Antrag 105/I/2023 Trans*liberation now: Für ein echtes Selbstbestimmungsgesetz

Status:
Annahme mit Änderungen

Wir begrüßen, dass das Bundesjustiz- und das Bundesfamilienministerium Eckpunkte für das im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien vorgesehene Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt haben. Damit rückt die lange überfällige Abschaffung des „TSG“ endlich näher. Wir unterstützen ausdrücklich, dass die Anpassung von Vornamen und Geschlechtseintrag künftig in einem einfachen Verfahren vor dem Standesamt ohne vorherige Zwangsgutachten möglich sein soll.

 

Dennoch bleiben die Eckpunkte hinter einem echten Selbstbestimmungsgesetz zurück. Wir fordern deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende Verbesserungen und Klarstellungen einzusetzen:

  1. Die Erklärungen zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag müssen an jedem Standesamt abgegeben werden können. Es wäre nicht zumutbar, wenn Menschen nur für die Abgabe dieser Erklärung das Standesamt ihrer Geburt aufsuchen müssten.
  2. Auch Menschen, die ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland leben, müssen das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch nehmen können. Die derzeit übliche Prüfung, ob das Recht des Heimatstaats eine vergleichbare Regelung kennt, verursacht unnötigen und zeitraubenden Bürokratieaufwand.
  3. Auch die Anpassung geschlechtsspezifischer Nachnamen soll in das Selbstbestimmungsgesetz aufgenommen werden. Wenn ein trans* Mensch einen Namen mit geschlechtsspezifischer Endung führt, wie es z.B. in nord- und osteuropäischen Ländern verbreitet ist, würde es andernfalls zu einer sinnwidrigen Diskrepanz zwischen Vor- und Nachnamen kommen.
  4. Auch bei Minderjährigen unter 14 Jahren soll das Familiengericht eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung treffen können, wenn die Sorgeberechtigten die Zustimmung zur Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag verweigern. Im familiengerichtlichen Verfahren ist sicherzustellen, dass ein*e Verfahrensbetreuer*in bestellt wird, die mit der Situation und den Bedürfnissen von trans* Menschen vertraut ist.
  5. Bei Minderjährigen ist das Verfahren altersunabhängig so zu gestalten, dass diese die Erklärung zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag selbst abgeben, wie es im Eckpunktepapier bereits für Minderjährige ab 14 Jahren vorgesehen ist.
  6. Das Standesamt soll von Amts wegen das Familiengericht anrufen, wenn ein*e Minderjährige*r die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag verlangt und die Sorgeberechtigten auch nach Aufforderung durch das Standesamt keine Zustimmung erteilen.
  7. Sowohl die Sorgeberechtigten als auch das Familiengericht müssen verpflichtet sein, die Wünsche eines minderjährigen Kindes bezüglich des eigenen Namens und Geschlechtseintrags vorrangig zu berücksichtigen. Bei entsprechender Reife muss die Entscheidung in das Selbstbestimmungsrecht des Kindes fallen. Daher muss auch die Altersgrenze für eine eigenständige Entscheidung ohne Beteiligung der Eltern abgesenkt werden.
  8. Ergänzend zum Offenbarungsverbot, das mit § 5 TSG bereits Teil der geltenden Rechtslage ist, ist eine ausdrückliche Regelung aufzunehmen, wonach Menschen nach Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag einen gesetzlichen Anspruch gegen private und öffentliche Stellen auf Ausstellung von Dokumenten, Zeugnissen und anderen Bescheinigungen mit den neuen Personendaten haben.

 

Das Selbstbestimmungsgesetz soll darüber hinaus nur Erleichterungen für die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag enthalten. Um die Lebenssituation von trans* Menschen wirksam zu verbessern, braucht es aber weitere Maßnahmen. Wir fordern deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende zusätzliche Maßnahmen einzusetzen und diese zeitnah in die Wege zu leiten:

  1. Um trans* Menschen zu unterstützen und in die Lage zu versetzen, ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch zu nehmen, ist die in den Eckpunkten vorgesehene Stärkung von Beratungsangeboten besonders wichtig. Insbesondere für Minderjährige sind niedrigschwellige spezialisierte Anlauf- und Beratungsstellen auszubauen, abzusichern oder neu zu schaffen, die diese bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen und während des Verfahrens, das das Selbstbestimmungsgesetz vorsieht, begleiten können. Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine qualifizierte Beratung ist zu prüfen. Weiterhin ist zu prüfen, ob Sorgeberechtigte von trans* Kindern zur Wahrnehmung einer Beratung verpflichtet werden können.
  2. Eltern, die ihren Geschlechtseintrag haben ändern lassen, sind in der Geburtsurkunde des Kindes mit einer Bezeichnung einzutragen, die ihrem geänderten Geschlechtseintrag entspricht.
  3. Wie vom Koalitionsvertrag gefordert müssen die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. Das gilt auch für eventuell angeforderte Gutachten. Das Bundesministerium für Gesundheit muss zeitnah ein Konzept vorlegen, mit dem sichergestellt wird, dass trans* Menschen bei entsprechender ärztlicher Empfehlung einen Anspruch auf Kostenübernahme hinsichtlich der Behandlungen haben, die in der einschlägigen S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ empfohlen werden, welche unter Federführung der der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung erarbeitet wurde.
  4. Bezüglich der Teilnahme an Sportveranstaltungen und Wettkämpfen ist sicherzustellen, dass keine Regelungen getroffen werden, die trans* Sportler*innen ohne sachlichen Grund ausschließen oder unverhältnismäßig benachteiligen.

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in der Fassung der AK (Konsens)
Fassung der Antragskommission:

Wir begrüßen und unterstützen die Pläne der Ampel-Koalition, ein modernes Selbstbestimmungsgesetz zu schaffen. Damit rückt die lange überfällige Abschaffung des entwürdigenden „Transsexuellengesetzes“ (TSG) endlich näher. Wir unterstützen ausdrücklich, dass die Anpassung von Vornamen und Geschlechtseintrag künftig in einem einfachen Verfahren vor dem Standesamt ohne vorherige Zwangsgutachten oder Zwangsberatungen möglich sein soll.

 

Der am 9. Mai 2023 – nach langer Verzögerung – endlich veröffentlichte Referentenentwurf des Bundesjustiz- und des Bundesfamilienministeriums bleibt jedoch deutlich hinter einem echten Selbstbestimmungsgesetz zurück, wie es von den drei Ampel-Parteien seit Jahren gefordert und im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist.

 

Wir teilen den Eindruck aus der queeren Community, dass der Entwurf von Misstrauen und unbegründeten Ängsten gegenüber trans* Menschen geprägt ist. Vielfach werden unbegründete Narrative bedient, die insbesondere aus rechten Kreisen vorgebracht werden, welche eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von trans* Personen und anderen queeren Menschen ganz grundsätzlich ablehnen. Wir stellen uns solchen Versuchen entschieden entgegen, das eigentliche Ziel des Gesetzes in den Hintergrund treten zu lassen – nämlich Diskriminierung abzubauen und das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung zu verwirklichen. Wir rufen die sozialdemokratischen Mitglieder von Bundestag und Bundesregierung, aber auch die federführenden Ministerien für Familie und Justiz dazu auf, der Diskriminierung von trans* Menschen klar und unmissverständlich entgegenzutreten und zu widersprechen, wenn auf Kosten von trans* Menschen Ängste geschürt werden.

 

Insbesondere nehmen wir die Sorge ernst, dass der Diskriminierungsschutz für trans* Menschen durch unklare und unnötige Regelungen im Gesetzentwurf – beispielsweise zum „Hausrecht“ – geschwächt werden könnte. In der weiteren Abstimmung und im parlamentarischen Verfahren muss zweifelsfrei geklärt werden, dass das Selbstbestimmungsgesetz die Situation von trans* Menschen verbessern und an keiner Stelle verschlechtern wird.

 

Wir fordern die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, für eine schnelle Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes einzutreten und sich in den weiteren Beratungen dafür einzusetzen, dass die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von trans* Menschen und der Abbau von Diskriminierung im Mittelpunkt stehen. Dafür bedarf es insbesondere folgende Verbesserungen und Klarstellungen:

  1. Dass die Anpassung von Vornamen und Geschlechtseintrag durch eine dreimonatige Warteperiode künstlich verzögert werden soll, was insbesondere für intergeschlechtliche Personen eine Verschlechterung zur aktuellen Rechtslage bedeuten würde, lehnen wir ab. Die Wartefrist ist ersatzlos zu streichen.
  2. Es ist sicherzustellen, dass der Schutz von trans* Menschen vor Diskriminierung nicht eingeschränkt, abgeschwächt oder verwässert wird. Wir unterstützen die Klarstellung durch die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, dass es pauschale Ausschlüsse von Menschen wegen ihrer geschlechtlichen Identität, ob im Job, auf dem Wohnungsmarkt oder in der Sauna, auch in Zukunft nicht geben darf. Um Rechtsunsicherheit an dieser Stelle auszuschließen, ist die im Entwurf enthaltene Regelung zum „Hausrecht“ zu streichen oder um eine Klarstellung zu ergänzen, dass die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ungeschmälert weiterhin Geltung haben.
  3. Die Erklärungen zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag müssen an jedem Standesamt abgegeben werden können. Es wäre nicht zumutbar, wenn Menschen nur für die Abgabe dieser Erklärung das Standesamt ihrer Geburt aufsuchen müssten.
  4. Auch bei Minderjährigen unter 14 Jahren soll das Familiengericht eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung treffen können, wenn die Sorgeberechtigten die Zustimmung zur Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag verweigern, oder bei Meinungsverschiedenheiten die Entscheidung einem Elternteil übertragen können. Hierzu ist die mehrdeutige Formulierung im Gesetzentwurf, dass die Erklärung „nur“ vom gesetzlichen Vertreter abgegeben werden kann, anzupassen oder ein klarstellender Verweis auf die allgemeinen familienrechtlichen Regelungen aufzunehmen. Im familiengerichtlichen Verfahren ist sicherzustellen, dass ein*e Verfahrensbetreuer*in bestellt wird, die mit der Situation und den Bedürfnissen von trans* Menschen vertraut ist.
  5. Bei Minderjährigen ist das Verfahren altersunabhängig so zu gestalten, dass diese die Erklärung zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag selbst abgeben, wie es im Referentenentwurf bereits für Minderjährige ab 14 Jahren vorgesehen ist. Das Erfordernis der elterlichen Zustimmung oder der Zustimmung des Familiengerichts bleibt davon unberührt.
  6. Das Standesamt soll von Amts wegen das Familiengericht anrufen, wenn ein*e Minderjährige*r die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag verlangt und die Sorgeberechtigten auch nach Aufforderung durch das Standesamt keine Zustimmung erteilen, um zu klären, welches Vorgehen im Sinne des Kindeswohls geboten ist.
  7. Auch im Sinne der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention müssen sowohl die Sorgeberechtigten als auch das Familiengericht verpflichtet sein, die Wünsche eines minderjährigen Kindes bezüglich des eigenen Namens und Geschlechtseintrags vorrangig zu berücksichtigen. Bei entsprechender Reife muss die Entscheidung in das Selbstbestimmungsrecht des Kindes fallen. Daher muss auch die Altersgrenze für eine eigenständige Entscheidung ohne Beteiligung der Eltern abgesenkt werden.
  8. Die im Zusammenhang mit dem Offenbarungsverbot vorgesehene Bußgeldvorschrift ist anzupassen, sodass es nicht darauf ankommt, ob eine konkrete Schädigung der betroffenen Person beabsichtigt war. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das Offenbarungsverbot völlig ins Leere läuft und dies als „Freifahrschein“ für trans*feindliche Äußerungen verstanden wird.
  9. Die Sonderregelungen für den Verteidigungsfall sind kritisch zu überprüfen, ob sie wirklich erforderlich sind, um Missbrauch zu verhindern. Zumindest sollte die Vorlauffrist von drei Monaten vor Eintritt des Verteidigungsfalls deutlich verkürzt und die Regelung um eine Härtefallklausel ergänzt werden, um sicherzustellen, dass in evident nicht missbräuchlichen Fällen die Anpassung des Geschlechtseintrags weiterhin möglich bleibt.
  10. Dass trans* Eltern in der Geburtsurkunde ihrer Kinder künftig als „Elternteil“ bezeichnet werden können, bedeutet zwar einen Fortschritt gegenüber der aktuellen Rechtslage, die eine Bezeichnung nach dem unzutreffenden Geschlecht vorsieht („Mutter“ für trans* Männer, „Vater“ für trans* Frauen). Dass die neutrale Formulierung „Elternteil“ nur für trans* Elternteile vorgesehen ist, würde allerdings praktisch zu einem Zwangsouting führen. Daher sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dass trans* Elternteile in der Geburtsurkunde ihrem Geschlechtseintrag entsprechen als „Mutter“ oder „Vater“ bezeichnet werden.

 

Das Selbstbestimmungsgesetz soll darüber hinaus nur Erleichterungen für die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag enthalten. Um die Lebenssituation von trans* Menschen wirksam zu verbessern, braucht es aber weitere Maßnahmen. Wir fordern deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende zusätzliche Maßnahmen einzusetzen und diese zeitnah in die Wege zu leiten:

  1. Um trans* Menschen zu unterstützen und in die Lage zu versetzen, ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch zu nehmen, ist die im ursprünglichen Eckpunktepapier von Bundesfamilien- und -justizministerium vorgesehene Stärkung von Beratungsangeboten besonders wichtig. Insbesondere für Minderjährige sind niedrigschwellige spezialisierte Anlauf- und Beratungsstellen auszubauen, abzusichern oder neu zu schaffen, die diese bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen und während des Verfahrens, das das Selbstbestimmungsgesetz vorsieht, begleiten können. Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine qualifizierte Beratung ist zu prüfen. Das Ziel, trans* Menschen bei der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts zu unterstützen, kann die Beratung allerdings nur erreichen, wenn sie von Freiwilligkeit und Vertrauen geprägt ist. Eine Pflichtberatung lehnen wir deshalb eindeutig ab.
  2. Wie vom Koalitionsvertrag gefordert müssen die Kosten aller geschlechtsangleichender Behandlungen vollständig von den Krankenversicherungen übernommen werden. Das gilt auch für eventuell angeforderte Gutachten. Das Bundesministerium für Gesundheit muss zeitnah ein Konzept vorlegen, mit dem sichergestellt wird, dass trans* Menschen bei entsprechender ärztlicher Empfehlung einen Anspruch auf Kostenübernahme hinsichtlich der Behandlungen haben, die in der einschlägigen S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ empfohlen werden, welche unter Federführung der der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung erarbeitet wurde.
  3. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart muss für trans* und inter* Personen, die aufgrund in der Vergangenheit geltender Regelungen von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen waren, ein Entschädigungsfonds eingerichtet werden.
  4. Auch mit Blick auf die integrative Wirkung des Breitensports dürfen trans* Sportler*innen nicht pauschal von der Teilnahme an Sportveranstaltungen und Wettkämpfen ausgeschlossen werden. Soweit Regelungen erforderlich sind, etwa um in Wettkämpfen die Fairness gegenüber Wettbewerber*innen zu wahren, müssen diese auf sachlich begründeten Kriterien beruhen und verhältnismäßig sein.

 

Beschluss: Annahme mit Änderungen
Text des Beschlusses:

Wir begrüßen und unterstützen die Pläne der Ampel-Koalition, ein modernes Selbstbestimmungsgesetz zu schaffen. Damit rückt die lange überfällige Abschaffung des entwürdigenden „Transsexuellengesetzes“ (TSG) endlich näher. Wir unterstützen ausdrücklich, dass die Anpassung von Vornamen und Geschlechtseintrag künftig in einem einfachen Verfahren vor dem Standesamt ohne vorherige Zwangsgutachten oder Zwangsberatungen möglich sein soll.

 

Der am 9. Mai 2023 – nach langer Verzögerung – endlich veröffentlichte Referentenentwurf des Bundesjustiz- und des Bundesfamilienministeriums bleibt jedoch deutlich hinter einem echten Selbstbestimmungsgesetz zurück, wie es von den drei Ampel-Parteien seit Jahren gefordert und im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist.

 

Wir teilen den Eindruck aus der queeren Community, dass der Entwurf von Misstrauen und unbegründeten Ängsten gegenüber trans* Menschen geprägt ist. Vielfach werden unbegründete Narrative bedient, die insbesondere aus rechten Kreisen vorgebracht werden, welche eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von trans* Personen und anderen queeren Menschen ganz grundsätzlich ablehnen. Wir stellen uns solchen Versuchen entschieden entgegen, das eigentliche Ziel des Gesetzes in den Hintergrund treten zu lassen – nämlich Diskriminierung abzubauen und das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung zu verwirklichen. Wir rufen die sozialdemokratischen Mitglieder von Bundestag und Bundesregierung, aber auch die federführenden Ministerien für Familie und Justiz dazu auf, der Diskriminierung von trans* Menschen klar und unmissverständlich entgegenzutreten und zu widersprechen, wenn auf Kosten von trans* Menschen Ängste geschürt werden.

 

Insbesondere nehmen wir die Sorge ernst, dass der Diskriminierungsschutz für trans* Menschen durch unklare und unnötige Regelungen im Gesetzentwurf – beispielsweise zum „Hausrecht“ – geschwächt werden könnte. In der weiteren Abstimmung und im parlamentarischen Verfahren muss zweifelsfrei geklärt werden, dass das Selbstbestimmungsgesetz die Situation von trans* Menschen verbessern und an keiner Stelle verschlechtern wird.

 

Wir fordern die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, für eine schnelle Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes einzutreten und sich in den weiteren Beratungen dafür einzusetzen, dass die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von trans* Menschen und der Abbau von Diskriminierung im Mittelpunkt stehen. Dafür bedarf es insbesondere folgende Verbesserungen und Klarstellungen:

  1. Dass die Anpassung von Vornamen und Geschlechtseintrag durch eine dreimonatige Warteperiode künstlich verzögert werden soll, was insbesondere für intergeschlechtliche Personen eine Verschlechterung zur aktuellen Rechtslage bedeuten würde, lehnen wir ab. Die Wartefrist ist ersatzlos zu streichen.
  2. Es ist sicherzustellen, dass der Schutz von trans* Menschen vor Diskriminierung nicht eingeschränkt, abgeschwächt oder verwässert wird. Wir unterstützen die Klarstellung durch die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, dass es pauschale Ausschlüsse von Menschen wegen ihrer geschlechtlichen Identität, ob im Job, auf dem Wohnungsmarkt oder in der Sauna, auch in Zukunft nicht geben darf. Um Rechtsunsicherheit an dieser Stelle auszuschließen, ist die im Entwurf enthaltene Regelung zum „Hausrecht“ zu streichen oder um eine Klarstellung zu ergänzen, dass die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ungeschmälert weiterhin Geltung haben.
  3. Die Erklärungen zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag müssen an jedem Standesamt abgegeben werden können. Es wäre nicht zumutbar, wenn Menschen nur für die Abgabe dieser Erklärung das Standesamt ihrer Geburt aufsuchen müssten.
  4. Auch bei Minderjährigen unter 14 Jahren soll das Familiengericht eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung treffen können, wenn die Sorgeberechtigten die Zustimmung zur Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag verweigern, oder bei Meinungsverschiedenheiten die Entscheidung einem Elternteil übertragen können. Hierzu ist die mehrdeutige Formulierung im Gesetzentwurf, dass die Erklärung „nur“ vom gesetzlichen Vertreter abgegeben werden kann, anzupassen oder ein klarstellender Verweis auf die allgemeinen familienrechtlichen Regelungen aufzunehmen. Im familiengerichtlichen Verfahren ist sicherzustellen, dass ein*e Verfahrensbetreuer*in bestellt wird, die mit der Situation und den Bedürfnissen von trans* Menschen vertraut ist.
  5. Bei Minderjährigen ist das Verfahren altersunabhängig so zu gestalten, dass diese die Erklärung zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag selbst abgeben, wie es im Referentenentwurf bereits für Minderjährige ab 14 Jahren vorgesehen ist. Das Erfordernis der elterlichen Zustimmung oder der Zustimmung des Familiengerichts bleibt davon unberührt.
  6. Das Standesamt soll von Amts wegen das Familiengericht anrufen, wenn ein*e Minderjährige*r die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag verlangt und die Sorgeberechtigten auch nach Aufforderung durch das Standesamt keine Zustimmung erteilen, um zu klären, welches Vorgehen im Sinne des Kindeswohls geboten ist.
  7. Auch im Sinne der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention müssen sowohl die Sorgeberechtigten als auch das Familiengericht verpflichtet sein, die Wünsche eines minderjährigen Kindes bezüglich des eigenen Namens und Geschlechtseintrags vorrangig zu berücksichtigen. Bei entsprechender Reife muss die Entscheidung in das Selbstbestimmungsrecht des Kindes fallen. Daher muss auch die Altersgrenze für eine eigenständige Entscheidung ohne Beteiligung der Eltern abgesenkt werden.
  8. Die im Zusammenhang mit dem Offenbarungsverbot vorgesehene Bußgeldvorschrift ist anzupassen, sodass es nicht darauf ankommt, ob eine konkrete Schädigung der betroffenen Person beabsichtigt war. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das Offenbarungsverbot völlig ins Leere läuft und dies als „Freifahrschein“ für trans*feindliche Äußerungen verstanden wird.
  9. Die Sonderregelungen für den Verteidigungsfall sind kritisch zu überprüfen, ob sie wirklich erforderlich sind, um Missbrauch zu verhindern. Zumindest sollte die Vorlauffrist von drei Monaten vor Eintritt des Verteidigungsfalls deutlich verkürzt und die Regelung um eine Härtefallklausel ergänzt werden, um sicherzustellen, dass in evident nicht missbräuchlichen Fällen die Anpassung des Geschlechtseintrags weiterhin möglich bleibt.
  10. Dass trans* Eltern in der Geburtsurkunde ihrer Kinder künftig als „Elternteil“ bezeichnet werden können, bedeutet zwar einen Fortschritt gegenüber der aktuellen Rechtslage, die eine Bezeichnung nach dem unzutreffenden Geschlecht vorsieht („Mutter“ für trans* Männer, „Vater“ für trans* Frauen). Dass die neutrale Formulierung „Elternteil“ nur für trans* Elternteile vorgesehen ist, würde allerdings praktisch zu einem Zwangsouting führen. Daher sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dass trans* Elternteile in der Geburtsurkunde ihrem Geschlechtseintrag entsprechen als „Mutter“ oder „Vater“ bezeichnet werden.

 

Das Selbstbestimmungsgesetz soll darüber hinaus nur Erleichterungen für die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag enthalten. Um die Lebenssituation von trans* Menschen wirksam zu verbessern, braucht es aber weitere Maßnahmen. Wir fordern deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende zusätzliche Maßnahmen einzusetzen und diese zeitnah in die Wege zu leiten:

  1. Um trans* Menschen zu unterstützen und in die Lage zu versetzen, ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch zu nehmen, ist die im ursprünglichen Eckpunktepapier von Bundesfamilien- und -justizministerium vorgesehene Stärkung von Beratungsangeboten besonders wichtig. Insbesondere für Minderjährige sind niedrigschwellige spezialisierte Anlauf- und Beratungsstellen auszubauen, abzusichern oder neu zu schaffen, die diese bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen und während des Verfahrens, das das Selbstbestimmungsgesetz vorsieht, begleiten können. Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine qualifizierte Beratung ist zu prüfen. Das Ziel, trans* Menschen bei der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts zu unterstützen, kann die Beratung allerdings nur erreichen, wenn sie von Freiwilligkeit und Vertrauen geprägt ist. Eine Pflichtberatung lehnen wir deshalb eindeutig ab.
  2. Wie vom Koalitionsvertrag gefordert müssen die Kosten aller geschlechtsangleichender Behandlungen vollständig von den Krankenversicherungen übernommen werden. Das gilt auch für eventuell angeforderte Gutachten. Das Bundesministerium für Gesundheit muss zeitnah ein Konzept vorlegen, mit dem sichergestellt wird, dass trans* Menschen bei entsprechender ärztlicher Empfehlung einen Anspruch auf Kostenübernahme hinsichtlich der Behandlungen haben, die in der einschlägigen S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ empfohlen werden, welche unter Federführung der der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung erarbeitet wurde.
  3. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart muss für trans* und inter* Personen, die aufgrund in der Vergangenheit geltender Regelungen von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen waren, ein Entschädigungsfonds eingerichtet werden.
  4. Auch mit Blick auf die integrative Wirkung des Breitensports dürfen trans* Sportler*innen nicht pauschal von der Teilnahme an Sportveranstaltungen und Wettkämpfen ausgeschlossen werden. Soweit Regelungen erforderlich sind, etwa um in Wettkämpfen die Fairness gegenüber Wettbewerber*innen zu wahren, müssen diese auf sachlich begründeten Kriterien beruhen und verhältnismäßig sein.

 

Beschluss-PDF:
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