Antrag 119/II/2019 Digitalisierung an Berliner Schulen ja, aber nicht um jeden Preis

Der DigitalPakt markiert eine Zeitenwende für die Bildungspolitik in Deutschland dar. Durch die Grundgesetzänderung des Artikels 104c konnte die verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen werden, dass der Bund im großen Stil Bundesmittel in den Bildungsbereich gibt und die Länder finanziell unterstützt, um für eine bessere Ausstattung der Schulen zu sorgen und die digitale Infrastruktur zu verbessern. Der Bund stellt über einen Zeitraum von fünf Jahren insgesamt fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Daraus ergeben sich durchschnittlich 137.000€ für jede Schule in Deutschland für die Anschaffung von digitalen Geräten, die den pädagogischen Konzepten der Schulen entsprechend eine grundlegende Digitalausstattung ermöglichen sollen. Darunter zählen z.B. interaktive Tafeln oder Server für schulinterne Netzwerke bzw. flächendeckendes WLAN. Gegenzug haben sich die Länder verpflichtet, die Digitalisierung Gegenstand der Lehrpläne zu machen und Lehrer*innen entsprechend auszubilden.  Diese Maßnahmen sollen die deutschen Schulen ins 21. Jahrhundert holen.

 

Berlin erhält insgesamt 257 Mio. Euro. Zusammen mit landeseigenen Mitteln für die Digitalisierung werden in diesem Jahr rund 38 Mio. Euro in die knapp 800 Berliner Schulen investiert. Um diese Mittel zu erhalten, muss jede Schule ein Medienkonzept erstellen und sich damit um eine Förderung bewerben. Es ist vorgesehen, dass der Schulträger den Antrag mit einem IT-Entwicklungskonzept und einem Konzept über die Sicherstellung von Wartung, Betrieb und Support der schulischen IT-Infrastruktur ergänzt. Die Senatsverwaltung für Bildung hat dementsprechend eine Beratungs- und Unterstützungsstelle eingerichtet, die bei der Umsetzung helfen soll. Der Mittelabfluss erweist sich jedoch als schwerwiegendes Problem. Bundesweit wurden bisher lediglich unter 200 Mio. Euro der insgesamt 5 Mrd. Euro abgerufen. Auch in Berlin sind beim Digitalpakt in der Senatsverwaltung und in den Bezirken die gleichen Probleme zu erkennen, wie auch bei anderen größeren Investitionsprogrammen und Verwaltungsmaßnahmen. Dieser Zustand kann niemanden zufrieden stellen.

 

Doch die Digitalisierung wartet nicht auf gesetzgeberische Vorgaben. Schon jetzt existieren an einigen Schulen in Deutschland Kooperationen mit IT-Unternehmen. Konzerne wie Samsung, Apple, Google und Microsoft haben die Leerstellen in der Bildungsinfrastruktur entdeckt und Schulen, die darunter leiden, dass ihre Lehr-und Lernmaterialien den Sprung ins 21. Jahrhundert noch nicht geschafft haben, nehmen diese Zusammenarbeit an. Es ist einerseits davon auszugehen, dass durch die im Zuge des DigitalPakts freigewordenen Mittel Schulen viel stärker als bisher in die technische Ausstattung investieren werden. Das führt dazu, dass sich die schulische Infrastruktur grundsätzlich ändert. Das ist per se nichts Schlechtes. Die Schulen sehen sich in der Notwendigkeit, ihre Infrastruktur so zu ändern, dass sie zu den lebensweltlichen Erfahrungen der darin lernenden Schüler*innen passt. Nur muss darauf geachtet werden, dass sich Schulen durch die Festlegung auf bestimmte Produkte nicht von einzelnen IT-Unternehmen abhängig machen. Denn andererseits reicht die finanzielle Unterstützung an vielen Schulen längst nicht aus, um die durch Investitionsstaus oder Kürzungen des Bildungsetats hervorgerufenen löchrige Infrastruktur für die digitale Bildung auszustatten. Dies hat zur Folge, dass Schulen auch trotz des Digitalpaktes mit IT-Unternehmen kooperieren. Bisweilen sind es auch Schulen, die sich auf eigene Faust bei Digitalfirmen bewerben, um Lehrkäftefortbildungen oder Ausstattung zu erhalten. In einigen Bundesländern braucht es nur die Zustimmung der Schulleitung, in anderen die des Schulträgers. Nicht nur dass diese Kooperationen das Werbeverbot untergraben, indem ausschließlich ein (oder einige wenige) Anbieter die technische Infrastruktur bestimmt und so die Schüler*innen einseitig beeinflusst. Vielmehr kann die Verwendung digitaler Endgeräte mit darauf abgestimmten Programmen zu einer Monopolstellung führen, die den direkten Zugriff auf personenbezogene Daten der Schüler*innen ermöglicht. Durch die im Schulalltag eingesetzten Geräte und Programme lassen sich Datenströme sammeln, die wiederum Aussagen über das Verhalten der Schüler*innen zulassen. Das gilt es zu verhindern! Datensouveränität und europäische Datenschutzstandards müssen daher im Kontext des DigitalPakts mitgedacht und von staatlicher Seite garantiert werden. Dass IT-Unternehmen ihre Produkte anbieten, um Bildung zu digitalisieren, ist in Ordnung. Nur ist es Aufgabe der politischen Entscheidungsträger*innen, dafür zu sorgen, dass dies im Einklang mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag und nicht aufgrund kapitalistischer Interessen geschieht. Das Zusammenwirken von IT-Firmen und Schulen muss letztlich von vornherein politisch vorgegeben werden – unabhängig vom DigitalPakt. Denn Bildung in der digitalen Welt unterscheidet sich letztlich im Kern nicht von der analogen: ihre Organisation muss weiterhin staatliche Aufgabe sein. Neben technischen Geräten und Software gibt es immer wieder vermehrt Verlage, die Schulbücher auch digital anbieten. Diese Entwicklung ermöglicht nicht nur einen besseren und interaktiveren Umgang mit Schulbüchern, sondern auch das Sparen von viel Papier. Gleichzeitig sind es jedoch die Schulbuchverlage, die hierbei monopolartig den Markt und die Möglichkeiten bestimmen. Die Länder müssen hier das digitale Arbeitsblatt selbst in die Hand nehmen und während der Erstellung von Rahmenlehrplänen die Vorraussetzungen für digitale Lernmaterialien schaffen.

 

An der Bildung in Schulen sind nicht nur Lehrerinnen und der Senat beteiligt. Wir Jusos stehen für die Demokratisierung aller Lebensbereiche, so auch die Demokratisierung von Schule. Schülerinnen und Eltern müssen in den konkreten Prozess, wie Digitalisierung in den Schulen vorangetrieben wird, eingebunden werden. Die Einbindung der Schülerinnen ist zwingend notwendig, um die Praktibilität, Nutzerinnenfreundlichkeit aber auch Akzeptanz zu garantieren. In Schulen, in denen es eine Schülerinnenvertretung gibt, muss diese hinzugezogen werden, auch bevor Entscheidungen fallen. In Schulen ohne Schülerinnenvertretung muss eine gesamtschulische Lösung gefunden werden. Sobald es um den Umgang mit Daten von Schüler*innen als auch gravierende Veränderungen der Lernwelt geht, müssen auch die Eltern frühzeitig eingebunden werden.

 

Wir fordern daher von den sozialdemokratischen Mitgliedern der SPD-Abgeordnetenhausfraktion sowie der Senatorin für Bildung, Jugend und Familie:

  • die Einbindung von Schülerinnen und Eltern in jedem Schritt der Entscheidungsfindung gewährleistet werden. Hierbei soll gezielt auch mit den gewählten Vertretungen wie dem Landeseltern- und dem Landesschülerinnenausschuss gearbeitet werden. Zudem sollen die Rechte der Schulkonferenz dahingehend ausgebaut werden, als dass §76 (1) des Schulgesetzes des Landes Berlin um Entscheidungs- und Anhörungskompetenzen der Schulkonferenz bei Fragen, die den Prozess der Digitalisierung an der Schule betreffen, erweitert wird
  • dass eine gesetzliche Vorgabe erarbeitet und verabschiedet wird, die eine Zusammenarbeit von IT-Unternehmen und Schulen nur nach Einverständnis durch die Senatsverwaltung für Bildung und unter Vorlage der entsprechenden Verträge
  • dass ein gesetzlicher Rahmen an Mindestanforderungen aufgestellt wird, die erfüllt sein müssen, damit die Senatsverwaltung für Bildung Einverständnis erteilt
  • dass über die bereits geplante Personalaufstockung hinaus weitere Stellen zeitnah geschaffen werden, die die an den Berliner Schulen eingesetzten Geräte/Software unter Einbezug des Medienkonzepts konstant pädagogisch betreuen und evaluieren
  • dass die Entwicklung von Medienkonzepten sowie Fortbildungsplanungen der Kollegien von den zuständigen IT-Betreuer*innen zusammen mit pädagogischen Fachleuten angeleitet und in regelmäßigen Abständen mithilfe von einem aufzustellenden Qualitätsraster überprüft wird
  • dass das Land Berlin nach alternativen Unternehmen sucht und diese den Schulen gegenüber kommuniziert
  • dass die Personalsituation und die internen Verwaltungsprozesse so anzupassen sind, dass in diesem Kalenderjahr der erste Mittelabfluss der Fördergelder gewährleistet ist
  • dass das Land Berlin aus dem bestehenden Anbieter*innen-Pool eine nicht-kommerzielle Lehr- und Lehrplattform als Standard für alle allgemein bildenden Schulen definiert, die höchsten Datenschutz-Anforderungen genügt. Entspricht keine bereits existierende Lehr- und Lernplattform diesen Anforderungen, muss das Land eine entsprechende Plattform entwickeln bzw. entwickeln lassen
  • dass das Land Berlin (ggf. in Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern) neue Lösungen und Verfahren für digitale Lernmaterialien erarbeitet. Hierzu können Kooperationen mit Schulbuchverlagen, genauso wie die Erstellung neuer Lernmaterialien und neue Konzepte für digitale Lernumwelten zählen
Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt bei Annahme Neufassung 64/I/2020 (Konsens)