Antrag 62/II/2023 Irrweg der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems beenden

Status:
Erledigt

Wir fordern von der gesamten Bundesregierung, insbesondere den sozialdemokratischen Mitgliedern der Bundesregierung, der SPD-Bundestagsfraktion sowie den sozialdemokratischen Mitgliedern des Europäischen Parlamentes, den beim EU-Gipfel der Innenminister im Juni 2023 begonnenen Irrweg der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu beenden und sich im weiteren Verlauf der Verhandlungen sowie im Trilog-Verfahren der Europäischen Union für folgende Punkte einzusetzen:

 

  • Verpflichtende Asylgrenzverfahren für Menschen aus Staaten mit einer geringen Schutzquote sind abzulehnen. Bei einer flächendeckenden Einführung von Grenzverfahren sind haftähnliche Zustände zu befürchten, die wiederum die zivilgesellschaftliche und anwaltliche Unterstützung erschweren und den Rechtsschutz einschränken. Unterbringungen und Camps an Außengrenzen wie in Moria, dürfen sich unter keinen Umständen wiederholen! Daher darf es keine de facto Inhaftierungen geben: Alle Einrichtungen müssen im laufenden Asylprozess jederzeit und an jedem Schritt unverzüglich verlassen werden können.
  • Es müssen jederzeit die rechtsstaatlichen Standards für Asylverfahren gesichert werden. Es darf nicht sein, dass Menschen innerhalb dieser Asylgrenzverfahren kein reguläres Asyl- Verfahren durchlaufen. Das höhlt das Grundrecht auf Asyl grundlegend aus und widerspricht damit auch der Genfer Flüchtlingskonvention. Bei der Prüfung und Entscheidung von Asylanträgen muss weiterhin in jedem Fall ein rechtsstaatliches Einzelfallverfahren stattfinden. Ablehnungen und folgende Abschiebungen von Asylbeantragenden auf Grund von Anerkennungsquoten lehnen wir vehement ab.
  • Es braucht einen echten solidarischen Verteilmechanismus innerhalb der EU.
  • Die vorgesehenen Asylrechts- und Einreiseeinschränkungen für begleitete geflüchtete Kinder dürfen nicht umgesetzt werden. Insbesondere sind dabei Aspekte abzulehnen, die klare Benachteiligungen für Kinder und Jugendliche mit ihren Familien, wie der Gefahr einer Inhaftierung von Minderjährigen und der Ausschluss des Familiennachzuges zur Folge haben.
  • Vulnerabilität muss fachlich adäquat durch unabhängige Stellen geprüft werden. Medizinische und psychologische Betreuung ist dauerhaft sicherzustellen.
  • Analog zur deutschen Regelung sollten Geflüchtete eine unabhängige Verfahrensberatung an die Seite gestellt bekommen. Hilfsorganisationen brauchen jederzeit Zugang zu Orten der Unterbringungen.
  • Es muss ein verpflichtendes Menschenrechts-Monitoring durch Nichtregierungsorganisationen in allen Phasen des Asylprozesses geben. Der Zugang und die Transparenz müssen vollumfänglich gewährleistet sein.
  • Die Bundesregierung muss sich in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten für den Einsatz und Ausbau der Seenotrettung mit ärztlicher Versorgung einsetzen, um das Sterben von flüchtenden Menschen auf dem Mittelmeer ein für alle Mal zu durch humanitäre Maßnahmen zu beenden. Dazu braucht es auch eine staatlich organisierte europäische Seenotrettung. Hilfsorganisationen dürfen nicht kriminalisiert und diffamiert werden; sie sollen aufgenommene Geflüchtete unmittelbar in europäische Häfen ausschiffen dürfen. Es dürfen keine Menschen mehr sterben, weil ihnen eine reguläre Einreise unmöglich gemacht wird.
  • Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Außengrenzen – auch unter Beteiligung von Frontex – müssen aufhören. Solange diese Grenzschutzorganisation besteht, muss die Frontex-Politik an den europäischen Grenzen im Sinne humanitärer Hilfe überarbeitet und geändert werden. Die Bundesregierung muss sich entschieden aktiv gegen Push-Backs einsetzen.
  • Frontex ist gegenüber dem Europäischen Parlament und dem Rat rechenschaftspflichtig. Frontex muss von einem ständigen parlamentarischen bzw. unabhängigen Kontrollgremium überwacht werden, nach dem Vorbild von Europol. In diesem muss Frontex regelmäßig, transparent und umfassend über die allgemeinen Tätigkeiten und über Vorgänge von besonderer Bedeutung unterrichten und weiteren Berichtswünschen nachkommen.
  • Grundsätzlich sind Rückführungen in nicht sichere Herkunftsländer abzulehnen. Rückführungen in sogenannte sichere Drittstaaten, wie im Kompromiss vorgesehen, in denen Geflüchtete sich auf ihrer Flucht aufgehalten haben, lehnen wir auch ab. Dass nicht mehr der Fluchtgrund, sondern nur noch der Reiseweg über den Ausgang des Verfahrens entscheiden, darf nicht Realität werden. Mindestens muss jedoch gewährleistet sein, dass diese durch die EU zu „sicher“ erklärten Drittstaaten vollumfänglich die Genfer Flüchtlingskonvention anwenden. In diesem Zusammenhang muss auch eine enge Verbindung zwischen Geflüchteten und Drittland bestehen. Methoden, wie die Aufweichung der Einstufung dieser Verbindung, damit die Menschen an einem Asylantrag gehindert werden, müssen strikt unterbunden werden. Grundsätzlich sprechen wir uns jedoch in jedem Fall gegen das aus der Verantwortung ziehen der EU, Asylverfahren an Drittstaaten sowie gegen Asylabkommen mit menschenrechtlich fragwürdigen Partnerstaaten mit aller Klarheit aus.

 

Sollten diese Punkte nicht erfüllt sein, fordern wir sowohl von der Bundesregierung als auch den sozialdemokratischen Abgeordneten des Europäischen Parlamentes, einem etwaigen Kompromiss nicht zuzustimmen. Die angeführten Punkte sind essenzielle Bestandteile für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem, welches den Demokratie- sowie Menschenrechtsstandards der EU entspricht. Ein Unterlaufen dieser Standards muss mit allen Kräften verhindert werden. Sollte die Reform gleichwohl in Kraft treten, fordern wir die Bundesregierung auf, dagegen im Wege der Nichtigkeitsklage vor dem EuGH vorzugehen, um diejenigen Vorschriften zu beseitigen, die mit den europäischen Grundrechten unvereinbar sind. Die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion fordern wir dazu auf, darauf hinzuarbeiten, die Bundesregierung gesetzlich zu diesem Schritt zu verpflichten. Falls ein entsprechendes Gesetz an den Koalitionspartner*innen scheitern sollte, so sollen ihre Abgeordneten zumindest eine Subsidiaritätsklage gegen die Reform anstrengen.

 

Langfristig muss die Bundesregierung unmissverständlich Abstand von populistischem Vorgehen und Narrativen nehmen, die die Aufnahme von Geflüchteten verweigert. Sie muss sich klar für die Aufnahme geflüchteter Menschen aussprechen und sich gemäß der sozialdemokratischen Leitlinie „Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität“ und in ihrer Rolle als europäischer Player für dieses Verständnis in der Europäischen Union starkmachen. Eine Fiktion der Nichteinreise ist zu jeder Zeit abzulehnen.

 

Auch auf nationaler Ebene muss umfassend gehandelt werden. Die Kommunen müssen massiv gestärkt werden, was bedeutet, diese angemessen finanzielle, strukturell und personell zu stärken. Gleichzeitig muss die Integration zu einer öffentlichen Pflichtaufgabe werden, wofür eine entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen werden muss.

Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt durch 60/II/2023 (Konsens)