Archive

Antrag 171/I/2023 Folgen aus der Silvesternacht – soziale Lösungsansätze statt rechter Hetze!

27.04.2023

Zum Jahreswechsel 2023 kam es in Berlin zu großen Ausschreitungen. Silvesternächte sind in Berlin, besonders in bestimmten Teilen, jedes Jahr geprägt von Gewalt und Eskalation. In den Jahren des Corona-Lockdowns waren diese Ausschreitungen durch Feuerwerksverkaufsverbot gering. Besonders im Kontrast dazu erfuhren die Ausschreitungen über den Jahreswechsel 2022/2023 eine besondere und von rechten Kräften genutzte mediale Aufmerksamkeit. Die Angriffe gegen Polizei- und Rettungskräfte müssen aufgearbeitet und Täter*innen zur Verantwortung gezogen werden. Für die Aufarbeitung wird sich die Stadt mit den Ursachen und Folgen beschäftigen müssen. Dafür braucht es eine klare Analyse und soziale Lösungen, die am Kern des Problems ansetzen. Was es nicht braucht, ist eine kopflose Debatte, unterlegt mit rassistischen Ressentiments.

 

Silvesternacht

In der Silvesternacht spielten sich in ganz Berlin gewaltvolle Szenen ab. Ausschreitungen gegen und Angriffe auf Polizei-, Feuerwehr- und Rettungskräfte dominieren die Geschehnisse. Sie werden beschossen mit Böllern, Raketen, Schreckschusspistolen und Pyrotechnik. Auch von Verletzungen durch Pfefferspray und stumpfe Gewalteinwirkung wird berichtet. Zudem beschädigten die Täter*innen Ausrüstung der Einsatzkräfte: Bierkisten, Pyrotechnik und Feuerlöscher werden auf Fahrzeuge geworfen. Einsätze der Feuerwehr und Polizei werden gezielt behindert durch Barrikaden und Beschuss während der Löscharbeiten. Ausschreitungen dieser Art gab es in ganz verschiedenen Teilen Berlins, nicht nur in den Vierteln, die durch rechte Narrative in den medialen Fokus gerückt werden.

 

Im Nachgang der Silvesternacht wurden knapp 150 Personen wegen diverser Delikte festgenommen. Viele von ihnen sind – entgegen der Behauptungen rechter Kräfte – deutsche Staatsbürger*innen und unter 21 Jahre alt. Unter den Festnahmen befanden sich laut Polizeiangaben nur 6 Frauen.

 

Die Geschehnisse der Silvesternacht haben eine Reihe an Debatten angestoßen, die wenigsten davon werden konstruktiv geführt. Es geht um eine bessere Ausstattung von Polizist*innen, unter anderem durch Bodycams. Unabhängig von der Aufklärung der Silvesternacht lehnen wir den Einsatz dieser weiterhin ab. Wir erkennen die Vorteile insbesondere in Bezug auf Transparenz an, verstehen die Risiken der Technologie allerdings als zu hoch: Wir befürchten, dass Aufnahmen besonders im Sinne der Polizist*innen benützt würden und sehen insbesondere darin, dass ausschließlich Polizist*innen entscheiden, wann die Cams an- bzw. ausgeschaltet werden, ein problematisches Machtverhältnis. Sollte es dennoch zu einer Einführung kommen, darf diese daher nur unter der Pflicht des dauerhaften Einschaltens der Geräte stattfinden. Im Falle des Ausschaltens ist die Beweislastumkehr zu Lasten der entsprechenden Polizist*innen einzuführen. Auch Jugendkriminalität war Thema. Vor allem drehte sich die Debatte aber um “gescheiterte” Integration. Diese Debatte ist rassistisch und populistisch aufgeladen. Es ist unsere Aufgabe als Sozialdemokratie und als Jusos uns dem entschieden entgegenzustellen. Denn: Gewalt hat nichts mit Herkunft zu tun; Gewalt wird bedingt durch soziale Gegebenheiten wie die soziale Herkunft. Öffentliche Debatten müssen sachlich geführt werden und zu durchdachten Lösungsvorschlägen führen. Rechte Hetze hat in unserer Stadt keinen Platz!

 

Dein Vorname juckt nicht!

Das beste Beispiel für die rassistisch aufgeladene Stimmung in der Politik ist die “Vornamendebatte”. Nach den Silvesterunruhen wurden Stimmen in der Politik laut, dass man die Vornamen der Täter*innen in Erfahrung bringen müsste, um sich ein Bild zum Täter*innenprofil zu machen. Gefordert wurde dieses Vorgehen vorrangig von den Wahlgewinner*innen 2023: Kai Wegner und der CDU Berlin. Sie springen damit auf einen Zug mit rechten Kräften und bedienen sich einer Anfrage, die im selben Wortlaut von der AfD im Saarland dort 2019 gestellt wurde. Eine Koalition mit der CDU Berlin steht für uns daher außer Frage. Mit Rassisten koaliert man nicht! Dieses Denken in rassistischen Mustern lehnen wir konsequent ab. Dein Vorname und deine Herkunft haben keine Auswirkungen auf deine Gewaltbereitschaft. Auch mit der Schlussfolgerung, die Ausschreitungen seien Resultat einer gescheiterten Integrationspolitik, wird der Kern der Sache weit verfehlt. Gewalt entsteht aus sozialen Gegebenheiten, daraus, dass junge Menschen vor einer Perspektivlosigkeit stehen, daraus, dass diese Stadt vielen Menschen nicht mehr die Lebensgrundlage bietet, die sie brauchen. Wenn ganze Kieze zurückgelassen werden, wenn gute (Aus-)Bildung nur für manche erreichbar ist, wenn Menschen sich das Leben in ihrer Heimat nicht mehr leisten können, dann entsteht Frustration. Diese Debatten müssen wir führen, anstelle rassistisch gegen Namen zu hetzen.

 

Für uns gilt: Dein Vorname juckt nicht!

 

Jugendsozialarbeit als Schlüssel

Auch Jugendgewalt entsteht aus der Wechselwirkung verschiedener Faktoren und hat keine simplen Erklärungen. Klar ist: Kinder und Jugendliche bekommen ihre soziale Realität schon früh im Leben zu spüren. Gesamtgesellschaftliche Faktoren wie wirtschaftliche und soziale Ausgrenzung sind große Risikofaktoren für Jugendgewalt. Diese Faktoren manifestieren sich teilweise über Generationen und die Abwärtssprialen sind nur schwer durchdringbar. Darum müssen in Schulen, Freizeiteinrichtungen und der Nachbarschaft Schutz-, Förder- und Teilhaberechte umgesetzt werden, um junge Menschen dazu zu befähigen, Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen. Eine gute Jugendsozialarbeit ist hierbei essenziell. Leider kann die in Berlin momentan nicht gewährleistet werden, es fehlt an allem: Personal, Räumlichkeiten und finanziellen Mitteln. Um wirkliche Erfolge in der Jugendsozialarbeit zu erzielen, ist eine individuelle, langfristige Betreuung der Jugendlichen notwendig; nur so können stabile Beziehungen und Vertrauen aufgebaut werden. Aufgrund des Mangels bei Personal, Raum und Geld ist dies momentan unmöglich. Problematisch ist auch, dass die finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen, nicht zweckgebunden sind, was heißt, dass sie auch für andere Zwecke als die Jugendsozialarbeit verwendet werden können. Um der jugendlichen Gewaltspirale ein Ende zu setzen, braucht es daher mehr Ressourcen vom Land Berlin an die Bezirke, sowohl finanzielle wie räumliche. Das Jugendpaket, das nach dem Jugendgipfel durch die R2G-Landesregierung zugesichert wurde, ist ein guter erster Schritt. Die gesteigerten Ausgaben für die Jugendsozialarbeit müssen allerdings verstetigt werden und dürfen kein einmaliges Vorkommen bleiben. Außerdem müssen die an die Bezirke zur Verfügung gestellten Mittel zweckgebunden an die Jugendsozialarbeit sein.

 

Auch die Pandemie und die damit wegfallenden Angebote für junge Menschen haben ihren Schatten hinterlassen: Dass Ferienfreizeiten, Sport und Gruppenaktivitäten so lange ausgefallen sind, hat zu noch mehr Isolation und zu weniger möglichen Ansätzen des Helfens geführt. Jugendzentren, Träger und Vereine müssen daher dringend mit den nötigen Mitteln ausgestattet werden, um wieder diverse Freizeitprogramme anzubieten. In Berlin brechen zudem 6,6 % aller Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Schule ohne Abschluss ab. Die Folge: Perspektivlosigkeit, prekäre Lebensbedingungen und Frustration. Hier bedarf es vielfacher Angebote mit einer starken Schulsozialarbeit damit für Kinder und Jugendliche neue Perspektiven sichtbar und geschaffen werden. Dabei ermöglicht Soziale Arbeit an Schulen nicht nur Schüler*innen, sondern auch Eltern und Lehrerkräften, sich mit Problemen an sie zu wenden. Im Beratungsprozess arbeitet Schulsozialarbeit mit den Schüler*innen, der Familie und der Schule sowie mit Trägern der Jugendhilfe oder Therapeut*innen zusammen. Hierdurch kann den Schüler*innen frühzeitig geholfen werden. Doch dies gelingt nur, wenn es ausreichend Personal gibt und dieses mit genügend Ressourcen arbeiten kann, um so weitere Programme entwickeln zu können. Deshalb bedarf es hier einer guten personellen wie finanziellen bedarfsgerechten Ausstattung von Schulsozialarbeiter*innen an allen Schulen.“

 

Soziale Durchmischung – aber richtig

Auch wenn die Ausschreitungen in dieser letzten Silvesternacht natürlich neue Dimensionen angenommen hat, kam es auch in vorherigen Jahren bereits häufiger zu Unruhen zum Jahreswechsel. Feuerwerkssperrzonen in bestimmten Kiezen und Vierteln zeugen von früheren Eskalationen. Diese Kieze, die sich häufig durch sozial abgehängte Bewohner*innen und eine größere Anzahl migrantisierter Menschen auszeichnen, werden nun als Problemkieze und als Brutstätte für Gewaltbereitschaft besprochen. Genauso wie Vornamen haben Adressen nichts mit Aggressivität und Gewalt zu tun. Ganze Kieze unter Generalverdacht zu stellen und abzuschreiben, ist genau die falsche Konsequenz. Auch hier muss die Debatte auf die eigentlichen Themen gelegt werden: Chancen, Unterstützung und Aufstiegsperspektiven.

 

Soziale Durchmischung spielt dabei sicherlich eine Rolle. Berlin ist eine diverse Stadt, unsere Kieze sollen das widerspiegeln. Die Forderung allerdings zum Zweck der sozialen Durchmischung Wohnraum in “Problemkiezen” für finanziell stärkere Berliner*innen zu schaffen, indem man beispielsweise Eigentumswohnungen inmitten von sozialem Wohnungsbau schafft, ist der richtige Gedanke nur falsch herum gedacht. Anstelle Menschen aus ihren Wohnungen, ihren Kiezen zu verdrängen, müssen wir die Stadt bauen, in der Menschen aller Einkommensklassen miteinander wohnen. Die Lösung ist daher nicht, Eigentumswohnungen inmitten sozialen Wohnungsbaus zu schaffen, sondern vielmehr Mieten und Wohnen für alle überall möglich zu machen, bei Neubauprojekten immer Sozialwohnungen immer mit einzuplanen und Kieze für alle zu öffnen. Nur, weil Menschen unterschiedlicher Einkommen in unmittelbarer Nachbarschaft leben, entstehen noch lange keine direkten Verbindungen: Kinder werden auf unterschiedliche Schulen geschickt, die Ausgestaltung von Hobbies hängen vom Einkommen ab, der Bewegungsradius in der Stadt ist abhängig von Mobilitätsmöglichkeiten und Sozialräume werden unterschiedlich genutzt. Essenziell für eine soziale Durchmischung ist also auch die Schaffung von wohnortnahen Angeboten zur Vernetzung und zum gemeinsamen Verbringen der Freizeit, wie Nachbarschaftstreffpunkte und -cafés, Feste oder Sportangebote, durch die Bezirke und den Senat, die unterschiedliche Gruppen ansprechen und so einen wirklichen Vernetzungscharakter über Generationen, Identitäten und soziale Herkünfte hinweg entfalten können.

 

Patriarchat zerstören – nicht Eigentum

Gewalt ist das Mittel des Patriarchats. Um Gewalt zu verhindern und zu stoppen, muss allen voran auch das Patriarchat bekämpft werden. In jeder Phase des Lebens ist Bildung und Aufklärung über die bestehenden und sich verfestigenden Machtstrukturen von großer Relevanz. Vor allem in der Schulbildung, im Beruf, in Fortbildungen muss diesem Thema mehr Beachtung geschenkt werden, um das Problem im Keim zu ersticken. Unser Kampf gegen die Gewalt ist immer und vor allem auch ein feministischer!

 

Klar ist und bleibt: Gewaltbereitschaft wird nicht bedingt durch Vornamen oder Adresse. Die Ausschreitungen müssen sachlich aufgeklärt und entsprechende Konsequenzen daraus öffentlich debattiert werden. Diese Debatte darf allerdings nicht von rassistischer Hetze getrieben sein, sondern muss sich stattdessen die tatsächlichen Auslöser für Unzufriedenheit und Frust vornehmen und entsprechende Lösungen für diese finden.

 

Wir fordern daher vom Senat und den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses:

  • Eine genaue und sachliche Untersuchung der Ereignisse in der Silvesternacht
  • Die Vornamen der Täter*innen weiterhin unter Verschluss zu halten
  • Ein Verkaufsverbot für Schreckschusspistolen und Böller
  • Mehr Ressourcen für Personal, Projekte und Programme in der Jugendsozialarbeit und Schulsozialarbeit. Dabei sind explizit feministische Bildungsangebote und Initiativen zu stärken, die gegen gewaltvolle und patriarchale Männlichkeitsvorstellungen vorgehen
  • Eine Zweckbindung der Jugendsozialarbeitsmittel
  • Einen Ausbau von Angeboten der Nachbarschaftsvernetzung, die alle umlebenden Menschen anspricht.

 

Antrag 164/I/2023 Herstellung, Import sowie Verkauf von Einweg-Vapes verbieten

27.04.2023

Das „Dampfen“ von E-Zigaretten gilt oft als gesündere Alternative zum herkömmlichen Rauchen. Das kann es durchaus sein, ist allerdings nur akzeptabel, wenn es sich um wieder verwendbare E-Zigaretten handelt: Einweg-Vapes sind auch Umwelttechnisch keine Alternative.

 

Einweg-Vapes enthalten seltene Erden und werden nach einmaligem Gebrauch ohne eine Möglichkeit zum Nachfüllen entsorgt. Sie sind mit einer aromatisierten Flüssigkeit gefüllt und sind nicht aufladbar. Meist erfolgt diese Entsorgung nach der Benutzung nicht fachgerecht- der gebrauchte Elektroschrott landet häufig im Restmüll. Recycling ist dann nicht möglich.

 

Gleichzeitig entspricht die Nutzung von fünf Vapes circa dem Umweltschaden der Herstellung eines Smartphones. Dabei sind sie besonders bei Jugendlichen und junge Erwachsene durch ihren günstigen Marktwert und der entsprechenden Niedrigschwelligkeit, sowie besondere Aromen sehr beliebt. Expert*innen rechnen bereits jetzt mit einem langfristigen Anstieg an Raucher*innen.

 

Besonders Kinder und Jugendliche müssen dabei vollumfänglich über die Gefahr des Vapens informiert werden. Dabei müssen Umweltbilanz, das Rauchen an sich, sowie eine Betrachtung der meist günstigen und minderwertigen Inhaltsstoffe thematisiert werden und Raum finden.

 

Aus diesen Gründen fordern wir ein Verbot der Herstellung, des Imports und des Verkaufes von Einweg-Vapes. werden die sozialdemokratischen Mitglieder im Abgeordnetenhaus und Senat aufgefordert sich dem Beispiel des Landtags Schleswig-Holsteins anzuschließen und sich auf nationaler wie europäischer Ebene für ein Verbot von Einweg-E-Vapes auszusprechen. Die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion werden aufgefordert, die Bundesratsinitiative für ein europaweites Verbot von Einweg-E-Zigaretten zu iunterstützen. Wir fordern die Mitglieder der SPD im Europarat und Europaparlament auf, sich ebenfalls auf Europäischer Ebene für ein Verbot der Herstellung, des Imports und des Verkaufs dieser Vapes in der ganzen EU einzusetzen

 

Mit einer Informationskampagne, insbesondere an Schulen, soll über die bestehenden Gefahren für Umwelt und Gesundheit aufgeklärt werden. Für Einweg-Vapes, die bereits hergestellt wurden, muss ein niedrigschwelliges Recyclingangebot eingerichtet werden.

 

Antrag 163/I/2023 Resolution: Gemeinsam kämpfen, statt kriminalisieren – volle Solidarität mit den Klimaaktivist*innen

27.04.2023

Was haben die Rodungen der Grünheide für eine neue Tesla-Fabrik, das Abbaggern des Dorfes Lützerath, die überstürzten Rodungen im Teutoburger Wald, evidenzbasierter und wissenschaftlich fundierter Kampf für Klimaschutz der Scientists for Future und der internationalen Bewegung Fridays for Future, die zum großen Teil aus jungen Menschen besteht, Rufe nach besonders harten Strafen und einem harten Durchgreifen der Justiz und Gewalt von Passant*innen gegen Aktivist*innen gemeinsam? Sie zeigen, dass wir als Gesellschaft ein krasses Problem haben! Wir steuern weiterhin auf eine existenzgefährdende Krise zu und bestrafen, verhöhnen und ignorieren, die die uns auf diese Krise und die damit einhergehenden Gefahren aufmerksam machen wollen!

 

Warum tönen gerade aus den Reihen der SPD die Rufe nach einem harten Umgang mit den Klimaaktivist*innen und einer harten Bestrafung derer so laut? Weil uns die Aktivist*innen auf unsere eigene Untätigkeit, unser eigenes Versagen und unsere eigene Ahnungslosigkeit hinweisen?

 

Rufe nach drakonischen Strafen, einem harten Durchgreifen der Justiz oder der unverhältnismäßigen Erhöhung von Strafen im Nachgang zu den Protestaktionen von Klimaaktivist*innen – auch und gerade aus den Reihen der SPD – verurteilen wir aufs Schärfste, offenbaren sie doch ein Rechtsstaatsverständnis, das wir so nicht teilen können.

 

Statt in ein ewiges “Aber nicht grüner als die Grünen!” zu verfallen, müssen wir als Partei – in Regierungsverantwortung – anerkennen, dass wir unserer Verantwortung für kommende Generationen, für die Zukunft aller – insbesondere junger – Menschen nicht gerecht geworden sind und nicht gerecht werden. Es braucht jetzt ein radikales Umdenken und ein entschlossenes und schnelles Handeln!

 

Spätestens seit das Dorf Lützerath durch den Konzern RWE geräumt wurde, stellen unzählige Gutachten fest, dass Deutschland seinen Beitrag zur Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens und eine Dekarbonisierung bis 2050 nicht mehr leisten können wird. Deutschland muss selber aus Gründen der Klimagerechtigkeit und seiner globalen Verantwortung für die Klimakrise schon 2035 Klimaneutral sein. Was zuerst so lapidar klingt, hat fatale Folgen. Die Zunahme von Dürren, Hitzeerscheinungen und Niederschlagsdefiziten, ein Artensterben und der damit verbundene Rückgang der Artenvielfalt, das Steigen des Meeresspiegels, die Versauerung und Erwärmung der Ozeane, Risiken für die menschliche Sicherheit und Gesundheit, Risiken für unsere Lebensgrundlage, unsere Nahrungsmittel- und Wasserversorgung und das wirtschaftliche Wachstum und die Zunahme kaskadierender Kippeffekte sind nur ein Teil der Szenarien, die uns drohen. Und dabei macht jedes Zehntelgrad, das wir an globaler Erwärmung verhindern können, einen riesigen Unterschied!

 

Für uns ist klar, die Klimakrise ist nicht diskutierbar! Es geht nicht um eine Haltung oder eine Meinung. Die Klimakatastrophe ist ein wissenschaftlich breit und eindeutig belegter Fakt, der uns alle betrifft. Nicht irgendein Fakt, sondern die Tatsache, dass unsere Gesellschaft schon in den nächsten Jahren das einzigartige ökologische Gleichgewicht einbüßen wird, das uns die gesamte bisherige Menschheitsgeschichte begleitet hat.

 

Wenn wir jetzt nicht ins Handeln kommen, wird die Klimakatastrophe unsere Gesellschaft, wie wir sie kennen, über den Haufen werfen. Sie wird unzählige Tode und Verteilungskämpfe nach sich ziehen, in Größenordnungen, die wir uns heute kaum vorstellen können.

 

Und schaut man sich an, wer bisher die Folgen der Klimakatastrophe zu spüren bekommt, sieht man: es handelt sich hierbei um Länder und Regionen, die vergleichsweise wenig zur globalen Klimakrise beigetragen haben. Während die Länder des globalen Nordens durch ihr Wirtschaften, durch ihre Industrie und durch ihr Nichthandeln mit Blick auf wirksame Klimapolitik die Verschlimmerung der Klimakatastrophe zu verantworten haben, müssen die Länder des globalen Südens unter den katastrophalen Folgen am stärksten leiden. Und die Ergebnisse internationaler Konferenzen wie COP27 (Die 27. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention) zeigen, dass es trotz historischer Vereinbarung zur Einrichtung eines Fonds zur Kompensierung von Verlusten und Schäden immer noch kein ausreichendes westliches Interesse daran gibt, Länder und Personen, die massiv von Folgen der Klimakatastrophe betroffen sind, finanziell zu unterstützen. Dies zeigt sich auch darin, dass die bereits 2009 von den reichsten Ländern versprochenen 100 Milliarden für Klimaschutz und -anpassung in den meistbetroffenen Ländern bis COP27 nicht erfolgreich mobilisiert worden sind. Dabei ignorieren sie geflissentlich, dass bereits heutzutage Menschen aufgrund der Klimakrise, aufgrund von Hitzetagen und Wetterkatastrophen sterben. Dass dabei eben jene Länder betroffen sind, die die Krise nicht befeuern scheint irrelevant zu sein. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Industrieländer wie Deutschland die zu verhandelnden JETPs (Just Energy Transition Partnerships bzw. Partnerschaften zur gerechten Energiewende) mit Ländern wie Senegal eher alibimäßig zur Versicherung ihrer Versorgung mit fossilem Gas als zur Verbesserung des Energiezugangs für die lokale Bevölkerung nutzen und dabei sowohl Klimaschutz als auch soziale Gerechtigkeit vernachlässigen. Doch wir tragen eine globale Verantwortung. Klimaschutz kann nur erfolgreich sein, wenn er global und solidarisch ist!

 

Das entscheidende Problem, mit dem wir gegenwärtig als Gesellschaft konfrontiert sind, liegt darin, dass wir die Klimakrise nicht wahrhaben wollen. Wir verschließen unsere Augen schon viel zu lange vor den Fakten, die seit vielen Jahren auf dem Tisch liegen. Hinter dieser Ignoranz stecken die verantwortlichen Unternehmen und deren Lobbys, die am meisten von der fossilen Wirtschaft profitieren, noch weiter kassieren möchten und daher Desinformationskampagnen führen und medial Verzögerungsdiskursen und Greenwashing verbreiten. Dabei ist es unumstritten, dass die Klimakrise nicht von allein verschwindet und nur wir ihre Folgen aufhalten können.

 

Und genau das ist das Ziel der Klimaaktivist*innen: Dass endlich anerkannt wird, wie sehr wir alle gemeinsam auf eine Katastrophe zusteuern. Erst wenn wir als Gesellschaft gemeinsam eingestehen, dass wir ein Problem haben, kann sachlich über die richtigen Maßnahmen und Wege zu mehr Klimaschutz diskutiert werden.

 

Protestbewegungen haben zur Aufgabe, wie ein Warnmelder Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken und so den öffentlichen Diskurs zu verändern. Mit Bewegungen, wie „Fridays for Future“, waren und sind Massen vorwiegend junger Menschen auf den Straßen, was aber trotzdem nicht zu den notwendigen Veränderungen geführt hat. Allein im Jahr 2019 haben Millionen Menschen für eine progressive Klimapolitik demonstriert. Ein globaler Klimastreik von Fridays for Future hat am 20.09.19 Hunderttausende auf die Straßen Berlins mobilisiert. Am selben Tag wurde ein Verfassungswidriges Klimaschutzgesetz, ein sogenanntes Klimapaket, veröffentlicht. Ein Gesetzespaket, was diesen Namen eigentlich nicht verdient hat. Tausende junge Klimaaktivist*innen haben Monatelang, Jahrelang demonstriert, die Gesellschaft hat eine Verkehrswende, eine Dekarbonisierung, ein CO2-neutrales Wirtschaften eingefordert und dennoch bleiben krisengerechte Maßnahmen aus. Viel eher wird vor allem heutzutage über die jeweiligen Protestformen gesprochen. Nicht mehr die Klimakrise ist Gesprächsthema, sondern die Legitimität von zivilem Ungehorsam. Dabei hat sich die Debatte von “schulschwänzenden Kinder, die auf die Profis hören sollen” hin zu Vergleichen (auch von SPD-Politikern) der Protestbewegung “Letzte Generation” mit den Taliban entwickelt. Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist keine Terroristische Gruppe, vielmehr versucht sie Grundrechte und das Grundgesetz durch das aktive Aufmerksam machen auf Missstände zu wahren. Und dabei ist ziviler Ungehorsam sinnvoll. Alle großen politischen Errungenschaften wurden in der Geschichte der Menschheit erkämpft, indem die Zivilgesellschaft unbequem war, denn es zeigt sich auch heute: scheinbar reichen Menschenmassen auf den Straßen, ein Verfassungsgerichtsurteil, internationale bindende Verträge oder Wähler*innenwillen nicht aus. Scheinbar führen auch legale Protestmöglichkeiten nicht zu sichtbaren Erfolg. Deutlich wird im Umgang mit Fridays for Future und auch den Protesten der „Letzten Generation“, dass in der öffentlichen Debatte der Fokus auf die Form der Proteste gelegt wird, statt auf die Inhalte der Demonstrierenden. So wird beispielsweise, statt darüber zu sprechen, dass junge Menschen zu tausenden für besseren Klimaschutz demonstrieren, viel zu oft darüber diskutiert, ob junge Menschen dafür Schule schwänzen dürfen und wie der Staat zu reagieren hat.

 

Und hier offenbart sich auch ein großer Konflikt. Welches Signal möchte unsere Politik an die jungen Menschen senden, die sich für einen echten Klimaschutz einsetzen? Soll sie ihnen zeigen, dass ein Großkonzern, wie RWE, der einer der größten CO2-Emittenten der Europäischen Union ist, trotz aller Warnungen von Wissenschaftler*innen ganze Landschaften abbaggern kann, um durch Investitionen in fossile Brennstoffe Gewinn zu machen oder will sie ihnen zeigen, dass der Kampf für das Gemeinwohl und für eine Zukunft, in der alle Menschen weltweit überleben können in einer Demokratie entschieden von alle Beteiligten – auch gegen die Interessen eines Großkonzerns – gekämpft wird?

 

Kurz: soll sich die radikale Gewinnlogik eines Großkonzerns gegen unser aller Zukunft durchsetzen können? Soll in einer Demokratie, in einer Gesellschaft das Tönen derer, die finanzielle Macht haben, lauter und erfolgreicher sein als das Rufen derer, die – fachwissenschaftlich fundiert – darauf hinweisen, dass wir im freien Fall auf eine Katastrophe zusteuern? Als sozialistischer Verband ist für uns klar, dass sich die Interessen von Konzernen niemals gegen das Gemeinwohl und gegen das Interesse der Allgemeinheit durchsetzen dürfen! Der Kampf für wirksamen Klimaschutz und gegen die Klimakatastrophe ist immer ein antikapitalistischer Kampf – denn es braucht einen System-, keinen Klimawandel!

 

Die Klimakrise ist an sich eine Krise des bestehenden Demokratieverständnis, die die Grenzen unseren Systems verdeutlicht. Die atmosphärischen Folgen der fossilen Wirtschaft werden räumlich und zeitlich anders verteilt, als das, womit wir uns innerhalb der parlamentarischen Demokratie befassen können. Weder künftige Generationen noch Bürger*innen der meistbetroffenen Länder haben Mitbestimmungsrechte, wie und wie schnell die Klimapolitik hier und jetzt umgesetzt wird. Die schweren sozialen Folgen der sich bereits anbahnenden Klimakrise machen den Raum zur Mitgestaltung der Klimapolitik nach bisherigem parlamentarischen Modell, v.a. für arbeitende und/oder marginalisierte Menschen, enger. Dabei wächst auch die Verzweiflung junger Menschen, während die demokratischen sowie multilateralen Prozesse versagen. Diese greifen zum zivilen Ungehorsam und zu immer disruptiveren Taktiken.

 

In manchen Fällen, u.a. in der Mobilität, ist es aufgrund der Art der fossilen Infrastruktur schwierig zu unterscheiden, ob man bei diesen Aktionen gerade gegen individuelles Verhalten oder fehlenden Strukturwandel demonstriert. Man kann auf einer Autobahn schlichtweg nicht zwischen Spießer*in im Cabrio und Krankenpfleger*in im Polo differenzieren. Diese Aktionen schüren dadurch Ressentiments unter Teilen der arbeitenden Bevölkerung, die im aktuellen System auf das Auto angewiesen sind. Dabei ist in Deutschland Verkehr der Sektor schlechthin, wo kaum CO2-Ersparnisse erzielt worden sind und wo sich nicht mal ein Tempolimit durchsetzen lässt. Dies gilt es auch sichtbar zu machen.

 

Klimaaktivist*innen, Jugendliche und junge Erwachsene, die sich an Protestaktionen für einen entschlossenen Kampf gegen die Klimakatastrophe beteiligen, die Wälder, die durch Rodungen gefährdet sind, besetzen und die durch öffentlichkeitswirksame Aktionen eine längst überfällige Debatte über wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz anstoßen und die Politik und die Parteien auf ihr Versagen hinweisen wollen, haben uns in ihrem Kampf für eine lebenswerte Zukunft an ihrer Seite!

 

Unsere Solidarität gilt allerdings auch den Menschen, die aufgrund ihrer Stellung in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft nicht individuell auf ressourcen- und emissionsintensive Produktions- und Verbrauchsverhalten verzichten können und dadurch von manchen dieser disruptiven Proteste in ihren Lebensrealitäten missachtet fühlen. Wir Jusos stellen die Bedürfnisse dieser Menschen in den Mittelpunkt unserer Klimapolitik. Wir lehnen die Vernachlässigung dieser Bedürfnisse sowie den Missbrauch derer in konservativen Verzögerungsdiskursen ab. Fortschritt musste in der Vergangenheit immer erkämpft werden. Und Akte des Protests und des Aufbegehrens haben sich rückblickend häufig als wegweisende Lernkurven unserer Demokratie herausgestellt. Die Klimaaktivist*innen überschreiten mit ihrem zivilen Ungehorsam bewusst Grenzen, um zu zeigen: Was nicht legal ist, kann legitim sein.

 

Wir solidarisieren uns mit den Anliegen und Forderungen der “Letzten Generation”, wir solidarisieren uns mit den Protestierenden, den Forderungen und der Besetzung von #Lützibleibt, #Hambibleibt, #Heibobleibt und #Fecherbleibt, wir unterstützen den Volksentscheid „Berlin 2030 Klimaneutral“, wir solidarisieren uns mit der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung und schließen uns ihrem Kampf für einen wirksamen, sozial gerechten, intersektionalen, antifaschistischen, feministischen und antikapitalistischen Klimaschutz an!

Antrag 129/I/2023 Akute Hilfe für Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien-Landesaufnahmeprogramm für Familienangehörige von Berliner:innen

27.04.2023

Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder des Berliner Senats dazu auf ein Landesaufnahmeprogramm für Familienangehörige von Berliner:innen aus den Erbebengebieten in der Türkei und Syrien nach §23 (1) AufenthG zu entwerfen. Die konkrete zu stellende Aufnahmeanordnung soll sich dabei auf Verwandte bis zum 4. Grad (z.B. Cousin, Cousine, Onkel, Tante) beziehen. Berliner:innen die ihre vom Erdbeben betroffenen Verwandten aufnehmen wollen, sollen dazu eine Verpflichtungserklärung abgeben. Mehrere Familienangehörige, über einen Haushalt hinaus, sollen Verpflichtungserklärungen abgeben können. Dabei ist darauf zu achten, dass die Einkommenskriterien für eine Verpflichtungserklärung nicht über dem durchschnittlichen Nettoeinkommen angesiedelt sind. Das Land Berlin sorgt für angemessene psychologische und sonstige Unterstützung sowie eine Basis Gesundheitsversorgung der Betroffenen. Auf Arbeitsverbote soll verzichtet werden. Das LEA sorgt für eine zügige Terminvergabe und Bearbeitung wird dazu mit den nötigen Ressourcen ausgestattet.

Antrag 121/I/2023 Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern im öffentlichen Dienst und in den öffentlichen Unternehmen sicherstellen - Reform des Landesgleichstellungsgesetz

27.04.2023

Die sozialdemokratischen Mitglieder des Abgeordnetenhauses *und des Senats* werden aufgefordert, die im rot-grün-roten Koalitionsvertrag von 2021 angestrebte Reform des Landesgleichstellungsgesetzes – wie im Gesetzentwurf dargestellt – in der aktuellen Legislaturperiode zu verabschieden.

 

Bei der gesetzgeberischen Umsetzung der Reform müssen zwingend die Schwerpunkte pro-aktive Frauenförderung, Stärkung der Frauenvertretungen, wesentlich verbesserte Vereinbarkeit von Sorge- und Erwerbsarbeit und die Verbesserung der Position der Gleichstellungsbeauftragten in den Bezirken normativ verankert werden.