Antrag 30/I/2019 Arbeit in Zukunft: kürzer, besser - weiter denken! Unser Anspruch an die Arbeit von morgen

Strukturwandel der Arbeit im 21. Jahrhundert

Wir wollen die Arbeitswelt von morgen aktiv gestalten und auf die Veränderungen nicht nur reagieren. Unser Anspruch an Arbeit muss es sein, die vielen Potentiale einer digitalisierten Gesellschaft so zusammenzubringen, dass Arbeit die Interessen der Menschen in den Vordergrund stellt und nicht das Profitstreben einzelner Unternehmen. Grundsätzlich verstehen wir Sozialdemokrat*innen unter Arbeit mehr als bloße Existenzgrundlage. Arbeit kann Mittel zur Selbstverwirklichung sein, Menschen Struktur im Alltag geben und sinnstiftend sein. Leider müssen Menschen aber auch oft Arbeit nachgehen, die objektiv sinnlos ist oder so empfunden wird. Während ehrenamtliche Tätigkeiten bei Unzufriedenheit eingestellt werden können, sind Menschen bei ihrer Erwerbsarbeit in der Regel darauf angewiesen, Arbeitgeber*innen ihre Arbeitskraft gegen einen Lohn zur Verfügung zu stellen. Das macht Arbeitnehmer*innen besonders anfällig für kapitalistische Ausbeutungsmechanismen. Gleichzeitig kann über Erwerbsarbeit auch wichtiger Faktor für Integration und Umverteilung in unserer Gesellschaft organisiert werden. Der Abschluss guter Tarifverträge kann dabei effektiver sein, als beispielsweise ein Spitzensteuersatz. Sozialistische Politik muss deshalb immer besonders im Blick haben, Menschen bestmöglich vor Ausbeutung bestmöglich zu schützen, ihre Mitbestimmung am Arbeitsplatz sicherzustellen und einen höchstmöglichen Organisationsgrad der Arbeitnehmer*innenschaft zu ermöglichen. Sie ist deshalb zentral für unser politisches Verständnis.

Erwerbsarbeit, Care-Arbeit, Ehrenamt – menschenwürdige und zum Gemeinwohl beitragende Arbeit ist vielseitig und weitaus mehr als die Optimierung wirtschaftlichen Erfolgs von Einzelnen oder Unternehmen. Viele Tätigkeiten, die einzelne Arbeitsformen ausmachen, überschneiden sich oder sind voneinander abhängig. Wie viel Raum jede Person einer bestimmten Arbeitsform gibt, wird von verschiedenen Faktoren bestimmt. Fest steht aber, dass jede Form von Arbeit einem bestimmten Zweck folgt und Menschen ausfüllen bzw. bereichern kann. Dabei entstehen alle die Arbeit strukturierenden Merkmale wie Arbeitsteilung, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit, Arbeitsumfang und Arbeitsinhalte nicht im luftleeren Raum, sondern sind politisch gestaltbar. Auch wenn sich Arbeitsformen teilweise verändern, sind sie auf andere angewiesen. Dabei entwickeln sich die gesellschaftlichen Produktionskräfte immer weiter aus, sodass die Ausgangssituation zum Hervorbringen von unseren Lebensgrundlagen neue Formen erreicht. Wir Menschen möchten bestimmen, wie wir arbeiten und das betrifft nicht nur, aber entscheidend die Erwerbsarbeit. Grundsätzlich verändert sich Arbeit aufgrund von zwei Faktoren: technische Innovationen und die damit einhergehenden  Veränderungen all jener Ressourcen, die uns zur Produktion von Gütern bzw. Dienstleistung zur Verfügung stehen einerseits, sowie zum anderen ein Fortschritt in der Arbeitsteilung durch die selbstständige Arbeitsorganisation der Beschäftigten in Teams und ihre Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Sinn ihrer Tätigkeiten.. Daraus folgt, dass die Rahmenbedingungen der Arbeit von heute neue Möglichkeiten eröffnet und politische Forderungen notwendig macht, um die Lebensverhältnisse vieler Menschen erheblich zu verbessern. Ziel dessen muss es für die Sozialdemokratie sein, die Zukunft der Arbeit zu gestalten, damit die Zukunft der Menschen lebenswert(er) wird. Dazu gehört aber auch, anzuerkennen, dass wir Arbeit weiter denken und uns ernsthaft über ein alternatives Konzept verständigen müssen.

 

  • Daher fordern wir eine Auseinandersetzung, die es der gesamten Breite der Partei ermöglicht, sich einzubringen. Diese Auseinandersetzung soll in einem Programm münden, mit welchem wir für eine neue solidarische Politik der Arbeit einen Gegenentwurf zu den derzeit bestehenden Leitlinien zeichnen, in der Menschen und nicht das Kapital im Fokus stehen.

 

Die Logiken unseres Wirtschaftssystems und letztlich auch des Arbeitens in kapitalistischen Strukturen wollen wir überwinden. Arbeit soll nicht mehr ein Machtverhältnis darstellen, indem Menschen ihre Fähigkeiten einem anderen gegen Lohn zur Verfügung stellen. Vielmehr wollen wir die technischen Fortschritte nutzen, um zu definieren, wie die Zukunft der Arbeit aussehen soll und welchen gesellschaftlichen Wert wir ihr dann noch beimessen. Dabei wird es dringend Zeit, dass sich die Sozialdemokratie aktiv darum bemüht, den Stellenwert der Arbeit aus kapitalistischen Denkweisen heraus zu heben und einen neuen gültigen Anspruch zu formulieren, der nicht den Wertschöpfungsprozess eines beliebigen Produktes anhand seines Marktwertes definiert. Vielmehr sollten wir uns die Zeit nehmen und darüber nachdenken, wie, was und wofür überhaupt Arbeit im digitalen Jahrhundert steht.

 

Gute Arbeit der Zukunft braucht Bildung

Wir wollen Fort- und Weiterbildung als festen Bestandteil des jeweiligen Berufsweges stärken und den Menschen eine individuelle Entwicklung ermöglichen, die sich an die vielseitigen Veränderungen im Job anpasst. Der individuelle und fortlaufende Lernprozess muss endlich Umsetzung finden und dabei aus den Erfordernissen des Wirtschaftssystems herausgelöst werden. Lebenslanges Lernen bedeutet vor allem, Freiräume für die eigene Weiterentwicklung von Interessen nutzen zu können. Dabei wollen wir die berufliche wie auch persönliche Weiterbildung zusammendenken und jeder Person ermöglichen, in einer selbstbestimmten Gewichtung verschiedene Angebote annehmen zu können. Damit das gelingen kann muss aber der Begriff des Bildungssystems um den Bereich viel weiter gedacht werden. Dazu gehören erstens Anreize für öffentliche Bildungseinrichtungen, um die Weiter- und Fortbildungsangebote voranzutreiben. Zweitens muss jedem*jeder Arbeitnehmer*in auch finanzielle und zeitliche Entlastung zuteil werden, damit diese sich orientieren und sodann intensiv mit einem ihre Kompetenzen erweiternden Weiterbildungsangebot auseinandersetzen können. Jedoch ist es weiterhin zu begrüßen, dass es honoriert wird, wenn Arbeitnehmer*innen sich fortbilden und damit für neue Aufgaben Verantwortung übernehmen. Drittens braucht es eine tiefere Verzahnung von beruflichen und akademischen Weiterbildungsformaten. Um den auf Seiten wirtschaftlicher Effizienz bestehenden Druck in Unternehmen etwas entgegenzusetzen, setzen wir uns für eine verbindliche Weiterbildungsgarantie ohne Ausnahme, sodass Arbeitnehmer*innen jedes Jahr gesetzlichen Anspruch auf ein persönliches lebensbegleitendes Lernen erhalten. In dieser Ausformung misst sich Fort- und Weiterbildung nicht in Form von Zertifikaten oder Abschlüssen, sondern daran, in welchem Umfang sich Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit entfalten können. Die sozialdemokratische Antwort auf immer mehr Arbeitsverdichtung und -entgrenzung geht über den Bereich beruflich-fixierter beziehungsweise betrieblicher Weiterbildung hinaus und weist insbesondere eine gemeinschaftlich-soziale Teilhabe auf. Dadurch sollen Menschen befähigt werden, sich gesellschaftlich einbringen zu können und mit bzw. von anderen Menschen zu lernen.

 

Um die Fort- und Weiterbildung zukunftsfest zu machen, fordern wir die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und SPD-Bundesminister*innen auf,

 

  • sich für einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Fort- und Weiterbildung einzusetzen, der unabhängig vom Tätigkeitsfeld, Alter und der Betriebszugehörigkeit mind. 30 Tage für jede*n Arbeitnehmer*in im Jahr beträgt und die Lohnfortzahlung beinhaltet. Unternehmen, die nicht in der Lage sind, dies zu gewährleisten, ohne den allgemeinen Betrieb zu gefährden, sind finanziell zu unterstützen. Dies lässt sich bspw. durch einen gemeinsamen Umlagefond zw. großen, mittelständischen und kleinen Unternehmen gewährleisten. Die Tage müssen nicht zusammenhängend genommen werden, sondern sind splitbar
  • sich für den Umbau der Arbeitslosenversicherung in eine echte Arbeitsversicherung mit Qualifizierungsfunktion einzusetzen. Im Rahmen dieser sollen Weiterbildungskonten geschaffen werden, dies bei der Agentur für Arbeit eingerichtet und geführt werden. Das Guthaben auf dem Weiterbildungskonto wird während der Erwerbstätigkeit vergrößert und paritätisch zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen finanziert. Hierbei sollen gesetzlich festgelegte Ansprüche auf Fort- und Weiterbildung greifen. Erworbene Ansprüche werden auf dem Konto verbucht und können dann bei Bedarf für Weiterbildungsmaßnahmen realisiert werden
  • die Erstattung der direkten Kosten (Teilnahmegebühr, Unterbringung, Fahrtkosten) durch Unternehmen gesetzlich festzulegen
  • den Bildungsurlaub in den Betrieben bekannter zu machen. Dazu sind nicht ausschließlich die Gewerkschaften aufzufordern, sondern auch die Betriebe sollen mindestens jährlich zum Beispiel über Teamleitungen, Human Ressources Abteilungen oder auf Betriebskonferenzen dazu informieren. Eine gewerkschaftliche Kampagne oder eine Kampagne durch das BAMS ist durch die SPD explizit zu unterstützen

 

Prinzipien unseres Arbeitsverständnisses

Wenn heute und in Zukunft durch automatisierte Verfahren menschliche Arbeit an bestimmten Stellen der Produktion und bei einfachen Dienstleistungstätigkeiten, insbesondere dort, wo Arbeitnehmer*innen mit Überlastung, Unterforderung, aber auch Gefährdungen für die eigene Gesundheit zu kämpfen haben, nicht mehr notwendig wird, ist das zuerst eine Chance und keine Gefahr für die gesellschaftliche Verteilung der Arbeit. Wir Jungsozialist*innen wollen jedoch nicht, dass aufgrund des technologischen Wandels arbeitslos gewordene Menschen mit einem wie auch immer gearteten bedingungslosen Grundeinkommen abgespeist werden, sondern  die Möglichkeit haben, arbeiten bzw. sich je nach Wunsch einbringen zu können. Für uns gilt daher: wer arbeiten möchte, der*die muss ein die jeweiligen Qualifikationen entsprechendes Angebot bekommen. Niemand darf zu (Erwerbs)Arbeit verpflichtet werden. Daraus resultiert, dass gesellschaftliche Partizipation, Sozial- und Freiheitsrechte nicht an (Erwerbs)Arbeit hängen oder von ihnen abgeleitet werden dürfen. Jeder Mensch hat das Recht aktiver Teil der Gesellschaft zu sein und in allen Lebensbereichen eine gleichberechtigte Stimme zu haben. Somit sind für alle Menschen entsprechende Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe zu schaffen. Vollbeschäftigung bedeutet für uns jedoch nicht, alles dafür zu tun, um Menschen in (teilweise prekäre) Arbeitsverhältnisse zu drängen. Unserem Verständnis nach, ist es Aufgabe des sozialen Rechtsstaates, dafür zu sorgen, dass Menschen gute Arbeit finden, die ihre Vorstellungen und Wünschen berücksichtigt.

 

Arbeitszeitverkürzung: Es ist Zeit für die 30-Stunden-Woche

In der Tarifrunde 2018 hat die IG-Metall das Thema Arbeitszeit wieder auf die Agenda gesetzt.  Die Gewerkschaft konnte einen beachtlichen Erfolg u.a. damit erzielen, dass Arbeitnehmer*innen ihre Arbeitszeit für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren bis auf 28 Stunden pro Woche verkürzen können. Dies beweist zwar, dass es möglich ist, der Kapitalseite in Verhandlungen mehr freie Zeit für die Arbeitnehmer*innen abzugewinnen – allerdings gilt dies heutzutage eben leider nur für die Arbeitnehmer*innen besonders produktiver und profitabler Branchen wie der Elektro- und Metall-Industrie, die von der mitgliederstärksten Einzelgewerkschaft Deutschlands vertreten werden. Durch die Diversität der Arbeitnehmerschaft und den Rückgang tarifgebundener Arbeitsverträge können solche Erfolge heute nicht mehr verallgemeinert und somit auch weniger (weniger als die Hälfte der Beschäftigten wird nach Tarif bezahlt)  privilegierten Beschäftigten anderer Branchen zugänglich werden. Deshalb ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, inwieweit eine Regelung von Seiten des Staates notwendig geworden ist und wie genau diese auszugestalten ist. Es ist Aufgabe der SPD das Bündnis mit den Gewerkschaften zur Verfolgung des Ziels einer verkürzten Arbeitszeit zu suchen und dafür zu sorgen, dass dieses Thema wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt wird.

 

  • Wir fordern die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-Bundesminister*innen auf, Konzepte für eine neue Arbeits- und Sozialgesetzgebung zu erarbeiten, die die Einführung der 30-Stunden-Woche als neuen Arbeitszeitstandard bei weitgehendem Lohn- und vollem Personalausgleich sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig möglich macht und sich für die Einführung dieser 30-Stunden-Woche einzusetzen

 

Diese „kurze Vollzeit“ muss – in Anlehnung an die heutige Ausgleichsregelung im Arbeitszeitgesetz – nicht in jeder Woche eingehalten werden, sondern sich bloß im Jahresdurchschnitt ergeben. Längere Arbeitszeiten, die beispielsweise zur Fertigstellung eines konkreten Projektes nötig werden, sind somit für einen begrenzten Zeitraum mit expliziter Zustimmung der Arbeitnehmer*innen zulässig, sie müssen an anderer Stelle nur wieder zeitlich ausgeglichen werden.

Arbeitszeit darf nicht gegen Lohnforderungen ausgespielt werden: Gerade für Geringverdiener wären Einkommenseinbußen aufgrund einer Verkürzung ihrer Arbeitszeit nicht verkraftbar und würden ihre wirtschaftliche und soziale Existenz gefährden. Damit die Arbeitnehmer*innen keinen finanziellen Schaden nehmen, ist mindestens für die unteren und mittleren Einkommensgruppen ein voller Lohnausgleich unabdingbar. Für höhere Einkommensgruppen, deren brutto Jahreseinkommen über 120.000 liegt, genügt, genügt ein teilweiser Lohnausgleich, um so zu einer gerechteren Einkommensverteilung beizutragen. Die Stundenlöhne und -gehälter müssten also – nach Einkommen differenziert – erhöht werden. Unternehmen, die erwiesenermaßen nicht in der Lage sind, diese höheren Löhne zu zahlen, sollen die Möglichkeit haben, Zuschüsse aus einem neu eingerichteten staatlichen Fonds zu beantragen.

 

Eine Arbeitszeitverkürzung von 30 Stunden pro Woche darf für Arbeitnehmer*innen keine Mehrbelastung und Arbeitsverdichtung zur Folge haben. Die Verkürzung der Arbeitszeit muss daher zusätzlich zum weitgehenden Lohnausgleich mit einem vollen Personalausgleich einhergehen. Trotz der Produktivitätssteigerung in Produktion und Verwaltung durch Prozesse der Automatisierung und Digitalisierung gehen wir davon aus, dass sich das Arbeitsvolumen von Arbeitnehmer*innen in den meisten Bereichen kurz- und mittelfristig nicht verringert. Auf Basis dieser Annahme fordern wir daher, dass im Zuge der Arbeitszeitverkürzung Neueinstellungen oder Aufstockungen bereits im Betrieb angestellter Arbeitnehmer*innen vollzogen werden, welche die Differenz an Arbeitsstunden pro Woche ausgleichen. So wird zwar das Stundenpensum der einzelnen Arbeitnehmer*in reduziert, nicht aber das gesamte Stundenvolumen eines Teams, einer Abteilung oder eines Betriebs. In einer Abteilung bestehend aus drei Vollzeitstellen muss demnach als Folge der Arbeitszeitverkürzung eine volle Stelle i m Umfang von 30 Stunden geschaffen werden. Diese neu geschaffene Stelle muss sich was Gehalt und Arbeitsbedingungen angeht an den schon bestehenden Stellen orientieren.

Auf lange Sicht werden technische Innovationen und die Automatisierung von Verwaltungs- und Produktionsprozessen zu einer weitreichender Substitution menschlicher Arbeit führen. Die Forderung nach vollem Personalausgleich kann angesichts dieser Entwicklungen nicht alleine stehen und muss in einem breiteren Kontext und durch weitreichende Forderungen ergänzt werden.

Die hier vorgeschlagene Regelung zum vollen Personalausgleich ist insbesondere auf die Periode bis zum Inkrafttretens des Gesetzes ausgelegt. So wird verhindert, dass bestehende 40-Stunden-Vollzeitäquivalente in 30-Stunden-Vollzeitstellen umgewandelt werden, ohne dass die dadurch entstehende wöchentliche Stundendifferenz durch Neueinstellungen oder Aufstockungen ausgeglichen wird.

 

 

Warum kürzere Arbeitszeiten ein Gewinn sind

Eine kürzere Wochenarbeitszeit erleichtert fraglos die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und trägt zudem dazu bei, unser Ziel einer geschlechtergerechten Verteilung der Care-Arbeit besser zu verwirklichen: Männer und vor allem Frauen, die heute in Teilzeit arbeiten, um noch Zeit zu finden, sich um Haushalt oder Kinder zu kümmern, könnten auf 30 Stunden aufstocken, während z.B. ihre Partner(*innen), die heute 40 Stunden oder länger am Arbeitsplatz verbringen, durch die Verringerung ihrer Arbeitszeit endlich mehr zur unbezahlten Care-Arbeit beitragen können.

 

Zu der größeren Arbeits-Verteilungsgerechtigkeit durch eine Arbeitszeitverkürzung trägt auch bei, dass die neuen, aufgrund des Personalausgleichs geschaffenen Arbeitsplätze Menschen, die heute unfreiwillig in Teilzeit arbeiten oder anderweitig prekär beschäftigt sind sowie Arbeitslosen die Rückkehr oder den Eintritt in ein – dann kurzes – Vollzeitbeschäftigungsverhältnis ermöglichen. Das alte sozialdemokratische Ziel der Vollbeschäftigung könnte damit wieder in erreichbare Nähe rücken. Um allen Menschen eine Chance zu geben die Aufgaben der freigewordenen Stellen erfüllen zu können, so sie diese Stellen annehmen möchten, ist ein umfassendes Fort- und Weiterbildungsprogramm notwendig.. Auch in Bezug auf die heute schon Vollzeitbeschäftigten lässt sich eine Arbeitszeitverkürzung als soziale Investition sehen: kurzfristig mögen höhere Kosten entstehen, langfristig ergeben sich aber Vorteile für Arbeitnehmer*innen wie Arbeitgeber*innen. So kam es in der Vergangenheit nicht zu Produktionsrückgängen, sondern zu einer besseren Gesundheit und gesteigerten Leistungsfähigkeit der Beschäftigten, die zum effizienteren Arbeiten beitrug.

Eine kürzere Normalarbeitszeit schafft darüber hinaus für viele Menschen, die heute aufgrund der überlangen Zeit, die sie am Arbeitsplatz verbringen müssen, keine Möglichkeit dazu haben, den Raum, sich ehrenamtlich – sozial oder politisch –  zu engagieren und somit zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen.

 

Schon im Berliner Programm der SPD, das bis 2007 gültig war, wurde festgestellt, dass eine Arbeitszeitverkürzung zu mehr Lebensqualität beitragen würde und der sechsstündige Arbeitstag in einer 30-Stunden-Woche deshalb als Regel angestrebt. Wir möchten diese alte Forderung als unser Ziel für die Arbeitswelt der Zukunft

wiederbeleben.

 

 

Für ein zeitgemäßes Arbeitszeitgesetz

Parallel zur längerfristigen Einführung der 30-Stunden-Woche bedarf es kurzfristig und als ersten Schritt auf dem Weg dorthin einer Verbesserung des Arbeitszeitgesetzes, das zuletzt 1994.geändert wurde. Darin ist vorgeschrieben, dass die werktägliche (Montag bis Samstag) Arbeitszeit maximal 8 Stunden am Tag betragen darf. Sie kann ausnahmsweise auf 10 Stunden am Tag verlängert werden, wenn in sechs Monaten im Schnitt die 8 Stunden am Tag nicht überschritten werden. Somit ist heute, über 100 Jahre nachdem der 8-Stunden-Tag gesetzlich verankert wurde, noch immer eine 48-stündige Arbeitswoche gesetzlich möglich. Die als Normalarbeitszeit geltende 40-Stunden-Woche (in manchen Branchen 35 Stunden) ist nur tarifvertraglich geregelt.

Die Änderung des Arbeitszeitgesetzes auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit würde somit zum einen die leider stark angewachsene Zahl an Arbeitnehmer*innen, die keine ausreichenden Tarifverträge haben, gegenüber der durch das Arbeitszeitgesetz zumutbaren zu hohen Wochenarbeitszeit absichern und zum anderen mehr Flexibilität für die Arbeitnehmer*innen ermöglichen, indem sie beispielsweise anstatt 8 Stunden im Büro auch über den Tag bzw. die Woche verteilt mobil oder von Zuhause aus arbeiten können.

 

Deshalb fordern wir die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion sowie den Bundesminister für Arbeit und Soziales dazu auf, noch in dieser Legislaturperiode die im Arbeitszeitgesetz verankerte Höchstarbeitszeit von 8 Stunden am Tag auf 40 Stunden in der Woche zu verändern und somit effektiv um 8 Stunden pro Woche zu verringern.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme (Konsens)
Fassung der Antragskommission:

Stellungnahme des FA Wirtschaft, Arbeit, Technologie zum Antrag Nr. 30/I/2019 der Jusos

 

Der Antrag hat sich zum Teil erledigt, zum Teil wird er an die Antragsteller mit der Bitte um Aktualisierung zurückverwiesen.

 

a) Die Forderung nach einem Programm für eine neue solidarische Politik der Arbeit ist bereits durch das von Andrea Nahles als Bundesministerin für Arbeit initiierte Weißbuch „Arbeiten 4.0“ erledigt. Die dort erarbeiteten sowie die Ergebnisse der von der Hans-Böckler-Stiftung initiierten Kommission „Zukunft der Arbeit“ sollten Basis einer weiteren Diskussion sein, die sich auch mit der Frage der möglichst zeitnahen Umsetzung befasst.

 

b) Die Forderung nach besserer Weiterbildung ist durch die gestern beschlossene Nationale Weiterbildungsstrategie weitgehend erledigt. Auch hier sollten wir prüfen, ob weitergehende Maßnahmen notwendig sind und die Umsetzung begleiten

 

c) Die Forderung nach einem zeitgemäßen Arbeitszeitgesetz haben wir durch die Fassung – Antrag 32/I/2019 Arbeitszeit (beschlossen durch den Landesvorstand und an den BPT weitergeleitet) weitgehend übernommen.

Beschluss: Annahme
Text des Beschlusses:

Strukturwandel der Arbeit im 21. Jahrhundert

Wir wollen die Arbeitswelt von morgen aktiv gestalten und auf die Veränderungen nicht nur reagieren. Unser Anspruch an Arbeit muss es sein, die vielen Potentiale einer digitalisierten Gesellschaft so zusammenzubringen, dass Arbeit die Interessen der Menschen in den Vordergrund stellt und nicht das Profitstreben einzelner Unternehmen. Grundsätzlich verstehen wir Sozialdemokrat*innen unter Arbeit mehr als bloße Existenzgrundlage. Arbeit kann Mittel zur Selbstverwirklichung sein, Menschen Struktur im Alltag geben und sinnstiftend sein. Leider müssen Menschen aber auch oft Arbeit nachgehen, die objektiv sinnlos ist oder so empfunden wird. Während ehrenamtliche Tätigkeiten bei Unzufriedenheit eingestellt werden können, sind Menschen bei ihrer Erwerbsarbeit in der Regel darauf angewiesen, Arbeitgeber*innen ihre Arbeitskraft gegen einen Lohn zur Verfügung zu stellen. Das macht Arbeitnehmer*innen besonders anfällig für kapitalistische Ausbeutungsmechanismen. Gleichzeitig kann über Erwerbsarbeit auch wichtiger Faktor für Integration und Umverteilung in unserer Gesellschaft organisiert werden. Der Abschluss guter Tarifverträge kann dabei effektiver sein, als beispielsweise ein Spitzensteuersatz. Sozialistische Politik muss deshalb immer besonders im Blick haben, Menschen bestmöglich vor Ausbeutung bestmöglich zu schützen, ihre Mitbestimmung am Arbeitsplatz sicherzustellen und einen höchstmöglichen Organisationsgrad der Arbeitnehmer*innenschaft zu ermöglichen. Sie ist deshalb zentral für unser politisches Verständnis.

Erwerbsarbeit, Care-Arbeit, Ehrenamt – menschenwürdige und zum Gemeinwohl beitragende Arbeit ist vielseitig und weitaus mehr als die Optimierung wirtschaftlichen Erfolgs von Einzelnen oder Unternehmen. Viele Tätigkeiten, die einzelne Arbeitsformen ausmachen, überschneiden sich oder sind voneinander abhängig. Wie viel Raum jede Person einer bestimmten Arbeitsform gibt, wird von verschiedenen Faktoren bestimmt. Fest steht aber, dass jede Form von Arbeit einem bestimmten Zweck folgt und Menschen ausfüllen bzw. bereichern kann. Dabei entstehen alle die Arbeit strukturierenden Merkmale wie Arbeitsteilung, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit, Arbeitsumfang und Arbeitsinhalte nicht im luftleeren Raum, sondern sind politisch gestaltbar. Auch wenn sich Arbeitsformen teilweise verändern, sind sie auf andere angewiesen. Dabei entwickeln sich die gesellschaftlichen Produktionskräfte immer weiter aus, sodass die Ausgangssituation zum Hervorbringen von unseren Lebensgrundlagen neue Formen erreicht. Wir Menschen möchten bestimmen, wie wir arbeiten und das betrifft nicht nur, aber entscheidend die Erwerbsarbeit. Grundsätzlich verändert sich Arbeit aufgrund von zwei Faktoren: technische Innovationen und die damit einhergehenden  Veränderungen all jener Ressourcen, die uns zur Produktion von Gütern bzw. Dienstleistung zur Verfügung stehen einerseits, sowie zum anderen ein Fortschritt in der Arbeitsteilung durch die selbstständige Arbeitsorganisation der Beschäftigten in Teams und ihre Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Sinn ihrer Tätigkeiten.. Daraus folgt, dass die Rahmenbedingungen der Arbeit von heute neue Möglichkeiten eröffnet und politische Forderungen notwendig macht, um die Lebensverhältnisse vieler Menschen erheblich zu verbessern. Ziel dessen muss es für die Sozialdemokratie sein, die Zukunft der Arbeit zu gestalten, damit die Zukunft der Menschen lebenswert(er) wird. Dazu gehört aber auch, anzuerkennen, dass wir Arbeit weiter denken und uns ernsthaft über ein alternatives Konzept verständigen müssen.

 

  • Daher fordern wir eine Auseinandersetzung, die es der gesamten Breite der Partei ermöglicht, sich einzubringen. Diese Auseinandersetzung soll in einem Programm münden, mit welchem wir für eine neue solidarische Politik der Arbeit einen Gegenentwurf zu den derzeit bestehenden Leitlinien zeichnen, in der Menschen und nicht das Kapital im Fokus stehen.

 

Die Logiken unseres Wirtschaftssystems und letztlich auch des Arbeitens in kapitalistischen Strukturen wollen wir überwinden. Arbeit soll nicht mehr ein Machtverhältnis darstellen, indem Menschen ihre Fähigkeiten einem anderen gegen Lohn zur Verfügung stellen. Vielmehr wollen wir die technischen Fortschritte nutzen, um zu definieren, wie die Zukunft der Arbeit aussehen soll und welchen gesellschaftlichen Wert wir ihr dann noch beimessen. Dabei wird es dringend Zeit, dass sich die Sozialdemokratie aktiv darum bemüht, den Stellenwert der Arbeit aus kapitalistischen Denkweisen heraus zu heben und einen neuen gültigen Anspruch zu formulieren, der nicht den Wertschöpfungsprozess eines beliebigen Produktes anhand seines Marktwertes definiert. Vielmehr sollten wir uns die Zeit nehmen und darüber nachdenken, wie, was und wofür überhaupt Arbeit im digitalen Jahrhundert steht.

 

Gute Arbeit der Zukunft braucht Bildung

Wir wollen Fort- und Weiterbildung als festen Bestandteil des jeweiligen Berufsweges stärken und den Menschen eine individuelle Entwicklung ermöglichen, die sich an die vielseitigen Veränderungen im Job anpasst. Der individuelle und fortlaufende Lernprozess muss endlich Umsetzung finden und dabei aus den Erfordernissen des Wirtschaftssystems herausgelöst werden. Lebenslanges Lernen bedeutet vor allem, Freiräume für die eigene Weiterentwicklung von Interessen nutzen zu können. Dabei wollen wir die berufliche wie auch persönliche Weiterbildung zusammendenken und jeder Person ermöglichen, in einer selbstbestimmten Gewichtung verschiedene Angebote annehmen zu können. Damit das gelingen kann muss aber der Begriff des Bildungssystems um den Bereich viel weiter gedacht werden. Dazu gehören erstens Anreize für öffentliche Bildungseinrichtungen, um die Weiter- und Fortbildungsangebote voranzutreiben. Zweitens muss jedem*jeder Arbeitnehmer*in auch finanzielle und zeitliche Entlastung zuteil werden, damit diese sich orientieren und sodann intensiv mit einem ihre Kompetenzen erweiternden Weiterbildungsangebot auseinandersetzen können. Jedoch ist es weiterhin zu begrüßen, dass es honoriert wird, wenn Arbeitnehmer*innen sich fortbilden und damit für neue Aufgaben Verantwortung übernehmen. Drittens braucht es eine tiefere Verzahnung von beruflichen und akademischen Weiterbildungsformaten. Um den auf Seiten wirtschaftlicher Effizienz bestehenden Druck in Unternehmen etwas entgegenzusetzen, setzen wir uns für eine verbindliche Weiterbildungsgarantie ohne Ausnahme, sodass Arbeitnehmer*innen jedes Jahr gesetzlichen Anspruch auf ein persönliches lebensbegleitendes Lernen erhalten. In dieser Ausformung misst sich Fort- und Weiterbildung nicht in Form von Zertifikaten oder Abschlüssen, sondern daran, in welchem Umfang sich Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit entfalten können. Die sozialdemokratische Antwort auf immer mehr Arbeitsverdichtung und -entgrenzung geht über den Bereich beruflich-fixierter beziehungsweise betrieblicher Weiterbildung hinaus und weist insbesondere eine gemeinschaftlich-soziale Teilhabe auf. Dadurch sollen Menschen befähigt werden, sich gesellschaftlich einbringen zu können und mit bzw. von anderen Menschen zu lernen.

 

Um die Fort- und Weiterbildung zukunftsfest zu machen, fordern wir die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und SPD-Bundesminister*innen auf,

 

  • sich für einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Fort- und Weiterbildung einzusetzen, der unabhängig vom Tätigkeitsfeld, Alter und der Betriebszugehörigkeit mind. 30 Tage für jede*n Arbeitnehmer*in im Jahr beträgt und die Lohnfortzahlung beinhaltet. Unternehmen, die nicht in der Lage sind, dies zu gewährleisten, ohne den allgemeinen Betrieb zu gefährden, sind finanziell zu unterstützen. Dies lässt sich bspw. durch einen gemeinsamen Umlagefond zw. großen, mittelständischen und kleinen Unternehmen gewährleisten. Die Tage müssen nicht zusammenhängend genommen werden, sondern sind splitbar
  • sich für den Umbau der Arbeitslosenversicherung in eine echte Arbeitsversicherung mit Qualifizierungsfunktion einzusetzen. Im Rahmen dieser sollen Weiterbildungskonten geschaffen werden, dies bei der Agentur für Arbeit eingerichtet und geführt werden. Das Guthaben auf dem Weiterbildungskonto wird während der Erwerbstätigkeit vergrößert und paritätisch zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen finanziert. Hierbei sollen gesetzlich festgelegte Ansprüche auf Fort- und Weiterbildung greifen. Erworbene Ansprüche werden auf dem Konto verbucht und können dann bei Bedarf für Weiterbildungsmaßnahmen realisiert werden
  • die Erstattung der direkten Kosten (Teilnahmegebühr, Unterbringung, Fahrtkosten) durch Unternehmen gesetzlich festzulegen
  • den Bildungsurlaub in den Betrieben bekannter zu machen. Dazu sind nicht ausschließlich die Gewerkschaften aufzufordern, sondern auch die Betriebe sollen mindestens jährlich zum Beispiel über Teamleitungen, Human Ressources Abteilungen oder auf Betriebskonferenzen dazu informieren. Eine gewerkschaftliche Kampagne oder eine Kampagne durch das BAMS ist durch die SPD explizit zu unterstützen

 

Prinzipien unseres Arbeitsverständnisses

Wenn heute und in Zukunft durch automatisierte Verfahren menschliche Arbeit an bestimmten Stellen der Produktion und bei einfachen Dienstleistungstätigkeiten, insbesondere dort, wo Arbeitnehmer*innen mit Überlastung, Unterforderung, aber auch Gefährdungen für die eigene Gesundheit zu kämpfen haben, nicht mehr notwendig wird, ist das zuerst eine Chance und keine Gefahr für die gesellschaftliche Verteilung der Arbeit. Wir Jungsozialist*innen wollen jedoch nicht, dass aufgrund des technologischen Wandels arbeitslos gewordene Menschen mit einem wie auch immer gearteten bedingungslosen Grundeinkommen abgespeist werden, sondern  die Möglichkeit haben, arbeiten bzw. sich je nach Wunsch einbringen zu können. Für uns gilt daher: wer arbeiten möchte, der*die muss ein die jeweiligen Qualifikationen entsprechendes Angebot bekommen. Niemand darf zu (Erwerbs)Arbeit verpflichtet werden. Daraus resultiert, dass gesellschaftliche Partizipation, Sozial- und Freiheitsrechte nicht an (Erwerbs)Arbeit hängen oder von ihnen abgeleitet werden dürfen. Jeder Mensch hat das Recht aktiver Teil der Gesellschaft zu sein und in allen Lebensbereichen eine gleichberechtigte Stimme zu haben. Somit sind für alle Menschen entsprechende Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe zu schaffen. Vollbeschäftigung bedeutet für uns jedoch nicht, alles dafür zu tun, um Menschen in (teilweise prekäre) Arbeitsverhältnisse zu drängen. Unserem Verständnis nach, ist es Aufgabe des sozialen Rechtsstaates, dafür zu sorgen, dass Menschen gute Arbeit finden, die ihre Vorstellungen und Wünschen berücksichtigt.

 

Arbeitszeitverkürzung: Es ist Zeit für die 30-Stunden-Woche

In der Tarifrunde 2018 hat die IG-Metall das Thema Arbeitszeit wieder auf die Agenda gesetzt.  Die Gewerkschaft konnte einen beachtlichen Erfolg u.a. damit erzielen, dass Arbeitnehmer*innen ihre Arbeitszeit für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren bis auf 28 Stunden pro Woche verkürzen können. Dies beweist zwar, dass es möglich ist, der Kapitalseite in Verhandlungen mehr freie Zeit für die Arbeitnehmer*innen abzugewinnen – allerdings gilt dies heutzutage eben leider nur für die Arbeitnehmer*innen besonders produktiver und profitabler Branchen wie der Elektro- und Metall-Industrie, die von der mitgliederstärksten Einzelgewerkschaft Deutschlands vertreten werden. Durch die Diversität der Arbeitnehmerschaft und den Rückgang tarifgebundener Arbeitsverträge können solche Erfolge heute nicht mehr verallgemeinert und somit auch weniger (weniger als die Hälfte der Beschäftigten wird nach Tarif bezahlt)  privilegierten Beschäftigten anderer Branchen zugänglich werden. Deshalb ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, inwieweit eine Regelung von Seiten des Staates notwendig geworden ist und wie genau diese auszugestalten ist. Es ist Aufgabe der SPD das Bündnis mit den Gewerkschaften zur Verfolgung des Ziels einer verkürzten Arbeitszeit zu suchen und dafür zu sorgen, dass dieses Thema wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt wird.

 

  • Wir fordern die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-Bundesminister*innen auf, Konzepte für eine neue Arbeits- und Sozialgesetzgebung zu erarbeiten, die die Einführung der 30-Stunden-Woche als neuen Arbeitszeitstandard bei weitgehendem Lohn- und vollem Personalausgleich sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig möglich macht und sich für die Einführung dieser 30-Stunden-Woche einzusetzen

 

Diese „kurze Vollzeit“ muss – in Anlehnung an die heutige Ausgleichsregelung im Arbeitszeitgesetz – nicht in jeder Woche eingehalten werden, sondern sich bloß im Jahresdurchschnitt ergeben. Längere Arbeitszeiten, die beispielsweise zur Fertigstellung eines konkreten Projektes nötig werden, sind somit für einen begrenzten Zeitraum mit expliziter Zustimmung der Arbeitnehmer*innen zulässig, sie müssen an anderer Stelle nur wieder zeitlich ausgeglichen werden.

Arbeitszeit darf nicht gegen Lohnforderungen ausgespielt werden: Gerade für Geringverdiener wären Einkommenseinbußen aufgrund einer Verkürzung ihrer Arbeitszeit nicht verkraftbar und würden ihre wirtschaftliche und soziale Existenz gefährden. Damit die Arbeitnehmer*innen keinen finanziellen Schaden nehmen, ist mindestens für die unteren und mittleren Einkommensgruppen ein voller Lohnausgleich unabdingbar. Für höhere Einkommensgruppen, deren brutto Jahreseinkommen über 120.000 liegt, genügt, genügt ein teilweiser Lohnausgleich, um so zu einer gerechteren Einkommensverteilung beizutragen. Die Stundenlöhne und -gehälter müssten also – nach Einkommen differenziert – erhöht werden. Unternehmen, die erwiesenermaßen nicht in der Lage sind, diese höheren Löhne zu zahlen, sollen die Möglichkeit haben, Zuschüsse aus einem neu eingerichteten staatlichen Fonds zu beantragen.

 

Eine Arbeitszeitverkürzung von 30 Stunden pro Woche darf für Arbeitnehmer*innen keine Mehrbelastung und Arbeitsverdichtung zur Folge haben. Die Verkürzung der Arbeitszeit muss daher zusätzlich zum weitgehenden Lohnausgleich mit einem vollen Personalausgleich einhergehen. Trotz der Produktivitätssteigerung in Produktion und Verwaltung durch Prozesse der Automatisierung und Digitalisierung gehen wir davon aus, dass sich das Arbeitsvolumen von Arbeitnehmer*innen in den meisten Bereichen kurz- und mittelfristig nicht verringert. Auf Basis dieser Annahme fordern wir daher, dass im Zuge der Arbeitszeitverkürzung Neueinstellungen oder Aufstockungen bereits im Betrieb angestellter Arbeitnehmer*innen vollzogen werden, welche die Differenz an Arbeitsstunden pro Woche ausgleichen. So wird zwar das Stundenpensum der einzelnen Arbeitnehmer*in reduziert, nicht aber das gesamte Stundenvolumen eines Teams, einer Abteilung oder eines Betriebs. In einer Abteilung bestehend aus drei Vollzeitstellen muss demnach als Folge der Arbeitszeitverkürzung eine volle Stelle i m Umfang von 30 Stunden geschaffen werden. Diese neu geschaffene Stelle muss sich was Gehalt und Arbeitsbedingungen angeht an den schon bestehenden Stellen orientieren.

Auf lange Sicht werden technische Innovationen und die Automatisierung von Verwaltungs- und Produktionsprozessen zu einer weitreichender Substitution menschlicher Arbeit führen. Die Forderung nach vollem Personalausgleich kann angesichts dieser Entwicklungen nicht alleine stehen und muss in einem breiteren Kontext und durch weitreichende Forderungen ergänzt werden.

Die hier vorgeschlagene Regelung zum vollen Personalausgleich ist insbesondere auf die Periode bis zum Inkrafttretens des Gesetzes ausgelegt. So wird verhindert, dass bestehende 40-Stunden-Vollzeitäquivalente in 30-Stunden-Vollzeitstellen umgewandelt werden, ohne dass die dadurch entstehende wöchentliche Stundendifferenz durch Neueinstellungen oder Aufstockungen ausgeglichen wird.

 

 

Warum kürzere Arbeitszeiten ein Gewinn sind

Eine kürzere Wochenarbeitszeit erleichtert fraglos die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und trägt zudem dazu bei, unser Ziel einer geschlechtergerechten Verteilung der Care-Arbeit besser zu verwirklichen: Männer und vor allem Frauen, die heute in Teilzeit arbeiten, um noch Zeit zu finden, sich um Haushalt oder Kinder zu kümmern, könnten auf 30 Stunden aufstocken, während z.B. ihre Partner(*innen), die heute 40 Stunden oder länger am Arbeitsplatz verbringen, durch die Verringerung ihrer Arbeitszeit endlich mehr zur unbezahlten Care-Arbeit beitragen können.

 

Zu der größeren Arbeits-Verteilungsgerechtigkeit durch eine Arbeitszeitverkürzung trägt auch bei, dass die neuen, aufgrund des Personalausgleichs geschaffenen Arbeitsplätze Menschen, die heute unfreiwillig in Teilzeit arbeiten oder anderweitig prekär beschäftigt sind sowie Arbeitslosen die Rückkehr oder den Eintritt in ein – dann kurzes – Vollzeitbeschäftigungsverhältnis ermöglichen. Das alte sozialdemokratische Ziel der Vollbeschäftigung könnte damit wieder in erreichbare Nähe rücken. Um allen Menschen eine Chance zu geben die Aufgaben der freigewordenen Stellen erfüllen zu können, so sie diese Stellen annehmen möchten, ist ein umfassendes Fort- und Weiterbildungsprogramm notwendig.. Auch in Bezug auf die heute schon Vollzeitbeschäftigten lässt sich eine Arbeitszeitverkürzung als soziale Investition sehen: kurzfristig mögen höhere Kosten entstehen, langfristig ergeben sich aber Vorteile für Arbeitnehmer*innen wie Arbeitgeber*innen. So kam es in der Vergangenheit nicht zu Produktionsrückgängen, sondern zu einer besseren Gesundheit und gesteigerten Leistungsfähigkeit der Beschäftigten, die zum effizienteren Arbeiten beitrug.

Eine kürzere Normalarbeitszeit schafft darüber hinaus für viele Menschen, die heute aufgrund der überlangen Zeit, die sie am Arbeitsplatz verbringen müssen, keine Möglichkeit dazu haben, den Raum, sich ehrenamtlich – sozial oder politisch –  zu engagieren und somit zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen.

 

Schon im Berliner Programm der SPD, das bis 2007 gültig war, wurde festgestellt, dass eine Arbeitszeitverkürzung zu mehr Lebensqualität beitragen würde und der sechsstündige Arbeitstag in einer 30-Stunden-Woche deshalb als Regel angestrebt. Wir möchten diese alte Forderung als unser Ziel für die Arbeitswelt der Zukunft

wiederbeleben.

 

 

Für ein zeitgemäßes Arbeitszeitgesetz

Parallel zur längerfristigen Einführung der 30-Stunden-Woche bedarf es kurzfristig und als ersten Schritt auf dem Weg dorthin einer Verbesserung des Arbeitszeitgesetzes, das zuletzt 1994.geändert wurde. Darin ist vorgeschrieben, dass die werktägliche (Montag bis Samstag) Arbeitszeit maximal 8 Stunden am Tag betragen darf. Sie kann ausnahmsweise auf 10 Stunden am Tag verlängert werden, wenn in sechs Monaten im Schnitt die 8 Stunden am Tag nicht überschritten werden. Somit ist heute, über 100 Jahre nachdem der 8-Stunden-Tag gesetzlich verankert wurde, noch immer eine 48-stündige Arbeitswoche gesetzlich möglich. Die als Normalarbeitszeit geltende 40-Stunden-Woche (in manchen Branchen 35 Stunden) ist nur tarifvertraglich geregelt.

Die Änderung des Arbeitszeitgesetzes auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit würde somit zum einen die leider stark angewachsene Zahl an Arbeitnehmer*innen, die keine ausreichenden Tarifverträge haben, gegenüber der durch das Arbeitszeitgesetz zumutbaren zu hohen Wochenarbeitszeit absichern und zum anderen mehr Flexibilität für die Arbeitnehmer*innen ermöglichen, indem sie beispielsweise anstatt 8 Stunden im Büro auch über den Tag bzw. die Woche verteilt mobil oder von Zuhause aus arbeiten können.

 

Deshalb fordern wir die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion sowie den Bundesminister für Arbeit und Soziales dazu auf, noch in dieser Legislaturperiode die im Arbeitszeitgesetz verankerte Höchstarbeitszeit von 8 Stunden am Tag auf 40 Stunden in der Woche zu verändern und somit effektiv um 8 Stunden pro Woche zu verringern.

Beschluss-PDF:
Stellungnahme(n):
Beschluss des BPT 2021: überwiesen an SPD-Parteivorstand
Überweisungs-PDF: