In letzter Zeit nimmt die öffentliche Debatte um den §129 Strafgesetzbuch zu. Besonders umstritten ist die Anwendung des Paragraphen auf die sogenannte “Letzte Generation”. Auch im Kontext der Verurteilung von Lina E. spielt der Paragraph eine zentrale Rolle, der seitens der Bundesanwaltschaft angeführt wurde, um u.a. die lange Untersuchungshaft gegen Lina E. zu rechtfertigen und auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat neuerdings Pläne mit dem Paragraphen.
Dieser Paragraph besagt, dass die Gründung oder Mitgliedschaft einer Vereinigung unter Strafe gestellt wird, deren Ziel es ist Straftaten zu begehen. Diese Straftaten müssen dabei mit mindestens zwei Jahren Haft bestraft werden können, das sind Bagatelldelikte wie Ladendiebstahl. Schon das Planen der entsprechenden Straftaten kann mit fünf Jahren Haft geahndet werden, wenn sie innerhalb einer „Kriminellen Vereinigung“ geschehen. Weiterhin ist der Begriff der “Vereinigung” definiert, diese muss auf längere Dauer angelegt sein, eine klare Struktur und Rollenverteilung bzw. Hierarchie aufweisen und die Mitglieder müssen sich einem übergeordneten Ziel verpflichtet fühlen. Eine Besonderheit des Paragraphen ist es, dass bereits der Verdacht ausreichend ist, um die Verdächtigen konspirativ zu überwachen. Das heißt, dass grundrechtsverletzende Maßnahmen, wie die Überwachung von Privatwohnungen, Telekommunikationen usw. eingesetzt werden dürfen. Das ist ein Grund, warum der §129 auch als „Gesinnungsparagraph“ bezeichnet wird, der genutzt wird, um über eine Bewegung oder Szene Informationen nach dem “Was man hat, hat man”-Prinzip zu gewinnen.
Dies geschah jahrelang bei den Ultras des Vereins “Chemie Leipzig” die jahrelang mit eigentlich grundgesetzwidrigen Mitteln überwacht wurden – und es am Ende nie zu einer Verdachtsbestätigung kam. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Webseite “linksunten.indymedia”. Auch gegen die Betreiber dieser Webseite wurde fast fünf Jahre u.a. wegen §129 StGB ermittelt – am Ende kam es auch hier nicht zu einer entsprechenden Verurteilung. Auch die sog. “Letzte Generation” wurde mit diesen Mitteln überwacht, auch als der Verdacht nicht rechtlich bestätigt war. Im Gegenteil: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat sogar einen Beschluss gefällt, dass die “Letzte Generation” keine kriminelle Vereinigung sei, was die Justizsenatorin Badenberg nochmal aus politischen Gründen überprüfen ließ. Solche politischen Eingriffe in Ermittlungen, die sich auf diesen Paragraphen beziehen, sind nicht überraschend, sondern zeigen vielmehr die politische Dimension des Paragraphens. Relevant ist hier, dass auch die bloße Unterstützung einer solchen Vereinigung nach §129 strafbar ist. Dies hat das Potential, Unterstützung für die “Letzte Generation” und auch Solidaritätsbekundungen mit Lina E. zu kriminalisieren. Im Falle der sogenannten “Letzten Generation” wurde dies deutlich, als die Bayerischen Ermittlungsbehörden einen entsprechenden Hinweis auf die mögliche Strafbarkeit der Unterstützung auf die beschlagnahmte Webseite der “Letzten Generation” schalteten.
Bis zu der Reform des Paragraphen 2017 galt, dass von einer kriminellen Vereinigung eine “erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit” ausgehen müsse, dies betraf Strafen, die mindestens mit fünf Jahren, nicht wie heute mit zwei Jahren Haft bestraft wurden.
Die „Letzte Generation“ wurde wegen des Strafbestands der “Nötigung” verfolgt, eine Tat, die “nur” mit einem Haftrahmen von bis zu drei Jahren verfolgt wird, ein Bagatelldelikt, aber keine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit”. Sich darauf zu stützen, dass die Vergehen eine gefühlte Bedrohung darstellen, das lehnen wir ab!
Durch die geringen Hürden zu einer „Kriminellen Vereinigung“ erklärt zu werden, ist der Paragraph uferlos geworden. Unserem liberalen Rechtsstaat steht es nicht gut zu Gesicht, wenn seine Paragraphen zu stark Auslegungssache sind, im Gegenteil, sie müssen engmaschig und eindeutig sein.
Nicht, dass das nicht schon schlimm genug wäre, nun plant Innenministerin Nancy Faeser noch eine Reform des Paragraphen zur Bekämpfung von „Clankriminalität“. Das ideologische Ziel der Vereinigungen soll nun wegfallen auch Wirtschaftskriminalität soll nun als ausreichend angesehen werden, wenn Angehörige eines angeblichen „Clans“ in einer solchen „Vereinigung“ Mitglied sind, dann sollen sie abgeschoben werden, ohne Verurteilung. Wie man in den bisherigen Fällen gesehen hat, reichen schon Chat-Nachrichten um solch einer Vereinigung anzugehören. Diesen schwammigen Kriterien nach sollen Menschen ohne Verurteilung nun also abgeschoben werden, nur weil sie einer Familie angehören, weil sie den falschen Nachnamen tragen. Diese restriktive und rassistische Politik lehnen wir ab.
Wir fordern eine Reform der § 129 ff. Strafgesetzbuch unter Berücksichtigung folgender Punkte:
- 129 ist als Grundtatbestand neuzufassen und auf die Begehung von Straftaten mittlerer Kriminalität zu beziehen. Bagatelldelikte der leichten Kriminalität sind dabei grundsätzlich auszuschließen. Die Mindeststrafe für strafbestandserfüllende Taten soll bei mindestens fünf Jahren liegen (ohne die Erhöhung der Strafe, die durch das Begehen in einer Vereinigung miteinhergeht)
- Es sind konkrete Vorgaben für die Organisation, Planung und Struktur einer Vereinigung zu entwickeln.
- Die Strafandrohung (die mögliche Strafe) des § 129 neuer Fassung ist herabzusetzen.
- Schwere Eingriffe in Grundrechte durch intensive Ermittlungsmaßnahmen, wie das Abhören von Kommunikation, dürfen nicht länger auf einem bloßen Verdacht der Gründung oder Beteiligung einer kriminellen Vereinigung beruhen. Dafür darf der Paragraph nicht mehr als sogenannte Katalogtat geführt werden.
- Für schwerkriminelle Vereinigungen, die auf die Begehung schwerwiegender Taten organisierter Kriminalität wie Mord, Totschlag, Schutzgelderpressungen oder Geldwäsche gerichtet sind, soll ein eigener Straftatbestand (Qualifikation) geschaffen werden.
- Von kriminellen wie terroristischen Vereinigungen muss eine erhöhte Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen.
- Eine Reform wie von Nancy Faeser eingebracht ist abzulehnen
Stellungnahme ASJ – Anträge 183+184/I/2024 KDV Neukölln und Jusos LDK zur Reform des § 129 StGB
Die Anträge zielen darauf ab, § 129 StGB so anzupassen, dass „Die letzte Generation“ begrifflich möglichst nicht mehr als „kriminelle Vereinigung“ im Sinne der Norm eingestuft werden kann bzw. bei Begehung einer strafbaren Tat durch Angehörige der Gruppierung der einschlägige Strafrahmen erheblich abgesenkt wird und auch die Strafbarkeit von Unterstützern möglichst ausgeschlossen wird.
129 StGB soll zu diesem Zweck aufgeteilt werden in einen Grundtatbestand für mittlere Kriminalität, bei der sich die Vereinigung auf die Begehung von Straftaten richtet, die im Mindestmaß eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren vorsehen und die Begehung für sog. „Bagatelldelikte“ soll grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich fallen. Ferner soll ein Qualifikationsstraftatbestand für schwerstkriminelle Vereinigungen, die es auf die Begehung von Mord, Totschlag (angedrohte Mindeststrafe jeweils mindestens 5 Jahre Freiheitsstrafe), Schutzgelderpressung oder Geldwäsche absehen, geschaffen werden [Schutzgelderpressungen oder Geldwäsche sehen entgegen der in den Anträgen geäußerten Annahme keine Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren – sondern auch die Möglichkeit einer Geldstrafe – vor!].
Für verdeckte Ermittlungsmaßnahmen wie das Abhören und Aufzeichnen der Telekommunikation soll nach Möglichkeit mit Blick auf „Die letzte Generation“ künftig nicht mehr ein Anfangsverdacht der Gründung, Beteiligung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung bzw. Werbung von Unterstützern gemäß des Katalogs in § 100a Abs. 2 Nr. 1 d) StPO ausreichen.
Votum: Ablehnung
Begründung:
Einer Änderung von § 29 StGB und seiner Systematik bedarf es nicht. Die gegenwärtige Rechtslage zu § 129 StGB ist ausdifferenziert genug, um den Strafgerichten und Ermittlungsbehörden im konkreten Fall sowohl mit Blick auf das Abhörung und Aufzeichnen der Telekommunikation, als auch mit Blick auf die Bewertung, ob der jeweils festgestellte Tatbestand die Annahme rechtfertigt, ob die Täter Mitglied oder Unterstützer einer kriminellen Vereinigung sind, rechtstaatliche Entscheidungen zu ermöglichen, und bedarf keiner Reformierung.
Es ist schon nicht ersichtlich, dass der Straftatbestand in der bisherigen gerichtlichen Praxis ausufern angewendet und Menschen damit zu Unrecht kriminalisiert würden. Politische Protestaktionen sind und müssen weiterhin möglich sein, wenn sich Menschen allerdings zusammentun, um Straftaten als Mittel zum Zweck nutzen, um ihre Forderungen durchzusetzen und dabei in Kauf nehmen, Menschleben anderer zu gefährden, müssen rechtsstaatliche Grenzen eingehalten werden. Das Polizeirecht ist dafür nicht allein der geeignete Ort, um das zu unterbinden. Die schrecklichen Morde des NSU haben gezeigt, dass wir kriminelle Vereinigungen nicht verharmlosen dürfen. Bei § 129 StGB und den Ermittlungsmaßnahmen sind stets Richtervorbehalte zu beachten. Auch in der Ausprägung der restriktiven Rechtsprechung des BGH hat sich die Regelung des § 129 StGB als Ausnahmeregelung in der Praxis bewährt, eine Aufweichung wäre auch politisch das falsche Signal.
Die Annahme einer Gründung, Beteiligung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung setzt immer voraus, dass Straftaten prägend für die Gruppe sind und von der Gruppe eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Nur sofern und soweit diese – hinreichend konkreten – Tatbestandsmerkmale nach der Einschätzung der Staatsanwaltschaft und des zuständigen Gerichts gemäß § 100e Abs. 1 StPO erfüllt sind, kann die Telekommunikation von Angehörigen der „Letzten Generation“ wenn ein Anfangsverdacht gegeben ist, im Einzelfall überwacht und aufgezeichnet werden. Nur sofern und soweit das Vorliegen dieser Voraussetzungen im rechtstaatlichen Prozess im Einzelfall nachgewiesen werden kann, kann überhaupt eine Verurteilung gemäß § 129 StGB stattfinden.
Es besteht mit Blick auf „Die letzte Generation“ im Vergleich zu anderen Fällen keine größere Gefahr nicht rechtstaatlicher Entscheidungen – weder hinsichtlich der Frage, ob die Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, noch mit Blick auf die Strafzumessung im Einzelfall. Es ist konkret nicht zu befürchten, dass Angehörige der „Letzten Generation“ kein rechtstaatliches Verfahren erhalten könnten, ihre Telekommunikation ohne hinreichenden Anlass überwacht und aufgezeichnet werden könnte und auch nicht, dass sie für nachgewiesene Taten übermäßig hohe Strafen zu erwarten hätten.
Das Landgericht München, das den Anfangsverdacht für die Gründung einer bzw. die Beteiligung als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung mit Blick auf die „Letzte Generation“ in einem Einzelfall bejaht hat, hat diese Würdigung nicht ohne hinreichende objektive Anhaltspunkte oder leichtfertig getroffen. Vielmehr hat es diese darauf gegründet, dass im konkreten Einzelfall neben einer Vielzahl von Straßenblockaden, die für sich genommen auch mit der Versammlungsfreiheit abzuwägen gewesen wären (wie das Gericht ausdrücklich anerkannt hat), Mitglieder der Vereinigung wiederholt unter Zerstörung von Schutzeinrichtungen widerrechtlich auf besonders gegen den Zutritt gesicherte Gelände vorgedrungen sind und dort durch Protestaktionen sensible Bereiche der Infrastruktur erheblich beeinträchtigt haben (Störung und Blockaden des Betriebs verschiedener Flughäfen und konzertierte Aktionen, um den Durchfluss verschiedener Ölpipelines zu unterbrechen).
Was die mit den Anträgen beabsichtigte Anknüpfung der Qualifikation an eine Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren anbelangt, so würden damit faktisch alle Straftaten außer Mord und Totschlag aus dem Anwendungsbereich der Norm fallen. Wenn der neue Grundtatbestand jedoch bereits – wie die Anträge es ausdrücklich bezeichnen – eine Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren vorsehen soll – welches Strafmaß sollte dann für die Qualifikation, bei der es die Gruppe auf Mord und Totschlag abgesehen hat, angemessen erscheinen? Alles, was nicht mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren bedroht wird, wäre dann als Bagatelldelikt, das aus dem Anwendungsbereich der Norm fällt, anzusehen. Obwohl die Abänderung vor allem auf eine politische Entlastung der „Letzten Generation“ abzielen sollte, würden damit gravierende Strafverfolgungslücken für die Verfolgung von Organisierter Kriminalität (und insbesondere auch Clankriminalität) einhergehen, die nicht wünschenswert sind und die es im Interesse der Erhaltung einer rechtstaatlichen Strafverfolgung unbedingt zu vermeiden gilt.
Falls ein Strafgericht in einem konkreten Einzelfall, der „Die letzte Generation“ betrifft, bei der Feststellung oder der Bewertung des Tatbestands tatsächlich zu niedrige Anforderungen an einen Anfangsverdacht, die „Prägung durch Straftaten“ oder das „Vorliegen einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ stellen sollte, stehen die Betroffenen dem auch gegenwärtig nicht schutzlos gegenüber. Vielmehr wird ihnen Rechtssicherheit durch Ausschöpfung des Instanzenzugs und ggf. bis hin zur Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG garantiert. Andererseits kann ein im Einzelfall prozessual verursachtes Unrecht im vorstehend skizzierten Sinne jedenfalls auch nicht durch die Änderung von § 129 StGB ausgeschlossen werden, weil diese Norm nur die materielle Rechtslage regelt.
Einer Gesetzesänderung bedarf es nach alledem nicht und sollte auch nicht erfolgen.