Antrag 140/II/2022 Trans* liberation now: Für ein echtes Selbstbestimmungsgesetz!

Status:
Überweisung

Das geplante Selbstbestimmungsgesetz ist ein großer Fortschritt für die Selbstbestimmung von trans* Menschen. Nach einem jahrelangen Kampf wird das entwürdigende TSG endlich abgeschafft. Bereits 1993, 2005, 2006, 2008 und 2011 wurden Teile des TSG für verfassungswidrig erklärt. Die Reform kommt also viel zu spät.

 

Auch das vorgestellte Eckpunktepapier geht an einigen Stellen nicht weit genug. Vor allem Minderjährigen hilft es nicht zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung. Sie sind in weiten Teilen auf die Gunst ihrer Sorgeberechtigten angewiesen. Dies mag in Familien mit einer liberalen Haltung funktionieren, aber wir wissen, dass dies bei weitem nicht in jedem Haushalt der Fall ist.

 

Sorgeberechtigte, die nicht akzeptieren, dass ihr Kind trans* ist, sollen laut Eckpunktepapier die Möglichkeit haben, ihren Kindern bis zum 14. Lebensjahr den Zugang zu echter Selbstbestimmung gänzlich zu verwehren. Von 14 bis 18 können sie zwar durch ein Familiengericht überstimmt werden, aber es fehlen klare Anhaltspunkte, unter welchen Voraussetzungen das geschehen kann.

 

Warum die Kompetenzen des Familiengericht in diesem Fall überhaupt durch eine Altersgrenze eingeschränkt werden, ist nicht nachvollziehbar – schließlich kann das Familiengericht im Regelfall des § 1666 Absatz 3 Nummer 5 Bürgerliches Gesetzbuch altersunabhängig Erklärungen der Sorgeberechtigten ersetzen, wenn das Kindeswohl es erfordert.

 

Außerdem bleibt in den Eckpunkten unklar, wie das familiengerichtliche Verfahren eingeleitet wird. Es ist gut denkbar, dass trans* Kinder und Jugendliche mit einem unübersichtlichen Verfahren alleingelassen und in die Zwangslage gebracht werden, ihre eigenen Sorgeberechtigten verklagen zu müssen.

 

Das können wir so nicht hinnehmen. Auch Minderjährige müssen ein Recht auf Selbstbestimmung erhalten. Niemand darf gezwungen werden, in einem Geschlecht zu leben, dem er*sie sich nicht zugehörig fühlt. Kinder und Jugendliche sollten die Möglichkeit bekommen, selbst ihre Erklärung beim Standesamt abzugeben. Falls ihre Sorgeberechtigten dem Wunsch nicht zustimmen, sollten Minderjährige keine Sorge haben müssen, die eigenen Sorgeberechtigten verklagen zu müssen. Daher wollen wir, dass das Standesamt selbst das Familiengericht einschaltet. Vorherige Schulungen von richterlichem Personal, eine mit der Situation und den Bedürfnissen von trans* Menschen vertraute Verfahrensbetreuung sowie ein umfassendes Beratungsangebot sollen den Schutz des Kindes sicherstellen.

 

Um das Verfahren möglichst niedrigschwellig zu gestalten, sollen trans* Menschen ihren Antrag bei jedem Standesamt einreichen können. Außerdem wollen wir sicherstellen, dass das Selbstbestimmungsgesetz von allen Menschen in Anspruch genommen werden kann, unabhängig vom Pass. Es muss verhindert werden, dass Personen für die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag in ein Land reisen müssen, in dem sie möglicherweise verfolgt oder inhaftiert werden, oder Nachweise über die Regelungen in einem Heimatland beibringen müssen, zu dem sie möglicherweise gar keinen Bezug mehr haben.

 

Das Selbstbestimmungsgesetz selbst betrifft lediglich die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag, es hat also nichts mit medizinischen Maßnahmen zu tun. Dennoch ist der Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung ein wichtiger Teil von geschlechtlicher Selbstbestimmung. Selbstbestimmung darf aber keine Frage des Geldbeutels sein, sondern die gesetzlichen Krankenkassen müssen auch für solche Behandlungen zahlen. Das ist bislang leider nicht immer der Fall. Die Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ gibt einen guten Überblick, welche Behandlungen erforderlich sein können und somit auf jeden Fall von der Krankenkasse getragen werden sollten.

 

Zuletzt darf der Sport nicht außer Acht gelassen werden. Die vorgestellten Eckpunkte sehen vor, dass der organisierte Sport in eigener Zuständigkeit Regelungen zur Teilnahme von trans* Menschen trifft. Das greift leider zu kurz. So sehen die kürzlich vorgestellten Regelungen des Schwimm-Weltverbands zum Beispiel vor, dass trans* Frauen nur dann an Frauen-Wettbewerben teilnehmen können, wenn sie sich schon bis zum zwölften Lebensjahr oder mit Eintreten der Pubertät einer Hormontherapie unterzogen haben. Eine derart frühe Altersgrenze setzt trans* Mädchen in unverhältnismäßiger Form unter Druck, eine möglicherweise übereilte Entscheidung für eine Transition zu treffen. Solche Regelungen dürfen kein Vorbild für andere Sportarten sein.

 

Wir wollen ein echtes Selbstbestimmungsgesetz, das alle Menschen mitdenkt. Daher muss das Eckpunktepapier nachgeschärft werden, um auch eine Selbstbestimmung für Minderjährige und Menschen ohne deutschen Pass sicherzustellen und das Verfahren nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz niedrigschwellig und unbürokratisch gestaltet. Die Namensänderung ist für trans* Menschen bezüglich des Wohlbefindens etwas essenzielles und mit der eigenen Würde verbunden. Es dürfen dabei keine, auch keine kleinen, Hürden finanzieller Art entstehen. Wir begrüßen, dass das Bundesjustiz- und das Bundesfamilienministerium Eckpunkte für das im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien vorgesehene Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt haben. Damit rückt die lange überfällige Abschaffung des sogenannten Transsexuellengesetzes endlich näher. Wir unterstützen ausdrücklich, dass die Anpassung von Vornamen und Geschlechtseintrag künftig in einem einfachen Verfahren vor dem Standesamt ohne vorherige Zwangsgutachten möglich sein soll.

 

Dennoch bleiben die Eckpunkte hinter einem echten Selbstbestimmungsgesetz zurück. Wir fordern deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende Verbesserungen und Klarstellungen einzusetzen:

 

  • Die Erklärungen zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag müssen an jedem Standesamt abgegeben werden können. Es wäre nicht zumutbar, wenn Menschen nur für die Abgabe dieser Erklärung das Standesamt ihres Geburtsortes aufsuchen müssten.
  • Auch Menschen, die ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland leben, müssen das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch nehmen können. Die derzeit übliche Prüfung, ob das Recht des Heimatstaats eine vergleichbare Regelung kennt, verursacht unnötigen und zeitraubenden Bürokratieaufwand. Zudem kommt hinzu, dass in vielen Ländern trans* Menschen nach wie vor verfolgt und diskriminiert werden. Dass diese Transfeindlichkeit sie bis nach Deutschland verfolgt, ist nicht hinnehmbar.
  • Auch die Anpassung geschlechtsspezifischer Nachnamen soll in das Selbstbestimmungsgesetz aufgenommen werden. Wenn ein trans* Mensch einen Namen mit geschlechtsspezifischer Endung führt, wie es z.B. in nord- und osteuropäischen Ländern verbreitet ist, würde es andernfalls zu einer sinnwidrigen Diskrepanz zwischen Vor- und Nachnamen kommen.
  • Auch bei Minderjährigen unter 14 Jahren soll das Familiengericht eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung treffen können, wenn die Sorgeberechtigten die Zustimmung zur Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag verweigern. Im familiengerichtlichen Verfahren ist sicherzustellen, dass ein*e Verfahrensbetreuer*in bestellt wird, die mit der Situation und den Bedürfnissen von trans* Menschen vertraut ist.
  • Bei Minderjährigen ist das Verfahren altersunabhängig so zu gestalten, dass diese die Erklärung zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag selbst abgeben können, wie es im Eckpunktepapier bereits für Minderjährige ab 14 Jahren vorgesehen ist.
  • Das Standesamt soll von Amts wegen das Familiengericht anrufen, wenn ein*e Minderjährige*r die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag verlangt und die Sorgeberechtigten auch nach Aufforderung durch das Standesamt keine Zustimmung erteilen.
  • Sowohl die Sorgeberechtigten als auch das Familiengericht müssen verpflichtet sein, die Wünsche eines minderjährigen Kindes bezüglich des eigenen Namens und Geschlechtseintrags vorrangig zu berücksichtigen. Bei entsprechender Reife muss die Entscheidung in das Selbstbestimmungsrecht des Kindes fallen. Daher muss auch die Altersgrenze für eine eigenständige Entscheidung ohne Beteiligung der Sorgeberechtigten abgesenkt oder abgeschafft werden.
  • Ergänzend zum Offenbarungsverbot, das mit § 5 TSG bereits Teil der geltenden Rechtslage ist, ist eine ausdrückliche Regelung aufzunehmen, wonach Menschen nach Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag einen gesetzlichen Anspruch gegen private und öffentliche Stellen auf Ausstellung von Dokumenten, Zeugnissen und anderen Bescheinigungen mit den neuen Personendaten haben.

 

Das Selbstbestimmungsgesetz soll darüber hinaus nur Erleichterungen für die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag enthalten. Um die Lebenssituation von trans* Menschen wirksam zu verbessern, braucht es aber weitere Maßnahmen. Wir fordern deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende zusätzliche Maßnahmen einzusetzen und diese zeitnah in die Wege zu leiten:

 

  • Um trans* Menschen zu unterstützen und in die Lage zu versetzen, ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch zu nehmen, ist die in den Eckpunkten vorgesehene Stärkung von Beratungsangeboten besonders wichtig. Insbesondere für Minderjährige sind niedrigschwellige spezialisierte Anlauf- und Beratungsstellen auszubauen, abzusichern oder neu zu schaffen, die diese bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen und während des Verfahrens, das das Selbstbestimmungsgesetz vorsieht, begleiten können. Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine qualifizierte Beratung ist zu prüfen. Weiterhin ist zu prüfen, ob Sorgeberechtigte von trans* Kindern zur Wahrnehmung einer Beratung verpflichtet werden können.
  • Eltern, die ihren Geschlechtseintrag haben ändern lassen, sind in der Geburtsurkunde des Kindes mit einer Bezeichnung einzutragen, die ihrem geänderten Geschlechtseintrag entspricht.
  • Wie vom Koalitionsvertrag gefordert müssen die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. Das gilt auch für eventuell angeforderte Gutachten. Das Bundesministerium für Gesundheit muss zeitnah ein Konzept vorlegen, mit dem sichergestellt wird, dass trans* Menschen bei entsprechender ärztlicher Empfehlung einen Anspruch auf Kostenübernahme hinsichtlich der Behandlungen haben, die in der einschlägigen S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ empfohlen werden, welche unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung erarbeitet wurde. Ergänzend zu den geschlechtsanpassenden Operationen muss auch die Namenänderung für trans* Menschen beim Standesamt gebührenfrei sein.
  • Bezüglich der Teilnahme an Sportveranstaltungen und Wettkämpfen ist sicherzustellen, dass keine Regelungen getroffen werden, die trans* Sportler*innen ausschließen oder benachteiligen.
Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt bei Annahme 138/II/2022 (Konsens)
Überweisungs-PDF: