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Antrag 114/I/2022 Wir leben in einer reichen Gesellschaft, lasst uns diesen Reichtum gerecht verteilen – Erben für Alle!

17.05.2022

Vermögen sind in Deutschland extrem ungleich verteilt. Die wenigsten Menschen in Deutschland besitzen überhaupt nennenswerte Vermögenswerte und ein Teil besitzt sogar nur negatives Vermögen, also Schulden. Dagegen besitzt das vermögensreichste Prozent der deutschen Bevölkerung ca. 20 bis 35 Prozent des gesamtdeutschen Vermögens. Und den reichsten 10 Prozent der Bevölkerung gehören fast 60 Prozent des Gesamtvermögens. Die übrigen 90 Prozent der Bevölkerung müssen sich dann mit 40 Prozent des Vermögens abgeben. Hier hört die extreme Vermögenskonzentration aber nicht auf. Aufgrund der ungleichen Verteilung besitzt die vermögensärmere Hälfte der Bevölkerung nur ca. 2,5 Prozent des Vermögens. Das heißt, dass jede zweite Person in Deutschland über kein nennenswertes Vermögen verfügt.

 

Diese ungleiche Verteilung schlägt sich auch in internationalen Vergleichen nieder. Beim Vergleich der internationalen GINI-Indexe, welche ein Maß der Ungleichheit in einem spezifischen Land angeben, zeigt sich, dass Deutschland sich im oberen Drittel der vermögensungleichen Länder bewegt. Doch wie setzt sich dieses Vermögen zusammen? Auch hier gibt es wieder eine große Ungleichheit zwischen den einzelnen Vermögensgruppen. So hat die untere Hälfte der Vermögensverteilung im Durchschnitt ein Vermögen in Höhe von 11.000 Euro, welches zum größten Teil aus Geldanlagen (z.B. Bargeld und Spareinlagen auf dem Bankkonto) besteht. Danach spielt auch noch das eigene Fahrzeug und Wohneigentum eine Rolle. Je größer das durchschnittliche Vermögen, desto mehr verändern sich die Vermögensbestandteile. So besteht das Vermögen der oberen 25 Prozent vor allem aus Wohneigentum. Hierbei liegt das durchschnittliche Vermögen bei ca. 330.000 Euro. Wenn aber die vermögensreichsten 1,5 Prozent der Bevölkerung mit einem Durchschnittsvermögen von 3,1 Millionen Euro näher betrachtet werden, fällt auf, dass hier vor allem ein weiterer Faktor den Hauptbestandteil des Vermögens ausmacht, nämlich Betriebsvermögen.

 

Vermögensungleichheit hat aber noch andere Dimensionen als die Ungleichheit zwischen den Top 10 Prozent der Bevölkerung und den restlichen 90 Prozent. So ist eine Vermögensbildung vor allem dem männlichen Teil der Bevölkerung vorenthalten. Frauen besitzen hingegen deutlich weniger Vermögen. Auch in heterosexuellen Partner*innenschaften besitzen Männer häufiger den Großteil des Vermögens. Dadurch kommt es oftmals zu Zementierung von veralteten Rollenverteilungen und Machtstrukturen.

 

Diese extrem hohen Vermögen kommen aber nicht aus dem Nichts und sind auch selten selbst erarbeitet. Vielmehr sind sie das Resultat von Erbschaften. Jedes Jahr werden in Deutschland rund 400 Milliarden Euro vererbt. Davon wurden im Jahr 2020 in Deutschland 602 Erbschaften oder Schenkungen von mehr als 10 Millionen Euro getätigt. Im Durchschnitt erbt eine Person im Laufe ihres Lebens rund 85.000 Euro. Das hört sich zwar zuerst nach viel an, aber wie auch schon die Vermögen sind Erbschaften und Schenkungen in Deutschland sehr ungleich verteilt. So erben die unteren 50 Prozent der Einkommensverteilung ca. 32.000 Euro im Schnitt, während die 1 Prozent einkommensstärksten im Schnitt 772.000 Euro erben. So kommt es dazu, dass die oberen 10 Prozent der einkommensstärksten Person ca. 50 Prozent der Gesamterbmasse in Deutschland ausmachen. Ähnlich sieht es auch bei den Vermögensschenkungen aus. Je höher das eigene Einkommen, desto eher werden auch Immobilien und Betriebe der nächsten Generation vermacht.

 

Wirtschaftliche und politische Macht begrenzen!

Hohe Vermögen sind Ausdruck illegitimer wirtschaftlicher Macht. Gesellschaftlich relevante Wirtschaftsgüter und Produktionsmittel werden durch Erbschaften auf Individuen übertragen, ohne dass diese jemals etwas dafür getan haben oder an der Entstehung des geerbten Vermögens beteiligt waren. Kein Vermögen wurde durch ein Individuum allein geschaffen. Es waren immer viele Menschen und die Gesellschaft an der Entstehung beteiligt. Durch die Übertragung der Verfügungs- und Entscheidungsgewalt können die Erb*innen in der Regel frei über das geerbte Vermögen verfügen – und es nach eigenem Gutdünken nutzen. Die Gesellschaft bleibt bei der Entscheidungsfindung außen vor. Diese individuelle wirtschaftliche Macht ist mit unserem Verständnis eines demokratischen Sozialismus nicht vereinbar: Nicht das Individuum sollte über relevante Wirtschaftsgüter und Produktionsmittel entscheiden, sondern die Gesellschaft! Deshalb sollten Erbschaften weitgehend an das demokratische Gemeinwesen – und somit an die Gesellschaft – zurückgegeben werden müssen.

 

Gleichzeitig verfügen Erb*innen über illegitime politische Macht. Durch Erbschaften werden nicht nur üppige Vermögen an die nächste Generation weitergegeben, sondern auch politische Macht. Diese hohe Konzentration von Vermögen entlang familiärer Stammbäume gefährdet unsere Demokratie und läuft den demokratischen Prinzipen zuwider. Die Vererbung von hohen Vermögen geht auf eine Zeit zurück, in der der Adel und der Klerus das gesamte relevante Vermögen besaßen. Feudale Strukturen wollen wir nicht mehr haben! Ein Blick in die USA genügt, um den Zusammenhang zwischen hohen Vermögen und politischer Macht zu verstehen: Amerikanische Milliardär*innen erkaufen sich durch Millionenspenden an politische Kandidierende politischen Einfluss und können ihre wirtschaftliche Macht nutzen, um den öffentlichen Diskurs zu ihren Gunsten zu gestalten. Eine progressive Erbschaftssteuer kann hier korrigierend eingreifen. Sie kann den politischen Einfluss durch hohe Vermögen reduzieren, die politische Ungleichheit senken und gleichzeitig den fairen demokratischen Willensbildungsprozess stärken. Es ist Zeit, wirtschaftliche und politische Machtverhältnisse zu demokratisieren!

 

Jedes Vermögen hat eine Geschichte – aber nicht immer eine positive!

Klaus-Michael Kühne (39,9 Milliarden Euro), Susanne Klatten (29 Milliarden Euro) und Stefan Quandt (23,3 Milliarden Euro) sind drei der fünf reichsten Deutschen und haben neben ihrem unvorstellbaren Vermögen vor allem den Ursprung desselben geerbt. Kühne ist der Erbe eines Logistikunternehmens, das während des dritten Reichs dank bester Verbindungen zu Gestapo die geraubten Besitztümer von vertriebenen und ermordeten Jüd*innen transportierte. Klatten und Quandt, die BMW-Erb*innen, profitieren bis heute von während der NS-Herrschaft durch Zwangsarbeit, Raub und Kriegsprofiten erwirtschafteten Geld. Damit sind sie nur die reichsten Beispiele in einer Erb*innengenerationen, deren Vermögen seinen Ursprung im Nationalsozialismus hat oder im dritten Reich stark vermehrt werden konnte. Auch Kolonialvermögen wird bis heute in den „alten Handelsfamilien“, die am meisten von der Ausbeutung deutscher Kolonien im Kaiserreich profitieren weitervererbt. Sarotti-Schokolade, Familie Wöermann aus Hamburg oder die Erb*innen der Helbig Brennereien sind einige prominente Beispiele, bei denen sich das blutig geraubte Vermögen der Kolonien bis heute auf den Konten der Erb*innen befindet.

Der Blick in den Ursprung vererbten Vermögens und in die deutsche Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, dass dieses Vermögen nicht in den Täter*innenfamilien verbleibt, sondern im besten Fall zurück in die Gesellschaft überführt wird. Unrechtmäßig erworbenes Vermögen darf nicht durch Vererbung und Abwälzung der Schuld auf die vorherigen Generationen legitimiert werden.

 

Chancengleichheitsfonds aufsetzen – Chancengleichheit fördern!

Es ist uns zudem ein Herzensanliegen, die Chancenungleichheiten junger Erwachsene abzubauen. Für diese Chancenungleichheiten ist kein*e junger Erwachsene*r verantwortlich, sondern sie in werden von ihren Eltern weitervererbt. Erbe und Schenkungen sind mitunter die größten finanziellen Starthilfen, die einem jungen Erwachsenen mit auf den Weg gegeben werden können. Denn eine Ausbildung oder ein Studium fällt leichter, wenn man sich nicht zuallererst Gedanken darüber machen muss, ob man sich einen Umzug in eine andere Stadt, die Miete für das WG-Zimmer oder die Lebensunterhaltungskosten während der Ausbildung leisten kann.

 

Wir treten für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen ein, in der die Chancen nicht von der Landeslotterie abhängen. Von ihr profitieren nur sehr wenige Menschen. Jede*r sollte die gleichen Chancen im Leben haben, unabhängig vom Geldbeutel und Netzwerken der Eltern. Wir wollen das Vermögen einiger weniger auf die gesamte Gesellschaft umvererben, um jungen Erwachsenen auf der einen Seite einen finanziellen Boost zum Start ins Leben zu geben und andererseits Ungleichheit fördernde Strukturen zu bekämpfen. Eine Möglichkeit, sie zu bekämpfen bietet ein Grundvermögen für junge Menschen, das wir durch ein Gesellschaftserbe gewährleisten wollen. Dieses würde den GINI-Index in Deutschland um fünf bis sieben Prozent senken. Mit dem Gesellschaftserbe für junge Menschen wird Handlungsspielraum für junge Menschen gewährleistet und Chancengleichheit gefördert.

 

Das Gesellschaftserbe wollen wir über ein Chancengleichheitsfonds für junge Menschen finanzieren. Er soll junge Menschen unterstützen, sich unabhängig der finanziellen Realität ihrer Eltern bestmöglichst persönlich und beruflich entfalten zu können.

 

Das Ziel des Chancengleichheitsfonds ist zweigliedrig:

  • Zum Einem sollen aus dem Großteil des Fonds öffentliche Leistungen und Güter finanziert werden, die im Allgemeinen die Chancengleichheit fördern, wie zum Beispiel Bildungsprojekte, Austauschprogramme, Ausbildungs- und Studienprogramme. Dazu gehört auch der Aufbau einer Infrastruktur im städtischen wie im ländlichen Raum, die jungen Erwachsenen zum Start ihres Studiums oder der Erwerbstätigkeit den Zugang zu ihren Ausbildungsstätten erleichtert. Dies können z.B. Wohnbauprojekte zur preiswerten, ausbildungsnahen Unterbringung sein.
  • Zum Anderen soll allen berechtigten jungen Erwachsenen anlässlich ihres 18. Geburtstags ein Gesellschaftserbe in Höhe von 20.000 Euro ausgezahlt werden. Der Betrag ist nicht zurückzuzahlen und passt sich der Inflationsentwicklung an. Ein gesonderter Antrag muss nicht gestellt werden. Eine Bedarfsprüfung findet nicht statt. Zwar werden so einige das Gesellschaftserbe erhalten, die darauf nicht angewiesen sind. Dies nehmen wir jedoch in Kauf, wenn dafür im Gegenzug sichergestellt ist, dass niemand vom Erhalt ausgeschlossen wird, nur weil er*sie nicht die Ressourcen hatte, um einen Antrag auszufüllen oder ähnliche bürokratische Hürden zu überwinden. Dabei soll das Gemeinschaftserbe nicht zulasten bereits bestehender Sozialleistungen und Unterstützungssysteme, wie z.B. dem BaFöG, gehen. Diese bleiben unverändert bestehen. Neoliberalen Streichungsfantasien, die oft mit Vorschlägen für ein bedingungsloses Grundeinkommen einhergehen, erteilen wir eine klare Absage. Wir müssen als Gesellschaft begreifen, dass eine Investition in die Bildung und die Startchancen von jungen Erwachsenen sich langfristig auszahlt und und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert.

 

Erbschaftssteuer erhöhen – Vermögen gerecht verteilen!

Der Chancengleichheitsfonds  soll durch eine progressive Erbschaftssteuer finanziert werden. Die Erbschaftsteuer belastet den Erbfall, also den Übergang eines Vermögens der verstorbenen Person auf eine bzw. mehrere Personen (Erb*innen). Sie ist von den Erb*innen bzw. der Erb*innengemeinschaft zu entrichten. Neben der Erbschaft, müssen auch das Vermögen von Familienstiftungen, Zweckzuwendungen und Schenkungen unter Lebenden besteuert werden, da andernfalls die Erbschaftsteuer durch eine Schenkung umgangen werden kann, wenn sie dem Erbfall vorausgeht.

 

Erbschaftsteuerpflichtig ist das inländische sowie das ausländische Nettovermögen, d.h. das Vermögen abzüglich bestehender Lasten und Verpflichtungen des Erblassers. Das geerbte Vermögen kann sich je nach Fall unterschiedlich zusammensetzen. Wohingegen bei Erbschaft bzw. Schenkung liquider Mittel wie Bargeld, Liquidität zur Begleichung der Steuerschuld vergleichsweise einfach aus dem Vermögenszugang beschafft werden kann, können diese Mittel zur Steuerzahlung bei der Übertragung von Wirtschaftsgütern, wie zum Beispiel Betriebsvermögen und Immobilien, fehlen. Das möglicherweise Fehlen liquider Mittel zur Begleichung der Steuerschuld wird seit jeher von vielen Neoliberalen und Familienunternehmer*innen als Gefahr für den weiteren Bestand des Betriebes angeführt und emotional medienwirksam gestreut. Dieses Narrativ spiegelt sich im aktuellen Erbschaftsteuerrecht wider: Das Erbschaftsteuerrecht räumt unter bestimmten Voraussetzungen Betriebsvermögen umfangreiche Ausnahmen von der Besteuerung ein. Hier besteht eine ungleiche Besteuerung von Betriebsvermögen und zum Beispiel liquider Mittel im Erbfall oder bei Schenkung. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Artikel 3 Grundgesetz, dem Gesetzgeber bereits mehrfach zu einer weitreichenden Reform der Erbschaftsteuer aufgefordert, was bis heute in weiten Teilen nicht erfolgte.

 

Um mehr Erbschaftsteueraufkommen zu generieren, werden Ausnahmen für Betriebsvermögen abgeschafft und schädliche Gestaltungsmöglichkeiten wie zum Beispiel durch die Gründung von Familienstiftungen steuerlich nicht anerkannt.

 

Der einmalige Freibetrag im Leben beträgt eine Million Euro pro Person. Der Freibetrag wird regelmäßig an die Inflationsentwicklung angepasst und gilt für alle Verwandtschaftsgrade und auch für Schenkungen. Er wird um den Betrag gekürzt, den die Person als Gesellschaftserbe bereits erhalten hat (z.B. 1.000.000 – 20.000 Euro = 980.000 Euro). Das geerbte Nettovermögen vermindert um den Freibetrag ist das zu versteuernde Erbvermögen. Das zu versteuernde Erbvermögen unterliegt der Erbschaftssteuer in Höhe von 100 Prozent. Auf Antrag ist eine Stundung der zu zahlenden Erbschaftssteuer für bis zu zehn Jahre möglich. Unter bestimmten Voraussetzungen, zum Beispiel bei Betriebsvermögen oder später auftretenden finanziellen Schwierigkeiten, wird eine Stundung von bis zu 20 Jahren gestattet. Die gestundete Steuer ist zu verzinsen.

 

Um eine progressive Erbschaftssteuer durchzusetzen, müssen Vermögen transparent und effektiv erfasst werden. Zu diesem Zweck wird ein weltweites Vermögensregister eingerichtet, das alle verfügbaren Quellen des Vermögensbesitzes (z.B. Betriebsvermögen, Firmenanteile, Wertpapiere, Grundstücke, Yachten usw.) erfasst und verknüpft. Hier sollen die wahren Eigentümer*innen des Vermögens erfasst werden. Das Vermögensregister soll auch den Kampf gegen Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung erleichtern. Es soll auch mehr Transparenz über das Vermögen schaffen.

 

Internationale Zusammenarbeit ausbauen!

Noch nie war das Kapital so mobil und global wie heute! Gleichzeitig enden die länderspezifischen Gesetze und die Verwaltungsbefugnisse der Finanzbehörden an den jeweiligen Landesgrenzen – kurzum: Ein leichtes Spiel für Vermögende, um Steuern zu vermeiden und tatsächliche Vermögensverhältnisse zu verschleiern! Es ist an der Zeit, dass auch Steuergesetze und Finanzverwaltungen transnationaler und globaler und internationale Besteuerungsrechte gerechter unter den Ländern verteilt werden! Dazu müssen die Steuerverwaltungen enger zusammenarbeiten und steuerrelevante Informationen austauschen. Die länderspezifischen Steuersysteme müssen weltweit transparenter, gerechter und umfassender harmonisiert werden, um Steuerdumping auf Kosten der Allgemeinheit zu beenden, damit die Vermögenden weltweit ihren gerechten Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Dies erfordert, dass internationale Steuerfragen auf der Ebene der Vereinten Nationen diskutiert und entschieden werden und nicht mehr im Club der reichen Länder wie der OECD, G20 und G7. Sie sind nach den Analysen von Tax Justice Network durch ihre Steuersysteme auch für 99,4 Prozent aller weltweiten Steuerausfälle verantwortlich.

 

Wir leben in einer reichen Gesellschaft, lasst uns diesen Reichtum gerecht verteilen – Erben für Alle!

Wir fordern deshalb die:

  • Einführung einer progressiven Erbschaftssteuer mit einem einmaligen Freibetrag in Höhe von einer Million Euro,
  • Einrichtung eines deutschlandweiten Vermögensregisters, bei dessen Ausgestaltung auf Missbrauchssicherheit geachtet werden muss. Eine europa- sowie weltweite Erweiterung dieses Registers, soll langfristige Perspektive werden,
  • Vertiefung der internationalen Zusammenarbeit in Steuerangelegenheiten,
  • Stärkung der Finanzverwaltung zur effektiven Bekämpfung von Geldwäsche, Steuervermeidung und -hinterziehung,
  • Einrichtung eines Chancengleichheitsfonds, das aus den Einnahmen der progressiven Erbschaftssteuer finanziert wird,
  • Auszahlung eines jährlich an alle 18-Jährigen auszuzahlenden Gesellschaftserbes in Höhe von 20.000 Euro aus dem Chancengleichheitsfonds und
  • Finanzierung von öffentlichen Gütern und Leistungen, die die allgemeine Chancengleichheit fördern.

 

 

Antrag 116/I/2022 Produktions-und Humanitärkrisen präventiv verhindern II

17.05.2022

Die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung werden dazu aufgefordert, umgehend Maßnahmen zu erlassen, die eine deutlich striktere Regulierung mit Nahrungsmitteln und Nahrungsmittelrohstoffen an den Finanzmärkten zum Ziel haben zur Eindämmung möglicher Spekulationsblasen von Lebensmitteln.

Antrag 117/I/2022 Geldwäsche erschweren, organisierte Kriminalität eindämmen.

17.05.2022

Die sozialdemokratischen Mitglieder des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung werden aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass gemäß der Empfehlung der Europäischen Kommission und dem Vorbild anderer EU-Staaten, in der Bundesrepublik Deutschland Käufe von Immobilien, sowie von hochpreisigen Waren und Dienstleistungen aller Art, nur noch mit Zahlungen über Bankkonten getätigt, also nicht mehr mit Bargeld beglichen, werden dürfen.

Antrag 118/I/2022 Ermäßigstes Volkshochschul-Entgelt (VHS) für Kurzarbeitergeldbezieher:innen

17.05.2022

Das Berliner Senat wird dazu aufgefordert, den Katalog des Ermäßigungstatbestandes der Ausführungsvorschriften über Entgelte der Berliner VHS (Nr. 7 AV Entgeltermäßigungen) um einen weiteren 13. Ermäßigungstatbestand (50% Rabatt) für Bezieherinnen von Kurzarbeitergeld zu ergänzen, welches nicht dem vollen Lohn entspricht.

Die derzeit geltenden Ausführungsvorschriften über Entgelte der VHS sind für Bezieherinnen von Kurzarbeitergeld nicht anwendbar.

Antrag 120/I/2022 Hebammennotstand bekämpfen: Faire Arbeitsbedingungen für Hebammen

17.05.2022

Der Beruf der Hebamme ist einer der ältesten „Frauenberufe“ der Welt. Trotz der elementaren Bedeutung dieses Berufs für die Gesellschaft haben Hebammen mit vielen Ungerechtigkeiten zu kämpfen: Sie werden zum Beispiel vergleichsweise niedrig vergütet trotz ihrer hohen Verantwortung für die Gebärenden und die Kinder. Hebammen fehlt es auch an Entscheidungsmacht während des Geburtsprozesses, da sie in Kliniken in der Hierarchie weit unter den Ärzt*innen angesiedelt sind. So dürfen sie viele Entscheidungen nicht selbstständig treffen, obwohl sie die Kompetenz dazu hätten, und müssen Ärzt*innen konsultieren. Meistens sind Hebammen für mehrere Geburten gleichzeitig verantwortlich und können dadurch keine persönliche und zeitintensive Betreuung garantieren, die während der Geburt so wichtig wäre. Diese Faktoren stellen alle einzeln, aber vor allem gemeinsam, eine enorme Belastung dar, die zu Burn-Out führen kann. Viele Hebammen erwägen, den Beruf ganz hinter sich zu lassen. In Deutschland herrscht bereits ein Hebammennotstand und Gebärende müssen um eine Betreuung bangen.

 

Ohne eine gerechte Behandlung von Hebammen und eine armutssichere Bezahlung kann keine professionelle und selbstbestimmte Geburt gewährleistet werden.

 

Ohne gute Arbeitsbedingungen für Hebammen kein selbstbestimmtes Gebären

Gebärende sollen selber entscheiden können, wie und wo sie gebären wollen. Selbstbestimmung im Geburtsprozess ist essentiell für einen gesunden und angenehmen Geburtsprozess und die Beziehung von Eltern und Kind. Diese Selbstbestimmung scheitert häufig schon an der Wahl des Geburtsorts. Theoretisch ist es das Recht der Gebärenden zu entscheiden, wo das Kind zur Welt kommen soll; praktisch ist dies dank Hebammennotstand häufig nicht möglich. Es gibt schlicht nicht überall genügend Hebammen, um schwangere Menschen vor Ort zu betreuen. Diese Notlage wird vor allem dadurch verschärft, dass ein Großteil der Hebammen ihren Beruf aufgrund der hohen Belastungen nicht in Vollzeit ausüben kann. Dabei ist dieses Problem auf keinen Fall nur eines im ländlichen Raum: Im bundesweiten Vergleich befindet sich Berlin auf dem vorletzten Platz, was die Verfügbarkeit einer Hebamme für das Wochenbett – also die Betreuung der Eltern durch die Hebamme während der ersten Wochen nach Geburt – angeht. Junge Eltern profitieren daher zu häufig nicht von der Expertise, die Hebammen ihnen bieten könnten.

 

Eine flächendeckend und ausreichend verfügbare Betreuung ist wichtig, damit werdende Eltern mit der Verantwortung wichtiger Entscheidungen bezüglich des Geburtsprozesses nicht alleine gelassen werden. Denn eine rein informative Aufklärung reicht oftmals nicht aus; geburtsmedizinische Entscheidungen müssen von Fachpersonal begleitet werden. Dafür braucht es eine funktionierende und vertrauensvolle Care-Beziehung zwischen werdenden Eltern und Hebamme. Das ökonomisierte Geburtshilfesystem verhindert oft flächendeckende Möglichkeiten funktionierender Care-Beziehungen. Daher ist es dringend nötig, dass sich die Arbeitsbedingungen für Hebammen verbessern, damit alle Personen so gebären können, wie sie wollen.

 

Akademisierung des Hebammenberufs

Mit dem 2020 beschlossenen Hebammengesetz, das einer EU-Richtlinie zur Angleichung der Standards der Geburtshilfe in Europa folgt, wird der Hebammenberuf bis 2027 vollständig akademisiert sein. Angehende Hebammen müssen daher von nun an zur Berufsvorbereitung ein Studium der Geburtshilfe abschließen. Wir unterstützen diese Entwicklung. Die Vorteile der Akademisierung liegen hierbei in der Aufwertung des Hebammenberufs, einem bundesweit einheitlichen Lehrplan und die damit einhergehende überall gleichwertige Wissensvermittlung und einer Berufsausbildung auf höchstem Niveau. Außerdem befähigt eine akademische Ausbildungen Hebammen dazu, selbst akademisch tätig zu werden.

 

In der Akademisierung der Geburtshilfe liegt daher die große Chance, Abläufe und Probleme des Berufs in einem institutionellen Rahmen aus der Perspektive der Hebammen zu analysieren und dadurch aktiv auf die Verbesserung der Geburtserfahrung von innen heraus hinzuwirken. Wir fordern in diesem Kontext vor allem Studien in Bezug auf Rassismus während der Geburt und den Umgang mit BIPoC-Gebärenden, sowie alternative Geburtsabläufe.

 

Verbesserung der Qualität der Ausbildung

Gute Arbeit kann nur gelingen mit einer guten Ausbildung. Momentan sind die meisten Kreißsäle so knapp besetzt, dass Studierende der Geburtshilfe während ihrer Praxiseinsätze nicht adäquat betreut und angeleitet werden können. Um eine gute Qualität der Ausbildung von Hebammen bzw. des praktischen Teils des Studiums zu garantieren, muss daher dafür gesorgt werden, dass flächendeckend ausreichend Praxisanleiter*innen in Kreißsälen zur Verfügung stehen. Wir fordern diesbezüglich die Schaffung von finanziellen Anreizen und niedrigschwellige Fortbildungen.

 

Folgen aus der Akademisierung auf die Arbeitsrealität der Hebammen

Aus der Akademisierung des Hebammenberufs kann sich konkret die Gesundheit aller Gebärenden verbessern: Durch fehlende Forschung müssen sich Hebammen in manchen Fällen auf ihr (oftmals richtiges) Bauchgefühl verlassen. Durch Forschung könnten sich Hebammen auf konkretes evidenzbasiertes Wissen stützen und demnach handeln. Dies führt auch zu einer Aufwertung des Hebammenberufs, da sich Hebammen auf ihre wissenschaftliche Ausbildung berufen können und so korrekterweise auf eine Stufe mit den anderen Berufsständen (insbesondere Ärzt*innen) in Kliniken gestellt werden. Die Entscheidungsverantwortung von Hebammen sollte so auch gestärkt werden, was Handlungsabläufe während des Geburtsprozess langfristig vereinfachen würde.

 

Wir fordern daher mehr Kompetenzen und mehr Entscheidungsverantwortung für Hebammen. Dies muss mit mehr Unterstützung für Hebammen einhergehen: Mehr Verantwortungslast bedeutet auch, dass mehr Assistenz im Kreißsaal notwendig ist, um die Hebammen zu entlasten. Wir fordern daher mehr assistierendes Personal im Kreißsaal wie administrative Hilfskräfte oder Reinigungspersonal.

 

Erwerb des nachträglichen Bachelorabschlusses

Während wir die Akademisierung der Hebammenausbildung begrüßen, geht daraus die Gefahr einer Spaltung des Berufs hervor. Ungleichheiten darf es innerhalb des Berufszweiges auf keinen Fall geben; eine Zwei-Klassen-Gesellschaft unter studierten und ausgebildeten Hebammen ist nicht akzeptabel. Unterschiedliche Bezahlungsstandards darf es unter keinen Umständen geben, auch die Flexibilität und Mobilität, die der standardisierte Abschluss bietet, muss allen Hebammen zugutekommen.

 

Um der Entstehung von Ungleichheiten zwischen verschiedenen Generationen an Hebammen entgegenzuwirken, braucht es daher flächendeckend Angebote für ausgebildete Hebammen, um nachträglich einen Bachelorabschluss zu erwerben.

 

Wir fordern daher ein Modell der Weiterbildung und der nachträglichen Aneignung des Bachelorabschlusses für bereits etablierte Hebammen wie das Hochschulsystem in der Schweiz es vorsieht: Der nachträgliche Erwerb eines akademischen Abschlusses ist für Hebammen in der Schweiz seit 2009 möglich. Um sich für den nachträglichen Bachelorabschluss zu qualifizieren, müssen schweizerische ausgebildete Hebammen mindestens zwei Jahre Berufspraxis vorweisen können. Zudem müssen sie ein Nachdiplom im Umfang von zehn ECTS an einer Hochschule erwerben.

 

Angelehnt an dieses System fordern wir für die Bundesrepublik eine Regelung zum niedrigschwelligen Erwerb des nachträglichen Bachelorabschlusses. Ausgebildete Hebammen mit mindestens zwei Jahren Berufserfahrung sollen demnach nach dem Bestehen von Modulen aus dem Komplex des wissenschaftlichen Arbeitens im Umfang von mindestens zehn ECTS an einer staatlich anerkannten Hochschule den Bachelorabschluss nachträglich erreichen.

 

Ökonomisierung der Geburtshilfe: Das DRG-System muss weg

Deutsche Kliniken rechnen über das Diagnosis-Related-Groups-System (DRG) ab. Dabei werden Patient*innen nach bestimmten Parametern (u. a. Diagnose, Prozeduren, Alter, Geschlecht, Verweildauer, Entlassungsart) in diagnosebezogene Fallgruppen eingeteilt. Die Klinik erhält dann pro Patient*in eine bestimmte begrenzte Fallpauschale. Besonders lohnend ist es hierbei für Kliniken möglichst viele Fälle abzurechnen, bei denen möglichst viele Interventionen vom Klinikpersonal durchgeführt wurden (z. B. Ultraschall, Röntgen, Verabreichung von Medizin, operative Eingriffe).

 

Geburten, die mit wenig Eingreifen der Hebammen (d. h. interventionsarm) und über einen längeren Zeitraum hinweg stattfinden, sind hierbei ein Minusgeschäft. Das Fallpauschalensystem setzt Hebammen unter Druck, möglichst viele Geburten in möglichst kurzer Zeit durchzuführen. Anstatt den natürlichen Prozessen einer Geburt Zeit zu geben, werden so Interventionen während der Geburt gefördert und öfter als notwendig eingesetzt, weil sie die Dauer der einzelnen Geburt verkürzen sollen und die Fallpauschale erhöhen. Zu diesen Interventionen gehören z. B. die künstliche Einleitung der Geburt, die Verabreichung von wehenfördernden oder schmerzlindernden Mitteln, vaginaloperativen Geburtsbeendigungen und Kaiserschnitte, die sich häufig in Form von Interventionskaskaden wechselseitig bedingen und jeweils weitere Interventionen nach sich ziehen.

 

Das hat neben dem immensen Druck für die Hebammen auch zur Folge, dass Gebärende während der Geburt verstärktem Stress ausgesetzt sind, oft das Gefühl haben nicht selbstbestimmt gebären zu können und Gewalterfahrungen unter der Geburt erleiden.

 

Geburten, die kapitalistischen Effizienzansprüchen genügen müssen, sind zutiefst unwürdig für Gebärende und Hebammen und haben z. T. verheerende mentale wie physische Folgen für Gebärende und sind damit nicht tolerierbar.

 

Das DRG- bzw. Fallpauschalensystem muss abgeschafft werden. Stattdessen muss eine Krankenhausfinanzierung eingeführt werden, die bedarfs- und qualitätsorientiert ist. Das neue System muss die individuelle Berechnung der erbrachten Leistungen und des zeitlichen Aufwands ermöglichen, damit auch zeitintensive Tätigkeiten, wie interventionsarme Geburten, entsprechend vergütet werden können. Gesundheitsversorgung gehört in die öffentliche Hand. Krankenhäuser sollten staatlich statt privat und profitorientiert betrieben werden.

 

Haftpflichtproblematik

Alle Tätigkeiten, die Hebammen durchführen, müssen versichert sein, denn sollten während der Geburt Fehler passieren und Gebärende oder Babys zu Schaden kommen, müssen deren Nachbehandlungen bezahlt werden. Das sind Kosten, die eine Hebamme selbst nicht stemmen kann. Eine Haftpflichtversicherung ist daher zwingend erforderlich.  Durch die Nachhaftung, die noch bis zu 30 Jahre nach der stattgefundenen Geburt greift, benötigen sie einen Versicherungsschutz, der jeden möglichen Geburtsschaden abdeckt. Durch die lange Verjährungsfrist kann es passieren, dass die Hebamme erst im Rentenalter davon betroffen ist. Dadurch entsteht eine unkalkulierbare Kostensituation. Während angestellte Hebammen im Regelfall über ihr Arbeitsstelle versichert sind, müssen freiberufliche Hebammen diese Versicherung selbst organisieren.

 

Nachdem Deutschlands freiberufliche Hebammen jahrelang unter den rapide steigenden Versicherungssummen gelitten und eine politische Lösung gefordert haben, wurde durch eine Gruppenversicherung Abhilfe geschaffen. Der Gruppenversicherungsvertrag zwischen dem Deutschen Hebammenverband (DHV) und dem auf dem Markt verfügbaren Versicherungskonsortium wurde kürzlich bis 2024 verlängert. Die Deckungssumme der Gruppenversicherung wurde 2020 zudem mit Blick auf die steigenden Kosten bei schweren Geburtsschäden auf 12,5 Millionen Euro angehoben.

 

Gruppenversicherung

Die Gruppenversicherung beschreibt eine Art der Versicherung, bei der eine Gruppe von Personen gemeinsam einen Versicherungsvertrag gegen ein bestimmtes Risiko abschließt. Freiberufliche Hebammen sind so über den DHV gegen Geburtsfehler und -schäden versichert.

Ein großer Vorteil der Gruppenversicherungen ist, dass Hebammen nun nicht mehr selbst haften, sondern über den Verband abgesichert sind. Finanzielle Entlastung bringt diese Regelung allerdings nur bedingt.

 

Sicherstellungszuschlag

Was jedoch eine echte Erleichterung der finanziellen Lage freiberuflicher Hebammen mit sich bringt, ist der Sicherstellungszuschlag. So erhalten Hebammen, die die notwendigen Qualitätsanforderungen erfüllen, auf Antrag einen Sicherstellungszuschlag ausgezahlt, der die Last der Haftpflichtversicherung lindern soll. Die Qualitätsanforderungen sehen hierbei vor, dass Hebammen jährlich mindestens vier Geburten betreuen; die Anforderungen sind also niedrigschwellig gehalten.

 

Etablierte Hebammen sind somit in großen Teilen von der finanziellen Last der Haftpflichtversicherung befreit; nur für Berufseinsteiger*innen stellt diese weiterhin ein Problem da, denn der Sicherstellungszuschlag kann nach frühestens sechs Monaten beantragt werden. Den Versicherungsbeitrag für die ersten sechs Monate der Arbeitszeit, welcher gut und gerne mehrere tausend Euro beträgt, muss die junge Hebamme selbst vorstrecken, was weiterhin eine Hürde darstellt. Hier besteht Nachbesserungsbedarf.

 

Auch die Abzüge, die Krankenkassen vom Sicherstellungszuschlag einziehen können, stellen weiterhin ein Problem da. Die Differenz zwischen dem ausbezahlten Sicherstellungszuschlag und der realen Haftpflichtprämie müssen freiberufliche Hebammen aus eigener Tasche zahlen.

 

Es bedarf daher einer Entbürokratisierung des Sicherstellungszuschlags, um vor allem berufseinsteigende Hebammen zu entlasten, sowie einer staatlichen Kostenübernahme der Differenz zwischen dem ausgezahlten Sicherstellungszuschlag und der tatsächlichen Haftpflichtprämie.

Geburtshilfe darf kein finanzielles Risiko für Hebammen sein!

 

Arbeitslast der Hebammen

Die Betreuung, die Hebammen in Versorgungseinrichtungen leisten, ist äußerst anspruchsvoll. In Deutschland ist es gängige Praxis, dass Hebammen mehrere Gebärende gleichzeitig bei der Geburt betreuen müssen. Dies ist mit hohem mentalen und physischen Stress verbunden. Nicht nur für die Hebammen, sondern ebenfalls für die Gebärenden. Die Zielsetzung, während des gesamten Geburtsprozesses eine Hebamme an der Seite zu haben, ist im Alltag allzu oft nicht realistisch. Eine deutschlandweite Umfrage aus dem Jahr 2015 ergab, dass fast die Hälfte der 1700 befragten Hebammen sich um drei (!) Geburten gleichzeitig kümmert. Aktuellere Zahlen aus dem Jahr 2017 liegen für Sachsen vor. Danach können 17,5 % der Hebammen tatsächlich eine Eins-zu-Eins-Betreuung gewährleisten, während mehr als 50 % mindestens zwei Geburten gleichzeitig betreuen müssen.

 

Der Hebammenmangel in Kliniken wurde bereits vor vielen Jahren von den Hebammenverbänden angeprangert und macht sich jetzt verstärkt bemerkbar. Um diesen Mangel zu beheben, ist es erforderlich die Arbeitsbelastung der Hebammen zu reduzieren, sodass der Beruf attraktiv ist und auch bleibt.

 

Für Gebärende ist die Geburt ein prägendes Erlebnis. Eine bestmögliche Betreuung vor, während und nach der Geburt kann nur durch nicht überlastete Hebammen erreicht werden. Dies steht im Interesse aller beteiligten Personen.

 

Der Koalitionsvertrag sieht eine Eins-zu-Eins-Betreuung während der Geburt vor. Wir fordern die rasche Umsetzung. Dies ist bei weitem kein utopisches Ziel. Das Vereinigte Königreich hat beispielsweise eine Eins-zu-Eins-Betreuung gesetzlich verankert und ihre Geburtshilfe darauf ausgerichtet. Hierfür muss es eine Refinanzierung der Kosten bis zu einer Erreichung des Eins-zu-Eins-Ziels geben. Konkret, ist es erforderlich, dass die Kosten für die Aufstockung erforderlicher Voll- und Teilzeit-Beschäftigter vom Bund getragen werden.

 

Zusätzlich zu der Umsetzung der Eins-zu-Eins-Betreuung müssen die Daten über die aktuell existierenden Betreuungsschlüssel durch die Versorgungsunternehmen transparent gemacht werden. Dies führt zu einem Informationsgewinn für Hebammen und gibt somit eine weitere Argumentationsgrundlage für die Verbesserung der existierenden Arbeitsbedingungen. Zusätzlich gibt es den Versorgungsunternehmen selbst Transparenz über die eigene Situation in den Kreißsälen.

 

Diese Forderung ist ein Schritt in die Richtung der Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Hebammen und der Verbesserung der Geburten. Langfristig ist eine Neuausrichtung des Gesundheitssystems erforderlich.

 

Forderungen

Die aktuellen Probleme für Hebammen sind groß, die Corona-Situation hat dies noch einmal deutlich vor Augen geführt. Die Zukunft muss den Hebammen die Möglichkeit geben, ihren gewählten Beruf ausüben zu können, ohne Existenzängste zu haben oder mentale oder physische Belastungen zu verspüren. Ihre Kompetenzen liegen in der Begleitung Gebärender vor, während und nach der Geburt und die Ausübung dessen muss ermöglicht werden.

 

Daher fordern wir konkret:

  • Hebammengeleitete Studien zur Verbesserung der Geburtserfahrung
  • Eine stärkere Förderung von Praxisanleiter*innen in Kreißsälen
  • Das niedrigschwellige Angebot zum Erwerb eines nachträglichen Bachelorabschlusses
  • Die Abschaffung des DRG- bzw. Fallpauschalensystems und Einführung einer Krankenhausfinanzierung, die bedarfs- und qualitätsorientiert ist
  • Maßnahmen zur Transparenz über aktuelle Betreuungsschlüssel in Kreißsälen
  • Die Entbürokratisierung des Sicherstellungsszuschlags
  • Eine Verminderung der Arbeitslast von Hebammen, v. a. durch eine flächendeckende Aufstockung an Stellen und durch eine verstärkte Förderung von Hilfspersonal in Kreißsälen
  • Die Eins-zu-Eins Betreuung für jede Geburt