Antrag 215/II/2022 You'll never walk alone – Ein sozialdemokratischer Weg aus der Armut

Status:
Erledigt

Die Coronakrise, die steigenden Energiepreise und die Inflation stellen derzeit viele Menschen vor neue finanzielle Herausforderungen. Viele Haushalte können die steigenden Preise nicht einfach so auffangen. Die Einsparungsmöglichkeiten sind bei vielen nicht mehr vorhanden. Daher ist es die Aufgabe der SPD, diesen Menschen zu helfen. Die Sozialdemokratie hat seit ihrem Bestehen gegen Armut und für Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft gekämpft. Gerade in diesen Tagen ist es wichtig zu zeigen, dass wir an der Seite der Menschen stehen, die derzeit unsere Unterstützung brauchen.

 

Armut ist dabei ein strukturelles Phänomen. In einer reichen Gesellschaft wie Deutschland fühlt sich Armut anders an als in ärmeren Ländern. Armut und Reichtum hängen dabei zusammen. Die Bedingung für den großen Reichtum von Wenigen ist die Armut von vielen Menschen. Bei uns ist das Hauptmerkmal von Armut vor allem der Ausschluss aus der Gesellschaft. Viele soziale Aktivitäten sind kaum mehr möglich. Dies trifft insbesondere Menschen, die bereits aufgrund von Geschlecht, Migrationsgeschichte, Behinderung u.a. marginalisiert sind. Dabei nimmt die Armut immer stärker zu. Immer größere Teile der Bevölkerung stehen im Risiko, in Armut zu landen. Die gesellschaftliche Spaltung greift auch zunehmend die Fundamente unserer Demokratie an. Ob jemand wählen geht oder politisch aktiv ist, hängt sehr stark von sozioökonomischen Faktoren ab. Wenn wir die Armut nicht bekämpfen, dann droht auch unsere Demokratie zunehmend zu verfallen.

 

Daher sehen wir es als SPD als unsere zentrale Aufgabe, Armut zu bekämpfen. Doch die Gründe für Armut sind oft sehr vielfältig. Unserem Bildungswesen fehlt trotz vieler Reformen die Durchlässigkeit. Armut ist in starker Weise vererbbar. Wir können derzeit beobachten, wie viele Menschen in die Altersarmut fallen. Doch auch junge Menschen sind zunehmend dem Risiko ausgesetzt, arm zu werden. Wer alleinerziehend ist, vermehrt Sorgearbeit leistet und/oder eine gebrochene Erwerbsbiografie besitzt, hat ein erhöhtes Armutsrisiko. Diese exemplarischen Aufzählungen zeigen, wie verschieden und unterschiedlich die Gründe für Armut sind. Sie zeigen, wie schnell man unverschuldet in Armut fallen kann. Daher schlagen wir als SPD ein breit gefächertes Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Armut vor.

 

Bürger:innengeld

Wir als SPD begrüßen die geplante Einführung des Bürger:innengeldes. Aber dieses muss armutsfest sein. Daher setzen wir uns für eine deutliche Anhebung der Regelsätze ein. Die aktuelle Berechnung der Regelsätze orientiert sich für Einpersonenhaushalte an den untersten 15 Prozent der Einkommen, wobei diese Berechnung auch Menschen mit verdeckter Armut einschließt – also Menschen, die Anspruch auf Sozialleistungen hätten, diese aber nicht beantragen.

 

Zudem werden bei dem angewendeten Statistikmodell Ausgaben politisch heraus gekürzt. So werden zum Beispiel Ausgaben für Schnittblumen, Weihnachtsbaum oder Alkohol gestrichen. Daher fallen die Regelsätze aktuell sehr niedrig aus und sind laut Urteil des Bundesverfassungsgerichtes “gerade so” existenzsichernd. An soziale Teilhabe und ein Leben in Würde ist mit dem niedrigen Regelsatz kaum zu denken. Dazu sollte der Regelsatz die realen Wohnkosten abbilden und Kosten für weitere Artikel des Grundbedarfs umfassen. Daher sollte sich die Regelsatzberechnung in Zukunft an den untersten 30 Prozent der Einkommen orientieren – viele Schieflagen bei der Berechnung wären damit gelöst und die Sozialleistungen würden stärker an die allgemeinen Lohnsteigerungen angepasst. Zudem muss mit der Einführung der Kindergrundsicherung die Berechnung der Regelsätze für Kinder und Jugendliche noch einmal neu aufgesetzt werden. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Leistungen für junge Menschen deutlich geringer ausfallen als für Erwachsene, schließlich sind Ausgaben für Bildung und Freizeitgestaltung nicht zu unterschätzen. Beide Leistungen, Bürger:innengeld und Kindergrundsicherung, müssen unbedingt umgesetzt und großzügig ausgestaltet werden!

 

Bei zukünftigen Entlastungspaketen müssen auch Rentner:innen und Studierende mit einbezogen und entlastet werden! Der Mindestlohn hat sich als gutes Instrument gegen Armut erwiesen. Dieser soll zukünftig ausgeweitet und perspektivisch weiter erhöht werden.

 

Chancengerechte Bildung

Der Armut, die zwischen den Generationen tradiert wird, muss frühzeitig im Sinne der Chancengerechtigkeit entgegengewirkt werden. Auch das deutsche Bildungssystem schafft es bislang oft nicht, Chancengerechtigkeit zu gewährleisten, sondern reproduziert soziale Ungleichheit. Häufig schlagen Kinder aus armen Familien denselben Weg ein wie ihre Eltern. Armutsbetroffene Familien oder Alleinerziehende haben häufig weder die Zeit noch die finanziellen Mittel, um ihre Kinder in der Schule adäquat unterstützen zu können. Berlin verzeichnet seit Jahren eine hohe Zahl an jungen Menschen, die die Schule ohne Abschluss beenden. Ohne Abschluss und (Job-)Perspektive werden Arbeitslosigkeit sowie letztlich Armut in zu vielen Familien Berlins “weitergegeben”. Doch ein gelungener Bildungsweg ist der beste Ausweg aus der Armutsspirale. Daher ist es wichtig, dass sich die Bildungspolitik noch stärker auf jene Familien und Kinder konzentriert, die am meisten Unterstützung brauchen. Von den Kitas über die Schulen bis hin zur Hochschulbildung braucht es gezielte politische Maßnahmen, die Kindern aus armen Familien mit möglichst vielfältigen Angeboten auf ihrem Weg unterstützen.

 

Die Berliner Regierung unter sozialdemokratischer Führung hat in den vergangenen Jahren viele effektive finanzielle Unterstützungshilfen auf den Weg gebracht, allem voran die gebührenfreie Kita und Schule. Das kostenlose Schüler:innenticket für den ÖPNV, die Lernmittelfreiheit sowie die kostenlose Hortbetreuung und Versorgung mit Mittagessen in den ersten Klassen haben wesentlich dazu beigetragen, dass Berliner Familien mehr Geld im Portemonnaie haben. Dieser Weg wird in der aktuellen Legislaturperiode fortgesetzt: die Hortgebührenfreiheit wird auf alle Grundschulklassen ausgeweitet, Lernmittelfreiheit und kostenbeteiligungsfreies Mittagessen werden auch für die Sekundarstufen verfügbar, das kostenlose Schüler:innenticket für den ÖPNV wird auch für Schüler:innen des zweiten Bildungsweges gelten.

 

Daneben gilt es, Entlastungsangebote zu schaffen, um auf besondere Bedarfslagen individueller Familien reagieren zu können. Im Schulbereich stellen insbesondere die Materialausstattung (Blöcke, Federtaschen, Hefter etc.) zu Beginn des Schuljahres, Klassenfahrten und Exkursionen sowie Nachhilfe nicht unerhebliche Kostenpunkte von Familien dar. Ziel der SPD ist es, soziale Härten auch außerhalb eines BuT-Anspruchs (Leistungen für Bildung und Teilhabe) abzufedern. Daher setzt die Berliner SPD kurzfristig folgende Maßnahmen um:

 

  • die Bereitstellung und Finanzierung von Beschaffungsgutscheinen, die zur bedarfsgerechten Unterstützung im Einzelfall von den Klassenleitungen ausgegeben werden können,
  • die Einrichtung eines Unterstützungsfonds zur Finanzierung von Klassenfahrten und Exkursionen für Kinder bedürftiger Familien oberhalb eines BuT-Anspruchs und
  • die Fortführung der kostenlosen Lernangebote in den Ferien und der kostenlosen Nachhilfe für alle Schüler:innen Berlins.

 

Für uns gilt: Entlastungspakete dürfen nicht gegen Investitionen im Bildungsbereich ausgespielt werden. Daher stehen wir weiterhin zu unseren zentralen Investitionsvorhaben, allen voran der Schulbauoffensive. Weder die Sanierungen der Bezirke noch die Neubauvorhaben des Landes dürfen Kürzungen zum Opfer fallen. Die entstehenden Mehrbedarfe der Entlastungspakete müssen daher zwingend aus anderen Finanzierungsquellen finanziert werden – und nicht durch Quersubvention aus dem Haushalt selbst.

 

Die Berliner Bildungslandschaft bedarf jedoch auch struktureller Maßnahmen, um eine annähernde Chancengerechtigkeit gewährleisten zu können und armutsbetroffenen Kindern den sozialen Aufstieg zu ermöglichen.

  • gleiche Schule für alle: Wir fordern den flächendeckenden Ausbau und eine bessere Finanzierung der Gemeinschaftsschulen. Gemeinschaftsschulen, in denen Schüler:innen jeglicher Herkunft und jeglichen Bildungsgrades gemeinsam bis zum Abschluss unterrichtet werden, fördern nicht nur die soziale Kompetenz der Kinder.
  • multiprofessionelle Teams: Damit auch der Förderbedarf benachteiligter Schüler:innen gedeckt werden kann, benötigen die Berliner Schulen mehr Lehrpersonal, aber auch mehr Förderpädagog:innen, Schulpsycholog:innen und Erzieher:innen. Diese multiprofessionellen Teams können sich Schüler:innen mit Sprach- und Lernrückständen vollumfänglichen widmen, bei den Hausaufgaben helfen und hinsichtlich weiterer außerschulischer Hilfsangebote behilflich sein.
  • Schulpsychologie und Beratung stärken: Leistungsdruck, fehlende Orientierung im Leben, Ungewissheit oder Erfahrungen von häuslicher Gewalt führen bei vielen jungen Menschen zu Erkrankungen, mit denen das pädagogische Personal im Schulalltag konfrontiert ist. Zwar sind der Abbau von Lernrückständen und die Stärkung der psychosozialen Arbeit richtige Schritte, allerdings braucht es mehr sowie niedrigschwellige Unterstützungsangebote an den Bildungseinrichtungen als Erstkontakt. Weiterhin müssen Schulen und Bezirke (insb. die Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentren) personell gestärkt werden, um die schulpsychologische Arbeit langfristig sicherzustellen. Außerdem braucht es flächendeckende Ressourcen, um schulabstinente Schüler:innen zu unterstützen und gemeinsam mit den Kollegien sowie Familien die Themen Schulangst, Leistungsdruck und mentale Gesundheit im Alltag zu besprechen und Lösungen zu erarbeiten.
  • Beratung über die berufliche Bildung in allen Schulen einführen: die Möglichkeiten der beruflichen Bildung werden derzeit nicht in allen Schulen vermittelt. Einige Schulen tun dies im Rahmen der Praktika in Jahrgang 9, andere als eigenständiges Unterrichtsfach, wieder andere überhaupt nicht. Dabei bietet die berufliche Bildung interessante Chancen, die vielen Schüler:innen nicht bekannt sind. Vor diesem Hintergrund fordern wir, dass an allen Schulen über die Möglichkeiten der beruflichen Bildung informiert wird. So können Zukunftsperspektiven eröffnet und Schüler:innen motiviert werden.
  • diskriminierungskritische Lehrerfortbildung: Leider sind auch Lehrpersonen nicht frei von Vorurteilen. Allzu oft werden Kinder aufgrund ihrer sozialen Herkunft, ihres Geschlechts und/oder Migrationsgeschichte in Schubladen gepackt und ihr eigentliches Potenzial nicht erkannt. Daher fordern wir, Lehrkräfte in Fortbildungen zum Umgang mit diskriminierten Gruppen weiter zu sensibilisieren. Klassismus, also die Diskriminierung aufgrund von tatsächlicher oder vermuteter sozialer Stellung und Herkunft, wollen wir aktiv bekämpfen. Dabei wollen wir auf klassistische Diskriminierung in der Bildung ein besonderes Augenmerk legen. Aufstieg durch Bildung ist ein zentrales Versprechen der SPD, was eingelöst werden muss. Eine gute Lehrkraft, die jedem Kind vorurteilsfrei und zugewandt begegnet, kann den gesamten Bildungs- und Lebensweg eines Schülers oder einer Schülerin positiv beeinflussen.
  • digitales Arbeiten für alle ermöglichen: immer noch gibt es Schüler:innen und Lehrkräfte, die nicht in Präsenz am Schulbetrieb teilnehmen können. Digitales und vor allem vernetztes Arbeiten hat an Stellenwert zugenommen – auch über die Pandemie hinaus. Die Ausstattung der Lehrkräfte mit digitalen Endgeräten begrüßen wir sehr. Allerdings gibt es immer noch Schüler:innen, die nicht digital-vernetzt arbeiten können. Das Land Berlin muss schnellstens allen Schüler:innen ein Angebot zur Ausstattung mit digitalen, datenschutzkonformen Endgeräten machen. Wichtig ist dabei, dass es ein barrierearmes und sozialverträgliches Verfahren gibt, damit all jene Schüler:innen, die ein Gerät wollen, auch eines erhalten. Doch das allein reicht nicht aus. Damit diese Geräte auch vollumfänglich eingesetzt werden können, braucht es eine verlässliche Verbindung zum Internet. Deshalb fordern wir ein Recht auf Internet. Nur so lässt sich zeitgemäß lernen. Alle Schüler:innen müssen die technischen Möglichkeiten haben, online arbeiten zu können – vor allem von zu Hause.

 

Sozialdemokratische Bildungspolitik muss auch Chancengerechtigkeit beim Hochschulzugang in den Blick nehmen, damit Hochschulbildung nicht weiter der Reproduktion von Eliten dient. Noch immer studieren in erster Linie Kinder aus Akademiker:innenhaushalten. Der Einstieg für alle kann durch eine Orientierungsphase zu Beginn des Studiums erleichtert werden. Um die prekären Arbeitsverhältnisse im Hochschul- und Wissenschaftssystem, die es nur Begüterten ermöglicht, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen und langfristig durchzuhalten, zu beenden, muss das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das dauerhafte Befristungen jenseits der Professur ermöglicht, grundlegend reformiert werden.

 

Wohnarmut verhindern und obdachlose Menschen unterstützen

Es bedarf auch wohnungspolitischer Maßnahmen und Instrumente, die Menschen besser schützen, die von Armut bedroht oder betroffen sind.

 

Wir fordern Instrumente, die den Zugang zu Wohnraum erleichtern sowie die Subventionierung bezahlbarer Mieten. Hierzu zählen weitergehende Mietpreisregulierungen, eine verbindliche Sozialquote sowie eine sozialwohlorientierte Stadtentwicklungspolitik.

 

Menschen müssen vor Armut und Verdrängung geschützt werden. Hier kann der Bezirk tätig werden durch die Ausweisung von weiteren Millieuschutzgebieten, der Verhinderung von Abriss wie aktuell im Fall der Habersaathstraße, der Unterstützung von Mieter:innen im Falle von Umwandlungen von Wohnraum, sowie durch die Stärkung genossenschaftlichen Wohnens. Es ist zu befürchten, dass viele Menschen die steigenden Gas-, Strom- und Nebenkosten nicht mehr bezahlen können. Daher sollen zeitweise Kündigungen von Gas-, Strom- und Mietverträgen aufgrund ausstehender Zahlungen ausgesetzt werden.

 

Wohnungslose und obdachlose Menschen gehören  den vulnerabelsten Gruppen in der Gesellschaft. Ihr Weg von der Straße und heraus aus der Armut gehört zu den schwierigsten und fragilsten. Obdachlose Menschen brauchen deshalb größtmögliche Unterstützung und Solidarität. Für BPoC, LGBTQIA+ und FLINTA braucht es mehr abgegrenzte und professionell begleitete Schutzräume. Housing First als Maßnahme zur Wiedereingliederung hat sich bewährt und muss institutionalisiert und ausgebaut werden. Darüber hinaus müssen Strukturen, die kurz- und mittelfristig die Situation obdachloser Menschen verbessern, gestärkt werden. Der Personalschlüssel soll in der Obdachlosenhilfe erhöht und die Besetzung durch mehr Neueinstellungen von Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen breiter professionalisiert werden. Das Ehrenamt soll als Ergänzung fungieren und darf nicht den Großteil des Systems tragen.

 

Auf bezirklicher Ebene soll ein Runder Tisch „Obdachlose Menschen“ für Betroffene sowie ehrenamtliche und hauptamtliche Organisationen eingerichtet werden.

 

Mobilität für alle

Mobilität ist gerade für Menschen, die in Armut leben, wichtig. Dies umfasst Gänge zu den Ämtern der öffentlichen Verwaltung, der Arbeit, zum Arzt und auch die Möglichkeit zu einer flexibleren Freizeitgestaltung.

 

Das 9-Euro-Ticket war ein großer Erfolg und hat Menschen Mobilität auch überregional ermöglicht, die sonst davon ausgeschlossen gewesen wären. Das 9-Euro-Ticket hat gezeigt, dass ein einfacher und kostengünstiger ÖPNV für viele ein attraktives Angebot ist. Deshalb setzen wir uns für das 365-Euro-Ticket für Berlin ein. Auch auf Bundesebene muss es ein Nachfolgemodell für das 9-Euro-Ticket geben. Wir begrüßen die Anstrengungen des Landes Berlin, das 9-Euro-Ticket auch in Berlin weiterzuführen.

 

Personengruppen wie Geflüchtete und Obdachlose fallen häufig aus dem System der sozialen Sicherung und haben mithin auch keinen Zugang zum Sozialticket. Der Bezug von Einzelfahrsausweisen und Tageskarten ist zu teuer und führt zum Fahren ohne Fahrschein und den damit verbundenen Konsequenzen wie Bußgeldern bis hin zu Ersatzfreiheitsstrafen. Menschen, die nachweislich Besucher:innen von Einrichtungen der Kältehilfe sind, sollte deshalb die kostenfreie Nutzung des ÖPNV ermöglicht werden. Darüber hinaus bedarf es diskriminierungskritischer Schulungen für das Kontroll- und Sicherheitspersonal sowie unabhängiger Beschwerdestellen, um Übergriffe auf marginalisierte Personen zu verhindern und zu sanktionieren.

 

Steuern

Für uns als Sozialdemokratie ist klar, dass wir uns nicht aus der Krise heraus sparen dürfen. Gerade jetzt braucht es die starke Hilfe des Staates. Dies bedeutet, dass die Schuldenbremse auch im Jahr 2023 ausgesetzt werden muss. Wir brauchen derzeit Hilfen für die Menschen und keine neuen Sparrunden.

 

In den letzten Jahrzehnten wurden die Steuern für Vermögende immer weiter gesenkt. Die Vermögenssteuer wurde nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt. Die Erbschaftssteuer wurde immer weiter verwässert. Gerade für die hohen Erbschaften zahlt man heute kaum Steuern. Maßnahmen gegen die Armut müssen daher durch eine Erhöhung der Vermögenssteuern finanziert werden. Konkret fordern wir kurzfristig eine einmalige Vermögensabgabe. Bei dieser Vermögensabgabe kann es einen individuellen Freibetrag von 2 Millionen Euro geben und für Betriebsvermögen von 5 Millionen Euro. So werden nur die belastet, die aus den zurückliegenden Krisen meist mit Gewinn hervorgegangen sind. Das Geld aus der Vermögensabgabe soll für Maßnahmen gegen Armut eingesetzt werden.

 

Langfristig braucht es die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, einer Reform der Erbschaftssteuer und einer teilweisen Absenkung der Steuern auf Arbeit. Der Vorschlag zur Abminderung der kalten Progression, wie ihn Christian Lindner unterbreitet hat, ist für uns nicht ausreichend, weil er vor allem den Reichen zugutekommt. Außerdem wollen wir die Abschaffung der pauschalen Besteuerung bei privater Dienstwagennutzung.

 

Die Inflation führt derzeit zu erhöhten Steuereinnahmen beim Staat. Diese müssen zur Entlastung der Bürger:innen eingesetzt werden. Von den 2,3 Milliarden Euro, die das Land Berlin mehr einnimmt, soll mindestens die Hälfte für direkte Entlastungen der Bürger:innen genutzt werden.

 

Für uns als SPD ist auch klar, dass wir eine Übergewinnsteuer brauchen. Länder wie Großbritannien, Spanien oder Belgien zeigen, wie diese aussehen kann. Schätzungen zufolge könnte die Übergewinnsteuer bis zu 100 Milliarden Euro an Mehreinnahmen bedeuten. Dieses Geld wird dringend für Entlastungen der Menschen gebraucht.

 

Darüber hinaus fordern wir Steuergerechtigkeit für Sorgearbeitende durch Streichung der Lohnsteuerklasse V und perspektivisch die Weiterentwicklung zu einem Realsplitting.

 

Strukturen verbessern – Zugang zu Unterstützungsangeboten erleichtern

Nur leicht zugängliche, stabile und gerechte Strukturen zur Armutsvermeidung und -bekämpfung können langfristige Lösungen für Betroffene darstellen. In Deutschland gibt es bereits eine Vielzahl von unterstützenden Strukturen.

 

Doch um die bestehende Infrastruktur der Beratungs- und Hilfelandschaft und den Sozialstaat zugänglich und handhabbar zu machen und Menschen zu ermöglichen, Bedarfe zu erfüllen und bestehende Angebote zu nutzen, müssen Beratungs- und Hilfeangebote deutlich ausgebaut werden. Angebote der Überschuldungsberatung, der Mietendenberatung, kostenlose Energieberatung und Antragsberatung zu Bürger:innengeld, Pflege, Rente und anderen Punkten müssen einfach zugänglich sein. Dazu gehört auch der Ausbau der Informationsstreuung über diese Angebote und die Stärkung der aufsuchenden Sozialarbeit.

 

Ein konkretes Beispiel für die Unterstützung privater Hilfsangebote ist die Tafel. Die Tafel und andere private Hilfsprojekte, die Nahrungsarmut bekämpfen, füllen eine Lücke der staatlichen Armutsversorgung und haben sich in der Vergangenheit Strukturen und Vertrauen der in Armut lebenden Menschen erarbeitet. Ihre Arbeit würde durch die Verpflichtung von Lebensmittelgeschäften Lebensmittel, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, an Hilfsstationen und Lebensmittelausgabestellen weiterzugeben, stark vereinfacht und würde die Versorgungsmöglichkeiten erweitern. Daher sollten wir diese verpflichtende Abgabe prüfen.

 

Guter Zugang zu Armut vorbeugenden und Armut bekämpfenden Strukturen muss niedrigschwellig sein. Daher ist es eine bereichsübergreifende Herausforderung, der wir uns stellen müssen, niedrigschwellige Zugänge zum Sozialsystem in analoger und digitaler Form zu schaffen, in denen soziale Beratung und Hilfestellung passieren kann. Um Menschen in Armut den Zugang zu Beratungsstrukturen zu erleichtern, wollen wir den Ausbau niedrigschwelliger Behördenzugänge und/oder Sprechstunden außerhalb der Behörde, zum Beispiel in Kieztreffs, verstärkt einführen.

 

Guter Zugang zu armutsverringernden Strukturen zu ermöglichen, bedeutet auch, sprachliche Barrieren abzubauen, zum Beispiel durch Leichte Sprache oder nicht deutsche Sprachen. Das soll sowohl den analogen als auch den digitalen Raum umfassen. Nur Menschen, die die Strukturen verstehen, können sich in ihnen bewegen und sie nutzen.

 

Wir wollen eine Armuts- und diskriminierungssensible Verwaltung. Eine Stigmatisierung von Armut ist in unserer Gesellschaft immer noch stark verbreitet. Von dieser Sozialisierung sind auch Mitarbeiter:innen der Anlaufstellen/Beratungsstellen betroffen. Um die Mitarbeiter:innen in diesem Bereich zu sensibilisieren, sollen Schulungen der Beschäftigten verpflichtend eingeführt werden.

 

Ein möglicher Weg aus der Armut bzw. ein Schutz vor Armut für viele Menschen ist die schnelle und unbürokratische Anerkennung von Studienabschlüssen z.B. von Geflüchteten, aber auch von Menschen aus der DDR. Ein höherer Bildungsabschluss ermöglicht einen schnellen Arbeitseinstieg und die Einstufung in höhere Gehaltsklassen in der Erwerbstätigkeit.

 

Durch unterschiedliche Krisen stehen wir aktuell gesellschaftlich vor einer wirtschaftlich und sozial herausfordernden Zeit. Daher ist für uns als SPD klar, dass wir gerade jetzt den Kampf gegen die Armut entschlossen aufnehmen müssen. Die  SPD steht an der Seite derer, die unsere Hilfe gerade jetzt brauchen.

Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt bei Annahme Leitantrag (Konsens)