Antrag 125/I/2023 Reform des AGG: für einen wirksamen und zukunftsfähigen Diskriminierungsschutz

Status:
Zurückgezogen

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, die „Schutzlücken [des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu] schließen, den Rechtsschutz [zu] verbessern und den Anwendungsbereich aus[zu]weiten.“ Die Landesgruppe im Bundestag und die am Prozess beteiligten Berliner Genoss*innen sollen auf die Umsetzung des Reformvorhabens hinwirken und sich für die nachfolgenden Änderungen einsetzen:

 

Ausweitung des Diskriminierungsschutzes auf den staatlichen Bereich

Zum Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gehören die Bereiche Beschäftigung, Dienstleistungen und Güter. Bei Diskriminierung im Rahmen von staatlichem Handeln, also z.B. im Kontakt mit der Verwaltung und der Polizei, greift das Gesetz bisher nicht. Diese Schutzlücke soll geschlossen werden; sofern möglich über das AGG selbst.

 

Stärkung der Mittel für die Rechtsdurchsetzung

 

1. Prozessstandschaft ermöglichen

Die Prozessstandschaft ermöglicht es den Antidiskriminierungsverbänden die Rechte der diskriminierten Person im eigenen Namen geltend zu machen, den Prozess also an ihrer statt führen. Somit können die Folgen der langwierigen Gerichtsverfahren, die für die Betroffenen eine starke psychische und finanzielle Belastung darstellen, abgemildert werden.

 

2. Verbandsklagerecht ermöglichen

Bisher sind Klagen nach AGG nur für individuell betroffene Einzelpersonen möglich. Antidiskriminierungsverbände können damit bei Diskriminierung rechtlich nicht intervenieren, wie es Umweltverbände nach § 2 UmwRG und demnächst auch Verbraucherschutzverbände in ihrem Bereich können.

 

3. Einrichtung eines Rechtshilfefonds
Die angekündigte Verstetigung der Förderung der Antidiskriminierungsberatung durch ein „Gesetz zur Stärkung und Förderung der wehrhaften Demokratie“ ist bisher nicht erfolgt. Die Beratungsstellen sind weiterhin projektbezogen finanziert und ihre Arbeit damit in der Regel nur für 1 Jahr abgesichert. Es braucht daher einen Rechtshilfefond, damit die Antidiskriminierungsberatungsstellen von den zuvor genannten rechtlichen Mitteln Gebrauch machen können.

 

4. Senkung der Anforderungen für den gerichtlichen Beistand
Gemäß § 23 Abs. 1 AGG muss ein Verband 75 Mitglieder vorweisen, um im gerichtlichen Verfahren als Beistand auftreten zu können. Durch die projektbezogene Finanzierung ist den Verbänden die strukturelle Weiterentwicklung, zu der auch Mitgliedergewinnung und -pflege gehören, nur bedingt möglich. Die Vorgabe soll daher deutlich abgesenkt werden.

 

5. Gesetzliche Verankerung der Förderung von Antidiskriminierungsberatungsstellen

Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag „das Netzwerk zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen gegen Diskriminierung flächendeckend ausbauen und nachhaltig finanzieren.“ Hierfür sollen die Aufgaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) dahingehend erweitert werden, dass sie den gesetzlichen Förderauftrag für den Auf- und Ausbau eines Netzwerks unabhängiger Antidiskriminierungsberatungsstellen erhält.
Diskriminierungsschutz mit durchgängig horizontalem Ansatz

In § 19 AGG wird der Schutz vor Diskriminierung im Zivilrechtsverkehr teilweise auf einzelne Gruppen enggeführt. Diese Einschränkung soll aufgehoben werden, so dass sich der Schutz vor Diskriminierung auf alle in § 1 AGG genannten Diskriminierungskategorien erstreckt.
Erweiterung des Katalogs des Diskriminierungsdimensionen
Bisher beschränkt sich der Schutz vor Diskriminierung durch das AGG auf die sechs in § 1 genannten Merkmale. Unabhängig davon, ob eine Öffnung des Katalogs im Rahmen der Novellierung des AGG erfolgt, sollen folgende Merkmale explizit in das Gesetz aufgenommen werden. Der Vorschlag entspricht der Forderung des Bündnis AGG Reform – Jetzt! und basiert damit auf der Empfehlung von > 100 Organisation aus dem Bereich Antidiskriminierung:

  • Sozialer Status
  • Staatsangehörigkeit
  • Sprache
  • Familiäre Fürsorgeverantwortung
  • Chronische Krankheit
  • Körpergewicht und Körpergröße (siehe auch Beschluss 505/II/2022)

 

Die Anzahl der Mitglieder des Beirats der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) soll entsprechend angehoben werden, damit auch Vertreter*innen dieser Diskriminierungsdimensionen in das Gremium eingebunden werden können.
Darüber hinaus fordern wir alle in die Überarbeitung des Gesetzes eingebundenen Berliner Genoss*innen auf, sich für die Öffnung des in § 1 AGG genannten Katalogs einzusetzen und für die Überarbeitung der zu eng geführten / historisch bedingten Begriffe für die bereits geschützten Dimensionen entsprechende Expert*innen mit ein zu beziehen, damit durch eine Änderung der Benennung nicht neue Schutzlücken entstehen!

 

Erweiterung der Diskriminierungsformen

Das AGG benennt in § 3 fünf Diskriminierungsformen. Diese haben sich in der Praxis nicht als ausreichend erwiesen. Es sollen daher folgende Punkte neu aufgenommen werden:

  • Verwehrung von „angemessenen Vorkehrungen“ und „Barrierefreiheit“
  • Sexuelle Belästigung
  • Assoziierte Diskriminierung

 

Wer in einem Nahverhältnis zu einer diskriminierten Person steht, kann Diskriminierung anhand dieser Verbindung erfahren (vgl. EuGH, Entscheidung vom 17. Juli 2008, C-303/06). In solchen Fällen wird von assoziierter Diskriminierung gesprochen. In einem Nahverhältnis stehen beispielsweise Eltern, Geschwister, Kinder oder Lebenspartner*innen einer diskriminierten Person.

 

Verlängerung der Fristen für die Rechtsdurchsetzung

Um zu erkennen, dass eine Diskriminierung vorliegt, sich darüber zu beschweren und eine außergerichtliche Einigung anzustreben, reicht die bestehende Frist von zwei Monaten nicht aus. Die in § 15 Abs. 4 AGG vorgesehene Geltendmachungsfrist soll daher auf 12 Monate angehoben werden.

 

Erweiterung der Beweislasterleichterung

1. Klare Benennung des Umfangs der Beweislasterleichterung

Aus dem Gesetz muss hervorgehen, dass sich die Beweislasterleichterung nicht ausschließlich auf die Kausalität zwischen der Diskriminierung und einer in § 1 AGG genannten Diskriminierungsdimension bezieht, sondern auch auf die Darlegung der Diskriminierung selbst.

 

2. Auskunftsrecht für Antidiskriminierungsverbände

Für den Nachweis von Diskriminierung bedarf es oft der Einsicht verschiedener Daten und Informationen zu einem Prozess, z.B. im Falle von Algorithmen gestützten Bewerbungsverfahren. Über ein Auskunftsrecht soll den Antidiskriminierungsverbänden der Zugriff auf diese Informationen im rechtlich möglichen Rahmen gestattet werden.

 

3. Konkretisierung der Anforderungen an die Beweisführung

Im Gesetz soll ausgeführt werden, dass beispielsweise die Parteivernehmung, die Nichteinrichtung einer innerbetriebli¬chen Beschwerdestelle, die Ergebnisse von Testings sowie Statistiken zulässige und im Einzel¬fall ausreichende Beweismittel darstellen können.

 

4. Erhöhung der Darlegungslast für eine unterschiedliche Behandlung
Gemäß § 20 AGG Abs. 1 ist eine unterschiedliche Behandlung auf Basis der „Vermeidung von Gefahren“ zulässig. Um Willkür und Missbrauch entgegenzuwirken, soll hier die Darlegungslast erhöht werden, welche Gefahren warum nur durch eine ungleiche Behandlung vermieden werden können.

 

Wirksame und abschreckende Sanktionen

Gemäß den europäischen Vorgaben sollen Sanktionen bei Diskriminierung wirksam und abschreckend sein. Die Deckelung der Entschädigung auf drei Monatsgehälter in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG soll daher gestrichen werden. Die Anforderungen hinsichtlich der Wirksamkeit und abschreckenden Wirkung sollen im Gesetz ausformuliert werden.

 

Konkrete Vorgaben für die innerbetriebliche Umsetzungen des Diskriminierungsschutzes

Die §§ 11, 12 und 13 des AGG verpflichten die Arbeitgebenden zum Diskriminierungsschutz, bleiben aber in Bezug auf die Ausgestaltung eher vage. Dem soll wie folgt entgegengewirkt werden:

1. Spezifizierung der Arbeitgebendenverpflichtungen

Die in § 12 genannten Verpflichtungen zum Schutz vor Diskriminierung sollen konkretisiert und um eine Verpflichtung zu Barrierefreiheit ergänzt werden.

 

2. Niedrigschwellige Beschwerdemöglichkeit

Es sollen Mindeststandards für innerbetriebliche Beschwerdestellen im Gesetz verankert werden.

 

3. Beteiligung der betriebsinternen Gremien

Im Gesetz soll festgeschrieben werden, dass in den Aufbau von innerbetrieblichen Beschwerdestellen die betriebsinternen Gremien, wie der Betriebs- oder Personalrat, verpflichtend eingebunden werden müssen.

 

4. Sanktionierung bei Nichteinrichtung einer Beschwerdestelle

In das Gesetz soll die Möglichkeit der Prüfung der Beschwerdestellen hinsichtlich ihrer Existenz und Effektivität und der Sanktionierung beim Fehlen einer Beschwerdestelle und Mängeln aufgenommen werden.

 

Anpassung des Kirchenprivilegs an die europäischen Vorgaben

Der § 9 AGG soll gestrichen werden, da § 8 AGG bereits eine zulässige „unterschiedliche Behandlung“ vorsieht, „wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.“ Das ist beispielsweise im Verkündungsbereich der Fall.

 

Stärkung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)

Das Mandat und die Ressourcen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sollen gemäß den Empfehlungen für „Gleichstellungstellen zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz auf nationaler Ebene“ der Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) und der „Standards für Gleichstellungsstellen“ der Europäischen Kommission erweitert werden.

 

Abschließend fordern wir alle in die Überarbeitung des Gesetzes eingebundenen Berliner Genoss*innen dazu auf, die im Bereich Antidiskriminierung tätigen Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft in die Überarbeitung des Gesetzes miteinzubeziehen, um mögliche Schutzlücken und Hindernisse für die praktische Anwendung des Gesetzes frühzeitig zu erkennen und auszuräumen, und die weiteren Änderungsempfehlung des Berichts vom Bündnis AGG Reform – Jetzt! zu berücksichtigen.

Empfehlung der Antragskommission:
Vom Antragsteller zurückgezogen