Wir fordern die SPD-Fraktion des Bundestages dazu auf, sich dahingehend einzusetzen, dass mündige Personen, die seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, das aktive und passive Wahlrecht zur Bundestagswahl gewährt wird. Als mündige Personen verstehen wir Menschen ab 16 Jahren. Länder wie Chile und Kolumbien zeigen uns, dass diese Regelung zielführend ist.
LPT I-2022 – Überweisen an: ASJ
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Stellungnahme der ASJ Berlin
Empfehlung: Ablehnung
Begründung:
Das im Antrag geschilderte Vorhaben, Personen in Deutschland bei mindestens 5-jährigem Aufenthalt unabhängig von der Staatsangehörigkeit das aktive und passive Wahlrecht zum Bundestag zu verleihen, sieht sich deutlichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, die der Antrag nicht adressiert und daher nicht ausräumen kann. Zudem fehlt eine Auseinandersetzung mit den beabsichtigten Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht, die das von den Antragssteller:innen gesehene Problem abmildern könnten.
- Verfassungsrechtliche Bedenken
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen zum Ausländerwahlrecht in Gemeinden und Kreisen in Schleswig Holstein (Urteil vom 31.10.1990, 2 BvF 2, 6/89, BVerfGE 83, 37 – Ausländerwahlrecht I) und zum Hamburgischen Bezirkswahlrecht (Urteil vom 31.10.1990, 2 BvF 3/89, BVerfGE 83, 60 – Ausländerwahlrecht II) jeweils festgestellt, dass nach Art. 20 Abs. 2 die Volkssouveränität auch für die Landesebene bedeutet, dass eine demokratische Legitimation staatlichen Handels durch Wahlen und Abstimmungen voraussetzt, dass die parlamentarische Vertretung durch das Staatsvolk gewählt wurde. Dieses Staatsvolk wurde ausdrücklich festgehalten als „die Gesamtheit der in dem jeweiligen Wahlgebiet ansässigen Deutschen (Art. 116 Abs. 1 GG)“ (BVerfGE 83, 60, Rn. 38). Aus diesem Grund wurden die jeweiligen überprüften Vorschriften, die ein Wahlrecht für Ausländer vorsahen, für nichtig erklärt. Die Begründung des BVerfG stützt sich dabei primär auf das gerade für die Bundesebene geltende Demokratieprinzip aus Art. 20 GG und leitet von diesem die nach Art. 28 GG geltenden Maßstäbe für die kommunale Ebene ab.
Die legitimierende Basis der Wahl durch das Staatsvolk hat das Bundesverfassungsgericht auch in späteren Entscheidungen aufrecht erhalten: Beispielsweise begründet das BVerfG seine Entscheidung zur Vertrag von Lissabon zu den Maßstäben und Grenzen der europäischen Integration teilweise damit, dass dem Bürger das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag zustehe und bei der Wahl die verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze eingehalten werden, dieses verliere jedoch seinen Sinn, wenn das gewählte Staatsorgan nicht über ein hinreichendes Maß an Aufgaben und Befugnissen verfügte, in denen die legitimierte Handlungsmacht wirken könne (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 -, Rn. 170 f. und Rn. 208 ff.). Es ist nicht ersichtlich, dass dabei das Verständnis des unterstellten Staatsvolkes von den Maßstäben der o.g. Entscheidungen abweicht.
Die sich daraus ergebenden verfassungsrechtlichen Bedenken lassen sich nicht einfach mit der pauschalen und unausgereiften Polemik, „ein Zwang zur deutschen Staatsangehörigkeit dürfte kein Kriterium für Partizipation sein“, beiseiteschieben. Die Begründung des Antrages lässt nicht erkennen, dass diese verfassungsrechtlichen Probleme und Grenzen auch nur ansatzweise in die Erwägungen einbezogen wurden. Es wird auch nicht erörtert, ob sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes derartige Änderungen ableiten lassen könnten, die der Forderung verfassungsrechtliche Legitimität verleihen könnten. Soweit nämlich – wofür jedenfalls die bisherige Rechtsprechung des BVerfG spricht – die Definition von Staatsvolk der Ewigkeitsklausel des GG nach Art. 79 GG unterliegt, wäre nicht mal eine Änderung des GG mit 2/3 Mehrheit möglich.
- Abhilfe durch im Koalitionsvertrag vereinbarte Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht
Auch die in der Begründung angegebene Behauptung, dass Einbürgerungen „exklusiv“ seien, fehlende Sprachkenntnisse oder fehlende Sicherung des Lebensunterhalts Ausschlusskriterien seien, ist schlicht falsch. Schon nach dem geltenden Staatsangehörigkeitsrecht kann im Rahmen des Ermessens vom Spracherfordernis oder der Sicherung des Lebensunterhalts abgesehen werden. Es besteht auch kein Zwang zur Einbürgerung, vielmehr wird auch in Einzelfällen eine Mehrstaatlichkeit bereits jetzt zugelassen. Weiterhin sind im Koalitionsvertrag Änderungen am Staatsangehörigkeitsrecht zur Erleichterung der Einbürgerung vorgesehen, nach deren Umsetzung der in der Antragsbegründung aufgeführte Kritik an der Notwendigkeit einer Einbürgerung abgeholfen werden könnte.
Der Koalitionsvertrag (zitiert nach https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf) sieht auf Seite 94 vor:
„Wir schaffen ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Dafür werden wir die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglichen und den Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfachen. Eine Einbürgerung soll in der Regel nach fünf Jahren möglich sein, bei besonderen Integrationsleistungen nach drei Jahren. Eine Niederlassungserlaubnis soll nach drei Jahren erworben werden können. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern werden mit ihrer Geburt deutsche Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger, wenn ein Elternteil seit fünf Jahre einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Für zukünftige Generationen prüfen wir, wie sich ausländische Staatsbürgerschaften nicht über Generationen vererben.
In Anerkennung ihrer Lebensleistung wollen wir die Einbürgerung für Angehörige der sogenannten Gastarbeitergeneration erleichtern, deren Integration lange Zeit nicht unterstützt wurde, indem wir für diese Gruppe das nachzuweisende Sprachniveau senken. Zudem schaffen wir eine allgemeine Härtefallregelung für den erforderlichen Sprachnachweis. Das Einbürgerungserfordernis der „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ werden wir durch klare Kriterien ersetzen. Wir werden mit einer Kampagne über die Möglichkeiten zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit werben und begrüßen die Durchführung von Einbürgerungsfeiern ausdrücklich.“
Der Antrag berücksichtigt die voraussichtlichen positiven Effekte dieser politisch vereinbarten Änderungen nicht, sondern lehnt diese in der Begründung sogar ab.
Nach Auffassung der ASJ wird die Erleichterung der Einbürgerung einen Beitrag dazu leisten kann, eine stärkere demokratische Partizipation zu ermöglichen.