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Antrag 189/I/2024 Betroffene von sexualisierter und häuslicher Gewalt besser schützen!

21.04.2024

Wenn es darum geht, unser Rechtssystem zu bewerten, muss dieses sich immer auch daran messen lassen, wie mit Opfern von Straftaten umgegangen wird. Es sollte selbstverständlich sein, dass gerade diejenigen, die Opfer einer Straftat werden, besonderen Schutz bekommen. Gerade Opfer von sexualisierter und häuslicher Gewalt werden allerdings nicht ausreichend geschützt. Die Zahl der Betroffenen von sexualisierter und häuslicher Gewalt steigt jedes Jahr an und betrifft besonders FINTA (Frauen*, Inter*, nicht-binäre und Trans*Personen). So wird fast alle zwei Minuten ein Mensch in Deutschland Opfer von häuslicher Gewalt. Jede Stunde werden mehr als 14 FINTA Opfer von Partnerschaftsgewalt. Gleichzeitig gibt es bundesweit pro Jahr mehr als 13.000 Anzeigen wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung – die Dunkelziffer nicht zur Anzege gebrachter Straftaten in diesem Bereich liegt vermutlich deutlich höher. Tagtäglich sehen sich FINTA mit sexuellen Übergriffen konfrontiert. Diese reichen von sexuellen Anspielungen und Blicken bis hin zu übergriffigen Nachrichten und Berührungen. Das Patriarchat wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus. Für das Justizsystem, welches maßgeblich von Männern für Männer schaffen wurde, gilt dies in besonderer Weise. Die strukturelle Misogynie und patriarchale Strukturen müssen dort und überall zerschlagen werden. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen muss dem Schutz der Opfer deswegen dringend mehr Aufmerksamkeit zukommen.

 

Retraumatisierende Vernehmungen verhindern

Oftmals werden Betroffene von sexualisierter Gewalt bei ihren Aussagen, die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens notwendig sind, retraumatisiert. Jede Aussage führt zu einer erneuten Konfrontation mit dem Geschehenen. Und selbst, wenn es dann zu einem Urteil kommt, ist es in der Regel so, dass das Verfahren in einer höheren Instanz erneut verhandelt wird, sodass dann erneut eine Aussage gemacht werden muss. Um den Betroffenen eine Aussage vor Gericht in mehreren Instanzen zu ersparen, wurde 2013 die Möglichkeit geschaffen, dass Verfahren, bei denen die mehrfache Befragung der Betroffenen zu erheblichen psychischen Belastungen führen kann, nicht beim Amtsgericht, sondern direkt beim höher instanzlichen Landgericht starten. In der Realität wird  diese Möglichkeit aber aufgrund von fehlenden Ressourcen und Personalmangel an den Landgerichten nicht genutzt. Vielmehr wird fast immer beim Amtsgericht angeklagt, sodass es in aller Regel zu Verfahren in zwei Instanzen kommt und die betroffene Person dann auch zweimal aussagen muss. Wir fordern daher, dass die Landgerichte besser ausgestattet werden, sodass eine zusätzliche Retraumatisierung mit allen Mitteln verhindert wird. Dieser Zweck kann auch durch eine konsequente Anwendung des § 58a StPO erreicht werden, indem die Aussage bereits bei der Vernehmung aufgezeichnet wird und bei der Gerichtsverhandlung abgespielt werden kann.

 

Psychische Belastung bei Gewaltschutzverfügungen verringern

In Deutschland finden jährlich zahlreiche Gewaltschutzverfahren statt, in denen Opfer von häuslicher oder sexualisierter Gewalt versuchen, Schutzmaßnahmen zu erwirken. Dabei besteht das deutliche Problem, dass bei Anhörungen im Rahmen dieser Verfahren die Betroffenen in der Regel gemeinsam mit den Täter*innen vor Gericht erscheinen müssen. Dies kann zu erheblichen psychischen Belastungen führen, da die Opfer direkt mit demjenigen konfrontiert werden, vor denen sie sich fürchten. Oftmals leiden die Betroffenen schon lange vor dem eigentlichen Tag der Anhörung vor wiederkehrenden Panikattacken und Schlafproblemen. Es besteht zwar die Möglichkeit, eine getrennte Anhörung zu beantragen, dies wird allerdings von den Gerichten häufig mit dem Verweis auf einen höheren Aufwand abgelehnt. Die potentielle Retraumatiseriung und der Stress, dem die Betroffenen ausgesetzt sind, wird häufig ignoriert.

Wir fordern deshalb, dass es auf Antrag der betroffenen Person, der nicht weiter begründet werden muss, ein Recht auf getrennte Anhörung gibt!

 

Häusliche Gewalt endlich auch vor den Familiengerichten berücksichtigen!

Ein weiteres Problem sehen wir darin, dass bei Familiengerichten häusliche Gewalt von den Richter*innen bei ihren Entscheidungen nicht angemessen berücksichtigt wird. Streiten sich etwa zwei Eltern um das Sorgerecht für ihr gemeinsames Kind, wird von häuslicher Gewalt betroffenen Partner*innen oft empfohlen diese Gewalt vor den Gerichten nicht anzusprechen, weil es ihnen von Richter*innenseite häufig negativ ausgelegt wird. So wird dann nicht selten behauptet, dass die häusliche Gewalt nur angesprochen wird, um die andere Person zu diskreditieren. Wird die Gewalt doch angesprochen, spielt sie für die Entscheidung im Sorgerecht keine große Rolle. Häufig wird von den Richter*innen argumentiert, dass die Gewalt ein Phänomen sei, was sich nur zwischen den Partner*innen abspielen würde und Gewalt gegen die Kinder nicht denkbar sei. Es zeigt sich aber, dass das in der Regel nicht stimmt und die Kinder dann auch häufig Opfer von häuslicher Gewalt werden. Darüber hinaus wird das betroffene Elternteil durch den gemeinsamen Umgang der weiteren Gefahr von Übergriffen ausgesetzt. In der Abwägung wird eine mögliche Entfremdung des Kindes zu einem Elternteil, oftmals dem Vater, mehr Gewicht zugestanden, als die mögliche Gefahr von körperlichen Übergriffen dem Kind oder dem betroffenen Elternteil gegenüber. Das Recht der Eltern über ihre Kinder, wird in Deutschland immer noch über das Recht des Kindes auf ein unversehrtes Leben gestellt. Das kann nicht sein!

 

Diese Fehleinschätzung kommt auch davon, dass die Richter*innen sich zwar juristisch mit dem Familienrecht gut auskennen, aber keine besonderen Schulungen oder Fortbildungen im Zusammenhang mit sexualisierter und häuslicher Gewalt bekommen. Dies ist etwa bei Jugendrichter*innen anders. Diese erlernen neben den rechtlichen Grundlagen auch den besonderen Umgang mit Jugendlichen und den gesellschaftlichen Kontext von Jugendkriminalität.

 

Wir fordern daher, dass Familienrichter*innen eine verbindliche Schulung, in der die sozialen Bedingungen und unterschiedlichen Erscheinungsformen von sexualisierter und häuslicher Gewalt gelehrt werden, besucht haben müssen. Außerdem muss es regelmäßige Fortbildungen geben.

 

Zusammenfassend fordern wir daher,

  • dass die Landgerichte besser ausgestattet werden und die Möglichkeit Verfahren wegen sexualisierter Gewalt vor den Landgerichten anzuklagen konsequent genutzt wird
  • dass es auf Antrag der betroffenen Person, der nicht weiter begründet werden muss, ein Recht auf getrennte Anhörung gibt
  • dass alle Personen, die Opfer von sexualisierter oder häuslicher Gewalt auf dem Weg von der Anzeige bis zum Gerichtsverfahren betreuen, wie Polizist*innen, Ärzt*innen oder Familienrichter*innen vor Ausübung ihres Amtes besondere Schulungen zu dem Thema der sexualisierten und häuslichen Gewalt besuchen und ihr Wissen in regelmäßigen Fortbildungen erneuern müssen
  • Umfassende Forschung zu den Folgen von erzwungenem Umgang auf die Opfer und deren Kinder
  • dass das Recht von Kindern auf ein unversehrtes Leben größer ist, als das der Eltern über sie verfügen zu können

 

Antrag 180/I/2024 Hände weg von meinen Chats! - Gegen Chatkontrolle und Überwachung im Internet

21.04.2024

Der Kongress der Party of European Socialists möge beschließen:

 

„Privacy is the right to a free mind“ – Was bisher geschah

Vor 10 Jahren, im Sommer 2013, versetzte der NSA-Mitarbeiter Edward Snowden die Welt in Aufruhr: Mit der Veröffentlichung geheimer Daten und Materialien konnte er beweisen, dass die Geheimdienste der USA ihre eigenen und auch fremde Staatsbürger*innen gezielt – auch das Handy der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde überwacht – aber auch großflächig und ungerichtet abhörten. Diese permanente Überwachung und Aufzeichnung von Bewegungsdaten, Kommunikation und Bildern erlaubte es den Geheimdiensten, auch Jahre nach der Aufzeichnung detaillierte Profile über Personen zu erstellen. Diese Form der unbegründeten und rechtswidrigen massenhaften Überwachung und Vorratsdatenspeicherung stieß damals zu Recht auf weltweite massive Empörung.

 

Seit den Leaks von Edward Snowden hat sich an der Praxis der Geheimdienste wahrscheinlich wenig geändert. Die Möglichkeiten, die eigene Kommunikation zu verschlüsseln und so vor dem Zugriff Dritter zu schützen, wurden aber ausgeweitet. Was vor 10 Jahren noch ein Hobby von wenigen Personen war, ist spätestens mit der Einführung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bei Messengerdiensten in der Breite der Gesellschaft angekommen. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung erlaubt es Nutzer*innen, private Kommunikation zu führen, ohne dass die Nachrichten von Messengerdiensten, Regierungen oder anderen unbefugten Personen gelesen werden kann – ein riesiger Fortschritt für Privatsphäre und sichere Kommunikation im Internet.

 

Im Mai 2022 stellte die schwedische EU-Kommissarin Ylva Johansson einen Gesetzvorschlag vor, der das Ende für verschlüsselte Kommunikation und Anonymität im Internet bedeuten könnte. „Child Sexual Abuse Reduction“ nennt sich dieses Vorhaben und das Ziel ist es, Kindesmissbrauch und die Verbreitung von diesen im Netz einzudämmen. Wir unterstützen das grundlegende, obligatorische Anliegen, der Unterbindung von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs, jedoch nicht diesen Weg dorthin. Denn dazu sollen neben der massenhaften Kontrolle von Chats auch Altersverifikation und Netzsperren eingesetzt werden.

 

Meine Chats gehören mir – und nicht einer KI oder den Behörden!

Ylva Johansson schlägt in ihrem Gesetzentwurf verschiedene Maßnahmen vor, die technische Umsetzung bleibt dabei unklar.

 

Zentral in der Debatte um diesen Entwurf ist die sogenannte Chatkontrolle: die Kommission hat das Ziel formuliert, alle Chats auf Kindesmissbrauch zu scannen.

 

Die Einführung einer Chatkontrolle würde dazu führen, dass die private Kommunikation jeder Person zu jeder Zeit gescannt würde. Dies würde einen massiven Einschnitt in die Bürger*innenrechte bedeuten.

 

Dass man verschlüsselte Kommunikation nicht einfach verbieten kann, ist zum Glück selbst Ylva Johansson klar. Die Alternative heißt „client-side scanning“: jede Nachricht würde, bevor sie verschickt wird, auf dem eigenen Gerät gescannt und mit einer zentralen Datenbank aus Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs verglichen. In der Logik der EU-Kommission wird dadurch die Verschlüsselung der Kommunikation nicht angegriffen, schließlich wird die Nachricht erst gescannt und erst danach verschlüsselt.

 

Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Einführung dieser Technologie einen massiven Einschnitt in die Privatsphäre darstellen und nach Einschätzung des legal councils der EU die Essenz der fundamentalen Rechte verletzen. Auch die Expert*innen, die der Digitalausschuss des Bundestages im März zu einer Anhörung eingeladen hat, haben sich einmündig gegen client-side-scanning ausgesprochen. Von Kinderschutzbund und Internet-Ermittler bis Chaos Computer Club – nicht einmal der Union ist es gelungen, eine*n Expert*in aufzutreiben, der*die sich für die vorgeschlagenen Maßnahmen ausspricht. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags sieht im aktuellen Verordnungsentwurf “unverhältnismäsige Eingriffe in die geprüften Grundrechte der GRCh (EU-Grundrechtecharta).

 

Auch technisch zeigen sich Problematiken: damit eine KI Missbrauchsabbildungen erkennen kann, muss sie vorher auf einer Sammlung von solchen Abbildungen trainiert werden. Dabei werden der KI Abbildungen gezeigt und die KI soll die Abbildungen als Missbrauch oder nicht deklarieren. Die Entscheidungen der KI im Trainingsprozess müssen von Menschen kontrolliert werden, die sich ebenfalls diese Abbildungen ansehen und die Entscheidung der KI bestätigen müssen. Eine solche unbekannte KI bietet massives Missbrauchspotential. Verbrecher*innen könnten Zugriff auf Trainingsdaten erlangen und diese Abbildungen weiter nutzen oder sich durch die KI selbst Bilder generieren lassen. Weiterhin kann von Bürger*innen nicht kontrolliert werden, ob die eigenen Nachrichten tatsächlich nur in diesem Rahmen kontrolliert oder ob auch andere Inhalte gesucht werden.

 

Jede*r Bürger*in wäre davon betroffen, dass sämtliche private Kommunikation ständig durchsucht würde. Von einer zentralen unbekannten Entität. Neben echten Missbrauchsabbildungen würde diese Kontrolle auch jede Menge falsche Meldungen produzieren, also Nachrichten, die fälschlich als Missbrauch gekennzeichnet werden und dann von den Behörden kontrolliert werden. Dies kann sowohl das Versenden von Kinderfotos in Familiengruppen als auch Nachrichten betreffen, die sich Jugendliche einvernehmlich schicken. Studien zeigen zudem, dass Inhalte, die die queere Community betreffen, deutlich häufiger fälschlich als Pornographie erkannt werden.

 

Zudem ist fragwürdig, ob die Einführung der Chatkontrolle tatsächlich einen Beitrag zu weniger Kindesmissbrauch leisten würde. Missbrauchsabbildungen werden in der Regel nicht per Messenger versendet. Stattdessen werden Links auf Seiten im „dark net“ geteilt, von denen das Material anonym abgerufen werden kann.

 

Die Einführung einer Chatkontrolle würde das zugrundeliegende Problem also nicht lösen, sondern unverhältnismäßig in die Privatsphäre aller eingreifen.

 

Keine Stoppschilder im Internet – Löschen, statt sperren!

Schon 2009 sagte Ursula von der Leyen, damals noch als Familienministerin, Abbildungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Internet den Kampf an. Ihr Vorschlag: Seiten, auf denen Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs zu finden sind, sollen gesperrt und mit einem großen Stoppschild versehen werden. Dieser Vorschlag wurde damals nach langen Protesten aufgegeben. Zu Recht! Netzsperren sind nicht nur schwer umzusetzen und lassen sich leicht umgehen. Wird eine Seite mit einem großen roten Stoppschild versehen, wird auch noch aktiver Täter*innenschutz betrieben. Alle Materialien existieren noch auf den Servern der gesperrten Seite und können von Betreiber*innen einfach auf eine andere Seite übertragen werden.

 

Stattdessen wird in Deutschland inzwischen das Prinzip „Löschen, statt Sperren“ verfolgt. Stoßen Ermittler*innen im Internet auf Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs, wird dies an die Serverbetreiber*innen gemeldet, die die Seite mit allen Inhalten löschen. Dieses Verfahren ist „einfach und wirksam“, so berichtet es das Justizministerium. Und doch werden viele Seiten nicht direkt gelöscht. Den Behörden fehlt häufig Personal, um alle Seiten zu löschen. Es ist nicht hinnehmbar, dass einfache Mittel, die ausschließlich Täter*innen betreffen, durch Ermittlungsbehörden nicht ausgeschöpft werden.

 

Netzsperren sind auch auf europäischer Ebene zu verhindern. Stattdessen müssen Missbrauchsabbildungen wo immer sie auftreten, gelöscht werden. Behörden müssen ausreichend Personal ausgestattet sein, um Seiten zu löschen.

 

Alter, geht‘s noch? – Ein Internet ohne Altersverifikation und Ausweispflicht

Die Kommission geht in ihrem Gesetzesvorhaben aber noch weiter, als bestehendes Material zu erkennen. Auch dem sogenannten „grooming“ – also versuchter Kontaktaufnahme von Erwachsenen bei Kindern mit dem Ziel des Missbrauchs soll Einhalt geboten werden. Dafür könnten Anbieter*innen künftig dazu gezwungen werden, Alterskontrollen einzuführen.

 

Heute schon verhindern manche Anbieter*innen, dass Kinder von Erwachsenen angeschrieben werden können. TikTok beispielsweise stellt Accounts von 13- bis 15-jährigen grundsätzlich privat. Solche Maßnahmen basieren meist auf Selbstauskünften der Nutzer*innen, dies wird der EU-Kommission sicher nicht ausreichen.

 

Möglichkeiten der Altersverifikation reichen von der Identifikation mit Ausweisen bis zur KI-gestützten Berechnung des Alters durch biometrische Daten. Nicht nur aus Datenschutzperspektive ist dabei eine Variante schlimmer als die nächste.

 

Die Verifikation des Alters durch Kontrolle des Personalausweises würde das Ende der Anonymität im Internet bedeuten. Nutzer*innen jeder Plattform, auf der Chats möglich sind, müssten den Anbieter*innen persönliche Daten übermitteln. Ein Datenleak oder ein Hackerangriff auf die Datenbanken der Anbieter*innen wäre fatal. Durch die AusweisApp ist es theoretisch möglich, nur die Daten zu übermitteln, die tatsächlich gebraucht werden. Es ist jedoch abzusehen, dass sich Plattformen mit dieser Einschränkung nicht zufriedengeben werden, sondern unter den Deckmantel gesetzlicher Legitimierung weitere Daten zu Werbezwecken sammeln werden und so weitere Daten von Nutzer*innen sammeln können, die sie eigentlich nicht haben sollten.

 

Der Angriff auf die Anonymität im Internet hat aber auch weitere Auswirkungen, die zu kritisieren sind. Die Pflicht, für jede Form der Online-Kommunikation den Personalausweis vorlegen zu müssen, wird massive Auswirkungen auf die Kommunikationsfreiheit im Internet haben. Wenn Nutzer*innen bei jeder Anmeldung und Nachricht im Internet befürchten müssen, dass Inhalte gelesen und zurückverfolgt werden können, hat dies messbare Folgen für das individuelle Verhalten und die Meinungsfreiheit. Es ist zudem unverhältnismäßig: Niemand würde auf die Idee kommen, vor jedem Gespräch, Telefonat oder Museumsbesuch einen Personalausweis anzufordern.

 

Personen, die keinen Ausweis besitzen, wären so komplett von digitaler Teilhabe ausgeschlossen. Auch Betreiber*innen von Open-Source-Programmen wären von einer solchen Regelung bedroht. Open-Source-Programme ermöglichen es Nutzer*innen, Programme kostenlos zu nutzen, weiterzuentwickeln und zu testen. Dabei gibt es keine zentrale Datenbank von Nutzer*innen, sondern Programme oder Quellcode können aus verschiedenen Quellen genutzt werden. Der Schutz der persönlichen Daten von Nutzer*innen muss auch im Internet gelten!

Antrag 179/I/2024 Ein echtes Gesetz zur Bekämpfung digitaler Gewalt

21.04.2024

Digitale Gewaltakte gehören für viele Personen leider zum Alltag im Internet. Insbesondere marginalisierte und diskriminierte Gruppen erleben durch die Nutzung digitaler Medien oder technischer Hilfsmittel oft Hass, Verfolgung und Diskriminierung im digitalen Raum. Gewalt findet nicht nur öffentlich auf sozialen Medien statt, sondern auch in partner*innenschaftlicher Gewalt oder im sozialen Nahbereich (z.B. Familie, Freundeskreis, Sportverein). Grob lassen sich zwei Formen digitaler Gewalt unterscheiden: Plattformbasierte digitale Gewalt, wie beispielsweise Belästigung und Cybermobbing, und technologiebasierte digitale Gewalt, also Gewalt, die mithilfe technischer Geräte und/oder digitaler Technologie ausgeführt wird. Digitale Gewalt ist häufig mit analoger Gewalt, d.h. offline Gewalt, verknüpft, etwa als Fortsetzung oder Ergänzung von analog bestehenden Gewaltdynamiken. Auch die Intentionen ähneln sich stark – es geht um Macht, Kontrolle, Unterdrückung, Demütigung, Verletzung und kann im schlimmsten Fall auch zu Mord und Suizid führen. Wie auch analoge Gewalt nimmt digitale Gewalt stetig zu. Und das, obwohl das Netzwerkdurchsetzungsgesetz seit Jahren Plattformen verpflichtet, sträfliche Inhalte innerhalb kurzer Zeit zu entfernen. Allein langwierige und intransparente Prüfverfahren von Inhalten, nachdem diese gemeldet wurden, zeigen die Defizite der bestehenden Regulierung. Auch mit dem seit Februar 2024 wirkenden “Digital Services Act” wird sich diese Situation voraussichtlich nicht wesentlich verbessern. Die in 2024 verabschiedete EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt beinhaltet ebenfalls neue Straftatbestände im Bereich digitale Gewalt, jedoch blockierten Mitgliedsstaaten wie Polen aber auch Deutschland eine wirklich progressive Gesetzgebung. Konkret blockierte Deutschland, dass es EU-weit einheitliche Straftatbestände für Vergewaltigung gibt. Was alle diese genannten Regelungen eint: sie sind primär auf die Identifizierung und Verfolgung von strafbaren Inhalten und von Täter*innen auf sozialen Plattformen ausgerichtet, aber wenig bis gar nicht auf Gewalt durch andere Arten von Technologie oder Gewalt im sozialen Nahbereich. Prävention sowie Betroffenenschutz wird fast gänzlich ausgespart. Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien auf Bundesebene wurde vereinbart, ein Gesetz gegen digitale Gewalt auszuarbeiten und die Situation von Betroffenen zu verbessern. Im April 2023 hat das Bundesjustizministerium erste Eckpunkte für ein entsprechendes Gesetz vorgelegt. Nach Meinung vieler zivilgesellschaftlichen Organisationen sind die Ideen aus dem Bundesjustizministerium viel zu kurzgefasst. Eine ganzheitliche Strategie, die Polizeiarbeit, Justiz, Bildungsarbeit und Hilfeleistungen für Betroffene berücksichtigt, fehlt bisher.

 

Daher fordern wir eine echte Strategie gegen digitale Gewalt und ein Gesetz, was diesen Namen auch verdient. Aus unserer Sicht müssen folgende Punkte enthalten sein:

 

I: ganzheitliche Definition von digitaler Gewalt

Bisher gibt es keine Definition, was digitale Gewalt überhaupt ist. Häufig werden nur Volksverhetzung, Androhung von schwerwiegenden Straftaten oder Morddrohung als digitale Gewalt aufgefasst. Dies sind zwar auch wichtige Beispiele digitaler Gewalt, aber durch den Einsatz von digitaler Technik müssen wir den Begriff weiter fassen, da sich durch technische Innovation die Möglichkeiten digitaler Gewaltanwendungen immer weiter erweitern. So sind beispielsweise Doxing (die Veröffentlichung personenbezogener Daten durch Täter*innen), Stalking, Tracking (die Nachverfolgung von Aktivitäten) sowie bildbasierte Gewalt (z.B. nicht einvernehmliche versandte „dick pics“) sehr verbreitet. Darüber hinaus ermöglichen KI-Systeme die Generierung von gefälschtem und nicht-einvernehmlichem sexuellem Bildmaterial, sogenannte „deep fake pornography“. All das ist auch digitale Gewalt, da sie Betroffene schädigen können. Auch ist es ohne eine Definition von digitaler Gewalt schwierig, eine Datengrundlage aufzubauen, um Forschung zu betreiben und das Problem besser zu verstehen. Häufig gibt es ohne Daten und Definition zu wenig Geld für Präventionsangebote und Maßnahmen zum Schutz vor digitaler Gewalt können nur unvollständig getroffen werden.

 

II: Bessere Hilfeleistungen für Betroffene

Analoge und digitale Gewalt müssen gemeinsam gedacht werden, da der Übergang oft fließend ist. Die Hilfeleistungen für Betroffene von digitaler Gewalt müssen dringend gestärkt werden. Daher muss, um digitale Gewalt zu bekämpfen, die existierenden Strukturen des Gewaltschutzes durchfinanziert, ausgebaut und für digitale Gewalt aufgerüstet werden. Frauenhäuser sind beispielsweise bereits unterfinanziert und überlastet. Für die Arbeit im Umgang mit digitaler Gewalt sind sie oftmals nicht richtig geschult. So können Täter*innen durch Tracking der Handys Auskunft darüber erhalten, wo genau das Frauenhaus sich befindet und damit wäre die betroffene Person wieder in Gefahr. Das Personal muss dazu in der Lage sein, versteckte Programme ausfindig zu machen und zu deinstallieren, um die Sicherheit aller Personen im Haus gewährleisten zu können. Es bedarf hier einer stärkeren finanziellen Förderung existierender Strukturen und der Schaffung spezialisierter Dienste gegen digitale Gewalt. Beispielsweise muss die Förderung der Zivilgesellschaft zur Beratung von Betroffenen von digitaler Gewalt durch das Bundesjustizministerium gestärkt werden. Die Landesregierungen sollen ergänzende Angebote schaffen. Die Berliner Landesregierung soll die Mittel für Bildungsangebote gegen Gewalt und für Demokratieerziehung ausbauen und nicht wie bisher immer weiter streichen.

 

III: Bildungsarbeit

Daneben bedarf es auch weiterer Hilfsprogramme – beispielsweise an Schulen, um digitale Kompetenz zu stärken und frühzeitig gegen digitale Gewalt vorzugehen. Dafür ist, wie im Koalitionsvertrag vorgeschlagen, die Gründung einer Bundeszentrale für digitale Bildung elementar. Schüler*innen sollen dabei auch verstärkt die Fähigkeiten zur digitalen Selbstverteidigung an die Hand gelegt bekommen, um sich sicher auf sozialen Medien und im Umgang mit anderen Technologien zu werden. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen sollten dabei mit eingebunden werden. Daneben bedarf es auch besonderer Programme in Unternehmen, an Universitäten und Berufsschulen. Die Einrichtung und spezielle Schulung von psychologischen Diensten in diesen Bereichen sollte verpflichtend sein, damit sich Betroffene schnell Hilfe suchen können.

 

IV: Bessere Plattformen

Plattformen dienen häufig als Treiber*innen von digitaler Gewalt in dem Hass und Desinformation schneller geteilt und verbreitet werden, als andere Inhalte. Die Tech-Unternehmen hinter den Plattformen müssen bei der Bekämpfung von digitaler Gewalt daher auch verstärkt in die Pflicht genommen werden. So fordern wir, dass Plattformen ihre Algorithmen und Empfehlungssysteme so anpassen, dass Inhalte digitaler Gewalt nicht mehr verbreitet werden können. Inhalte digitaler Gewalt müssen nach Meldung schneller als derzeit üblich gesperrt werden. Unsere Ablehnung des Netzwerkdurchsetzungsgesetz bleibt von dieser Forderung allerdings unberührt. Welche Äußerungen strafbar sind, kann in einem Rechtsstaat nur die Justiz entscheiden und diese Entscheidung nicht an privatwirtschaftliche Unternehmen ausgelagert werden. Dabei müssen aber auch grundlegende Menschenrechte wie die freie Meinungsäußerung und Selbstbestimmung geachtet und dem Löschen konsensueller und legaler sexueller und feministischer Inhalte Einhalt geboten werden. Die Löschpraktiken und weitere Maßnahmen der Plattformen zum Schutz gegen digitale Gewalt sollen außerdem regelmäßig von einer unabhängigen Aufsichtsbehörde geprüft werden. Die Arbeitsbedingungen von Content-Moderator*innen, welche diese Maßnahmen umsetzen werden, müssen überprüft und verbessert werden. Die Aufsichtsbehörde muss außerdem in die Lage versetzt werden, Plattformen mit empfindlichen Geldstrafen bei Nicht-Einhaltung der Regulierungen zu versehen. Zusätzlich bedarf es Verbandsklagemöglichkeiten für Betroffene gegenüber Plattformen. Während Social-Media-Plattformen Gewinne mit Geschäftsmodellen erwirtschaften, die Hass im Netz begünstigen, weisen diese jegliche Verantwortung für den dort verbreiteten Hass von sich. Den gesellschaftlichen Schäden, die durch die Diskursverschiebung nach rechts auf öffentlichen Plattformen entstehen, wird heute hauptsächlich von zivilgesellschaftlichen Organisationen entgegengewirkt. Organisationen wie beispielsweise HateAid oder DasNettz e.V. bieten Opferschutz und Beratungen an, stehen jedoch aufgrund begrenzter Projektmittel häufig vor finanziellen Schwierigkeiten. Social-Media-Plattformen müssen daher verpflichtet werden, einen Anteil ihres Gewinns aufzuwenden, um die gesellschaftlichen Kosten für die Schäden durch Hass im Netz in ausreichendem Maße zu tragen.

 

V: Polizei- und Justizarbeit verbessern

Die Polizei und Justiz müssen den Umgang mit digitaler Gewalt endlich ernst nehmen und bestehende Gesetze konsequent durchsetzen. Viel zu oft erhalten Betroffene keine Unterstützung, ihnen werden ihre Erfahrungen abgesprochen oder ihnen werden Schuldvorwürfe gemacht. Hier bedarf es einer zusätzlichen Sensibilisierung und verstärkter Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft sowie Hilfsprogrammen. Auch bedarf es neuer Möglichkeiten des Rechtsstaates, um im Netz effektiv durchgreifen zu können. Richterlich angeordnete Accountsperren sollen bereits bei einmaligem Strafrechtsverstoß möglich sein, um die Reichweite von Täterinnen zu beschränken und eine generalpräventive Wirkung zu entfalten. Zudem müssen die Ressourcen für diesen Themenbereich in der Justiz erhöht und Verfahren sowie Anzeigen weiter digitalisiert werden. Aus diesem Grund wiederholen wir unsere Forderung nach Schwerpunktstaatsanwaltschaften für diesen Bereich. Weiterhin hilft es Betroffenen digitaler Gewalt, die Impressumspflicht so zu aktualisieren, dass keine Privatadressen von Einzelpersonen verwendet werden müssen, denn das setzt Aktivist*innen, Journalist*innen und Blogger*innen unnötigen Risiken aus. Zukünftig soll beispielsweise die Angabe eines Postfachs zur Identifikation ausreichend sein. Zudem muss der Zugang zu Melderegistersperren für gefährdete Personen wie Journalist*innen, Aktivist*innen oder Politiker*innen vereinfacht werden.

Antrag 271/I/2024 Es klappert die Mühle am rauschenden Bach – doch wem gehört der Bach?

21.04.2024

Shocking Fact: Wasser ist wichtig und wird knapper

Der 3. Juli 2023 war der weltweit heißeste Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1880. Dass solche Negativrekorde immer häufiger auftreten, zeigte sich in diesem Sommer kurz darauf: Einen Tag später, am 4. Juli, wurde dieser Rekord wieder gebrochen. Unwahrscheinlich, dass die Durchschnittstemperatur von 17.18°C der letzte Negativrekord bleiben wird.

 

In Zeiten steigender Temperaturen sind Hitzeperioden kein seltenes Phänomen. Die Folgen der Klimakrise wirken sich unlängst auf sämtliche Lebensbereiche aus. So wurden in den letzten Jahren die Herausforderung auf die Wasserwirtschaft immer größer. Wasserknappheit wird dadurch immer öfter saisonal und regional zu einem Problem und einer großen Gefahr für viele Gruppen der Gesellschaft. Immer mehr Nutzer*innen werden zukünftig über die knapp werdende Ressource Wasser konkurrieren. Diese Konflikte können auf das internationale Parkett kommen, wie bei dem Beispiel von Äthiopiens Staudamms für den Oberlauf des Nils, wodurch Ägypten die Wasserversorgung bedroht sieht oder beim Staudamm der Türkei vom Euphrat und Tigris, wodurch ähnlicher Ärger in Syrien und Irak aufgekommen ist. Die Sorge vor den viel zitierten Kriegen um Wasser wächst durch die Klimakrise.

 

Doch auch ohne die Androhung von Gewalt steigt der Konflikt, wenn der Grundwasserspiegel weiter sinkt und sich große Unternehmen den Zugriff auf das immer knapp werdende Wasser werden wollen. Unlängst sind die Beispiele wie das von Nestlé bekannt, in denen der Konzern die Wasserrechte von staatlichen Wasserbehörden kauft. Das erlaubt dem Unternehmen, Wasser direkt aus dem Grundwasser (unterhalb der Erdoberfläche) abzupumpen. Die lokale Bevölkerung geht oft leer aus oder muss horrende Preise fürs abgepackte Wasser zahlen.

Die Vereinten Nationen haben das das Recht auf „einwandfreies und sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung“ als ein Menschenrecht eingestuft- zwar erst seit 2010. Doch dieser UN-Beschluss ist nicht bindend für die Mitgliedsstaaten. So haben laut UN-Weltwasserbericht immer noch rund 2,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu einer sicheren Trinkwasserversorgung.

 

Bei starker Hitze ist nicht nur genügend Trinkwasser besonders entscheidend. Auch der Zugang zum Wasser in Form von Seen und Flüssen ist wichtig, um dort die Möglichkeit einer Abkühlung und Erholung zu ermöglichen. Gerade in Zeiten steigender Preise und finanzieller Unsicherheiten ist für viele Menschen die örtlichen Naherholungsgebiete die einzige Möglichkeit zur Abkühlung.

 

Doch auch hier zeigt der Kapitalismus sich wieder von seiner hässlichsten Seite: Viel zu oft ist der Zugang zu Seen oder Flüssen stark eingeschränkt oder komplett unmöglich, weil angrenzende Grundstücke privatisiert oder verpachtet wurden. Es scheint, dass der öffentliche See nur für diejenigen zugänglich wird, die viel Geld haben. Während die Reichen ihre Privilegien genießen, wird die Klimakrise für arme Menschen immer mehr zu einer Bedrohung.

 

Rechtsprechung: It’s complicated

Der Druck, die Wasserversorgung innerhalb der EU zu privatisieren, nimmt zu. Lobbygruppen und Konzerne setzen sich seit Jahren dafür ein. Doch warum das eine schlechte Idee ist, haben unfreiwillige Reallabore längst gezeigt:

Die Euphorie der Privatisierungen in den 1990er Jahren hat auch Berlin erfasst, als unter Senatsführung der CDU die Berliner Wasserbetriebe teilprivatisiert wurden. Statt wie versprochen neue Arbeitsplätze zu schaffen, wurden viele Arbeitsplätze eingestampft. Gleichzeitig zogen die Wasserpreise an. In Berlin hat sich die Bevölkerung gewehrt – das Wasser ist jetzt wieder in öffentlicher Hand und die Preise für das Trinkwasser sind wieder zurückgegangen.

 

Auch in der portugiesischen Stadt Pacos de Ferreira steig der Trinkwasserpreis nach der Privatisierung in sechs Jahren um 400 % an.

Wie drastisch die Lage auf nationaler Ebene werden kann, zeigt Chile, wo die Wasserversorgung seit 1981 nahezu vollständig privatisiert wurde. Mittlerweile konzentrieren sich die Besitzverhältnisse auf wenige mächtige Großunternehmen, die Preise diktieren können und den Spekulationsmarkt boomen lassen. Die extremen Dürren, unter denen Chile oft leiden muss, werden dadurch immer schwieriger zu bewältigen – insbesondere für die ärmeren Gruppen der Bevölkerung auf dem Land, die sich das Wasser nicht mehr leisten können.

 

2014 ist die EU-Kommission mit einem Versuch gescheitert, die Privatisierung der Wasserversorgung über die so genannte Konzessionsrichtlinie voranzutreiben. Für Wasserversorgung und -entsorgung sollte jede Verfügungsbewilligung EU-weit ausgeschrieben werden. Schon damals wurde deutlich, dass dadurch Gemeinden unter Preisdruck von global agierenden Konzernen geraten würden, wodurch auf massiven öffentlichen Druck Wasser aus der Richtlinie ausgenommen wurde – vorerst. Eine EU-weite Regelung über die Verhinderung der Privatisierung von Wasser gibt es dementsprechend nach wie vor nicht.

 

Für die Bürger*innen der Bundesrepublik folgt aus dem Grundrecht auf Leben und Gesundheit und dem Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz ein Anspruch auf qualitativ angemessene Versorgung mit Trinkwasser als Bestandteil des zu sichernden Existenzminimums. Die der Allgemeinheit dienende Wasserversorgung ist Aufgabe der Bundesländer und Gemeinden. Dabei können die Kommunen sich von privaten Unternehmen unterstützen lassen, solange sie die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen. Was bleibt, ist eine Hintertür für zukünftige Privatisierungen. Auch können schon jetzt einzelne Wasserquellen wie Brunnen in Privatbesitz gelangen. Schon jetzt kommt es zu ersten örtlichen Verteilungskonflikte zwischen Mineralwasserunternehmen und der lokalen Wasserwirtschaft über die Frage, wer bei der Nutzung lokaler Wasserressourcen den Vorrang hat.

 

Verteilungskämpfe zwischen den Bundesländern und Kommunen um die Ressource Wasser zeichnen sich bereits ab: Die Tagebaugruben der Lausitz werden aktuell mit Pumpen von Grundwasser trocken gehalten. Das Wasser aus den Tagebauen speist momentan die Spree. Wenn diese Tagebaue nun stillgelegt werden, wird die Senkung des Flusspegels zusätzlich zum allgemein sinkenden Grundwasserspiegel verstärkt.

 

Um den Flusspegel der Spree und damit den Trinkwasserhaushalt Berlins zu sichern, ist ein „Überlaufkanal“ zwischen Elbe und Spree geplant, der bei Wasserknappheit der Spree überschüssiges Wasser aus der Elbe in die Spree einleiten soll. Diese Vorschläge stoßen nicht bei allen Menschen in Sachsen und Südbrandenburg auf große Begeisterung. Ein Konflikt um die wenigen Wasserressourcen zeichnet sich bereits jetzt ab.

 

Auch die Verwendung des Wassers in den dann gefluteten Tagebaugruben der Lausitz ist nicht abschließend geklärt. Im schlimmsten Fall beanspruchen die Betreiber*innen der ehemaligen Tagebaue das Wasser und Kommunen müssen zur Verwendung des Wassers zahlen.

 

Auch der Zugang zum fließenden Wasser ist nur eingeschränkt möglich. Während des Gewässerbett nicht eigentumsfähig sein können, dürfen die angrenzenden Landflächen das sehr wohl sein. Der Zugang zum öffentlichen Wasser kann dadurch erheblich eingeschränkt werden, auch wenn rechtlich die Nutzung von oberirdischen Gewässern klar erlaubt ist.

 

Do it like Slovenia – Grundrecht auf Trinkwasser

Slowenien hat 2016 als erstes Land in der Europäischen Union das Recht auf Trinkwasser zur Verfassung hinzugefügt. Damit wird der Zugang zum „flüssigen Gold des 21. Jahrhunderts“ rechtlich gesichert. Insbesondere von Armut betroffene Gruppen der Gesellschaft haben damit einen Rechtsanspruch. Ebenso wird auch für die Zukunft verhindert, dass Wasser zur Ware wird und Wasserquellen privatisiert werden.

 

Eine Festschreibung des Grundrechts auf Zugang zum Trinkwasser auch in das Grundgesetz ist nur der logische Schritt.

 

Weg mit den Villen und rein ins Wasser

Den See sehend, aber nicht erreichend, ist bei hochsommerlichen Temperaturen ein bekanntes Ärgernis. Oft verhindern private Badebereiche und Privatgrundstücke Zugang zum Wasser, wobei der See öffentliches Gut ist. Hier muss sichergestellt werden, dass für die Mehrheit der Gesellschaft der Zugang nicht abgeschnitten werden kann. Ähnliches fordern unsere Genoss*innen der SPÖ mit einem „Recht auf Natur“ auf Verfassungsebene, damit sich in Zukunft nicht immer mehr Menschen auf wenige Quadratmeter quetschen müssen, während Reiche ihre eigenen Privatkilometer Zugang haben.

 

Water we waiting for?

Daher fordern wir:

  • Die Aufnahme des Grundrechts auf Trinkwasser ins Grundgesetzt nach slowenischem Vorbild, um die Vorrangstellung der Trinkwasserversorgung in Konkurrenz zu anderen Wassernutzungen ist klarzustellen sowie um eine Privatisierung von Trinkwasser zu verhindern.
  • Die Aufnahme des Rechts auf freie Natur im Grundgesetz, damit öffentliches Wasser nicht nur den Reichen zugänglich sein darf
  • Ein Vorkaufsrecht für Länder und Kommunen, um neue Flächen an Seezugängen zu erwerben und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Dafür sollen ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Öffentliche Seegrundstücke gelten ab dann als unverkäuflich und dürfen nur im Rahmen der öffentlichen Zugänglichkeit verpachtet werden.
  • Bei Wasserflächen, wo aktuell kein bis kaum ein öffentlicher Zugang existiert, müssen Lösungen zugunsten der öffentlichen Zugänglichkeit gefunden werden. Auch vor Vergesellschaftungen darf nicht zurückgeschreckt werden.
  • Eine stärkere lokale, nationale und internationale Koordinierung zu faireren Wasserverteilung, um Engpässe zu vermeiden
  • Mehr Investitionen in die Infrastrukturen der Wasserwirtschaft und in den Naturschutz, um die Resilienz der Wasserwirtschaft zu stärken und damit der Grundwasserpegel nicht weiter sinkt.
  • Uns ist bewusst, dass es auf klimapolitische Herausforderungen nur globale Antworten geben kann. Daher bedarf es verbindliche Regelungen zur Privatisierung der Wasserversorgung. Als einen ersten Schritt fordern wir gesamteuropäische Lösungen für die Sicherstellung vom Grundrecht Wasser und den Zugang zum öffentlichen Gut.

 

Antrag 109/I/2024 Für mehr Diversität in Post-Conflict Settings - Verpflichtende Beteiligung von FINTA in Friedensprozessen

21.04.2024

Die Notwendigkeit einer feministischen Außenpolitik, die die menschliche Sicherheit in den Fokus stellt, hat angesichts der zahlreichen Krisen kein Stück ihrer Bedeutung verloren. Um menschliche Sicherheit nachhaltig zu gewährleisten, braucht es die Beteiligung aller marginalisierten und systematisch benachteiligten Gruppen an Friedensprozessen.

 

Es wurde bereits bewiesen, dass die Beteiligung von Frauen in Friedensprozessen zu besserem Regierungshandeln (“Governance”) und nachhaltigerem Frieden führt. Auch forderten die Vereinten Nationen mit der Sicherheitsratsresolution 1325 bereits im Jahr 2000 die Einbeziehung von Frauen in die Prävention, das Management und die Konfliktlösung. Diese Resolution verpflichtet Staaten dazu, Frauen und ihre Perspektiven in alle Bereiche des Friedensprozesses einzubeziehen und dabei ihre besonderen Erfahrungen in Konflikten anzuerkennen. Über 20 Jahre nach dieser bedeutenden Resolution sind Frauen immer noch wenig und unterproportional an Friedensprozessen beteiligt. FINTA, also Frauen, Inter-, Nichtbinäre*, Trans- und Agender-Personen, sowie andere marginalisierte Gruppen erhalten bisher wenig bis gar keine besondere Aufmerksamkeit in politischen Entscheidungsgremien. Dies führt dazu, dass deren wichtige Sichtweisen und besondere Herausforderungen meist nicht am Verhandlungstisch diskutiert werden. Durch diese fehlenden Perspektiven kann umfassende menschliche Sicherheit nicht erreicht werden.

 

Häufig sind es insbesondere weiblich sozialisierte Menschen, die in Gemeinschaften eine proaktive soziale Rolle einnehmen: Auch wenn wir eine solche traditionelle Rollenaufteilung bekämpfen und eine gleichberechtigte Aufteilung, unabhängig von Geschlechtern anstreben, kümmern sich besonders in patriarchalen Gesellschaften kümmern noch zumeist Frauen um Kinder und andere Familien- und Gesellschaftsmitglieder. Durch häufig vorkommende Interaktionen mit anderen marginalisierten Gruppen sowie aufgrund ihrer eigenen Betroffenheit von systematischer Diskriminierung sind FINTA häufig die Herausforderungen und Schwierigkeiten marginalisierter Gruppen und Individuen bekannt. Dadurch, dass die Gruppe FINTA für Diskriminierungen eher sensibilisiert ist, sollten FINTA auch als Mediator*innen eingesetzt werden.

 

Durch die Beteiligung von FINTA Personen an Entscheidungsgremien wie Friedensverhandlungen kann also besser gewährleistet werden, dass die Perspektiven und Situationen marginalisierter Gruppen mitgedacht werden. Hierbei muss beachtet werden, dass es nicht ausreicht, eine Gruppe Frauen als Repräsentantinnen von FINTA einzuladen. Vielmehr braucht es die Beteiligung von FINTA möglichst in ALLEN am Friedensprozess beteiligten Gruppen und Parteien. Denn FINTA sind keine homogene Gruppe, die durch eine einzige Delegation an Frauen ausreichend repräsentiert ist. Die kann vielleicht durch folgendes Bild verdeutlicht werden: Cis-Männer sind in der Regel in allen an Verhandlungen beteiligten Parteien zu finden. Frauen werden oftmals scheinbar nur pro forma als eine zusätzliche Gruppe oder Partei eingeladen und nicht gleichwertig in die Prozesse eingebunden. Kaum jemand würde auf die Idee kommen, von Cis-Männern zu verlangen, nur in einer Gruppe vertreten zu sein, da damit ja “deren Perspektive bereits abgedeckt” sei.

 

Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die Beteiligung der Zivilgesellschaft und damit auch mehr FINTA-Personen in Friedensprozessen zu länger anhaltendem Frieden führt. Die Beteiligung von unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Gruppen ist wichtig, da diese als Repräsentant*innen und Vermittler*innen von marginalisierten Gruppen in der Bevölkerung dienen kann. Werden nämlich FINTA nur als Teil politischer Delegationen in Friedensverhandlungen einbezogen, besteht die Gefahr, dass wichtige Perspektiven fehlen. Denn FINTA in politischen Delegationen sind meist hochrangige Politiker*innen oder international bekannte und häufig gut ausgebildete Personen, die nicht immer mit FINTA aus der lokalen Bevölkerung gleichgesetzt werden können. Auch hier besteht also die Gefahr, nicht ausreichend die Diversität und Vielseitigkeit der FINTA abzubilden, was zu einer Reduktion an menschlicher Sicherheit aufgrund fehlender Perspektiven führen kann.

 

Wir fordern daher die Bundesregierung dazu auf, in allen Projekten, an denen sie beteiligt ist durch Friedens- oder Militärmissionen oder durch Entwicklungszusammenarbeit, alles in ihrer Möglichkeit zu tun, um folgendes sicherzustellen:

  • die Beteiligung von FINTA an Friedensprozessen (langfristig auch von allen anderen marginalisierten Gruppen) mit einer Quote von mind. 50%, möglichst in allen beteiligten Parteien.
  • die Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, insbesondere von Organisationen, die sich für die Rechte marginalisierter Gruppen einsetzen.
  • dass die Gruppe an Mediator*innen in jedem Friedensprozess mindestens eine FINTA umfasst. Sollte es nur eine/n Mediator*in geben und aus Sicht der Organisator*innen keine FINTA infrage kommen, muss dies schlüssig und öffentlich begründet werden. Zudem sollte mit der Gesamtanzahl an Mediator*innen auch die Anzahl an FINTA als Mediator*innen steigen.
  • Dieerpflichtenden Beratungsterminen mit unterschiedlichen lokalen Organisationen, die FINTA und marginalisierte Gruppen repräsentieren, um möglicher Homogenität, die durch die Quote entstehen könnte, vorzubeugen