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Antrag 207/II/2018 Gemeinsame Agrarpolitik ab 2020: Umwelt, Klima, Menschen und Tiere schützen

11.10.2018

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU ist der einzige Politikbereich, der fast vollständig auf europäischer Ebene stattfindet. Sie war eine der ersten gemeinsamen Politiken und hat sich über die Jahre stark verändert. An vielen Stellen scheint sie jedoch immer noch eher wie ein Überbleibsel aus Nachkriegszeiten und das Ergebnis einseitiger Lobbyarbeit. Die aktuelle GAP wird 2020 auslaufen und muss dann neuaufgestellt werden. Die aktuellen, seitens der Europäischen Kommission veröffentlichten Arbeitsstände zur Überarbeitung der GAP versprechen jedoch wenig Neuerungen. Vielmehr lassen sie erwarten, dass die GAP weiterhin zur Besitzstandswahrung von Landbesitzer*innen genutzt wird anstatt auf die vielfältigen Herausforderungen der Zukunft zu reagieren.

 

Eine sozialdemokratische Landwirtschaftspolitik hat diese im Blick: Sie blickt nicht einseitig nur auf die Produzent*innenseite und übernimmt alle Lobbyforderungen der organisierten, konventionellen Landwirt*innen wie die Konservativen. Sie stellt sich aber auch nicht auf die Seite einer kleinen Gruppe von gutverdienenden, urbanen Konsument*innen, die mit ihrer erhöhten Kaufkraft eine romantische Vorstellung von Landwirtschaft ohne moderne Dünge- und Pflanzenschutzmittel und entsprechend geringeren Erträgen unterstützen und damit konventionellen Landwirt*innen ihr Existenzrecht abspricht.

 

1. Ziele einer sozialdemokratischen Agrarpolitik

Sozialdemokratische Landwirtschaftspolitik hat einen weiteren, globaleren Blick als das. Sie hat den Schutz von Umwelt, Klima und Ressourcen zum Ziel. Außerdem schaut sie nicht nur auf Konsument*innen und Produzent*innen im Agrarbereich in Deutschland und der EU, sondern weltweit und denkt besonders die Verbindungen zu internationaler Klima- und Handelspolitik mit. Wie alle Politikbereiche muss sich auch die Agrarpolitik zu den Sustainable Development Goals (SDGs) der UN bekennen und ihren Beitrag zu deren Erreichen leisten. Außerdem erkennt sie auch die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land, sowie die Relevanz des ländlichen Raums für die Energiegewinnung aus erneuerbaren Ressourcen als ihre Aufgabe an.

 

Umweltschutz

Der Landwirtschaft kommt eine besondere Rolle beim Klimaschutz zu: Allein die globale Tierproduktion stößt nach Schätzungen der FAO 14,5% aller Treibhausgase (THG) aus. Andere Studien kommen auf bis zu 25%. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) geht für das Industrieland Deutschland, mit seinem vergleichsweisen kleinen Agrarsektor, davon aus, dass die Landwirtschaft direkt rund 8 % und wenn Produktion und Gebrauch von Mineraldünger einbezogen wird sogar 15 % des deutschen Treibhausgasausstoßes verursacht. Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, müssen wir an allen verfügbaren Stellschrauben drehen! Dazu gehört, dass wir die Produktion und den Konsum tierischer Produkte in der EU erkennbar senken.

 

Darüber hinaus müssen wir CO2-Senken wie z.B. Moore und Feuchtwiesen schützen, pflegen und wiedervernässen, sowie klimafreundliche Produktionsmethoden und die Forschung an diesen fördern.

 

Weitere Aufgabe sozialdemokratischer Landwirtschaftspolitik ist der Schutz von Böden und Grundwasser. Auch hier sind die Herausforderungen vielfältig: In Teilen Südeuropas droht Wüstenbildung, in anderen sind Böden und Grundwasser durch hohe Mengen an Gülle stark belastet. In vielen Böden ist durch intensive Bearbeitung der Humusgehalt und damit die Biodiversität und Fruchtbarkeit gefährdet. Des Weiteren stellen uns Ressourcenkreisläufe bei Stickstoff und Phosphat sowie eine abnehmende Biodiversität, insbesondere das Insektensterben, vor Probleme, die es zu lösen gilt.

 

Ethischer Umgang mit Tieren

Als moderne Gesellschaft müssen wir uns fragen, ob wir es weiterhin gutheißen können, dass Nutztiere unter quälenden Bedingungen gehalten werden, die ihnen ein arttypisches Verhalten unmöglich macht. Das betrifft neben der Stallgröße, unter anderem die Herdengröße und tatsächlich möglicher Ausgang ins Freiland. Auch ist uns klar, dass das Schreddern männlicher Küken, das Kupieren von Schweineschwänzen oder die Trennung von Jung- und Muttertieren nicht weiter als notwendige Eingriffe bei der Tierhaltung hinzunehmen sind. Heute gängige Züchtungs- und Fütterungspraktiken führen dazu, dass Tiere schon nach einem Bruchteil ihrer natürlichen Lebenserwartung ihr Schlachtgewicht erreichen. Dass ein Großteil der „konventionellen“ Tierproduktion nur mit einer inflationären Gabe von Medikamenten, insbesondere Antibiotika und mit der teilweisen Amputation von Schnäbeln und Schwänzen funktionieren kann, ist Beweis genug, dass diese „konventionelle“ Tierhaltung mit dem Tierwohl nicht vereinbar ist.

 

Die EU-Landwirtschaft im globalen Kontext

Als eine der reichsten Regionen der Welt mit einem großen Industriesektor muss sich die EU fragen, ob sie auch im Bereich Landwirtschaft den Wettbewerbsvorteil haben muss und ob das die enormen Subventionen wert sind. In der EU befinden sich einige der besten Flächen, um Landwirtschaft zu betreiben und natürlich kann die EU auch nur bei der Landwirtschaft in ihren Mitgliedsstaaten Vorgaben zu Umwelt- und Klimaschutz und Gesundheitsstandards in der Produktion machen, nicht jedoch bei importierten Nahrungsmitteln. Wenn diese Vorgaben zu hoch sind und aufgrund fehlender finanzieller Stützung die europäischen Produzent*innen nicht mehr wettbewerbsfähig sind, wird auch diese Möglichkeit wegfallen.

 

Dennoch muss sich die EU bewusstmachen, dass gerade die Landwirtschaft für viele Länder im Globalen Süden eine Einstiegsmöglichkeit darstellt, um am globalen Handel teilzunehmen und wirtschaftlich zu wachsen. An dieser Stelle sollen Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen die Subventionierung europäischer Landwirt*innen ergänzen, die landwirtschaftlichen Produzent*innen weltweit zu Gute kommen, beispielsweise zur Produktivitätssteigerung, Ressourceneinsparung (inkl. Fläche) und Anpassung an den Klimawandel um die Herausforderungen einer wachsenden Weltbevölkerung begegnen zu können. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof, die neue Technik CRISPR/Cas9 mit herkömmlicher Gentechnik gleichzusetzen, ist eine verpasste Gelegenheit und stellt ein Hindernis für Fortschritte in der globalen Agrarwirtschaft dar. Grüne Gentechnik bietet gerade in Zeiten des Klimawandels für Landwirt*innen und Konsument*innen in der EU und der Welt große Potentiale. Es darf nicht sein, dass diese Potentiale in der Hand einiger weniger Riesenkonzerne liegen, die durch Patente auf Saatgut und die Kopplung an bestimmte Pestizide, Herbizide und Düngemittel die Abhängigkeit der Landwirt*innen sichern.

 

Konsument*innenschutz

In der Linie mit anderen Bereichen des europäischen Binnenmarkts ist es wichtig, dass auch im Bereich Ernährung EU-weite, hohe Standards gelten, was Sicherheit und Gesundheit anbelangt. Aktuelle Herausforderungen umfassen neben diesen außerdem die Verringerung von Lebensmittelverschwendung auf allen Stufen der Produktion und des Konsums, ebenso wie eine Verschiebung von Konsummustern hin zu einer höheren Umweltfreundlichkeit, durch u.a. den verringerten Konsum tierischer Produkte.

 

Durch das vermehrte Vorkommen multi-resistenter Keime ist es darüber hinaus dringend notwendig, endlich das Problem des inflationären Gebrauchs von Antibiotika und auch Reserve-Antibiotika in der Landwirtschaft anzugehen!

 

Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land

In vielen Mitgliedsstaaten sind die Löhne in der Landwirtschaft und insgesamt im ländlichen Raum niedriger als der Durchschnitt. Hinzu kommt, dass die Infrastruktur auf dem Land an vielen Stellen deutlich schwächer ist: Das senkt nicht nur die Lebensqualität der Menschen auf dem Land, sondern stellt auch eine Hürde für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Räume dar.

 

Energiegewinnung:

Vor dem Hintergrund der Förderung erneuerbarer Energien ist für viele Landeigentümer*innen die Nutzung ihrer Flächen neben der Landwirtschaft zur Nahrungsmittelerzeugung auch die Biomasseproduktion oder für Sonnen- und Windenergieanlagen attraktiv geworden. Die EU muss im Rahmen ihrer Klimapolitik einen Weg finden, die Flächenkonkurrenz à la „Teller oder Tank“ gegeneinander abzuwägen und einen Klimaschutz aus einem Guss entwerfen.

 

2. Instrumente einer sozialdemokratischen Agrarpolitik

Angesichts der globalen Relevanz dieser Aufgaben bekennen wir uns zur EU als richtige Politikebene um die Ziele in diesem Bereich festzulegen. Wir wissen schon lange, dass es keinen Sinn ergibt beispielsweise den Klimawandel auf nationaler Ebene zu bekämpfen. Dafür braucht es globale, mindestens jedoch europäische Pläne. Aufgrund der unterschiedlichen landschaftlichen und klimatischen Begebenheiten in der EU ist es aber wichtig im Sinne des Subsidiaritätsprinzips den Mitgliedsstaaten Freiheiten bei der Nutzung der zur Verfügung gestellten Instrumente zu geben.

Das Instrumentarium der GAP funktioniert aktuell eher nach dem Prinzip „Gießkanne“ und richtet sich wenig an den formulierten Zielen aus. Bei der Höhe des Agrarbudgets von ca. 58 Mrd. € (40 % des Gesamtbudgets der EU), ist dieser Umstand noch erschreckender: Wir stehen so gigantischen Herausforderungen gegenüber, die unsere Zukunft maßgeblich beeinflussen werden und viele dieser Probleme können wir mit einer zielgerichteten Landwirtschaftspolitik angehen. Wir können es uns daher nicht leisten auch nur einen der 58 Mrd. Euro ohne jeglichen Effekt versickern zu lassen!

Entsprechend ist es dringend notwendig, die GAP für die Zeit nach 2020 zu überarbeiten und ihre Instrumente auf die vorhandenen und kommenden Herausforderungen auszurichten.

 

Dazu fordern wir:

 

Öffentliche Gelder gibt es nur für öffentliche Leistung.

Wir fordern das Abschmelzen der ersten Säule der GAP. Ein Teil der frei werdenden Mittel soll zugunsten der zweiten Säule eingesetzt werden: Direktzahlungen, die einfach pro Hektar gezahlt werden, gehören abgeschafft. Wir wollen Landwirt*innen für ihre Leistungen im Bereich Landschaftspflege, Umwelt- und Klimaschutz sowie Tierschutz u.ä. entlohnen und Anreize dafür setzen, in diesen Bereichen noch mehr zu leisten. Dies soll über das bisherige Maß hinaus durch regulatorische Maßnahmen sowie mit einem Teil der finanziellen Mittel geschehen, die bisher im Rahmen der ersten Säule verwendet werden. Wenn Landwirt*innen ihre Produktion zugunsten einer besseren Klima- und Umweltbilanz verändern, müssen sie dafür angemessen entlohnt werden. Die Höhe der Zahlungen muss sich am Wert der Leistungen der Landwirt*innen für Umwelt, Klima und Gesellschaft bemessen. Nur so bekommen wir einen funktionierenden Markt, bei dem sich alle Akteur*innen am gesellschaftlichen, nicht am privaten wirtschaftlichen Optimum orientieren.  Die Greening-Kosmetik, die die jetzige GAP bietet, reicht nicht aus und setzt teilweise sogar falsche Anreize!

 

Um eine kohärente Klima- und Umweltpolitik zu haben, dürfen diese Zahlungen aber nicht nur auf den Agrarsektor beschränkt bleiben: Jede*r Produzent*in, egal ob in der Landwirtschaft tätig oder in einem anderen Bereich, soll für Leistungen, die der Öffentlichkeit zu Gute kommen, die aber nicht auf dem Markt entlohnt werden, vom Staat entlohnt werden. Hierbei spielt es keine Rolle, ob besondere Leistungen für die Biodiversität bei dem Einbezug geschützter Wiesenflächen durch die Umplanung eines Ackers, eines Friedhofs oder Flughafens erbracht werden.

 

Es braucht stärkere öffentliche Anstrengungen, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Dazu gehört, den Konsum tierischer Produkte in der EU erkennbar zu senken. Dabei muss eine soziale Diskriminierung verhindert werden. Bei den drängenden Problemen des Klimawandels können wir diesen Bereich bei unseren Anstrengungen nicht einfach ausklammern. Hier kann die Subventionierung besonders klimafreundlicher Lebensmittel ein Instrument sein, genauso wie die Einführung einer Klimaabgabe auf Lebensmittel, deren Produktion besonders viele Treibhausgase freisetzt.

 

Die Sozialdemokratie wird sich auf den entsprechenden Ebenen außerdem dafür einsetzen, Glyphosat zum nächstmöglichen Zeitpunkt in der EU zu verbieten, sollte es bis dahin keine wissenschaftlich einwandfreien Studien geben, die die langfristige Nicht-Schädlichkeit belegen. Das bezieht sich auf die Gesundheit von Produzent*innen und Konsument*innen, wie auch auf die Biodiversität, vor allem auf den Insektenschutz.

 

Wir fordern außerdem die umfangreiche finanzielle Förderung von Forschung im Bereich der Agrarwissenschaften und grüner Gentechnik an Universitäten und öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen, sowie verbesserte Möglichkeiten für öffentliche Einrichtungen, neue gentechnisch veränderte Pflanzen im Feld zu testen.

 

Mehr Tierwohl in der EU

Um endlich die Standards in der Tierhaltung ausreichend zu erhöhen, brauchen wir neue, verbindliche, strenge Regelungen, deren Einhaltung besser kontrolliert wird. Freiwillige Selbstverpflichtungen und noch ein Label reichen uns nicht aus, da das keine Instrumente sind, die wirkliche und flächendeckende Besserung bringen!

 

Gesundheit von Konsument*innen

Medikamente, insbesondere Antibiotika dürfen nicht mehr durch die Tierärzt*innen selbst verkauft werden. Des Weiteren dürfen Tiere, die eine Antibiotikatherapie erhalten haben, nicht wieder in den Lebensmittelmarkt eingeführt werden. Dies gilt auch für Erzeugnisse dieses Tieres. Diese Praxis setzt aktuell den Anreiz, Antibiotika und andere Medikamente zu oft und in zu großen Mengen zu verschreiben, da die verschreibenden Tierärzt*innen durch den Verkauf daran zusätzlich verdienen können. Leider hat das Verbot, ganze Herden auf einmal mit Antibiotika zu medikamentieren, bisher kaum Wirkung gezeigt und wird viel zu oft umgangen. Die Einhaltung dieses Verbots muss stärker kontrolliert werden, um die Resistenzbildung von Keimen nicht noch zu beschleunigen.

 

Gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land

Einkommenssicherung muss auch für Landwirt*innen stattfinden, allerdings im Rahmen der Sozialpolitik der EU und der Mitgliedsstaaten. Die Idee, diesen Transfer über Direktzahlungen über die Fläche gewährleisten zu wollen, ist absolut nicht sinnvoll: Zum einen erhalten flächenmäßig große Betriebe mehr Zahlungen und nicht die schlechter verdienenden Landwirt*innen, wie es die Solidarität gebieten würde. Zum anderen, schlagen Landeigentümer*innen die Zahlung in der Regel direkt auf den Pachtpreis für das Land auf. Dies betrifft Deutschland noch mehr als andere Mitgliedsstaaten, denn hier sind besonders viele Landwirt*innen nur Pächter*innen und nicht Eigentümer*innen des von ihnen bewirtschafteten Lands. Eine Umverteilung nach sozialen Gesichtspunkten kann mit Direktzahlungen pro Fläche also gar nicht stattfinden.

 

Wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen, tragen auch in der Landwirtschaft die Selbstständigen das unternehmerische Risiko selbst. An dieser Stelle kann geprüft werden, ob es im Rahmen der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) sinnvoll ist, auch für Landwirt*innen Programme zur Minderung des unternehmerischen Risikos aufzulegen, wie beispielsweise der Förderung von Versicherungen gegen Ernteausfälle.  Ziel dieser Förderung von KMU soll der Arbeitsplatzerhalt und eine Vermeidung zu hoher Konzentration einiger weniger Produzent*innen sein.

Antrag 41/II/2018 Wirtschaft demokratisieren - Betriebsräte stärken!

11.10.2018

Die Gewerkschaften und die SPD haben ihre gemeinsamen Wurzeln im 19 Jahrhundert. Dabei haben es sich die Gewerkschaften zur Aufgabe gemacht, innerbetrieblich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine Erhöhung der Löhne zu kämpfen. Die SPD kämpft ursprünglich außerbetrieblich für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Obwohl diese unterschiedlichen Schauplätze sich gegenseitig beeinflussen und voneinander abhängig sind, haben sich die Gewerkschaften allmählich von der Partei, die ihnen originär nahe steht, distanziert. Hat der DGB früher noch in Form von Wahlprüfsteinen deutliche Sympathien einer Partei gegenüber geäußert, hagelt es jetzt deutliche Kritik. Dies hat jedoch nicht zu einem naheliegenden Effekt geführt. Menschen, die die Gewerkschaften aufgrund ihrer Nähe zur Sozialdemokratie ablehnten, haben trotzdem keinen Mitgliedsantrag der Gewerkschaften ausgefüllt.

 

Die SPD hat sich mit ihrem neoliberalen Weg weit entfernt von dem Klientel, welches einmal Gewerkschafter*innen und Sozialdemokrat*innen in einer Person verband.

 

Beide Seiten haben nicht ganz unabhängige Bestands- und Akzeptanzprobleme in der Gesellschaft. Sinkende Mitgliederzahlen und eine andauernde Identitätssuche belasten die SPD und die Gewerkschaften seit geraumer Zeit. Die SPD hat zusätzlich dazu mit erheblichen Wähler*innenverlusten zu kämpfen. Die Gewerkschaften hingegen müssen unter immer schwierigeren Rahmenbedingungen des postindustriellen Kapitalismus Tarifpolitik betreiben und versuchen, die Position der Arbeitnehmer*innen zu stärken. Mit dem wachsenden Dienstleistungssektor hat sich auch die Mitgliederstruktur der Gewerkschaften gewandelt.

 

Arbeitnehmer*innen entscheiden sich immer seltener dazu, Mitglied in einer Gewerkschaft zu werden, auch weil sie deren Nutzen nicht mehr sehen. Jedoch sind Gewerkschaften in ihren originären Branchen (wie z.B. Metall- und Elektroindustrie) weiterhin sehr stark. Dies hängt unmittelbar mit dem Organisationsgrad zusammen.

 

Ein konkretes Gut, dass unter anderem aus der historischen Beziehung zwischen Gewerkschaften und SPD hervorgehen, ist die betriebliche Mitbestimmung. Sie existiert in ihren Vorläufen bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts. Sie begann als Form von „Arbeiterausschüssen“, die ein Anhörungsrecht in sozialen Fragen hatten.  Dieser erste Meilenstein entwickelte sich in den kommenden Jahrzehnten zu immer mehr Mitspracherecht. Jedoch nicht aus Wohlwollen, sondern als die notwendige Konsequenz von blutigen Auseinandersetzungen mit zwei Dutzend Toten, wurde 1920 auf Initiative der Sozialdemokratie das „Betriebsrätegesetz“ verabschiedet. Dieses sah eine Betriebsratpflicht in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten vor. Dieser Entwurf blieb jedoch weit hinter den Forderungen der Gewerkschaften zurück. Nachdem zur Zeit des Nationalsozialismus jegliche Form von Mitbestimmung zerschlagen wurde, konnten die Arbeiter*innen 1951 einen riesigen Erfolg feiern. Das bis heute geltende „Montan-Mitbestimmunggesetz“ für Kohle- und Stahlunternehmen trat in Kraft. Es besagt, dass in den betroffenen Unternehmen vollparitätisch besetzte Aufsichtsräte ohne Doppelstimmrecht gebildet werden müssen. Dieser Erfolg kann als erster und Versuch gewertet werden, die Belastung von Kapital und Arbeit gerecht zu verteilen, zumindest in Unternehmen. Bis heute sind die Arbeiter*innen der Montanindustrie, vertreten durch ihre Spartengewerkschaften IG Metall und IG BCE, die mit dem höchsten Organisationsgrad innerhalb einer Branche. Die Vorteile einer gut funktionierenden Mitbestimmung und einem hohen Organisationsgrad, kann man in den kontinuierlich, wenn auch teilweise kleinen, Erfolgen in dieser Industrie beobachten. Besonders im Bereich der Verkürzung der Arbeitszeit und der verbesserten betrieblichen Altersvorsorge ist die Belegschaft der Montanindustrie Vorreiter*in.

 

Betriebsräte sind Eckpfeiler der Betriebskultur in Deutschland, und das mit gutem Grund: Betriebe mit Betriebsräten zahlen im Schnitt höhere Gehälter, haben eine stabilere Belegschaft mit wesentlich weniger Kündigungen, und ihre Mitarbeiter*innen nehmen sich öfter Urlaub und gehen öfter in Elternzeit.

 

Um langfristig die Arbeitnehmer*innen in ihrer Position zu stützen, müssen die Gewerkschaften und Betriebsräte in den Betrieben in der Wiederherstellung ihrer Kampfkraft unterstützt und ihre Kompetenzen in Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik genutzt werden, um gegen neoliberale Vorstellungen vorzugehen.

 

Demokratisierung: das Gegengift zum Neoliberalismus

 

Zusätzlich zu all den direkten Vorteilen, die Betriebe mit aktiven und engagierten Betriebsräten genießen, gibt es auch gesamtgesellschaftliche, strukturelle Gründe betriebliche Mitbestimmung und demokratische Strukturen in der Wirtschaft zu stärken: den Kampf für die Demokratisierung der Gesellschaft und den Kampf gegen den Neoliberalismus.

Demokratie beschränkt sich für uns Jusos nicht auf die Stimmabgabe an der Wahlurne zu Bezirks-, Kommunal, Landtags- Bundestags- und Europaparlamentswahlen. Stattdessen erreichen wir das Ziel einer Gesellschaft der Freien und Gleichen erst, wenn alle Lebensbereiche demokratisiert sind. Das bedeutet für uns, dass demokratische Partizipation insbesondere in Strukturen und Organisationen zu fördern ist, die besonders oft hierarchisch geprägt sind. Dazu gehört vor allem das Arbeitsleben. Für die Förderung demokratischer Strukturen am Arbeitsplatz ist deshalb die Stärkung der Betriebsräte und ihrer Mitbestimmungsbefugnisse essentiell.

Neoliberale Theoretiker*innen verachten jedoch demokratische Strukturen in der Wirtschaft, insbesondere Gewerkschaften und Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer*innen in Unternehmen. Als “Partikularinteressen”, die lediglich die ordnenden und selbst-regulierenden Kräfte des Marktes behindern, sollen Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmer*innen eingeschnitten und am besten ganz abgeschafft werden. Die Intellektuellen Vorbilder liberaler und auch vieler konservativer Politiker*innen forderten einen Staat, der Arbeitnehmer*innen-Interessen im Keim erstickt, der sich dem Diktat des freien Kapitals unterwirft, und im Zweifelsfall jede wahrgenommene Behinderung jenen Kapitals mit Gewalt – strukturell und unmittelbar – unterdrückt.

 

Dieser Konflikt ist besonders sichtbar in jenen Branchen, die den neoliberalen Logiken von absoluter Konkurrenz, Investor*innenhörigkeit, und Flexibilisierung im Sinne der Arbeitgeber*innen besonders folgen. Betroffen sind davon insbesondere Startups und Agenturen sowie die Kreativwirtschaft im Allgemeinen. Hier steht betriebliche Mitbestimmung besonders im Fadenkreuz, da die Existenz von Betriebsräten potentielle Investor*innen abschrecken kann. Da insbesondere viele Startups von der Förderung durch Investor*innen abhängig sind, umgehen daher viele die betriebliche Mitbestimmung. Erst ab einer Größe von 100 Mitarbeiter*innen stehe oftmals die Einrichtung eines Betriebsrats zur Diskussion. In Branchen, die stark von Investor*innen abhängig sind, ist die Lage betrieblicher Mitbestimmung daher besonders prekär. Gerade deswegen braucht es gesetzliche Rahmenbedingungen, denen sich Arbeitgeber*innen und Investor*innen nicht entziehen können! Ist betriebliche Mitbestimmung keine Option, sondern eine Pflicht, ist es egal was Investor*innen fordern.

 

Demokratische Strukturen auch in der Wirtschaft verpflichten!

 

Die Wahlen zu Betriebsräten sind im Betriebsverfassungsgesetz bereits rechtlich abgesichert. Dennoch bestehen einige gesetzliche Lücken, die den demokratischen Prozess erschweren können. Folgende Schritte sind in der Regel Teil des Wahlprozesses:

 

Ein Betrieb ist betriebsratsfähig, wenn in der Regel mindestens fünf Arbeitnehmer*innen in ihm beschäftigt sind, von denen drei wählbar sein müssen. Mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer*innen des Betriebs berufen eine Betriebsversammlung ein. Auf dieser Betriebsversammlung wird durch die wahlberechtigten und teilnehmenden Arbeitnehmer*innen ein Wahlvorstand bestimmt. Der einbestellte Wahlvorstand hat anschließend die Aufgabe, unverzüglich Wahlen einzuleiten, durchzuführen und die Ergebnisse festzustellen.

Besteht in einem Betrieb bereits ein übergeordneter Betriebsrat ist es laut §17 Absatz 1 des BetrVG möglich, dass dieser einen Wahlvorstand bestellt. Die Kosten für diese Wahl trägt der*die Arbeitgeber*in.

 

Für Arbeitnehmer*innen stellt es ein Risiko dar, sich in diesem Prozess einzubringen. Daher hat der*die Gesetzgeber*in einen besonderen Kündigungsschutz für Mitglieder des Betriebsrats, Mitglieder des Wahlvorstands ab Zeitpunkt der Bestellung, Wahlbewerber*innen bis zum Zeitpunkt der Verkündung des Wahlergebnisses und Mitarbeiter*innen, die die Betriebsversammlung einberufen, erlassen. Dieser Kündigungsschutz besteht solange kein wichtiger Grund vorliegt, der die Nichteinhaltung berechtigt (§ 15 Abs. 3 KSchG).

 

Im Verlauf der Gründung eines Betriebsrats setzen Arbeitgeber*innen verschiedene Methoden ein, um dies zu verhindern. Beim sogenannten Union Busting werden Betriebsräte und gewerkschaftliche Organisierung systematisch bekämpft. Manche Betriebe engagieren dafür eigens darauf spezialisierte Anwaltskanzleien. Ein beliebtes Mittel ist das Bespitzeln und Einschüchtern von Betriebsratskandidat*innen. Häufig werden auch fristlose Kündigungen ausgesprochen – im Bewusstsein, dass dies illegal ist. Ein weiteres Mittel ist die Zerschlagung bzw. Auslagerung von Unternehmensteilen in einzelne, rechtlich (scheinbar) unabhängige Gesellschaften.

 

Mit unserem Vorschlag wollen wir vor allem den Prozess vor der Bestimmung des Wahlvorstandes absichern. Oftmals ist den Arbeitgeber*innen bekannt, welche Mitarbeiter*innen eine Betriebsratsgründung unterstützen. Um die Unterstützung aufzubrechen, können diese Meinungsführer*innen in andere Abteilungen verschoben und die Zusammensetzung der gesamten Belegschaft derart verändert werden, dass Absprachen und Solidarität untereinander verhindert werden. Zudem drohen Arbeitgeber*innen häufig damit, Betriebsteile ins Ausland zu verlagern oder die Insolvenz eines Betriebsteils anzumelden.

 

Indem wir eine regelmäßige Betriebsversammlung einführen und die Wahl eines Wahlvorstandes verpflichten, sind innerhalb der Belegschaft weniger Absprachen und Organisation notwendig. Das Einberufen einer Versammlung, sowie die Bereitstellung zur Mitarbeit im Wahlvorstand und das zur-Wahl-Stellen wird damit weniger zu einer Gefahr für die Mitarbeiter*innen, was ihre demokratische Mitbestimmung und somit die Gründung von Betriebsräten erleichtert.

 

Wir fordern daher, dass der*die Arbeitgeber*in, sofern noch kein Betriebsrat für sein Unternehmen existiert, verpflichtet ist, jährlich eine Betriebsversammlung einzuberufen. Auf dieser Betriebsversammlung wird der Wahlvorstand für die in einem zweiten Schritt durchzuführende Betriebsratswahl gewählt oder von einem schon existierenden Gesamt- oder Konzernbetriebsrat bestellt. Die Ausgestaltung und Organisation der Betriebsversammlung soll dabei von dem Gesamt- oder Konzernbetriebsrat oder in Ermangelung eines solchen von im Betrieb vertretenen Gewerkschaftsmitgliedern oder einer*einem anderen Arbeitnehmer*in in seinem Betrieb übernommen werden. Der*die Arbeitgeber*in ist dazu verpflichtet, zur Organisation und Durchführung der Betriebsversammlung geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Diese Regelung gilt solange kein Betriebsrat in dem Unternehmen gegründet wurde.

 

Das vorgeschlagene Modell entspricht einer Betriebsratspflicht. Das Unternehmen ist verpflichtet eine Gelegenheit für die Wahl eines Betriebsrats zu schaffen, indem es die Organisation der Wahlversammlung und des Wahlvorstands in die Wege leitet.

Damit orientieren wir uns an dem französische Modell, das eine ähnliche Regelung vorsieht. Mit dem Unterschied, dass diese Pflicht erst in Betrieben gilt, die innerhalb der letzten drei Jahre mehr als 50 Mitarbeiter*innen beschäftigten.

 

Sanktionen gegen kriminelle Arbeitgeber*innen konsequent durchsetzen!

 

Die gesetzlich festgeschriebenen Strafen bei der Behinderung von Betriebsratsgründungen oder der Arbeit von Betriebsräten sind zwar faktisch vorhanden, werden jedoch so gut wie nie umgesetzt. Nach §119 des BetrVG können Arbeitgeber*innen bei einem solchen Vorgehen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr und/ oder einer Geldbuße sanktioniert werden. Nach Zahlen des statistischen Bundesamtes wurden zwischen 2007 und 2016 jedoch lediglich 63 Menschen wegen Verstößen nach §119 BetrVG angeklagt.

 

Dem gegenüber stehen die dramatischen Zahlen, welche Gewerkschaften über Zwischenfälle in der betrieblichen Mitbestimmung vorliegen. Alleine nach den Statistiken von IG Metall und IG BCE kommt es bei rund 16% der Neugründungen von Betriebsräten zu gezielten Störmaßnahmen der Arbeitgeber*innen. Je nach Branche haben 30- bis 50% aller Betriebsräte schon einmal Störungen in der Betriebsratsarbeit bei ihrer Gewerkschaft gemeldet; die Dunkelziffer ist sicherlich noch um einiges höher. Nur 11 Verurteilungen in 10 Jahren gegenüber einer derartigen Institutionalisierung in der Sabotage von Betriebsräten ist ein klares Signal an kriminelle Arbeitgeber*innen: immer weiter so!

 

Deshalb schließen wir uns dem DGB an und fordern die Einrichtung ständiger Schwerpunktstaatsanwaltschaften im Bereich Arbeitsrecht. Diese müssen sicherstellen, dass Verfahren schnell bearbeitet werden, Betroffene bei der Beweissicherung unterstützt werden, und straffällige Arbeitgeber*innen konsequent mit Strafverfahren konfrontiert werden. Kommt das Verfahren zu dem Schluss, dass die Arbeitgeber*innen ihren Pflichten nicht nachgekommen sind – etwa keine Betriebsversammlung ausgerufen haben oder die Gründung/Arbeit des Betriebsrats verhindert haben – müssen diese sanktioniert werden.

 

Schluss mit “teile und herrsche”: Franchises und Sub-Unternehmen zu unternehmerischen Einheiten zusammenführen!

 

Ein weiterer Grund zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, ist das System der Franchises und Subunternehmen. Das Unternehmen spaltet sich dabei in Regionalgesellschaften, selbständige Händler*innen und eine Zentrale auf. Dabei werden nur die Mitarbeiter*innen in den von den Regionalgesellschaften geführten Märkten auf der Grundlage eines Tarifvertrages entlohnt. Die Filialen der vielen Händler*innen unterliegen hingegen keiner Tarifbindung. Dadurch können die Mitarbeiter*innen zum Beispiel geringer entlohnt werden oder es können weniger Urlaubstage bezahlt werden, als bei den Filialen der Regionalgesellschaften. Dies sorgt für eine Ungleichheit zwischen den verschiedenen Filialen, obwohl überall ein Markenname verwendet wird. Darüber hinaus gibt es kein konzernweites Mitspracherecht für Betriebsräte. Gesamtbetriebsräte oder Konzernbetriebsräte gibt es nur bei den Regionalgesellschaften. Da es sich aber bei den Filialen der Regionalgesellschaften und der Händler*innen um dasselbe Franchise handelt, sollte das Betriebsverfassungsgesetz dementsprechend angepasst werden. So sollten Unternehmen mit filialisierten Strukturen als eine Unternehmerische Einheit gelten, welche vor dem Betriebsverfassungsgesetzes die selben Rechten und Pflichten besitzen, wie ein normales Unternehmen.

 

Deshalb Fordern wir:

  • In Betrieben mit mindestens fünf Mitarbeiter*innen ist die*der Arbeitgeber*in, solang in den Betrieb kein Betriebsrat existiert, verpflichtet, einmal im Jahr eine Betriebsversammlung einzuberufen und die Ausgestaltung, Organisation und Leitung dem Gesamt- oder Konzernbetriebsrat oder in Ermangelung solcher einem*einer Vertreter*in der Gewerkschaft oder einer*einem anderen Arbeitnehmer*in in seinem Betrieb zu übertragen bzw. der*die Vertreter*in der Gewerkschaft ist nach der Maßgabe des Tarifeinheitsgesetzes auszuwählen.
  • Kommt die Arbeitgeber*in dieser Pflicht nicht nach werden die aktuell gültigen Sanktionen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe und/oder einer Geldbuße angewandt.
  • An allen Landgerichten in Deutschland sollen Schwerpunktstaatsanwaltschaften im Bereich Arbeitsrecht geschaffen werden. Dies sollen dazu führen, dass gegen Behinderungen bei der Gründung- oder der Arbeit von Betriebsräten seitens der Arbeitgeber*innen schneller ermittelt wird, Belegschaften in der Beweissicherung unterstützt werden, es ggf. schneller zur Anklage kommt, und schlussendlich alle Verstöße auch zu Verurteilungen führen.
  • Franchises sollen arbeitsrechtlich als eine unternehmerische Einheit gelten, sodass auch auf den obersten Ebenen Arbeitnehmer*innen adäquat vertreten werden können, und ihre Mitbestimmungsrechte wahrnehmen können.

 

Weiterhin fordern wir, dass Instrumente und Strategien zur besseren Information und Kommunikation über betriebliche Mitbestimmung sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Betrieben ausgebaut werden.

Antrag 201/I/2018 Die Friedensnobelpreisträgerin zum Vorbild nehmen – Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag jetzt!

30.04.2018

Der Besitz von Atomwaffen ist weiterhin ein existenzielles Risiko für die Menschheit. Deren Abschaffung bleibt ein wichtiges friedenspolitisches Ziel. 2017 wurde erstmals ein bindender Atomwaffenverbotsvertrag vorgelegt, der bislang von 56 Ländern unterzeichnet wurde. Ebenfalls im vergangen Jahr wurde die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Dies sollte uns in der Unterstützung der Abrüstungsinitiative bestärken. Eine Stationierung vom Atomwaffen in Rheinland-Pfalz ist über ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Kriegs nicht mehr begründbar. Darüber hinaus stellen die Atomwaffen ein Sicherheits- und Umweltrisiko dar.“ durch „Die fortwährende Stationierung von Atomwaffen in Rheinland-Pfalz steht einer friedensorientierten Sicherheitspolitik grundsätzlich entgegen, ist moralisch verwerflich und stützt den derzeit bedauerlicherweise herrschenden Trend der gegenseitigen Aufrüstung. Zudem stellen jene ein erhebliches Risiko für die Umwelt dar.

 

Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, dem Atomwaffenverbotsvertrag der UNO-Generalversammlung beizutreten und ihn zu ratifizieren. Die Bundesregierung soll zudem in Gespräche mit anderen Staaten treten, die dem Atomwaffenverbotsvertrag noch nicht beigetreten sind und für einen Beitritt werben. Einen Fokus soll die Bundesregierung insbesondere auf Staaten richten, die aktuell über Atomwaffen verfügen.

 

Außerdem wird die Bundesregierung aufgefordert, Verhandlungen mit der US-amerikanischen Regierung aufzunehmen, um die Stationierung von Atomwaffen („Nuclear Sharing“) auf dem NATO-Stützpunkt in Büchel zu beenden und auch zukünftig keine Atomwaffen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland zu stationieren.

 

Desweiteren fordern wir die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung dazu auf, sich

  • in diplomatischen Konsultationen u.a. im Rahmen der Vereinten Nationen und in bilateralen Gesprächen mit Nuklearstaaten als Verhandlungspartnerin für den Atomwaffensperrvertrag einzusetzen und
  • sich für die rechtliche Verbindlichkeit des Atomwaffensperrvertrags einzusetzen, um an der vollkommenen Abschaffung von Atomwaffen wesentlich mitzuwirken.

 

Antrag 229/I/2018 Soziale Teilhabe durch ein Solidarisches Grundeinkommen und die Überwindung von Hartz IV

30.04.2018

Das Prinzip der Sozialstaatlichkeit ist in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben. Daraus leitet sich die Verpflichtung der Gesellschaft ab, allen ihren Mitgliedern mindestens ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Unser Anspruch geht darüber hinaus: Wir wollen eine solidarische Gesellschaft, in der jeder Mensch nicht nur existenzsichernd gegen allgemeine Lebensrisiken abgesichert ist, sondern entsprechend seiner persönlichen Bedürfnisse in seiner Entwicklung gefördert wird.

 

Ein solidarisches Grundeinkommen gestalten

Der Debattenanstoß für ein Solidarisches Grundeinkommen hat eine wichtige gesamtgesellschaftliche Diskussion in Gang gesetzt. Das Solidarische Grundeinkommen ist eine Maßnahme des sozialen Arbeitsmarktes, die zum Ziel hat, Langzeitarbeitslosen statt dem Hartz-IV-Bezug auf der Basis des Mindestlohns einen Job anzubieten, bei dem sie unbefristet gesellschaftliche und kommunale Aufgaben übernehmen können, bestenfalls bei kommunalen der landeseigenen Unternehmen. Im Kern handelt es sich bei dem Solidarischen Grundeinkommen um eine Lohnarbeitsbeschaffungsmaßnahme – nicht mehr und nicht weniger. Sie kann nur eine Maßnahme für einen Teil der Erwerbsarbeitslosen sein und darf deshalb keinen Ersatz für eine notwendige Debatte um die Überwindung von Hartz IV darstellen. Zum einen soll das solidarische Grundeinkommen ohne Sanktionsmechanismen funktionieren und enthält damit keinen „Zwang zur Arbeit“. Damit kann es kein Modell für diejenigen sein, die einer solchen kommunalen Arbeit auf Mindestlohnniveau nicht nachgehen wollen oder können, hier müssen andere Lösungen getroffen werden. Auch Aufstocker*innen und Menschen ohne Erwerbsarbeit, die nicht als Langzeitarbeitslose zu qualifizieren sind, kommen für die Maßnahme nicht in Betracht.

 

Darüber hinaus hat das Solidarische Grundeinkommen mit den Modellen von bedingungslosen Grundeinkommen („BGE“), wie sie seit Jahrzehnten in der Gesellschaft diskutiert werden, absolut nichts zu tun. Dies wird aber durch den Namen der Maßnahme suggeriert. Die Forderung nach einem Solidarischen Grundeinkommen entbindet sozialdemokratische Politik jedoch nicht von der Obliegenheit, sich mit den Modellen des BGE auseinanderzusetzen und sich entsprechend zu positionieren. Bei den Bürger*innen die Erwartung zu wecken, dass die SPD sich nun für ein Grundeinkommen einsetzt, wie es seit Jahren diskutiert wird, wäre falsch.

 

Dennoch finden wir die Grundidee des Solidarischen Grundeinkommens aus folgenden Gründen unterstützenswert:

  1. Von dem anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung und der guten Konjunktur profitiert zwar insbesondere das obere Zehntel der Einkommensschicht, jedoch sind auch die Arbeitslosenzahlen in den letzten zehn Jahren gesunken. Diese positive wirtschaftliche Entwicklung hat jedoch an der Tatsache nichts geändert, dass viele Bezieher*innen von ALG II keine Erwerbsarbeit finden. Das liegt zum einen daran, dass viele einfache, repetitive Tätigkeiten weggefallen sind und im Zuge der Digitalisierung weiter wegfallen werden. Für viele Langzeitarbeitslose ist es somit sehr schwer, in den ersten Arbeitsmarkt einzusteigen. Das kann eine Beschäftigung im Rahmen des Solidarischen Grundeinkommens ändern, in dem sie einen Weg in den ersten Arbeitsmarkt ebnen kann. Dies kann vielen Langzeitarbeitslosen nach den vielen Jahren innerhalb des Sanktionsregimes von Hartz IV eine wirkliche Perspektive auf ein auskömmliches Einkommen bieten.
  2. Wir glauben, dass viele Menschen aufgrund der von Arbeitslosigkeit bedingten Armut in sozialer Isolation leben. Das heute vorgefundene soziale Sicherungssystem ist eher darauf bedacht, Fehlverhalten zu sanktionieren, statt Partizipation zu ermöglichen. Eine Erwerbsarbeit im Rahmen des Solidarischen Grundeinkommens kann Menschen nicht nur das Gefühl, sondern die Gewissheit geben, dass ihre Arbeit einen Mehrwert für die Gesellschaft hat und anderen Menschen konkret hilft. Arbeit ist für viele Menschen nach wie vor ein wertbildender und sinnstiftender Faktor. Ungewollte Arbeitslosigkeit führt deshalb bei vielen Menschen zu körperlichen und seelischen Krankheiten. Die Negativ-Spirale, in der viele Langzeitarbeitslose gefangen sind, kann eine solche Maßnahme durchbrechen.
  3. Die Probleme bei der Bewältigung der Zuzüge von Geflüchteten insbesondere im Jahr 2015 haben gezeigt, dass der Staat derzeit zentrale Aufgaben der Daseinsvorsorge Ehrenamtlichen überlässt. Diese verdienen für ihren Einsatz für diese Gesellschaft Respekt und Wertschätzung. Dennoch übernehmen sie bisweilen Aufgaben, die von derartiger Relevanz für den Staat und die Gemeinschaft sind, dass sie reguläre Erwerbsarbeit sein sollten. Wie in der Geflüchtetenhilfe könnte öffentlich geförderte Beschäftigung in der Pflege oder in KiTas entstehen – dort wo Bedarf an einer die Fachkräfte unterstützenden und gleichzeitig entlastenden Tätigkeit besteht. Dabei gilt es zu beachten, dass reguläre Tätigkeiten im Bereich des Öffentlichen Dienstes, die im Zuge der Privatisierung abgebaut wurden, durch eine Personalaufstockung in regulären Beschäftigungsverhältnisse im Öffentlichen Dienst übernommen werden.

 

Forderungen

  1. Es darf durch das SGE keine reguläre Beschäftigung verdrängt werden. Es ist vor allem dafür Sorge zu tragen, dass schon bestehende Stellen im Öffentlichen Dienst nicht in den zweiten Arbeitsmarkt ausgelagert werden oder ein Niedriglohnsektor im Öffentlichen Dienst geschaffen wird. Eine Entlohnung unterhalb des Mindestlohns lehnen wir strikt ab. Weiterhin sollen auch dort wo Bedarfe an fachlich qualifiziertem Personal im Öffentlichen Dienst existieren neue, reguläre Arbeitsplätze geschaffen werden. Gleichzeitig darf durch das SGE kein privater Mehrwert generiert werden. Es soll deshalb nicht möglich sein, öffentlich geförderte Stellen in der reinen Privatwirtschaft zu schaffen.
  2. Es muss gründlich geprüft werden, in welchen kommunalen Unternehmen welche Tätigkeiten durch öffentlich geförderte Stellen abgedeckt werden können. Diese sollen auf einer Positivliste festgeschrieben werden, die bei Bedarf erweitert werden kann. Durch SGE-Stellen dürfen keine Tarifverträge unterlaufen werden. Die Einrichtung der Stellen ist deshalb auch unter den Tarifparteien von TVöD und TV-L zu koordinieren. Die Auswirkungen auf das Tarifsystem sind in Begleitstudien zu untersuchen.
  3. Ziel muss es sein, die betreffenden Menschen durch die öffentlich geförderte Beschäftigung einen Einstieg in reguläre Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Dies ist nicht zu Letzt deshalb von hoher Bedeutung, da auch der sozialversicherungspflichtige Job auf Mindestlohnniveau im Alter nicht für eine Rente über der Grundsicherung reicht. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die Beschäftigten während sie das SGE beziehen qualitativ hochwertige Weiterbildungsmöglichkeiten erhalten. Die Weiterbildungsangebote sollen dabei den individuellen Wünschen der Beschäftigten angepasst sein. In diesem Zusammenhang sind auch Modelle wie das „Arbeitslosengeld Q“ noch einmal zu diskutieren.
  4. Gute und qualifizierte Arbeit ist wichtig! Schulhausmeister*innen und Erzieher*innen in Jugendfreizeiteinrichtungen beispielsweise brauchen bestimmte Qualifizierungen, auf die in diesem Fall Schul- und JFE-Träger, Schüler*innen und Jugendliche bauen. Auch bei Arbeitsplätzen des solidarischen Grundeinkommens muss darauf geachtet werden, dass Personen den übernommenen Aufgaben gerecht werden können., also dafür qualifiziert sind oder nötigenfalls dafür qualifiziert werden.
  5. Die angebotene Arbeit darf nicht wie bei früheren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen völlig sinnlos sein, sondern muss einen für die Beschäftigten nachvollziehbaren Zweck haben. Beschäftigung darf hierbei kein Selbstzweck sein. Es ist vielmehr danach zu schauen, welche Art von Arbeit heute vielfach durch zeitintensiven Einsatz von Ehrenamtlichen geleistet wird, obwohl sie zu den Aufgaben der öffentlichen Hand gehört.
  6. Das SGE kann als Maßnahme des sozialen Arbeitsmarktes kann nur dann gut funktionieren, wenn es Teil einer viel tiefergreifenden Reform des Arbeitslosengeldes und der Arbeitsvermittlung ist. Es muss klar sein, dass das übergeordnete Ziel die Abschaffung von Hartz IV und die Gestaltung einer echten Alternative zu diesem repressiven System ist. Hiermit würde auch ein Mentalitätswechsel in den Arbeitsagenturen einhergehen. Die Mitarbeiter*innen, die momentan damit beschäftigt sind, Sanktionen zu verhängen, könnten sich stattdessen damit beschäftigen, den Menschen auf ihre persönliche Situation zugeschnittene Angebote zu machen. Dabei sind auch die Zielgruppen in den Blick zu fassen, die nicht Zielgruppe der SGE-Maßnahmen sind.
  7. Menschen, die besondere Unterstützung und Hilfestellung benötigen, müssen diese erhalten, unabhängig davon, ob sie ein – wie auch immer gestaltetes – solidarisches Grundeinkommen in Anspruch nehmen können oder wollen. Zu den möglichen Unterstützungsleistungen zählen z. B. psychosoziale Betreuung, Schuldner*innenberatung, Beratungs- und Hilfsangebote bei (psychischen) Erkrankungen etc.
  8. In Berlin ist in insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit nach wie vor auf erschreckend hohem Niveau. Gerade bei jungen Menschen unter 25 Jahren gilt: Qualifizierung, Berufsausbildung und Integration in den ersten Arbeitsmarkt müssen absoluten Vorrang vor anderen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten haben! Hier ist zu diskutieren, wie die Jugendberufsagenturen gestärkt und die Möglichkeiten des Zusammenwirkens unterschiedlichen Rechtskreise (SGB II, III und VIII) verbessert werden können.

 

Solidarität und Sicherheit statt Sanktionen

Spätestens seit dem von den Regierungen Schröder gemeinsam mit den Konservativen vorangetriebenen Sozialstaatsabbau in Verbindung mit Arbeitsmarktreformen zulasten von Arbeitnehmer*innen und auf die Solidarität unserer Gesellschaft dringend angewiesenen Menschen im Rahmen der sogenannten Agenda 2010 ist unsere Gesellschaft davon weit entfernt. Im Gegenteil: Mit den Sozial- und Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 – allen voran „Hartz IV“ – wurde ein gesellschaftliches Klima der Verunsicherung und Angst geschaffen, das sich 2017 mit der Wahl der selbsternannten Alternative für Deutschland in den Deutschen Bundestag manifestiert hat. Gerechtfertigt durch eine neoliberale Weltanschauung, die im Gegensatz zu den Grundwerten der Sozialdemokratie steht und die vermeintliche Notwendigkeit, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärken zu müssen, wurde der Sozialstaat geschliffen und unsere Gesellschaft systematisch entsolidarisiert. Wenn die SPD als sozialdemokratische Partei gegenüber den Wähler*innen Glaubwürdigkeit wiedererlangen und ihre politische Existenzberechtigung nicht vollständig einbüßen möchte, muss sie diese Fehler der Vergangenheit klar als solche benennen und aufarbeiten.

Wir wollen einen Sozialstaat, der so ausgestaltet ist, dass Menschenwürde und Respekt im Mittelpunkt stehen, der die nötige soziale Sicherheit bietet und aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle ermöglicht. Die folgenden Punkte sollen dabei als erste Schritte für eine weitergehende Umgestaltung des Sozialsystems dienen.:

  1. Der Grundsatz des Förderns muss in den Vordergrund gerückt werden, Sanktionen sind vollständig abzuschaffen und durch positive Anreize für Leistungsberechtigte zu ersetzen, zum Beispiel Zugang zu zusätzlichen Qualifizierungsmaßnahmen.
  2. Die Bundesagentur für Arbeit ist zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung weiterzuentwickeln. Sämtliche Jobcenter werden in diese Bundesagentur eingegliedert. Die Kosten trägt der Bund. Das Recht auf Weiterbildung wollen wir im Rahmen unseres Konzepts des Umbaus der Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung realisieren.
  3. Maßnahmen zur Qualifizierung für Arbeitssuchende sind tatsächlich an deren persönlichen Bedürfnissen und Zielen auszurichten. Sie sind direkt von der Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung durchzuführen und nicht von freien Trägern, die nach Profitmaximierung streben.
  4. Die Regelungen für die Zumutbarkeit von Arbeit sind zu ändern: Wir wollen gute und sichere Arbeit, die der beruflichen Qualifikation von Arbeitssuchenden entspricht, nicht Arbeit um jeden Preis.
  5. Die Bezugsdauer von ALG I soll an der Beitragsdauer berechnet werden, aber mindestens 24 Monate betragen. .
  6. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende müssen der Höhe nach dem tatsächlichen sozio-kulturellen Existenzminimum entsprechen und dürfen dieses unter keinen Umständen unterschreiten.
  7. Die Erhöhung der Vermögensfreibeträge in der Grundsicherung für Arbeitssuchende auf ein Niveau, dass es ermöglicht in der Regel in der eigenen Immobilie bzw. Mietwohnung wohnen zu bleiben und vorhandene private (Alters-) Vorsorge zu erhalten. Als Bedarfsgemeinschaft sollen in Zukunft nicht mehr automatisch alle Paare zählen, die (auch wenn erst seit Kurzem) zusammenwohnen, sondern nur noch verheiratete Paare (siehe §7 Abs. 3 BG)
  8. Das Zuflussprinzip ist abzuschaffen und Steuerrückerstattungen oder Nebenkostenguthaben dürfen nicht auf die Leistungen der Grundsicherung angerechnet werden.
  9. Die Macht der Arbeitsvermittler*innen in den Jobcentern ist zu weitreichend. Sie entscheiden über sämtliche Maßnahmen, die im Rahmen des Jobcenters zur Arbeitsaufnahme stattfinden sollen. Ebenso obliegen ihnen viele Ermessensentscheidungen, die vorerst keiner weiteren Kontrolle unterliegen. Die Widerspruchsrechte von Leistungsempfängern sind zu stärken. Dafür muss die Widerspruchsfrist von einem auf drei Monate verlängert werden und der*m Leistungsempfänger*in bei Wahrnehmung seines*ihres Rechtes eine Beratungsstelle zur Verfügung gestellt werden. Entscheidungen der*s Arbeitsvermittler*in sollen nachvollziehbar sein. Positive Anreize sind im Sinne eines Dienstleistungsverständnisses zu setzen. Wir setzen auf längerfristige Begleitung durch eine*n einzige*n Arbeitsvermittler*in. Gleichzeitig hat die*der Leistungsberechtigte ein weiterführendes Recht einräumen die*den Arbeitsvermittler*in zu wechseln.
  10. Ein Umzug darf nicht zu Sanktionen führen. Umzugskosten sollen übernommen werden, unabhängig davon, ob der Umzug aufgrund eines Jobangebots erfolgt oder nicht.
  11. Es braucht eine unabhängige Stelle für Beschwerden und Informationen. Jede*r muss sich über die eigenen Rechte informieren können. Des Weiteren brauchen wir bessere Informationen über bestehende Beratungsangebote, z.B. von zivilgesellschaftlichen Trägern.
  12. Kindergeld ist nicht mehr als bedarfsminderndes Einkommen auf ALG II anzurechnen.

 

Antrag 185/I/2018 Rechtschaffenheit kennt keine Altersgrenze – Lehren aus dem „Koblenzer Neo-Naziprozess“

30.04.2018

Im Jahr 2012 begann der „Koblenzer Neo-Naziprozess“ gegen die rechtsterroristische Vereinigung Aktionsbüro Mittelrhein am Landgericht Koblenz. Den damals 26 Angeklagten wurde auf über 900 Seiten Anklageschrift u.a. die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung und Brandstiftung vorgeworfen. Die Angeklagten sollen Andersdenke bedroht und Hakenkreuze gesprüht haben. Der Hass der angeklagten Nazis soll in gewalttätigen Überfällen gegen Linke gegipfelt haben, wie z.B. auf das linksautonome Wohnprojekt Praxis in Dresden-Löbtau im Februar 2011, auf linke Aktivist*innen beim Verteilen von Flugblättern in Wuppertal im Januar 2011 und in Bad Neuenahr im Mai desselben Jahres.

 

An über 300 Verhandlungstagen wurde reichlich Beweismaterial vorgetragen. Zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht. Das Verfahren wurde im Mai 2017 endgültig eingestellt – weil der Vorsitzende Richter laut Landesrichtergesetz wegen Vollendung seines 65. Lebensjahres in Pension treten musste und ein neues Verfahren nicht begonnen wurde. Letzteres wurde damit begründet, dass ein neues Verfahren womöglich zehn Jahre dauern würde und daher unverhältnismäßig lang sei. Zwar hat das Oberlandesgericht Koblenz im Dezember 2017 entschieden, dass der Prozess fortgesetzt werden muss. Da die zuständige Kammer jedoch in neuer Besetzung verhandeln wird, muss die Beweisaufnahme wieder von vorne beginnen.

 

Auch in Berlin treten Richter*innen gem. § 3 Berliner Richtergesetz mit Ende des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollendet haben, in den Ruhestand. Dies darf ausdrücklich nicht hinausgeschoben werden. Dass laufende Strafverfahren abgebrochen werden und neu beginnen müssen, weil eine Richterin oder ein Richter pensioniert wird, kommt zwar nicht häufig, aber trotzdem immer wieder vor. Bei der Geschäftsverteilung achten die Gerichtspräsidien auf anstehende Pensionierungen und ergreifen entsprechende Maßnahmen. Dies beruht auf einer Prognose, wie lange bestimmte Strafverfahren wohl dauern werden. Gerade bei unerwartet „komplizierten“ Prozessen kann diese Prognose aber auch falsch sein. Insbesondere im Bereich des Rechtsterrorismus, aber auch bei anderen schweren Gewalttaten schwächen diese Ausnahmefälle das Vertrauen in die Justiz und den Rechtsstaat massiv.

 

Ein Prozessabbruch kann am effektivsten vermieden werden, wenn zu Beginn eines Strafverfahrens eine weitere Richterin oder ein weiterer Richter hinzugezogen wird, der den Prozess nach der Pensionierung seiner Kollegin bzw. seines Kollegen übernehmen kann. Das Institut des Ergänzungsrichters bzw. der Ergänzungsrichterin (§ 192 GVG) wird aufgrund knapper personeller Ressourcen und der hohen Belastung der Gerichte jedoch nur selten genutzt.

 

Um Prozessabbrüche vollständig zu vermeiden, fordern wir daher:

  1. Eine deutliche Verbesserung der personellen Ausstattung der Gerichte – nicht nur in der Strafgerichtsbarkeit. Dazu gehört die Schaffung zusätzlicher Richter*innenstellen, aber auch zusätzliches Personal in den Geschäftsstellen. Die Hinzuziehung einer Ergänzungsrichterin oder eines Ergänzungsrichters darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil gerade keine personellen Kapazitäten dafür vorhanden sind.
  2. Eine Änderung des § 192 GVG. Bisher heißt es dort, dass Ergänzungsrichter*innen bei Verhandlungen längerer Dauer hinzugezogen werden können. Der Wortlaut soll zukünftig lauten: „Unter Berücksichtigung der Zahl der Angeklagten und des Umfangs einer Sache sollen Ergänzungsrichter[*innen] bestellt werden“.
  3. Der Landesgesetzgeber soll darüber hinaus prüfen, ob § 3 des Berliner Richtergesetzes um eine Ausnahmeregelung ergänzt werden kann, die Richter*innen in bestimmten Fällen ein Hinausschieben ihrer Pensionierung ermöglicht, ohne das Recht auf den gesetzlichen Richter anzutasten. Es muss sichergestellt sein, dass die Justizverwaltung, welche über die Verlängerung zu entscheiden hat, den Vorgang nicht dazu nutzen kann, die Besetzung eines Spruchkörpers zu beeinflussen.