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Antrag 104/II/2021 Entwicklungszusammenarbeit in der multipolaren Welt: die Bedeutung von Religion berücksichtigen

9.11.2021
  • an die Mitglieder der SPD Fraktion der SPD Fraktion des Abgeordnetenhauses Berlin
  • an die Mitglieder der SPD Fraktion des Bundestages
  • an den Parteivorstand der SPD

 

Vier von fünf Menschen weltweit fühlen sich einer religiösen Tradition zugehörig. Besonders im globalen Süden ist Religion ein wichtiger Teil der Identität und des Alltags vieler Menschen und prägt gesellschaftliche Wertvorstellungen. In vielen Kontexten nehmen Religionsgemeinschaften eine wichtige Rolle in der sozialen Daseinsvorsorge und der Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele ein.  Gleichzeitig können religiöse Akteure auch zu Ausgrenzung und Konflikten beitragen und entwicklungspolitischen Zielsetzungen entgegenstehen. Außen- und entwicklungspolitisches Handeln muss der Faktor Religion daher verstärkt in den Blick nehmen. Es muss die Religionskompetenz in der internationalen Zusammenarbeit gestärkt werden, um in einer multipolaren Welt handlungsfähig zu sein, dem eigenen Anspruch von Partnerschaften auf Augenhöhe gerecht zu werden und nachhaltigere Wirkungen zu erzielen. Dies ist nicht nur ein professioneller Anspruch, es ist auch die Abkehr von eurozentrischen Denkmustern, die den säkularisierten Kontext hierzulande auf die Partnerländer der Entwicklungszusammenarbeit übertragen.

 

Aus diesem Grund fordern wir:

 

Bundesebene:

  • Wirksame Entwicklungszusammenarbeit braucht wissenschaftliche Forschung. Daher sollten gezielt wissenschaftliche Analysen im Bereich Religion und Entwicklung gefördert werden und die Ressortforschung in diesem Bereich substanziell ausgebaut werden.
  • Religionsgemeinschaften sind in vielen Kontexten wichtige Entwicklungsakteure. Die deutsche Entwicklungspolitik sollte dieses Potenzial nutzen und gezielt auf ​lokaler Ebene entwicklungsförderliche Aktivitäten von Religionsgemeinschaften verstärkt entlang projektbezogener Vorhaben im Einklang mit der deutschen Entwicklungspolitik unterstützen.
  • Entwicklungspolitische Programme und Projekte der Durchführungsorganisationen der deutschen EZ sollten verstärkt Religionsgemeinschaften als wichtige zivilgesellschaftliche Akteure einbeziehen.
  • Die Zusammenarbeit sollte sich nicht auf die etablierten christlichen Kirchen beschränken, sondern grundsätzlich allen Religionsgemeinschaften offenstehen, die sich konstruktiv und im Einklang mit Zielen der deutschen Entwicklungspolitik und ihren Werten, insbesondere der Agenda 2030, für nachhaltige Entwicklung einsetzen. Welche Akteure dies sind, hängt vom jeweiligen Kontext ab und muss anhand von wissenschaftlich fundierten Kontextanalysen eruiert werden.
  • Die Entwicklungszusammenarbeit sollte gezielt interreligiös angelegte gesellschaftspolitische Wertedialoge fördern, um auch in Bereichen, in denen Religionsgemeinschaften den Zielen der Agenda 2030 entgegenstehen, zu langfristigen Bewusstseinswandeln beizutragen.
  • Die Internationale Partnerschaft für Religion und nachhaltige Entwicklung (PaRD) sollte ausgebaut und weiterentwickelt werden. Dies schließt insbesondere die Repräsentation religiöser, zivilgesellschaftlicher und staatlicher Akteure aus dem globalen Süden ein.

 

Landesebene:

  • Die wissenschaftliche Forschung und Lehre im Themenfeld Religion und nachhaltige Entwicklung an den Berliner Hochschulen sollte gezielt ausgebaut werden. Um qualifiziertes und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fundiertes politisches Handeln zu ermöglichen, ist ein Ausbau der Forschung in diesem Bereich unerlässlich. Um Religionsexpertise in der Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen, sollten verstärkt Studienangebote mit einem Schwerpunkt auf Religion und nachhaltige Entwicklung geschaffen werden.

 

Parteivorstand:

  • Das Verständnis für Religion muss wachsen. Aufgrund der zunehmenden globalen Bedeutung von Religion ist auch innerhalb der Sozialdemokratie eine größere Religionssensibilität und Religionskompetenz erforderlich. Es sollten daher zum einen die religionsspezifischen Arbeitskreise innerhalb der SPD gestärkt werden (Arbeitskreis jüdischer SozialdemokratInnen, Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD, Arbeitskreis muslimischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten). Zum anderen sollte ein multireligiös arbeitender Arbeitskreis oder thematischer Fachausschuss Religion eingerichtet werden, der gezielt Religionsexpertise für die Strukturen der Partei bereitstellt.

 

 

 

Antrag 16/I/2021 Berliner Wohnraum-Sicherungsgesetz – Verdrängung und Spekulation eindämmen und einen sozialen Wohnungsmarkt erhalten

18.03.2021

Die Situation am Wohnungsmarkt ist auch ein Jahr nach der Einführung des Mietendeckels angespannt, obgleich dieser bereits viele Berliner*innen finanziell entlastet hat. Gleichwohl sind die landesrechtlichen Möglichkeiten zur Regulierung noch bei Weitem nicht ausgeschöpft. Insbesondere im Bereich der Länderkompetenzen im Wohnungs- und Ordnungswesen verbleiben weitreichende Spielräume. Die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat und Abgeordnetenhaus werden daher zur Umsetzung der folgenden Punkte aufgefordert diese Handlungsspielräume zu nutzen und wenn nötig im Wege einer Bundesratsinitiative abzusichern:

 

Landesrechtliche Wohnraumsicherung

 

Der Bestand an belegungsgebundenen Sozialwohnungen in Berlin sinkt kontinuierlich. Belegungsgebunden bedeutet, dass die Wohnungen nur an Mieter*innen mit einem Wohnungsberechtigungsschein (WBS) vermietet werden dürfen. Ein WBS wird auf Antrag vom zuständigen Wohnungsamt erteilt, wenn das Haushaltseinkommen eine bestimmte Grenze nicht übersteigt. Schätzungsweise haben inzwischen über die Hälfte der Berliner Haushalte Anspruch auf einen WBS. Im Gegenzug für die Belegungsbindung erhalten Immobilieneigentümer*innen meist Förderungen wie z. B. günstige Kredite. Die Belegungsbindung endet innerhalb einer gewissen Frist nach Ablauf der Förderung, sodass Sozialwohnungen in der Regel nach 30 Jahren in den “freien” Markt übergehen.

 

Als Ergänzung zu Mietpreisbegrenzung wie dem Mietendeckel und der Mietpreisbremse, fordern wir die Einführung eines Berliner Wohnraumsicherungsgesetz. Dieses Gesetz stützt sich auf die ausschließliche Landeskompetenz im Wohnungswesen. Es soll vorschreiben, dass ein signifikanter Teil des Wohnungsbestandes, auch ohne Gegenleistung der Wohnraumförderung der Belegungsbindung unterliegt, also nur an Mietinteressent*innen mit WBS vergeben werden darf. Die Miethöhe für solche Belegungsgebunden Wohnung soll sich an der Ortsüblichen Vergleichsmiete orientieren und diese um einen festzulegenden Prozentsatz unterschreiten.

 

Auf dem freien Mietmarkt werden zahlungskräftige Interessent*innen regelmäßig bevorzugt. Zusätzlich sehen sich Interessent*innen rassistischer Diskriminierung, sowie Benachteilugung aufgrund ihres sozialen Status ausgesetzt. Diese Phänomene sind, auch bei der Vermietung belegungsgebundener Wohnungen zu beobachten. Im Bundesrecht gibt es bereits die Möglichkeit Mieter*innen für belegungsgebundene Wohnungen staatlich zuzuweisen (Besetzungsrecht nach § 26 Abs. 2 WoFG). Berlin soll davon insbesondere zugunsten von Mieter*innen Gebrauch machen, die vergleichsweise geringe Chancen auf einen Mietvertrag hätten.

 

Belegungsbindung nach öffentlich geförderter Sanierung

 

Fast 50% der städtischen klimaschädlichen Emissionen kommen aus dem Bau- und Immobilienwesen. Um die Vision einer klimaneutralen Stadt zu verwirklichen, muss ein Großteil des Wohnungsbestandes in Berlin innerhalb der nächsten Jahre energetisch saniert werden.

 

Um eine schnelle Transformation zur Klimaneutralität zu fördern, soll das Land Berlin Förderprogramme zur energetischen Sanierung von Wohngebäuden auflegen. Hierbei sollen die bestehenden Möglichkeiten des Baugesetzbuches, wie zum Beispiel Sanierungssatzungen genutzt werden, sofern diese Möglich und zur Sicherstellung von bezahlbarem Wohnraum zweckmäßig sind.

 

Im Gegenzug für die Förderung, soll das Land nach §2 WoFG, Belegungsrechte an bestehende Wohneinheiten erwerben, die im Rahmen der vorgeschlagenen Wohnraumsicherung genutzt werden. So können Wohnung, die nach Ablauf der Belegungsbindung dem sozialen Wohnungsmarkt entzogen wurden, wieder einer sozialverträglichen Nutzung zugeführt werden.

 

Umlageverbot bei unangetasteter Gewinnsubstanz

 

Ein Großteil des Wohnungsbestandes in Berlin befindet sich in der Hand von Aktiengesellschaften. Diese sollen künftig Mieter*innen vor einer Umlage von Kosten für Modernisierungen und verkappten Entmietungen auf den Mietzins glaubhaft machen müssen, dass ein Sanierung nicht unter Rückgriff auf die bisherigen Unternehmensgewinne finanzierbar ist. Zum Unternehmensgewinn zählen auch die Auszahlungen an Aktionär*innen. Die Auszahlungen dürfen bis auf die Höhe des durchschnittlichen Zinssatzes gekürzt werden. Ist diese Tatsache den Mieter*innen nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, kann die Mieterhöhung einseitig bis auf den vorherigen Mietzins gemindert werden.

 

Sanierungs-TÜV und Zweckentfremdungsverbot

 

Berlin soll als ordnungsrechtliches Mittel einen Sanierungs-TÜV für Mietobjekte einführen. Wir fordern die sozialdemokratischen Senator*innen und Mitglieder des Abgeordnetenhauses auf, die zur Beauftragung dieser Einrichtung erforderliche gesetzliche Grundlage zu schaffen. Vermieter*innen müssen alle 10-Jahre den Zustand des Mietobjekts vor einer unabhängigen und mit der Aufsicht und Vergabe von Prüfsiegeln beauftragten Einrichtung nachweisen.  Entspricht dieser nicht der aktuellen Rechtslage, insbesondere der gebotenen Instandhaltungen und energetischen Sanierungen, ist der TÜV zu verweigern. Für diesen Fall soll ein Zweckentfremdungsverbot nach Hamburger Vorbild (Hamburgisches Wohnraumschutzgesetz) greifen. Die Aufsichtsbehörde kann demnach die Sanierung der Wohnung treuhänderisch auf Kosten der Eigentümer*innen vornehmen. Das Umlageverbot bei unangetasteter Gewinnsubstanz bleibt unberührt.

 

Wohnungs- und Mietenkataster und Transparenzregister

 

Die geringe öffentliche Kontrolle beim Erwerb und Verkauf von Immobilien, machen Berlin seit längerem zu einem attraktiven Ort für Geldwäsche.

 

Gleichzeitig basieren viele gesetzliche Regelungen auf der sog. ortsüblichen Vergleichsmiete. Der Streit um ihre Höhe prägt eine Vielzahl von Mieterhöhungs- und Mietpreisbremsenverfahren. Die ortsübliche Vergleichsmiete wird in der Regel über Mietspiegel abgebildet, die Erstellung methodisch ausbaufähig ist und häufig angegriffen werden.

 

Um den Mangel an Informationen über Wohnraum, sei es Eigentümer*in, wirtschaftliche Berechtigte, oder Miethöhen zu beseitigen, fordern wir die Einführung eines Wohnungs- und Mietenkataster. Dieses soll für jede Immobilie die Eigentums- und Berechtigungsverhältnisse, den Bestand an Mietwohnungen und die vereinbarten Miethöhen samt Nebenabreden erfassen.

 

Milieuschutzberatung und Finanzierungsagentur

 

Milieuschutzgebiete sind ein baurechtliches Instrument der Stadtentwicklung. Vorrangiges Ziel ist es die Sozialstruktur, also die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, in einem bestimmten Gebiet zu erhalten.

 

Wird eine Immobilien in einem Milieuschutzgebiet verkauft, so hat der Bezirk ein Vorkaufsrecht. Er kann innerhalb von zwei Monaten selbst oder zu Gunsten Dritter in den Kaufvertrag eintreten. Der*die Kaufende kann einen Vorkauf mittels einer Abwendungsvereinbarung verhindern. Im Gegenzug werden bestimmte Auflagen vereinbart. Beispielsweise dürfen für eine bestimmte Zeit lang keine Sanierungen oder Umwandlungen in Eigentumswohnungen durchgeführt werden.

 

In der Praxis herrscht ein enormes Kräfteungleichgewicht zwischen Mieter*innen und Bezirk gegenüber Käufer*innen und Verkäufer*innen. Einerseits liegen aufgrund des überhitzten Marktes die Kaufpreise deutlich über dem Verkehrswert der Objekte, andererseits muss das Vorkaufsrecht innerhalb einer vergleichsweise kurzen Frist gezogen werden, wobei die Finanzierung des Vorkaufs sichergestellt sein muss. Wir fordern daher weiterhin, dass sich die SPD auf allen Ebenen für eine Preislimitierung beim Vorkauf von Immobilien in Milieuschutzgebieten einsetzt.

 

Zusätzlich fordern wir die Einführung einer Milieuschutzberatung. Betroffene Mieter*innen sollen vom Bezirk aktiv über die Situation und die Möglichkeiten eines Vorkaufs informiert werden. Ziel ist es, dass nicht nur die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, welche oft nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten entscheiden, ob sie in den Kaufvertrag eintreten, miteinbezogen werden. Stattdessen soll auch auf die Möglichkeit durch den Erwerb durch andere, gemeinwohlorientierte Dritte hingewiesen werden.

 

Der Senat soll die Überführung von Objekten in Milieuschutzgebieten in die Hände der Mieter*innen oder gemeinwohlorientierte Akteur*innen durch Fördermaßnahmen unterstützen, beispielsweise indem günstige Darlehen gewährt werden.

 

Ein Vorkaufsrecht für einzelne Wohneinheiten

 

Zudem sollten Mieter*innen von Einzelwohnungen ein über § 577 Abs. 1 BGB hinausgehendes Vorkaufsrecht erhalten. Vermieter*innen werden in dem Rahmen verpflichtet Mieter*innen vor Verkauf der Wohnung das Mietobjekt zu einem angemessenen Preis anzubieten. Angemessen ist der Preis, wenn er den Verkehrswert der Wohnung nicht übersteigt. Als Einzelwohnungen gelten alle Mietwohnungen, die sich im Privateigentum des* der Vermieter*in befinden und keine zusammenhängenden Wohneinheiten darstellen bzw. als zusammenhängende Wohneinheiten an unterschiedliche Dritte zum Verkauf angeboten werden sollen. Das Vorkaufsrecht kann unbeschadet des Milieuschutzes auch an staatliche Stellen abgetreten werden, und von diesen zugunsten der Mietenden im Rahmen der Erbpacht ausgeübt werden. Entsprechende Mittel insbesondere für sozial bedürftige sollen in den Haushalt eingestellt werden. Diese Maßnahmen sollen insbesondere Verdrängungseffekten entgegenwirken.