Antrag 31/I/2018 Berlins Startup-Welt muss weiblicher werden

Status:
Annahme

Die sozialdemokratischen Mitglieder des Berliner Senats und des Abgeordnetenhauses von Berlin werden aufgefordert, folgende Forderungen umzusetzen:

 

Berlins Startup-Welt muss weiblicher werden

Die Gründungsaktivitäten von Frauen haben sich nicht zuletzt dank engagierter Frauen und verbesserter Förder- und Beratungsbedingungen verstärkt. Es bleibt aber noch viel zu tun, schließlich ist die Mehrheit der Gründungspersonen immer noch männlich.[1]

Berlins Wirtschaft kann es sich gar nicht leisten, auf Geschäftsideen von Gründerinnen zu verzichten. Hier entsteht die Basis für künftiges Wirtschaftswachstum am Standort Berlins sowie der Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze.

 

Klarheit schaffen:
Wir brauchen eine regelmäßige, verlässliche Zahlenbasis zu Gründungsaktivitäten von Frauen

 

Es existieren zwar viele Gründungsstatistiken, aber die Datenerhebung folgt jeweils unter- schiedlichen Quellen und bringt keine vergleichbaren und zuverlässigen Ergebnisse.[2] Wir brauchen ein besseres Fundament für politische Entscheidungsfindung. Der Senat von Berlin wird aufgefordert, in regelmäßigen Abständen einen Gründerinnenreport vorzulegen. Dabei ist ein gemeinsam mit dem Land Brandenburg erstellter Gründerinnenreport für die Metropolregion Berlin-Brandenburg anzustreben. Dieser Bericht enthält Erhebungen über die Gründungsaktivitäten und Unternehmensnachfolge von Frauen über alle Wirtschaftsbereiche, die Inanspruchnahme von Förder- und Fremdfinanzierung sowie die Problemlagen bei der Unternehmensgründung durch Frauen. Die benötigten Mittel für den Bericht sollen im Berliner Haushalt vorgesehen werden, um die Finanzierung langfristig zu sichern.

In die Festlegung der Methodik und der Untersuchungsgegenstände des Gründerinnenreports sollen Interessensvertretungen der Frauen, Hochschulen, Kammern und Unternehmensverbände und Gewerkschaften mit einbezogen werden.

Das Land Berlin wird sich auf Bundesebene für eine vergleichbare regional differenzierte Statistik der Gründungsaktivitäten von Frauen und die Schaffung eines bundesweiten Gründerinnenreports einsetzen.

 

Frauen fördern: Verbesserung und Schaffung finanzieller und fachlicher Förderprogramme

 

Förderprogramme evaluieren

Viele innovative Geschäftsideen von Gründerinnen werden als solche nicht wahrgenommen und finanziell gefördert, weil sie derzeit nicht dem männlich geprägten Innovationsbegriff entsprechen. Dies wiegt doppelt schwer, weil Gründerinnen bekanntlich im Normalfall über weniger Gründungskapital verfügen als Gründer. Wir wollen in der Förderpolitik die gesamte Bandbreite innovativer Geschäftsideen fokussieren und dadurch den Genderbias der Förderprogramme korrigieren. Dies ist gleichstellungs- und wirtschaftspolitisch geboten.

 

Der Senat von Berlin wird aufgefordert eine Kommission einzusetzen, welche einmalig alle Förderprogramme des Landes Berlins einschließlich der Landesförderinstitute und der Hochschulen auf mittelbare geschlechtsspezifische Benachteiligungen hin überprüft unter besonderer Berücksichtigung von Inanspruchnahme und Fördersummen. Ergebnisse und Verbesserungsvorschläge werden in einem Evaluationsbericht aufgezeigt. Auf dieser Basis passt das Land Berlin dann binnen einer Legislatur- bzw. Förderperiode die betroffenen Landesprogramme ggfs. an. Das geschlechtsspezifische Monitoring wird im Folgenden verstetigt.

 

Auf Bundesebene wird sich der Senat von Berlin ebenfalls für eine Evaluation von Fördermaßnahmen einsetzen und eine solche Analyse auch auf europäischer Ebene initiieren.

 

Der Evaluationsbericht erfüllt neben der quantitativen und qualitativen Überprüfung der Förderprogramme mit nachvollziehbaren Kriterien auch die Funktion, Sensibilität und Aufmerksamkeit für eine Gründungsförderung zu erzeugen, die Frauen faktisch gleiche Zugangschancen zur beruflichen Perspektive Unternehmensgründung verschafft wie Männern.

 

Frühe Förderung von Unternehmerinnentum – Orientierung und Unterstützung verbessern

Die bereits begonnenen Bemühungen zur Förderung des Unternehmerinnentums in den Schulen und die Vernetzung mit den zahlreichen Unternehmerinnennetzwerken sollen weiter ausgebaut werden. Ziel ist es, Unternehmerinnen als Vorbilder für Schülerinnen sichtbar zu machen.[3]

 

Parallel soll die Kooperation mit den Berliner Jugendmedienzentren, die der digitalen Medienkompetenzbildung sowohl im schulischen als auch im Freizeitbereich dienen, verstärkt werden. Workshops zu Digitalisierung, Technologie und Entrepreneurship für Mädchen sollen die Aktivitäten der Schulen unterstützen.

 

Eine wichtige Lotsen- und Beratungsfunktion bei beruflichen Weichenstellungen von Frauen nehmen auch die Arbeitsagenturen ein. Sie sind häufig die erste Anlaufstelle, da gerade gründungsinteressierte Frauen nach Mitteln suchen, wovon sie in der Durststrecke vor und nach der Gründung ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die Arbeitsagenturen werden aufgefordert, potenziellen GründerInnen sachdienliche Hinweise zu geben sowie Wege zur Gründungsberatung zu weisen, auch wenn die Gründerin oder der Gründer aus Sicht der Agentur „vermittelbar“ ist und daher nicht in den Genuss der Ermessensleistung eines Gründungszuschusses kommt.

 

Ausbau von Mentoring-, Coachingprogrammen und Netzwerken

Frauen gründen anders und fühlen sich von vielen Unterstützungsmaßnahmen nicht angesprochen. Neben der Überprüfung der Tonalität bestehender Programme fordern wir den Ausbau der Coachingprogramme für Gründerinnen und Unternehmerinnen in Berlin und Brandenburg.

 

Wir sehen hier vor allem Handlungsbedarf in folgenden Bereichen:

  • Ausbau und Verstärkung von Beratungsstrukturen
  • Pitch-Kurse anbieten / Unterstützung bei der Präsentation des eigenen Unternehmens
  • weibliche Business Angels / Unterstützung beim Zugang zu Venture Capital

 

Es soll zudem darauf geachtet werden, dass die Qualität der Gründerinnenberatung gesichert ist.

 

Unterstützung von Kleinstunternehmen und Kleinstgründungen

Der Fokus der Förderung des Unternehmerinnentums soll sich auch auf bereits bestehende Kleinunternehmen richten. Hier fehlen derzeit Programme, welche kleinen, bereits bestehenden Unternehmen Unterstützung beim Wachstum geben, z.B. in den Bereichen geschäftliches Know-How, Personalwesen, Zugang zu Fremdkapital.

 

Viele selbstständige Frauen verfügen über ein Einkommen, das kaum zur materiellen Sicherung der eigenen Existenz und zur Absicherung von Phasen der Einkommenslosigkeit ausreicht – die Problematik der prekären Selbstständigkeit betrifft relativ mehr Frauen als Männer, das Gender-Income-Gap ist im Falle selbstständig tätiger Personen größer als bei unselbstständig Beschäftigten. Hier steht bei selbstständigen Frauen das gleichstellungspolitische Ziel der eigenständigen Existenzsicherung faktisch infrage.[4] Gleichwohl: Gründerinnen brechen ihre Projekte nicht häufiger ab als Gründer und sind im Hinblick auf das langfristige Überleben ihrer Vorhabens mindestens genauso erfolgreich. Selbstständige Frauen beim Unternehmenswachstum zu unterstützen, verbessert deren Einkommenssituation, hilft das Gender-Income-Gap zu schließen und kann zusätzliche Arbeitsplätze generieren.

 

Frauen sind bei Nebenerwerbsgründungen überproportional vertreten. Diese Gründungsform ist aus volkswirtschaftlicher Sicht in jeder Hinsicht chancenreich. Gerade hier gilt es, Wachstumspotenziale erkennen zu helfen und das Wachstum – im Idealfall bis in die Vollerwerbsselbstständigkeit – zu unterstützen.[5]

 

Dabei stellen die sprungfixen Kosten bei den Sozialversicherungsbeiträgen, insbesondere Krankenversicherungsbeiträgen ein besonderes Wachstumshemmnis gerade für Nebenerwerbsgründerinnen dar.[6] Bis zu einem regelmäßigen monatlichen Einkommen von 435 EUR kann eine Familienversicherung in Anspruch genommen werden; sobald diese Grenze überschritten wird, ist ein eigener Krankenversicherungsbeitrag von ca. 400 EUR zu entrichten. Der Senat wird aufgefordert sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die somit sprunghaft ansteigenden Beiträge durch Einführung einer Progressionszone vermieden werden. Dazu soll die Verabredung im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode, die Bemessungsgrundlage für die Mindestkrankenversicherungsbeiträge von heute 2283,75 Euro auf 1150 Euro nahezu zu halbieren, zur Entlastung von kleinen Selbstständigen zügig umgesetzt werden.

 

KleinunternehmerInnen können sich häufig Weiterbildung, die für die Führung und das Wachstum ihres Unternehmens hilfreich sein kann, nicht leisten. Der Senat wird aufgefordert, eine Förderung der individuellen Weiterbildung aufzulegen, in deren Genuss auch Selbstständige kommen können. Perspektivisch profitiert auch dieser Personenkreis von der Einführung einer Arbeitsversicherung oder eines Erwerbstätigenkontos. Der Senat wird aufgefordert, sich für die Einführung einzusetzen.

 

Wir fordern den Senat zudem auf, zusammen mit den Unternehmerinnennetzwerken in Berlin ein Netzwerk von Digitalbotschafterinnen aufzubauen, welche als Lotsinnen fungieren und damit Gründerinnen und Unternehmerinnen bei der Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle bzw. bei der Errichtung digitaler Unternehmen unterstützend begleiten. Sie sollten Teil bereits bestehender Beratungsnetzwerke für Frauen sein und bestehende Coachingprogramme ergänzen. Der Senat wird aufgefordert, sich enger mit Unternehmerinnennetzwerken zu vernetzen, gezielt Unternehmenslenkerinnen anzusprechen und ihre Expertise in die Gestaltung der Frauenförderung einfließen zu lassen.

 

Der Senat wird darüber hinaus aufgefordert, eine eigene Landesförderung zur Unterstützung von Frauennetzwerken, Coachingprogrammen und Kleinstunternehmerinnen im Haushalt vorzusehen.

 

Die Forderung im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung zur Schaffung einer Gründerzeit für selbständige Mütter und Väter unterstützen wir ausdrücklich. Diese Unterstützung soll allen Gründerinnen unabhängig von der Unternehmensgröße zugänglich sein. In diesem Zusammenhang sollte auch das Problem des fehlenden Mutterschutzes für selbstständige Frauen gelöst werden: Eine Auszeit rund um die Entbindung können viele selbstständige Frauen sich ohne Existenzgefährdung ihres Unternehmens nicht leisten.

 

Erfolge zeigen und feiern: Vorbilder aufbauen, unterstützen, Leuchttürme errichten

 

Erfolge von Unternehmerinnen müssen sichtbarer werden. Nur so können jüngere Generationen diese als Vorbilder identifizieren, und es kann sich langfristig ein Narrativ der erfolgreichen Gründerin entwickeln. Es gibt bereits zahlreiche private Initiativen bspw. in der Digital- und Musikwirtschaft, die mit Leuchtturmveranstaltungen in Berlin die Öffentlichkeit auf erfolgreiche Geschäftsmodelle und ihre Gründerinnen aufmerksam machen und gleichzeitig die Vernetzung von Gründerinnen und Unternehmerinnen fördern.

 

Diese Initiativen wollen wir multiplizieren und möglichst viele Branchen erfassen. Der Senat wird aufgefordert, einen Haushaltstitel für branchentypische Netzwerkveranstaltungen einzurichten. Noch junge Branchennetzwerke / Unternehmensnetzwerke sollen sich mit Konzeptvorschlägen um diese Mittel bewerben können. Über das Format dieser Veranstaltungen sollen die Branchen selbst entscheiden. Ziel ist es, dass durch die Anschubfinanzierung nachhaltige Vernetzungsstrukturen mit öffentlicher Strahlkraft entstehen.

 

Begleitet werden müssen diese Initiativen des Senats durch eine Verstärkung der Netzwerkbildung und vermehrten Austausch zwischen den Unternehmerinnennetzwerken in Berlin und Brandenburg. Der Senat ist aufgefordert auch hier selbst aktiv direkt auf die Unternehmen zuzugehen und diese für eine Zusammenarbeit zu gewinnen.

 

Das Format des Berliner Unternehmerinnentages soll in diesem Zusammenhang verlässlich, regelmäßig und attraktiv ausgestaltet werden. Der Unternehmerinnenpreis muss attraktiv dotiert werden. Zusammen mit Gründungsexpertinnen und -experten soll dieses Format zu einer festen Größe in der Berliner Startup-Ökonomie weiterentwickelt werden.

 

Misserfolg ist Grundlage für künftigen Erfolg

Wer neues probiert, kann scheitern. Viele neue Geschäftsmodelle tragen sich am Ende nicht und Gründer wie Gründerin müssen ihr Unternehmen dann aufgeben. Was dennoch bleibt, sind die Erfahrungen und das erlernte Methodenwissen zum Aufbau und Führen einer Firma.

 

Gründerinnen sollten ebenso wie Gründer dabei unterstützt werden zu erkennen, wann es an der Zeit ist, ein Unternehmen zu beenden und wie dies zu geschehen hat. Wir fordern zudem, eine Kultur der zweiten Chance zu entwickeln. Dazu zählt auch, Gescheiterten die Möglichkeit zu geben, ihre Erfahrungen für einen Neuanfang zu nutzen – sei es in selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit – sowie den Erfahrungsaustausch hierüber zu fördern.

 

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme (Konsens)