Zur Weiterleitung an die S&D Fraktion im Europäischen Parlament:
Wir stehen für eine solidarische Migrationspolitik. Eine Migrationspolitik, die Chancen eröffnet, statt Grenzen zu ziehen. Eine Migrationspolitik, die das Miteinander fördert, statt Hierarchien aufzubauen. Eine Migrationspolitik, die uns hilft, Herausforderungen zu meistern, die Weichen für eine gute Zukunft für uns alle zu stellen und gleichzeitig Menschenleben zu retten.
Populistisch motivierte Debatten, die wie aktuell über Abschiebungszahlen, Grenzkontrollen und Obergrenzen für die Aufnahme von Geflüchteten geführt werden, sind kein Ausdruck einer sozialdemokratischen Migrationspolitik. Die Verwirklichung der in den Menschenrechtskonventionen, in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in unserem Grundgesetz verankerten Rechte und Prinzipien müssen die unbedingte Handlungsgrundlage deutscher Migrationspolitik sein. Das Recht auf Asyl, die Rettung von Menschenleben sowie die erfolgreiche Integration durch Interaktion und Teilhabe der nach Deutschland und in die Europäischen Union kommenden Menschen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt, stehen im Mittelpunkt unserer migrationspolitischen Bemühungen. Überdies setzen wir uns im Rahmen unserer internationalen Politik weiterhin dafür ein, soziale Gerechtigkeit weltweit zu verwirklichen, damit Menschen gar nicht erst aus ihrer Heimat fliehen müssen, auch um das weitere Sterben im Mittelmeer zu verhindern.
In diesem Sinne fordern wir die sozialdemokratischen Mitglieder des Europäischen Parlaments, des Bundestages, des Berliner Abgeordnetenhauses, der Bundesregierung und des Berliner Senats auf, sich für folgende Maßnahmen einzusetzen:
In den Bundesländern
- Grundgedanke jeder Integrationspolitik mit humanistischem Anspruch ist die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe, also insbesondere der Zugang zu Unterstützungsangeboten, Bildung, Qualifizierung und Arbeit. Dazu gehört auch der gleichberechtigte Zugang zu Wohnraum. Gemeinschaftsunterkünfte oder Unterkünfte außerhalb von Wohngebieten kommen nur als kurzfristige Maßnahmen zur Sicherstellung der Unterbringung und Versorgung in Betracht. Sie dürfen nicht als Regeleinrichtung etabliert werden. Eine möglichst kurze Aufenthaltsdauer ist Im Fall der Unterbringung in diesen Unterkünften müssen die Kommunen Angebote zur sozialen Teilhabe außerhalb dieser Unterkünfte schaffen. Isolation ist zu verhindern, um Wege zu echter Integration zu beschreiten. Eine „Verwahrung“ in solchen Unterkünften widerspricht allen fortschrittlichen sozial- und bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen.
- In jeder Kommune sollen Zusatzkontingente an Plätzen in Kindertagesstätten für geflüchtete Kinder vorgehalten werden. Überdies sollen inklusive Programme wie die der „Sprachkitas“ ausgebaut und dauerhaft finanziell abgesichert werden. Um den Übergang in die Grundschulen zu erleichtern, sollen in ausgewählten Grundschulen Vorklassen für geflüchtete Kinder ab fünf Jahren eingerichtet werden, in denen die Kinder nach dem Vorbild der Willkommensklassen vor dem Übergang in die erste Klasse besser Deutsch lernen können. Schulpflichtige geflüchtete Kinder und Jugendliche sollen ihr Recht auf den Besuch der nächstgelegenen Grund- oder weiterführenden Schulen durchsetzen können.
- Wir unterstützen das Berliner Konzept für Willkommensklassen an Regelschulen, das neben inhaltlichen Ansprüchen an Bildungsstandards, klare Vorgaben für die Höchstdauer der Beschulung in Willkommensklassen und eine Anbindung an den regulären Schulbetrieb vorsieht. Schüler*innen sollen während der Beschulung in Willkommensklassen die Möglichkeit haben, den Schulbesuch an einem Standort abzuschließen (statt Wechsel nach z.B. Ende der Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung). Die Lehrkräfte der Willkommensklassen sollen nach Möglichkeit gut qualifizierte Lehrer*innen und Teil des Kollegiums sein und nach Möglichkeit eine Ausbildung für Deutsch als Zweitsprache/Fremdsprache besitzen.
- Die kürzlich in Kraft getretene bundesgesetzliche Erleichterung für den Bau von sozialer Infrastruktur, wie Schulen, Kitas und Begegnungsstätten (sog. Sonderbaurecht soziale Infrastruktur) soll durch die zuständigen Ämter konsequent genutzt werden. So können schnell zusätzliche und an das Regelschulsystem angedockte Kapazitäten geschaffen werden, die sowohl für Willkommens- als auch für Regelklassen genutzt werden können. Eine Separierung der in Städten und Kommunen lebenden Kinder und Jugendlichen lehnen wir ab.
- Im Bereich der allgemeinen und berufsbezogenen Sprachförderung sind die Angebote zu verstetigen und die Zugänge zu erweitern. Dazu sind ausreichende Angebote als Grundversorgung durch eine Sockelfinanzierung sicherzustellen, damit sich eine entsprechende Angebotsstruktur etablieren und kontinuierlich qualitätsgesichert weiterentwickeln kann. Die Zahl der angebotenen Plätze soll bedarfsgerecht erweitert werden. Der Zugang zu berufsvorbereitenden Sprachkursen ist für alle nach Deutschland Ankommenden zu öffnen. Zugangsbeschränkungen zu Integrations- und Berufssprachkursen, insbesondere im Hinblick auf die sogenannte Bleibeperspektive, sind aufzuheben.
- Geflüchtete haben ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und fördernde Rahmenbedingungen. Zusätzliche Eingriffe in den ohnehin schon stark regulierte Alltag der Menschen und mehr bürokratische Vorgaben, wie durch eine Einführung von Bezahlkarten, lehnen wir ab.
- Der Zugang zum Arbeitsleben ist in unserer Gesellschaft ein wesentlicher Ausdruck sozialer Teilhabe. Daher sind alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Schutzsuchende zügig in Erwerbsarbeit zu vermitteln. Soweit diese im Auftrag oder Zuständigkeitsbereich von Kommunen, der Bundesländer oder in den in ihrem Eigentum stehenden Unternehmen tätig werden, ist die Arbeit nach den für diese Tätigkeit geltenden tariflichen Bestimmungen zu entlohnen. Eine Heranziehung zu unbezahlter Beschäftigung lehnen wir entschieden ab. Studien haben gezeigt, dass insbesondere die Integration von geflüchteten Frauen in den Arbeitsmarkt eine Herausforderung darstellt. Aus diesem Grund muss auf diese Aufgabe ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Wichtig ist u.a. der Ausbau von Kinderbetreuung und geschützten Räumen im gesamten Asylverfahrens- und Integrationsprozess.
Im Bund
- Nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine sind 1,1 Millionen Menschen vor diesem Krieg nach Deutschland geflohen. Die gesamte Gesellschaft hat es geschafft, diesen Menschen Sicherheit zu geben und sie vergleichsweise schnell mit dem Nötigsten zu versorgen. Aus diesen Erfahrungen wollen wir lernen und auch Schutzsuchende aus anderen Ländern, die nach Deutschland kommen, schnell und zielgerichtet unterstützen. Wir erkennen an, dass viele Kommunen derzeit mit der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten stark beansprucht sind. Um die Situation zu entspannen, sollten alle Geflüchteten – wie die Geflüchteten aus der Ukraine – ihren Wohnort frei wählen können. So können sie auch über private Kontakte eine Unterkunft finden und das kommunale Aufnahmesystem wird entlastet. Gleichzeitig sollen Best Practices aus Kommunen, die durch eine erfolgreiche Auszugsbegleitung dazu beigetragen haben, dass Schutzsuchende aus Gemeinschaftsunterkünften in Wohnungen umziehen konnten, bundesweit verbreitet und unterstützt werden. Die Pflicht zur Meldung des Wohnortes und Mitteilung von Ortswechseln gegenüber den zuständigen Behörden bleibt für die Asylsuchenden
- Die dringend notwendige Reform der Leistungen an Geflüchtete und Asylbegehrende muss die Sicherung der Menschenwürde in den Mittelpunkt stellen. Migrationspolitisch motivierte Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz, Kürzungen ohne sachliche Grundlage und eine bundesweit geregelte verpflichtende Einführung von Bezahlkarten oder Sachleistungen lehnen wir ab.
- Der Zugang zum Gesundheitswesen ist für alle Antragsteller*innen auf Asyl, insbesondere für traumatisierte Geflüchtete, ebenso bedeutsam für die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit, wie auch für die Wahrung der Menschenwürde. Nach wie vor bietet Deutschland hier einen Flickenteppich unterschiedlicher, teils unwürdiger Verfahren. Wir fordern a. ein Ende der Übernahme von Arztkosten nach Vorstellung beim Sozialamt und stattdessen die bundeseinheitliche Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete, so wie bspw. Berlin dies 2016 bereits getan hat.
- Der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass es keine geflüchteten Menschen erster und zweiter Klasse gibt. Es darf keine Unterschiede geben, die zu einer Ungleichbehandlung und einem ungleichen Zugang zu Unterstützungssystemen und Integrationsangeboten führen.
- Keine Obergrenzen und keine Quotenregelungen. Sie widersprechen dem grundgesetzlich garantierten Recht auf Asyl.
- Dringend notwendige Investitionen in die kommunale Infrastruktur müssen jetzt getätigt werden. Die sogenannte Schuldenbremse darf nicht zur Investitionsbremse werden und als Vorwand dienen, den Solidaritätsgedanken zu unterlaufen. Auch der Bund trägt Verantwortung für eine gute Entwicklung der Kommunen. Nach mehreren Krisenjahren, in denen unter Aussetzung der Schuldenbremse mit verschiedenen Mitteln den negativen Auswirkungen von Pandemie und Krieg auf unsere Wirtschaft entgegengewirkt werden konnte, ist jetzt die Zeit, um mit Investitionen in Schulen, Infrastruktur, Wohnraum und unser Gesundheitssystem unsere Gesellschaft für die nächsten Jahre und Jahrzehnte fit zu machen. Eine sichere soziale Infrastruktur und gute staatliche Angebote sind das beste Mittel gegen Populismus. Jeder Euro, der in eine angemessene Unterbringung, Bildung, Qualifizierung und Integration in die und den hiesigen Arbeitsmarkt investiert wird, ist zudem eine Investition in die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland.
- Wir begrüßen das im Sommer verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Asylbegehrenden, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind, eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft ermöglicht. Wir fordern, die Stichtagsregelung des Gesetzes zu streichen, um mehr Menschen den Spurwechsel zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen die Kommunen und zuständigen Behörden umgehend mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden, um die Menschen schnell in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Einen Zwang zu unbezahlter Arbeit lehnen wir ab.
- Wir fordern die Abschaffung von jeglichen Sperrfristen für Asylsuchende zur Aufnahme einer Tätigkeit – wie für Geflüchtete aus der Ukraine bereits umgesetzt – damit wir allen Menschen gleichermaßen den unmittelbaren Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen.
- Legale Migrationswege müssen schneller ausgebaut werden. Dabei unterstützen wir die Idee von Migrationsabkommen mit anderen Staaten in dem Sinne, dass sie legale Migrationswege nach Deutschland eröffnen, das Wohlergehen der Geflüchteten beinhalten und die Aufnahmeländer die Menschenrechte der Geflüchteten nach ihrer Rückkehr garantieren. Um dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland für den Arbeitsmarkt zu gewinnen, muss auch die Erteilung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen in den Herkunftsländern durch deutsche Behörden beschleunigt werden. Dazu müssen die Verfahren und einzureichenden Unterlagen grundlegend überprüft und wo möglich entbürokratisiert werden.
- Die Unterstützung privater Initiativen zur Seenotrettung soll, wie im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP vereinbart, fortgesetzt werden. Dies gilt insbesondere, solange und soweit keine staatlich organisierte Seenotrettung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vereinbart ist und Geflüchtete im Mittelmeer der Willkür der angrenzenden Küstenwachen ausgesetzt sind. Eine Kriminalisierung privater Seenotrettung muss ausgeschlossen werden.
- Der Schutz von Menschen vor Verfolgung hat sich an der tatsächlichen Sicherheits- und Menschenrechtslage in dem jeweiligen Staat zu orientieren. Im Rahmen der Prüfung einer möglichen Einstufung weiterer Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten ist zwingend die Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts zu beachten. Danach muss für die Bestimmung eines Staates zum sog. sicheren Herkunftsstaat dort Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit sowie für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen. Vor dem Hintergrund der Verfolgung von LSBTIQ* fordern wir daher, Senegal und Ghana von der Liste zu streichen und Algerien, Georgien, Marokko, Moldau und Tunesien nicht aufzunehmen.
- Auch bei Rückführungen sind humanitäre Grundsätze zu achten. Unangekündigte Abschiebungen bei Nacht und Nebel können gerade für Kinder und Geflüchtete aus Kriegsgebieten traumatisierend wirken. Insbesondere geduldete Asylbewerber*innen, die bereits lange in Deutschland leben, dürfen nicht unangekündigten, spontanen Abschiebungen ausgesetzt sein, da in den meisten Fällen enge persönliche Beziehungen aufgebaut oder auch Ausbildungs-/Arbeitsverhältnisse begründet wurden und häufig kaum oder keine Verbindungen zum Herkunftsland mehr bestehen. Die Ausweitung des Abschiebegewahrsams auf 28 Tage sehen wir kritisch und fordern, diese nur in Ausnahmefällen auszureizen – Asylsuchende sind keine Verbrecher*innen. Wichtige Re-Integrationsmaßnahmen müssen aufrechterhalten und ausgebaut, gleichzeitig jedoch kritisch auf ihre Effektivität geprüft und entsprechend angepasst werden. Insbesondere die engmaschige Begleitung durch kleinere, lokal verankerte Organisationen sollte verstärkt ermöglicht werden.
In der Europäischen Union
- Wir bekräftigen den Beschluss 60/II/2023 des Berliner Landesparteitages. Die Gemeinsame Europäische Asylpolitik muss jetzt in diesem Sinne so schnell wie möglich zu einer solidarischen Verteilung der ankommenden und schutzsuchenden Menschen auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union führen. Einen durch die tatsächliche Praxis der Grenzbehörden verursachten Zustand der Rechtlosigkeit an den Außengrenzen der Europäischen Union darf es künftig nicht mehr geben.
- Deutschland setzt sich innerhalb der Union aktiv und mit aller Kraft für eine verbesserte Nachfolgeregelung des Dublin Übereinkommens ein. Im Sinne des Reformentwurfs des Europäischen Parlamentes aus dem Jahr 2017 soll insbesondere das Prinzip des sog. “Erstaufnahmelandes” überwunden sowie ein permanenter, automatischer und verpflichtender Verteilungsmechanismus eingeführt werden. Asylverfahren in Transit- oder Drittstaaten lehnen wir entschieden ab.
- Deutschland setzt sich innerhalb der Europäischen Union für eine staatlich organisierte Seenotrettung ein. Menschen in Seenot zu retten, gehört grundsätzlich zu den staatlichen Aufgaben, eine Übernahme dieser durch private Organisation kann nicht dauerhaft erfolgen. Gleichzeitig lehnen wir die Kriminalisierung privater Seenotrettung durch Mitgliedstaaten der Europäischen Union entschieden ab.
Zur Weiterleitung an die S&D Fraktion im Europäischen Parlament:
Wir stehen für eine solidarische Migrationspolitik. Eine Migrationspolitik, die Chancen eröffnet, statt Grenzen zu ziehen. Eine Migrationspolitik, die das Miteinander fördert, statt Hierarchien aufzubauen. Eine Migrationspolitik, die uns hilft, Herausforderungen zu meistern, die Weichen für eine gute Zukunft für uns alle zu stellen und gleichzeitig Menschenleben zu retten.
Populistisch motivierte Debatten, die wie aktuell über Abschiebungszahlen, Grenzkontrollen und Obergrenzen für die Aufnahme von Geflüchteten geführt werden, sind kein Ausdruck einer sozialdemokratischen Migrationspolitik. Die Verwirklichung der in den Menschenrechtskonventionen, in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in unserem Grundgesetz verankerten Rechte und Prinzipien müssen die unbedingte Handlungsgrundlage deutscher Migrationspolitik sein. Das Recht auf Asyl, die Rettung von Menschenleben sowie die erfolgreiche Integration durch Interaktion und Teilhabe der nach Deutschland und in die Europäischen Union kommenden Menschen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt, stehen im Mittelpunkt unserer migrationspolitischen Bemühungen. Überdies setzen wir uns im Rahmen unserer internationalen Politik weiterhin dafür ein, soziale Gerechtigkeit weltweit zu verwirklichen, damit Menschen gar nicht erst aus ihrer Heimat fliehen müssen, auch um das weitere Sterben im Mittelmeer zu verhindern.
In diesem Sinne fordern wir die sozialdemokratischen Mitglieder des Europäischen Parlaments, des Bundestages, des Berliner Abgeordnetenhauses, der Bundesregierung und des Berliner Senats auf, sich für folgende Maßnahmen einzusetzen:
In den Bundesländern
- Grundgedanke jeder Integrationspolitik mit humanistischem Anspruch ist die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe, also insbesondere der Zugang zu Unterstützungsangeboten, Bildung, Qualifizierung und Arbeit. Dazu gehört auch der gleichberechtigte Zugang zu Wohnraum. Gemeinschaftsunterkünfte oder Unterkünfte außerhalb von Wohngebieten kommen nur als kurzfristige Maßnahmen zur Sicherstellung der Unterbringung und Versorgung in Betracht. Sie dürfen nicht als Regeleinrichtung etabliert werden. Eine möglichst kurze Aufenthaltsdauer ist Im Fall der Unterbringung in diesen Unterkünften müssen die Kommunen Angebote zur sozialen Teilhabe außerhalb dieser Unterkünfte schaffen. Isolation ist zu verhindern, um Wege zu echter Integration zu beschreiten. Eine „Verwahrung“ in solchen Unterkünften widerspricht allen fortschrittlichen sozial- und bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen.
- In jeder Kommune sollen Zusatzkontingente an Plätzen in Kindertagesstätten für geflüchtete Kinder vorgehalten werden. Überdies sollen inklusive Programme wie die der „Sprachkitas“ ausgebaut und dauerhaft finanziell abgesichert werden. Um den Übergang in die Grundschulen zu erleichtern, sollen in ausgewählten Grundschulen Vorklassen für geflüchtete Kinder ab fünf Jahren eingerichtet werden, in denen die Kinder nach dem Vorbild der Willkommensklassen vor dem Übergang in die erste Klasse besser Deutsch lernen können. Schulpflichtige geflüchtete Kinder und Jugendliche sollen ihr Recht auf den Besuch der nächstgelegenen Grund- oder weiterführenden Schulen durchsetzen können.
- Wir unterstützen das Berliner Konzept für Willkommensklassen an Regelschulen, das neben inhaltlichen Ansprüchen an Bildungsstandards, klare Vorgaben für die Höchstdauer der Beschulung in Willkommensklassen und eine Anbindung an den regulären Schulbetrieb vorsieht. Schüler*innen sollen während der Beschulung in Willkommensklassen die Möglichkeit haben, den Schulbesuch an einem Standort abzuschließen (statt Wechsel nach z.B. Ende der Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung). Die Lehrkräfte der Willkommensklassen sollen nach Möglichkeit gut qualifizierte Lehrer*innen und Teil des Kollegiums sein und nach Möglichkeit eine Ausbildung für Deutsch als Zweitsprache/Fremdsprache besitzen.
- Die kürzlich in Kraft getretene bundesgesetzliche Erleichterung für den Bau von sozialer Infrastruktur, wie Schulen, Kitas und Begegnungsstätten (sog. Sonderbaurecht soziale Infrastruktur) soll durch die zuständigen Ämter konsequent genutzt werden. So können schnell zusätzliche und an das Regelschulsystem angedockte Kapazitäten geschaffen werden, die sowohl für Willkommens- als auch für Regelklassen genutzt werden können. Eine Separierung der in Städten und Kommunen lebenden Kinder und Jugendlichen lehnen wir ab.
- Im Bereich der allgemeinen und berufsbezogenen Sprachförderung sind die Angebote zu verstetigen und die Zugänge zu erweitern. Dazu sind ausreichende Angebote als Grundversorgung durch eine Sockelfinanzierung sicherzustellen, damit sich eine entsprechende Angebotsstruktur etablieren und kontinuierlich qualitätsgesichert weiterentwickeln kann. Die Zahl der angebotenen Plätze soll bedarfsgerecht erweitert werden. Der Zugang zu berufsvorbereitenden Sprachkursen ist für alle nach Deutschland Ankommenden zu öffnen. Zugangsbeschränkungen zu Integrations- und Berufssprachkursen, insbesondere im Hinblick auf die sogenannte Bleibeperspektive, sind aufzuheben.
- Geflüchtete haben ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und fördernde Rahmenbedingungen. Zusätzliche Eingriffe in den ohnehin schon stark regulierte Alltag der Menschen und mehr bürokratische Vorgaben, wie durch eine Einführung von Bezahlkarten, lehnen wir ab.
- Der Zugang zum Arbeitsleben ist in unserer Gesellschaft ein wesentlicher Ausdruck sozialer Teilhabe. Daher sind alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Schutzsuchende zügig in Erwerbsarbeit zu vermitteln. Soweit diese im Auftrag oder Zuständigkeitsbereich von Kommunen, der Bundesländer oder in den in ihrem Eigentum stehenden Unternehmen tätig werden, ist die Arbeit nach den für diese Tätigkeit geltenden tariflichen Bestimmungen zu entlohnen. Eine Heranziehung zu unbezahlter Beschäftigung lehnen wir entschieden ab. Studien haben gezeigt, dass insbesondere die Integration von geflüchteten Frauen in den Arbeitsmarkt eine Herausforderung darstellt. Aus diesem Grund muss auf diese Aufgabe ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Wichtig ist u.a. der Ausbau von Kinderbetreuung und geschützten Räumen im gesamten Asylverfahrens- und Integrationsprozess.
Im Bund
- Nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine sind 1,1 Millionen Menschen vor diesem Krieg nach Deutschland geflohen. Die gesamte Gesellschaft hat es geschafft, diesen Menschen Sicherheit zu geben und sie vergleichsweise schnell mit dem Nötigsten zu versorgen. Aus diesen Erfahrungen wollen wir lernen und auch Schutzsuchende aus anderen Ländern, die nach Deutschland kommen, schnell und zielgerichtet unterstützen. Wir erkennen an, dass viele Kommunen derzeit mit der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten stark beansprucht sind. Um die Situation zu entspannen, sollten alle Geflüchteten – wie die Geflüchteten aus der Ukraine – ihren Wohnort frei wählen können. So können sie auch über private Kontakte eine Unterkunft finden und das kommunale Aufnahmesystem wird entlastet. Gleichzeitig sollen Best Practices aus Kommunen, die durch eine erfolgreiche Auszugsbegleitung dazu beigetragen haben, dass Schutzsuchende aus Gemeinschaftsunterkünften in Wohnungen umziehen konnten, bundesweit verbreitet und unterstützt werden. Die Pflicht zur Meldung des Wohnortes und Mitteilung von Ortswechseln gegenüber den zuständigen Behörden bleibt für die Asylsuchenden
- Die dringend notwendige Reform der Leistungen an Geflüchtete und Asylbegehrende muss die Sicherung der Menschenwürde in den Mittelpunkt stellen. Migrationspolitisch motivierte Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz, Kürzungen ohne sachliche Grundlage und eine bundesweit geregelte verpflichtende Einführung von Bezahlkarten oder Sachleistungen lehnen wir ab.
- Der Zugang zum Gesundheitswesen ist für alle Antragsteller*innen auf Asyl, insbesondere für traumatisierte Geflüchtete, ebenso bedeutsam für die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit, wie auch für die Wahrung der Menschenwürde. Nach wie vor bietet Deutschland hier einen Flickenteppich unterschiedlicher, teils unwürdiger Verfahren. Wir fordern a. ein Ende der Übernahme von Arztkosten nach Vorstellung beim Sozialamt und stattdessen die bundeseinheitliche Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete, so wie bspw. Berlin dies 2016 bereits getan hat.
- Der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass es keine geflüchteten Menschen erster und zweiter Klasse gibt. Es darf keine Unterschiede geben, die zu einer Ungleichbehandlung und einem ungleichen Zugang zu Unterstützungssystemen und Integrationsangeboten führen.
- Keine Obergrenzen und keine Quotenregelungen. Sie widersprechen dem grundgesetzlich garantierten Recht auf Asyl.
- Dringend notwendige Investitionen in die kommunale Infrastruktur müssen jetzt getätigt werden. Die sogenannte Schuldenbremse darf nicht zur Investitionsbremse werden und als Vorwand dienen, den Solidaritätsgedanken zu unterlaufen. Auch der Bund trägt Verantwortung für eine gute Entwicklung der Kommunen. Nach mehreren Krisenjahren, in denen unter Aussetzung der Schuldenbremse mit verschiedenen Mitteln den negativen Auswirkungen von Pandemie und Krieg auf unsere Wirtschaft entgegengewirkt werden konnte, ist jetzt die Zeit, um mit Investitionen in Schulen, Infrastruktur, Wohnraum und unser Gesundheitssystem unsere Gesellschaft für die nächsten Jahre und Jahrzehnte fit zu machen. Eine sichere soziale Infrastruktur und gute staatliche Angebote sind das beste Mittel gegen Populismus. Jeder Euro, der in eine angemessene Unterbringung, Bildung, Qualifizierung und Integration in die und den hiesigen Arbeitsmarkt investiert wird, ist zudem eine Investition in die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland.
- Wir begrüßen das im Sommer verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Asylbegehrenden, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind, eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft ermöglicht. Wir fordern, die Stichtagsregelung des Gesetzes zu streichen, um mehr Menschen den Spurwechsel zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen die Kommunen und zuständigen Behörden umgehend mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden, um die Menschen schnell in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Einen Zwang zu unbezahlter Arbeit lehnen wir ab.
- Wir fordern die Abschaffung von jeglichen Sperrfristen für Asylsuchende zur Aufnahme einer Tätigkeit – wie für Geflüchtete aus der Ukraine bereits umgesetzt – damit wir allen Menschen gleichermaßen den unmittelbaren Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen.
- Legale Migrationswege müssen schneller ausgebaut werden. Dabei unterstützen wir die Idee von Migrationsabkommen mit anderen Staaten in dem Sinne, dass sie legale Migrationswege nach Deutschland eröffnen, das Wohlergehen der Geflüchteten beinhalten und die Aufnahmeländer die Menschenrechte der Geflüchteten nach ihrer Rückkehr garantieren. Um dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland für den Arbeitsmarkt zu gewinnen, muss auch die Erteilung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen in den Herkunftsländern durch deutsche Behörden beschleunigt werden. Dazu müssen die Verfahren und einzureichenden Unterlagen grundlegend überprüft und wo möglich entbürokratisiert werden.
- Die Unterstützung privater Initiativen zur Seenotrettung soll, wie im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP vereinbart, fortgesetzt werden. Dies gilt insbesondere, solange und soweit keine staatlich organisierte Seenotrettung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vereinbart ist und Geflüchtete im Mittelmeer der Willkür der angrenzenden Küstenwachen ausgesetzt sind. Eine Kriminalisierung privater Seenotrettung muss ausgeschlossen werden.
- Der Schutz von Menschen vor Verfolgung hat sich an der tatsächlichen Sicherheits- und Menschenrechtslage in dem jeweiligen Staat zu orientieren. Im Rahmen der Prüfung einer möglichen Einstufung weiterer Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten ist zwingend die Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts zu beachten. Danach muss für die Bestimmung eines Staates zum sog. sicheren Herkunftsstaat dort Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit sowie für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen. Vor dem Hintergrund der Verfolgung von LSBTIQ* fordern wir daher, Senegal und Ghana von der Liste zu streichen und Algerien, Georgien, Marokko, Moldau und Tunesien nicht aufzunehmen.
- Auch bei Rückführungen sind humanitäre Grundsätze zu achten. Unangekündigte Abschiebungen bei Nacht und Nebel können gerade für Kinder und Geflüchtete aus Kriegsgebieten traumatisierend wirken. Insbesondere geduldete Asylbewerber*innen, die bereits lange in Deutschland leben, dürfen nicht unangekündigten, spontanen Abschiebungen ausgesetzt sein, da in den meisten Fällen enge persönliche Beziehungen aufgebaut oder auch Ausbildungs-/Arbeitsverhältnisse begründet wurden und häufig kaum oder keine Verbindungen zum Herkunftsland mehr bestehen. Die Ausweitung des Abschiebegewahrsams auf 28 Tage sehen wir kritisch und fordern, diese nur in Ausnahmefällen auszureizen – Asylsuchende sind keine Verbrecher*innen. Wichtige Re-Integrationsmaßnahmen müssen aufrechterhalten und ausgebaut, gleichzeitig jedoch kritisch auf ihre Effektivität geprüft und entsprechend angepasst werden. Insbesondere die engmaschige Begleitung durch kleinere, lokal verankerte Organisationen sollte verstärkt ermöglicht werden.
In der Europäischen Union
- Wir bekräftigen den Beschluss 60/II/2023 des Berliner Landesparteitages. Die Gemeinsame Europäische Asylpolitik muss jetzt in diesem Sinne so schnell wie möglich zu einer solidarischen Verteilung der ankommenden und schutzsuchenden Menschen auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union führen. Einen durch die tatsächliche Praxis der Grenzbehörden verursachten Zustand der Rechtlosigkeit an den Außengrenzen der Europäischen Union darf es künftig nicht mehr geben.
- Deutschland setzt sich innerhalb der Union aktiv und mit aller Kraft für eine verbesserte Nachfolgeregelung des Dublin Übereinkommens ein. Im Sinne des Reformentwurfs des Europäischen Parlamentes aus dem Jahr 2017 soll insbesondere das Prinzip des sog. “Erstaufnahmelandes” überwunden sowie ein permanenter, automatischer und verpflichtender Verteilungsmechanismus eingeführt werden. Asylverfahren in Transit- oder Drittstaaten lehnen wir entschieden ab.
- Deutschland setzt sich innerhalb der Europäischen Union für eine staatlich organisierte Seenotrettung ein. Menschen in Seenot zu retten, gehört grundsätzlich zu den staatlichen Aufgaben, eine Übernahme dieser durch private Organisation kann nicht dauerhaft erfolgen. Gleichzeitig lehnen wir die Kriminalisierung privater Seenotrettung durch Mitgliedstaaten der Europäischen Union entschieden ab.