Die gegenwärtige COVID-19 Pandemie hat unsere Art und Weise, wie wir arbeiten, unsere Freizeit gestalten, lernen, unsere Angehörigen pflegen und wie wir miteinander kommunizieren auf dem Kopf gestellt. Doch nicht alle Menschen waren von den sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sowie der Pandemiemaßnahmen gleichermaßen betroffen. Die Ungleichverteilung der wirtschaftlichen Last der sozialen und wirtschaftlichen Folgen wird unter anderem bei der Betrachtung der Entwicklung von Arbeits- und Kapitaleinkommen deutlich: Während viele Menschen durch den Wegfall des Arbeitsplatzes, Bezug von Kurzarbeiter*innengeld oder das Ausbleiben von Kund*innen bei freiberuflicher oder gewerblicher Tätigkeit erhebliche Einkommenseinbußen erleiden und verkraften mussten, bezogen Aktionär*innen und Gläubiger*innen weiterhin kräftige Dividenden und Zinszahlungen – auch als der Staat Unternehmen mit Milliarden Euro finanziell unter die Arme gegriffen hat.
Die Ungleichverteilung der wirtschaftlichen Last der COVID-19 Pandemie hat den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital deutlich vorgeführt. Es waren wie in der jeder wirtschaftlichen Krise die schwächsten Mitglieder unser Gesellschaft, die die Kosten der Krise tragen mussten. Bestehende Ungleichheiten in unser Gesellschaft wurden und werden dadurch weiter vertieft, denn besonders Reiche beziehen einen Großteil ihrer Einkommen aus Kapitalerträgen wie Dividenden und Zinsen. Verstärkt wird die Ungleichheit durch die Privilegierung der Kapitaleinkünfte durch die im Zuge der Unternehmenssteuerreform 2009 eingeführte Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte. Seitdem werden Kapitaleinkünfte nicht mehr mit dem persönlichen Einkommensteuertarif besteuert, sondern pauschal zu 25 Prozent (ggf. kommen noch Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 Prozent (effektiv 1,375 Prozent) und die Kirchensteuer hinzu). Wir empfinden die steuerliche Ungleichbehandlung von Arbeits- und Kpitaleinküften als ungerecht. Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen ist diese Ungerechtigkeit für uns erst recht nicht mehr haltbar!
Die durch die Steuerreform geschaffene Ungerechtigkeit hatten wir Jusos bereits durch unseren Bundeskongressbeschluss 2008 in Weimar (N 6 – LV RLP, Die Unternehmenssteuerreform der Großen Koalition – keine GROSSE Reform! – Flat Tax – Nein Danke!) öffentlich kritisiert: Eine pauschale Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent diskriminiert Arbeitseinkünfte gegenüber Kapitaleinkünften. Sie führte hierbei zu einer Abkehr des Leistungsfähigkeitsprinzips in Deutschland, wonach jede*r in Deutschland ansässige Steuerzahler*innen nach Maßgabe seiner individuellen ökonomischen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung staatlicher Leistungen beitragen. Mit anderen Worten: Starke Schultern sollen und können mehr tragen als schwache. Die Besteuerung von Kapitaleinkünften orientiert sich nicht mehr an der finanziellen Leistungsfähigkeit der Steuerzahler*innen. Durch die pauschale Abgeltungsteuer werden Steuerzahler*innen mit hohen Kapitaleinkünften begünstigt. In Zahlen ausgedrückt: Ab 2009 sank die Belastung für Kapitaleinkünften auf 26,4 Cent (zzgl. Solidaritätszuschlag) für jeden zusätzlichen Euro über 60.000 Euro. Vor 2009 belief sich die Einkommensteuer (zzgl. Solidaritätszuschlag) sowohl auf Arbeits- wie auch auf Kapitaleinkünften von mehr als 60.000 Euro auf einheitlich 44,3 Cent.
Die Einführung der pauschalen Abgeltungsteuer lag der Begründung zu Grunde, den Abfluss von bis dahin entgangenen steuerpflichtiger Kapitalerträge weniger Attraktiv zu gestalten. Die vergangenen Jahre haben jedoch gezeigt, dass abgesenkte Steuersätze der Steuerhinterziehung keine Grenze aufsetzen. Durch die Abgeltungswirkung kam es zudem zu einer ungerechten Verteilung des Steueraufkommens zwischen den Bundesländern. Die abgeltende Wirkung führte zu einer Entkoppelung der Besteuerung vom Wohnsitz der Steuerzahler*Innen. Somit fand die Besteuerung ihren Anknüpfungspunkt an der abführenden Stelle, somit bei den Banken und Finanzdienstleister, die sich innerhalb eines Ortes wie Frankfurt am Main ballen, statt. Dies verzerrt das örtliche Steueraufkommen.
Um das deutsche Steuersystem seiner Aufgabe zur gerechten Verteilung der Steuerlast wiederzugeben, ist die Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünften hinzu einer Besteuerung auf Basis der individuellen Leistungsfähigkeit unabdingbar. Zwar hat die aktuelle Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 die Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Zinserträge festgehalten. Die Abschaffung steht jedoch unter dem Vorbehalt der Etablierung des internationalen automatischen Informationsaustauschs über Finanzkonten zwischen den nationalen Steuerbehörden. Obwohl Deutschland bereits mit zahlreichen Ländern einen automatischen Informationsaustausch vereinbart hat, ist seit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags nichts passiert. Außerdem beschränkt sich die geplante Abschaffung nur auf Zinserträge. Dies ist für uns nicht ausreichend: Um das Steuersystem gerechter und progressiver zu gestalten, muss die Abgeltungsteuer auf sämtliche Kapitaleinkünfte abgeschafft werden!
Wir verstehen die aktuelle COVID-19 Pandemie als Chance, unsere Gesellschaft gerechter, inklusiver, grüner und resilienter zu gestalten. Ein progressiv und gerechter gestaltetes Steuersystems kann einen wichtigen Beitrag hierfür leisten. Deshalb fordern wir Jusos:
- Die steuerliche Gleichbehandlung von Arbeitseinkommen und Kapitaleinkünften,
- die Abschaffung der Abgeltungsteuer auf alle Kapitalerträge wie Zinsen, Dividenden, Gewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren (wie z.B. Aktien und Anleihen) und die Besteuerung von Kapitalerträgen nach dem persönlichen Einkommensteuertarif,
- die Anhebung des derzeitigen Sparer*innenpauschbetrags von 801 Euro (bei gemeinsamer Veranlagung 1.602 Euro) auf 1.000 Euro (2.000 Euro),
- die Beibehaltung des Quellensteuerabzugsverfahrens (Vorauszahlung auf die Einkommensteuer) bei der Kapitalertragsteuer und eine pauschale Quellenbesteuerung in Höhe von 25 Prozent,
- eine datenschutzkonforme automatische Kontrollmitteilung der auszahlenden Stelle mit personenspezifischen Daten wie Name, Adresse, Steuernummer etc. an die zuständige Finanzbehörde,
- stärkere Bekämpfung von Steuervermeidung und -hinterziehung in diesem zusammenhang sowie
- die Aufstockung von Finanzbeamt*innen in Deutschland und bessere technische Ausstattung der Finanzbehörden