Antrag 179/I/2024 Ein echtes Gesetz zur Bekämpfung digitaler Gewalt

Digitale Gewaltakte gehören für viele Personen leider zum Alltag im Internet. Insbesondere marginalisierte und diskriminierte Gruppen erleben durch die Nutzung digitaler Medien oder technischer Hilfsmittel oft Hass, Verfolgung und Diskriminierung im digitalen Raum. Gewalt findet nicht nur öffentlich auf sozialen Medien statt, sondern auch in partner*innenschaftlicher Gewalt oder im sozialen Nahbereich (z.B. Familie, Freundeskreis, Sportverein). Grob lassen sich zwei Formen digitaler Gewalt unterscheiden: Plattformbasierte digitale Gewalt, wie beispielsweise Belästigung und Cybermobbing, und technologiebasierte digitale Gewalt, also Gewalt, die mithilfe technischer Geräte und/oder digitaler Technologie ausgeführt wird. Digitale Gewalt ist häufig mit analoger Gewalt, d.h. offline Gewalt, verknüpft, etwa als Fortsetzung oder Ergänzung von analog bestehenden Gewaltdynamiken. Auch die Intentionen ähneln sich stark – es geht um Macht, Kontrolle, Unterdrückung, Demütigung, Verletzung und kann im schlimmsten Fall auch zu Mord und Suizid führen. Wie auch analoge Gewalt nimmt digitale Gewalt stetig zu. Und das, obwohl das Netzwerkdurchsetzungsgesetz seit Jahren Plattformen verpflichtet, sträfliche Inhalte innerhalb kurzer Zeit zu entfernen. Allein langwierige und intransparente Prüfverfahren von Inhalten, nachdem diese gemeldet wurden, zeigen die Defizite der bestehenden Regulierung. Auch mit dem seit Februar 2024 wirkenden “Digital Services Act” wird sich diese Situation voraussichtlich nicht wesentlich verbessern. Die in 2024 verabschiedete EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt beinhaltet ebenfalls neue Straftatbestände im Bereich digitale Gewalt, jedoch blockierten Mitgliedsstaaten wie Polen aber auch Deutschland eine wirklich progressive Gesetzgebung. Konkret blockierte Deutschland, dass es EU-weit einheitliche Straftatbestände für Vergewaltigung gibt. Was alle diese genannten Regelungen eint: sie sind primär auf die Identifizierung und Verfolgung von strafbaren Inhalten und von Täter*innen auf sozialen Plattformen ausgerichtet, aber wenig bis gar nicht auf Gewalt durch andere Arten von Technologie oder Gewalt im sozialen Nahbereich. Prävention sowie Betroffenenschutz wird fast gänzlich ausgespart. Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien auf Bundesebene wurde vereinbart, ein Gesetz gegen digitale Gewalt auszuarbeiten und die Situation von Betroffenen zu verbessern. Im April 2023 hat das Bundesjustizministerium erste Eckpunkte für ein entsprechendes Gesetz vorgelegt. Nach Meinung vieler zivilgesellschaftlichen Organisationen sind die Ideen aus dem Bundesjustizministerium viel zu kurzgefasst. Eine ganzheitliche Strategie, die Polizeiarbeit, Justiz, Bildungsarbeit und Hilfeleistungen für Betroffene berücksichtigt, fehlt bisher.

 

Daher fordern wir eine echte Strategie gegen digitale Gewalt und ein Gesetz, was diesen Namen auch verdient. Aus unserer Sicht müssen folgende Punkte enthalten sein:

 

I: ganzheitliche Definition von digitaler Gewalt

Bisher gibt es keine Definition, was digitale Gewalt überhaupt ist. Häufig werden nur Volksverhetzung, Androhung von schwerwiegenden Straftaten oder Morddrohung als digitale Gewalt aufgefasst. Dies sind zwar auch wichtige Beispiele digitaler Gewalt, aber durch den Einsatz von digitaler Technik müssen wir den Begriff weiter fassen, da sich durch technische Innovation die Möglichkeiten digitaler Gewaltanwendungen immer weiter erweitern. So sind beispielsweise Doxing (die Veröffentlichung personenbezogener Daten durch Täter*innen), Stalking, Tracking (die Nachverfolgung von Aktivitäten) sowie bildbasierte Gewalt (z.B. nicht einvernehmliche versandte „dick pics“) sehr verbreitet. Darüber hinaus ermöglichen KI-Systeme die Generierung von gefälschtem und nicht-einvernehmlichem sexuellem Bildmaterial, sogenannte „deep fake pornography“. All das ist auch digitale Gewalt, da sie Betroffene schädigen können. Auch ist es ohne eine Definition von digitaler Gewalt schwierig, eine Datengrundlage aufzubauen, um Forschung zu betreiben und das Problem besser zu verstehen. Häufig gibt es ohne Daten und Definition zu wenig Geld für Präventionsangebote und Maßnahmen zum Schutz vor digitaler Gewalt können nur unvollständig getroffen werden.

 

II: Bessere Hilfeleistungen für Betroffene

Analoge und digitale Gewalt müssen gemeinsam gedacht werden, da der Übergang oft fließend ist. Die Hilfeleistungen für Betroffene von digitaler Gewalt müssen dringend gestärkt werden. Daher muss, um digitale Gewalt zu bekämpfen, die existierenden Strukturen des Gewaltschutzes durchfinanziert, ausgebaut und für digitale Gewalt aufgerüstet werden. Frauenhäuser sind beispielsweise bereits unterfinanziert und überlastet. Für die Arbeit im Umgang mit digitaler Gewalt sind sie oftmals nicht richtig geschult. So können Täter*innen durch Tracking der Handys Auskunft darüber erhalten, wo genau das Frauenhaus sich befindet und damit wäre die betroffene Person wieder in Gefahr. Das Personal muss dazu in der Lage sein, versteckte Programme ausfindig zu machen und zu deinstallieren, um die Sicherheit aller Personen im Haus gewährleisten zu können. Es bedarf hier einer stärkeren finanziellen Förderung existierender Strukturen und der Schaffung spezialisierter Dienste gegen digitale Gewalt. Beispielsweise muss die Förderung der Zivilgesellschaft zur Beratung von Betroffenen von digitaler Gewalt durch das Bundesjustizministerium gestärkt werden. Die Landesregierungen sollen ergänzende Angebote schaffen. Die Berliner Landesregierung soll die Mittel für Bildungsangebote gegen Gewalt und für Demokratieerziehung ausbauen und nicht wie bisher immer weiter streichen.

 

III: Bildungsarbeit

Daneben bedarf es auch weiterer Hilfsprogramme – beispielsweise an Schulen, um digitale Kompetenz zu stärken und frühzeitig gegen digitale Gewalt vorzugehen. Dafür ist, wie im Koalitionsvertrag vorgeschlagen, die Gründung einer Bundeszentrale für digitale Bildung elementar. Schüler*innen sollen dabei auch verstärkt die Fähigkeiten zur digitalen Selbstverteidigung an die Hand gelegt bekommen, um sich sicher auf sozialen Medien und im Umgang mit anderen Technologien zu werden. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen sollten dabei mit eingebunden werden. Daneben bedarf es auch besonderer Programme in Unternehmen, an Universitäten und Berufsschulen. Die Einrichtung und spezielle Schulung von psychologischen Diensten in diesen Bereichen sollte verpflichtend sein, damit sich Betroffene schnell Hilfe suchen können.

 

IV: Bessere Plattformen

Plattformen dienen häufig als Treiber*innen von digitaler Gewalt in dem Hass und Desinformation schneller geteilt und verbreitet werden, als andere Inhalte. Die Tech-Unternehmen hinter den Plattformen müssen bei der Bekämpfung von digitaler Gewalt daher auch verstärkt in die Pflicht genommen werden. So fordern wir, dass Plattformen ihre Algorithmen und Empfehlungssysteme so anpassen, dass Inhalte digitaler Gewalt nicht mehr verbreitet werden können. Inhalte digitaler Gewalt müssen nach Meldung schneller als derzeit üblich gesperrt werden. Unsere Ablehnung des Netzwerkdurchsetzungsgesetz bleibt von dieser Forderung allerdings unberührt. Welche Äußerungen strafbar sind, kann in einem Rechtsstaat nur die Justiz entscheiden und diese Entscheidung nicht an privatwirtschaftliche Unternehmen ausgelagert werden. Dabei müssen aber auch grundlegende Menschenrechte wie die freie Meinungsäußerung und Selbstbestimmung geachtet und dem Löschen konsensueller und legaler sexueller und feministischer Inhalte Einhalt geboten werden. Die Löschpraktiken und weitere Maßnahmen der Plattformen zum Schutz gegen digitale Gewalt sollen außerdem regelmäßig von einer unabhängigen Aufsichtsbehörde geprüft werden. Die Arbeitsbedingungen von Content-Moderator*innen, welche diese Maßnahmen umsetzen werden, müssen überprüft und verbessert werden. Die Aufsichtsbehörde muss außerdem in die Lage versetzt werden, Plattformen mit empfindlichen Geldstrafen bei Nicht-Einhaltung der Regulierungen zu versehen. Zusätzlich bedarf es Verbandsklagemöglichkeiten für Betroffene gegenüber Plattformen. Während Social-Media-Plattformen Gewinne mit Geschäftsmodellen erwirtschaften, die Hass im Netz begünstigen, weisen diese jegliche Verantwortung für den dort verbreiteten Hass von sich. Den gesellschaftlichen Schäden, die durch die Diskursverschiebung nach rechts auf öffentlichen Plattformen entstehen, wird heute hauptsächlich von zivilgesellschaftlichen Organisationen entgegengewirkt. Organisationen wie beispielsweise HateAid oder DasNettz e.V. bieten Opferschutz und Beratungen an, stehen jedoch aufgrund begrenzter Projektmittel häufig vor finanziellen Schwierigkeiten. Social-Media-Plattformen müssen daher verpflichtet werden, einen Anteil ihres Gewinns aufzuwenden, um die gesellschaftlichen Kosten für die Schäden durch Hass im Netz in ausreichendem Maße zu tragen.

 

V: Polizei- und Justizarbeit verbessern

Die Polizei und Justiz müssen den Umgang mit digitaler Gewalt endlich ernst nehmen und bestehende Gesetze konsequent durchsetzen. Viel zu oft erhalten Betroffene keine Unterstützung, ihnen werden ihre Erfahrungen abgesprochen oder ihnen werden Schuldvorwürfe gemacht. Hier bedarf es einer zusätzlichen Sensibilisierung und verstärkter Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft sowie Hilfsprogrammen. Auch bedarf es neuer Möglichkeiten des Rechtsstaates, um im Netz effektiv durchgreifen zu können. Richterlich angeordnete Accountsperren sollen bereits bei einmaligem Strafrechtsverstoß möglich sein, um die Reichweite von Täterinnen zu beschränken und eine generalpräventive Wirkung zu entfalten. Zudem müssen die Ressourcen für diesen Themenbereich in der Justiz erhöht und Verfahren sowie Anzeigen weiter digitalisiert werden. Aus diesem Grund wiederholen wir unsere Forderung nach Schwerpunktstaatsanwaltschaften für diesen Bereich. Weiterhin hilft es Betroffenen digitaler Gewalt, die Impressumspflicht so zu aktualisieren, dass keine Privatadressen von Einzelpersonen verwendet werden müssen, denn das setzt Aktivist*innen, Journalist*innen und Blogger*innen unnötigen Risiken aus. Zukünftig soll beispielsweise die Angabe eines Postfachs zur Identifikation ausreichend sein. Zudem muss der Zugang zu Melderegistersperren für gefährdete Personen wie Journalist*innen, Aktivist*innen oder Politiker*innen vereinfacht werden.