversorgung

 

 

Antrag 151/I/2019 Pflegevollversicherung einführen

21.02.2019

Die Fraktion der SPD im Abgeordnetenhaus Berlin und die Sozialdemokratischen Mitglieder des Senats werden aufgefordert, auf der Ebene des Bundesrats die Initiativen des Landes Brandenburg und des Freistaates Thüringen zur Umwandlung der als unechte Teilkaskoversicherung angelegten Pflegeversicherung in eine echte Vollkasko-Versicherung (Pflegevollversicherung) zu unterstützen.