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Antrag 30/I/2019 Arbeit in Zukunft: kürzer, besser - weiter denken! Unser Anspruch an die Arbeit von morgen

22.02.2019

Strukturwandel der Arbeit im 21. Jahrhundert

Wir wollen die Arbeitswelt von morgen aktiv gestalten und auf die Veränderungen nicht nur reagieren. Unser Anspruch an Arbeit muss es sein, die vielen Potentiale einer digitalisierten Gesellschaft so zusammenzubringen, dass Arbeit die Interessen der Menschen in den Vordergrund stellt und nicht das Profitstreben einzelner Unternehmen. Grundsätzlich verstehen wir Sozialdemokrat*innen unter Arbeit mehr als bloße Existenzgrundlage. Arbeit kann Mittel zur Selbstverwirklichung sein, Menschen Struktur im Alltag geben und sinnstiftend sein. Leider müssen Menschen aber auch oft Arbeit nachgehen, die objektiv sinnlos ist oder so empfunden wird. Während ehrenamtliche Tätigkeiten bei Unzufriedenheit eingestellt werden können, sind Menschen bei ihrer Erwerbsarbeit in der Regel darauf angewiesen, Arbeitgeber*innen ihre Arbeitskraft gegen einen Lohn zur Verfügung zu stellen. Das macht Arbeitnehmer*innen besonders anfällig für kapitalistische Ausbeutungsmechanismen. Gleichzeitig kann über Erwerbsarbeit auch wichtiger Faktor für Integration und Umverteilung in unserer Gesellschaft organisiert werden. Der Abschluss guter Tarifverträge kann dabei effektiver sein, als beispielsweise ein Spitzensteuersatz. Sozialistische Politik muss deshalb immer besonders im Blick haben, Menschen bestmöglich vor Ausbeutung bestmöglich zu schützen, ihre Mitbestimmung am Arbeitsplatz sicherzustellen und einen höchstmöglichen Organisationsgrad der Arbeitnehmer*innenschaft zu ermöglichen. Sie ist deshalb zentral für unser politisches Verständnis.

Erwerbsarbeit, Care-Arbeit, Ehrenamt – menschenwürdige und zum Gemeinwohl beitragende Arbeit ist vielseitig und weitaus mehr als die Optimierung wirtschaftlichen Erfolgs von Einzelnen oder Unternehmen. Viele Tätigkeiten, die einzelne Arbeitsformen ausmachen, überschneiden sich oder sind voneinander abhängig. Wie viel Raum jede Person einer bestimmten Arbeitsform gibt, wird von verschiedenen Faktoren bestimmt. Fest steht aber, dass jede Form von Arbeit einem bestimmten Zweck folgt und Menschen ausfüllen bzw. bereichern kann. Dabei entstehen alle die Arbeit strukturierenden Merkmale wie Arbeitsteilung, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit, Arbeitsumfang und Arbeitsinhalte nicht im luftleeren Raum, sondern sind politisch gestaltbar. Auch wenn sich Arbeitsformen teilweise verändern, sind sie auf andere angewiesen. Dabei entwickeln sich die gesellschaftlichen Produktionskräfte immer weiter aus, sodass die Ausgangssituation zum Hervorbringen von unseren Lebensgrundlagen neue Formen erreicht. Wir Menschen möchten bestimmen, wie wir arbeiten und das betrifft nicht nur, aber entscheidend die Erwerbsarbeit. Grundsätzlich verändert sich Arbeit aufgrund von zwei Faktoren: technische Innovationen und die damit einhergehenden  Veränderungen all jener Ressourcen, die uns zur Produktion von Gütern bzw. Dienstleistung zur Verfügung stehen einerseits, sowie zum anderen ein Fortschritt in der Arbeitsteilung durch die selbstständige Arbeitsorganisation der Beschäftigten in Teams und ihre Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Sinn ihrer Tätigkeiten.. Daraus folgt, dass die Rahmenbedingungen der Arbeit von heute neue Möglichkeiten eröffnet und politische Forderungen notwendig macht, um die Lebensverhältnisse vieler Menschen erheblich zu verbessern. Ziel dessen muss es für die Sozialdemokratie sein, die Zukunft der Arbeit zu gestalten, damit die Zukunft der Menschen lebenswert(er) wird. Dazu gehört aber auch, anzuerkennen, dass wir Arbeit weiter denken und uns ernsthaft über ein alternatives Konzept verständigen müssen.

 

  • Daher fordern wir eine Auseinandersetzung, die es der gesamten Breite der Partei ermöglicht, sich einzubringen. Diese Auseinandersetzung soll in einem Programm münden, mit welchem wir für eine neue solidarische Politik der Arbeit einen Gegenentwurf zu den derzeit bestehenden Leitlinien zeichnen, in der Menschen und nicht das Kapital im Fokus stehen.

 

Die Logiken unseres Wirtschaftssystems und letztlich auch des Arbeitens in kapitalistischen Strukturen wollen wir überwinden. Arbeit soll nicht mehr ein Machtverhältnis darstellen, indem Menschen ihre Fähigkeiten einem anderen gegen Lohn zur Verfügung stellen. Vielmehr wollen wir die technischen Fortschritte nutzen, um zu definieren, wie die Zukunft der Arbeit aussehen soll und welchen gesellschaftlichen Wert wir ihr dann noch beimessen. Dabei wird es dringend Zeit, dass sich die Sozialdemokratie aktiv darum bemüht, den Stellenwert der Arbeit aus kapitalistischen Denkweisen heraus zu heben und einen neuen gültigen Anspruch zu formulieren, der nicht den Wertschöpfungsprozess eines beliebigen Produktes anhand seines Marktwertes definiert. Vielmehr sollten wir uns die Zeit nehmen und darüber nachdenken, wie, was und wofür überhaupt Arbeit im digitalen Jahrhundert steht.

 

Gute Arbeit der Zukunft braucht Bildung

Wir wollen Fort- und Weiterbildung als festen Bestandteil des jeweiligen Berufsweges stärken und den Menschen eine individuelle Entwicklung ermöglichen, die sich an die vielseitigen Veränderungen im Job anpasst. Der individuelle und fortlaufende Lernprozess muss endlich Umsetzung finden und dabei aus den Erfordernissen des Wirtschaftssystems herausgelöst werden. Lebenslanges Lernen bedeutet vor allem, Freiräume für die eigene Weiterentwicklung von Interessen nutzen zu können. Dabei wollen wir die berufliche wie auch persönliche Weiterbildung zusammendenken und jeder Person ermöglichen, in einer selbstbestimmten Gewichtung verschiedene Angebote annehmen zu können. Damit das gelingen kann muss aber der Begriff des Bildungssystems um den Bereich viel weiter gedacht werden. Dazu gehören erstens Anreize für öffentliche Bildungseinrichtungen, um die Weiter- und Fortbildungsangebote voranzutreiben. Zweitens muss jedem*jeder Arbeitnehmer*in auch finanzielle und zeitliche Entlastung zuteil werden, damit diese sich orientieren und sodann intensiv mit einem ihre Kompetenzen erweiternden Weiterbildungsangebot auseinandersetzen können. Jedoch ist es weiterhin zu begrüßen, dass es honoriert wird, wenn Arbeitnehmer*innen sich fortbilden und damit für neue Aufgaben Verantwortung übernehmen. Drittens braucht es eine tiefere Verzahnung von beruflichen und akademischen Weiterbildungsformaten. Um den auf Seiten wirtschaftlicher Effizienz bestehenden Druck in Unternehmen etwas entgegenzusetzen, setzen wir uns für eine verbindliche Weiterbildungsgarantie ohne Ausnahme, sodass Arbeitnehmer*innen jedes Jahr gesetzlichen Anspruch auf ein persönliches lebensbegleitendes Lernen erhalten. In dieser Ausformung misst sich Fort- und Weiterbildung nicht in Form von Zertifikaten oder Abschlüssen, sondern daran, in welchem Umfang sich Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit entfalten können. Die sozialdemokratische Antwort auf immer mehr Arbeitsverdichtung und -entgrenzung geht über den Bereich beruflich-fixierter beziehungsweise betrieblicher Weiterbildung hinaus und weist insbesondere eine gemeinschaftlich-soziale Teilhabe auf. Dadurch sollen Menschen befähigt werden, sich gesellschaftlich einbringen zu können und mit bzw. von anderen Menschen zu lernen.

 

Um die Fort- und Weiterbildung zukunftsfest zu machen, fordern wir die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und SPD-Bundesminister*innen auf,

 

  • sich für einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Fort- und Weiterbildung einzusetzen, der unabhängig vom Tätigkeitsfeld, Alter und der Betriebszugehörigkeit mind. 30 Tage für jede*n Arbeitnehmer*in im Jahr beträgt und die Lohnfortzahlung beinhaltet. Unternehmen, die nicht in der Lage sind, dies zu gewährleisten, ohne den allgemeinen Betrieb zu gefährden, sind finanziell zu unterstützen. Dies lässt sich bspw. durch einen gemeinsamen Umlagefond zw. großen, mittelständischen und kleinen Unternehmen gewährleisten. Die Tage müssen nicht zusammenhängend genommen werden, sondern sind splitbar
  • sich für den Umbau der Arbeitslosenversicherung in eine echte Arbeitsversicherung mit Qualifizierungsfunktion einzusetzen. Im Rahmen dieser sollen Weiterbildungskonten geschaffen werden, dies bei der Agentur für Arbeit eingerichtet und geführt werden. Das Guthaben auf dem Weiterbildungskonto wird während der Erwerbstätigkeit vergrößert und paritätisch zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen finanziert. Hierbei sollen gesetzlich festgelegte Ansprüche auf Fort- und Weiterbildung greifen. Erworbene Ansprüche werden auf dem Konto verbucht und können dann bei Bedarf für Weiterbildungsmaßnahmen realisiert werden
  • die Erstattung der direkten Kosten (Teilnahmegebühr, Unterbringung, Fahrtkosten) durch Unternehmen gesetzlich festzulegen
  • den Bildungsurlaub in den Betrieben bekannter zu machen. Dazu sind nicht ausschließlich die Gewerkschaften aufzufordern, sondern auch die Betriebe sollen mindestens jährlich zum Beispiel über Teamleitungen, Human Ressources Abteilungen oder auf Betriebskonferenzen dazu informieren. Eine gewerkschaftliche Kampagne oder eine Kampagne durch das BAMS ist durch die SPD explizit zu unterstützen

 

Prinzipien unseres Arbeitsverständnisses

Wenn heute und in Zukunft durch automatisierte Verfahren menschliche Arbeit an bestimmten Stellen der Produktion und bei einfachen Dienstleistungstätigkeiten, insbesondere dort, wo Arbeitnehmer*innen mit Überlastung, Unterforderung, aber auch Gefährdungen für die eigene Gesundheit zu kämpfen haben, nicht mehr notwendig wird, ist das zuerst eine Chance und keine Gefahr für die gesellschaftliche Verteilung der Arbeit. Wir Jungsozialist*innen wollen jedoch nicht, dass aufgrund des technologischen Wandels arbeitslos gewordene Menschen mit einem wie auch immer gearteten bedingungslosen Grundeinkommen abgespeist werden, sondern  die Möglichkeit haben, arbeiten bzw. sich je nach Wunsch einbringen zu können. Für uns gilt daher: wer arbeiten möchte, der*die muss ein die jeweiligen Qualifikationen entsprechendes Angebot bekommen. Niemand darf zu (Erwerbs)Arbeit verpflichtet werden. Daraus resultiert, dass gesellschaftliche Partizipation, Sozial- und Freiheitsrechte nicht an (Erwerbs)Arbeit hängen oder von ihnen abgeleitet werden dürfen. Jeder Mensch hat das Recht aktiver Teil der Gesellschaft zu sein und in allen Lebensbereichen eine gleichberechtigte Stimme zu haben. Somit sind für alle Menschen entsprechende Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe zu schaffen. Vollbeschäftigung bedeutet für uns jedoch nicht, alles dafür zu tun, um Menschen in (teilweise prekäre) Arbeitsverhältnisse zu drängen. Unserem Verständnis nach, ist es Aufgabe des sozialen Rechtsstaates, dafür zu sorgen, dass Menschen gute Arbeit finden, die ihre Vorstellungen und Wünschen berücksichtigt.

 

Arbeitszeitverkürzung: Es ist Zeit für die 30-Stunden-Woche

In der Tarifrunde 2018 hat die IG-Metall das Thema Arbeitszeit wieder auf die Agenda gesetzt.  Die Gewerkschaft konnte einen beachtlichen Erfolg u.a. damit erzielen, dass Arbeitnehmer*innen ihre Arbeitszeit für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren bis auf 28 Stunden pro Woche verkürzen können. Dies beweist zwar, dass es möglich ist, der Kapitalseite in Verhandlungen mehr freie Zeit für die Arbeitnehmer*innen abzugewinnen – allerdings gilt dies heutzutage eben leider nur für die Arbeitnehmer*innen besonders produktiver und profitabler Branchen wie der Elektro- und Metall-Industrie, die von der mitgliederstärksten Einzelgewerkschaft Deutschlands vertreten werden. Durch die Diversität der Arbeitnehmerschaft und den Rückgang tarifgebundener Arbeitsverträge können solche Erfolge heute nicht mehr verallgemeinert und somit auch weniger (weniger als die Hälfte der Beschäftigten wird nach Tarif bezahlt)  privilegierten Beschäftigten anderer Branchen zugänglich werden. Deshalb ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, inwieweit eine Regelung von Seiten des Staates notwendig geworden ist und wie genau diese auszugestalten ist. Es ist Aufgabe der SPD das Bündnis mit den Gewerkschaften zur Verfolgung des Ziels einer verkürzten Arbeitszeit zu suchen und dafür zu sorgen, dass dieses Thema wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt wird.

 

  • Wir fordern die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-Bundesminister*innen auf, Konzepte für eine neue Arbeits- und Sozialgesetzgebung zu erarbeiten, die die Einführung der 30-Stunden-Woche als neuen Arbeitszeitstandard bei weitgehendem Lohn- und vollem Personalausgleich sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig möglich macht und sich für die Einführung dieser 30-Stunden-Woche einzusetzen

 

Diese „kurze Vollzeit“ muss – in Anlehnung an die heutige Ausgleichsregelung im Arbeitszeitgesetz – nicht in jeder Woche eingehalten werden, sondern sich bloß im Jahresdurchschnitt ergeben. Längere Arbeitszeiten, die beispielsweise zur Fertigstellung eines konkreten Projektes nötig werden, sind somit für einen begrenzten Zeitraum mit expliziter Zustimmung der Arbeitnehmer*innen zulässig, sie müssen an anderer Stelle nur wieder zeitlich ausgeglichen werden.

Arbeitszeit darf nicht gegen Lohnforderungen ausgespielt werden: Gerade für Geringverdiener wären Einkommenseinbußen aufgrund einer Verkürzung ihrer Arbeitszeit nicht verkraftbar und würden ihre wirtschaftliche und soziale Existenz gefährden. Damit die Arbeitnehmer*innen keinen finanziellen Schaden nehmen, ist mindestens für die unteren und mittleren Einkommensgruppen ein voller Lohnausgleich unabdingbar. Für höhere Einkommensgruppen, deren brutto Jahreseinkommen über 120.000 liegt, genügt, genügt ein teilweiser Lohnausgleich, um so zu einer gerechteren Einkommensverteilung beizutragen. Die Stundenlöhne und -gehälter müssten also – nach Einkommen differenziert – erhöht werden. Unternehmen, die erwiesenermaßen nicht in der Lage sind, diese höheren Löhne zu zahlen, sollen die Möglichkeit haben, Zuschüsse aus einem neu eingerichteten staatlichen Fonds zu beantragen.

 

Eine Arbeitszeitverkürzung von 30 Stunden pro Woche darf für Arbeitnehmer*innen keine Mehrbelastung und Arbeitsverdichtung zur Folge haben. Die Verkürzung der Arbeitszeit muss daher zusätzlich zum weitgehenden Lohnausgleich mit einem vollen Personalausgleich einhergehen. Trotz der Produktivitätssteigerung in Produktion und Verwaltung durch Prozesse der Automatisierung und Digitalisierung gehen wir davon aus, dass sich das Arbeitsvolumen von Arbeitnehmer*innen in den meisten Bereichen kurz- und mittelfristig nicht verringert. Auf Basis dieser Annahme fordern wir daher, dass im Zuge der Arbeitszeitverkürzung Neueinstellungen oder Aufstockungen bereits im Betrieb angestellter Arbeitnehmer*innen vollzogen werden, welche die Differenz an Arbeitsstunden pro Woche ausgleichen. So wird zwar das Stundenpensum der einzelnen Arbeitnehmer*in reduziert, nicht aber das gesamte Stundenvolumen eines Teams, einer Abteilung oder eines Betriebs. In einer Abteilung bestehend aus drei Vollzeitstellen muss demnach als Folge der Arbeitszeitverkürzung eine volle Stelle i m Umfang von 30 Stunden geschaffen werden. Diese neu geschaffene Stelle muss sich was Gehalt und Arbeitsbedingungen angeht an den schon bestehenden Stellen orientieren.

Auf lange Sicht werden technische Innovationen und die Automatisierung von Verwaltungs- und Produktionsprozessen zu einer weitreichender Substitution menschlicher Arbeit führen. Die Forderung nach vollem Personalausgleich kann angesichts dieser Entwicklungen nicht alleine stehen und muss in einem breiteren Kontext und durch weitreichende Forderungen ergänzt werden.

Die hier vorgeschlagene Regelung zum vollen Personalausgleich ist insbesondere auf die Periode bis zum Inkrafttretens des Gesetzes ausgelegt. So wird verhindert, dass bestehende 40-Stunden-Vollzeitäquivalente in 30-Stunden-Vollzeitstellen umgewandelt werden, ohne dass die dadurch entstehende wöchentliche Stundendifferenz durch Neueinstellungen oder Aufstockungen ausgeglichen wird.

 

 

Warum kürzere Arbeitszeiten ein Gewinn sind

Eine kürzere Wochenarbeitszeit erleichtert fraglos die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und trägt zudem dazu bei, unser Ziel einer geschlechtergerechten Verteilung der Care-Arbeit besser zu verwirklichen: Männer und vor allem Frauen, die heute in Teilzeit arbeiten, um noch Zeit zu finden, sich um Haushalt oder Kinder zu kümmern, könnten auf 30 Stunden aufstocken, während z.B. ihre Partner(*innen), die heute 40 Stunden oder länger am Arbeitsplatz verbringen, durch die Verringerung ihrer Arbeitszeit endlich mehr zur unbezahlten Care-Arbeit beitragen können.

 

Zu der größeren Arbeits-Verteilungsgerechtigkeit durch eine Arbeitszeitverkürzung trägt auch bei, dass die neuen, aufgrund des Personalausgleichs geschaffenen Arbeitsplätze Menschen, die heute unfreiwillig in Teilzeit arbeiten oder anderweitig prekär beschäftigt sind sowie Arbeitslosen die Rückkehr oder den Eintritt in ein – dann kurzes – Vollzeitbeschäftigungsverhältnis ermöglichen. Das alte sozialdemokratische Ziel der Vollbeschäftigung könnte damit wieder in erreichbare Nähe rücken. Um allen Menschen eine Chance zu geben die Aufgaben der freigewordenen Stellen erfüllen zu können, so sie diese Stellen annehmen möchten, ist ein umfassendes Fort- und Weiterbildungsprogramm notwendig.. Auch in Bezug auf die heute schon Vollzeitbeschäftigten lässt sich eine Arbeitszeitverkürzung als soziale Investition sehen: kurzfristig mögen höhere Kosten entstehen, langfristig ergeben sich aber Vorteile für Arbeitnehmer*innen wie Arbeitgeber*innen. So kam es in der Vergangenheit nicht zu Produktionsrückgängen, sondern zu einer besseren Gesundheit und gesteigerten Leistungsfähigkeit der Beschäftigten, die zum effizienteren Arbeiten beitrug.

Eine kürzere Normalarbeitszeit schafft darüber hinaus für viele Menschen, die heute aufgrund der überlangen Zeit, die sie am Arbeitsplatz verbringen müssen, keine Möglichkeit dazu haben, den Raum, sich ehrenamtlich – sozial oder politisch –  zu engagieren und somit zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen.

 

Schon im Berliner Programm der SPD, das bis 2007 gültig war, wurde festgestellt, dass eine Arbeitszeitverkürzung zu mehr Lebensqualität beitragen würde und der sechsstündige Arbeitstag in einer 30-Stunden-Woche deshalb als Regel angestrebt. Wir möchten diese alte Forderung als unser Ziel für die Arbeitswelt der Zukunft

wiederbeleben.

 

 

Für ein zeitgemäßes Arbeitszeitgesetz

Parallel zur längerfristigen Einführung der 30-Stunden-Woche bedarf es kurzfristig und als ersten Schritt auf dem Weg dorthin einer Verbesserung des Arbeitszeitgesetzes, das zuletzt 1994.geändert wurde. Darin ist vorgeschrieben, dass die werktägliche (Montag bis Samstag) Arbeitszeit maximal 8 Stunden am Tag betragen darf. Sie kann ausnahmsweise auf 10 Stunden am Tag verlängert werden, wenn in sechs Monaten im Schnitt die 8 Stunden am Tag nicht überschritten werden. Somit ist heute, über 100 Jahre nachdem der 8-Stunden-Tag gesetzlich verankert wurde, noch immer eine 48-stündige Arbeitswoche gesetzlich möglich. Die als Normalarbeitszeit geltende 40-Stunden-Woche (in manchen Branchen 35 Stunden) ist nur tarifvertraglich geregelt.

Die Änderung des Arbeitszeitgesetzes auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit würde somit zum einen die leider stark angewachsene Zahl an Arbeitnehmer*innen, die keine ausreichenden Tarifverträge haben, gegenüber der durch das Arbeitszeitgesetz zumutbaren zu hohen Wochenarbeitszeit absichern und zum anderen mehr Flexibilität für die Arbeitnehmer*innen ermöglichen, indem sie beispielsweise anstatt 8 Stunden im Büro auch über den Tag bzw. die Woche verteilt mobil oder von Zuhause aus arbeiten können.

 

Deshalb fordern wir die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion sowie den Bundesminister für Arbeit und Soziales dazu auf, noch in dieser Legislaturperiode die im Arbeitszeitgesetz verankerte Höchstarbeitszeit von 8 Stunden am Tag auf 40 Stunden in der Woche zu verändern und somit effektiv um 8 Stunden pro Woche zu verringern.

Antrag 125/I/2019 Schulen in die Pflicht nehmen - Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt schützen.

22.02.2019

Jedes vierte bis fünfte Mädchen* und jeder achte bis zehnte Junge* ist von sexualisierter Gewalt betroffen – erschreckende Zahlen. Die Dunkelziffer ist noch sehr viel höher. Wie viel sexualisierte Gewalt tatsächlich stattfindet ist deshalb schwer zu sagen. Die Zahlen, die vorliegen, beruhen auf Schätzungen. Tatsache ist jedoch, dass die meisten Taten von Cis-Männern (Mit dem Begriff Cis werden die Menschen bezeichnet, deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde) begangen werden. Missbrauch beginnt meist schon vor dem eigentlichen Straftatbestand, diese Übergriffe können häufig nicht geahndet bzw. verurteilt werden.

 

Obwohl von sexualisierter Gewalt gesprochen wird, ist diese klar von Sexualität abzugrenzen. Den Tätern*innen geht es in den allermeisten Fällen um die Befriedigung eigener Machtbedürfnisse. Sie nutzen ihre Position von Überlegenheit und die Abhängigkeit des Opfers aus. Kinder und Jugendliche sind in besonderem Maße gefährdet, da sie grenzüberschreitendes oder gar übergriffiges Verhalten unter Umständen gar nicht richtig einordnen können. Täter*innen entwickeln Strategien, um Kindern und Jugendlichen nahe zu kommen (Grooming). Dabei manipulieren sie die Bezugspersonen der Opfer, das Opfer selbst und Situationen, in denen Übergriffe stattfinden, werden heruntergespielt. Häufig wird dem Kind oder dem Jugendlichen im Missbrauchsfall gedroht, um ein Stillschweigen zu erzwingen und einer Meldung vorzubeugen. In vielen Fällen wird dies als „besonderes Geheimnis“ kommuniziert. In der Summe der Manipulationen, die strategisch von Täter*innen angewendet werden, fühlt sich das Opfer allein, Bezugspersonen wird misstraut und die Hürde sich zu offenbaren steigt ins Unermessliche. Wenn nun noch bedacht wird, wie häufig Betroffenen von Übergriffen und sexuellem Missbrauch nicht geglaubt wird, zeigt sich die enorme Bedeutsamkeit von gut ausgebildeten und sensibilisierten Fachkräften. Wichtig zu betonen ist, dass der Begriff sexualisierte Gewalt nicht nur Vergewaltigungen/sexuellen Missbrauch beschreibt, sondern jegliche sexualisierte Handlung (körperlich und psychisch), die gegen den Willen der betroffenen Person ausgeführt wird und deren Intimsphäre verletzt.

 

Ein weiterer wichtiger Faktor der sexualisierten Gewalt, ist die Häufigkeit des Vergehens. Die Wiederholungsgefahr ist extrem hoch, weshalb eine schnelle, sensible und wohl überlegte Intervention entscheidend ist.

 

Sexualisierter Missbrauch kann bei den Betroffenen zu extremer psychischer und physiologischer Belastung führen. Die Wahrscheinlichkeit danach an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden ist extrem hoch. Da Kinder und Jugendliche sich noch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung befinden, kommt es häufig zu einer Störung der Persönlichkeitsentwicklung.

 

Betroffenenschutzverbände weisen immer wieder darauf hin, wie schwierig für Betroffene von sexualisierter Gewalt der Umgang mit dem Erlebten nach der Tat ist. Dies hängt auch damit zusammen, dass v. a. durch die Justiz versucht wird, die Perspektive, Motivation und Beweggründe von Täter*innen zu verstehen und letztlich zu verurteilen. Was aber passiert nach einer Verurteilung mit den Betroffenen sexualisierter Gewalt?

 

Betroffene von sexualisierter Gewalt tragen ein Stigma mit sich. Wenn sie von ihren Erlebnissen erzählen, wird ihnen oft nicht geglaubt oder sie werden nicht ernst genommen. Pädagogische sensibilisierte Fachkräfte könnten als Anwält*innen der Betroffenen fungieren und dafür sorgen, dass ihnen der Schutz zukommt, der ihnen zusteht!

 

Oftmals steht zu Beginn ein Austesten des*der Täter*in des grenzüberschreitenden Verhaltens, bevor es dann zu weiteren übergriffigen und missbräuchlichen Handlungen kommt. Solches Verhalten durch den*die Täter*in kann als Versehen gedeutet werden, obwohl der*die Täter*in dies gezielt und nicht zufällig einsetzt.  Verunsicherung wird somit geschaffen und Vertrauen erschüttert. Allgemein unterscheidet man zwischen Grenzverletzung, sexuellem Übergriff und Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Grenzverletzungen sind gekennzeichnet durch ein einmaliges oder seltenes unangemessenes Verhalten. Sie können aus Gedankenlosigkeit oder Versehen passieren und lassen sich nicht vollständig vermeiden. Doch scheinbar unabsichtliche Grenzverletzungen können hierbei ein Vortasten zu tatsächlichen Übergriffen sein. Den Unterschied macht nicht nur das persönliche Erleben der Betroffenen, sondern in diesem Fall die dahinterliegende Absicht des Täters. Ist diese Absicht vorhanden, ist eine Grenzverletzung keine Grenzverletzung mehr, sondern ein sexueller Übergriff. Es gilt daher vorab geschulte Mitarbeiter*innen dafür zu sensibilisieren.

 

Immer wieder herrscht Rat- und Hilflosigkeit, wenn es um sexualisierte Gewalt und Missbrauch geht. Initiativen wie „Schulen gegen sexualisierte Gewalt“ o.ä., haben in den letzten Jahren zu mehr Sensibilität aufgerufen. Es gibt diverse Handlungsempfehlungen, die präventiv ansetzen, um eine gewisse Sensibilität für das Thema zu schaffen. Allerdings sind dies meist nur Empfehlungen. Es gibt präventive Ansätze und Empfehlungen, z.B. vom paritätischen Wohlfahrtsverband oder vom Runden Tisch gegen sexualisierte Gewalt oder dem Unabhängigen Beauftragten zu Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs.  Wir erachten es als sinnvoll, diese Empfehlungen verpflichtend in die Schulen zu integrieren, da es nicht allein an der Initiative der Schulleitung und Lehrkräften liegen bleiben soll, ob solche Maßnahmen umgesetzt werden oder nicht. Sexualisierte Gewalt ist und bleibt ein akutes Thema, bei dem Prävention von außerordentlicher Bedeutung ist.

 

Schulen haben nicht nur einen Bildungsauftrag, sondern müssen auch einen Schutzraum für Kinder und Jugendliche bieten und dies deutlich signalisieren, indem im Unterricht thematisiert wird, was schon als grenzüberschreitendes Verhalten gewertet werden kann, wie man sich selbstbewusst zur Wehr setzt und an wen man sich wenden kann.

 

Zu betonen ist aber: Eine Verantwortungsübertragung Richtung Kind oder Jugendliche ist leicht, jedoch tragen die Erwachsenen in jedem Fall die Verantwortung zum Schutz derer. Andernfalls können durch eine solche Haltung Scham und Schuldgefühle bei Opfern sexualisierter Gewalt wachsen. Die Stärkung von Kindern und Jugendlichen ist wichtig, jedoch sind die Erwachsenen für die Sicherheit verantwortlich. Dies bedeutet auch, dass pädagogische Fach- und Lehrkräfte, bei nicht Ernst nehmen dieser Verantwortung, dazu beitragen, Gewalt zu ermöglichen.

 

Deshalb fordern wir:

Prävention von sexualisierter Gewalt muss in jeder Schule Berlins stattfinden.

Dazu gehört:

  1. Fortbildungen für alle Lehrkräfte, Sozialpädagog*innen an den Grund- und weiterführenden Schulen. Diese sollen von Fachberatungsstellen angeboten werden. Die Fortbildungen sollen über sexualisierten Missbrauch und Handlungen informieren, verpflichtend für das gesamte Schulpersonal sein und wiederholt angeboten werden. Außerdem muss jede Lehrkraft in Berlin eine Teilnahme an solch einem Seminar nachweisen können. Die Fortbildung muss mindestens alle fünf Jahre aufgefrischt werden. Die Finanzierung erfolgt über den Senat.
  2. An jeder Schule muss ein Präventionskonzept, ein Handlungsleitfaden zur Intervention sowie Verhaltensregeln für Mitarbeitende zur Verfügung stehen. Dieses Konzept soll mit Hilfe einer Fachberatungsstelle entwickelt werden. Dazu gehören auch Präventionsbeauftragte und externe, unabhängige Anlaufstellen bzw. Ansprechpartner*innen. Dies impliziert, dass jede Schule in Berlin mit einer Beratungsstelle einen Kooperationsvertrag hat und pädagogische Fachkräfte, Kinder und Jugendliche auch immer eine kostenlose Hotline dieser Beratungsstelle anonym anrufen können bzw. diese Beratungsstelle jederzeit aufsuchen können.
  3. Eine feste Verankerung der Null-Toleranz-Grenze bei sexualisierter Gewalt in den Schulregeln, die ebenfalls einen Passus zu übergriffigem Verhalten beinhalten sollen. Diese Regeln sollen gemeinsam mit allen Beteiligten erarbeitet werden. Danach sollen sie überall – auch in einfacher Sprache – zugänglich sein und auch an Tagen der offenen Tür kommuniziert werden.
  4. Einstellungsverfahren: Das bisherige verpflichtende erweiterte Führungszeugnis ist nicht ausreichend, da viele der Vorfälle nicht zur Anzeige gebracht werden. Hier fordern wir, dass schon im Einstellungsgespräch auf das Präventionskonzept Bezug genommen wird. Klare Regeln der Schule sollen verdeutlicht werden. Dabei sollen in einer Zusatzvereinbarung des Arbeitsvertrags nochmal genaue Vereinbarungen getroffen werden, wie die Schule im Falle von Verstoß handelt.
  5. Beschwerdemanagement: Damit die Regeln verbindlich anerkannt werden, muss es transparente und niedrigschwellige Instanzen geben, die für ihre Einhaltung sorgen. Natürlich ist jede Lehrkraft dazu angehalten, aufmerksam zu sein. Zusätzlich muss es jedoch noch Vertrauenspersonen innerhalb der Schule geben. Deshalb sollen gemischtgeschlechtliche Sozialarbeiter*innen an jeder Schule geschaffen werden. Lehrkräfte, die in verschiedenen Jahrgangsstufen tätig sind, die von Seiten der Schüler*innen in einer geheimen Wahl gewählt werden, sollen als Vertrauenspersonen die vertrauensvolle Anbindung der Schüler*innen an die Sozialarbeiter*innen zusätzlich unterstützen. Diese Personen erhalten nochmals ein extra Briefing von Beratungsstellen.
  6. Regelmäßig soll im Rahmen eines Elternabends auf dieses Thema eingegangen werden.
  7. Es muss ein Konzept erarbeitet werden verpflichtende Präventionsangebote an Schulen mindestens einmal in der Schulkarriere zu etablieren. Hierfür kann sich am Konzept der Drogenprävention orientiert werden. Solche Angebote müssen vielfältig sein und sich den Schülerinnen anpassen. Zu solchen Angeboten können Projekttage, der Besuch einer Präventionsstelle oder der Besuch von Expertinnen oder Betroffenen zählen.

 

 

Die einzuführenden Maßnahmen gelten auch für Schulen in freier Trägerschaft (Privatschulen). Die Aufsicht über das Schulwesen in Deutschland obliegt der Hoheit der Länder, somit kann das Land Berlin eigenständig über die Genehmigungs-, Anerkennungs- und Betriebsbedingungen für Schulen in freier Trägerschaft entscheiden.

Antrag 211/I/2019 Kostenloser ÖPNV für Rentnerinnen und Rentner, die Grundsicherung/ Grundrente beziehen

22.02.2019

Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus und die sozialdemokratischen Mitglieder des Berliner Senats werden aufgefordert, Voraussetzungen zu schaffen und haushälterische Planungen auf den Weg zu bringen, so dass  Berliner Rentnerinnen und Rentner in Berlin zukünftig kostenfrei den ÖPNV nutzen können, wenn sie Grundsicherung bzw. zukünftig Grundrente im Alter beziehen.

Antrag 197/I/2019 Menschenrechte sind kein nice to have!

22.02.2019

Im Januar 2019 sollte es ein Urteil im Prozess gegen den Textildiscounter KiK wegen des Brandes in der Textilfabrik Ali Enterprises in Karatschi, Pakistan vor dem Landgericht Dortmund geben. Jedoch wurde die Klage wegen Verjährung noch nicht einmal zugelassen. Bei dem Brand kamen im September 2012 259 Menschen ums Leben. Dass darauf nun tatsächlich ein Prozess im Herkunftsland des auftraggebenden Unternehmens, also in Deutschland, folgte, ist neu – der Vorfall selbst ist es nicht, sondern steht im Gegenteil nur stellvertretend für viel zu viele andere Vorfälle derselben Art. Diese sind keine „Unglücke“, keine „Naturkatastrophen“ – sie sind menschengemacht und deshalb vermeidbar! Wir brauchen dringend grundlegende Veränderungen im globalen Wirtschaftsgefüge!

 

Es gibt einige wenige Siegel und Zertifikate, die versuchen, nachhaltig Menschenrechte zu schützen und Umweltstandards durchzusetzen, doch oft sind die Methoden der Zertifizierung fragwürdig und kommen nur einer sehr kleinen Gruppe unter den Arbeitnehmer*innen zu Gute. Wir machen es uns aber zu einfach, wenn wir die Verantwortung für diese Verbesserungen bei den Verbraucher*innen abladen. Zum einen ist es für Verbraucher*innen unmöglich für ihren gesamten Konsum die Lieferketten auf Menschenrechtsverstöße zu überprüfen – die Unübersichtlichkeit der Lieferketten ist schließlich oft das Argument, was die Unternehmen selbst anführen, wenn sie ausführen, warum sie sich um die Einhaltung von Menschenrechten in ihrer Produktion nicht kümmern können. Wie soll die*der Verbraucher*in das dann leisten? Zum anderen ist diese Herangehensweise auch schlicht falsch: Die Einhaltung von Menschenrechten darf keine Entscheidung sein, die von den Konsument*innen beim Kauf eines Produkts in die eine oder andere Richtung getroffen werden kann. Eine analoge Regelung im Inland würde uns auch völlig absurd erscheinen: Ein Siegel auf Produkte, die in Deutschland unter Einhaltung des Mindestlohns hergestellt wurden und die restlichen Produkte dann ohne Siegel und ohne Mindestlohn. Die Verantwortung trügen die Konsument*innen und sie würden entscheiden, ob sie durch den Kauf und den höheren Preis den Mindestlohn unterstützen wollen oder nicht. Das gleiche Bild lässt sich auf die Vereinigungsfreiheit, die Einhaltung von Maßnahmen zur Arbeitssicherheit oder das Verbot von Kinderarbeit übertragen. Mindestlohn, Gewerkschaften, Sicherheit bei der Arbeit und der Schutz von Kindern dürfen aber keine Produktattribute sein, mit denen sich Unternehmen auf dem Markt einen Wettbewerbsvorteil bei den Kund*innen ausrechnen. Es sind Menschenrechte und die sind nicht optional! Es darf hier keine „Entscheidung“ für oder gegen die Einhaltung dieser Rechte offen bleiben. Deswegen sind Verstöße gegen diese Rechte Verstöße gegen Gesetze! Aber während diese Regelung in Deutschland überwiegend unstrittig ist, soll es auf internationaler Ebene ausreichen, wenn sich Unternehmen freiwillig verpflichten oder sich Konsument*innen aussuchen können, ob sie sich heute mal für oder gegen die Einhaltung von Menschenrechten entscheiden? Diese Situation ist für uns als Internationalist*innen nicht hinnehmbar! Eine Unterscheidung in „wir“, die Arbeitnehmer*innen in Deutschland oder der EU und in „die“, die Arbeitnehmer*innen im globalen Süden, deren Sicherheit und Gesundheit weniger schützenswert und daher für Unternehmen ein freiwilliges „Extra“ darstellt, verurteilen wir zutiefst. Sie offenbart rassistische und (neo-)koloniale Strukturen. Sie ist die Voraussetzung für moderne Sklaverei und weltweite Ausbeutung, die den globalen Kapitalismus überhaupt erst möglich macht. Wir wollen aber eine Welt, in der jede*r unter guten, sicheren und gesunden Bedingungen arbeiten kann, egal, wo sie*er arbeitet!

 

Wenn der Kapitalismus global ist, dürfen Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte nicht an nationalen Grenzen enden!

 

Die Schaffung menschenwürdiger Arbeit ist ein Wert in sich. Bessere Arbeitsbedingungen ermöglichen aber auch Verbesserungen in anderen Lebensbereichen:  Bessere Bezahlung und weniger Sorge um die eigene Sicherheit und Gesundheit, lässt Zeit, Energie und Kapazitäten, um sich selbst weiterzubilden, die eigenen Kinder in der Bildung zu unterstützen, sich politisch zu organisieren. Kurzum: Es wird Menschen empowern.

 

Der Status quo:

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung seit unserem letzten Beschluss zum Thema 2014 nun einen Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien in diesem Bereich für 2016-2020 erstellt hat. Hier werden einige Maßnahmen vorgeschlagen, die im aktuellen System Verbesserungen bringen könnten, jedoch beruhen diese Maßnahmen alle auf Freiwilligkeit und sollen gar nicht verbindlich festgeschrieben werden. So soll beispielsweise geprüft werden, ob und wie Unternehmen künftig dazu gebracht werden können, „Elemente der Sorgfaltspflicht [zur Achtung der UN-Menschenrechte] anzuwenden“. Wir dürfen nicht länger akzeptieren, dass Unternehmen keinerlei Sanktionen oder ähnliches drohen, wenn sie, ihre Subunternehmen, Zulieferer*innen oder Geschäftspartner*innen gegen Menschenrechte verstoßen! Wir wollen hier klare Kante zeigen und auf der richtigen Seite stehen – nämlich auf der der Arbeiter*innen weltweit! In anderen Teilen klingt der NAP wie blanker Hohn, beispielsweise beim Abschnitt zu Exportkrediten und Investitionsgarantien: „Mindestvoraussetzung für die Übernahme der [Investitions-]Garantie ist die Einhaltung der nationalen Standards im Zielland.“ Nationale Standards sind zu oft Teil des Problems, wenn sie zum Beispiel keinerlei Regelungen zum Schutz und den Rechten von Gewerkschaften und Betriebsräten treffen oder die Standards im Arbeitsschutz absurd niedrig sind! Es kann doch nicht sein, dass diese für die Bundesregierung als „Mindestvoraussetzungen“ durchgehen!

 

Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es: „Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.“ Aber selbst mit einer vollständigen Erfüllung der im NAP formulierten Ziele darf sich die Bundesregierung nicht zufriedengeben: Diese selbst gesteckten Ziele sind viel zu niedrig: Nur die Hälfte aller in Deutschland sitzenden Unternehmen ab einer Größe von 500 Beschäftigten soll bis 2020 „Elemente menschenrechtliche Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse integriert“ haben. Das ist uns zu wenig und muss auch allen Sozialdemokrat*innen im Kabinett und der Bundestagsfraktion zu wenig sein!

 

Wir stellen uns entschieden gegen jede Maßnahme und Formulierung, die die Illusion einer Freiwilligkeit seitens der Unternehmen stützt: Entweder ein Unternehmen wirtschaftet und hält dabei Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte ein oder dieses Unternehmen hat keine Daseinsberechtigung und gehört aufgelöst! Diese Rechte stehen nicht zur Verhandlung!

 

Wir begrüßen ausdrücklich, dass auch auf UN-Ebene eine Konvention zur transnationalen unternehmerischen Verantwortung erarbeitet wird. Den aktuell diskutierten Entwurf beurteilen wir als durchaus vielversprechend. Aber natürlich ist entscheidend, dass sich diejenigen Länder, in denen die betroffenen Unternehmen sitzen, für die Umsetzung stark machen. Bisher beteiligen sich jedoch weder die USA noch die EU an dem Prozess.

 

Daher fordern wir:

Auf uns Sozialist*innen in Ländern des globalen Nordens kommt die Verantwortung zu, uns für internationale Solidarität und richtiges Handeln im falschen, kapitalistischen System stark zu machen. Wir fordern daher, dass die EU die Einfuhr von Produkten in allen Branchen, bei denen die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten über die gesamte Wertschöpfungskette und mit allen Vor- und Zwischenschritten nicht nachgewiesen werden kann, verbietet. Das stellt eine grundlegende Veränderung für den Außenhandel und das globale Wirtschaften europäischer Unternehmen dar, da nun die Nachweispflicht bei ihnen liegt. Wir sehen darin den einzigen, wirklich konsequenten Weg um einen europäischen Beitrag zur weltweiten Sicherung von Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte in der Wirtschaft zu leisten. Mit einer angemessenen Übergangsfrist haben Unternehmen genügend Zeit, um ihre Lieferketten zu überprüfen und gegebenenfalls übersichtlicher zu gestalten.

 

Deshalb fordern wir eine europäische Regelung, die Unternehmen verbindliche Sorgfaltspflichten in ihrer Lieferkette im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechten auferlegt und bei unzureichender Kontrolle die Haftung für das Unternehmen auslöst. Solange es keine entsprechende europäische Regelung gibt, müssen wir die rechtliche Grundlage dafür schaffen, dass die Einhaltung von Sorgfaltspflichten für Unternehmen innerstaatlich verbindlich sind. Diese Pflichten sollten u.a. aus dem Erstellen, Veröffentlichen, Umsetzen und Kontrollieren eines jährlichen Sorgfaltsplan bestehen, mit dem menschenrechtliche Risiken identifiziert und beseitigt werden. Die Sorgfaltspflichten müssen für die eigene Firma, sowie für Sub- und Tochterunternehmen, aber auch für die entsprechenden Teilaktivitäten der Zulieferer gelten. Es muss möglich sein, Unternehmen, die ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen, anlassbezogen zu verklagen. Dabei muss die Beweispflicht beim Unternehmen liegen. Um einer Verurteilung zu entgehen, muss dieses nachweisen, dass der Schaden auch ohne das eigene Zutun entstanden wäre oder dass es alle gebotene Sorgfalt angewendet hat. Es gibt bereits Beispiele, denen Deutschland folgen kann: Frankreich hat ein Gesetz für eine verbindliche Sorgfaltspflicht („loi de vigilance“) verabschiedet, die Schweiz steht kurz vor einem Gesetz, Österreich ebenso und weitere Länder sind dabei ein Gesetz für das Thema Unternehmensverantwortung zu erarbeiten.

 

Wir fordern, dass weitere Staaten und Freihandelszonen diesem Beispiel folgen. Deutschland muss in diesem Bereich Vorreiterin in allen Organisationen werden, in denen es Mitglied ist (OECD, G7, UN, EU, etc.) sein und Verbündete in diesen Gremien zu ähnlichen Gesetzen bewegen. Wir bedauern, dass die OECD, deren Mitglieder fast ausschließlich westliche Demokratien sind, derzeit zumeist lediglich Empfehlungen und Vorschläge für die Mitgliedsstaaten ausarbeitet. Unternehmen, die ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen und gegen Menschen- und Arbeitsrechte verstoßen, sind mit empfindlichen Strafen zu belegen und bei wiederholten Verstößen aufzulösen. Durch diese Regelung erwarten wir, dass Regierungen in Ländern des globalen Südens keinen Anreiz mehr haben, schlechte Arbeitsbedingungen in ihren Ländern aufrecht zu erhalten, um attraktiv, d.h. billig für ausländische Arbeitgeber*innen zu sein. Um jetzt erfolgreicher Wirtschaftsstandort und Handelspartnerin zu sein, müssen Regierungen ganz im Gegenteil durch Gesetze, deren Umsetzung und Kontrolle, gute Arbeitsbedingungen schaffen und Arbeitnehmer*innenrechte sichern und stärken.

 

Daraus folgt, dass die EU in jeder Verhandlung im Bereich Außenhandel die Einhaltung von Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte zur Grundbedingung macht. Die Maßnahmen im NAP gehen schon in die richtige Richtung, aber sie sind bei weitem nicht ausreichend! Wir fordern, dass die EU Handelsverträge erst abschließt, wenn die potentiellen Vertragspartner*innen, die UN-Menschenrechtscharta und die ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert und wirksam implementiert haben. Außerdem muss sich die EU dafür einsetzen, dass im Regelungsbereich des*der Vertragspartner*in ein entsprechend mit dem europäischen Menschenrechtsstandard und dessen Durchsetzungsmöglichkeiten vergleichbarer individueller Schutz gewährleistet wird. Die EU bietet ihre Unterstützung zur Schaffung der dafür benötigten Strukturen an.

 

Diese Regelung soll zu einer Verbesserung für die Arbeitnehmer*innen führen. Es darf nicht passieren, dass durch diese Regelung nur Handelsströme umgeleitet werden und Arbeiter*innen, gegen deren Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte bislang verstoßen wurde, ihre Arbeit ganz verlieren. Daher fordern wir, dass es sich die staatliche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) auf nationaler und EU-Ebene zur Aufgabe macht, betroffene Länder und Unternehmen zur schnellen Umsetzung und Überwachung der Einhaltung von Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechten zu beraten und zu unterstützen. Diese Sorgfaltspflicht muss auch bedeuten, dass sie nicht in private Sozialauditor*innen ausgelagert werden kann. Obgleich die Beauftragung privater Auditunternehmen momentan häufig mangels vergleichbarer staatlicher Strukturen alternativlos ist, führt sie zu Interessenkonflikten der umeinander konkurrierenden Auditgeber*innen und ist von methodischen Mängeln geprägt.  Daher ist es wichtig, staatliche Strukturen in den Produktionsländern – welche in jedem Fall vorzugswürdig sind – zu schaffen, die die Einhaltung menschenrechtlicher und arbeitsrechtlicher Standards überwachen, bzw. auch staatliche Stellen einzurichten, die die Auditgeber*innen kontrollieren. Hierbei ist ein besonderes Augenmerk auf die Bekämpfung von Korruption zu legen. Wir stellen uns schlussendlich aber eine Regelung analog zum Zoll vor: Der Staat kontrolliert die Einhaltung der von ihm erlassenen Gesetze, die Verantwortung für die Umsetzung und Einhaltung dieser trägt aber das Unternehmen und daher muss auch die entsprechende Infrastruktur vom Unternehmen geschaffen und unterhalten werden. Zudem müssen unabhängige Beschwerdestellen eingerichtet und die Arbeiter*innen darüber informiert werden. Jede andere Unterstützung von Privatwirtschaft seitens staatlicher EZ-Stellen, die dieses Ziel nicht verfolgt, (wie beispielsweise im Rahmen des Programms developpp.de zur Förderung von Public-Private-Partnerships und deutscher Unternehmen im Ausland) ist einzustellen.

 

Als Internationalist*innen sehen wir es mit Sorge, dass sich der Prozess globaler wirtschaftlicher Integration von dem multilateralen Kontext der Welthandelsorganisation (WTO) in den bilateralen Rahmen verschoben hat. Bei aller Kritik, die wir an der WTO haben, bietet sie doch für Länder mit niedrigen und mittleren Pro-Kopf-Einkommen bessere Möglichkeiten, sich zusammenzuschließen und ihre Interessen gegenüber den Ländern mit hohem Einkommen besser zu vertreten. Daher fordern wir, dass sich die EU dafür einsetzt, Verhandlungen zum Außenhandel wieder von der bi- auf die multilateralen Ebene zu heben und sich dafür einzusetzen den multilateralen Prozess – sei es in der WTO oder in anderem Rahmen – wiederzubeleben.

 

International agierende Unternehmen können aufgrund von Investor*innenschutzklauseln in Freihandelsverträgen gegen Staaten klagen, wenn sie befürchten, dass ihnen durch Gesetzesänderungen Profite entgehen – selbst wenn diese Gesetzesänderung von den demokratisch gewählten Vertreter*innen der im Land lebenden Bevölkerung gemacht wurde. Demnach können Staaten, die ihre Gesetzeslage bezüglich Arbeits- und Sicherheitsstandards verbessern wollen, in Schwierigkeiten kommen. Anders herum können Unternehmen aber nicht von Staaten auf Verletzungen von Menschenrechten verklagt werden. Dieses Ungleichgewicht ist für uns nicht hinnehmbar! Das Beispiel der Textilwirtschaft macht es deutlich: Die Verstöße gegen Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte, gegen die grundlegendsten Standards hinsichtlich Gesundheit und Sicherheit in den Textilfabriken von Ländern mit niedrigem Einkommen sind bekannt. Den auftraggebenden Unternehmen mit Sitz in Ländern des globalen Nordens darf nicht länger erlaubt werden, Unwissenheit vorzutäuschen! Sie müssen Verantwortung für alle Arbeitnehmer*innen übernehmen, egal, in welchem Land, in welchem Teil der Lieferkette oder in welchem Sub-Subunternehmen sie arbeiten! Bisher gibt es keine klaren Regeln für internationale Haftungsfragen und bei Klagen beziehen sich die Jurist*innen auf die selbstgeschriebenen Code of Conducts der Unternehmen. Mit diesem Zustand können wir uns nicht zufriedengeben. Wir brauchen dringend neben nationalen Gesetzen auch Fortschritte bei internationalen Abkommen, die die Verantwortung von Unternehmen entlang deren gesamten, auch transnationalen Lieferkette benennen. Wir begrüßen, dass bei der UN nun der Treaty-Prozess zur Erarbeitung von Regelungen von transnationaler Unternehmensaktivität angelaufen ist – allerdings ohne Mitarbeit seitens der EU! Wir fordern daher die EU auf, sich im Rahmen des UN-Treaty-Prozesses dafür stark zu machen, dass Unternehmen die Einhaltung von Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte entlang ihrer gesamten Lieferkette zu verantworten haben. Außerdem brauchen wir endlich einen internationalen Handelsgerichtshof. Für die bisherige Regelung, dass sich Unternehmen durch das Outsourcing an Sub- und Sub-Subunternehmen aus der Verantwortung stehlen können, haben schon zu viele Arbeiter*innen mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben gezahlt. Diesen Aspekt des globalen Kapitalismus nehmen wir nicht länger hin!

 

Auch innerhalb Deutschlands und der EU werden die Rechte von Arbeitnehmer*innen verletzt. Dies betrifft vor allem Migrant*innen und mobile Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa, die ihre Rechte nicht kennen oder sie nicht einklagen können, weil sie beispielsweise nur geringe Sprachkenntnisse haben oder sich wegen eines unklaren Aufenthaltsstatus nicht an staatliche Stellen wenden wollen. Auch in Deutschland und in der EU muss gelten, dass Unternehmen Verantwortung für alle Arbeitnehmer*innen entlang ihrer Lieferkette tragen. Wir fordern daher, dass entsprechende Regelungen schon jetzt auf nationaler und EU-Ebene getroffen werden, auch wenn der Prozess auf internationaler Ebene noch andauern mag. Hierzu braucht es sowohl nicht-staatliche Beratungs- und Anlaufstellen als auch staatliche Stellen, die aber bei unklarem Aufenthaltsstatus nur die Arbeitnehmer*innenrechte einfordern und keine Informationen hinsichtlich des Aufenthaltsstatus weitergeben oder gar selbst in diesem Kontext aktiv werden. Beide Arten von Anlaufpunkten müssen ausreichend aus öffentlicher Hand finanziert sein und ohne Hürden für die Betroffenen zu kontaktieren sein – beispielsweise durch Informationsmaterial, -kampagnen in verschiedenen Sprachen und Ansprechpersonen, die diese Sprachen sprechen.

 

Hierbei sollen insbesondere die Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch mit gewerkschaftlichen Einrichtungen angestrebt werden, die bereits in diesem Bereich bestehen.

 

Antrag 89/I/2019 Einrichtung von Medienzentren – Das Internet ist für alle da!

21.02.2019

Akku leer? Ist ja nicht schlimm, denn spätestens zuhause in unserer Wohnung können wir unser geliebtes Smartphone aufladen.

 

Das Internet verbindet uns heutzutage nicht nur mit unsere Freund*innen oder ermöglicht es uns schöne Filter über unsere neusten Urlaubsfotos zu legen. Auch viel wichtigere Dinge können (und müssen) heute online geregelt werden. Angefangen bei der Beantragung eines neuen Personalausweises, über Überweisungen oder der Jobsuche. Wohnungslose und Obdachlose sind von diesen essentiellen Möglichkeiten häufig ausgeschlossen. Sie müssen auf öffentliche Bibliotheken oder andere Einrichtungen zurückgreifen, Orte derer sie im schlimmsten Fall verwiesen werden, an denen sie nicht sein dürfen. Dadurch entsteht eine Unzuverlässigkeit der Verbindung, die Wohnungslose praktisch unmöglich macht, Termine genau einzuhalten oder sich Informationen, beispielsweise über das Wohnungslosenhilfsnetzwerk, zu beschaffen. Oftmals ist aber gerade diese Zuverlässigkeit eine Grundvoraussetzung, um einen verlässlichen und niedrigschwelligen neuen Job oder eine neue Wohnung zu finden.

 

Daher ist es endlich Zeit auch Wohnungslosen und Obdachlosen einen Zugang zum Internet zu ermöglichen. Wir fordern daher eine Einrichtung von Medienzentren wie z.B. in öffentlichen Bahnhöfen, in denen die Möglichkeit besteht kostenlos Computer mit Internetanschluss zu nutzen, kostenlose WLAN-Verbindungen zu nutzen, kostenlos zu telefonieren und Smartphones aufzuladen. Denn: Auch Menschen ohne Obdach besitzen heute in vielen Fällen Smartphones, denn diese sind – insbesondere für Wohnungslose und Obdachlose aus dem Ausland – häufig die einzige Möglichkeit mit ihrer Familie Kontakt aufzunehmen.

 

Wir wollen den Wohnungslosen und Obdachlosen nicht vorschreiben, wie sie das Internet in diesen Medienzentren nutzen. Hierzu muss der Senat ein Konzept ausarbeiten, das es zum Schutz der Betreiber ermöglicht datenschutzveträglich eine Nachverfolgung der Nutzer*innen zu gewährleisten.

 

Die Medienzentren sollen zudem mit mehrsprachigem Sozialarbeiter*innen ausgestattet sein, welche den Nutzer*innen gegeben falls helfen können, z.B. einen Bürgeramtstermin zu vereinbaren, ein Emailkonto einzurichten oder eine Bewerbung abzuschicken. Wir unterstützen Bibliotheken dabei, sich mit Bereichen auszustatten, wo es ohne den Besitz eines Bibliotheksausweises den Zugang zu Computern mit Internetanschluss, Telefon, Ladekabeln, Steckdosen zu erhalten.

 

Wir fordern:

  • Die Erweiterung von Medienzentren mit Zugriff auf mit Internetverbindung ausgestatteten Computern, freies WLAN, Telefone und Handyladestationen, ebenso wie kostenfreie Fotoautomaten zum Erstellen biometrischer Fotos
  • Eine Ausstattung der Medienzentren mit ausreichendem qualifiziertem Sozialarbeiter*innen
  • Angemessene Öffnungszeiten der Medienzentren

 

Die Bereitstellung von Möglichkeiten zum Aufladen elektronischer Endgeräte an der Außenseite der Medienzentren, sodass eine grundsätzliche, leicht zugängliche Stromversorgung stets gewährleistet ist, und das auch außerhalb der Öffnungszeiten.