Am 7. Oktober 2023 wurde durch die Terrororganisation Hamas ein grausamer Terroranschlag auf Israel verübt, der in seiner Brutalität einzigartig ist. Mehrere tausend schwer bewaffnete Terroristen der Hamas drangen in Israel ein. Israel wurde massiv mit Raketen beschossen. Während des Anschlags wurden über 1200 Menschen brutal ermordet, die meisten davon Zivilist*innen. Geschlechtsspezifische Gewalt wurde nachweislich als Waffe eingesetzt. Viele weitere Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden verletzt und traumatisiert. Rund 240 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Noch immer werden 134 israelische Geiseln in Gaza festgehalten. Der 7. Oktober 2023 markiert den größten Massenmord an Jüdinnen*Juden seit der Shoah. Noch immer gibt es Raketenangriffe auf Israel, nicht nur von der Hamas, sondern auch durch das iranische Regime und die Hisbollah im Libanon. Vertreter des militärischen Hamas-Flügels wiederholen bis heute ihr Ziel, Israel auslöschen zu wollen.
Aus all dem folgt das Recht Israels auf Selbstverteidigung im Rahmen der Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Das Selbstverteidigungsrecht und die deutsche Unterstützung zu dieser ist völkerrechtlich begründet und findet im Völkerrecht auch seine Grenzen. In jedem Konflikt sind die Regeln des humanitären Völkerrechts zu achten, das militärische Notwendigkeiten anerkennt, gleichzeitig aber den bestmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung aller Konfliktparteien selbst noch im bewaffneten Konflikt zum Ziel hat. Vor diesem Hintergrund bekennen wir uns zu den Regeln des internationalen Rechts und unterstützen die Unabhängigkeit des Internationalen Gerichtshofs und des internationalen Strafgerichtshof.
Das Leid der Zivilbevölkerung Gazas ist eine Tatsache. Seit dem Kriegsausbruch sind zehntausende Menschen in Gaza ums Leben gekommen, ein Großteil davon Frauen und Kinder. Über 1,8 Millionen Palästinenser*innen mussten wiederholt ihre Häuser verlassen. 80% der z.T. durch die Hamas für terroristische Zwecke verwendeten zivilen Infrastruktur ist zerstört, viele Menschen haben alles verloren. In Teilen Gazas herrscht bereits eine Hungersnot, die sich auf das gesamte Gebiet auszuweiten droht. Das Gesundheitssystem ist völlig zusammengebrochen. Krankheiten breiten sich ungehindert aus. Es fehlt an Essen, Trinken und Medikamenten, was zu weiteren Toten führt. Durch den Zusammenbruch der zivilen Ordnung und mangelndem Zugang humanitärer Helfer*innen können Hilfsgüter zudem oftmals die notleidende Bevölkerung in Gaza nicht erreichen. Immer wieder kommt es außerdem zu einem Wechsel der als sicher bezeichneten Gebiete. Menschen werden dadurch erneut zur Flucht gezwungen. Mit dem Angriff auf Rafah droht ein weiterer Zufluchtsort von 1,7 Millionen Palästinenser*innen verloren zu gehen, ohne dass die israelische Regierung ein belastbares Konzept zum Schutz der Zivilbevölkerung vorweist. Gleichzeitig fährt die israelische Regierung ein strenges Grenzregime, das die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern massiv erschwert. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat Israel diesbezüglich bereits dreimal nachdrücklich durch die Anordnung einstweiliger Maßnahmen aufgefordert, den uneingeschränkten Zugang humanitärer Güter und Helfer*innen in Gaza sicherzustellen. Je höher die Zahl der zivilen Opfer steigt, desto verzweifelter wird die Situation der Menschen im Gazastreifen und desto schwerer wird jede friedliche Entwicklung in der Region. Dafür ist auch die Hamas in Verantwortung zu nehmen, welche in den Verhandlungen um Geiselfreilassung und Waffenstillstand bislang zu langsam und zu wenig Kooperationsbereitschaft gezeigt hat und deren Demilitarisierung unbedingter Teil jeglicher politischen Lösung sein muss.
Hinsichtlich der katastrophalen humanitären Lage in Gaza fordern wir die Bundestagsabgeordneten der Berliner SPD auf, sich für folgende Forderungen einzusetzen:
- Wir verurteilen den grausamen Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel. Die Sicherheit Israels und seiner Bevölkerung ist deutsche Staatsräson. Die Bundesregierung ist aufgefordert, im Rahmen ihrer diplomatischen Beziehungen und im Zusammenwirken mit internationalen Verbündeten alle Einwirkungsmöglichkeiten auszuschöpfen, die Hamas zur unverzüglichen und bedingungslosen Freilassung der Geiseln zu bewegen.
- Die Bundesregierung muss gemäß der Resolution des VN-Sicherheitsrats vom 25. März 2024 sowohl die Hamas als auch die israelische Regierung zu einer sofortigen Einstellung der Kampfhandlungen in Gaza und der Raketenabschüsse von Gaza auf Israel auffordern.
- Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass dem Internationalen Komitee des Roten Kreuz (IKRK) vollumfänglicher Zugang zu allen Geiseln der Hamas verschafft wird. Die sofortige Freilassung aller Geiseln muss weiterhin durch die Bundesregierung gefordert werden.
- Die Bundesregierung muss sich öffentlich dafür einsetzen, dass dem IKRK und weiteren entsprechenden (juristischen) Vertreter*innen vollumfänglicher Zugang zu palästinensischen Inhaftierten gewährt wird, sowie, dass deren Grundrechte gewahrt werden. Dies umfasst auch die Abschaffung der sog. Administrativhaft, welche eine unbegrenzte Inhaftierung von Verdächtigen ohne Anklage und Verfahren ermöglicht.
- Die Bundesregierung muss die israelische Regierung dazu auffordern, gemäß der am 26. Januar und am 28. März durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen sofort alle technisch möglichen Maßnahmen zur Herstellung einer ausreichenden humanitären Versorgung Gazas zu unternehmen: der vollumfängliche Zugang humanitärer Lieferungen in den Norden Gazas insb. auch durch UNRWA, die Ermöglichung einer vollständigen Instandsetzung und Betriebsaufnahme von Krankenhäusern, ein vollfunktionaler Deconfliction-Mechanismus welcher die Sicherheit aller humanitärer Helfer*innen gewährleistet, eine Einfuhrerlaubnis allen notwendigen medizinischen Geräts, die Öffnung und Offenhaltung aller verfügbaren Grenzübergänge (einschl. Häfen) für humanitäre Lieferungen – auch aus Israel selbst -, eine massive Beschleunigung der zeitraubenden Inspektionen, die multilaterale Erarbeitung und Implementierung eines umfassenden zivilen Schutzkonzepts und die vollumfassende Visaausstellung für humanitäres Personal der VN.
- Ein besonderes Augenmerk muss auf die angemessene Versorgung von Frauen und Kindern in Gaza gelegt werden, die inmitten der humanitären Katastrophe besonders vulnerabel sind. Dies umfasst u.a. die ausreichende Versorgung von Schwangeren und gebärenden Personen und ein Ende der Einstufung zahlreicher humanitärer Güter – z.B. Hygienekits und Datteln – als potenziale „Dual Use“ Produkte, deren mögliche Verwendung durch die Hamas als Grund für langwierige Inspektionen und Zurückweisungen durch israelische Checkpoints dienen.
- Angesichts der laut World Food Programme bereits existenten Hungersnot in Gaza soll sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass neben der skalierten Einfuhr humanitäre Güter auch eine umfassende Strategie für die Prävention und Bekämpfung langfristiger Hungerfolgen für die gesamte Bevölkerung Gazas implementiert wird.
- Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass das Gesundheitssystem im Gazastreifen, welches laut Ärzte ohne Grenzen, in großen Teilen zerstört wurde, mit Priorität unmittelbar wieder aufgebaut wird, um sowohl die physische als auch psychische Gesundheit der Menschen zu gewährleisten.
- Sollte die israelische Regierung dieser Aufforderung nicht nachkommen und insbesondere weiterhin kein verlässliches Konzept zum Schutz der Zivilbevölkerung vorlegen,muss die Bundesregierung unmittelbare Konsequenzen für ihre politische und materielle Unterstützung der israelischen Regierung beschließen. Vor diesem Hintergrund sind die bereits begonnene Offensive gegen Rafah sowie die damit verbundene Schließung und Besetzung der Grenzübergänge für humanitäre Güter und humanitäre Helfer*innen völlig inakzeptabel und sollten u.a. mit einem Exportstopp der in Gaza verwendeten Rüstungsgüter beantwortet werden.
Neben obenstehenden Forderungen zur unmittelbaren humanitären Lage stellen wir nachstehende Forderungen hinsichtlich des mittel- bis langfristigen Engagements der Bundesregierung mit dem Ziel einer politischen Lösung des Nahostkonflikts: - Keine Versöhnung ohne Gerechtigkeit: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) und die internationale Gemeinschaft müssen laufende Untersuchungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit diesem Konflikt priorisieren. Hierfür müssen zeitnah ausreichend Mittel bereitgestellt und unbedingte Kooperation seitens der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie der israelischen Regierung eingefordert werden, um zügige und effektive Ermittlungen zu ermöglichen. Jegliche politische Druckausübung gegenüber dem IStGH – oder auch dem IGH – sollte von der Bundesregierung öffentlich als Untergrabung der Glaubwürdigkeit der internationalen Völkerrechtsinstitutionen kritisiert werden. Die Bundesregierung sollte sich multilateralen Bestrebungen einer völkerrechtlichen Bewertung der systematischen Blockade humanitärer Güter anschließen.
- Aus einer feministischen Perspektive ist insbesondere die umfassende Aufklärung und Aufarbeitung berichteter Fälle von sexualisierter Gewalt unabdinglich – allen voran der Verbrechen der Hamas, allerdings auch der Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt an palästinensischen Frauen, Jungen und Männern durch Mitglieder der Israel Defense Forces. Beides braucht ein hohes Maß an Sensibilität und Erfahrung. Aus diesem Grund muss sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Vereinten Nationen ein Ermittler*innenteam zusammenstellt, welches bereits Erfahrungen mit der Aufklärung von Sexualstraftaten in bewaffneten Konflikten hat.
- Für die Realisierung einer Zwei-Staaten-Lösung auf Basis der durch VN-Resolution 242 von 1967 bestimmten Grenzen soll die Bundesregierung eine proaktivere und nachdrücklichere Rolle als bisher einnehmen. Deshalb sollte die Bundesregierung zeitnah eine Konferenz mit allen relevanten Akteuren, einschließlich zivilgesellschaftlicher Vertreter*innen, zur Erreichung einer Zwei-Staaten-Lösung ohne Hamas-Beteiligung anregen und mitorganisieren. Auch die Anerkennung einer palästinensischen Staatlichkeit vorab muss in diesem Zusammenhang in Betracht gezogen werden.
- Für die perspektivische Anerkennung eines palästinensischen Staates muss die Bundesregierung im Verbund mit gleichgesinnten EU-Mitgliedstaaten sowie dem Europäischen Auswärtigen Dienst Kriterien definieren, z.B. auf Basis des 10-Punkte-Plans des Hohen Vertreters Borrell. Dies gilt sowohl für die palästinensische (im Sinne einer Demokratisierung, Deradikalisierung, Hamas-Demilitarisierung und Liberalisierung des politischen Systems) als auch für die israelische Seite (im Sinne einer anhaltenden Verweigerung einer politischen Resolution des Konflikts)
- Die Bundesregierung muss außerdem eine Gaza-Wiederaufbaukonferenz initiieren und mitorganisieren. Dabei muss die aktive Gestaltung durch lokale, regionale und zivilgesellschaftliche Akteure von Anfang an priorisiert werden. Für eine funktionierende palästinensische Zivilverwaltung und die Schaffung einer demokratischen, liberalen palästinensischen Gesellschaft fernab von Trauma und Gewalt wird es entschlossenere internationale Unterstützung als bislang benötigen. Deutschland muss sich hier in Form eines dauerhaften, ambitionierten Aufbauplans engagieren, welcher neben finanzieller Unterstützung vor Ort auch im großen Stil Stipendien, Austauschprogramme und Projekte zur Völkerverständigung für die Menschen in Gaza und im Westjordanland bereitstellt.
- Die Bundesregierung muss im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt eine unabhängige und transparente Evaluierung des deutschen Handelns und der Fremdwahrnehmung Deutschlands im Globalen Süden durchführen, insbesondere in der Region Nahost und Nordafrika. Um langfristig als glaubwürdiger, wertegeleiteter Partner angesehen zu werden, wird es neben Bemühungen der strategischen Kommunikation ein umfassendes Engagement mit der dortigen Zivilgesellschaft benötigen. Diese muss in Anlehnung an die Leitlinien Feministische Außenpolitik und die Strategie für Feministische Entwicklungszusammenarbeit erfolgen, und von einer weiteren Mittelstreichung für feministische Organisationen absehen, welche sich vor Ort für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.