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Antrag 180/II/2019 Professionell Pflegende - endlich selbstbestimmt!

23.09.2019

Wie Pflege in Deutschland organisiert wird, hat sich seit vielen Jahrzenten nicht verändert. Wie professionell Pflegende, also 3-jährig ausgebildete oder studierte Fachkräfte, mitent- scheiden dürfen, ebenfalls nicht. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt innerhalb eines von der Gesetzgebung festgelegten Rahmens fest, welche Leistungen von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. Zudem hat er Aufgaben im Bereich des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung in der vertragsärztlichen, vertragszahnärztlichen und stationären medizinischen Versorgung. Da sind aktuell vor allem Kos- tenträger*innen und Kostenerbringer*innen hauptverantwortlich, also der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Professionell Pflegende sind im Gemeinsamen Bundesausschuss nicht abgebildet. Das ist mitunter ein Grund für den miserablen, unterentwickelten Zustand der professionellen Pflege in Deutschland. Während in den meisten anderen europäischen Ländern professionell Pflegende als „Health Professionals“ angesehen werden und wie selbstverständlich in Entscheidungen, die das Gesundheits- bzw. Pflegesystem betreffen, miteinbezogen werden, sind sie hierzulande den Ärzt*innen unterstellt, haben kein klares Aufgabenprofil und wer- den regelmäßig überhört.

 

Wir brauchen eine Stimme für professionell Pflegende. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich der starken Ärzt*innenlobby entgegen zu stellen und auf Augenhöhe zu verhandeln. Denn nichts anderes als das hat die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen (ca. 1,2 Mio) sich verdient.

 

Diese Stimme ist die Pflegeberufekammer. Kammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, die stellvertretend für den Staat Interessen der Gesellschaft bzw. der Bevölkerung übernehmen. Im Gegenzug verpflichten sich Professionell Pflegende, ihre Aufgaben ge- wissenhaft und verantwortungsvoll durchzuführen und regelmäßig an Fortbildungen teil- zunehmen. Somit ist das oberste Ziel einer Pflegeberufekammer die Sicherstellung einer sachgerechten, professionellen Pflege für die Bürger*innen. Mit einer Pflegeberufekammer würden Pflegende selbst definieren, was eigentlich vorbehaltende Tätigkeiten von profes- sionell Pflegenden sind und ihren Beruf weiterentwickeln. Die Mitglieder bestimmen die Arbeit der Pflegekammer. Alle Mitglieder haben alle fünf Jahre die Wahl und entsenden Vertreter*innen in die Vertreter*innenversammlung. Diese ist das höchste Gremium der Kammer, wählt den Vorstand, trifft Richtungsentscheidungen und hat die Hoheit über sämtliche Kammeraktivitäten. Die inhaltliche Arbeit der Landespflegekammer Rheinland- Pfalz findet z.B. vor allem in Ausschüssen und Arbeitsgruppen statt. Während die Ausschüsse durch die Vertreter*innenversammlung gewählt und legitimiert sein müssen, ist die Mitarbeit in vielen Arbeitsgruppen für alle Mitglieder offen und sehr erwünscht.

 

In Berlin wurde zwischen November 2014 und März 2015 eine Befragung von 1200 Pflegekräften durchgeführt. Das zentrale Ergebnis der repräsentativen Befragung zur Akzeptanz einer Pflegekammer lautete, dass sich die Mehrheit der Pflegefachpersonen in Berlin (58,8 %) für die Einrichtung einer Pflegekammer aussprach. Zusätzlich dazu werden verkammerte Berufe in der Öffentlichkeit und in der politischen Landschaft verstärkt und vor allem vereint wahrgenommen. Dies würde die Wertschätzung erhöhen und die pflegerische Expertise in die Gesetzgebung und politische Diskussion mit einbringen, in Form ei- ner Bundespflegekammer im Gemeinsamen Bundesausschuss.

 

Die größten Gegner*innen der Pflegeberufekammer sind die Gewerkschaften, vor allem ver.di. Die Argumente, die vor allem hervorgebracht werden, sind die Pflichtmitgliedschaft und die Beitragsordnung. Doch wie soll die Pflegeberufekammer eine Berufsgruppe organisieren, Aufgaben definieren und sie fortbilden, wenn nicht alle Berufsangehörigen Mitglied sind? Was die Beitragsordnung angeht, so ist der Mitgliedsbeitrag selbstverständlich am Bruttoeinkommen bemessen, oft 0,4 – 1 % des Bruttoeinkommens, also teilweise sogar unter den Beitragssätzen für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft. Es ist unverständlich, warum ver.di so gegen die Pflegeberufekammer mobilisiert, wird sie doch in keinster Weise von deren Existenz bedroht. Die Pflegeberufekammer erhebt nicht den Anspruch, die Aufgaben der Gewerkschaft zu übernehmen, so ist eine Koexistenz zwingend weiterhin notwendig, um den Beschäftigten in der Pflege ein allumfassend gutes Arbeitsumfeld zu garantieren. Die Errichtung eines Versorgungswerks für Pflegefachkräfte ist nicht erforderlich. Wo landesrechtlich geboten, stärken Pflegeberufekammern die öffentlichen Sozialversicherungen durch gesetzlichen Ausschluss der berufsständigen Versorgung.

 

Wir fordern:
– die sofortige Einrichtung einer Pflegeberufekammer in Berlin
– eine umfassende Informationskampagne des Senats für alle Pflegenden, welche über die Vorteile und Verpflichtungen durch eine Pflegeberufekammer aufklärt

 

Antrag 127/II/2019 Schüler*innenhaushalt auf alle Schulen ausweiten

23.09.2019

 Das Konzept von Schüler*innenhaushalten ist einfach. Die Schüler*innen einer Schule bekommen eine Summe Geld zur Verfügung gestellt, arbeiten Verwendungsvorschläge aus und entscheiden in einem demokratischen und angeleiteten Verfahren über die Umsetzung. Damit wird bei den Schüler*innen nicht nur die Erkenntnis gefördert, wie demokratische Strukturen funktionieren, sondern auch, dass Sie Erfolg haben.

 

Aktuell nehmen 33 Schulen an diesen Projekt Teil. Im Rahmen der Qualitätsoffensive der Senatsbildungsverwaltung ist die Ausweitung des Projekts auf alle Bezirke vorgesehen. Diese Schritte sind sehr begrüßenswert, gehen aber noch nicht weit genug. Oftmals gibt es Unklarheiten, wer das Geld für die einzelnen Schulen bereitstellt. Sei es die Schule selbst, der Bezirk, oder die Senatsbildungsverwaltung. Damit diese Unklarheiten der landesweiten Umsetzung des Projekts nicht länger entgegenstehen, fordern wir

  1. Die Bereitstellung eines verbindlichen von der Größe der einzelnen Schulen abhängendes Budget zwischen 1.000 und 5.000 Euro im Jahr pro Schule. Die Gelder sollen diesem Projekt zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden.
  2. Eine Erhöhung des Fördervolumen des „Schüler*innenhaushalt“ als Projekt der „Servicestelle Jugendbeteiligung“. Die Gelder sollen insbesondere für eine Aufstockung des Personals zweck adäquater Begleitung der Schüler*innen verwendet werden.
  3. Die Ausweitung der Schulen hat sich an den Kapazitäten des Projekts zu orientieren. Die Anzahl der Teilnehmenden Schulen (Siehe Punkt 1) ist parallel zu diesen Kapazitäten (Siehe Punkt 2) aufzustocken. Ziel ist es im Jahr 2025 alle Berliner Schulen, von diesem Projekt zu erfassen.
  4. Dazu sollen die im Rahmen der „Strategie für die politische Bildung an Berliner Schulen“ im Haushalt 2020/21 veranschlagten 3.000€ pro Schule (ges.: 0,89 Mio € 2020 und 2,0 Mio € 2021) für das Projekt verwendet werden.
  5. Inhaltlich, soll das Projekt eine verstärkte Anknüpfung an die im Schulgesetz verankerten Entscheidungsstrukturen erfahren. Langfristig, soll sich das Projekt derart etablieren, dass der Schüler*innenhaushalt, ein reguläres, der GSV zur Verfügung stehendes Gestaltungsmittel ist.

 

Antrag 129/II/2019 Gute Bildung braucht eine gute Ausbildung. Quereinstieg jetzt reformieren

23.09.2019

In den letzten zehn Jahren wurden viele Maßnahmen unternommen, um die Bildungskrise in Berlin abzuwenden. Im Rahmen des Programms “Quereinstieg” konnten landesweit in den letzten fünf Jahren mehrere hundert Stellen an den Schulen pro Schuljahr besetzt werden. Mit der Öffnung des Schuldienstes für fachfremde Personen gelang es zudem, die Kollegien diverser zu gestalten, da nun mehr Menschen mit anderen beruflichen Hintergründen an den Berliner Schulen arbeiten. War der Quereinstieg anfangs als flankierende Maßnahme gedacht, um wenige offene Stellen zu besetzen, machen Quereinsteigende einen immer größeren Teil der neu eingestellten Lehrer*innen und Lehramtsanwärter*innen aus. Von den rund 3000 eingestellten Lehrkräften für das Schuljahr 2019/2020 wurden rund 400 Stellen mit Quereinsteigenden besetzt. Vor allem an Schulen in so definierten sozialen Brennpunkten ist der Anteil an Quereinsteiger*innen besonders groß. Das ist pädagogisch betrachtet erst einmal kein Grund zur Beunruhigung, denn wie angesprochen, bringen Quereinsteigende andere Sichtweisen und auch berufliche Erfahrungen mit, die den Schüler*innen genau so gut oder sogar mehr Vorbild sein können als das regulär ausgebildete Lehrkräfte sind. Für die Quereinsteigenden bedeutet das aber vielfach eine größere Belastung. Erst recht, wenn sie sich in der Ausbildung befinden. Denn die fehlende personelle Ausstattung wie auch die oftmals gesteigerten pädagogischen Anforderungen führen in solchen Fällen dazu, dass sich Berufseinsteiger*innen stark überfordert fühlen. Abhilfe können hier sowohl der Austausch mit als auch Unterstützung durch andere Kolleg*innen, bspw. durch Doppelsteckungen in den Klassen oder vertrauensvolles Mentoring, schaffen. Leider fehlen oftmals genaue Kenntnisse darüber, welche Quereinsteiger*innen wo unterrichten und wie sich die Kollegien in Anbetracht der Schüler*innenschaft zahlenmäßig verhält, um mit entsprechenden Maßnahmen zu entlasten.

 

Auch berechtigt nicht jeder Studienabschluss zur Aufnahme in den Quereinstieg in das Lehramt für allgemeinbildende Schulen. Ein Quereinstieg in den Lehrberuf ist nur dann möglich, wenn es für das Unterrichtsfach, das dem Studienabschluss des*der Bewerber*in entspricht, einen Bedarf an den Berliner Schulen gibt. Außerdem ist Voraussetzung für eine Einstellung, dass die potenziellen Quereinsteigenden von einer Schule für eine unbefristete Beschäftigung ausgewählt wurden. Die Hürden für den Quereinstieg sind also relativ hoch. Erst dann kann der Vorbereitungsdienst (das Referendariat) berufsbegleitend begonnen werden. Dieser hat, wie bei den regulären Lehramtsanwärter*innen, das Ziel, die Fähigkeit zu selbstständigem, berufsbezogenem Handeln in Schule, Unterricht und Erziehung zu fördern und zu befähigen, Entwicklungsprozesse der Schulen mit zu gestalten. Den 18-monatigen Vorbereitungsdienst für das Lehramt durchlaufen alle Referendar*innen in Vollzeit. Nur unterscheiden sich die in dem Rahmen zu unterrichtenden Stunden erheblich. Während reguläre Lehramtsanwärter*innen bis zu acht Stunden an den Schulen eingesetzt werden dürfen, beträgt die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung für Quereinsteigende ab dem Schuljahr 2019/2020 17 Stunden (Regelstundenmaß für Gymnasiallehrkräfte in Vollzeit beträgt 26 Stunden). Vielfach werden sie außerdem für fachfremden, d.h. Vertretungsunterricht eingesetzt. Das kann dazu führen, dass das eigentliche Ziel, nämlich das Erreichen der professionellen Handlungskompetenz im Kontext des Lehrberufs aufgrund einer Überforderung nicht bzw. nur bedingt erreicht wird. Quereinsteigende brauchen neben der gleichen Betreuung in der Ausbildung auch gleiche arbeitszeitliche Rahmenbedingungen, um den Anforderungen gerecht zu werden und sich trotzdem angemessen auf den so wichtigen Lehrberuf vorbereiten zu können. Für die Betreuung an den Schulen werden pro Referendariatsplatz nur wenige Minuten vom Land zur Verfügung gestellt. Dies ist mit der Durchführung einer ausgewogenen und individuell abgestimmten Betreuung kaum vereinbar. Daraus folgt, dass die schulpraktische Betreuung vom Engagement der dort tätigen Fachlehrkräfte abhängt. Damit aber zentrale Bausteine für eine gelungene Ausbildung wie detaillierte Beratungs- bzw. Auswertungsgespräche für alle auszubildenden Lehrkräfte möglich ist, bedarf es erheblicher Entlastungen. Eine große Hürde zur guten Betreuung von Quereinsteigenden ist auch die fehlende Vergleichbarkeit von Konzepten der Bezirke. Viele Bezirke haben eigene Mechanismen und Programme im Umgang mit Quereinsteigenden, ein Austausch findet kaum statt. Nur im Austausch können aber Best-Practise Beispiele ausgetauscht und umgesetzt werden

 

Wir fordern die zuständigen sozialdemokratischen Mitglieder der Abgeordnetenhausfraktion sowie die Senatorin für Bildung, Jugend und Familie auf, die Rahmenbedingungen für die Ausbildung des Quereinstiegs allgemeinbildende Schulen und berufsbegleitenden Referendariats zu überarbeiten, um Überbelastung bei den Lehramtsanwärter*innen vorzubeugen und eine angemessene fachliche Betreuung sicherzustellen.

 

Konkret fordern wir,

  • dass das Stundendeputat, also die tatsächlich an den Schulen zu unterrichtenden Pflichtstunden spürbar reduziert werden, dabei aber die für den Lehrberuf so wichtige fachliche Ausbildung im Vorbereitungsdienst durch eine Verlängerung von höchstens drei Monaten sichergestellt wird.
  • ein bezirksübergreifendes Monitoring durchzuführen, das die Verteilung aller quereinsteigenden Lehrkräfte an den Schulen genau aufschlüsselt
  • ein für die in Ausbildung befindlichen Quereinsteiger*innen abgestimmtes Konzept zur Verteilung zu erarbeiten, sodass eine Durchmischung aller Referendar*innen sichergestellt ist
  • ein überarbeitetes Konzept für Ermäßigungsstunden derjenigen Schulen/Lehrkräfte, die Quereinsteigende betreuen, um den entstehenden Mehraufwand auszugleichen.

 

Antrag 270/II/2019 15 Punkte um die Klimakrise zu bekämpfen

23.09.2019

Das auf Wachstum und der Ausbeutung fossiler Ressourcen basierende Wirtschaftssystem führt offenkundig in die Klimakatastrophe – wenn nicht jetzt radikal umgesteuert wird. Das erkennen weltweit immer mehr Menschen, nicht erst seit mit „Fridays for Future“ jede Woche hunderttausende Schüler*innen weltweit für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen. Die Klimakrise dominiert zurzeit viele öffentliche Debatten und Wahlkämpfe, ob in Australien oder zuletzt bei der Europawahl. Dabei ist es natürlich nicht so, als hätten wir keine anderen Probleme, die auf eine Lösung warten. Der weltweite Rechtsruck, die soziale Spaltung innerhalb der Gesellschaft und die militärischen Eskalationen an so vielen Brandherden wie nie stellt uns vor immense Herausforderungen. Viele dieser Herausforderungen sind aber eng mit dem Klimawandel verbunden. Wasser- und Ressourcenknappheit und Extremwetterkatastrophen befeuern u.a. durch Konflikte  ausgelöste Fluchtbewegungen und auch in sozialer Hinsicht trifft das Motto des DGB zu den Internationalen Klimaverhandlungen zu: „There are no jobs on a dead planet“.

 

Für uns bedeutet der Kampf gegen die Klimakrise nicht nur den Erhalt einer lebenswerten Umwelt, für uns ist es zugleich der Kampf gegen ein Wirtschaftssystem, das den Raubbau an Natur und Menschen für Profite fördert und die dramatischen Folgen der Allgemeinheit überlässt.

 

Wir stehen auf Seite all derer, die sich für ambitionierten Klimaschutz einsetzen. Dabei sind wir solidarisch mit den Aktivist*innen der Klimabewegungen wie z.B. Fridays For Future, Scientists for Future, Workers for Future, die auch mit zivilem Ungehorsam genau jene in den Fokus nehmen, die mit diesem Raubbau Milliarden verdienen. Ein radikaler Bruch mit dem fossilen Kapitalismus zwingt uns neue Fragen auf. Wie können wir die Fehler der Vergangenheit vermeiden und die notwendige Transformation dafür nutzen, dass die Zukunft aus einer Wirtschaftsordnung besteht, die auf demokratischer Kontrolle, sozialer Teilhabe und der Achtung der planetaren Grenzen beruht?

 

1. Wir bekennen uns zum Pariser Klimaschutzabkommen

Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen ist es gelungen eine Einigung zwischen 196 (seit dem Ausstieg der USA unter Trump nun 195) Ländern auf ein allgemeines rechtsverbindliches, weltweites Klimaschutzübereinkommen zu erreichen. Zentrales Ziel des Abkommens ist es, den Anstieg der Klimaerhitzung auf 2 Grad Celsius, möglichst sogar 1,5 Grad bis Ende des Jahrhunderts zu begrenzen. Die EU und andere Industrieländer sind gehalten, ärmere Länder zu unterstützen. Denn ein Großteil der in der Atmosphäre kumulierten Emissionen stammt aus der Industrialisierung einiger weniger Staaten, während Schwellen- und Entwicklungsländer schon heute überproportional von der Klimakrise betroffen sind. Angesichts der Versäumnisse in der Vergangenheit müssen Länder wie Deutschland äußerst schnell Maßnahmen ergreifen, um ein äußerst begrenztes CO2-Budget einzuhalten und ihren Beitrag zur Einhaltung des 1,5 Grad-Limits nachzukommen. Dafür müssen alle Sektoren liefern, also insbesondere die Energieversorgung, der Verkehr, die Industrie, Wärme und die Landwirtschaft. Sämtliche Ebenen und Bereiche sind daran gehalten, effektive Maßnahmen schnell zu ergreifen, die wir dringend einfordern.

 

2. Wir fordern die schnellstmögliche Einigung auf ein Klimaschutzgesetz. Wir dürfen uns hier vom Koalitionspartner nicht mehr hinhalten lassen. Am Klimaschutz kann sich entscheiden, ob die große Koalition bis zum Ende hält. 

Deutschland hat keine gesetzlich verankerten Klimaschutzziele. Bestehende Ziele für 2020, 2030 und 2040 sind lediglich Kabinettsbeschlüsse, die von den jeweiligen Koalitionen bestätigt wurden. Auch das führt dazu, dass Deutschland sein Ziel, 40% der Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 einzusparen, mit lediglich 32% krachend verfehlen wird. Da der Großteil der Einsparungen auf den industriellen Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft zurückzuführen ist, kann man von einem Totalversagen sprechen. Dazu kommt, dass die nationalen Klimaziele noch immer aus dem Energiekonzept der Bundesregierung von 2010 abgeleitet werden, dass eine Emissionsminderung von 80-95% bis 2050 vorsah. Alle nachfolgenden Ziele für 2030 inklusive der Sektorziele aus dem Klimaschutzplan 2050 adressieren die 80% bis 2050. Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens sind diese Ziele völlig überholt. Bis 2050 muss Deutschland seine Emissionen danach um mindestens 95% reduzieren und eigentlich bereits 2040 weitgehend treibhausgasneutral sein. Das führt dazu, dass selbst die bestehenden klimapolitischen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag per se nicht mit dem Pariser Abkommen vereinbar sind.

Nichtsdestotrotz hat die SPD nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen einige wichtige Stellschrauben für den Klimaschutz verankern können. Im Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsparteien auf eine Klimaschutzgesetzgebung geeinigt, mit der das 2030-Ziel zur Reduzierung der CO2-Emissionen um mindestens 55% gegenüber 1990 erreicht werden soll. Dafür sollen die bisher unverbindlichen Klimaziele und die Sektorziele für 2030 gesetzlich verankert und mit einem Maßnahmenpaket unterlegt werden. Zentrales Vorhaben ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien auf mindestens 65% der Bruttostromerzeugung. Wichtiger Baustein war auch die Einsetzung der sogenannten Kohlekommission, die den Weg und das Ende der Kohleverstromung in Deutschland beschreiben sollte. Das klimapolitisch ernüchternde Ergebnis von Anfang 2019 soll ebenfalls gesetzlich fixiert werden.

Das Zwischenfazit ist schockierend. Von Beginn der Regierungsarbeit an hat die Union alle klimapolitischen Initiativen ausgebremst und auf Zeit gespielt. Unter dem Einfluss der fossilen Lobby blockiert die Union das von Svenja Schulze eingereichte Klimaschutzgesetz, verschleppt den Kohleaussieg und verhindert wirksame ordnungsrechtliche Maßnahmen mit Verweis auf teure Anreizprogramme, deren Wirksamkeit höchst fraglich sind. Um die Blockaden irgendwie aufzulösen wurde daher ein Klimakabinett eingerichtet, im dem alle Minister*innen der relevanten Ressorts vertreten sind. Am 20. September soll hier ein ganzes Paket an klimapolitischen Maßnahmen beschlossen werden.

 

3. Wir fordern klare ordnungsrechtliche Maßnahmen in den Sektoren Energie, Verkehr, Industrie, Gebäude und Landwirtschaft sowie Förderprogramme und eine CO2-Bepreisung.

Von Beginn der Regierungsarbeit an hat die Union alle klimapolitischen Initiativen ausgebremst und auf Zeit gespielt. Unter dem Einfluss der fossilen Lobby blockiert die Union das von Svenja Schulze eingereichte Klimaschutzgesetz, verschleppt den Kohleaussieg und verhindert wirksame ordnungsrechtliche Maßnahmen mit Verweis auf teure Anreizprogramme, deren Wirksamkeit höchst fraglich sind. Die Einführung eines eigenen nationalen Emissionshandels für Wärme und Verkehr, wie von vielen in der Union favorisiert, lehnen wir ab.

 

4. Wir fordern, dass eine notwendige Anhebung der Energiesteuersätze sozial gerecht ist.

Dafür brauchen wir deutliche Entlastungen gerade der einkommensschwachen Haushalte an anderer Stelle. Ob über die Absenkung anderer Belastungen oder eine Klimaprämie, wichtig ist die sozialpolitische Verteilungswirkung. Einkommensstarke Haushalte haben im Schnitt mehr Wohnfläche zur Verfügung, fahren größere Autos und insgesamt einen deutlich höheren CO2-Fußabdruck. Mit einer sinnvollen Steuerreform anhand der CO2-Intensität ist es möglich, einkommensschwache Haushalte in Zukunft zu entlasten und zugleich einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Die Weiterentwicklung der CO2 Bepreisung muss zwei konkrete Vorausetzungen erfüllen:

  1. ökologische Lenkungswirkung: sofort umsetzbare Maßnahmen zur deutlichen Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen insbesondere bei Wärme und Verkehr mithilfe einer Erhöhung der Energiesteuersätze auf ausgestoßenes CO2
  2. soziale Lenkungswirkung: soziale Ausgestaltung der Belastung durch diese Steuererhöhung und Sicherstellung der Aufkommensneutralität

 

5. Wir fordern als ersten Schritt einen Mindestpreis von 180.- Euro die Tonne CO2 für die Industrie einzuführen, der dem ETS dann die erhoffte klimapolitische Lenkungswirkung verschaffen kann und kontinuierlich steigt.

Der ETS als marktliches Mengeninstrument hat unter dem Einfluss der fossilen Lobbyverbände in den letzten 15 Jahren kaum bis gar keine Wirkung zeigen können.

 

6. In den nicht dem ETS unterworfenen Sektoren wie Wärme und Verkehr fordern wir eine kurzfristig einführbare und wirksame CO2-Bepreisung, die über einen aufsteigenden Pfad Investitionssicherheit gibt. Diese CO2-Bepreisung soll so ausgestattet werden, dass Privathaushalte nur bei Klimaschädlichem Verhalten mehr belastet werden (Ausgleichszahlung)

Bisher sind wichtige Bereiche, wie Verkehr und Gebäude nicht in den Europäischen Emissionshandel (ETS) einbezogen. Die Einführung eines eigenen nationalen Emissionshandels für Wärme und Verkehr, wie von vielen in der Union favorisiert, lehnen wir ab. Hier hoffen die gleichen Lobbyisten wie beim ETS ihren Einfluss geltend zu machen und das Instrument schrottreif zu schießen. Zudem dauert der Aufbau eines solchen Instrumentes Jahre. Jahre, die wir in Anbetracht der Klimakrise nicht haben.

 

7. Wir fordern, endliche eine stärkere Bepreisung von Flugtickets im Rahmen einer Klimaabgabe und eine Besteuerung von Kerosin auf allen Flügen vorzunehmen.

Anzustreben wäre als vorrangige Lösung eine gemeinsame europäische Lösung für die Verteuerung des Flugverkehrs. Sollte dies nicht gelingen, sollte auf nationaler Ebene ein Weg gefunden werden.

Der Flugverkehr boomt. Wesentlicher Grund sind die niedrigen Preise für Tickets, mit denen keine Bahn mithalten kann. Verantwortlich dafür ist wiederrum, dass der Staat das Fliegen subventioniert, in dem er keine Steuer auf den Verbrauch des Kerosins erhebt. Wir brauchen jetzt die Schubumkehr. Flugpreise müssen die ökologischen Kosten enthalten.  Wir halten es für dringend erforderlich, endliche eine stärkere Bepreisung von Flugtickets im Rahmen einer Klimaabgabe und eine Besteuerung von Kerosin auf allen Flügen vorzunehmen. Anzustreben wäre als vorrangige Lösung eine gemeinsame europäische Lösung für die Verteuerung des Flugverkehrs. Sollte dies nicht gelingen, sollte auf nationaler Ebene ein Weg gefunden werden. Dabei ist unabdingbar, dass die Einnahmen aus einer stärkeren Bepreisung von Flügen in den massiven Ausbau des Schienennetzes fließen.

 

8. Wir fordern, dass umgehend zusätzliche Braunkohle-Kraftwerkskapazitäten von zwei Gigawatt gedrosselt werden sollten und die alten und klimaschädlichsten Braunkohle-Kraftwerksblöcke mit 3,1 Gigawatt bis 2020 abzuschalten sind. Bis 2022 sollten Steinkohle-Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 7,5 Gigawatt abgeschaltet werden.

Der hohe Verbrauch fossiler Energieträger wie Kohle, Öl und Gas ist wesentliche Ursache für den Klimawandel, wobei Kohle die mit Abstand klimaschädlichste Energie ist. Kohlekraftwerke verursachen einen Großteil des weltweiten Ausstoßes von CO2. Die Bekämpfung der Klimakrise macht deshalb den Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle und den Ausbau der klimafreundlichen erneuerbaren Energien zwingend. Die  Kohlekommission hat einen Pfad empfohlen, bei dem das letzte Kraftwerk noch 2035, vielleicht sogar noch 2038 laufen soll. Das ist klimapolitisch nicht vertretbar. Wenn wir das  1,5 Grad-Limit von Paris ernst nehmen, muss der Kohleausstieg in Deutschland 2030 abgeschlossen sein. Wir fordern daher den schnellstmöglichen Ausstieg aus dem Kohlebergbau in Verbindung mit der Sicherstellung von beruflichen Perspektiven für die noch darin Beschäftigten. Dabei ist klar, dass dies nur bei einem deutlich beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien gelingen kann.

 

9. Wir fordern einen CO2-Mindestpreis im Stromsektor

Wir halten den Europäischen Emissionshandel (ETS) für äußerst problematisch und fordern, dass die Bundesregierung sich in der EU für einen CO2-Mindestpreis im Stromsektor einsetzt. 2020 sollte dieser beginnen und bis 2025 auf mindestens 40 Euro pro Tonne steigen.

 

10. Wir fordern eine Förderpolitik, die das Potenzial unterschiedlicher Technologien bei den Erneuerbaren Energien nutzt. Die technologiespezifischen Einspeisevergütungen haben dies erfolgreich bewerkstelligt und sollten daher auch in Zukunft eingesetzt werden, um erneuerbare Energien zu fördern und auszubauen

Der Ausstieg aus der Kohleverstromung kann nur gelingen, wenn Erneuerbare Energien den Platz einnehmen können. Dazu gehört nicht nur, den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen, sondern auch ihre Integration in das Stromnetz zu gewährleisten. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) konnte in den letzten Jahren hierfür ein großer Beitrag geleistet werden. Die jährliche Deckelung des Ausbaus von Wind- und Solarenergie sowie die schrittweise Umstellung auf Ausschreibungen als Fördermechanismus hat jedoch den Ausbau der Erneuerbaren verlangsamt und es kleineren, dezentral organisierten Energieproduzenten den Zugang zu Förderungen erschwert.

Sozialdemokratische Wirtschaftspolitik steht für eine technologieoffene Förderpolitik in der Energiewende. Technologieoffen heißt jedoch nicht neutral zu bleiben: Photovoltaik, Windmühlen an Land und auf See, Biomasse, Geothermie und Wasserkraft haben alle ihre speziellen Bedürfnisse, was Förderung und Ausbau angeht. Um das Potenzial jeder einzelnen Technologie zu entwickeln, muss die Förderpolitik ihren speziellen Bedürfnissen Rechnung tragen. Die technologiespezifischen Einspeisevergütungen haben dies erfolgreich bewerkstelligt und sollten daher auch in Zukunft eingesetzt werden, um erneuerbare Energien zu fördern und auszubauen – insbesondere, wenn es um dezentralere, lokale Energieerzeugungs- und -verbrauchssysteme geht.

 

11. Wir fordern sowohl den Ausbau der Übertragungskapazitäten von großen Wind Offshore Parks im Norden Deutschlands in den Süden zu verstärkt und ebenso Anstrengungen zu fördern, die auf dezentrale, kommunale Lösungen setzen.

Die Integration der Erneuerbaren darf nicht nur die Interessen der großen Energieerzeugungskonzernen verfolgen. Dem Netzausbau kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Der Ausbau der Übertragungskapazitäten von großen Wind Offshore Parks im Norden Deutschlands in den Süden muss zwar fortgesetzt und verstärkt werden. Allerdings müssen ebenso Maßnahmen und Anstrengungen gefördert werden, die auf dezentrale, kommunale Lösungen setzen. Das betrifft den Ausbau intelligenter, dezentraler Einspeisesysteme genauso wie die Weiterentwicklung hin zu einem intelligenten Energieverbrauch, der der volatilen Energiegewinnung aus Sonnen- und Windenergie besser Rechnung trägt. Speichertechnologien kommt hier eine entscheidende Rolle zu. Es sollten daher mehr Mittel für Forschung und Produktionskapazitäten für Batterien und andere Energiespeichertechnologien mobilisiert werden.

 

12. Wir fordern, die Kosten der Energiewende fair zu verteilen.

Hohe Strompreise, die aus der Förderung der Erneuerbaren Energien, aber auch aufgrund steigender Kosten für Netzentgelte resultieren, treffen dabei ärmere Haushalte härter als reichere. Zwar geht von einem höheren Strompreis ein Anreiz für einen geringeren Energieverbrauch aus. Allerdings braucht eine fortwährende Akzeptanz der Energiewende auch akzeptable Preise für die privaten Haushalte. Die SPD setzt sich dafür ein, die Ausnahmen bei der Finanzierung der Einspeisevergütungen des EEG für die energieintensive Industrie zu verringern und stattdessen nur noch für solche Sektoren zu gewährleisten, die tatsächlich in einem international harten Kostenwettbewerb stehen. Außerdem sollte die EEG-Umlage maximal gedeckelt werden. Wenn die Kosten der Einspeisevergütung zu einer EEG-Umlage oberhalb der Deckelung führen, sollten Steuermittel zur Finanzierung bereitgestellt werden. Auf diese Weise sind eine fairere Lastenverteilung und eine klare Garantie, dass die Strompreise nicht über ein gewisses Limit steigen werden, gegeben. Um die Bezahlbarkeit der Energiekosten zu gewährleisten bedarf es allerdings auch einer allgemeinen Verbesserung der unteren und mittleren Einkommen in Deutschland. Höhere Kosten verbunden durch mehr Nachhaltigkeit sind nur dann gesellschaftlich akzeptabel, wenn die soziale Frage nach mehr Gleichheit und Verteilungsgerechtigkeit beantwortet ist.

Abgesehen vom Kostenanreiz sollten außerdem weitere Maßnahmen zur Energieeinsparung eingeleitet werden. Es sollten daher regulatorische Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, die dazu führen, dass elektrische Geräte keine dauerhaften Kontrolllichter besitzen, sparsamer Energie verbrauchen und nutzer*innengerecht aktiviert und deaktiviert werden.

 

13. Wir fordern, den Bahnverkehr zu stärken.

Aus ökologischer Sicht ist der Bahnverkehr ein wichtiges Element der klimagerechten Verkehrswende. Zugleich gehört der öffentliche Schienenverkehr zur Grundversorgung – es ist eine staatliche Aufgabe, für die Bereitstellung einer angemessenen Eisenbahn-Infrastruktur zu sorgen. Die Stärkung des öffentlichen Nah- und Fernverkehr zum Wohl der Allgemeinheit und breiter Bevölkerungskreise war seit jeher ein sozialdemokratisches Anliegen.

Leider gibt dieser Sektor gerade kein gutes Bild ab. Die Infrastruktur wurde lange vernachlässigt. Viele Strecken sind sanierungsbedürftig. Die Bahn hat sich aus etlichen Regionen zurückgezogen, die Gleislänge stagniert. Geradezu sprichwörtlich sind Zugverspätungen geworden. Die Netzentwicklung der vergangenen Zeit – beispielsweise mit dem Abbau von Weichen – hat diesen Missstand begünstigt, weil Flexibität verloren gegangen ist.

 

14. Wir fordern eine Klarstellung, dass die Bahn ein öffentliches Unternehmen mit einem öffentlichen Auftrag ist.

Wir begrüßen das Bestreben der Bundesregierung, zukünftig die Deutsche Bahn nicht mehr auf maximalen Gewinn, sondern auf das volkswirtschaftliche Ziel der Steigerung des Personen- und Güterverkehrs auszurichten. Hierzu bedarf es einer gesetzlichen Klarstellung über den Status der Deutschen Bahn als öffentlichliches Unternehmen, um aus dem Aktienrecht ergebenden Bedenken vorzubeugen. Die angestrebte Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 ist ein ehrgeiziges Ziel, sollte jedoch eher als geplant erreicht werden. Hierzu ist eine Aufstockung des Volumens der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung erforderlich – über den Umfang von 86 Milliarden Euro in zehn Jahren hinaus.

 

15. Wir fordern die LKW Maut auszubauen und den Mehrwertsteuersatz für Bahnfahrten abzusenken.

Die Bahn benötigt für eine Verlagerung von Personen und Gütern von der Straße auf die Schiene faire, privilegierte Wettbewerbsbedingungen. Die Lkw-Maut muss daher auf weitere Strecken ausgeweitet und angehoben werden. Für Bahnfahrten sollte hingegen der Mehrwertsteuersatz abgesenkt werden. Die DB Netz AG ist zu verpflichten, alte Strecken wieder zu ertüchtigen und in Betrieb zu nehmen – wie beispielsweise die Stammbahn zwischen Berlin und Potsdam. Auch ist das Fahrtempo zu erhöhen, Bummelstrecken zu begrenzen. Zum Gesamtkonzept gehören auch verbesserte Anschlussverbindungen – hierbei kann der geplante „Deutschland-Takt“ eine wichtige Rolle spielen.

Notwendig ist zudem die grundlegende Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans, der völlig an unseren Klimazielen und den Mobilitätsbedürfnissen vorbei geht. Wir brauchen keinen Neubau von Autobahnen und Landstraßen, sondern die Wiederverfügbarmachung einer flächendeckenden Gleisinfraktruktur.

Antrag 119/II/2019 Digitalisierung an Berliner Schulen ja, aber nicht um jeden Preis

23.09.2019

Der DigitalPakt markiert eine Zeitenwende für die Bildungspolitik in Deutschland dar. Durch die Grundgesetzänderung des Artikels 104c konnte die verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen werden, dass der Bund im großen Stil Bundesmittel in den Bildungsbereich gibt und die Länder finanziell unterstützt, um für eine bessere Ausstattung der Schulen zu sorgen und die digitale Infrastruktur zu verbessern. Der Bund stellt über einen Zeitraum von fünf Jahren insgesamt fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Daraus ergeben sich durchschnittlich 137.000€ für jede Schule in Deutschland für die Anschaffung von digitalen Geräten, die den pädagogischen Konzepten der Schulen entsprechend eine grundlegende Digitalausstattung ermöglichen sollen. Darunter zählen z.B. interaktive Tafeln oder Server für schulinterne Netzwerke bzw. flächendeckendes WLAN. Gegenzug haben sich die Länder verpflichtet, die Digitalisierung Gegenstand der Lehrpläne zu machen und Lehrer*innen entsprechend auszubilden.  Diese Maßnahmen sollen die deutschen Schulen ins 21. Jahrhundert holen.

 

Berlin erhält insgesamt 257 Mio. Euro. Zusammen mit landeseigenen Mitteln für die Digitalisierung werden in diesem Jahr rund 38 Mio. Euro in die knapp 800 Berliner Schulen investiert. Um diese Mittel zu erhalten, muss jede Schule ein Medienkonzept erstellen und sich damit um eine Förderung bewerben. Es ist vorgesehen, dass der Schulträger den Antrag mit einem IT-Entwicklungskonzept und einem Konzept über die Sicherstellung von Wartung, Betrieb und Support der schulischen IT-Infrastruktur ergänzt. Die Senatsverwaltung für Bildung hat dementsprechend eine Beratungs- und Unterstützungsstelle eingerichtet, die bei der Umsetzung helfen soll. Der Mittelabfluss erweist sich jedoch als schwerwiegendes Problem. Bundesweit wurden bisher lediglich unter 200 Mio. Euro der insgesamt 5 Mrd. Euro abgerufen. Auch in Berlin sind beim Digitalpakt in der Senatsverwaltung und in den Bezirken die gleichen Probleme zu erkennen, wie auch bei anderen größeren Investitionsprogrammen und Verwaltungsmaßnahmen. Dieser Zustand kann niemanden zufrieden stellen.

 

Doch die Digitalisierung wartet nicht auf gesetzgeberische Vorgaben. Schon jetzt existieren an einigen Schulen in Deutschland Kooperationen mit IT-Unternehmen. Konzerne wie Samsung, Apple, Google und Microsoft haben die Leerstellen in der Bildungsinfrastruktur entdeckt und Schulen, die darunter leiden, dass ihre Lehr-und Lernmaterialien den Sprung ins 21. Jahrhundert noch nicht geschafft haben, nehmen diese Zusammenarbeit an. Es ist einerseits davon auszugehen, dass durch die im Zuge des DigitalPakts freigewordenen Mittel Schulen viel stärker als bisher in die technische Ausstattung investieren werden. Das führt dazu, dass sich die schulische Infrastruktur grundsätzlich ändert. Das ist per se nichts Schlechtes. Die Schulen sehen sich in der Notwendigkeit, ihre Infrastruktur so zu ändern, dass sie zu den lebensweltlichen Erfahrungen der darin lernenden Schüler*innen passt. Nur muss darauf geachtet werden, dass sich Schulen durch die Festlegung auf bestimmte Produkte nicht von einzelnen IT-Unternehmen abhängig machen. Denn andererseits reicht die finanzielle Unterstützung an vielen Schulen längst nicht aus, um die durch Investitionsstaus oder Kürzungen des Bildungsetats hervorgerufenen löchrige Infrastruktur für die digitale Bildung auszustatten. Dies hat zur Folge, dass Schulen auch trotz des Digitalpaktes mit IT-Unternehmen kooperieren. Bisweilen sind es auch Schulen, die sich auf eigene Faust bei Digitalfirmen bewerben, um Lehrkäftefortbildungen oder Ausstattung zu erhalten. In einigen Bundesländern braucht es nur die Zustimmung der Schulleitung, in anderen die des Schulträgers. Nicht nur dass diese Kooperationen das Werbeverbot untergraben, indem ausschließlich ein (oder einige wenige) Anbieter die technische Infrastruktur bestimmt und so die Schüler*innen einseitig beeinflusst. Vielmehr kann die Verwendung digitaler Endgeräte mit darauf abgestimmten Programmen zu einer Monopolstellung führen, die den direkten Zugriff auf personenbezogene Daten der Schüler*innen ermöglicht. Durch die im Schulalltag eingesetzten Geräte und Programme lassen sich Datenströme sammeln, die wiederum Aussagen über das Verhalten der Schüler*innen zulassen. Das gilt es zu verhindern! Datensouveränität und europäische Datenschutzstandards müssen daher im Kontext des DigitalPakts mitgedacht und von staatlicher Seite garantiert werden. Dass IT-Unternehmen ihre Produkte anbieten, um Bildung zu digitalisieren, ist in Ordnung. Nur ist es Aufgabe der politischen Entscheidungsträger*innen, dafür zu sorgen, dass dies im Einklang mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag und nicht aufgrund kapitalistischer Interessen geschieht. Das Zusammenwirken von IT-Firmen und Schulen muss letztlich von vornherein politisch vorgegeben werden – unabhängig vom DigitalPakt. Denn Bildung in der digitalen Welt unterscheidet sich letztlich im Kern nicht von der analogen: ihre Organisation muss weiterhin staatliche Aufgabe sein. Neben technischen Geräten und Software gibt es immer wieder vermehrt Verlage, die Schulbücher auch digital anbieten. Diese Entwicklung ermöglicht nicht nur einen besseren und interaktiveren Umgang mit Schulbüchern, sondern auch das Sparen von viel Papier. Gleichzeitig sind es jedoch die Schulbuchverlage, die hierbei monopolartig den Markt und die Möglichkeiten bestimmen. Die Länder müssen hier das digitale Arbeitsblatt selbst in die Hand nehmen und während der Erstellung von Rahmenlehrplänen die Vorraussetzungen für digitale Lernmaterialien schaffen.

 

An der Bildung in Schulen sind nicht nur Lehrerinnen und der Senat beteiligt. Wir Jusos stehen für die Demokratisierung aller Lebensbereiche, so auch die Demokratisierung von Schule. Schülerinnen und Eltern müssen in den konkreten Prozess, wie Digitalisierung in den Schulen vorangetrieben wird, eingebunden werden. Die Einbindung der Schülerinnen ist zwingend notwendig, um die Praktibilität, Nutzerinnenfreundlichkeit aber auch Akzeptanz zu garantieren. In Schulen, in denen es eine Schülerinnenvertretung gibt, muss diese hinzugezogen werden, auch bevor Entscheidungen fallen. In Schulen ohne Schülerinnenvertretung muss eine gesamtschulische Lösung gefunden werden. Sobald es um den Umgang mit Daten von Schüler*innen als auch gravierende Veränderungen der Lernwelt geht, müssen auch die Eltern frühzeitig eingebunden werden.

 

Wir fordern daher von den sozialdemokratischen Mitgliedern der SPD-Abgeordnetenhausfraktion sowie der Senatorin für Bildung, Jugend und Familie:

  • die Einbindung von Schülerinnen und Eltern in jedem Schritt der Entscheidungsfindung gewährleistet werden. Hierbei soll gezielt auch mit den gewählten Vertretungen wie dem Landeseltern- und dem Landesschülerinnenausschuss gearbeitet werden. Zudem sollen die Rechte der Schulkonferenz dahingehend ausgebaut werden, als dass §76 (1) des Schulgesetzes des Landes Berlin um Entscheidungs- und Anhörungskompetenzen der Schulkonferenz bei Fragen, die den Prozess der Digitalisierung an der Schule betreffen, erweitert wird
  • dass eine gesetzliche Vorgabe erarbeitet und verabschiedet wird, die eine Zusammenarbeit von IT-Unternehmen und Schulen nur nach Einverständnis durch die Senatsverwaltung für Bildung und unter Vorlage der entsprechenden Verträge
  • dass ein gesetzlicher Rahmen an Mindestanforderungen aufgestellt wird, die erfüllt sein müssen, damit die Senatsverwaltung für Bildung Einverständnis erteilt
  • dass über die bereits geplante Personalaufstockung hinaus weitere Stellen zeitnah geschaffen werden, die die an den Berliner Schulen eingesetzten Geräte/Software unter Einbezug des Medienkonzepts konstant pädagogisch betreuen und evaluieren
  • dass die Entwicklung von Medienkonzepten sowie Fortbildungsplanungen der Kollegien von den zuständigen IT-Betreuer*innen zusammen mit pädagogischen Fachleuten angeleitet und in regelmäßigen Abständen mithilfe von einem aufzustellenden Qualitätsraster überprüft wird
  • dass das Land Berlin nach alternativen Unternehmen sucht und diese den Schulen gegenüber kommuniziert
  • dass die Personalsituation und die internen Verwaltungsprozesse so anzupassen sind, dass in diesem Kalenderjahr der erste Mittelabfluss der Fördergelder gewährleistet ist
  • dass das Land Berlin aus dem bestehenden Anbieter*innen-Pool eine nicht-kommerzielle Lehr- und Lehrplattform als Standard für alle allgemein bildenden Schulen definiert, die höchsten Datenschutz-Anforderungen genügt. Entspricht keine bereits existierende Lehr- und Lernplattform diesen Anforderungen, muss das Land eine entsprechende Plattform entwickeln bzw. entwickeln lassen
  • dass das Land Berlin (ggf. in Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern) neue Lösungen und Verfahren für digitale Lernmaterialien erarbeitet. Hierzu können Kooperationen mit Schulbuchverlagen, genauso wie die Erstellung neuer Lernmaterialien und neue Konzepte für digitale Lernumwelten zählen