Archive

Antrag 129/I/2022 Flagge zeigen für die LGBTIQ*-Community

17.05.2022

Wir begrüßen die Entscheidung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, dass ab diesem Jahr erstmals die Regenbogenflagge zu bestimmten Anlässen wie dem Christopher Street Day an Dienstgebäuden des Bundes gesetzt werden darf.

 

Der Bund folgt damit dem Beispiel von Berlin: Schon 2020 hatte die Senatsverwaltung für Inneres und Sport unter dem damaligen Innensenator Andreas Geisel die generelle Zustimmung zur Beflaggung mit der Regenbogenfahne in die Beflaggungsverordnung für das Land Berlin aufgenommen.

 

Die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport wird aufgefordert, bei allen Stellen im Land Berlin neben der traditionellen Form der Regenbogenflagge auch das Hissen der „Progress Pride-Fahne“ zuzulassen, die um die Farben hellblau, rosa, weiß, braun und schwarz erweitert ist. Diese Farben repräsentieren die trans* Community, BIPoC-Communitys sowie Menschen, die mit HIV/AIDS leben oder gestorben sind. Zusätzlich wird ein lilafarbener Kreis vor gelbem Hintergrund aufgenommen, der für intergeschlechtliche Menschen steht.

 

Die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport wird darüber hinaus aufgefordert, über den Christopher Street Day hinaus auch an anderen Gedenktagen – insbesondere am Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT) jährlich am 17. Mai – die Flagge zu setzen.

Den SPD-Landesvorstand fordern wir auf, ab der Pride-Saison 2022 die Flagge zu setzen.

Antrag 132/I/2022 Trans*feindlichen Akteur*innen keine Plattform bieten

17.05.2022

Als SPD stehen wir fest an der Seite der trans* Community. Versuchen, trans* Personen – besonders trans* Frauen – ihr Geschlecht abzusprechen und ihnen so das Grundrecht auf Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer geschlechtlichen Identität zu verweigern, stellen wir uns entschieden entgegen. Für uns ist klar: trans* Frauen sind Frauen, trans* Männer sind Männer, nicht-binäre Menschen sind nicht-binäre Menschen.

 

Diese Haltung ist die Grundlage für unser politisches Handeln. Akteur*innen, die trans* Menschen ihr Grundrecht auf Selbstbestimmung absprechen oder ihre geschlechtliche Identität pathologisieren, stellen sich gegen die Ziele der SPD. Sie sind unsere politischen Gegner*innen.

 

Insbesondere lassen wir nicht zu, dass queere und feministische Überzeugungen gegeneinander ausgespielt werden. Als Sozialdemokrat*innen waren und sind wir immer Teil der Frauenbewegung und der queeren Community. Es ist notwendiger Bestandteil unseres Verständnisses von Feminismus, die Rechte von trans* Menschen – insbesondere von trans* Frauen – zu schützen und zu verteidigen. Deshalb war es ein gutes und richtiges Zeichen, dass der Antrag „Solidarität mit der trans* Community: Kein Platz für Trans*feindlichkeit“, der am 10. Januar 2022 vom Landesvorstand der SPD Berlin beschlossen wurde, durch die ASF, die SPDqueer und die Jusos gemeinsam eingebracht worden war.

 

Als politische Partei ist es unser Auftrag, an der politischen Willensbildung in der Gesellschaft mitzuwirken. Mit unserem politischen Handeln nehmen wir Einfluss darauf, wie gesellschaftliche Debatten geführt werden. Daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung – gerade wenn es darum geht, marginalisierten Gruppen gleiche Rechte und gleichen Schutz zuzugestehen oder abzusprechen. Wenn SPD-Mitglieder oder -Gliederungen durch Äußerungen oder Veranstaltungen den Eindruck erwecken, dass unsere Partei trans*feindliche Positionen teilt, billigt oder toleriert, dann untergräbt das unsere politische Arbeit und erschwert es, unsere Ziele zu erreichen. Es stößt auch gerade die Menschen vor den Kopf, für deren Rechte wir uns einsetzen wollen – sowohl innerhalb als auch außerhalb unserer Partei.

 

Aus diesem Grund halten wir es für unvereinbar mit den Grundsätzen und der Ordnung der Partei, Akteur*innen eine öffentliche Plattform zu bieten, die trans* Menschen ihr Grundrecht auf Selbstbestimmung absprechen möchten oder ihre geschlechtliche Identität pathologisieren. Wenn SPD-Mitglieder oder -Gliederungen in Kooperation mit solchen Akteur*innen Veranstaltungen organisieren oder sie als Referent*innen zu SPD-eigenen Veranstaltungen zu betreffenden Themen einladen, fügt dies der Partei Schaden zu. Daher fordern wir den Landesvorstand auf, in solchen Fällen zu prüfen, ob parteiordnungsrechtliche Schritte einzuleiten sind.

Antrag 19/I/2022 Stärkung der politischen Partizipation und Repräsentanz von Menschen mit Beeinträchtigungen in und durch die SPD

17.05.2022

Wir Sozialdemokrat*innen wollen aktive Interessensvertreter*innen für eine inklusive, diskriminierungsfreie und partizipative (Stadt-)Gesellschaft sein. Mit einer engagierten Teilhabepolitik fördern wir aktiv die selbstbestimmte Lebensführung und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen mit Beeinträchtigungen und/oder psychischen und/oder chronischen Erkrankungen in ihrer Vielfalt. Unser Ziel ist die gleiche ungehinderte Teilhabe für alle über den gesamten Lebenslauf in allen Lebensbereichen. Für uns ist eine umfassende Barrierefreiheit ein bedeutsamer Qualitätsstandard einer modernen Politik und Infrastruktur.

 

„Demokratie braucht Inklusion“ (Jürgen Dusel). Wir Sozialdemokrat*innen mit und ohne Beeinträchtigung kämpfen für Selbstbestimmung und politische Partizipation und Repräsentanz von Menschen mit Beeinträchtigungen. Wir stärken ihre Chancen zur tatsächlichen Umsetzung des aktiven und passiven Wahlrechts für alle Mandate, Ämter und Funktionen auf allen föderalen Ebenen. Wir wollen eine Gleichheit stärkende Teilhabepolitik und engagieren uns in der Behindertenbewegung, so wie wir es beispielsweise in der Frauen- und Genderbewegung, in der LSBTTIQ-Bewegung auch tun.

 

Wir fordern den SPD-Landesvorstand auf, spätestens zum ersten Landesparteitag in 2023 einen Bericht nach dem Vorbild des Gleichstellungsberichtes vorzulegen. Dieser muss Auskunft geben u.a.:

 

  • über die tatsächlich erreichten Ziele des vom SPD-Landesparteitag 2017 beschlossenen Antrages 82/I/2017 Inklusionsplan der SPD Berlin 2017-2023 und die zur Zielerreichung entwickelten und zum Einsatz gekommenen Maßnahmen und Ressourcen;
  • über die sich gezielt auch an Menschen mit Beeinträchtigungen Rekrutierungs- und Willkommensmaßnahmen, die deutlich machen, dass wir als SPD eine moderne und vielfältige Partei sind, die für eine gleichberechtigte politische Teilhabe eines jeden Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen kämpft;
  • über Aktionen und gemeinsame Bündnisarbeit mit entsprechenden Vereinen, Trägern und Einrichtungen;
  • über die noch in 2022 zu erfolgenden Abfragen u.a.
  • zur baulichen, digitalen und kommunikativen Barrierefreiheit im KSH und in den Kreisbüros aber auch in den Wahlkreis- bzw. Bürger*innenbüros unserer sozialdemokratischen Mandatsträger*innen auf Bundes- und Landesebene
  • zur Beschäftigtenzahl von Menschen mit Beeinträchtigungen in der SPD und bei unseren Parlamentarier*innen;
  • über die Entwicklungslinien gemäß des (Dis-)Ability Mainstreaming zur Fortschreibung des zweiten Inklusionsplanes 2023-2025, der spätestens auf dem zweiten SPD-Landesparteitag 2023 zu verabschieden ist.

 

Wir fordern die einzelnen sozialdemokratischen Amtsträger*innen auf Landes- und Bezirksebene bis zum ersten LPT bzw. bis zur ersten KDV 2023 auf, dem SPD-Landesparteitag bzw. den Kreisdelegiertenversammlungen jährlich einen Bericht vorzulegen, aus dem mindestens hervorgeht, u.a.

 

  • welche vielfaltsfördernden Maßnahmen sie im Interesse aller bzw. der bezirklichen Berliner*innen mit Beeinträchtigungen erreicht haben;
  • wie nachvollzieh- und messbar erfolgreich sie bei der Umsetzung des Landesgleichberechtigungsgesetzes (LGBG) sind;
  • welche Verbesserungen sie personalpolitisch in ihren Senatsverwaltungen bzw. Geschäftsbereichen hinsichtlich der Anstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen erreicht haben.

 

Die Aussagen sollen erkennen lassen, mit welchen Finanzen die einzelnen Teilhabe-Maßnahmen gegenwärtig als auch künftig hinterlegt sind.

 

Wir fordern die einzelnen Parlamentarier*innen (Abgeordnete und Verordnete) – zumindest im Rahmen eines gemeinsamen Beschlusses ihrer jeweiligen Fraktion oder Landesgruppe – bis zum ersten LPT bzw. der ersten KDV 2023 auf, dem SPD-Landesparteitag bzw. den Kreisdelegiertenversammlungen jährlich einen Bericht vorzulegen, aus dem hervorgeht, u.a.

 

  • welche Anstrengungen unternommen bzw. welche Erfolge erreicht wurden, um die parlamentarischen Strukturen (u.a. durch
  • Geschäftsordnungsänderungen) so zu verbessern, dass gewährleistet wird, dass ein Mensch mit Beeinträchtigung in der Ausübung eines politischen Mandats nicht behindert wird,
  • wie z.B. der Landesbehindertenbeirat oder die bezirklichen Beiräte für die Belange der Menschen mit Behinderungen in unseren sozialdemokratisch verantworteten Strukturen einen direkten Zugang zu parlamentarischen Entscheidungsprozessen haben und wie viele Treffen mit der* Bundes-, Landes- oder Bezirksbeauftragten für die Belange der Menschen mit Behinderung stattgefunden hat.

 

In allen Berichten sollen Leuchtturmprojekte benannt werden, die eine diskriminierungsfreie Gleichstellungsarbeit der SPD im Interesse von Menschen mit Behinderungen deutlich herausstellen.

 

Nichts über uns ohne uns

 

Sozialdemokratische Politik ist nach innen und außen dem menschenrechtsbasierten Ansatz der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichtet. Eine inklusive Gesellschaft, eine inklusive SPD werden wir nur unter partizipativer Einbeziehung sachkundiger und/oder selbstbetroffener Genoss*innen und ggf. zivilgesellschaftlicher Selbstvertretungs- und Engagementorganisationen erreichen können.

 

Um tatsächliche Erfolge für eine gleichwertige Teilhabe für alle Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen in absehbarer Zeit zu erzielen, braucht es personelle und finanzielle Ressourcen:

 

  • Wir benötigen mehr SPD-Maßnahmen und Bildungsangebote zur Stärkung unserer Bewusstseinsförderung, generellen Sensibilisierung und zum Empowerment für Genoss*innen mit und ohne Beeinträchtigungen, um unsere Wahrnehmung für gegebene Be-Hinderungen und Diskriminierungen bei allen Parteimitgliedern zu schärfen.
  • Wir benötigen mindestens auf der SPD-Landesebene einen ausreichend ausgestatteten Fonds zur unbürokratischen Zurverfügungstellung von Hilfen zur Herstellung einer umfassenden Barrierefreiheit für alle Gliederungen der SPD Berlin.
  • Notwendig ist auch der Aufbau von noch mehr Kompetenz im KSH im Rahmen einer Personalstelle „Inklusionsmanager*in“.

 

Wir brauchen diese Ressourcen, um gesamtgesellschaftlich, insbesondere aber auch in der Teilhabebewegung als kraftvolle Akteurin zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und politischer Teilhabe von über 600.000 Berliner*innen wahrgenommen zu werden.

Antrag 187/I/2022  Konsequente Gewässerpolitik in der Region Berlin-Brandenburg

17.05.2022

Berlin ist aufgrund seiner 650 Gewässer reich an wasserabhängigen Lebensräumen. Doch der Zustand dieser Gewässer ist kritisch. Zu hohe Wasserentnahmen schädigen den Zustand der grundwasserabhängigen Schutzgebiete. Mehr als 75% der verschiedenen Amphibien und Algen stehen auf der Roten- oder der Vorwarnliste. Und mehr als ein Drittel der Fische, Muscheln und Wasserkäfer stehen ebenso auf diesen Listen. Biodiversitätsschutz wird nur durch Gewässerschutz erreicht.

 

Aber auch die Menschen in der Stadt sind direkt abhängig von der Qualität der Gewässer, denn Berlin gewinnt sein Trinkwasser ausschließlich auf dem Stadtgebiet. Dabei stammt das Trinkwasser zu rd. 70 % aus Uferfiltraten, also direkt aus Flüssen und Seen, der Rest wird aus dem Grundwasser gefördert.

 

Es muss der nach der EU- Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) geforderte – Gute Gewässerzustand- bis 2027 erreicht werden. Berlin ist in der Verantwortung hier dringend und effektiv zu handeln. Die EU- WRRL muss umgesetzt werden, um die Wasser- und Biodiversitätskrise auszubremsen, denn kein Wasserlauf,- See oder das Grundwasser erreichen aktuell die Umweltziele der EU- WRRL.

 

Aber nicht nur die Gewässerqualität ist ein Problem, sondern inzwischen auch die Wasserquantität. Als eine mögliche Auswirkung des Klimawandels und der Bevölkerungszunahme müssen wir uns auf einen Wassermangel einstellen, denn die Region Berlin-Brandenburg wird jetzt schon mit einem Wassermangel konfrontiert, der in Zukunft noch deutlich zunehmen wird.

 

Es müssen Gewässerentwicklungskonzepte erarbeitet und umgesetzt werden, die die Zielsetzungen haben müssen, einerseits die Qualität der Gewässer mit ihren vielfältigen Funktionen für den Naturhaushalt zu sichern und zu erhöhen, wie es die Europäische Wasserrahmen-Richtlinie (WRRL) verbindlich verlangt und andererseits einem drohenden Wassermangel entgegenzuwirken. Dazu bedarf es eines integrativen Konzeptansatzes, der den gerade in Arbeit befindlichen Masterplan Wasser und die Ziele der  Nationalen Wasserstrategie , wo es vorrangig um die langfriste Sicherung der Trinkwasserversorgung geht, mit den Belangen der der Berliner Biodiversitätsstrategie zusammen mit der Charta für das Berliner Stadtgrün und dem Landschaftsprogramm einschließlich Artenschutzprogramm verbindet und damit  weiterentwickelt und mit den Maßnahmenplänen zur Umsetzung  der EU- WRRL verknüpft werden.

 

Grundwasserentnahmen in Berlin sind dahingehend zu prüfen, dass der Grundwasserkörper wieder in seinen Zielzustand angehoben wird. Hierfür müssen Mindestgrundwasserstände definiert und zeitnah erreicht werden (Grundwassersteuerungs-VO).

 

Wasserläufe werden durch verunreinigte Straßenabwässer, die mit Mikroplastik durch Reifenabrieb belastet sind stark verunreinigt. Auch hier muss ein effektiver Schutz für diese Gewässer entwickelt werden.

 

Das Konzept der wassersensiblen Stadt („Schwammstadt“) ist konsequent weiterzuentwickeln und umzusetzen

Strategien des Wassersparens und Mehrfach-/Brauchwassernutzung müssen entwickelt werden, um den Rohwasserverbrauch und die Zweckentfremdung des Trinkwassers zurück zu drängen. Zudem muss die Wasserqualität dadurch verbessert werden, dass die Ursachen der Verunreinigungen durch Schließung der Nährstoffkreise beseitigt werden. Dafür müssen weitere Kläranlagen mindestens mit der 4. Reinigungsstufe ausgerüstet werden. Zudem müssen weitere Stauräume gegen das Überlaufen der Mischwasserkanäle geschaffen werden.

 

All dies ist nur möglich, wenn die breite Öffentlichkeit gut informiert und in das Verfahren einbezogen wird sowie genügend Ressourcen für mehr Personal und investive Mittel sowohl bei der zuständigen Senatsverwaltung als auch bei den Berliner Wasserbetrieben bereitgestellt werden und die regelmäßige Unterhaltung aller Anlagen auskömmlich bemessen wird.

 

Daher wird gefordert:

  • Die unverzügliche Einsetzung einer Enquetekommission im Abgeordnetenhaus „Zukunft Wasser“, die mit der entsprechenden Ebene des Brandenburger Landtags zusammen arbeitet
  • die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) bis spätestens 2027 (Strafzahlungen drohen, nachdem der Termin bereits verlängert wurde)
  • Gewässerentwicklungs- und Renaturierungskonzepte für alle Berliner Gewässer einschließlich der zeitlich und finanziell bestimmten Umsetzung
  • Aktualisierung des Berliner Wasserrechts mit Definierung der Grundwassermindeststände
  • Umbau Berlins zur wassersensiblen Stadt („Schwammstadt“) u.a. mit stadtweiten, verbindlichen Abkopplungszielen unter Einbezug aller Akteure und unterlegt mit Flächen, Zuständigkeiten und finanziellen Ressourcen.
  • Personelle Stärkung der Wasser- und Naturschutzbehörden
  • Zusammenarbeit mit der Wassernetzinitiative Berlin und der Blue Community Berlin

 

 

(Antrag an den Landesvorstand, an den Landesparteitag und die Fraktion der SPD im Abgeordnetenhaus Berlin)

Antrag 145/I/2022 Freiheiten anerkennen und das Neutralitätsgesetz abschaffen!

17.05.2022

Das Neutralitätsgesetz hat zum Ziel die persönliche Weltanschauung und Religion aus staatlichen Institutionen, wie beispielsweise der Schule, herauszuhalten. Alle, die diese Institutionen nutzen, sollen sich dort und von den Vertreter*innen des Staates gleichermaßen angenommen fühlen, ganz egal, welcher Weltanschauung oder Religion sie angehören. Das Neutralitätsgesetz untersagt aus diesem Grund Staatsvertreter*innen wie Lehrer*innen oder Richter*innen das Zurschaustellen religiöser und weltanschaulicher Symbole. Gleichzeitig ist ein Staat, der Kirchensteuern erhebt und in einer mehrheitlich christlich-weißen Gesellschaft agiert, selbst nicht neutral. Deshalb ist es unverhältnismäßig, dass dieser Staat von seinen Mitarbeiter*innen Neutralität einfordert.

 

Wir finden es richtig, dass die Institutionen selbst keine religiösen oder weltanschaulichen Symbole zeigen und keine christlichen Kreuze in Klassenzimmern hängen. Problematisch bleibt jedoch, dass das Neutralitätsgesetz keine Differenzierung der verschiedenen Lebenssituationen vornimmt, in denen Menschen der Religionsausübung anderer ausgesetzt werden. Die staatliche Neutralitätspflicht gilt nicht vorrangig vor jedem anderen Recht. Es hat eine Abwägung zu erfolgen, die die Religionsfreiheiten der Vertreter*innen des Staates und die Zumutbarkeit berücksichtigt, mit der Religionsausübung anderer auseinandergesetzt werden: Bürger*innen, Schüler*innen und Besucher*innen öffentlicher Gebäude ist mehr zuzumuten! Diese wichtige Abwägung fehlt im Neutralitätsgesetz.

 

Das Grundrecht der Religionsausübung ist zudem individuell zu betrachten. Religiöse oder weltanschauliche Symbole sind sehr unterschiedlich. Ein Unterschied ist, wie offen die Symbole getragen und ob sie von den Mitgliedern der Religionsgemeinschaft immer oder nur zu Anlässen getragen werden. Religiöse Gebote, die nur dann eingehalten werden können, wenn sie die Religiosität nach außen sichtbar machen, werden durch Neutralitätsgesetze unmöglich gemacht. Das Tragen eines Kreuzes als Halskette bleibt möglich. Frauen, die Kopftuch tragen, tragen dieses aber immer, können es nicht ablegen und auch nicht verdeckt tragen. Das Neutralitätsgesetz, das geschaffen wurde, um Gleichheit an staatlichen Institutionen herzustellen, betrifft Menschen verschiedener Religionen also ganz im Gegenteil sehr unterschiedlich – je nach den Eigenschaften des religiösen Gebotes, dem sie sich verpflichtet fühlen.

 

Antimuslimischer Rassismus und Sexismus sind ein riesiges Problem in Deutschland. Muslimische Frauen sind von beidem betroffen. Diese Diskriminierungen summieren sich nicht einfach, sondern manifestieren sich als Vielfachdiskriminierung (Intersektionalität). Eine Diskriminierungsform ist die Zuschreibung, dass muslimische Frauen unterdrückt würden – durch männliche Familienmitglieder, das patriarchalische Wertesystem oder ihre Religion. Das führt dann in der weißen, nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft teilweise zum Impuls, diese Frauen „zu retten“ oder „vom Kopftuch zu befreien“. Ein solcher Impuls ist übergriffig, abwertend und diskriminierend. Als Jusos erkennen wir an, dass unterschiedliche Dinge für unterschiedliche Frauen empowernd und emanzipatorisch sind. Für manche Frauen ist das Nacktheit oder freizügige Kleidung, für andere ist es das Kopftuch und das Bedecken von Körper und Haar.

 

Befürworter*innen des Kopftuchverbots in staatlichen Stellen (was das Neutralitätsgebot in der Praxis ist), argumentieren jedoch oft mit der unterstellten Unterdrückung: Muslimische Mädchen sollten nicht auch noch durch ihre Lehrerinnen den Eindruck bekommen, dass es Standard oder ihre Pflicht sei, selbst auch Kopftuch zu tragen. Allerdings ist der Effekt des Kopftuchverbots genauso schädlich wie diese Vermutung. Das faktische Kopftuchverbot verbannt viele muslimische Women of Color (WoCs) aus Positionen in unserem Staat, in denen sie Einfluss nehmen können, die als zentraler Teil der Gesellschaft anerkannt sind und in denen sie eine Vorbildfunktion haben. Damit blockieren staatliche Stellen die eigenen Diversitätsoffensiven und nehmen vornehmlich BIPoC-Communities (Black, Indigenous and People of Color) die weiblichen Vorbilder, die sie dringend brauchen. Wenn Verwaltung eine Gesellschaft abbilden soll, kann sie es sich nicht leisten, bestimmte Gruppen durch ein Neutralitätsgesetz von vornherein auszuschließen. Insbesondere sind über das Neutralitätsgesetz hinaus hinreichende Instrumentarien vorhanden, um Konflikte an Schulen zu schlichten und eine tatsächliche Störung des sogenannten Schulfriedens als rechtlich anerkanntes Verfassungsgut zu vermeiden.

 

Mit der heutigen Praxis verbannen wir viele Frauen, die Kopftuch tragen, aus einflussreichen Positionen während wir ihre Arbeitskraft in Positionen, die weniger einflussreich und anerkannt sind, gerne annehmen. Diese Politik wollen wir nicht. Sie schließt eine Gruppe Frauen* aus staatlichen Funktionen aus und verwehrt ihnen Teilhabe und berufliche Karrieren. Als wäre das nicht schon Grund genug, verfestigt sie aber auch rassistische und diskriminierende Strukturen: Wer kopftuchtragende Frauen nicht in staatlichen Positionen sieht, traut sie ihnen auch eher nicht zu und stigmatisiert sie als nicht integrierte Randgruppe. Das ist besonders dramatisch, wenn das junge kopftuchtragende Frauen selbst betrifft, aber auch alle anderen werden so an rassistische Strukturen gewöhnt und tragen dadurch zu deren Erhalt bei. Im absolut notwendigen Kampf gegen religiöse Indoktrinierung und illiberale Erziehung Mittel zu wählen, die insbesondere hoch gebildete Musliminnen davon abhalten in den Staatsdienst einzutreten, halten wir für den falschen Weg. Grade diese Frauen, könnten Vorbilder für junge Mädchen sein und ihnen vorleben, dass eine Frau selbstbestimmt leben und aus eigener Überzeugung heraus einen Hijab oder eine andere Form von Kopftuch tragen kann.

 

Generell befürworten wir das Streben nach einem religiös und weltanschaulich neutralen Staat. Aber wir schlagen einen anderen Weg vor. Dort wo Menschen aller religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen gleichberechtigt miteinander einen Staat repräsentieren, bevorzugt dieser Staat keine einzelne Gruppe. Ein solcher Staat ist neutral. Das Konzept einer solchen inklusiven Neutralität vermeidet jedoch die spezifisch diskriminierenden Effekte des Neutralitätsgesetzes, die das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 27.08.2020 festgestellt hat. Wir halten Neutralität durch Vielfalt daher für das bessere Konzept.

 

Wir fordern daher die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes.