Die Corona-Krise zeigt in aller Deutlichkeit die Stärken und Schwächen unseres Sozialstaates auf: Für Menschen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung greift in Krisen das Kurzarbeitergeld. Liegt der Verdienst deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn, kann das Kurzarbeitergeld sogar existenzsichernd sein. Die Rentenversicherung ist stabil und die Renten konnten trotz der Krise zum 1. Juli 2020 kräftig steigen. Das ist in Zeiten, in denen Konjunkturpakete zum Ankurbeln der Wirtschaft geschnürt werden mussten, nur folgerichtig.
Die Wichtigkeit und Bedeutung eines starken Sozialstaates zeigen sich aber auch darin, dass Menschen in Bereichen um ihre Existenz bangen mussten, wo der Sozialstaat nicht so stark ist. Das sind u.a. die Selbstständigen, Minijobber*innen oder Kulturschaffende.
Damit sich die bestehenden Ungleichheiten durch die Krise nicht verschärfen, müssen wir die Krisenbewältigung sozial gerecht gestalten. In diesem Sinne wollen wir einen Beitrag zum Zukunftsdialog des Parteivorstands „Was folgt aus der Corona-Krise?“ leisten und fordern:
- Wir brauchen einen starken und handlungsfähigen Staat: Schwarze Null und Schuldenbremse müssen einer langfristigen Investitionsoffensive weichen. Investitionen sind am Ziel der sozial und ökologisch nachhaltigen Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft zu messen.
- Die Gesundheitsversorgung nicht dem Markt überlassen! Die Gesundheitsversorgung ist ein wesentlicher Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Wir fordern mehr öffentliche Investitionen in Krankenhäuser und einen Stopp bei der Schließung verbunden mit einer Prüfung von Wiedereröffnungen. Ausgelagerte Tochterunternehmen sind zurückzuführen. Die Mittel für die Gesundheitsämter müssen aufgestockt werden, um die Verwaltungsseite der Gesundheitsversorgung zu stärken.
- Eine krisenfeste Wirtschaft mit Tarifbindung, Mitbestimmung und Guter Arbeit! Unternehmen, die staatliche Unterstützung in Krisenzeiten oder allgemeine Wirtschaftsförderung sowie öffentliche Aufträge erhalten, müssen tarifgebunden und mitbestimmt sein und Gute Arbeit fördern. Dazu gehört auch, dass nur Unternehmen von Unterstützung und Förderung profitieren, die Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit umsetzen. Über die Krise hinaus muss zudem ein Vergabegesetz mit Tariftreueregeln auf Bundesebene geschaffen werden.
- Sicher durch die Krise mit Kurzarbeit: Nicht nur in der Corona-Krise hat sich die Kurzarbeit für die Beschäftigten bewährt. Das Kurzarbeitergeld federt die schlimmsten finanziellen Einbußen ab. Bei den Sozialversicherungsbeiträgen werden die Arbeitgebenden entlastet, diese Entlastung muss sich auch bei den Beschäftigten bemerkbar machen. Denn 60% des normalen Nettolohns reichen vor allem im Niedriglohnsektor nicht zum Leben. Wir fordern eine rote Haltelinie nach unten für das Kurzarbeitergeld. Zu prüfen ist, ob eine dauerhafte Aufstockung aus den Mitteln der Sozialversicherung finanzierbar ist und ob andere Möglichkeiten der Finanzierung des Kurzarbeitergeldes bestehen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse außerhalb der Sozialversicherungspflicht stehen außerhalb des Kurzarbeitssystem. Diese Beschäftigten werden von Krisen besonders hart getroffen. Deshalb fordern wir die Sozialversicherungspflicht ab dem 1. Euro.
- Systemrelevante Berufe aufwerten – Applaus ist nicht genug! In der Corona-Krise hat sich gezeigt, welche Berufe wirklich systemrelevant sind. Leider sind Arbeitsbedingungen und Löhne gerade in diesen Bereichen unterdurchschnittlich. Damit sich die Wertschätzung für die Kassierer*innen, Alten- und Gesundheitspfleger*innen und Gebäudereiniger*innen auch auszahlt, muss die Tarifbindung gestärkt werden. Das heißt: Abschaffung des Vetorechts der Arbeitgebenden bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen und eine Privilegierung von Gewerkschaftsbeiträgen bei der Einkommenssteuer. Außerdem muss der Mindestlohn auf mindestens 12 Euro erhöht werden. Durch Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich im Pflegebereich werden die Beschäftigten in diesem Bereich wirksam entlastet.
- Care-Arbeit gerecht verteilen und entlohnen! Die Corona-Krise darf nicht zu einem gleichstellungspolitischen Rollback und einem Zurückfallen in die 1950er Jahre führen. Frauen stemmen einen Großteil der Sorgearbeit, indem sie sich um Kinder und pflegebedürftige Angehörige kümmern. Um hier gerechte Entlastung zu schaffen, ist die Kinderbetreuung flächendeckend weiter auszubauen. Dabei müssen jedoch auch die Arbeitsbedingungen und Löhne der Beschäftigten in diesem Bereich verbessert werden. Zudem sind weitere Anreize für eine gerecht verteilte Elternzeit zu schaffen. Der Partnerbonus soll nur Eltern zu Gute kommen, die ihre Elternzeit in mindestens einem Verhältnis von 1/3 zu 2/3 aufteilen. Der gleichstellungspolitische Rollback kommt auch daher, dass in den meisten Entscheidungsgremien zu wenige Frauen sitzen. Themen wie Familie, Bildung oder Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden von Männern offenbar noch viel zu selten mitgedacht. Daher ist es Zeit, dass alle politischen Entscheidungsgremien immer paritätisch besetzt sein müssen.
- „Digital Divide“ verhindern – Digitale Bildung für alle Kinder! Zuschüsse für Laptops und Tablets sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. Damit digitale Bildung allen Kindern zu Gute kommt und nicht bestehende Ungleichheiten verschärft, muss der Digitalpakt Schule aufgestockt werden.
- Die Lasten der Krise gerecht verteilen – Starke Schultern müssen mehr tragen! Die Kosten der Krise dürfen nicht auf diejenigen abgewälzt werden, die ohnehin darum kämpfen, über die Runden zu kommen. Die Krise und ihre Bewältigung fordert Solidarität. Diese Solidarität muss durch eine gerechte Finanzierung der Krise ihren Ausdruck finden in Form einer einmaligen Vermögensabgabe, der Wiedererhebung der Vermögenssteuer, einer Reform der Erbschaftssteuer sowie die Einführung einer umfassenden Finanztransaktionssteuer.