Antrag 112/II/2023 Videoüberwachung für die Fahrradstellflächen an den U- und S-Bahnhöfen

 Die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat und in der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus mögen sich für folgende Regelungen auf Landesebene einsetzen und zur Umsetzung bringen.

 

Die Videoüberwachung an den Fahrradstellflächen an U- und S-Bahnhöfen soll umgehend umgesetzt werden. Die Sicherheitsbehörden müssen hierbei durch effiziente und intelligente Kameratechnik rechtssicher unterstützt werden, die speziell geeignet ist, Fahrraddiebstähle und Vandalismus zu erkennen und effizient zu verfolgen.

Fassung der Antragskommission:

LPT II-2023 | FA III – Innen- und Rechtspolitik, FA XI – Mobilität, Forum Netzpolitik

 

Stellungnahme des Forum Netzpolitik: Das Forum Netzpolitik empfiehlt Ablehnung.

Wir begrüßen zwar grundsätzlich die Initiative der KDV Marzahn-Hellerdorf für eine Stärkung des Fahrradverkehrs in Berlin. Das Fahrrad und der gesamte Umweltverbund sind soziale Mobilität und ein wichtiger Baustein der Verkehrswende. Gleichzeitig haben wir große Bedenken bei den konkret im Antrag geforderten Maßnahmen in Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit, weil bei unklarem Nutzen massiv in die Grundrechte der Allgemeinheit eingegriffen werden soll. Wir fordern stattdessen die prioritäre Einrichtung sicherer Fahrradabstellanlagen an S- und U-Bahnhöfen.

 

Es ist festzustellen, dass der Großteil der Fahrraddiebstähle in Berlin Gelegenheitstaten im Zusammenhang mit Beschaffungskriminalität sind. Die Aufklärungsquote liegt bei unter 5 %, vor allem aufgrund des geringen Fahndungsdrucks und Personalmangel bei den Ermittlungsbehörden [1]. Darüber hinaus ist festzustellen, dass Videoüberwachung immer einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. Auch das Recht am eigenen Bild wird davon berührt. Folge ist oft ein gesellschaftlicher Chilling Effect; man verhält sich in überwachten Räumen bewusst unauffällig und immer mit der Überwachung im Hinterkopf. Dem gegenüber zu stellen ist der potenzielle Nutzen einer solchen Maßnahme.

 

Videoüberwachung wird in der Berliner U-Bahn seit Jahren eingesetzt. Trotzdem führt die Auswertung des Materials nur in etwa 2 % der Fälle zu einem Fahndungserfolg [2]. Auch eine abschreckende Wirkung der Kameras ist evident nicht erkennbar. Die Bundespolizei testet in mehreren Pilotprojekten sogenannte „intelligente“ Videotechnik und Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz. Veröffentlichte Ergebnisse dieser Versuche zeigen eine hohe Fehlerquote und vor allem viele falsch positiv erkannte Ereignisse. Auch der kürzliche Rückzug von Amazon aus dem Modell eines KI-gestützen Supermarkts zeigt, dass die Fähigkeiten intelligenter Videotechnik oft überschätzt werden [3].

 

Wir sehen in einer generellen Videoüberwachung von Fahrradstellplätzen im öffentlichen Raum eine teure Maßnahme ohne ausreichenden Nutzen, welcher die Grundrechtseinschränkungen aller sich dort aufhaltenden Personen aufwiegen würde. Statt dieser vermeintlich einfachen Lösung sollte das Geld vermehrt zur Einrichtung tatsächlich sichere Fahrradabstellanlagen (z. B. Parkhäuser) verwendet werden. Amsterdam und andere Städte in den Niederlanden zeigen, dass dies auch im innerstädtischen Bereich und ohne Neubau möglich ist. Beim Schutz solcher Einrichtungen kann auch Videoüberwachung eine Rolle spielen, da in diesem Fall nur Nutzende der Einrichtung selbst betroffen wären.

 

[1] https://www.berliner-zeitung.de/ratgeber/fahrradklau-in-berlin-wer-steckt-hinter-den-diebstaehlen-li.2174928
[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/auswertung-meist-erfolglos-berliner-polizei-fordert-immer-mehr-bvg-uberwachungsvideos-an-11021290.html
[3] https://netzpolitik.org/2024/von-wegen-kuenstliche-intelligenz-indische-arbeitskraefte-steckten-hinter-amazons-smarten-supermarktkassen/