Antrag 162/II/2022 Realitäten anerkennen und Zukunft gestalten: Endlich eine moderne Drogenpolitik für Berlin entwickeln

Status:
Erledigt

Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus und die SPD-Mitglieder im Berliner Senat werden aufgefordert ein konkretes Reformkonzept zur Neugestaltung der Berliner Drogenpolitik vorzulegen und in Zusammenarbeit mit Expert*innen ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren anzustoßen. Bei notwendigen Anpassungen des Bundesrechts werden entsprechende Bundesratsinitiativen angestoßen.  Dieses Konzept soll folgende Punkte enthalten:

 

  • Parallel zu der Regelung für den Besitz von Cannabis wird ein Katalog erstellt, der für alle gängigen Drogen zulässige Mengen definiert, deren Besitz zum Zweck des Eigenbedarfs nicht strafrechtlich verfolgt wird. Anhängige Verfahren werden nicht weiterverfolgt.
  • Beschlusslagen zum sog. Drug Checking, d.h. der Vor-Ort- und Ad-hoc-Prüfung von Drogen auf ihre Zusammensetzung werden endlich umgesetzt und ausreichend finanziert.
  • Gesundheits- und Suchtberatung sowie zielgruppenorientierte Informationskampagnen werden ausgebaut und ausreichend finanziert
  • Alle Rettungsfahrzeuge der Feuerwehr und Rettungsdienste werden mit Medikamenten für die Behandlung einer Überdosis ausgestattet und das medizinische Rettungspersonal in ihrer Verabreichung geschult, um bei Fällen von Überdosis schnell helfen zu können. Eine Abgabe durch Apotheken an Suchterkrankte mit entsprechender Anleitung zur Nutzung wird geprüft. Schulungen zum Umgang mit Überdosisfällen sollen in Drogenpräventionsarbeit eingebaut werden.
  • Der Fokus der Strafverfolgung liegt auf der Ermittlung gegen Großdealende und nicht auf Konsumierenden und Kleindealenden. Entsprechende Anordnungen und Erlasse werden daraufhin überprüft und angepasst und Schulungen für alle Mitarbeitenden der Strafverfolgungs- und Justizbehörden durchgeführt.
  • Die Bezirke werden in der Einrichtung von sog. Drogenkonsumräumen finanziell und personell unterstützt.

Diese Reforminitiative verfolgt folgende Ziele und folgt folgenden Grundannahmen:

 

  • Grundsätzlich gilt: Durch die Entkriminalisierung des Besitzes kleinerer Mengen von kontrollierten Substanzen zum Eigenbedarf wird Präventionsarbeit und medizinische Notfallversorgung deutlich erleichtert. Menschen müssen nicht aus Angst vor Strafverfolgung auf den Notruf oder Hilfsangebote verzichten. So warnt die Aidshilfe beispielsweise derzeit noch den Begriff „Drogen“ bei einem entsprechenden Notfall zu nutzen, wodurch medizinische und therapeutische Maßnahmen unverhältnismäßig erschwert werden.
  • Drogenkonsum ist eine Realität in Berlin, die wir anerkennen müssen. Dies gilt sowohl für aktuell „legale“ und „illegale“ Drogen. Das bedeutet vor allem, dass wegschauen, verleugnen und gewaltvolles Vorgehen bisher keinen nennenswerten Erfolg vorweisen. Die Reform soll dazu beitragen, dass Drogenkonsum sicherer, Ausstieg einfacher und Prävention nachhaltiger wird. Hierbei ist klar, dass es zwischen gelegentlichem Freizeitkonsum und Suchtkrankheiten signifikante Unterschiede gibt, die unterschiedlich betrachtet werden müssen, bspw. wo und ich welcher Form der Konsum stattfindet. Wir betrachten dies als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf Basis von Ehrlichkeit und Fakten angegangen werden muss.
  • In Bezug auf das Erkennen und richtiges Handeln bei einer Überdosis herrscht oft große Unwissenheit und mangelnde Sensibilität: Schnelle, effektive Hilfe kann im Ernstfall Leben retten und das hat für uns oberste Priorität. Hieran soll sich zukünftig der öffentliche und politische Diskurs orientieren.
  • Suchtkrankheiten stehen selten allein. Sie finden sich oft im Zusammenhang mit sozialen Härten. Nur, wenn professionelle Behandlung stattfindet, kann anderen Faktoren nachhaltig begegnet werden. Gleichzeitig können Suchtkrankheiten nicht nachhaltig behandelt werden, wenn soziale Härten bestehen.
  • Die Bezirke leisten z.B. durch ihre Präventionsarbeit gute Arbeit, da sie die Menschen dort erreichen, wo sie sind. Zusätzlich zu stärkerer Zusammenarbeit müssen hier finanziell und personell Planungssicherheit herrschen und ausreichende Mittel sichergestellt sein.
  • Drogenkriminalität bekämpfen bedeutet die Netzwerke in den Fokus zu nehmen, die im Hintergrund agieren und große Mengen umsetzen. Die Ressourcen der strafverfolgenden Behörden sollten hierhin umgeleitet werden. Die Verfolgung von Konsumierenden und Kleindealenden hat maximal kosmetische Wirkung. Der Straßenverkauf von Drogen beeinflusst sicherlich bei vielen Menschen das Gefühl von Sicherheit im öffentlichen Raum. Auch das erkennen wir an. In den Debatten hierzu wird aber oft vergessen, dass diese Form des Handels eine Konsequenz von Kriminalisierung ist und nicht ein Anlass hierzu, auch wenn dies als Argument oft genutzt wird, z.B. bei der fragwürdigen Einrichtung der sog. „Kottiwache“. Der illegale Drogenhandel und an ihn angeschlossene kriminelle Netzwerke florieren nach wie vor. Außerdem ist die aktuelle Strafverfolgung von Drogendelikten geprägt von massivem Rassismus und Armutsfeindlichkeit vonseiten der Sicherheitsbehörden. Ein Paradigmenwechsel hierbei muss zwangsläufig Teil jeder Reform sein.
Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt bei Annahme 161/II/2022 (Konsens)