Antrag 183/I/2024 Eine Reform des §129 StGB “Bildung einer kriminellen Vereinigung” die dem Rechtsstaat gerecht wird

Status:
Nicht abgestimmt

Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestages auf sich für eine Reform der § 129 ff. Strafgesetzbuch unter Berücksichtigung folgender Punkte einzusetzen:

  • § 129 ist als Grundtatbestand neuzufassen und auf die Begehung von Straftaten mittlerer Kriminalität zu beziehen. Bagatelldelikte der leichten Kriminalität sind dabei grundsätzlich auszuschließen. Die Mindeststrafe für strafbestandserfüllende Taten soll bei mindestens fünf Jahren liegen (ohne die erhöhung der Strafe, die durch das Begehen in einer Vereinigung miteinhergeht)
  • Es sind konkrete Vorgaben für die Organisation, Planung und Struktur einer Vereinigung zu entwickeln.
  • Die Strafandrohung (die mögliche Strafe) des § 129 neuer Fassung ist herabzusetzen.
  •  Schwere Eingriffe in Grundrechte durch intensive Ermittlungsmaßnahmen, wie das Abhören von Kommunikation, dürfen nicht länger auf einem bloßen Verdacht der Gründung oder Beteiligung einer kriminellen Vereinigung beruhen. Dafür darf der Paragraph nicht mehr als sogenannte Katalogtat geführt werden.
  •  Für schwerkriminelle Vereinigungen, die auf die Begehung schwerwiegender Taten organisierter Kriminalität wie Mord, Totschlag, Schutzgelderpressungen oder Geldwäsche gerichtet sind, soll ein eigener Straftatbestand (Qualifikation) geschaffen werden.
  •  Von kriminellen wie terroristischen Vereinigungen muss eine erhöhte Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen.

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in der Fassung der AK (Konsens)
Fassung der Antragskommission:

Stellungnahme ASJ – Anträge 183+184/I/2024 KDV Neukölln und Jusos LDK zur Reform des § 129 StGB

 

Die Anträge zielen darauf ab, § 129 StGB so anzupassen, dass „Die letzte Generation“ begrifflich möglichst nicht mehr als „kriminelle Vereinigung“ im Sinne der Norm eingestuft werden kann bzw. bei Begehung einer strafbaren Tat durch Angehörige der Gruppierung der einschlägige Strafrahmen erheblich abgesenkt wird und auch die Strafbarkeit von Unterstützern möglichst ausgeschlossen wird.

 

129 StGB soll zu diesem Zweck aufgeteilt werden in einen Grundtatbestand für mittlere Kriminalität, bei der sich die Vereinigung auf die Begehung von Straftaten richtet, die im Mindestmaß eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren vorsehen und die Begehung für sog. „Bagatelldelikte“ soll grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich fallen. Ferner soll ein Qualifikationsstraftatbestand für schwerstkriminelle Vereinigungen, die es auf die Begehung von Mord, Totschlag (angedrohte Mindeststrafe jeweils mindestens 5 Jahre Freiheitsstrafe), Schutzgelderpressung oder Geldwäsche absehen, geschaffen werden [Schutzgelderpressungen oder Geldwäsche sehen entgegen der in den Anträgen geäußerten Annahme keine Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren – sondern auch die Möglichkeit einer Geldstrafe – vor!].

 

Für verdeckte Ermittlungsmaßnahmen wie das Abhören und Aufzeichnen der Telekommunikation soll nach Möglichkeit mit Blick auf „Die letzte Generation“ künftig nicht mehr ein Anfangsverdacht der Gründung, Beteiligung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung bzw. Werbung von Unterstützern gemäß des Katalogs in § 100a Abs. 2 Nr. 1 d) StPO ausreichen.

 

Votum: Ablehnung

 

Begründung:

 

Einer Änderung von § 29 StGB und seiner Systematik bedarf es nicht. Die gegenwärtige Rechtslage zu § 129 StGB ist ausdifferenziert genug, um den Strafgerichten und Ermittlungsbehörden im konkreten Fall sowohl mit Blick auf das Abhörung und Aufzeichnen der Telekommunikation, als auch mit Blick auf die Bewertung, ob der jeweils festgestellte Tatbestand die Annahme rechtfertigt, ob die Täter Mitglied oder Unterstützer einer kriminellen Vereinigung sind, rechtstaatliche Entscheidungen zu ermöglichen, und bedarf keiner Reformierung.

 

Es ist schon nicht ersichtlich, dass der Straftatbestand in der bisherigen gerichtlichen Praxis ausufern angewendet und Menschen damit zu Unrecht kriminalisiert würden. Politische Protestaktionen sind und müssen weiterhin möglich sein, wenn sich Menschen allerdings zusammentun, um Straftaten als Mittel zum Zweck nutzen, um ihre Forderungen durchzusetzen und dabei in Kauf nehmen, Menschleben anderer zu gefährden, müssen rechtsstaatliche Grenzen eingehalten werden. Das Polizeirecht ist dafür nicht allein der geeignete Ort, um das zu unterbinden. Die schrecklichen Morde des NSU haben gezeigt, dass wir kriminelle Vereinigungen nicht verharmlosen dürfen. Bei § 129 StGB und den Ermittlungsmaßnahmen sind stets Richtervorbehalte zu beachten. Auch in der Ausprägung der restriktiven Rechtsprechung des BGH hat sich die Regelung des § 129 StGB als Ausnahmeregelung in der Praxis bewährt, eine Aufweichung wäre auch politisch das falsche Signal.

 

Die Annahme einer Gründung, Beteiligung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung setzt immer voraus, dass Straftaten prägend für die Gruppe sind und von der Gruppe eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Nur sofern und soweit diese – hinreichend konkreten – Tatbestandsmerkmale nach der Einschätzung der Staatsanwaltschaft und des zuständigen Gerichts gemäß § 100e Abs. 1 StPO erfüllt sind, kann die Telekommunikation von Angehörigen der „Letzten Generation“ wenn ein Anfangsverdacht gegeben ist, im Einzelfall überwacht und aufgezeichnet werden. Nur sofern und soweit das Vorliegen dieser Voraussetzungen im rechtstaatlichen Prozess im Einzelfall nachgewiesen werden kann, kann überhaupt eine Verurteilung gemäß § 129 StGB stattfinden.

 

Es besteht mit Blick auf „Die letzte Generation“ im Vergleich zu anderen Fällen keine größere Gefahr nicht rechtstaatlicher Entscheidungen – weder hinsichtlich der Frage, ob die Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, noch mit Blick auf die Strafzumessung im Einzelfall. Es ist konkret nicht zu befürchten, dass Angehörige der „Letzten Generation“ kein rechtstaatliches Verfahren erhalten könnten, ihre Telekommunikation ohne hinreichenden Anlass überwacht und aufgezeichnet werden könnte und auch nicht, dass sie für nachgewiesene Taten übermäßig hohe Strafen zu erwarten hätten.

 

Das Landgericht München, das den Anfangsverdacht für die Gründung einer bzw. die Beteiligung als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung mit Blick auf die „Letzte Generation“ in einem Einzelfall bejaht hat, hat diese Würdigung nicht ohne hinreichende objektive Anhaltspunkte oder leichtfertig getroffen. Vielmehr hat es diese darauf gegründet, dass im konkreten Einzelfall neben einer Vielzahl von Straßenblockaden, die für sich genommen auch mit der Versammlungsfreiheit abzuwägen gewesen wären (wie das Gericht ausdrücklich anerkannt hat), Mitglieder der Vereinigung wiederholt unter Zerstörung von Schutzeinrichtungen widerrechtlich auf besonders gegen den Zutritt gesicherte Gelände vorgedrungen sind und dort durch Protestaktionen sensible Bereiche der Infrastruktur erheblich beeinträchtigt haben (Störung und Blockaden des Betriebs verschiedener Flughäfen und konzertierte Aktionen, um den Durchfluss verschiedener Ölpipelines zu unterbrechen).

 

Was die mit den Anträgen beabsichtigte Anknüpfung der Qualifikation an eine Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren anbelangt, so würden damit faktisch alle Straftaten außer Mord und Totschlag aus dem Anwendungsbereich der Norm fallen. Wenn der neue Grundtatbestand jedoch bereits – wie die Anträge es ausdrücklich bezeichnen – eine Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren vorsehen soll – welches Strafmaß sollte dann für die Qualifikation, bei der es die Gruppe auf Mord und Totschlag abgesehen hat, angemessen erscheinen? Alles, was nicht mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren bedroht wird, wäre dann als Bagatelldelikt, das aus dem Anwendungsbereich der Norm fällt, anzusehen. Obwohl die Abänderung vor allem auf eine politische Entlastung der „Letzten Generation“ abzielen sollte, würden damit gravierende Strafverfolgungslücken für die Verfolgung von Organisierter Kriminalität (und insbesondere auch Clankriminalität) einhergehen, die nicht wünschenswert sind und die es im Interesse der Erhaltung einer rechtstaatlichen Strafverfolgung unbedingt zu vermeiden gilt.

 

Falls ein Strafgericht in einem konkreten Einzelfall, der „Die letzte Generation“ betrifft, bei der Feststellung oder der Bewertung des Tatbestands tatsächlich zu niedrige Anforderungen an einen Anfangsverdacht, die „Prägung durch Straftaten“ oder das „Vorliegen einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ stellen sollte, stehen die Betroffenen dem auch gegenwärtig nicht schutzlos gegenüber. Vielmehr wird ihnen Rechtssicherheit durch Ausschöpfung des Instanzenzugs und ggf. bis hin zur Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG garantiert. Andererseits kann ein im Einzelfall prozessual verursachtes Unrecht im vorstehend skizzierten Sinne jedenfalls auch nicht durch die Änderung von § 129 StGB ausgeschlossen werden, weil diese Norm nur die materielle Rechtslage regelt.

 

Einer Gesetzesänderung bedarf es nach alledem nicht und sollte auch nicht erfolgen.


 

Fassung der Antragskommission:

Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestages auf sich für eine Reform der § 129 ff. Strafgesetzbuch unter Berücksichtigung folgender Punkte einzusetzen:

  • § 129 ist als Grundtatbestand neuzufassen und auf die Begehung von Straftaten mittlerer Kriminalität zu beziehen. Bagatelldelikte der leichten Kriminalität sind dabei grundsätzlich auszuschließen. Die Mindesthöchststrafe für strafbestandserfüllende Taten soll bei mindestens fünf Jahren liegen (ohne die erhöhung der Strafe, die durch das Begehen in einer Vereinigung miteinhergeht)
  • Es sind konkrete Vorgaben für die Organisation, Planung und Struktur einer Vereinigung zu entwickeln.
  • Die Strafandrohung (die mögliche Strafe) des § 129 neuer Fassung ist herabzusetzen.
  •  Schwere Eingriffe in Grundrechte durch intensive Ermittlungsmaßnahmen, wie das Abhören von Kommunikation, dürfen nicht länger auf einem bloßen Verdacht der Gründung oder Beteiligung einer kriminellen Vereinigung beruhen. Dafür darf der Paragraph nicht mehr als sogenannte Katalogtat geführt werden.
  •  Für schwerkriminelle Vereinigungen, die auf die Begehung schwerwiegender Taten organisierter Kriminalität wie Mord, Totschlag, Schutzgelderpressungen oder Geldwäsche gerichtet sind, soll ein eigener Straftatbestand (Qualifikation) geschaffen werden.
  •  Von kriminellen wie terroristischen Vereinigungen muss eine erhöhte Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen.