Antrag 70/II/2023 Steuerpflicht nach Staatsbürgerschaft, nicht nach Wohnsitz

Die SPD-Bundestagsabgeordneten werden aufgefordert, sich für eine Besteuerung nach Staatsbürgerschaft einzusetzen.

Fassung der Antragskommission:

LPT II-2023: Überwiesen an ASJ

 

Stellungnahme der ASJ Berlin zum Antrag 70/II/2023 der KDV Marzahn-Hellersdorf „Steuerpflicht nach Staatsbürgerschaft, nicht nach Wohnsitz“

 

Votum: Ablehnung

 

Begründung des Votums:

 

Die Einkommensteuerpflicht in Deutschland wird nach dem Wohnsitzprinzip abgegrenzt. Hat eine Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so ist sie mit allen von ihr erzielten Einkünften einkommensteuerpflichtig (sog. Welteinkommensprinzip). Hat sie im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt, so unterliegt sie nur mit den Einkünften der deutschen Einkommensteuer, die sie  im Inland erzielt (beschränkte Steuerpflicht). Das deutsche Einkommensteuerrecht knüpft im Grundsatz seit 1925 nicht mehr an die Staatsangehörigkeit an. Die ergänzende Aufnahme der deutschen Staatsangehörigkeit als Kriterium für die Annahme einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht verfolgt die Idee, die sog. Steuerflucht aus Deutschland in ein niedrig besteuerndes Ausland durch Verlagerung des Wohnsitzes zu verhindern.

 

Gegen diese Form der Steuervermeidung hat der Gesetzgeber allerdings schon eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. So ist eine natürliche Person, die in den letzten 10 Jahren vor dem Ende ihrer unbeschränkten Steuerpflicht als Deutscher insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war, gemäß § 2 Außensteuergesetz (AStG) für weitere 10 Jahre unter bestimmten weiteren Voraussetzungen über die beschränkte Steuerpflicht hinaus der sog. erweiterten beschränkten Einkommensteuerpflicht unterworfen, sodass weitere Einkünfte in Deutschland zu versteuern sind und der Steuersatz auf Grundlage des weltweiten Einkommens berechnet wird.  Zudem werden stille Reserven im Rahmen der Wegzugsbesteuerung gemäß §6 Abs. 1 AStG i.V.m. § 17 EStG erfasst und besteuert. Inländische Einkünfte unterfallen ohnehin – wie oben dargestellt – auch nach Wegzug der beschränkten Steuerpflicht.

 

Als Vorbild für den Antrag gelten die USA. Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die US-amerikanische Praxis, auch Staatsangehörige ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland der Einkommensteuerpflicht zu unterwerfen, international eine seltene Ausnahme darstellt.

 

Die Umsetzung des Antrages würde einen radikalen Paradigmenwechsel in der internationalen Zuweisung von Besteuerungsrechten bedeuten. Auch die bisher von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen (DBAs) gehen – im Einklang mit internationalen Standards sowohl im OECD- als auch UN-Musterabkommen – von der Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aus. In der Folge müssten die knapp 100 von Deutschland ausgehandelten DBAs angepasst werden. Ob dies in Verhandlungen mit allen Staaten durchsetzbar ist, muss jedoch angezweifelt werden, sodass es zu erheblichen Doppelbesteuerungskonflikten kommen würde.

 

Die Wirkung einer solchen nur mit erheblichem Aufwand umzusetzenden Maßnahme ist zweifelhaft. Denn zum einen bestehen – wie oben ausgeführt – bereits jetzt wirksame Instrumente, um Steuervermeidung durch Wegzug ins Ausland zu begegnen. Zum anderen stellt sich die Frage, wie die Steuerpflicht in Fällen effektiv durchgesetzt werden kann, wenn sich sowohl der Steuerpflichtige als auch die Quelle der Einkünfte im Ausland befinden. Der deutschen Finanzverwaltung dürften in solchen Fällen in der Regel die Möglichkeiten fehlen, Angaben der steuerpflichtigen Person zu überprüfen und Mitwirkungspflichten zwangsweise durchzusetzen. Der hierdurch ausgelöste Verwaltungsaufwand würde die voraussichtlich nur geringen steuerlichen Mehreinnahmen vermutlich übersteigen.

 

Es stellt sich überdies die Frage, ob Sachverhalte, die bis auf den deutschen Pass eines Beteiligten keinerlei Bezug zu Deutschland aufweisen, einer Besteuerung durch die Bundesrepublik Deutschland unterworfen werden sollten. Die im Antrag vorgeschlagene Regelung würde nicht nur Personen treffen, die aus Gründen der Steuervermeidung aus Deutschland wegziehen, sondern auch Personen, die noch nie in Deutschland gelebt haben und zum Beispiel als Abkömmlinge deutscher „Expats“ im Ausland leben. Für solche Personen würden Anreize geschaffen, ihre Verbindung zu Deutschland für immer aufzugeben, nur um keiner Doppelbesteuerung zu unterfallen, ohne dass dem ein Mehrwert gegenüberstünde, der nicht auch mit anderen Mitteln erreicht werden könnte.

 

Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit würde auch keine Umgehungsgefahr bannen, sondern neue Probleme schaffen. Für international vernetzte Persönlichkeiten dürfte es ohne Schwierigkeiten möglich sein, innerhalb weniger Jahre die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats zu erwerben und die deutsche Staatsangehörigkeit abzulegen, sodass sie auch von einer Steuerpflicht aufgrund der Staatsangehörigkeit verschont bliebe. Wenn auf diese Personen die Vorschriften der Wegzugsbesteuerung und des AStG angewendet werden, also EU-Ausländer anders behandeln würden als Deutsche, die ihre Staatsangehörigkeit behalten, dürfte dies komplexe europarechtliche Fragen aufwerfen.

 

Die Besteuerung nach AStG und die Wegzugsbesteuerung sind bereits existierende Instrumente, mit denen Steuerflucht im Zusammenhang mit dem Wegzug Steuerpflichtiger wirksam bekämpft werden kann. Eine sorgsame Evaluierung der Regelungen und nötigenfalls deren Verschärfung sollten einer Systemänderung, die eine Vielzahl neuer rechtlicher Probleme schaffen würde und kaum absehbare praktische Implikationen in den internationalen und europäischen Wirtschaftsbeziehungen hätte, vorgezogen werden.