Antrag 111/II/2019 Diskriminierungskritische Berliner Schulkulturen stärken: Rassismus konsequent benennen, bearbeiten und beheben!

Status:
Annahme

2018 gab es 180 Beschwerden von Diskriminierung an Berliner Schulen. Die meisten Vorfälle fallen in die Kategorie Rassismus (106). Die meisten Beschwerden beziehen sich auf Lehrer*innen und weiteres Schulpersonal (84) oder Schulmaterial/Schulregeln (24).

 

Aus aktuellen, diskriminierungskritischen wissenschaftlichen Studien – die bekannteste unter ihnen im Auftrag der ehemaligen Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Aydan Özuguz – wissen wir: Deutsche Schulbücher bilden die gesellschaftliche Realität oft einseitig ab. Migration und Vielfalt werden vor allem als Problem dargestellt für eine weiterhin überwiegend als homogen abgebildete Gesellschaft. Migrant*innen werden wiederholt als passiv Betroffene oder Opfer dargestellt. In Schulbüchern haben Deutsche in der Mehrzahl keinen Migrationshintergrund bzw. sind alle weiß. Viele Schulbuchdarstellungen verfallen immer wieder in das dramatisierende Muster „eigen“ und „fremd“. Noch schlimmer steht es um die Darstellung von »Afrika«-Bildern und Schwarz-Weiß-Konstruktionen in deutschen Schulbüchern. Auch hier belegen wissenschaftliche Studien, wie Unterrichtsmaterialien koloniale Afrikabilder reproduzieren und oft rassistisches Gedankengut transportieren. Der koloniale Duktus bleibt von den Lehrenden oft unerkannt. Denn rassismuskritische Aus- oder Weiterbildung sind keine verpflichtenden Fortbildungen für Lehrer*innen in Berlin.

 

Die deutsche Kolonialzeit mit ihrer Linie vom Rassismus und Imperialismus zum Nationalsozialismus ist kein verpflichtender Inhalt im Geschichtsunterricht an Berliner Schulen.
Seit 2004 gibt es im Land Berlin keine zentrale Zulassung von Schulbüchern mehr (als einziges Bundesland). Das bedeutet, jede Schule muss selbst entscheiden, welche Lehr- und Lernmittel sie im Unterricht einsetzt. Die Auswahl trifft die jeweilige Fachkonferenz der Schule unter Berücksichtigung der Grundsätze, die von der Gesamtkonferenz beschlossen wurden. Eine diskriminierungskritische Leitlinie gibt es für Schulbücher in Berlin nicht.
Die SPD forderte 2014 in einem Beschluss des Landesparteitages „dass alle Lehrbücher, -hefte und weiteres Lehr- und Lernmaterial, dass in Berliner Schulen genutzt wird, auf alle Diskriminierungsformen überprüft werden, und, dass das Ergebnis dieser Prüfung veröffentlicht wird. Die Prüfung der Lehrmaterialien soll durch eine Berliner Schulbuchkommission erfolgen.“
Bis heute ist dies jedoch nicht umgesetzt.

 

Die von der SPD Fraktion eingebrachte Änderung in der Novelle des Berliner Schulgesetzes 2018 hält fest: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf zukunftsfähige, diskriminierungsfreie schulische Bildung und Erziehung ungeachtet insbesondere (…) , der ethnischen Herkunft, einer rassistischen Zuschreibung. (…) Schulen sind verpflichtet, Schülerinnen und Schüler vor Diskriminierungen zu schützen. Ziel ist es, die Vielfalt der Lebensweisen und unterschiedlichen kulturellen Werte und Normen zu vermitteln und (…) nicht ein rassendiskriminierendes Verständnis zu fördern.“ Der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus von 2017 und die Verankerung der UN Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft im Berliner Koalitionsvertrag (2016 – 2021) seien hier als zwei weitere wichtige Bezugspunkte genannt, die formal anerkennen, dass systematische Barrieren einschneidend auf die Lebensführung marginalisierter Menschen in Deutschland wirken.

 

Im Vergleich mit anderen Schulgesetzen in Deutschland geht das Diskriminierungsverständnis im Berliner Schulgesetz sehr weit. Die darin enthaltenen gerechtigkeitsorientierten Innovationen müssen gefestigt und erweitert werden!

In den letzten Jahren wurde in der Senatskanzlei die hohe Sensibilisierung für dieses Thema auch haushaltmäßig unterlegt. Berlin besitzt noch immer als einziges Land in Deutschland eine Antidiskriminierungsbeauftragte für Schulen, die an den Senat für Bildung angegliedert ist.

 

Doch dies alleine reicht nicht aus, um die gemeldeten Diskriminierungsfälle gründlich zu bearbeiten und um eine grundlegende diskriminierungskritische Schulkultur einzuführen!
Wir Sozialdemokrat*innen setzen uns für eine gleichgestellte und diskriminierungsfreie Gesellschaft ein, die eine soziale Mitgliedschaft aller Gruppen – vor allem vulnerabler Gruppen -sichert und konsequent umsetzt. Das Schulgesetz ist der Rahmen, eine solche Gesellschaft an jenem Ort zu ermöglichen, der entscheidend für das Leben aller Menschen ist: die Schule.

 

Um das zu erreichen und die immer noch bestehenden Lücken zu schließen, fordern wir die Mitglieder des Berliner Senats auf, folgende Elemente einer Antidiskriminierungsstrategie auf den Weg zu bringen:

 

1. Lang angelegte, Studien, regelmäßige Stichproben und periodische Prüfungen von Schulbüchern aller Fachrichtungen unter Einbeziehung von migrantisch-diasporischen Selbstorganisationen und Wissenschaft für alle großen Diskriminierungsbereiche durchführen, um diskriminierende Muster aufzuweisen (bestenfalls bundeslandübergreifende Kooperationen) und die regelmäßige Veröffentlichung der Ergebnisse. Die Studien werden von einer unabhängigen Beschwerdestelle eingeführt.

 

2. Der Senat muss ein Konzept für „Kunstfehleranalysen“ für das Bildungssystem entwerfen und einführen, um analytisch und systematisch festzuhalten, warum bestimmte Abläufe, Verfahren und Prozesse strukturelle und institutionelle Diskriminierungsrealitäten hervorbringen!

 

3. Verbindliche Antidiskriminierungsfortbildungen von der Spitze (Schulaufsicht) durch in die Fläche gehend (einzelnen Schulen)!
Die verpflichtende Fortbildung des Schulpersonals ist bereits im Schulgesetz vorgeschrieben. Eine diskriminierungskritische Fortbildung muss verpflichtend vom Senat vorgeschrieben werden für alle Lehrer*innen aller Fächer sowie weiteres pädagogisches Personal und Rektor*innen an der Schule und die Verwaltung. Dies schließen alle Beschäftigten der Schulbehörden sowie der angegliederten Verwaltung im Land Berlin mit ein.

 

4. Die Antidiskriminierungsbeauftragte für Berliner Schulen und Kitas muss mit festgelegten Befugnissen ausgestattet werden, um einen effektiven und wirksamen Diskriminierungsschutz herzustellen. Die Antidiskriminierungsstelle muss mit einem rassismus- und diskriminierungskritisch kompetenten Menschen besetzt werden. Die oder der Beauftragte muss umfassende intersektional-rassimuskritische Kompetenzen mitbringen und zudem eine fundierte, solidarische Netzwerkarbeit mit den Selbstorganisationen vulnerabler Gruppen nachweisen können. Die Antidiskriminierungsbeauftragte sorgt für die verwaltungsinterne Aufarbeitung von
Diskriminierungsfällen. Sie muss durch eine beim Parlament angesiedelte Unabhängige Beschwerdestelle ergänzt werden, die Akzeptanz in der zivilgesellschaftlichen Landschaft schafft. Die Stelle muss unabhängig, weisungsungebunden und mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet sein. Vorbild ist dabei die Stelle der Datenschutzbeauftragten. Zu den für die unabhängige Informations- und Beschwerdestelle einzuführenden Rechten gehören: Umfassendes Informations- und Akteneinsichtsrecht, Recht, Maßnahmen vorzuschlagen und Handlungsempfehlungen zu geben und in besonderen Fällen Eskalationsrechte sowie Erhebung von Diskriminierungsdaten.

 

5. Eine diskriminierungskritische didaktische Qualifizierung an Hochschulen sichern!
Lehrer*innen müssen didaktisch geschult werden, wie sie Diskriminierung erkennen und Strategien vermitteln können, wie mit Diskriminierung umgegangen und ihr vorgebeugt werden kann. Schüler*innen müssen dazu befähigt werden, Diskriminierung zu erkennen, zu benennen und ihr entgegenzuwirken. Didaktische Forschung muss gefördert werden, um herauszuarbeiten, wie Schlüsselkompetenzen in der Erkennung von Stigmatisierung und Ungerechtigkeit durch Lehrer*innen, Schüler*innen und der Schulverwaltung erlernt und aufgebaut werden. Kollektive Empathie, soziale Wertschätzung und solidarisches Handeln müssen als Schlüsselkompetenzen für die Erhöhung des sozialen Zusammenhalts in stark pluralisierten Gesellschaften im Lehrplan fundiert werden.

 

6. Vorgaben des Senates für Bildung zur Didaktisierung von Lehrmaterialien anhand von Kriterien von Diversität und Rassismuskritik schaffen!
Verfahren müssen entwickelt werden, um die Expertise von migrantisch-diasporischen Communities in der Produktion von Schulbüchern und Bildungsmaterialien systematisch nutzbar zu machen. Der Senat muss Vorgaben für einen Mindeststandarts für fachliche Expertise aus der Wissenschaft für die Entwicklung von Schulbüchern vorgeben.
Einseitige eurozentristische Perspektiven müssen dokumentiert, überarbeitet und überwunden werden. Vor allem afrikanische Gesellschaften dürfen nicht mehr als geschichtslos und passiv abgebildet werden. Durch staatliches Handeln angeregte Diversität muss ein Rahmen geschaffen werden, vielfältige Entwürfe und Perspektiven auf Geschichte und Gegenwart in Lehrmaterialen, Film, Lehrbüchern und digitalisierten Materialien abzubilden. Leitperspektiven von Respekt, Vielfalt und Gemeinsamkeiten müssen in allen Fächern geschaffen und deren Einhaltung durch Prüfung sichergestellt werden.

 

7. Die Befassung mit dem europäischen und insbesondere mit dem deutschen und von Berlin ausgehenden Kolonialrassismus sowie mit dem antikolonialen Widerstand muss sowohl als verpflichtender Teil, als auch Querschnittsthema des Lehrplans für die gesamte Neuere Geschichte eingeführt werden (Globalgeschichtliche Ausrichtung des Unterrichts, Thematisierung der Ambivalenz von Humanismus und europäischer Aufklärung auf der einen sowie Kolonisierung, Versklavung und Rassismus auf der anderen Seite). Berlins koloniales Erbe im Spiegelbild heutiger stadtpolitischer Realitäten zu reflektieren muss Bestandteil des Geschichtsunterrichtes in Berlin werden!

 

8. Rassismuskritik muss als Mainstream des Curriculums aufgenommen werden! 

Soziale und kulturelle Diversität muss in den Rahmenlehrplänen stärker verankert werden. Der große Spielraum, den die Berliner Curricula bieten, muss diesbezüglich rassismuskritisch strukturiert werden. Gleichstellungsorientierte Kompetenzbildung von Grundlagen der wechselseitigen Anerkennung zur Akzeptanz von sozialer, geschlechtlicher, religiöser und kultureller Vielfalt, müssen als Querschnittsqualifikation in allen Fächern verankert werden. Deren Erreichung muss durch Prüfungen sichergestellt werden.

 

9. Der Anteil von sozialer und kultureller Diversität beim Lehrerpersonal systematisch erhöhen: Ansätze von ‚Recruitment and Retainment’ sowohl für die horizontale Ebene (Anzahl), als auch für der vertikale Ebene (Entscheidungs- und Führungspositionen) umsetzen!
Gemeinsam mit vulnerablen Communities, ihren Selbstorganisationen und der Wissenschaft muss der Senat Strategien erarbeiten und finanziell hinterlegen, die soziale und kulturelle Diversität unserer pluralen Gesellschaft im Lehrpersonal konsequent abzubilden.

Fürsorgepflicht muss diskriminierungskritisch reformuliert werden: Fürsorge gilt nicht nur gegenüber marginalisierten Schüler*innen sondern auch gegenüber marginalisierten Lehrer*innen und Verwaltungspersonal aus vulnerablen Gruppen. Ziel ist es nicht nur, ein vielfältiges Personal im Schulwesen durch gezieltes Anwerben von Führungspersonal aus marginalisierten Gruppen aufzubauen, sondern Strategien zu entwickeln, dieses auch dauerhaft in der Organisation zu halten zu können (Retainment) wie z.B. durch Mentor*innenprogramme.
Hauptkernschraube kann der Rückkehr zum Konzept der ‚Pädagogischen Hochschule’ sein. Hier hat der Staat stärker Einwirkung auf die spezifische Strukturierung der Ausbildung und kann gezielt Räume für eine Heterogenitäts- und Diskriminierungskritische Didaktik schaffen.

 

10. Einen Tag gegen Diskriminierung an jeder Berliner Schule!

Es soll ein verpflichtender Tag gegen Diskriminierung eingeführt werden, an dem sich jede Schule beteiligen muss. Inwiefern die Organisation erfolgt, ist der Schule freigestellt, ein individueller Beitrag ist aber Pflicht. An einem solchen Tag sollen die Schüler*innen sich einen ganzen Tag (und vielleicht durch die Vorbereitung auch schon im Vorfeld) mit dem Thema Diskriminierung heute befassen. Sie sollen beispielsweise innerhalb eines Projekts lernen, was Diskriminierung überhaupt heißt. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass der Tag für die Schüler*innen trotz eines ernsten Themas altersgerecht und attraktiv gestaltet wird. Das Land soll durch Aufzeigen oder Bereitstellen von (bereits bestehenden) Angeboten die Schulen unterstützen. Dieser Tag sollte jedoch nicht an einem zentralen Datum stattfinden, da beispielsweise versch. Initiativen nicht die Kapazitäten haben, an einem Tag in allen Berliner Schulen zu sein.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme (Konsens)
Beschluss: Annahme
Text des Beschlusses:

2018 gab es 180 Beschwerden von Diskriminierung an Berliner Schulen. Die meisten Vorfälle fallen in die Kategorie Rassismus (106). Die meisten Beschwerden beziehen sich auf Lehrer*innen und weiteres Schulpersonal (84) oder Schulmaterial/Schulregeln (24).

 

Aus aktuellen, diskriminierungskritischen wissenschaftlichen Studien – die bekannteste unter ihnen im Auftrag der ehemaligen Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Aydan Özuguz – wissen wir: Deutsche Schulbücher bilden die gesellschaftliche Realität oft einseitig ab. Migration und Vielfalt werden vor allem als Problem dargestellt für eine weiterhin überwiegend als homogen abgebildete Gesellschaft. Migrant*innen werden wiederholt als passiv Betroffene oder Opfer dargestellt. In Schulbüchern haben Deutsche in der Mehrzahl keinen Migrationshintergrund bzw. sind alle weiß. Viele Schulbuchdarstellungen verfallen immer wieder in das dramatisierende Muster „eigen“ und „fremd“. Noch schlimmer steht es um die Darstellung von »Afrika«-Bildern und Schwarz-Weiß-Konstruktionen in deutschen Schulbüchern. Auch hier belegen wissenschaftliche Studien, wie Unterrichtsmaterialien koloniale Afrikabilder reproduzieren und oft rassistisches Gedankengut transportieren. Der koloniale Duktus bleibt von den Lehrenden oft unerkannt. Denn rassismuskritische Aus- oder Weiterbildung sind keine verpflichtenden Fortbildungen für Lehrer*innen in Berlin.

 

Die deutsche Kolonialzeit mit ihrer Linie vom Rassismus und Imperialismus zum Nationalsozialismus ist kein verpflichtender Inhalt im Geschichtsunterricht an Berliner Schulen.
Seit 2004 gibt es im Land Berlin keine zentrale Zulassung von Schulbüchern mehr (als einziges Bundesland). Das bedeutet, jede Schule muss selbst entscheiden, welche Lehr- und Lernmittel sie im Unterricht einsetzt. Die Auswahl trifft die jeweilige Fachkonferenz der Schule unter Berücksichtigung der Grundsätze, die von der Gesamtkonferenz beschlossen wurden. Eine diskriminierungskritische Leitlinie gibt es für Schulbücher in Berlin nicht.
Die SPD forderte 2014 in einem Beschluss des Landesparteitages „dass alle Lehrbücher, -hefte und weiteres Lehr- und Lernmaterial, dass in Berliner Schulen genutzt wird, auf alle Diskriminierungsformen überprüft werden, und, dass das Ergebnis dieser Prüfung veröffentlicht wird. Die Prüfung der Lehrmaterialien soll durch eine Berliner Schulbuchkommission erfolgen.“
Bis heute ist dies jedoch nicht umgesetzt.

 

Die von der SPD Fraktion eingebrachte Änderung in der Novelle des Berliner Schulgesetzes 2018 hält fest: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf zukunftsfähige, diskriminierungsfreie schulische Bildung und Erziehung ungeachtet insbesondere (…) , der ethnischen Herkunft, einer rassistischen Zuschreibung. (…) Schulen sind verpflichtet, Schülerinnen und Schüler vor Diskriminierungen zu schützen. Ziel ist es, die Vielfalt der Lebensweisen und unterschiedlichen kulturellen Werte und Normen zu vermitteln und (…) nicht ein rassendiskriminierendes Verständnis zu fördern.“ Der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus von 2017 und die Verankerung der UN Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft im Berliner Koalitionsvertrag (2016 – 2021) seien hier als zwei weitere wichtige Bezugspunkte genannt, die formal anerkennen, dass systematische Barrieren einschneidend auf die Lebensführung marginalisierter Menschen in Deutschland wirken.

 

Im Vergleich mit anderen Schulgesetzen in Deutschland geht das Diskriminierungsverständnis im Berliner Schulgesetz sehr weit. Die darin enthaltenen gerechtigkeitsorientierten Innovationen müssen gefestigt und erweitert werden!

In den letzten Jahren wurde in der Senatskanzlei die hohe Sensibilisierung für dieses Thema auch haushaltmäßig unterlegt. Berlin besitzt noch immer als einziges Land in Deutschland eine Antidiskriminierungsbeauftragte für Schulen, die an den Senat für Bildung angegliedert ist.

 

Doch dies alleine reicht nicht aus, um die gemeldeten Diskriminierungsfälle gründlich zu bearbeiten und um eine grundlegende diskriminierungskritische Schulkultur einzuführen!
Wir Sozialdemokrat*innen setzen uns für eine gleichgestellte und diskriminierungsfreie Gesellschaft ein, die eine soziale Mitgliedschaft aller Gruppen – vor allem vulnerabler Gruppen -sichert und konsequent umsetzt. Das Schulgesetz ist der Rahmen, eine solche Gesellschaft an jenem Ort zu ermöglichen, der entscheidend für das Leben aller Menschen ist: die Schule.

 

Um das zu erreichen und die immer noch bestehenden Lücken zu schließen, fordern wir die Mitglieder des Berliner Senats auf, folgende Elemente einer Antidiskriminierungsstrategie auf den Weg zu bringen:

 

1. Lang angelegte, Studien, regelmäßige Stichproben und periodische Prüfungen von Schulbüchern aller Fachrichtungen unter Einbeziehung von migrantisch-diasporischen Selbstorganisationen und Wissenschaft für alle großen Diskriminierungsbereiche durchführen, um diskriminierende Muster aufzuweisen (bestenfalls bundeslandübergreifende Kooperationen) und die regelmäßige Veröffentlichung der Ergebnisse. Die Studien werden von einer unabhängigen Beschwerdestelle eingeführt.

 

2. Der Senat muss ein Konzept für „Kunstfehleranalysen“ für das Bildungssystem entwerfen und einführen, um analytisch und systematisch festzuhalten, warum bestimmte Abläufe, Verfahren und Prozesse strukturelle und institutionelle Diskriminierungsrealitäten hervorbringen!

 

3. Verbindliche Antidiskriminierungsfortbildungen von der Spitze (Schulaufsicht) durch in die Fläche gehend (einzelnen Schulen)!
Die verpflichtende Fortbildung des Schulpersonals ist bereits im Schulgesetz vorgeschrieben. Eine diskriminierungskritische Fortbildung muss verpflichtend vom Senat vorgeschrieben werden für alle Lehrer*innen aller Fächer sowie weiteres pädagogisches Personal und Rektor*innen an der Schule und die Verwaltung. Dies schließen alle Beschäftigten der Schulbehörden sowie der angegliederten Verwaltung im Land Berlin mit ein.

 

4. Die Antidiskriminierungsbeauftragte für Berliner Schulen und Kitas muss mit festgelegten Befugnissen ausgestattet werden, um einen effektiven und wirksamen Diskriminierungsschutz herzustellen. Die Antidiskriminierungsstelle muss mit einem rassismus- und diskriminierungskritisch kompetenten Menschen besetzt werden. Die oder der Beauftragte muss umfassende intersektional-rassimuskritische Kompetenzen mitbringen und zudem eine fundierte, solidarische Netzwerkarbeit mit den Selbstorganisationen vulnerabler Gruppen nachweisen können. Die Antidiskriminierungsbeauftragte sorgt für die verwaltungsinterne Aufarbeitung von
Diskriminierungsfällen. Sie muss durch eine beim Parlament angesiedelte Unabhängige Beschwerdestelle ergänzt werden, die Akzeptanz in der zivilgesellschaftlichen Landschaft schafft. Die Stelle muss unabhängig, weisungsungebunden und mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet sein. Vorbild ist dabei die Stelle der Datenschutzbeauftragten. Zu den für die unabhängige Informations- und Beschwerdestelle einzuführenden Rechten gehören: Umfassendes Informations- und Akteneinsichtsrecht, Recht, Maßnahmen vorzuschlagen und Handlungsempfehlungen zu geben und in besonderen Fällen Eskalationsrechte sowie Erhebung von Diskriminierungsdaten.

 

5. Eine diskriminierungskritische didaktische Qualifizierung an Hochschulen sichern!
Lehrer*innen müssen didaktisch geschult werden, wie sie Diskriminierung erkennen und Strategien vermitteln können, wie mit Diskriminierung umgegangen und ihr vorgebeugt werden kann. Schüler*innen müssen dazu befähigt werden, Diskriminierung zu erkennen, zu benennen und ihr entgegenzuwirken. Didaktische Forschung muss gefördert werden, um herauszuarbeiten, wie Schlüsselkompetenzen in der Erkennung von Stigmatisierung und Ungerechtigkeit durch Lehrer*innen, Schüler*innen und der Schulverwaltung erlernt und aufgebaut werden. Kollektive Empathie, soziale Wertschätzung und solidarisches Handeln müssen als Schlüsselkompetenzen für die Erhöhung des sozialen Zusammenhalts in stark pluralisierten Gesellschaften im Lehrplan fundiert werden.

 

6. Vorgaben des Senates für Bildung zur Didaktisierung von Lehrmaterialien anhand von Kriterien von Diversität und Rassismuskritik schaffen!
Verfahren müssen entwickelt werden, um die Expertise von migrantisch-diasporischen Communities in der Produktion von Schulbüchern und Bildungsmaterialien systematisch nutzbar zu machen. Der Senat muss Vorgaben für einen Mindeststandarts für fachliche Expertise aus der Wissenschaft für die Entwicklung von Schulbüchern vorgeben.
Einseitige eurozentristische Perspektiven müssen dokumentiert, überarbeitet und überwunden werden. Vor allem afrikanische Gesellschaften dürfen nicht mehr als geschichtslos und passiv abgebildet werden. Durch staatliches Handeln angeregte Diversität muss ein Rahmen geschaffen werden, vielfältige Entwürfe und Perspektiven auf Geschichte und Gegenwart in Lehrmaterialen, Film, Lehrbüchern und digitalisierten Materialien abzubilden. Leitperspektiven von Respekt, Vielfalt und Gemeinsamkeiten müssen in allen Fächern geschaffen und deren Einhaltung durch Prüfung sichergestellt werden.

 

7. Die Befassung mit dem europäischen und insbesondere mit dem deutschen und von Berlin ausgehenden Kolonialrassismus sowie mit dem antikolonialen Widerstand muss sowohl als verpflichtender Teil, als auch Querschnittsthema des Lehrplans für die gesamte Neuere Geschichte eingeführt werden (Globalgeschichtliche Ausrichtung des Unterrichts, Thematisierung der Ambivalenz von Humanismus und europäischer Aufklärung auf der einen sowie Kolonisierung, Versklavung und Rassismus auf der anderen Seite). Berlins koloniales Erbe im Spiegelbild heutiger stadtpolitischer Realitäten zu reflektieren muss Bestandteil des Geschichtsunterrichtes in Berlin werden!

 

8. Rassismuskritik muss als Mainstream des Curriculums aufgenommen werden! 

Soziale und kulturelle Diversität muss in den Rahmenlehrplänen stärker verankert werden. Der große Spielraum, den die Berliner Curricula bieten, muss diesbezüglich rassismuskritisch strukturiert werden. Gleichstellungsorientierte Kompetenzbildung von Grundlagen der wechselseitigen Anerkennung zur Akzeptanz von sozialer, geschlechtlicher, religiöser und kultureller Vielfalt, müssen als Querschnittsqualifikation in allen Fächern verankert werden. Deren Erreichung muss durch Prüfungen sichergestellt werden.

 

9. Der Anteil von sozialer und kultureller Diversität beim Lehrerpersonal systematisch erhöhen: Ansätze von ‚Recruitment and Retainment’ sowohl für die horizontale Ebene (Anzahl), als auch für der vertikale Ebene (Entscheidungs- und Führungspositionen) umsetzen!
Gemeinsam mit vulnerablen Communities, ihren Selbstorganisationen und der Wissenschaft muss der Senat Strategien erarbeiten und finanziell hinterlegen, die soziale und kulturelle Diversität unserer pluralen Gesellschaft im Lehrpersonal konsequent abzubilden.

Fürsorgepflicht muss diskriminierungskritisch reformuliert werden: Fürsorge gilt nicht nur gegenüber marginalisierten Schüler*innen sondern auch gegenüber marginalisierten Lehrer*innen und Verwaltungspersonal aus vulnerablen Gruppen. Ziel ist es nicht nur, ein vielfältiges Personal im Schulwesen durch gezieltes Anwerben von Führungspersonal aus marginalisierten Gruppen aufzubauen, sondern Strategien zu entwickeln, dieses auch dauerhaft in der Organisation zu halten zu können (Retainment) wie z.B. durch Mentor*innenprogramme.
Hauptkernschraube kann der Rückkehr zum Konzept der ‚Pädagogischen Hochschule’ sein. Hier hat der Staat stärker Einwirkung auf die spezifische Strukturierung der Ausbildung und kann gezielt Räume für eine Heterogenitäts- und Diskriminierungskritische Didaktik schaffen.

 

10. Einen Tag gegen Diskriminierung an jeder Berliner Schule!

Es soll ein verpflichtender Tag gegen Diskriminierung eingeführt werden, an dem sich jede Schule beteiligen muss. Inwiefern die Organisation erfolgt, ist der Schule freigestellt, ein individueller Beitrag ist aber Pflicht. An einem solchen Tag sollen die Schüler*innen sich einen ganzen Tag (und vielleicht durch die Vorbereitung auch schon im Vorfeld) mit dem Thema Diskriminierung heute befassen. Sie sollen beispielsweise innerhalb eines Projekts lernen, was Diskriminierung überhaupt heißt. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass der Tag für die Schüler*innen trotz eines ernsten Themas altersgerecht und attraktiv gestaltet wird. Das Land soll durch Aufzeigen oder Bereitstellen von (bereits bestehenden) Angeboten die Schulen unterstützen. Dieser Tag sollte jedoch nicht an einem zentralen Datum stattfinden, da beispielsweise versch. Initiativen nicht die Kapazitäten haben, an einem Tag in allen Berliner Schulen zu sein.

Beschluss-PDF:
Überweisungs-PDF: